Sicherheitsdossier Fussverkehr Unfallgeschehen ... - BfU
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<strong>Fussverkehr</strong><br />
<strong>Unfallgeschehen</strong>, Risikofaktoren<br />
und Prävention<br />
03<br />
<strong>Sicherheitsdossier</strong><br />
Esther Walter<br />
Mario Cavegn<br />
Gianantonio Scaramuzza<br />
Steffen Niemann<br />
Roland Allenbach<br />
Bern 2007<br />
Schweizerische<br />
Beratungsstelle<br />
für Unfallverhütung
Schweizerische<br />
Beratungsstelle<br />
für Unfallverhütung<br />
<strong>Fussverkehr</strong><br />
<strong>Unfallgeschehen</strong>, Risikofaktoren<br />
und Prävention<br />
Esther Walter<br />
Mario Cavegn<br />
Gianantonio Scaramuzza<br />
Steffen Niemann<br />
Roland Allenbach<br />
Bern 2007<br />
03<br />
<strong>Sicherheitsdossier</strong>
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Schweizerische Beratungsstelle<br />
für Unfallverhütung bfu<br />
Laupenstrasse 11<br />
CH-3008 Bern<br />
Tel. +41 (0)31 390 22 22<br />
Fax +41 (0)31 390 22 30<br />
E-Mail info@bfu.ch<br />
Internet www.bfu.ch<br />
Bezug http://shop.bfu.ch<br />
Autoren:<br />
Esther Walter, lic. phil., Abteilung Forschung, bfu<br />
Mario Cavegn, lic. phil., Abteilung Forschung, bfu<br />
Gianantonio Scaramuzza, dipl. Ing. ETH, Abteilung Forschung, bfu<br />
Steffen Niemann, M.A., Abteilung Forschung, bfu<br />
Roland Allenbach, dipl. Ing. ETH, Stv. Leiter Abteilung Forschung, bfu<br />
Redaktion:<br />
Stefan Siegrist, Dr. phil., Leiter Abteilung Forschung, bfu<br />
Druck:<br />
Bubenberg Druck- und Verlags-AG<br />
Montbijoustrasse 61<br />
CH-3007 Bern<br />
1/2007/400 1/2007/600<br />
© bfu/FVS 2007Alle Rechte vorbehalten; Reproduktion (z. B. Fotokopie),<br />
Speicherung und Verbreitung sind mit Quellenangabe (Schweizerische<br />
Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu/Fonds für Verkehrssicherheit FVS,<br />
<strong>Fussverkehr</strong> [<strong>Sicherheitsdossier</strong> Nr. 03], 2007) gestattet.<br />
Dieser Bericht wurde hergestellt mit finanzieller Unterstützung durch den<br />
Fonds für Verkehrssicherheit (FVS).<br />
Aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir darauf, konsequent die männliche<br />
und weibliche Formulierung zu verwenden. Wir bitten die Leserschaft<br />
um Verständnis.
Inhalt<br />
Inhalt<br />
I. ABSTRACT / RÉSUMÉ / COMPENDIO 1<br />
1. Deutsch 1<br />
2. Français 2<br />
3. Italiano 3<br />
II. KURZFASSUNG / VERSION ABRÉGÉE / RIASSUNTO 4<br />
1. Kurzfassung 4<br />
1.1 Auftrag 4<br />
1.2 Methodik 5<br />
1.3 <strong>Unfallgeschehen</strong> 5<br />
1.4 Risikofaktoren 7<br />
1.5 Prävention 11<br />
1.6 Fazit 20<br />
2. Version abrégée 22<br />
2.1 Mandat 22<br />
2.2 Aspects méthodologiques 23<br />
2.3 Accidentologie des piétons 23<br />
2.4 Facteurs de risque 25<br />
2.5 Prévention 29<br />
2.6 Conclusions 38<br />
3. Riassunto 39<br />
3.1 Mandato 39<br />
3.2 Metodica 40<br />
3.3 Sinistrosità 40<br />
3.4 Fattori di rischio 42<br />
3.5 Prevenzione 46<br />
3.6 Conclusione 54<br />
III. EINLEITUNG 56<br />
1. Auftrag 56<br />
2. Zielsetzung 56<br />
3. Fragestellungen 57<br />
4. Aufbau/Leseanweisung 57<br />
IV. RAHMENBEDINGUNGEN 58<br />
1. Einleitung 58<br />
2. Mobilitätsverhalten 58<br />
3. Gesellschaftlicher Stellenwert 60<br />
4. Relevante verkehrspolitische Tendenzen 62<br />
5. Gesetzliche Rahmenbedingungen 65
Inhalt<br />
V. METHODIK 68<br />
1. Einleitung 68<br />
2. Definition von Schlüsselbegriffen 68<br />
2.1 Fussgänger 68<br />
2.2 Risikofaktor 68<br />
2.3 Verkehrsexposition und Risikoexposition 69<br />
2.4 Risikogruppen 70<br />
2.5 Personenschäden: Leicht-/Schwerverletzte, Getötete 70<br />
3. Vorgehensweise in drei Analysestufen 71<br />
4. Datengrundlagen zum <strong>Unfallgeschehen</strong> 74<br />
5. Auswertung der verfügbaren Unfalldaten 76<br />
5.1 Beschreibung des <strong>Unfallgeschehen</strong>s 76<br />
5.2 Bestimmung von Risikofaktoren 76<br />
VI. UNFALLGESCHEHEN 79<br />
1. Fussgängerunfälle im Vergleich 79<br />
1.1 Ausgangslage 79<br />
1.2 Vergleich Schweiz – Europa 80<br />
1.3 Vergleich Fussgängerunfälle – übriges Unfall-<br />
geschehen Schweiz 82<br />
2. Fussgänger 87<br />
2.1 Betroffene Personen 87<br />
2.2 Unfalltyp 91<br />
2.3 Verletzungen 93<br />
3. Kollisionsobjekte 97<br />
4. Kollisionsgegner 99<br />
5. Infrastruktur 103<br />
6. Umwelteinflüsse 107<br />
7. Unfallursachen 110<br />
7.1 Systematik der Ursachenerfassung 110<br />
7.2 Übersicht 110<br />
7.3 Fussgänger 112<br />
7.4 Kollisionsgegner und Kollisionsobjekte 113<br />
8. Zusammenfassung und Fazit 117<br />
VII. RISIKOFAKTOREN 119<br />
1. Einleitung 119<br />
2. Fussgänger 121<br />
2.1 Einleitung 121<br />
2.2 Eignung: Wahrnehmung und Informationsverarbeitung 122<br />
2.3 Eignung: Spielmotiv 128<br />
2.4 Eignung: Körpergrösse 130<br />
2.5 Kompetenz: Verkehrsrelevantes Wissen 132<br />
2.6 Kompetenz: Gefahrenbewusstsein / sicherheits-<br />
bewusste Einstellungen 133<br />
2.7 Fähigkeit: Alkoholkonsum 135<br />
2.8 Verhalten: Regelwidriges Verhalten 136<br />
2.9 Verhalten: Sichtbarkeit 139<br />
2.10 Risikogruppen 141<br />
2.11 Zusammenfassung und Fazit 144<br />
3. Lenkende der Kollisionsobjekte 145<br />
3.1 Einleitung 145<br />
3.2 Fahrverhalten: Geschwindigkeitswahl 147
Inhalt<br />
3.3 Fahrverhalten: Vortrittsmissachtung am<br />
Fussgängerstreifen 150<br />
3.4 Fahrverhalten: Tagfahrlicht 152<br />
3.5 Fahrverhalten: Unvorsichtiges Rückwärtsfahren 154<br />
3.6 Fahrfähigkeit: Alkohol 155<br />
3.7 Fahrfähigkeit: Drogen 159<br />
3.8 Fahrfähigkeit: Medikamente 161<br />
