musik 21 Fetsival Programm 2008 LY14 - Musik 21 Niedersachsen ...
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<strong>Musik</strong> <strong>21</strong> Festival <strong>2008</strong> Essay<br />
15<br />
Gebete des Rosenkranz’ enthält auch jede Strophe eines Liedes die<br />
latente Aufforderung: noch einmal von vorne . Oder die Sonatenhauptsatzform,<br />
ein zyklisches Modell, in dem das Ende die Themen<br />
des Anfangs wieder aufnimmt .<br />
Letztlich will ja jeder Komponist, dass sein Stück nie enden möge .<br />
Die Unsterblichkeit des Werkes verherrlicht den Ruf seines Meisters<br />
– Karlheinz Stockhausen zum Beispiel: Sein Zyklus (für Schlagzeug,<br />
1959) ist ein Stück, das nie zu Ende gebracht werden kann, denn immer<br />
neue Kombinationen lassen sich finden, aber auch Klavierstück<br />
XI (1956), wo Dutzende von Gruppen <strong>musik</strong>alischer Ereignisse in<br />
immer neuen Konstellationen weitergeführt werden könnten . Noch<br />
eins: Tierkreis – Melodien (1975) für Spieluhren: die stacheligen<br />
Walzen drehen sich fort und fort und klingen, bis die Feder des Uhrwerks<br />
erlahmt – seinen Melodien hatte der Komponist die Kreisform<br />
bereits eingeschrieben . Stockhausen hat von je in Zyklen gedacht<br />
und wurde darin immer umfassender: den sieben Tagen der Woche<br />
(Licht, 1977-2003) folgten die 24 Stunden des Tages (2003-07, unvollendet)<br />
und was wäre dann gekommen …?<br />
Aber der <strong>musik</strong>alische Ausdruck immerwährender Ewigkeit ist<br />
dann doch der Kanon: Einmal eingeschwungen will er sich fort und<br />
fort weiterdrehen – nur limitiert von der Geduld oder der Ausdauer<br />
seiner Sänger und Spieler . Der Kanon ist ein Gefilde, in dem sich<br />
Elliott Carter wohl fühlte . Nicht nur die vielen Stücke, die den Titel<br />
»Canon« tragen, zeugen davon, sondern all seine Stücke, in denen<br />
die Stimmen in Polyphonie und Polyrhythmen einander jagen . Auch<br />
dieses Spiel müsste nicht enden, könnte immer weiter kreisen . Es<br />
gab einen anderen Meister, der Kreis und Linie kombinierte: Johann<br />
Sebastian Bach . Sein unendlicher Canon per tonos (aus dem <strong>Musik</strong>alischen<br />
Opfer) verbindet das Kreisen und das Fortschreiten: jeder<br />
Durchgang schraubt sich einen Ganzton empor; das Thema klingt<br />
gleich, und der Hörer gelangt an denselben Punkt, aber eine Etage<br />
höher – aus Kreis und Linie ist eine Spirale geworden .<br />
Um in Bogenform zum Anfang zurückzukehren: Giacinto Scelsis<br />
stetig engeres Umkreisen des Einzeltones führte schließlich zur<br />
Aufhebung von Kreis und Linie, sie schlägt um in Dauer, bewegtes<br />
freies Klingen, gemäß Friedrich Nietzsches Diktum: »Denn alle Lust<br />
will Ewigkeit – will tiefe, tiefe Ewigkeit!«<br />
Frank Hilberg