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die linke. münster - Draußen

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Bericht | Text: Christian Döscher<br />

Reise durch <strong>die</strong> Kunstgeschichte<br />

Vom Hochbarock zum Rokoko<br />

Unser Kunstexperte Christian Döscher<br />

berichtet <strong>die</strong>smal über den Übergang<br />

vom Barock zum Rokoko. Die Kunststile<br />

nehmen dabei immer mehr Einfluss auf<br />

viele Lebensbereiche, wie Kleidung,<br />

Baustile und vieles mehr. Gerade der<br />

private Bereich wird dabei sehr stark<br />

durch <strong>die</strong> neue Kunstrichtung geprägt.<br />

_Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte<br />

sich der Barockstil in Europa weit verbreitet<br />

und auch auf den amerikanischen<br />

Kontinenten seine Spuren hinterlassen.<br />

Die Herausbildung regionaler<br />

Besonderheiten ist für <strong>die</strong>sen Stil typischerweise<br />

festzustellen; <strong>die</strong> einst verbindlichen,<br />

gestrengen Prinzipien der<br />

Balance und Maßhaftigkeit, <strong>die</strong> letztlich<br />

auf <strong>die</strong> Ästhetik der Antike zurückzuführen<br />

sind, waren immer weiter in den<br />

Hintergrund getreten und hatten rein<br />

dekorativen Elementen mehr und mehr<br />

Raum geboten. Der subjektive Charakter<br />

des Schönheitsempfindens trat nun offener<br />

als zuvor zu Tage, es entstanden<br />

regelrechte Moden. Das Frankreich des<br />

Absolutismus war tonangebend in Europa,<br />

in Paris schlug der Puls der Zeit,<br />

Laune und Gunst der herrschenden<br />

Klasse waren richtungsweisend für das<br />

gehobene Leben und das Verständnis<br />

der schönen Dinge. Selbst am Hofe der<br />

britischen Krone sprach <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

französisch. Es galt, was fein war, chique,<br />

angesagt, in. Es galt der Hype.<br />

_In <strong>die</strong>sem Sinne lässt sich, was gestalterisch<br />

in den Werken <strong>die</strong>ser Epoche zu<br />

beobachten ist, auf neue Erscheinungen<br />

im Lebenswandel der herrschenden<br />

Klasse übertragen: Für sie dürfte Barock<br />

zu einer Lebensart geworden sein, zu<br />

einem Lifestyle. Frankreich in seiner<br />

vorherrschenden Stellung liebte <strong>die</strong> Repräsentanz<br />

und brauchte sie auch. Alles<br />

Barocke liefert Rahmen und Hintergrund<br />

für <strong>die</strong> absolute Selbstdarstellung. Mit<br />

seinem ungestümen Temperament griff<br />

der Barock schnell um sich, verband sich<br />

mit der Kleidung, drang tief ins Mobiliar,<br />

wurde Porzellan und Perlschmuck.<br />

Das höfische Theater spielte sich ohnehin<br />

nicht nur auf der Bühne ab, aber<br />

mehr noch als zuvor wurde jetzt Innerliches<br />

nach aussen transportiert und das<br />

Private Politik. Die öffentliche Zurschaustellung<br />

fast aller denkbaren individu-<br />

ellen und familiären Verhältnisse wurde<br />

legendär unter der Herrschaft des „Sonnenkönigs“<br />

Ludwig XIV.<br />

_Der Kulturwissenschaftler und Philosoph<br />

Bolívar Echeverría schreibt (in<br />

einem Essay mit dem Titel „Zum Barock-<br />

Ansatz in Mexiko“):<br />

_Praktisch alle Versuche, das barocke<br />

Kunstwerk zu beschreiben, heben bei<br />

ihm [...] das „Theatralische“ als seine<br />

bezeichnende Eigenschaft hervor. Selbst<br />

Wölfflin tut es, denn das „Malerische“,<br />

das Anti-“lineare“, das für ihn das Barock<br />

vor allem auszeichnet, besteht<br />

hauptsächlich darin, Kunstwerke zu<br />

schaffen, in denen das Sein dem Schein<br />

untergeordnet ist; Gebäude z.B., an denen<br />

