herunterladen - Berliner Liedertafel
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mit der Welt geöffnet. Das Christentum<br />
wurde zurück gedrängt und auf eine<br />
Randnotiz in der Geschichte und<br />
Gesellschaft Japans beschränkt.<br />
Ieyasu Togukawa (aus dem Film<br />
„Kagemusha - Der Schatten des Kriegers“)<br />
Die nun folgende Togukawa Periode<br />
(1603-1867) mit Shogunen aus der Familie<br />
Leyasus prägte das japanische<br />
Selbstverständnis. Die Kultur blühte. Was<br />
wir als Japan kennen entstand in dieser<br />
Epoche. Die Samurai wurden zu einer<br />
eigenen Kaste. Mijamoto Musashi schrieb<br />
das „Buch der fünf Ringe“, ein Buch über<br />
Schwertkampf und Kriegskunst. Der<br />
Bushido, der Weg des Kriegers (oder des<br />
Kampfes) wurde zum Leitmotiv der<br />
führenden Gesellschaft. Der Zen-<br />
Buddhismus erlebte seine Blüte. Viele<br />
Künste erlebten eine Blüte oder<br />
schwangen sich erneut auf. Es war eine<br />
sehr beschränkte Welt, aber eine Welt, die<br />
Luft holte nach Jahrhunderten der<br />
Unsicherheit und des politischen Chaos.<br />
Aber auch diese scheinbar stabile Welt<br />
musste enden. Mit der Zeit verloren die<br />
Togukawa-Shogune Macht und Ansehen.<br />
Meiji-Tenno erkannte den Niedergang und<br />
die Gefahren die eine fast vollständige<br />
Isolierung von der Welt mit sich brachte.<br />
Er stellte die Macht des Tenno wieder her<br />
und öffnete Japan der Welt, auch unter<br />
einem gewissen Zwang. Die europäischen<br />
Mächte und Amerika (1853) hatten<br />
moderne Armeen, moderne Flotten. Die<br />
Industrialisierung hatte begonnen. Japan<br />
war in vielen Bereichen mindesten ein,<br />
wenn nicht zwei Jahrhunderte im<br />
Rückstand, was Militär und Technik<br />
anging. Dies musste geändert werden. Die<br />
einzige Möglichkeit hieß Öffnung und<br />
Modernisierung!<br />
Kaiser Meidschi (regierte von 1868-1914)<br />
führte eine Reihe von politischen<br />
Reformen durch. Eine absolutistische<br />
Monarchie entstand, die Feudal- und<br />
Territorialherrschaft wurde damit beendet.<br />
Japan begann eine Kolonialzeit in<br />
Ostasien.<br />
Psychologisch bedeuten die geschilderten<br />
Geschichtsperioden folgendes für die<br />
Japaner: Durch die Isolation konnte sich<br />
eine eigene japanische Kultur unabhängig<br />
entwickeln. Nachdem zwangsweise eine<br />
Öffnung stattfand, entwickelte sich Japan<br />
sehr schnell von einer potentiellen Kolonie<br />
zu einer Kolonialmacht. Dies wurde zwar<br />
mit einem politischen System erkauft, das<br />
eher rückwärtsgewandt war, aber es<br />
prägte Japans Einstellung zur Außenwelt<br />
maßgeblich.<br />
Seit Anfang des vergangenen<br />
Jahrhunderts bis zum Ende des zweiten<br />
Weltkriegs war Japan de facto die<br />
asiatische Hegemoniemacht. Erst mit der<br />
Niederlage Japans im Zuge des zweiten<br />
Weltkriegs änderte sich dies.<br />
Japan beendete seine militärische<br />
Großmachtspolitik und wandte sich der<br />
Wirtschaft zu. Das Ende des 2. Weltkriegs<br />
war durch den Abwurf der beiden ersten<br />
militärisch eingesetzten Atombomben<br />
traumatisch für das Land. Mit der darauf<br />
folgenden Kapitulation rettete Japan sich<br />
Teile der Souveränität. Hilfreich war auch<br />
