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die linke. münster - Draußen

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Bericht | Text und Foto: Michael Heß<br />

Dozenten an Münsters VHS<br />

„Wir sind akademisches Prekariat“<br />

Bildung kostet - der Slogan ist längst<br />

akzeptiert. Doch für <strong>die</strong> freiberuflichen<br />

Dozenten an Münsters Volkshochschule<br />

gilt das leider nicht. Warum<br />

selbst ein abgeschlossenes Studium<br />

kein Garant für ein sorgenfreies Berufsleben<br />

ist, zeigt ihr Beispiel besonders<br />

drastisch. Mehr noch, ist schon<br />

<strong>die</strong> Rede vom „akademischen Prekariat“.<br />

~-Autor Michael Heß<br />

schreibt über ein unerfreuliches Kapitel<br />

sozialer Ungerechtigkeit.<br />

_Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der<br />

Däne Nikolai Grundtvig eine wirklich<br />

gute Idee: <strong>die</strong> der Volkshochschule (VHS).<br />

Das Beispiel machte international Schule,<br />

<strong>die</strong> erste deutsche VHS wurde in enger<br />

Anlehnung an <strong>die</strong> Arbeiterbildungsbewegung<br />

1902 in Berlin gegründet.<br />

1919 erfolgte <strong>die</strong> gesetzliche Normierung<br />

in Artikel 148 der Verfassung der Weimarer<br />

Republik. Der Schultyp war später in<br />

der BRD und in der DDR gleichermaßen<br />

populär und ist heute in den jeweiligen<br />

Landesbildungsgesetzen verankert.<br />

Gleichwohl handelt es sich um keine<br />

Hochschule im gesetzlichen Sinne; das<br />

Niveau der Kurse reicht heute teilweise<br />

aber schon deutlich über das Abiturniveau<br />

hinaus.<br />

_Grundkurs Töpfern und Makramee für<br />

Fortgeschrittene - das war einmal. Was<br />

in vielen Köpfen das Image der Volkshochschulen<br />

bis heute prägt, ist bestenfalls<br />

noch ergänzendes Angebot im Hobbybereich.<br />

Seit vielen Jahren professionalisieren<br />

sich <strong>die</strong> VHS, <strong>die</strong> gesetzlich als<br />

vierte Säule des Bildungssystems verankert<br />

sind. Die inhaltlichen Schwerpunkte<br />

liegen heute im Sprach- und EDV-Bereich<br />

mit wachsendem Anteil von Schulungen<br />

für Unternehmen und <strong>die</strong> Stadt<br />

Münster selbst. „Die VHS bereitet auf<br />

national und international anerkannte<br />

Abschlüsse vor und ist regionales Prüfungszentrum“,<br />

heißt es dazu im städtischen<br />

Etatentwurf. Immerhin 14 aner-<br />

kannte Abschlüsse kann man derzeit an<br />

Münsters VHS erwerben.<br />

_Normalerweise finanziert sich eine VHS<br />

aus Landes- (2009 = 448.000 Euro) und<br />

Kommunalmitteln, aus den Kursentgelten<br />

(1,57 Mio Euro) sowie aus Drittmitteln<br />

(440.000 Euro). Das Haus am<br />

Aegidiimarkt und Katthagen ist keine<br />

Ausnahme. Gerade <strong>die</strong> Kombination von<br />

hochwertigen Qualifizierungen und niedrigen<br />

Preisen machen <strong>die</strong> Hochschulen<br />

für das Volk so attraktiv. Die Vermittlung<br />

hochwertiger Inhalte setzt nachvollziehbar<br />

ebenso qualifizierte Dozenten<br />

voraus, ohne einen akademischen Abschluss<br />

braucht man sich in den meisten<br />

Bereichen erst gar nicht mehr für <strong>die</strong><br />

Lehre zu bewerben. „Qualifizierter Dozent“<br />

nennt sich der Status in Münster.<br />

_Wo den etwa 600 VHS-Dozenten der<br />