3.9 Fahrfähigkeit: Müdigkeit 163<br />
3.10 Fahrfähigkeit: Unaufmerksamkeit und Ablenkung 164<br />
3.11 Fahrkompetenz: Fahrzeugbedienung 166<br />
3.12 Fahrkompetenz: Gefahrenkognition und Selbst-<br />
kontrolle 167<br />
3.13 Fahreignung: Sensorische Einschränkungen 169<br />
3.14 Fahreignung: Körperlich-motorische Einschrän-<br />
kungen 172<br />
3.15 Fahreignung: Kognitive Leistungseinschränkungen 173<br />
3.16 Menschliche Leistungsgrenzen: Visuelle Wahr-<br />
nehmung 174<br />
3.17 Soziodemographische Risikogruppen 177<br />
3.18 Zusammenfassung und Fazit 179<br />
4. Kollisionsobjekte 182<br />
4.1 Einleitung 182<br />
4.2 Motorisierung 182<br />
4.3 Einspurige vs. zweispurige Motorfahrzeuge 183<br />
4.4 Masse 185<br />
4.5 Frontprofil 186<br />
4.6 Frontsteifigkeit 188<br />
4.7 Frontschutzbügel 190<br />
4.8 Beleuchtungsanlage 191<br />
4.9 Fahrzeugfarbe 192<br />
4.10 Technischer Qualitätszustand 193<br />
4.11 Zusammenfassung und Fazit 194<br />
5. Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren 196<br />
5.1 Einleitung: Netzgedanken 196<br />
5.2 Risikofaktor: Fehlende Netzplanung 198<br />
5.3 Defizitäre Infrastruktur für den querenden <strong>Fussverkehr</strong><br />
innerorts 200<br />
5.4 Defizitäre Infrastruktur für den in Längsrichtung<br />
gehenden <strong>Fussverkehr</strong> 205<br />
5.5 Zusammenfassung und Fazit 208<br />
6. Zusammenfassung Risikofaktoren 209<br />
VIII. PRÄVENTION 212<br />
1. Einleitung 212<br />
2. Einführung in die Thematik 212<br />
2.1 Präventionsmöglichkeiten 212<br />
2.2 Grundarten von Förderungsmassnahmen 214<br />
3. Fussgänger und Fussgängerinnen 215<br />
3.1 Einleitung 215<br />
3.2 Eignung: entwicklungs- und alterungsbedingte Defizite 216<br />
3.3 Kompetenz: Wissen und Gefahrenbewusstsein und<br />
deren Auswirkungen auf konkrete Verhaltensweisen 224<br />
3.4 Zusammenfassung 231<br />
4. Lenkende der Kollisionsobjekte 233<br />
4.1 Einleitung 233<br />
4.2 Fahreignung: Psychomotorische Beeinträchtigungen 234
Inhalt<br />
4.3 Fahrfähigkeit: Psychoaktive Substanzen 239<br />
4.4 Fahrfähigkeit: Unaufmerksamkeit, Ablenkung und<br />
Müdigkeit 248<br />
4.5 Fahrkompetenz: Gefahrenkognition und Selbst-<br />
kontrolle 254<br />
4.6 Fahrverhalten: Geschwindigkeit 257<br />
4.7 Fahrverhalten: Vortrittsgewährung 265<br />
4.8 Zusammenfassung und Fazit 270<br />
5. Kollisionsobjekte 272<br />
5.1 Einleitung 272<br />
5.2 Betriebssicherheit 273<br />
5.3 Fahrzeugfronten 275<br />
5.4 Beleuchtungsanlage 282<br />
5.5 Elektronische Fahrassistenzsysteme 285<br />
5.6 Zusammenfassung und Fazit 294<br />
6. Strasseninfrastruktur 296<br />
6.1 Einleitung 296<br />
6.2 Basis für adäquate Infrastrukturelemente: die<br />
Netzplanung 298<br />
6.3 Geschwindigkeitsregime innerorts 300<br />
6.4 Querung auf zwei Ebenen 309<br />
6.5 Punktuelle Querung auf einer Ebene mit Vortritt 312<br />
6.6 Punktuelle Querung auf einer Ebene ohne Vortritt 333<br />
6.7 Flächige Querung 336<br />
6.8 Abschnitte entlang von Strassen innerorts 343<br />
6.9 Abschnitte entlang von Strassen ausserorts 347<br />
6.10 Umsetzung 350<br />
6.11 Zusammenfassung und Fazit 358<br />
7. Zusammenfassung Prävention 359<br />
IX. VERZEICHNISSE 363<br />
1. Literaturverzeichnis 363<br />
2. Tabellenverzeichnis 377<br />
3. Abbildungsverzeichnis 383<br />
X. ANHANG 387<br />
1. Geltendes Schweizer Recht 387<br />
1.1 Strassenverkehrsgesetz (SVG) 387<br />
1.2 Verordnung über die technischen Anforderungen<br />
an Strassenfahrzeuge (VTS) 391<br />
1.3 Verkehrsregelnverordnung (VRV) 394<br />
1.4 Verkehrszulassungsverordnung (VZV) 396<br />
1.5 Signalisationsverordnung (SSV) 399<br />
1.6 Verordnung über die Typengenehmigung von<br />
Strassenfahrzeugen (TGV) 400<br />
1.7 Ordnungsbussenverordnung (OBV) 400<br />
1.8 Obligationenrecht (OR) 400<br />
1.9 Bundesgesetz vom 4. Oktober 1985 über Fuss<br />
und Wanderwege (FWG) 401
Abstract / Résumé / Compendio 1<br />
I. ABSTRACT / RÉSUMÉ / COMPENDIO<br />
1. Deutsch<br />
Die Aussagen im vorliegenden <strong>Sicherheitsdossier</strong> beruhen auf einer umfassenden<br />
Analyse der Verkehrsunfälle von Fussgängern in der Schweiz.<br />
Bei der Bestimmung von Risikofaktoren und der Bewertung von Sicherheitsmassnahmen<br />
wurden auch anderweitig vorliegende Forschungsergebnisse<br />
sowie Expertenurteile berücksichtigt.<br />
Ziel der Studie war es, Massnahmen zur Sicherheitssteigerung des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
zu erarbeiten. Als wichtigste haben sich dabei die folgenden<br />
herauskristallisiert:<br />
• Durch Netzplanung und Berücksichtigung der Bedürfnisse des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
lückenlose Fusswegnetze erstellen sowie insbesondere bei<br />
Querungen adäquate fussgängerspezifische Infrastrukturelemente<br />
projektieren.<br />
• Durch bauliche, rechtliche und edukative Massnahmen ein fussgängerfreundliches<br />
Geschwindigkeitsmanagement des motorisierten<br />
Verkehrs erwirken (Tempo 30 auf siedlungsorientierten Strassen sowie<br />
spezifische Gestaltungselemente auf verkehrsorientierten Strassen,<br />
Geschwindigkeitskontrollen, Kampagnen in Kombination mit Enforcement,<br />
Sensibilisierung im Rahmen der Fahrausbildung).<br />
• Optimierung der PW-Fronten hinsichtlich Partnerschutz.<br />
• Fördern eines partnerschaftlichen Fahrstils, insbesondere der<br />
Einhaltung der Anhaltepflicht an Fussgängerstreifen.<br />
• Obligatorische Verkehrserziehung für Kinder und Jugendliche (1.–9.<br />
Klasse) durch Fachpersonen mit Schwerpunkt <strong>Fussverkehr</strong> in den<br />
ersten Jahren.
