Homosexual's Film Quarterly - Sissy
Homosexual's Film Quarterly - Sissy
Homosexual's Film Quarterly - Sissy
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
profil<br />
Kaltmiete | Speed Dating<br />
von Gregor Buchkremer<br />
D 2007, 76 Min<br />
Edition Salzgeber,<br />
www.salzgeber.de<br />
„EIn FIlM MuSS<br />
DIcHT SEIn.“<br />
von hanno stecher<br />
Der junge deutsche Regisseur Gregor Buchkremer macht queeres Genrekino.<br />
SiSSY sprach mit ihm über seine <strong>Film</strong>e „Kaltmiete“ und „Speed Dating“.<br />
s Der 29-jährige Gregor Buchkremer ist Absolvent der<br />
Kölner Hochschule für Medienkunst. Obwohl er in seiner<br />
Arbeit auf klassische Erzähltechniken sowie auf handwerkliche<br />
Präzision setzt und sich immer wieder neu an<br />
herkömmlichen Genregrenzen abarbeitet, zeichnen sich<br />
seine <strong>Film</strong>e durch einen ganz eigenen Duktus aus. Sie<br />
hadern stets mit den Konventionen des Kinos und hebeln<br />
diese bisweilen auch ganz aus. Zu Buchkremers wichtigsten<br />
Stilmitteln gehören dabei insbesondere sein für das<br />
deutsche Kino überraschend trockener und treffsicherer<br />
schwarzer Humor, sowie eine Schwäche für Elemente<br />
der Überzeichnung und Verfremdung, die immer wieder<br />
Assoziationen an alte Grusel- oder Trashklassiker hervorrufen.<br />
Wichtigstes Beispiel dieses Zusammenspiels aus<br />
Humor und Horror ist der <strong>Film</strong> Kaltmiete. Der 45-Minüter<br />
erzählt die Geschichte einer Studenten-WG, deren vier<br />
Bewohner sich einen zermürbenden Kleinkrieg liefern:<br />
Einer von ihnen bleibt für den Zuschauer bis zum Schluss<br />
ein Phantom – er hat sich seit Tagen in seinem Zimmer<br />
verschanzt, was eine eigenartige zwischenmenschliche<br />
Dynamik unter seinen Zimmernachbarn in Gang ruft.<br />
Nach und nach offenbart sich wie in einem Kammerspiel<br />
das komplizierte Beziehungsgeflecht innerhalb der WG.<br />
Es dauert nicht lange, bis die Nerven blank liegen und die<br />
Geschichte in gleich mehreren persönlichen Tragödien<br />
endet. Auch in Speed Dating lauert das Grauen direkt<br />
unter der Oberfläche. Das Prinzip des <strong>Film</strong>s ist schnell<br />
erzählt: Wer keinen Partner hat, stirbt. Die Suche nach<br />
Liebe wird für die Protagonisten des <strong>Film</strong>s, egal ob homo<br />
oder hetero, zum Überlebenskampf. Der Kurzfilm kann<br />
so als Satire auf eine Gesellschaft verstanden werden, in<br />
der die monogame Zweierbeziehung nach wie vor idealisiert<br />
wird, während der große Teil der Individuen um<br />
sich selbst kreist und damit letztlich unfähig ist, eine<br />
Beziehung nach den selbst gestellten Vorgaben zu leben.<br />
Gemeinsam ist Buchkremers Debütfilmen, dass sie<br />
fast schon auffällig stark mit den Erwartungshaltungen<br />
und Sehgewohnheiten des Zuschauers spielen und diese<br />
notorisch unterlaufen. Und tatsächlich gehört die Möglichkeit,<br />
den Zuschauer zu führen und immer wieder auf<br />
eine falsche Fährte zu locken, für Gregor Buchkremer zu<br />
den reizvollsten Instrumenten des Mediums <strong>Film</strong>, wie er<br />
im Interview erzählt. Ebenso wie die filmische Reflektion<br />
des eigenen Umfeldes, die er mit viel Liebe zum Detail<br />
und zu seinen Figuren betreibt.<br />
Während der Vorbereitung zu seinem ersten Langfilm hat<br />
sich der Regisseur für SISSY Zeit genommen und ein paar<br />
Fragen beantwortet.<br />
GREGoR LöCHER<br />
sissy: Deine <strong>Film</strong>e spielen – ähnlich wie Seifenopern – fast alle in einem<br />
bestimmten sozialen Milieu. Es sind junge Menschen zwischen 20 und<br />
30 und die meisten von ihnen scheinen Studenten oder Leute aus der<br />
Kreativwirtschaft zu sein. Was reizt Dich daran, deine Geschichten<br />
gerade in diesem Gesellschaftsbereich anzusiedeln?<br />
gregor buchkremer: Ich sehe mich auch selbst in so einem Milieu<br />
– meine Freunde und Bekannten sind alle dort zu finden. Mir liegt<br />
es nicht unbedingt, Geschichten zu schreiben, die zu weit von mir<br />
selbst entfernt sind, ich sehe mich lieber in meinem Umfeld um und<br />