Schuh drückt, erklären <strong>die</strong> drei Dozentensprecherinnen<br />

Anke Elsner, Nulan<br />

Müllan-Hughes und Karin Offers geduldig<br />

und detailgenau. Seit Jahren wurden<br />

<strong>die</strong> aktuellen Honorarsätze von 18<br />

Euro für qualifizierte Dozenten bzw.<br />

20,60 Euro (nach fünf Jahren Tätigkeit)<br />

nicht an <strong>die</strong> allgemeine Einkommensentwicklung<br />

angepasst. Die letzte Honoraranhebung<br />

erfolgte 1997; gemessen<br />

an der durchschnittlichen Inflationsrate<br />

seitdem bedeutet das eine Senkung der<br />

realen Kaufkraft um 27 Prozent. Zuzüglich<br />

der im September 2006 erfolgten<br />

dreiprozentigen Kürzung der Honorare,<br />

um deren Rücknahme <strong>die</strong> Dozenten<br />

seitdem erfolglos streiten. Darauf ist<br />

noch zu kommen.<br />

_Entsprächen <strong>die</strong> Honorare brutto für<br />

netto, könnte man vielleicht noch zufrieden<br />

sein. Gerade das ist aber nicht<br />

der Fall, <strong>die</strong> Dozententätigkeiten sind<br />

nämlich SV-pflichtig, da sie in aller Regel<br />

über der Geringfügigkeitsgrenze von<br />

jährlich 6.900 Euro liegen. Mit dem Unterschied,<br />

dass ein freiberuflicher VHS-<br />

Dozent seine Beiträge in vollem Umfang<br />

und nicht nur hälftig wie ein Angestellter<br />

zu leisten hat! Das bedeutet zunächst<br />

19,9 Prozent Abzüge vom Honorar.<br />

Hinzu kommen nochmals 15,5 Prozent<br />

für <strong>die</strong> Krankenversicherung, mindestens<br />

aber 282 Euro im Monat. Die Sozialabgaben<br />

können bis zu 70 Prozent<br />

des Honorars aufzehren! Dem entsprechen<br />

nach einer Modellrechnung 5,49<br />

Euro Nettohonorar pro Unterrichtsstunde.<br />

Zugegeben, das ist ein Grenzfall.<br />

Und doch verdeutlicht keine Zahl drastischer,<br />

wie es um den Stellenwert der<br />

Dozenten tatsächlich bestellt ist.<br />

_Als wäre das nicht genug, haben <strong>die</strong><br />

Dozenten noch das unternehmerische<br />

Risiko zu tragen. Die wöchentliche<br />

Stundenzahl ist auf 33 Einheiten begrenzt<br />

ohne Beschäftigungsgarantie im<br />

Gegenzug. Pro Jahr sind mindestens 19<br />

unterrichtsfreie Wochen zu überbrücken,<br />

wofür theoretisch Rücklagen gebildet<br />

werden müssen. Es bleibt zumeist<br />

bei der Theorie. Feier- und Urlaubstage<br />

werden nicht abgegolten, im Krankheitsfall<br />

ist - wie auch immer - eine<br />

Vertretung zu stellen. Von Fortzahlungen<br />

im Krankheitsfall ganz zu schweigen.<br />

Die Kosten für Weiterbildungen<br />

(auch <strong>die</strong> Dozenten müssen sich weiterbilden<br />

und zertifizieren lassen) sind<br />

aus eigener Tasche aufzubringen. Unterm<br />

Strich kombinieren Münsters VHS-<br />

Dozenten <strong>die</strong> Rechte eines Angestellten<br />

mit den Pflichten eines Selbständigen.<br />

Es ist <strong>die</strong> denkbar schlechteste Variante.<br />

_Beispiel Anke Elsner: Die Mittfünfzigerin<br />

ist stu<strong>die</strong>rte Germanistin und Soziologin<br />

und arbeitet seit etwa sechs Jahren<br />

im Bereich Deutsch als Fremdsprache.<br />

Mit ihren acht Wochenstunden<br />

kommt sie monatlich auf etwa 640 Euro.<br />

Brutto, versteht sich. Weil sie auch damit<br />

bereits über der Geringfügigkeitsgrenze<br />

von monatlich 575 Euro liegt,<br />

gehen davon noch Renten- und Kran-<br />

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