2 Abstract / Résumé / Compendio<br />
2. Français<br />
Pour constituer le présent dossier de sécurité, les auteurs se sont basés<br />
sur une analyse complète des accidents de la circulation routière impliquant<br />
des piétons en Suisse. La détermination des facteurs de risque et<br />
l’évaluation des mesures de sécurité ont également été réalisées sur la<br />
base de résultats de recherches externes ainsi que de divers avis<br />
d’experts.<br />
Le but de l’étude était d’élaborer des mesures visant à accroître la sécurité<br />
du trafic piéton. Les mesures les plus importantes qui se sont profilées<br />
sont les suivantes:<br />
• planification du réseau et prise en compte des besoins du trafic piéton<br />
pour tisser des réseaux de chemins pour piétons ininterrompus<br />
et prévoir des éléments d’infrastructure spécifiques appropriés au<br />
niveau des traversées notamment;<br />
• mesures éducatives, légales et constructives pour obtenir une gestion<br />
de la vitesse du trafic motorisé respectueuse des piétons (zones<br />
30 pour les routes d’intérêt local, éléments d’aménagement spécifiques<br />
sur les routes à orientation trafic, contrôles de vitesse, campagnes<br />
de prévention associées à des contrôles de police, sensibilisation<br />
dans le cadre de la formation à la conduite);<br />
• optimisation des parties frontales des voitures de tourisme pour<br />
une meilleure protection des autres usagers de la route;<br />
• encouragement à l’adoption d’une conduite respectueuse des autres<br />
usagers, en particulier disposition à s’arrêter aux passages<br />
pour piétons;<br />
• éducation routière obligatoire pour les enfants et les jeunes (de la 1 re<br />
à la 9 e année scolaire), dispensée par des spécialistes et mettant<br />
l’accent sur le trafic piéton durant les premières années.
Abstract / Résumé / Compendio 3<br />
3. Italiano<br />
Le conclusioni cui giunge il presente dossier sicurezza sono basate su<br />
un'analisi globale degli incidenti pedonali in Svizzera. I fattori di rischio<br />
sono stati stabiliti e le misure di sicurezza sono state valutate anche tenendo<br />
conto di altre ricerche e perizie.<br />
L'obiettivo della ricerca è quello di elaborare misure volte a incrementare<br />
la sicurezza del traffico pedonale. I provvedimenti principali si sono rivelati<br />
essere i seguenti:<br />
• realizzare reti di percorsi pedonali mediante la pianificazione di una<br />
rete pedonale e l'integrazione dei bisogni dei pedoni nonché progettare<br />
particolarmente agli attraversamenti degli elementi infrastrutturali<br />
adeguati e specifici per i pedoni;<br />
• ottenere una gestione della velocità dei veicoli motorizzati favorevole<br />
per i pedoni mediante misure architettoniche, giuridiche ed educative<br />
(30 all'ora sulle strade a funzione di servizio ed elementi di arredo specifici<br />
sulle strade a funzione di traffico, controlli della velocità, campagne<br />
legate a enforcement, sensibilizzazione nel quadro della scuola<br />
guida);<br />
• ottimizzare il frontale delle automobili in materia di protezione degli<br />
altri utenti della strada;<br />
• promuovere uno stile di guida all'insegna del rispetto e in particolare<br />
la disponibilità di fermarsi davanti ai passaggi pedonali;<br />
• istituire lezioni obbligatorie di educazione stradale per bambini e adolescenti<br />
(1a – 9a classe) impartite da specialisti e imperniate - nei primi<br />
anni - sul traffico pedonale.
4 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Wissensbasierte<br />
Entscheidungsgrundlage<br />
für den Fonds für<br />
Verkehrssicherheit<br />
Abbildung 1:<br />
Beiträge des Wissensmanagements<br />
im<br />
Problemlösungskreis<br />
der Unfallverhütung<br />
II. KURZFASSUNG / VERSION ABRÉGÉE / RIASSUNTO<br />
1. Kurzfassung<br />
1.1 Auftrag<br />
Der Fonds für Verkehrssicherheit will seine Vergabepolitik auf Schwerpunkte<br />
im <strong>Unfallgeschehen</strong> und wirksame Massnahmen ausrichten. Dazu<br />
ist er auf wissensbasierte Entscheidungsgrundlagen angewiesen. Er hat<br />
deshalb die Forschungsabteilung der Beratungsstelle für Unfallverhütung<br />
bfu beauftragt, die Schwerpunkte im <strong>Unfallgeschehen</strong> zu analysieren.<br />
Diese Analyse soll eine Beschreibung des aktuellen <strong>Unfallgeschehen</strong>s<br />
und dessen Entwicklung umfassen, ausserdem die Bestimmung von Risikofaktoren<br />
und deren Bedeutung, eine Beurteilung präventiver Massnahmen<br />
sowie konkrete Empfehlungen für die Unfallverhütung in der<br />
Schweiz. Dabei sollen so weit wie möglich Ergebnisse aus der deskriptiven<br />
und analytischen Epidemiologie, aus Marktforschung, Potenzialabschätzungen<br />
und Evaluationsstudien beigezogen werden. Abbildung 1<br />
zeigt, wie die Beantwortung dieser Fragen zur Optimierung des Problemlösungsprozesses<br />
der Unfallverhütung beitragen kann. Ergänzende Bewertungen<br />
und Expertenurteile sollen als solche deklariert und nachvollziehbar<br />
dargestellt werden.<br />
Beschreibung des<br />
Sicherheitsniveaus<br />
(Was passiert?)<br />
Untersuchung der<br />
Umsetzung,<br />
Wirkungsweise und<br />
Auswirkungen von<br />
Massnahmen<br />
(Was wirkt?)<br />
Erfolgskontrolle<br />
(Evaluation)<br />
Durchführung<br />
und Koordination<br />
von Massnahmen<br />
Situationsanalyse<br />
(Monitoring)<br />
Präventionsprogramme<br />
Zielsetzung<br />
Bestimmung von<br />
Risikofaktoren<br />
und -gruppen<br />
(Wie passiert es?)<br />
Analyse von<br />
Interventionsmöglichkeiten<br />
(Wie kann es<br />
verhindert werden?)