das Bewohnt-Werden hinter dem<br />

Bewundert-Werden zurücktritt. [...]<br />

Wenn dann <strong>die</strong> Frage nach dem Spezifischen<br />

am dekorativ-theatralischen<br />

der barocken Kunstwerke aufkommt -<br />

denn es gibt natürlich auch nicht-barocke<br />

Dekorationen - sollte man einen<br />

Satz von Th. W. Adorno [...] nicht vergessen.<br />

Der Satz ist folgender: „... Daß<br />

der Barock dekorativ sei, sagt nicht alles.<br />

Er ist decorazione assoluta, als hätte<br />

<strong>die</strong>se von jedem Zweck... sich emanzipiert<br />

und ihr eigenes Formgesetz entwickelt.<br />

Sie schmückt nicht länger etwas,<br />

sondern ist nichts anderes als<br />

Schmuck...“ (Adorno: 1970, 437)<br />

_Die Entwicklung, <strong>die</strong> Adornos Wort so<br />

treffend beschreibt, wurde insbesondere<br />

in der Architektur deutlich. Je später<br />

<strong>die</strong> barocke Gebäudefassade, so mag es<br />

scheinen, desto mehr Elemente ohne<br />

jeglichen Funktionswert. An seine Stelle<br />

tritt der Dekorationswert. Allein <strong>die</strong><br />

Symmetrie scheint schliesslich den Kollaps<br />

zu verhindern.<br />

_Und <strong>die</strong> Malerei? Sie hatte zwei Jahrhunderte<br />

zuvor <strong>die</strong> ersten barocken Impulse<br />

aufgenommen und war naturgemäß<br />

andere Wege gegangen als Skulptur<br />

und Architektur. Hinsichtlich der<br />

Malweise und der Farbkomposition hatte<br />

sich bereits einer noch zu erwartenden<br />

Neuzeit zugewandt. Zwar muss man<br />

eingestehen: Das „Barocke“ an ihr war<br />

inhaltlich, das ‚wie' der Darstellungen<br />

dem ‚was' verpflichtet geblieben; mit<br />

anderen Worten: <strong>die</strong> Form hatte sich<br />

noch nicht vom Inhalt losgelöst. Aber<br />

wenn auch <strong>die</strong> gestalterischen Mittel<br />

nach wie vor den Themen Rechnung<br />

trugen, haben wir doch mit der Barockkunst<br />

einen gewaltigen Schritt nach<br />

vorn erlebt.<br />

_Das Ende des „klassischen“ Barock und<br />

der Beginn des Rokoko markieren eine<br />

Phase der (relativen) Um- und Einkehr.<br />

Im Rokoko fand eine Gegenbewegung<br />

mit einem Rückzug ins Private statt.<br />

Statt monumentaler Machtentfaltung<br />

und kraftvoller Dynamik wurden nun<br />

eine kultivierte Lebensführung und ein<br />

leichtfüßiges, feinsinniges Lebensgefühl<br />

wichtig. Galante Umgangsformen verbanden<br />

sich mit zarter Sinnlichkeit. Das<br />

Lebensgefühl fordert eine heitere,<br />

leichte Gestaltung mit elegant-verspielten<br />

Details. Im reichen Zierwerk vor allem<br />

der Innenraumgestaltung findet<br />

sich <strong>die</strong> Form, von denen sich <strong>die</strong> Bezeichnung<br />

„Rokoko“ ableitet: <strong>die</strong> Muschel<br />

(franz. Rocaille‚ das ‚Muschelwerk').<br />

_In der Plastik und vor allem in der<br />

Malerei tauchen häufig private oder gar<br />

erotische Themen auf. Das bekannteste<br />

Beispiel hierfür ist „Die Schaukel“ von<br />

Jean-Honoré Fragonard (1767). Die Architektur<br />

verliert ihre pompöse Wucht,<br />

<strong>die</strong> Schlösser erscheinen kleiner. Neben<br />

den offiziellen Repräsentationsräumen<br />

finden sich jetzt auch kleinere Privaträume<br />

und sogar Privatschlösschen (zum<br />

Beispiel das Petit Trianon in Versailles).<br />

An <strong>die</strong> Stelle fester Formen treten leichter,<br />

zierlicher gewundene Linien und<br />

häufig rankenförmige Umrandungen.<br />

Diese bewusste Abkehr von Symmetrie<br />

wurde später im Jugendstil (ab Ende des<br />

19. Jahrhunderts) wieder aufgegriffen. #<br />

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