beschäftige mich mit dem, was dort passiert. Das finde ich einfach<br />
spannender und ich fühle mich da sicherer. Ich kenne viele Leute im<br />
<strong>Film</strong>bereich, die bewusst irgendwelche Themen bearbeiten, die weit<br />
weg von ihrem eigenen Leben sind, die sie vielleicht nur aus Zeitungsartikeln<br />
kennen. Ich glaube die Gefahr ist dann groß, dass man etwas<br />
falsch macht.<br />
Geht es bei diesem „vor der eigenen Tür kehren“ auch um den Gedanken,<br />
genauer hinschauen zu können? Mir kommt es manchmal so vor,<br />
als wolltest Du mit Deinen <strong>Film</strong>en auch kleine Milieustudien liefern.<br />
Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meinen Drehbüchern<br />
und <strong>Film</strong>en nicht nur dem Zuschauer, sondern auch mir selbst<br />
bestimmte Zusammenhänge erklären will. Ich versuche das, was<br />
mich beschäftigt, in eine Form zu packen, eine Ordnung herzustellen<br />
oder ein Muster zu entwickeln und dadurch einen neuen Blick darauf<br />
zu werfen. Und manchmal finde ich auf diesem Weg tatsächlich etwas<br />
ganz Neues über mich oder meine Umwelt heraus.<br />
Gleichzeitig wird von ‚anspruchsvollen‘ <strong>Film</strong>en ja immer auch verlangt,<br />
dass sie über den Tellerrand blicken können, dass sie sich z.B. mit gesellschaftlichen<br />
Problemen oder mit den speziellen Problemen von sozialen<br />
Minderheiten auseinandersetzen.<br />
Ich will kein Betroffenheitskino machen für Leute, die ins Kino<br />
gehen und sich einen dramatischen <strong>Film</strong> über Drogen, Migration<br />
oder Vergewaltigung ansehen und dann denken, sie seien durch den<br />
Kinobesuch bessere Menschen geworden. Das liegt mir nicht. Es gibt<br />
da sicherlich viele tolle <strong>Film</strong>e in diesem Bereich, aber es gibt auch<br />
viele <strong>Film</strong>emacher, die da auf Nummer sicher gehen und auf Teufel<br />
komm raus einen ‚Problemfilm‘ machen wollen. Natürlich will aber<br />
auch jeder, der <strong>Film</strong>e macht oder Drehbücher schreibt, der Welt seinen<br />
Blickwinkel aufdrängen. Trotzdem ist es mein Hauptanliegen,<br />
mit meinen <strong>Film</strong>en zu unterhalten, Momente zu schaffen, wo ich<br />
als Regisseur dann einfach will, das der Zuschauer genau an dieser<br />
bestimmten Stelle lacht oder erschrickt. Das Timing ist mir da total<br />
wichtig. Ich denke, dass der Zuschauer viel mehr mitnimmt, wenn er<br />
sich unterhalten fühlt und sich nicht die ganze Zeit den Kopf zerbrechen<br />
muss. Mehr auf jeden Fall, als wenn er die ganze Zeit den erhobenen<br />
Zeigefinger auf der Leinwand sieht.<br />
War es für Dich als jemand, der an einer Medienkunsthochschule studiert<br />
hat, schwierig, sich mit diesem Anspruch durchzusetzen? Da hat<br />
man sich ja sicherlich etwas anderes unter Kunst vorgestellt als das,<br />
was Du in Deinen <strong>Film</strong>en machst.<br />
Es war in beide Richtungen schwierig. Ich war ja in der Fächergruppe<br />
Medienkunst, wo es überhaupt nicht üblich ist, narrative <strong>Film</strong>e zu<br />
machen. Und auch meine Prüfer, u.a. Marcel Odenbach und Mattthias<br />
Müller, waren ja größtenteils Medienkünstler. Da war es dann schon<br />
so, dass ich das Narrative verteidigen musste. Auf der anderen Seite<br />
stachen die <strong>Film</strong>e auch im Fachbereich <strong>Film</strong> und Fernsehen heraus,<br />
weil es sich bei Speed Dating ja um eine Komödie bzw. um eine Satire<br />
und bei Kaltmiete um einen Thriller handelt. Alle anderen hatten Dramen,<br />
kurze Dramen, während ich Genrefilme gemacht habe. Das war<br />
da total exotisch, da war ich wirklich der Einzige. Ich hatte oft das<br />
Gefühl, dass ich mich auf beiden Seiten rechtfertigen muss, obwohl<br />
ich meine <strong>Film</strong>e persönlich nicht so außergewöhnlich finde, im Kino<br />
und Fernsehen laufen doch auch fast ausschließlich Genrefilme.<br />
Wobei Du ähnlich wie Alfred Hitchcock, der, wie ich weiß, zu Deinen<br />
Vorbildern gehört, ja auch bewusst mit Genres spielst. Neben den unter-<br />
haltsamen Momenten gibt es auch noch viele andere Ebenen, die man<br />
vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt bemerkt.<br />