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 5<br />
Empfehlungen<br />
aufgrund von vier<br />
Analyseschritten<br />
Pro Jahr 100 tödlich<br />
und 800 schwer<br />
verletzte Fussgänger<br />
Kinder und Senioren<br />
besonders stark<br />
betroffen<br />
1.2 Methodik<br />
Die vorliegende Arbeit umfasst vier Schritte, die in ihrer Summe gewährleisten,<br />
dass die ausgesprochenen Empfehlungen nicht bloss auf Plausibilitätsannahmen<br />
und Alltagswissen beruhen, sondern einerseits auf wissenschaftlich<br />
fundierter Basis stehen und andererseits von massgeblicher<br />
Relevanz für das <strong>Unfallgeschehen</strong> der Fussgänger sind (Abbildung 2).<br />
Gewisse Themen wurden trotz ihrer geringen Bedeutung beibehalten, da<br />
sie für die Öffentlichkeit oder bestimmte Gruppen von besonderer Wichtigkeit<br />
sind. Als Präventionsmöglichkeiten wurden auch innovative Ansätze<br />
mit noch wenig Evidenz zur Diskussion gestellt (z. B. Fahrerassistenzsysteme<br />
oder Vorkehrungen zur Verbesserung der Anhaltequote vor<br />
Fussgängerstreifen).<br />
1.3 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Pro Jahr erleiden durchschnittlich 2'700 zu Fuss Gehende unfallbedingte<br />
Verletzungen, davon verunfallen jährlich um die 800 Fussgänger schwer<br />
und 100 tödlich. Die Verletzungsschwere von Fussgängern ist im Vergleich<br />
zu den übrigen Opfern im Strassenverkehr sehr hoch. Im Durchschnitt<br />
über alle Verkehrsteilnehmergruppen werden pro 10'000 Verunfallte<br />
rund 180 Personen tödlich verletzt (sog. case fatality). Dieser Wert<br />
ist bei den Fussgängern mehr als doppelt so hoch – pro 10'000 verunfallte<br />
Fussgänger verletzen sich knapp 390 tödlich. Die case fatality von Fussgängern<br />
hängt neben der Kollisionsgeschwindigkeit stark vom Alter der<br />
betroffenen Person und der Art des Kollisionsgegners ab.<br />
Kinder bis 14 Jahre und Senioren ab 65 Jahren sind überdurchschnittlich<br />
stark von schweren Fussgängerunfällen betroffen. Die Verletzungsschwere<br />
steigt mit zunehmendem Alter. Senioren zwischen 65 und 74<br />
Jahren weisen eine rund 2-fach, Senioren über 74 Jahre sogar eine 3fach<br />
erhöhte Verletzungsschwere gegenüber dem Durchschnitt aller verunfallten<br />
Fussgänger auf.
6 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Abbildung 2:<br />
Analyseschritte<br />
und Informationsquellen<br />
Typischer Unfall:<br />
Kollision beim Queren<br />
im Innerortsbereich<br />
Verletzungsschwere<br />
abhängig von vielen<br />
Einflussfaktoren<br />
Mehr als 70 % der schweren und tödlichen Verletzungen erleiden die<br />
Fussgänger beim Queren der Fahrbahn (v. a. innerorts). Die häufigsten<br />
Kollisionsgegner sind Personenwagen, die schwersten Verletzungen ziehen<br />
sich Fussgänger aber bei Unfällen mit Sachentransportfahrzeugen<br />
(Lastwagen, Lieferwagen) und Bussen zu.<br />
Ausprägungen der Einflussfaktoren, welche die Verletzungsschwere der<br />
Fussgänger erhöhen, sind u. a.: Senioren als Fussgänger, Männer als<br />
Fussgänger, Unfall in Längsrichtung, schwere/grosse Kollisionsgegner,
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 7<br />
Bei mehr als der<br />
Hälfte aller Unfälle<br />
sind nur die Fahrzeuglenkenden<br />
schuld<br />
Bezüglich der<br />
Fussgängersicherheit<br />
besteht Handlungsbedarf <br />
Unfallwahrscheinlichkeit<br />
durch kognitive<br />
und motivationale<br />
Aspekte beeinflusst<br />
70 % der verunfallten<br />
Kinder wird ein<br />
Fehlverhalten<br />
zugeschrieben<br />
auf Ausserortsstrassen, abseits von Fussgänger-Streifen, Steigung, erhöhte<br />
Geschwindigkeit, Nachtunfälle.<br />
Die Polizeirapporte zeigen, dass bei 54 % der Fälle ausschliesslich die<br />
Kollisionsgegner der Fussgänger bemängelt wurden, bei 28 % ausschliesslich<br />
die Fussgänger und bei 18 % waren beide Parteien mitschuldig.<br />
Die häufigsten Ursachen bei den Fussgängern sind „Unvorsichtiges<br />
Queren (Gehen)“ und „Springen/Laufen über die Fahrbahn“, diejenige auf<br />
Seiten der Kollisionsgegner ist „Missachten der Anhaltepflicht vor dem<br />
Fussgängerstreifen“.<br />
Obwohl die Schweiz im europäischen Vergleich bzgl. Fussgängersicherheit<br />
nicht abfällt – sie befindet sich im Mittelfeld – und obwohl die Fussgänger<br />
(expositionsbereinigt) seltener verunfallen als die meisten anderen<br />
Verkehrsteilnehmer, besteht Handlungsbedarf. Die hohe Verletzungsschwere<br />
und die spezielle Gefährdung von Kindern verlangt nach Massnahmen<br />
zur Erhöhung der Sicherheit der zu Fuss Gehenden im Strassenverkehr.<br />
1.4 Risikofaktoren<br />
Der <strong>Fussverkehr</strong> ist durch eine Vielzahl von Risikofaktoren gefährdet. Betrachtet<br />
wurden Risikofaktoren auf allen drei Systemebenen: Mensch,<br />
Fahrzeug und Infrastruktur (vgl. Tabelle 1, S. 10).<br />
Bei den Fussgängern selbst bestehen vor allem Risiken im Zusammenhang<br />
mit Entwicklungs- und Alterungsprozessen. Kinder und ältere Menschen<br />
sind insbesondere durch kognitive Defizite in der Wahrnehmung<br />
und der Informationsverarbeitung gefährdet. Kinder sind zudem durch<br />
motivationale Aspekte – insbesondere durch ihre Vertieftheit ins Spielen –<br />
zusätzlich gefährdet.<br />
Kinder bis 14 Jahre machen rund 22 % der schwer oder tödlich verunfallten<br />
Fussgänger aus. Dieser Anteil liegt deutlich über ihrem Bevölkerungsoder<br />
ihrem Expositionsanteil. Das überdurchschnittliche Unfallrisiko ist<br />
zwar auf diverse Faktoren zurückzuführen; es ist aber davon auszugehen,<br />
dass die defizitäre Kognition ein wesentlicher ist: Ein Kind, das z. B. die
8 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Senioren verunfallen<br />
oft unschuldig – sie<br />
