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herunterladen - Berliner Liedertafel

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Eine von uns…<br />

Förderin der BL: Frau Irmgard Ernst<br />

Mitte August erfuhr ich eine Überraschung.<br />

Eine Postsendung mit einem Taschenbuch<br />

lag im Briefkasten. Dem Taschenbuch lag<br />

eine Ansichtskarte bei, die für eine<br />

Badekur in Bad Bodenteich warb.<br />

Bedeutsameres befand sich auf der<br />

Rückseite. Hier war zu lesen: „Lieber Herr<br />

Kramer, hiermit übersende ich Ihnen mein im<br />

April 2008 herausgekommenes Buch und<br />

hoffe, dass Sie mal soviel Zeit erübrigen<br />

können, um es zu lesen. Mein Mann war ja<br />

seit 1965 begeisterter Sänger (1. Tenor) der<br />

BL, und ich bin auch schon seit Ende der<br />

60er Jahre Förderin. Vielleicht ist ja Ihr<br />

Interesse geweckt? In der Hoffnung, auch<br />

mal von Ihnen zu hören, sende ich Ihnen und<br />

der BL herzliche Grüße, Irmgard Ernst.“<br />

Neugierig geworden, begann ich in dem<br />

Buch „Geboren 1924 – Ein <strong>Berliner</strong><br />

Frauenleben“ zu blättern, dann zu lesen<br />

und dann legte ich es erst aus der Hand,<br />

als ich es durch hatte. Eine spannende,<br />

teilweise aufwühlende, von Melancholie,<br />

Trostlosigkeit, Hoffnung, Freude, Erfolg,<br />

Fortschritt, Rückschlägen und dennoch<br />

Erfüllung und Zufriedenheit, manchmal<br />

aber auch tiefer Traurigkeit erfülltes Leben<br />

lag offen vor mir. Und die, die es erlebt und<br />

aufgeschrieben hatte, Irmgard Ernst,<br />

deren Namen ich bisher nur aus der<br />

Mitgliedsliste kannte, ist ein langjähriges<br />

Mitglied unserer <strong>Berliner</strong> <strong>Liedertafel</strong>?<br />

Donnerwetter!<br />

Irmgard Ernst beschreibt zunächst ihre<br />

„Kindheit: 1924 bis 1939“, berichtet von<br />

ihrer Adoption in der Alten Jakobstraße in<br />

Kreuzberg, von ihren Eltern, einem jungen<br />

kinderlosen Friseur-Ehepaar mit eigenem<br />

Geschäft, Vater erst offener, später<br />

heimlicher Kommunist, Mutter polnische<br />

Katholikin, ihrem kindlichen „Kampffeld“<br />

rund um den Görlitzer Bahnhof und ihrer<br />

Vorliebe für Bücher, nachdem sie in der<br />

Schule lesen gelernt hatte. Im nächsten<br />

Abschnitt „Krieg: 1939 bis 1945“ geht es<br />

naturgemäß nicht mehr so idyllisch zu.<br />

Selbstverständlich wollte und durfte sie,<br />

wie all ihre Schulkameradinnen, zum BdM;<br />

genauso selbstverständlich war, dass ihr<br />

Vater sie nie in BdM-Uniform in seinem<br />

Geschäft duldete.<br />

Als 17-Jährige machte sie auch eine erste<br />

Männerbekanntschaft, ein Gebirgsjäger<br />

hatte es ihr angetan und daraus entspann<br />

sich ein intensiver Briefwechsel – bis ein<br />

von ihr geschriebener Brief mit dem<br />

Aufdruck zurückkam: „Empfänger gefallen<br />

für Großdeutschland!“.<br />

Besonders lebensnah beschreibt sie die<br />

Bombenangriffe auf Berlin, die sie zumeist<br />

in Luftschutzkellern erleiden musste. Aber<br />

auch vom Besuch und dem Abschluss der<br />

Handelsschule sowie von ihrer Anstellung<br />

im Büro eines „Helfers für Steuersachen“.<br />

Trotz all der Not, dem unendlichen Leid,<br />

dem Hunger, der Kälte, den vielen<br />