die Zusicherung von Militärstützpunkten an<br />
die Amerikaner.<br />
Lange prägte der Zwiespalt die japanische<br />
Gesellschaft. Eine Aufarbeitung der<br />
Geschichte fand nur begrenzt statt. Japan<br />
ist deshalb eben anders, als wir.<br />
Wirtschaftlicher Erfolg ist eine nationale<br />
Aufgabe. Es ist Ersatz für militärischen<br />
Einfluss. Auf der anderen Seite ist Japan<br />
eine Demokratie, aber nur begrenzt mit<br />
uns vergleichbar. Seit dem Ende des<br />
zweiten Weltkriegs herrscht praktisch eine<br />
Partei, die LDP (Liberal-Demokratische<br />
Partei). Ministerpräsidenten wechseln aus<br />
Altersgründen oder weil Skandale sie nicht<br />
mehr tragbar für die LDP gemacht haben.<br />
In Japan hat die Yakuza immensen<br />
Einfluss. Yakuza ist eine kriminelle<br />
Organisation mit einigen hundert Jahren<br />
Geschichte, die in verschiedene<br />
rivalisierende kumi (Banden) eingeteilt und<br />
von der ausländischen Presse manchmal<br />
auch zusammenfassend als „japanische<br />
Mafia“ bezeichnet wird. Ya-Ku-Za ist<br />
eigentlich die dialektale Aussprache der<br />
Zahlenkombination 8-9-3, welche bei dem<br />
japanischen Kartenspiel Hanafuda (ähnlich<br />
dem Black Jack) als völlig wertlos gilt. So<br />
sehen sich auch die Yakuza mit einem<br />
gewissen Stolz als die „Wertlosen“ der<br />
Gesellschaft.<br />
Die moderne Yakuza wirkt sich bis hin zur<br />
Einflussnahme auf Finanzmärkte und<br />
politische Korruption aus. Sie hat auch<br />
bereits versucht, Einfluss auf politische<br />
Wahlen zu nehmen, indem Kandidaten<br />
zunächst finanziell oder mit speziellen<br />
„Dienstleistungen“ unterstützt wurden, in<br />
der Absicht, sie nach der Wahl durch<br />
Erpressung zu kontrollieren. Daneben<br />
betreibt die Yakuza weiterhin auch<br />
„traditionelle“ Mafia-Aktivitäten wie<br />
Prostitution, Menschenhandel, illegales<br />
Glücksspiel oder Schutzgelderpressung,<br />
die beispielsweise bei vielen Restaurants<br />
verdeckt über den Wäscheservice der<br />
japanischen Erfrischungstücher, Oshibori<br />
genannt, abläuft. Praktisch gibt es kein<br />
Bauunternehmen, wo die Yakuza nicht ihre<br />
Finger im Spiel hat. Man schätzt, dass<br />
zwischen 80-95% aller öffentlichen<br />
Früher: Yakuza-Mitglied übersät mit Tatoos<br />
Bauvorhaben von Firmen kontrolliert sind,<br />
die von der Yakuza gesteuert werden. Die<br />
Yakuza spenden die für die LDP mehr als<br />
andere Einzelorganisationen.<br />
Trotzdem sollte man Japan nicht pauschal<br />
verurteilen. Die jüngeren Generationen<br />
treten heraus aus den alten Systemen, sie<br />
sind weltoffen, stehen für Demokratie und<br />
ein gesundes Maß an Chaos, sie brechen<br />
mit Traditionen und sind doch Japaner.<br />
Japan hat eine vorbildliche Verbindung von<br />
Forschung und Industrie. Viele<br />
Universitäten arbeiten eng mit der Industrie<br />
zusammen. Praktisch alle Entwicklungen<br />
der eigenen Forschung werden auch im<br />
eigenen Land umgesetzt. Japan ist, anders<br />
als viele europäischen Staaten, eine sehr<br />
zukunftsoffene und technologiefreundliche<br />
Gesellschaft.<br />
Wir werden ein sehr traditionsbewusstes<br />
Land erleben, das trotzdem im Umbruch<br />
ist. Es ist sehr spannend!<br />
Thomas H. Reiche