können nicht adäquat<br />
auf Fehler anderer<br />
reagieren<br />
Fussgänger durch<br />
unangepasste<br />
Verhaltensweisen der<br />
MFZ-Lenkenden<br />
gefährdet<br />
Geschwindigkeit eines herannahenden Fahrzeugs nicht richtig einschätzt,<br />
riskiert beim Queren der Strasse schnell einmal sein Leben. Es verwundert<br />
nicht, dass sowohl den 0- bis 6-Jährigen als auch den 7- bis 14-Jährigen<br />
im Fall einer Kollision zu rund 70 % eigenes Fehlverhalten zugeschrieben<br />
wird.<br />
Weniger sicherheitsrelevant für die Fussgänger insgesamt sind die Faktoren<br />
geringe Körpergrösse der Kinder, mangelhaftes verkehrsrelevantes<br />
Wissen oder ungenügendes Gefahrenbewusstsein der Fussgänger und<br />
Fussgängerinnen.<br />
Schwer verletzte und getötete zu Fuss Gehende ab 65 Jahren machen<br />
rund einen Drittel der total schwer oder tödlich verunfallten Fussgänger<br />
aus. Senioren erleiden auf einem zu Fuss zurückgelegten Kilometer um<br />
ein Mehrfaches häufiger schwere oder tödliche Verletzungen als jüngere<br />
Erwachsene: Ab 70 Jahren rund doppelt so oft, ab 85 Jahren mehr als<br />
fünfmal so oft. Das hängt nicht nur mit ihrer hohen Vulnerabilität zusammen.<br />
Da 70 % der schwer verletzten oder getöteten Senioren ohne eigenes<br />
Verschulden verunfallen, liegt die Vermutung nahe, dass Senioren zu<br />
Schaden kommen, weil sie nicht auf die Fehler der anderen (z. B. Anhaltemissachtung<br />
vor Fussgängerstreifen) reagieren können. Bei den von<br />
den Senioren verschuldeten Unfällen liegt die Ursache in 60 % der Fälle<br />
beim unachtsamen Betreten der Strasse – das sicher auch, weil Senioren<br />
relevante Informationen falsch wahrnehmen und verarbeiten.<br />
Die Lenkenden der Kollisionsobjekte gefährden Fussgänger vor allem<br />
durch unangepasste Verhaltensweisen. Am negativsten wirken sich Überschreitung<br />
der Geschwindigkeitslimite und unangepasste Geschwindigkeitswahl,<br />
Vortrittsmissachtung an Fussgängerstreifen und unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren aus. Dahinter stecken oft mangelnde Gefahrenkognition<br />
und Selbstkontrolle. D. h., die Fahrzeuglenkenden haben keine grundlegenden<br />
Schwierigkeiten, ihr Fahrzeug zu lenken, sondern sie verkennen<br />
die Gefährlichkeit ihres Handelns. Ein weiterer Problembereich stellen<br />
Ablenkungen dar, die sowohl visueller als auch mentaler Natur sein können<br />
(z. B. Blick nicht auf den Verkehrsraum gerichtet oder in Telefongespräch<br />
vertieft).
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 9<br />
Fussgänger vor allem<br />
durch zweispurige<br />
Motorfahrzeuge<br />
gefährdet<br />
Fussgänger durch<br />
lückenhaftes<br />
Fusswegnetz und<br />
suboptimale<br />
Infrastrukturelemente<br />
gefährdet<br />
Fazit:<br />
Die Sicherheit der<br />
Fussgänger hängt vor<br />
allem von Faktoren<br />
ab, die sie selber<br />
wenig beeinflussen<br />
können<br />
Als weniger belastend für das <strong>Unfallgeschehen</strong> der Fussgänger wurde<br />
das Fahren unter Substanzen (Alkohol, illegale Drogen und Medikamente)<br />
oder in übermüdetem Zustand, mangelhafte Fahrzeugbeherrschung und<br />
Leistungsbeeinträchtigung in den Bereichen Wahrnehmung, Motorik und<br />
Kognition eingestuft.<br />
Fussgänger kollidieren hauptsächlich mit zweispurigen Motorfahrzeugen.<br />
Demgegenüber sind einspurige Motorfahrzeuge und insbesondere Fahrräder<br />
von untergeordneter Bedeutung.<br />
Entscheidend sind insbesondere die beiden strukturgeometrischen Fronteigenschaften:<br />
Form und Steifigkeit. Ein erhöhtes Risiko für schwere<br />
Verletzungen besteht vor allem bei einer hohen und gleichzeitig steilen<br />
Front sowie bei ausgeprägter Festigkeit. Durch eine hohe und steile Front<br />
besteht die Gefahr eines primären (Kopf-)Aufpralls mit einem anschliessenden<br />
Wegschleudern und einem sekundären Aufprall auf der Strasse.<br />
Die Festigkeit der Fronten lässt kaum Deformationsmöglichkeiten zu, wodurch<br />
beim Aufprall hohe Beschleunigungsbelastungen entstehen.<br />
Von geringer Unfallrelevanz sind demgegenüber die Fahrzeugmasse,<br />
Frontschutzbügel, dunkle Fahrzeugfarbe oder starre Lichtkegel der konventionellen<br />
Scheinwerfer.<br />
Das Gefährliche an der Infrastruktur ist für den <strong>Fussverkehr</strong> insbesondere<br />
deren primäre Ausrichtung auf den motorisierten Verkehr. Oft fehlt eine<br />
umfassende Netzplanung, die auch den Bedürfnissen des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
gerecht wird. Die Folge sind ein lückenhaftes <strong>Fussverkehr</strong>snetz sowie<br />
fehlende Informationen zu Konfliktstellen. Ein lückenloses Netz ist notwendig<br />
– insbesondere was Querungselemente anbelangt –, aber noch<br />
nicht hinreichend. Hinreichende Sicherheit ist nur gegeben, wenn bei den<br />
Konfliktstellen adäquate Elemente (im Sinne von best-practice) projektiert<br />
sowie korrekt und behindertengerecht ausgeführt werden.<br />
Insgesamt wurde deutlich, dass Risikofaktoren, die von der Infrastruktur<br />
ausgehen, für die Fussgänger die grösste Relevanz aufweisen. Es folgen<br />
Risikofaktoren, die bei den Motorfahrzeuglenkenden und ihren Fahrzeugen<br />
anzusiedeln sind. Im Vergleich zu diesen sind Risiken, die von den<br />
Fussgängern selbst ausgehen – mit Ausnahme der defizitären Kognition
10 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Tabelle 1:<br />
Die Bedeutung<br />
verschiedener<br />
Risikofaktoren<br />
von Kindern und älteren Menschen, die aber kaum zu eliminieren ist – für<br />
die Fussgänger insgesamt weniger relevant.<br />
Eignung<br />
Kompetenz<br />
Fähigkeit<br />
Verhalten<br />
Fahrverhalten<br />
Fahrfähigkeit<br />
Fahrkompetenz<br />