grausam zugerichteten Toten, der<br />

Zerstörung ganzer Straßenzeilen und<br />

Stadtteile durch Bomben der Alliierten,<br />

ging das Leben in Berlin weiter – und nicht<br />

nur Kino, Tanz und Gaudi brachten die<br />

dringend benötigte Abwechslung, sondern<br />

auch Schwärmereien, Freund- und<br />

Liebschaften gehörten zum Alltag. Die<br />

Männer musste man sich damals genau<br />

ansehen, war doch ein Gutteil bester<br />

Partien im Krieg geblieben. Ihr späterer<br />

Mann, Erich Ernst, entsprach voll ihren<br />

Vorstellungen. Er war „ein Mann der<br />

Praxis. Nicht Gedichte vorlesen oder<br />

Sterne zählen waren für ihn von<br />

Bedeutung, sondern zuzusehen, wie man<br />

am Leben blieb.“<br />

Ich könnte noch viel von dem zitieren, was<br />

Irmgard Ernst beruflich und privat alles<br />

erlebt, ja durchgemacht hat. Das sollte<br />

aber jeder, den es ebenso gepackt hat, wie<br />

mich, selbst tun.<br />

http://www.amazon.de/Geboren-1924-<br />

Ein-<strong>Berliner</strong>-Frauenleben/dp/customerimages/3896267302<br />

Besonders aufmerksam las ich natürlich<br />

die Passagen, die mit der <strong>Liedertafel</strong> zu<br />

tun hatten. Die Seite 99 ist überschrieben:<br />

„Die Konzertreise nach Dänemark und<br />

Schweden und der große Einbruch“. 1965<br />

entdecke Erich Ernst ein Inserat der<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Liedertafel</strong>. “Dabei handelte es<br />

sich um einen Männergesangverein, der<br />

sangesfreudige Männer suchte. Erich sang<br />

gern und war sehr musikalisch, Akkordeon<br />

und Mundharmonika spielte er nach dem<br />

Gehör, ohne jegliche Notenkenntnisse. Er<br />

ging zum Vorsingen und wurde mit<br />

Freuden aufgenommen.“<br />

1970 war besagte Konzertreise angesagt,<br />

ohne Ehefrauen. „Die Freude darauf war<br />

groß und es wurde tüchtig geübt, denn der<br />

Chor wollte sich bei seinen Konzerten nicht<br />

blamieren. Das ist aber auch nie<br />

geschehen, die <strong>Liedertafel</strong> hat immer sehr<br />

gute Kritiken bekommen. Am 24. Mai 1970<br />

war der Tag der Abreise. Mein Mann freute<br />

sich in Erwartung all der schönen<br />

Konzerterlebnisse, und es war zwischen<br />

uns ein fröhlicher Abschied, würden wir<br />

uns doch bereits in 14 Tagen wiedersehen.<br />

Außerdem würde ich durch einen Super-8-<br />

Film im Nachhinein einen Eindruck von der<br />

Reise bekommen. So stellten wir uns das<br />

jedenfalls vor. Es sollte aber ganz anders<br />

kommen – leider!“, (ich will die Spannung<br />

nicht nehmen; sie soll all jenen erhalten<br />

bleiben, die sich das Buch beschaffen<br />

wollen).<br />

Nach zwei langen Telefonaten mit Irmgard<br />

Ernst weiß ich, dass ich den Kontakt<br />

weiterhin aufrecht erhalten werde. Sie<br />

erzählte mir von ihrer schweren Operation<br />

am offenen Herzen einerseits und von<br />

ihrer zunehmenden Belastbarkeit und<br />

Stärke andererseits - und sie würde gerne<br />

im Jahre 2010 mit uns nach Japan reisen<br />

und die Familie Shinobu Nonaka<br />

besuchen, mit der sie seit der Japanreise<br />

von 1980 befreundet ist. Bravo, Irmgard<br />

Ernst; sie war und ist eine von uns…<br />

Jörg Kramer

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