Homosexual's Film Quarterly - Sissy
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kino<br />
ToBiS<br />
EIn KIno DEr<br />
MöglIcHKEITEn<br />
von christoph meyring<br />
Pedro Almodóvars neuer <strong>Film</strong> „Zerrissene Umarmungen“ startet im Kino.<br />
SiSSY fragt sich: Was ist eigentlich das Queere an seinen <strong>Film</strong>en?<br />
s Im kommenden August wird Pedro Almodóvars neueste<br />
Produktion Zerrissene Umarmungen (Los abrazos<br />
rotos), die im Wettbewerb der diesjährigen Internationalen<br />
<strong>Film</strong>festspiele von Cannes ihre Weltpremiere erlebte,<br />
in den deutschen Kinos anlaufen. Die Liebesgeschichte,<br />
die im Mittelpunkt dieses nunmehr schon 17. Spielfilms<br />
des spanischen Ausnahmeregisseurs und zweifachen<br />
Oscar-Preisträgers steht, ist eine zwischen Mann und<br />
Frau, genauer gesagt, zwischen einem Regisseur (Lluís<br />
Homar) und seiner Hauptdarstellerin (Penélope Cruz).<br />
Obwohl eine der Nebenfiguren dieses <strong>Film</strong>s schwul ist,<br />
handelt es sich bei Zerrissene Umarmungen somit, genau<br />
genommen, wohl nicht um einen „schwulen <strong>Film</strong>“.<br />
Aber was genau ist ein „schwuler <strong>Film</strong>“? Einer, der<br />
eine sexuelle Beziehung zwischen zwei Männern thematisiert?<br />
Einer, der eine spezifische schwule Ästhetik oder<br />
Bedeutungspraxis – doch was ist darunter genau zu verstehen?<br />
– erkennen lässt? Oder genügt es schon, dass der<br />
Regisseur eines <strong>Film</strong>s, woran im Falle Almodóvars kaum<br />
ein Zweifel bestehen dürfte, schwul ist, um sein künstlerisches<br />
Erzeugnis mit dem Etikett „schwules Kino“ zu<br />
behaften? Diese Fragen scheinen nicht ohne Grund sehr<br />
schwierig zu beantworten, nicht zuletzt weil sie sehr<br />
grundsätzlicher Natur sind. Aber vielleicht lässt sich im<br />
Blick auf Teile von Pedro Almodóvars bisherigem Œuvre<br />
zumindest ansatzweise ermitteln, was in seinem spezifischen<br />
Fall dasjenige ausmacht, das man mit Attributen<br />
wie „schwul“, „queer“ – oder wie auch immer – begrifflich<br />
umfassen und umarmen kann. Danach wird es unter<br />
Umständen möglich, die Frage zu beantworten, ob auch<br />
Zerrissene Umarmungen einem solchen allgemeinen<br />
künstlerischen Prinzip gehorcht oder ob dieser <strong>Film</strong> sich<br />
aus dessen Umarmung löst.<br />
Betrachtet man die bisherigen <strong>Film</strong>e der Schwulenikone<br />
Pedro Almodóvar einmal etwas eingehender, so vermag<br />
es durchaus zu überraschen, dass nur in den wenigsten<br />
– streng genommen nur in Das Gesetz der Begierde<br />
(La ley del deseo, 1987) und La mala Educación – Schlechte<br />
Erziehung (La mala educación, 2004) – dezidiert schwule<br />
Charaktere im Zentrum des Geschehens stehen. Die<br />
meisten Protagonisten sind Protagonistinnen, Frauen, die<br />
innerhalb einer vorwiegend männlich geprägten Welt mit<br />
ungewöhnlichen Situationen und Schicksalen zu kämpfen<br />
haben und die deshalb nicht selten Frauen am Rande<br />
des Nervenzusammenbruchs (Mujeres al borde de un<br />
ataque de nervios, 1988) darstellen. Neben diesen Frauen,<br />
die aus ihrer traditionellen Rolle ausbrechen (müssen)<br />
und sich auf die Suche nach einem neuen Lebensentwurf<br />
machen, treten häufig auch geschlechtlich nicht<br />
eindeutig markierte Mischwesen auf: Transvestiten und<br />
Transsexuelle. Eines dieser Mischwesen ist die (oder der)<br />
Transsexuelle La Agrado (Antonia San Juan) aus Almodóvars<br />
Oscar-prämiertem Meisterwerk Alles über meine<br />
Mutter (Todo sobre mi madre, 1999). In einer Szene des<br />
<strong>Film</strong>s stellt sich diese artifiziell produzierte Mann-Frau,<br />
deren Name „Liebreiz“ bedeutet, auf die Bühne eines<br />
Theaters, wo an diesem Abend eigentlich Tenessee Williams’<br />
Endstation Sehnsucht gegeben werden sollte, und<br />
gibt Auskunft darüber, welche operative Veränderung sie<br />
wie viele Peseten gekostet hat. Ihre Performance endet<br />
mit folgenden Worten: „Was will ich eigentlich damit<br />
sagen? Es ist ziemlich teuer, authentisch zu sein, oh ja!<br />
Und in diesen Dingen sollten wir nicht knauserig sein.<br />
Wieso? Weil wir umso authentischer sind, je ähnlicher<br />
wir dem Traum werden, den wir von uns selbst haben.“<br />
Das Natürlich-Authentische des Geschlechts wird hier<br />
nicht als vorgängige Tatsache gesetzt, sondern in grandioser<br />
Verdrehung als Effekt zahlreicher – in diesem Fall<br />
chirurgischer und nicht nur rein diskursiver – Operationen<br />
ausgestellt und somit grundsätzlich in Frage gestellt.<br />
Denn wenn das Authentische das Resultat eines Herstellungsprozesses<br />
ist, dann gibt sich auch die scheinbar<br />
natürliche, streng dichotom strukturierte Kategorie des<br />
Geschlechts prinzipiell als eine Konstruktion zu lesen.<br />
Nicht umsonst findet Agrados Ansprache auf einer Theaterbühne<br />
statt, deutet sich damit doch an, dass die Konstruktion<br />
der Geschlechter durch Akte, Gesten und Inszenierungen<br />
bewerkstelligt und aufrecht erhalten wird,<br />
die – im Anschluss an Judith Butler und die von ihr nicht<br />
unmaßgeblich beeinflusste „Queer Theory“ – als performativ<br />
bezeichnet werden können. Die Geschlechtung<br />
erscheint damit als ein Schauspiel, das auf permanenten<br />
Imitationen kulturell vorgegebener Idealbilder beruht.<br />
Spielen Imitationen und Spiegelungen auch in Almodóvars<br />
Kino eine bedeutende Rolle, so tritt dort jedoch auch<br />
immer der Mechanismus der Verschiebung hinzu, der die<br />
Imitationen erst als solche zu erkennen gibt und darüber<br />
hinaus Raum für Neubestimmungen, Neuinszenierungen<br />
und alternative Entwürfe schafft.<br />
Im Unterschied zum alternativ konzipierten und in<br />
jeglichem Sinne teuer erkauften Körper Agrados, in dem<br />
sich das Drama der Geschlechtwerdung ganz materi-<br />
zerrissene umarmungen<br />
von Pedro Almodóvar<br />
ES 2009, 129 Min<br />
Tobis, www.tobis.de<br />
Im Kino<br />
Ab 6. August<br />
Pedro Almodóvar –<br />
Die große Edition<br />
ES/FR 1982–2009,<br />
14 DVDs, 1411 Min<br />
Ufa/Universum,<br />
www.universum-film.de<br />
12 13<br />
kino