Weg vom Kleinschrittigen - Literaturmachen
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<strong>Weg</strong> <strong>vom</strong> <strong>Kleinschrittigen</strong><br />
SL: Bei der »Hanna Cash« haben wir über Brecht gesprochen, das war ja auch im Buch ein Thema, da gab es<br />
auch einiges an historischen Hintergründen. Und dann auch die Epochen, Expressionismus zum Beispiel bei<br />
Georg Kaiser. All diese Epochen mit ihren gattungstypischen Unterschieden anzusprechen, das ist natürlich<br />
auch ein Gewinn.<br />
SD: Was ich an solchen Projekten sehr gerne mag, und was mir an den Schülern auch immer sehr gut gefallen<br />
hat, ist, dass man merkt, dass sie mitkriegen, dass man voneinander lernen kann. Teilweise viel besser, als<br />
man von Lehrern lernen kann. Wir hatten ja mehrfach diesen Fall, dass auf einmal punktuell großes Wissen<br />
eines einzelnen Schülers oder einer Schülerin über ein bestimmtes Thema da war. Den zweiten Weltkrieg,<br />
oder den Vietnamkrieg zum Beispiel. Dass da Schüler, die vielleicht auch vorher gar nichts gesagt haben,<br />
sich genau da auskannten und in die Diskussion eingestiegen sind. Und dass die anderen eben mitgeschrieben<br />
haben und mitgemacht haben und das aufnehmen. Das mag ich sehr am projektorientierten Arbeiten,<br />
und es ist gut, dass man das im Team so gut unterstützen kann.<br />
SL: Wir leben dieses Prinzip durch das Team Teaching ja auch vor. Weil wir eher zugeben können, wenn wir<br />
zum Beispiel gerade nicht mehr weiter wissen. Wo dann der andere übernimmt und ergänzt. Oder man den<br />
anderen direkt fragt: »War das wirklich in dem Jahr oder habe ich das falsch abgespeichert?« und direkt bestätigt<br />
oder widerlegt wird. Das heißt, sie sehen an uns, dass man eben auch mit Nicht-Wissen umgehen kann.<br />
Wenn man es zugibt. Beziehungsweise wie man sich gegenseitig stützt und ergänzt. Dass man voneinander<br />
lernen kann.<br />
SD: Das ist ja jetzt etwas, das in meinem Vorurteil <strong>vom</strong> Rollenverständnis des Lehrers nicht vorkam:<br />
Schwäche zu zeigen.<br />
SL: Das geht sicher auch nicht mit allen Lehrern. Viele haben sicher schon stark verinnerlicht, das Wissen<br />
gepachtet zu haben. Und sich nie die Blöße geben zu dürfen, Nicht-Wissen zu zeigen. Gerade gegenüber<br />
Schülern. Aus so einer stark verinnerlichten Angst heraus dadurch dann inkompetent zu wirken.<br />
SD: Das ist im Team einfacher. Ich meine, du willst ja am Ende keinen Autoritätsverlust habe. Du willst ja<br />
einen Autoritätsgewinn, oder sagen wir Respektsgewinn dadurch haben, dass du dich so verhältst, wie man<br />
sich verhalten sollte – also eine Schwäche eingestehst. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, dass das bei<br />
einigen Schülern gar nicht gut funktioniert und sie eine Schwäche deinerseits als Ansatzpunkt für ihren<br />
Meißel benutzen, um auf dich als Person – nicht als Respektsperson, sondern direkt als Person – einzuhämmern.<br />
SL: Es geht vor allem in einem so verschiedenartigen Team einfacher. Hat man zwei Lehrer, noch dazu<br />
zwei, die an der gleichen Schule unterrichten, dann kann es schon sein, dass die Schüler einen sehr genau<br />
beobachten. Und ganz genau schauen, wer sich mehr Fehler leistet, wer öfter zugeben muss, etwas nicht zu<br />
wissen, wer die Situation öfter rettet, weil er mit Wissen punktet. Anders als bei dem Team, das wir bilden.<br />
Wo eben der eine aus einer ganz anderen Sphäre kommt. Sie wissen ja von vornherein, dass du der Experte<br />
für bestimmte Dinge bist, die mit dem Unterricht an unserer Schule nicht viel zu tun haben. Ich bin für das<br />
ganze Schulische zuständig. Dann ist es kein Gesichtsverlust, wenn ich zugebe, bestimmte Dinge nicht zu<br />
wissen.<br />
SD: Rückblickend gesehen: ich denke, dass wir uns beide in unserer Herangehensweise an den Unterricht<br />
verändert haben. Ich werde Ende dieses Schuljahres diesen Teil des Projekts beenden und aus der Schule<br />
rausgehen, und es vermissen, ich würde es liebend gerne weitermachen. Ich bin aber auch froh, dass ich<br />
rausgehe und immer noch kein Lehrer geworden bin.<br />
SL: Wieso solltest du auch ein Lehrer werden?<br />
SD: Das war durchaus eine Frage, die ich mir am Anfang des Projekts gestellt habe: wie verschult komme<br />
ich aus dem Projekt raus? Ich habe inzwischen einen komplett anderen Respekt vor Lehrern. Ich bin sehr<br />
froh, dass ich neue Sachen lernen und weiterverwerten konnte.<br />
SL: Ob man die dann umsetzt oder einsetzt, ist eine andere Frage. Aber du kennst bestimmte Methoden<br />
jetzt sehr genau.<br />
SD: Wenn ich heute in die Schule hineingehe, ist mein Rollenverständnis ein anderes als das, was ich hatte,<br />
als ich vor vier Jahren angefangen habe. Das auf jeden Fall. Wenn ich freie Workshops mache, ist das sicher