Volker Tesmer - Deutsche Geodätische Kommission
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2. Grundlagen der geodätischen VLBI<br />
Anregungsmechanismen ozeanischer und atmosphärischer Drehimpulsvariationen die Chandleramplitude eines<br />
freien Kreiselmodells aufrechterhalten können.<br />
Die Chandlerperiode ist überlagert von einer jährlichen Schwingung mit einer Amplitude von ca. 60-90 mas<br />
(HÖPFNER 2002), was 3-4 m auf der Erdoberfläche entspricht, wodurch sich eine Schwebung mit einer Periode<br />
von ca. 6.3 Jahren ergibt. Einschließlich anderer, durch unregelmäßige Massenverlagerungen im System Erde<br />
ausgelöster Bewegungen der Rotationsachse, schwankt der Rotationspol um ca. ± 300 mas während eines Jahres,<br />
was auf der Erdoberfläche 9 m entspricht (TORGE 2001, S. 35). Wie LOD und ∆UT1 unterliegen auch die Polkoordinaten<br />
Schwankungen mit täglichen und halbtäglichen Perioden, die durch Massenverlagerungen wegen<br />
Ozeangezeiten bedingt sind. Überlagerungen in jeweils maximaler Phase können in der Summe bis zu 1.5 mas in<br />
x P und 1.1 mas in y P erreichen (MCCARTHY und PETIT 2003).<br />
Obwohl der Übergang vom zälestischen in das terrestrische Referenzsystem durch eine Rotation um drei zeitabhängige,<br />
Eulersche Winkel vollzogen werden kann, werden in der Astronomie und Geodäsie dafür in der Regel<br />
Zeitreihen der fünf beschriebenen Erdorientierungsparameter (EOP) ∆ ψ , ∆ ε , ∆UT1, x P und y P verwendet.<br />
Deshalb ist davon auszugehen, dass diese fünf Parameter keine voneinander völlig unabhängige Information<br />
beinhalten. Wie z.B. in TESMER et al. (2002) an Testrechnungen nachvollzogen wurde, können die Nutationsanteile<br />
∆ ψ und ∆ ε und gleichzeitig bestimmte Polkoordinaten x P und y P sehr gut voneinander getrennt werden,<br />
wenn beide das Zeitintervall eines Tages repräsentieren. Nicht trennbar sind für ein 24-stündiges Zeitintervall<br />
gültige Nutationsanteile und subtäglich aufgelöste Polkoordinaten. Diese an VLBI-Messungen nachvollzogenen<br />
Erfahrungen entsprechen den Angaben von SCHÖDLBAUER (2000, S. 194), nach denen stationäre bzw. quasistationäre<br />
Achsbewegungen im erdfesten Bezugssystem Bewegungen mit täglicher Periode im Inertialsystem entsprechen,<br />
und quasistationäre Achsbewegungen im Inertialsystem tägliche Bewegungen im erdfesten Bezugssystem<br />
bedeuten. Weitere Ausführungen des Zusammenhangs zwischen Nutationswinkeln und Polkoordinaten und<br />
∆UT1 sind z.B. auch in MORITZ und MÜLLER (1987, S.566f) zu finden.<br />
Ein Vorteil der Darstellungsform mit fünf Parametern ist ihre Anschaulichkeit: Präzessions- und Nutationswinkel<br />
können direkt an die Quellenkoordinaten in einem CRF angebracht werden, die Polkoordinaten sind unmittelbar<br />
als Rotationen für Stationskoordinaten im TRF zu verwenden. Damit ist auch eine anschauliche physikalische<br />
Interpretation verbunden, bei der die Rotationen des CRF vor allem durch Drehmomente der Himmelskörper<br />
unseres Sonnensystems ausgelöst werden und die Rotationen des TRF hauptsächlich durch Drehmomente von<br />
Massen im System Erde. Exemplarisch wird auf eine Ausnahme von dieser Regel hingewiesen, die „Free Core<br />
Nutation (FCN)“. Sie entsteht durch Wechselwirkungen zwischen dem elastischen Mantel und dem flüssigen<br />
Kern der Erde, bei denen durch die Gezeiten (siehe dazu Abschnitt 2.1.3) angeregte Deformationen als Eigenschwingungen<br />
des Erdkörpers in Resonanz geraten. Die dadurch ausgelösten Schwankungen der Rotation der<br />
Erde können im terrestrischen System als unregelmäßig auftretende quasi-tägliche Polbewegungen mit Amplituden<br />
von ca. 0.1 mas aufgefasst werden. Die Polkoordinaten x P und y P werden üblicherweise aber durch Zeitreihen<br />
täglicher Mittelwerte dargestellt, weshalb sie für die Darstellung der FCN nicht geeignet sind. Obwohl ihre<br />
Ursache im System Erde zu finden ist, wird die FCN deshalb durch langperiodische Schwankungen des Pols im<br />
zälestischen System mit einer Periode von ca. 430 Tagen aufgefangen (MATHEWS 2000).<br />
(Anmerkung: Mit den IAU Resolutionen des Jahres 2000 ergaben sich einige Änderungen der offiziellen Definition<br />
der Parameter, mit denen die Beziehung zwischen dem raumfesten und dem erdfesten System vollzogen wird.<br />
Mit der Resolution 1.6 wird die Definition der Präzession und Nutation leicht geändert, die Resolution 1.7 besagt,<br />
dass der zälestische Ephemeridenpol (CEP) durch den zälestischen intermediären Pol (CIP) ersetzt wird. In diesem<br />
Zusammenhang löst mit der Resolution 1.8 das Konzept eines zälestischen und terrestrischen Ephemeridenursprungs<br />
das Frühlingsäquinoktium zur Definition des Erdrotationswinkels ab. Nur wenige der mit Beginn des<br />
Jahres 2003 offiziell in Kraft getretenen Änderungen finden aber bereits tatsächlich Verwendung, weshalb hier<br />
nicht weiter darauf eingegangen wird. Der ursprüngliche Text der Resolutionen ist unter<br />
http://danof.obspm.fr./IAU_resolutions/Resol-UIA.htm zu finden, weiterführende Erläuterungen werden ausführlich<br />
in CAPITAINE et al. 2002 oder kürzer in CAPITAINE 2002 gegeben.)<br />
2.1.3 Stationskoordinaten und ihre zeitliche Variation im terrestrischen Referenzsystem<br />
Der Ursprung eines erdfesten Referenzsystems wird üblicherweise im Geozentrum definiert, dem Massenzentrum<br />
der gesamten Erde, also der festen Erde zusammen mit den Ozeanen, der kontinentalen Hydrosphäre, der Kry-