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die linke. münster - Draußen

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kommen. Dann muss jedes Mal ein neuer<br />

Bescheid erstellt und zugeschickt werden.<br />

Das war ja auch anfangs ein Problem,<br />

vor dem <strong>die</strong> Gerichte standen. Es<br />

gibt im Sozialgerichtsgesetz <strong>die</strong> Bestimmung<br />

des Paragraphen § 96 SGG, der<br />

sinngemäß wiedergibt, dass, wenn ein<br />

Verwaltungsakt mittels einer Klage angefochten<br />

worden ist, der im laufenden<br />

Klageverfahren abgeändert wird, <strong>die</strong>ser<br />

automatisch zum Gegenstand des Verfahrens<br />

wird. Das war auch in den Bereichen<br />

der klassischen Sozialversicherung<br />

kein Problem. Wir arbeiten da im<br />

Regelfall mit Verwaltungsakten mit<br />

Dauerwirkung, <strong>die</strong> also über einen längeren<br />

Zeitraum hinausgehen. Wenn sie<br />

zum Beispiel eine Arbeitslosengeld I-Bewilligung<br />

sehen, <strong>die</strong> im Regelfall über<br />

mehrere Monate geht, bis hin zu einem<br />

Jahr, dann wird es irgendwann dynamisiert.<br />

Das haben sie natürlich im Bereich<br />

der Grundsicherung für Arbeitssuchende<br />

nicht und da stellte sich dann das Problem,<br />

ob man den Paragraphen § 96 SGG<br />

auch im Bereich der ALG II-Leistungen<br />

anwenden könnte. Und da hat das Bundessozialgericht<br />

dann gesagt: Damit<br />

man <strong>die</strong> Verfahren überhaupt noch<br />

handhaben kann, legen wir den Paragraphen<br />

§ 96 SGG in <strong>die</strong>sem Bereich<br />

einschränkend aus. Und es ist in <strong>die</strong>sem<br />

Gesetz angelegt, dass innerhalb von<br />

kürzester Zeit eine Vielzahl von Bescheiden<br />

erteilt wird.<br />

~: Als besonders kompliziert erweist<br />

sich <strong>die</strong> Berechnung der angemessenen<br />

Kosten, wie zum Beispiel der<br />

Unterkunft, der Wohnkosten bei Eigenheimbesitzern<br />

sowie <strong>die</strong> Anrechnung<br />

von Einkünften bei „Aufstockern“ als<br />

auch <strong>die</strong> Feststellung, ob ein Paar als<br />

Bedarfsgemeinschaft oder als reine<br />

Wohngemeinschaft anzusehen ist.<br />

Sehen Sie es nicht als erwiesen an, dass<br />

das SGB II dringend überarbeitet werden<br />

muss, weil <strong>die</strong> Armut unaufhörlich<br />

wächst?<br />

Pauli: Das ist eine schwierige Frage.<br />

Denn wenn Sie <strong>die</strong> Zielsetzung des SGB II<br />

sehen, <strong>die</strong> darin liegt, den betroffenen<br />

Personenkreis schneller in Arbeit zu vermitteln,<br />

ist das vom Ansatz richtig. Der<br />

ehemalige Bundeswirtschaftsminister<br />

Wolfgang Clement hat ja immer das<br />

Schlagwort geprägt: „Fördern und Fordern“.<br />

Das Ziel ist sicherlich nicht so<br />

umgesetzt worden, wie der Gesetzgeber<br />

sich das gedacht hat. Ob sich das in Zukunft<br />

in irgendeiner Form ändern wird,<br />

bezweifle ich angesichts der derzeitigen<br />

wirtschaftlichen Situation, in der wir<br />

uns alle befinden. Das Armutsproblem<br />

wird sich weiter stellen, nur das ist eine<br />

gesetzgeberische Entscheidung, <strong>die</strong> man<br />

treffen muss. Die Gerichte können ja nur<br />

fragen: Entsprechen <strong>die</strong> Vorgaben, <strong>die</strong><br />

im Gesetz gemacht sind zur Höhe der<br />

Regelsätze, verfassungsrechtlichen<br />

Grundsätzen? Es gibt ein verfassungsrechtliches<br />

Existenzminimum, das eingehalten<br />

werden muss. In wieweit der<br />

Gesetzgeber darüber hinausgeht, bleibt<br />

ihm überlassen. Die Aufgabe der<br />

Gerichte ist ja, primär zu prüfen, ob eine<br />