Das stimmt schon. Da geht es aber auch wieder um einen bestimmten<br />
Anspruch, den ich an Unterhaltung habe. Wenn Hitchcock beispielsweise<br />
aus Psycho ein klassisches Drama über einen Mann mit<br />
einer gespaltenen Persönlichkeit gemacht hätte, das dieses Thema<br />
völlig ausreizt, wäre der <strong>Film</strong> sicher weniger hängen geblieben und<br />
wohl auch nicht so gut geworden. Er wirkt ja dadurch, dass die Schizophrenie<br />
eben zum großen Twist der Geschichte gehört. Trotzdem<br />
ist sie Teil des <strong>Film</strong>s. Ich mag einfach die Technik auch, wie <strong>Film</strong> über<br />
Schnitt funktioniert, über Sound, über eingelöste oder nicht eingelöste<br />
Erwartungshaltungen der Zuschauer. So funktioniert <strong>Film</strong> für mich,<br />
das ist das schöne daran, dass man die Zuschauer dirigieren kann.<br />
Deine <strong>Film</strong>e sind auch sehr dicht. Es gibt wenige Flächen. Ist Dir das<br />
wichtig?<br />
Meiner Meinung nach muss ein <strong>Film</strong> total dicht sein und ein gewisses<br />
Tempo haben. Manchmal ist es ganz gut, wenn es Momente gibt,<br />
wo man etwas ruhen lässt und vielleicht nur ein einzelnes Bild zeigt.<br />
Aber das muss schon wirklich total durchkomponiert sein, man darf<br />
ja auch nicht vergessen, dass <strong>Film</strong> unheimlich teuer ist. Ich würde in<br />
einem Drehbuch nie auch nur einen Satz ausgesprochen haben wollen,<br />
den ich eigentlich überflüssig finde. Ich sehe meine <strong>Film</strong>e als<br />
Chance, ein kleines eineinhalbstündiges Universum zu eröffnen und<br />
würde die Protagonisten daher nie Füllwörter sagen lassen, nur weil<br />
man das im normalen Leben so macht. Ich achte darauf, dass auch<br />
in dieser kleinen Geste irgend etwas steckt, was wichtig ist, damit<br />
man nicht aussteigt beim Zusehen. Es gibt ja viele <strong>Film</strong>e, die in sich<br />
total unlogisch sind, wenn man länger darüber nachdenkt. Die haben<br />
dann aber oft so ein tolles Tempo, dass man gar keine Zeit hat darüber<br />
nachzudenken, was da gerade alles schief läuft, das ist dann gar nicht<br />
so wichtig.<br />
Das ist ja dann eigentlich eine sehr klassische Perspektive auf <strong>Film</strong>. Für<br />
Dich steht die Illusion im Vordergrund.<br />
Das ist ja auch der Grund, warum ich Lynch so gerne mag, weil ich<br />
denke, dass er die Leinwand eben für sich so richtig nutzt. Er nutzt<br />
sie um Dinge zu behaupten, egal ob das nun ‚realistisch‘ ist oder nicht.<br />
Ich mag das lieber als das bloße Abbilden, da liegen meine Stärken,<br />
denke ich.<br />
Das Thema Homosexualität spielt zwar immer eine Rolle in Deinen <strong>Film</strong>en,<br />
ist aber immer verwoben in einen größeren Zusammenhang. Hast<br />
Du Dir schon einmal überlegt, einen schwulen <strong>Film</strong> zu machen, bei dem<br />
schwule Beziehungen im Vordergrund stehen?<br />
Das würde ich gerne. Ich glaube nur, dass ich das aus taktischen Gründen<br />
nicht als Debütfilm machen könnte. Ich habe ja gerade erst mein<br />
neues Drehbuch fertiggestellt. Das wird dann vielleicht mein zweiter<br />
oder dritter <strong>Film</strong>. Ich würde gerne eine schwule Komödie machen,<br />
darüber denke ich oft nach. Ein <strong>Film</strong>, in dem wirklich alles durch<br />
und durch schwul ist, der aber eben kein ‚Szenefilm‘ oder Coming<br />
Out-<strong>Film</strong> werden soll, mit rosa <strong>Film</strong>plakat und nackten Oberkörpern<br />
von geilen Typen. Es soll kein Problemfilm werden, einfach eine ganz<br />
gewöhnliche Komödie.<br />
Warum ist es denn Deiner Meinung nach so schwierig, solch einen <strong>Film</strong><br />
als Projekt durchzusetzen?<br />
Die ganzen Redakteure und Produzenten, die ganzen Hände, durch die<br />
so ein Buch geht, die sind genauso schwul wie der Rest von Deutschland,<br />
eben nur zu einem kleinen Prozentsatz. Die werden dann immer<br />
diesen Stempel ‚schwul‘ draufsetzen und dann auch immer nach den<br />
‚Problemen‘ suchen oder das Drehbuch in diese Richtung ändern wollen.<br />
Das wird sich auch leider nicht einfach so ändern. s<br />
24 25<br />
profil