Fahreignung<br />
Risikofaktor<br />
Fussgänger<br />
Unfallrelevanz<br />
(schwer und<br />
tödlich<br />
verunfallte<br />
Fussgänger)<br />
Defizitäre Kognition bei Kindern und älteren Menschen ****<br />
Ablenkung durch Spiel bei Kindern **(*)<br />
Geringe Körpergrösse *<br />
Mangelhaftes verkehrsrelevantes Wissen **<br />
Sicherheitsabträgliche Einstellung / ungenügendes<br />
Gefahrenbewusstsein<br />
Übermässiger Alkoholkonsum *(*)<br />
Regelwidriges Verhalten **<br />
Ungenügende Sichtbarkeit ***<br />
MFZ-Lenkende<br />
Überschreitung der Geschwindigkeitslimite und<br />
unangepasste Geschwindigkeitswahl<br />
**<br />
**** ( * )<br />
Missachten des Vortrittsrechts am Fussgängerstreifen *****<br />
Verzicht auf Tagfahrlicht *<br />
Unvorsichtiges Rückwärtsfahren ****<br />
Fahren im angetrunkenen Zustand **<br />
Fahren unter Einfluss von illegalen Drogen (inkl.<br />
Mischkonsum mit Alkohol)<br />
Fahren unter leistungsbeeinträchtigenden<br />
Medikamenten<br />
Fahren in übermüdetem Zustand *<br />
Visuelle und mentale Ablenkung von der Fahraufgabe ** ( * )<br />
Mangelhafte Fahrzeugbeherrschung<br />
Mangelnde Gefahrenkognition und Selbstkontrolle ***<br />
Beeinträchtigtes Tagessehvermögen<br />
(Visus, Akkomodation, Gesichtsfeldausfälle)<br />
Beeinträchtigtes Nachtsehvermögen (Blendempfindlichkeit<br />
und Dämmerungssehen)<br />
Beeinträchtigtes Hörvermögen (Frequenzbereich,<br />
Schwellenwert)<br />
Körperlich-motorische Einschränkungen *<br />
Kognitive Leistungsbeeinträchtigungen *<br />
*<br />
*<br />
( * )<br />
*<br />
*<br />
-
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 11<br />
– Fortsetzung Tabelle 1 –<br />
Front<br />
MFZ<br />
Formaggressive Frontpartien *** ( * )<br />
Steifigkeitsaggressive Frontpartien *****<br />
Frontschutzbügel massiver Bauart *<br />
Starre/eingeschränkte Scheinwerferkegel **<br />
Dunkle Fahrzeugfarben *<br />
Technische MFZ-Mängel *<br />
Infrastruktur<br />
Fehlende Netzplanung ****<br />
Defizitäre Infrastruktur für den querenden <strong>Fussverkehr</strong><br />
innerorts<br />
Beispiele hierfür sind:<br />
• Fehlende oder zu schmale Fussgänger-Schutzlinsel<br />
• Fussgängerstreifen über mehr als zwei Spuren<br />
• Konfliktgrün bei lichtsignalanlagengesteuerten<br />
Kreuzungen<br />
• Nicht benutzerfreundliche Über- oder Unterführung<br />
Defizitäre Infrastruktur für den in Längsrichtung<br />
gehenden <strong>Fussverkehr</strong><br />
Beispiele hierfür sind:<br />
• Fehlendes oder zu schmales Trottoir<br />
• Fussgängerlängsstreifen als Trottoirersatz<br />
*****<br />
* Risikofaktor mit relativ geringer Bedeutung für die Entstehung unfallbedingter Verletzungen<br />
****** Risikofaktor mit grosser Beutung<br />
***(*) bedeutet eine Mischform zwischen *** und **** oder auch, dass es schwierig ist, die<br />
Sachlage präzise einzuschätzen.<br />
1.5 Prävention<br />
Auf der Risikoanalyse aufbauend werden Lösungen gesucht, um die aufgedeckten<br />
Problemfelder zu reduzieren. Dabei wurden in einem ersten<br />
Schritt die Ziele festgelegt und aufgezeigt, was sich bei der Infrastruktur,<br />
bei den Fahrzeugen und bei den Verkehrsteilnehmenden ändern muss,<br />
damit die Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s erhöht werden kann. Diese als<br />
Präventionsmöglichkeiten definierten Ziele wurden nach ihrem Rettungspotenzial<br />
bewertet. Das Rettungspotenzial hängt von der beeinflussbaren<br />
Anzahl Unfälle oder Verletzungen ab. Folgende Präventionsmöglichkeiten<br />
weisen ein grosses bis sehr grosses Potenzial auf:<br />
**
12 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Bei allen<br />
Systemelementen<br />
besteht<br />
Handlungsbedarf<br />
Einzelne Präventionsmöglichkeiten<br />
weisen<br />
ein geringes Potenzial<br />
auf<br />
Infrastruktur:<br />
• Netzplanung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des <strong>Fussverkehr</strong>s,<br />
mit dem Ziel eines lückenlosen Fusswegnetzes und der Identifikation<br />
von Konfliktstellen<br />
• Für den <strong>Fussverkehr</strong> adäquate Geschwindigkeitsregimes innerorts<br />
(Tempo 30 auf siedlungsorientierten Strassen, Tempo 50 auf verkehrsorientierten<br />
Strassen mit sicheren Querungsmöglichkeiten)<br />
• Adäquate und korrekt ausgeführte fussgängerspezifische Infrastrukturelemente<br />
beim punktuellen Queren auf einer Ebene mit Fussgänger-<br />
Vortritt und ohne Fussgänger-Vortritt sowie beim flächigen Queren<br />
Motorfahrzeuglenkende:<br />
• Reduzierung der Anhaltemissachtung am Fussgängerstreifen<br />
• Förderung situationsangemessener Fahrgeschwindigkeiten<br />
• Erhöhung des Gefahrenbewusstseins<br />
• Verhinderung von Unaufmerksamkeit und Ablenkung<br />
• Förderung von sicherem Rückwärtsfahren<br />
Motorfahrzeuge:<br />
� Sicherheitsoptimierte Frontkonstruktionen (Formoptimierung, Steifigkeitsreduktion,<br />
aktive Motorhaube, Aussenairbags)<br />
� Fahrerassistenzsysteme (insbesondere Bremsassistent, elektronische<br />
Objekterfassungssysteme mit integrierter Notbremsfunktion, Rückfahrsensoren,<br />
Lenkerüberwachungssysteme)<br />
Fussgänger und Fussgängerinnen:<br />
� Förderung von verkehrsrelevantem Wissen, sicherheitsbewussten Einstellungen<br />
und adäquatem Gefahrenbewusstsein bei Kindern<br />
Andere Präventionsmöglichkeiten weisen demgegenüber ein geringes<br />
Rettungspotenzial auf. Für den <strong>Fussverkehr</strong> wenig ergiebig dürften beispielsweise<br />
Bemühungen zur Förderung eines zurückhaltenderen (defensiven)<br />
Begehens von Fussgängerstreifen sein, die über den heutigen<br />
Stand hinausgehende Förderung der Betriebssicherheit der Motorfahrzeuge<br />
oder die Fokussierung auf das Vermeiden von Fahrten in übermüdetem<br />
Zustand.
