PDF-Dokument - Ruhrfestspiele Recklinghausen
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©Matthias Scheuer<br />
GRoSSES HAUS<br />
LESUNG<br />
CHRISTIAN bRüCKNER<br />
liest aus Das Stundenbuch von Rainer Maria Rilke<br />
38<br />
von frühester kindheit an war rilkes leben mit dem tod verknüpft.<br />
seine mutter hieß ihn rené, der »wiedergeborene«, kleidete<br />
und erzog ihn als mädchen und definierte so den zweck<br />
seines daseins: er hatte die im kindbett verlorene tochter zu<br />
ersetzen. lou salomé, rilkes erste geliebte, hat dann bestimmt,<br />
dass er sich rainer nennt und ihn so aus dem schatten heraus<br />
Christian Brückner ins eigene leben gedrängt.<br />
Rilke ist immer einem Ziel gefolgt, das Frauen ihm vorgeben<br />
sonntag mussten. Dahinter stand kein passives Sich-Treiben-Lassen,<br />
9. Juni 2013\11.00 Uhr<br />
sondern ein akribisch austariertes Lebenssystem. Sein ruhe-<br />
preistabelle 7 loser und nicht ganz unaufwändiger Lebensstil brauchte einen platonischen<br />
Harem empfindsamer und zahlungskräftiger Damen. Um<br />
sie bei Laune und zugleich auf Distanz zu halten, pflegte er mit allen<br />
postalischen Verkehr, versandte täglich seine taubenblauen Briefe in<br />
die Schlösser und Hotels Mitteleuropas.<br />
Aber in der ersten Hälfte seines Lebens, die er mit dem Zyklus Das<br />
Stundenbuch abschloss, war allein die lebenserfahrene Lou Salomé<br />
seine Muse, sein Leitstern, seine Geliebte. Ihr, der Schülerin Freuds<br />
und Gefährtin Nietzsches, hat er Das Stundenbuch gewidmet, das sich<br />
zum Teil an der liturgischen Form der Stunden gebete, als Ausdruck<br />
für Besinnung, Innehalten, Sammlung, orientiert.<br />
Die <strong>Ruhrfestspiele</strong> freuen sich auf Christian Brückners unnachahmliche<br />
Stimme, die Rilkes andere, zweite Wirklichkeit so kongenial<br />
durchdringt, wie schon 2010 bei Novalis’ Hymnen an die Nacht.