Weg vom Kleinschrittigen - Literaturmachen
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<strong>Weg</strong> <strong>vom</strong> <strong>Kleinschrittigen</strong><br />
richte. Klar: wenn jemand es als belastend empfindet, überhaupt jemanden an seiner Seite zu haben, geht es<br />
natürlich nicht. Aber wenn man keine Skrupel hat, auch einmal supervidiert zu werden, ist es auf jeden Fall<br />
entlastend. Weil es immer angenehm ist, an bestimmten Punkten abgeben zu können. Wo man vielleicht<br />
gerade nicht mehr weiter weiß. Wo man den Faden verliert oder ein gutes Beispiel nicht findet. Es ist durch<br />
den anderen ein Regulativ da. Solange man selber agiert, hat der andere ja immer die beobachtende Position,<br />
und dann kann der zu gegebener Zeit eingreifen. Wenn er sich zum Beispiel denkt, dass es jetzt doch geschickt<br />
wäre, mal wieder einen Witz anzubringen (lacht). Und dafür ist man dann dankbar. Es setzt voraus,<br />
dass das Team funktioniert, dass man sich die Bälle zuwerfen kann.<br />
SD: Das fing ja im zweiten Jahr unserer Arbeit so richtig an, dass wir begonnen haben, uns die Bälle<br />
zuzuspielen. Dass ich keine Angst mehr hatte, irgend etwas auch nur in Richtung von Grammatik zu sagen.<br />
Und wo ich gemerkt habe, dass du Sachen, die ich im Jahr davor gesagt hatte, einfach aufgenommen und<br />
weiterverarbeitet hast und einwirfst. Das hat die Situation sehr stark entspannt. Denn wenn ich 30 Leute<br />
vor mir habe, denen ich etwas beibringen soll, dann habe ich erstmal… ja, Angst. Respekt vor der Situation.<br />
Und die wenigen Stunden, die ich allein unterrichtet habe, waren ja auch um einiges chaotischer, als wenn<br />
du dabei warst.<br />
SL: Ich glaube – um auf deine Frage zurückzukommen –, dass man schon das Gefühl hat, dass es weniger<br />
Schüler sind, die man vor sich hat. Die schiere Masse verringert sich dadurch, dass die Situation entlastet<br />
wird. Indirekt, sozusagen.<br />
SD: Ich muss sagen, da, wo die Klasse positiv agiert, bleiben es für mich 30 Leute. In dem Moment, wo sie<br />
mitziehen, merke ich, da ziehen 30 Leute mit. Das ist eine komplett andere Energie. Gut, alle 30 ziehen<br />
nie mit, sagen wir mal 22 – aber dann merke ich das auch und dann merke ich auch, dass ich sehr aufpassen<br />
muss, damit ich sie alle balanciert behandle. Dass ich darauf achte: »Oh, den hast du schon fünf mal<br />
drangenommen und der meldet sich immer und Person X meldet sich gerade zum ersten Mal, die muss ich<br />
jetzt drannehmen«. Wenn die Klasse diszipliniert werden muss, wenn da irgend etwas nebenrausläuft und<br />
man schauen muss, dass ein Schüler ruhig sein muss, dann sind es weniger Schüler, wenn man zu zweit ist.<br />
Weil ich weiß, dass ich mit dem, was ich gerade denke, weitermachen kann, an meinen Gedanken weiterreden<br />
kann vor all den Schülern, während du mit einem Blick oder einem Handzeichen jemandem da drüben<br />
gerade sagen kannst: »Kannst du bitte gerade mal ruhig sein«.<br />
SL: Das ist die klassische Form der Arbeitsteilung, die da zum Tragen kommt. Einer kann Gedanken entwickeln<br />
und weiterspinnen, und der andere, in diesem Fall der Lehrer, ist die Kontrollinstanz.<br />
SD: Wobei wir die Rollen da auch gewechselt haben.<br />
SL: Das stimmt, das wechselt auch. Insofern eine Luxussituation.<br />
SD: Ich denke schon. Mit dieser Menge an Schülern war das für mich im positiven mehr und im negativen<br />
weniger. Und das hat mir großen Spaß gemacht. Ganz abgesehen davon, dass ich sehr viel über das Unterrichten<br />
gelernt habe. Über Wissensvermittlung.<br />
SL: Stoffvermittlung.<br />
SD: Genau. Wie kriege ich das, was die Schüler mitnehmen sollen, so verpackt, dass sie es auch mitnehmen<br />
können? Das bleibt das Schwierigste an der ganzen Sache. Und so wie Schule strukturiert ist, mit diesen<br />
45-Minuten-Einheiten, finde ich es noch schwieriger. Weil ich auch weiß, dass kreative Arbeit – und dazu<br />
zähle ich auch Mathematik – einfach andere Zeiten braucht. Andere Rhythmen. Und es hat mir sehr gut<br />
gefallen, dass ich das bei dir im Unterricht auch machen konnte. Dass ich zum Beispiel festgestellt habe,<br />
dass die Schüler beim Thema Silver Age mehr Fragen zum Vietnamkrieg haben und wir einfach anfangen,<br />
darüber zu reden. In dem Fall darüber, wie Menschen mit Kriegen und Kriegsveteranen umgehen. Man<br />
kommt darüber in ein Gespräch, das an der Oberfläche erst einmal gar nichts mit unserem Projekt zu tun<br />
hat. Aber natürlich in der Tiefe schon, weil Literatur über Gefühle redet. Und wir werden darüber reden<br />
müssen. Es war schön, dass ich den Freiraum zu diesen Gesprächen hatte. Und ich weiß nicht, wie einfach<br />
das im normalen Unterricht ist.<br />
SL: Das kommt natürlich immer darauf an, wie das Lernziel für die jeweilige Einheit formuliert ist. Es kann<br />
durchaus auch das Ziel sein, über solche Dinge zu reden. Hintergründe zu erörtern. Aber das ist sicher auch<br />
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