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 13<br />
Weniger Unfälle dank<br />
besserer Infrastruktur<br />
und tieferen<br />
Geschwindigkeiten …<br />
… dank moderner<br />
Technologien im<br />
Fahrzeug …<br />
Im Anschluss wurde geprüft, wie diese Präventionsmöglichkeiten oder -ziele<br />
umgesetzt werden können. Konkrete Förderungsmassnahmen wurden<br />
hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit überprüft, wobei die Kosten-Nutzen-Relation,<br />
die soziale und politische Akzeptanz sowie die technische Machbarkeit<br />
berücksichtigt wurden (Tabelle 2, S. 16).<br />
Das Resultat ist eine breit gefächerte Zusammenstellung von Handlungsmöglichkeiten,<br />
die im Folgenden nach den drei Phasen primäre, sekundäre<br />
und tertiäre Prävention dargestellt werden:<br />
Primäre Prävention (Verhinderung von Unfällen): Infrastruktur und<br />
Abläufe im Strassenverkehr sind so zu gestalten, dass die Kollisionswahrscheinlichkeit<br />
zwischen Fussgängern und Motorfahrzeugen (MFZ) drastisch<br />
gesenkt wird. Die Einführung eines vom Autoverkehr komplett getrennten<br />
Fusswegnetzes ist aus praktischen und finanziellen Gründen unrealistisch.<br />
Deshalb ist eine Netzplanung von zentraler Bedeutung, mit dem Ziel, ein<br />
lückenloses <strong>Fussverkehr</strong>snetz zu erstellen und Konfliktstellen zu erkennen.<br />
Bei der Projektierung der spezifischen Infrastrukturelemente müssen<br />
unbedingt die sicherheitstechnischen Aspekte der VSS-Normen oder die<br />
aktuellen Erkenntnisse zur Sicherheit von <strong>Fussverkehr</strong>s-Anlagen einfliessen.<br />
Sonst besteht nicht nur die Gefahr, dass die erhoffte Sicherheitssteigerung<br />
ausbleibt, sondern dass das Unfall- und Verletzungsrisiko sogar<br />
steigen könnte. Neben fussgängerspezifischen Infrastrukturelementen<br />
stellt eine Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h in Wohnquartieren eine<br />
zentrale Sicherheitsmassnahme dar.<br />
Die Umsetzung verkehrssicherheitsverträglicher Infrastrukturlösungen<br />
kann primär durch die Ausbildung und Sensibilisierung von Ingenieuren<br />
und Planern, der Durchführung von Safety Audits sowie der Vervollständigung<br />
und Umsetzung von VSS-Normen gefördert werden.<br />
Auch bei den Fahrzeugen kann angesetzt werden, um die Unfallwahrscheinlichkeit<br />
zu reduzieren. Bereits heute sind einige erfolgversprechende<br />
Technologien wie z. B. Rückfahrsensoren und Bremsassistenten<br />
erhältlich. Darüber hinaus sind die primärpräventiven Möglichkeiten bei<br />
den MFZ gegenwärtig eher gering. Künftig werden jedoch hochwirksame
14 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
… aber auch dank<br />
vorsichtigem<br />
Querungsverhalten<br />
und defensivem<br />
Fahrstil<br />
Weniger schwere<br />
Verletzungen dank<br />
tieferen<br />
Geschwindigkeiten<br />
und optimierter<br />
Fahrzeuggestaltung<br />
Technologien zur Kollisionsvermeidung zur Verfügung stehen, die auf einer<br />
elektronischen Objekterfassung mittels Radar- oder Infrarotsensoren<br />
beruhen.<br />
Um die Technologien zum fahrzeugseitigen Fussgängerschutz zu implementieren,<br />
bedarf es der internationalen Zusammenarbeit (z. B. Einsitz in<br />
den Arbeitsgruppen der UN/ECE). Alleingänge der Schweiz als Nicht-EU-<br />
Miglied, als Land ohne eigene Automobilindustrie und mit verhältnismässig<br />
kleinem Absatzmarkt sowie aufgrund des Übereinkommens über<br />
technische Handelshemmnisse sind nur eingeschränkt möglich.<br />
Doch auch die Verkehrsteilnehmenden und zwar sowohl die Fussgänger<br />
und Fussgängerinnen selbst als auch die MFZ-Lenkenden als potenzielle<br />
Kollisionsgegner können zur Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s einen bedeutenden<br />
Beitrag leisten. Generell muss durch eine Kombination von edukativen<br />
und repressiven Massnahmen ein sicherheitsorientiertes und<br />
partnerschaftliches Fahrverhalten gefördert werden. Dabei müssen bei<br />
den Fussgängern insbesondere sichere Verhaltensweisen beim Queren<br />
(mit und ohne Vortritt) gefördert werden und bei den MFZ-Lenkenden die<br />
Einhaltung der Anhaltepflicht an Fussgängerstreifen und eine situationsangepasste<br />
Geschwindigkeitswahl sichergestellt werden.<br />
Edukative Bemühungen bei Kindern sollten in Form einer kontinuierlichen,<br />
professionellen Verkehrserziehung stattfinden. Das ist notwendig, aber<br />
nicht hinreichend, denn Kinder werden auch durch Verkehrserziehung nie<br />
zu verlässlichen Verkehrspartnern werden. Die Verkehrserziehung der<br />
Motorfahrzeuglenkenden (z. B. im Rahmen der Fahrausbildung oder<br />
durch massenmediale Kampagnen) hat vermutlich eine grössere unfallreduzierende<br />
Wirkung – vor allem in Kombination mit Polizeikontrollen.<br />
Sekundäre Prävention (Verhinderung von Verletzungen): Da Unfallereignisse<br />
nie ganz ausgeschlossen werden können, muss durch Massnahmen<br />
sichergestellt werden, dass im Ereignisfall die Verletzungen<br />
möglichst gering sind. Auch hier leistet ein wirksames Geschwindigkeitsmanagement<br />
einen wichtigen Beitrag. Da Fussgänger keine schützende<br />
Knautschzone haben, müssen vor allem sicherheitsoptimierte Fahrzeugfronten<br />
gefördert werden. Die PW-Fronten müssen so gestaltet sein, dass<br />
sie Energie besser absorbieren können. In der Schweiz können zumindest<br />
die Konsumenten dahingehend informiert werden, dass sie beim
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 15<br />
Schnellere<br />
medizinische Hilfe =<br />
weniger schwerer<br />
Verletzungsverlauf<br />
Erwerb eines Fahrzeugs neben dem Insassen- auch den Partnerschutz<br />