Regelung, so wie sie ausgelegt ist, noch<br />

den grundgesetzlichen Vorgaben entspricht?<br />

Wenn das nicht der Fall ist, wie<br />

das Bundessozialgericht das ja zu den<br />

Regelsätzen für Kinder gesagt hat, dann<br />

muss eben das Bundesverfassungsgericht<br />

in Kenntnis gesetzt werden.<br />

~: Wie ist <strong>die</strong> Situation hier vor Ort<br />

am Sozialgericht Münster? Ist tendenziell<br />

gesehen mehr mit einem Anstieg der<br />

eingereichten Klagen zu rechnen oder<br />

kann man auch von einem Lichtblick am<br />

Ende des Tunnels sprechen?<br />

Pauli: Wir hatten 2008 insgesamt 5301<br />

Klageverfahren hier am Sozialgericht<br />

Münster. Das sind also nicht nur Hartz-<br />

IV-Verfahren, sondern auch unsere früheren,<br />

klassischen Bereiche der Sozialversicherung<br />

oder der Rentenversicherung,<br />

als auch das Schwerbehindertenrecht.<br />

Von <strong>die</strong>sen 5301 Verfahren waren<br />

aus dem Bereich SGB II 1142 Klagen und<br />

Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz.<br />

Wir hatten im Jahre 2008 eine Sonderentwicklung,<br />

weil wir erstmalig seit längerer<br />

Zeit einen Klagerückgang festgestellt<br />

haben um cirka 600 Verfahren.<br />

Das hing aber damit zusammen, dass im<br />

Bereich der Versorgungsverwaltung <strong>die</strong><br />

Versorgungsämter aufgelöst wurden und<br />

so der Klagerückgang zu begründen ist.<br />

Im Jahre 2009 wiederum gehe ich von<br />

einer erneuten Steigerung der Verfahren<br />

aus. Allein schon bedingt durch <strong>die</strong> wirtschaftliche<br />

Situation wird es spürbar<br />

mehr Klagen geben. Das kommt bei uns<br />

immer etwas zeitverzögert an und wird<br />

sicherlich beginnen im Bereich der Arbeitslosenversicherung:<br />

im Klartext also<br />

ein Streitverfahren gegen <strong>die</strong> Bundesagentur<br />

für Arbeit. So werden viele Arbeitssuchende<br />

versuchen in <strong>die</strong> Rentenversicherung<br />

rein zu kommen. Und darüber<br />

hinaus wird ebenfalls damit zu<br />

rechnen sein, dass im Schwerbehindertenrecht<br />

<strong>die</strong> Verfahren hoch gehen, weil<br />

der Betroffene, wenn er merkt dass eine<br />

Kündigung droht, versucht über eine<br />

Feststellung der Anerkennung als Schwerbehinderter<br />

einen gesteigerten Kündigungsschutz<br />

zu bekommen. Und so ha-<br />

ben Sie in allen Bereichen Auswirkungen<br />

der augenblicklichen Wirtschaftskrise.<br />

~: Wie hoch ist denn <strong>die</strong> aktuelle<br />

Wartezeit bei Hartz-IV-Klagen gerechnet<br />

vom Eingang der Klage bis zum Urteil?<br />

Pauli: Bei Hartz-IV-Verfahren; also SGB II,<br />

liegt der Wert bei etwa 12,5 Monaten.<br />

Wobei es sich hier um einen Durchschnittswert<br />

handelt. Denn schließlich<br />

gibt es Verfahren, <strong>die</strong> mal etwas länger<br />

dauern oder aber auch weniger Zeit in<br />

Anspruch nehmen können. Interessant<br />

ist auch, dass der einstweilige Rechtsschutz<br />

im Bereich der Grundsicherung<br />

für Arbeitssuchende eine hohe Bedeutung<br />

hat und hier <strong>die</strong> Verfahrenszeit<br />

knapp 0,7 Monate beträgt. Einstweiliger<br />

Rechtsschutz heißt ja: Die Leistung wird<br />

eingestellt und so muss zwangsläufig<br />

eine Entscheidung getroffenen werden.<br />

Das Gericht kann ja anders als im Hauptsachverfahren<br />

nicht endgültig prüfen,<br />

sondern macht nur eine vorzeitige Prüfung<br />

und daraus ergeht, dass es jetzt zu<br />

einer schnellen Entscheidung kommen<br />

muss.<br />

~: Herr Pauli, wir danken Ihnen<br />

für das Gespräch!<br />

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