PDF-Dokument - Ruhrfestspiele Recklinghausen

©Martin Kunze
GRoSSES HAUS
LESUNG
HARRy RowoHLT
liest Joachim Ringelnatz
34
harry rowohlt, große spürnase für genialische fantasten aus
dem angelsächsischen raum und deren inspirierter übersetzer
und brillanter rezitator, hat in seinen kreis hochbegabter aussenseiter
ein mitglied aufgenommen, das erstaunlicherweise ganz
profan auf deutschem boden aufgewachsen ist – ringelnatz.
Mit so einem Namen wird man selten geboren, so einen
Harry Rowohlt
Namen sucht man sich aus.
Im Norddeutschen ist „Ringelnass“ ein altes Wort für See-
sonntag pferdchen, und der schmächtige, kurzsichtige junge Mann, 1883 als
5. Mai 2013\11.00 Uhr
Hans Bötticher in Wurzen/Sachsen geboren, ging lieber als Schiffs-
preistabelle 7
junge zur See, als auf dem Lyzeum einen Abschluss zu machen.
Daraus wurde eine abenteuerliche Irrfahrt an Land und zu Wasser. Der
kleine Mann mit der Vogelnase wurde nur schikaniert, verirrte sich
im Dschungel, verhungerte fast in England, schleppte in Hamburg
Riesenschlangen durch Varietébuden und kam doch immer irgendwie
auf die Beine und grad so über die Runden. Richtig Geld verdienen
konnte er sein Leben lang nicht, selbst als er zu Beginn des neuen
Jahrhunderts in der Bohème ankam und im Simplicissimus, dem
damals angesagten Münchner Künstlerlokal, eine Art Hausdichter war.
Ausgenutzt wurde Joachim Ringelnatz sein Leben lang, er war
ungemein begabt, als Maler, Lyriker, Musiker und auch als Darsteller
seiner selbst, aber vieles blieb genialisches Wetterleuchten. Die Nazis
belegten ihn sofort mit Auftrittsverbot. Da war er schon sehr krank,
und er starb 1934 in der Schweiz.