berücksichtigen.<br />
Tertiäre Prävention (Verhinderung von Spätfolgen): Da der Schwerpunkt<br />
in der vorliegenden Arbeit bewusst auf die erste und zweite Präventionsphase<br />
gelegt wurde, sind tertiärpräventive Massnahmen nur am<br />
Rande thematisiert. Eine wichtige Massnahme liegt darin, die Zeitdauer<br />
zwischen Unfallereignis und Eintreffen der Rettungskräfte zu verkürzen.<br />
Das gelingt durch Einrichtungen zur automatischen oder manuellen Auslösung<br />
und Übertragung eines Notrufs (inklusive der Standortkoordinaten)<br />
zu den zuständigen Rettungskräften.<br />
Nachfolgende Tabelle fasst die Endbeurteilung aller thematisierten Massnahmen<br />
zusammen. Dabei wird nicht nur der eigentliche Sicherheitsnutzen<br />
für die Fussgänger berücksichtigt, sondern zusätzlich auch die<br />
Effizenz (das Kosten-Nutzen-Verhältnis) und die politische Machbarkeit.<br />
Diese umfassende Massnahmenbewertung soll verhindern, dass die vorhandenen<br />
finanziellen Ressourcen in Massnahmen investiert werden, deren<br />
Implementierung von vornherein aussichtslos erscheint bzw. einen<br />
nur sehr geringen oder ungewissen Gegenwert mit sich bringt. Die Bewertung<br />
deckt einen Zeithorizont von rund fünf Jahren. Die Umsetzung<br />
der als (sehr) empfehlenswert eingestuften Massnahmen gewährleistet,<br />
dass die investierten Mittel einen möglichst hohen Sicherheitsgewinn für<br />
die Fussgänger generieren.
16 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Tabelle 2:<br />
Überblick über alle Massnahmen zur Förderung der Fussgängersicherheit<br />
Betriebssicherheit<br />
Fahrzeugfronten<br />
Beleuchtung<br />
Elektronische<br />
Fahrassistenz-<br />
systeme<br />
Massnahmen Bewertung<br />
Fussgänger<br />
Informieren der Eltern und weiterer Bezugspersonen über die<br />
entwicklungsbedingten Defizite von Kindern bis 9 Jahren und<br />
Aufforderung für verstärkte Sicherheitsmassnahmen etwa bzgl.<br />
punktuellem Begleiten, Wegwahl, Sichtbarkeit, Querungsverhalten<br />
Informieren der Angehörigen und anderer Bezugspersonen (Ärzte,<br />
Spitex, Pro Senectute) bzgl. der alterungsbedingten Defizite der<br />
Senioren und Aufforderung für verstärkte Sicherheitsmassnahmen etwa<br />
bzgl. punktuellem Begleiten, Wegwahl, Sichtbarkeit, Querungsverhalten<br />
Altersgerechte, obligatorische Verkehrserziehung (1.–9. Klasse) durch<br />
Fachpersonen mit Schwerpunkt <strong>Fussverkehr</strong> in den ersten Jahren<br />
Kampagnen zur Wissensvermittlung und Steigerung des<br />
Gefahrenbewusstseins von Fussgängern<br />
Kampagnen zur Förderung eines zurückhaltenderen (defensiven)<br />
Begehens von Fussgängerstreifen<br />
MFZ<br />
Verschärfung der Kontrollsituation von MFZ<br />
(Typenprüfung und amtliche Nachkontrollen)<br />
Informierung/Sensibilisierung potenzieller Autokäufer bzgl. Partnerschutz<br />
mittels Print- und elektronischer Medien<br />
In internationaler Zusammenarbeit Anforderungen an PW-Fronten zum<br />
Fussgängerschutz festlegen<br />
Globales Verbot aller Frontschutzbügel<br />
Über die EU-Richtlinie (2003/102/EG) hinausgehende Forderungen zum<br />
fahrzeugseitigen Fussgängerschutz<br />
Informierung/Sensibilisierung potenzieller Autokäufer bzgl. lichttechnisch<br />
optimierter Frontscheinwerfer mittels Print- und elektronischer Medien<br />
Kundeninformation zu bereits etablierten und neu auf dem Markt<br />
erhältlichen Fahrzeugtechnologien<br />
Rückfahrsensoren für die Inverkehrsetzung von Fahrzeugen ohne<br />
inneren Rückspiegel (insbesondere Kleintransporter) gesetzlich<br />
vorschreiben<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(Wirksamkeit schwer<br />
abzuschätzen; hohe Kosten<br />
bei eher geringem<br />
Rettungspotenzial)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(Wirksamkeit schwer<br />
abzuschätzen; hohe Kosten<br />
bei eher geringem<br />
Rettungspotenzial)<br />
Sehr empfehlenswert<br />
(als Sockelmassnahme<br />
notwendig, wenn auch nicht<br />
hinreichend)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(schwierige Zielsetzung;<br />
hohe Kosten bei eher<br />
geringem<br />
Rettungspotenzial)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(hohe Kosten bei geringem<br />
Rettungspotenzial)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-<br />
Nutzen-Verhältnis)<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(kein Nutzen, da Bügel nur<br />
erlaubt sind, wenn<br />
Sicherheit erhöht wird)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(politisch nicht umsetzbar)<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 17<br />
– Fortetzung Tabelle 2 –<br />
Fahreignung<br />
Fahrfähigkeit: Substanzbedingte Beeinträchtigungen<br />
Anreizsysteme zur Förderung von Fahrzeugtechnologien mit hohem<br />
Sicherheitspotenzial<br />
Kampagnen zur Akzeptanzsteigerung von negativ beurteilten<br />
Fahrzeugtechnologien<br />
MFZ-Lenkende<br />
Erweiterung des obligatorischen Sehtests: Überprüfung des<br />
Dämmerungssehvermögens und der Blendempfindlichkeit<br />
Periodische Kontrollen des (Tages- und Nacht-)Sehvermögens<br />
gesetzlich vorschreiben<br />
Informationsbroschüren zur Sensibilisierung und Informierung bzgl.<br />
sensomotorischer Defizite und ihrer Auswirkungen<br />
Verschärfung der Fahreignungsabklärung<br />
Massenmediale Kampagne zur Sensibilisierung und Informierung bzgl.<br />
sensomotorischer Defizite und ihrer Auswirkungen<br />
Nachschulungskurse bereits bei erstmaligem Führerausweisentzug<br />
anbieten<br />
BAK-Grenzwert für Neulenkende in Probephase auf 0.0 ‰ senken<br />
Erhöhung vorangekündigter, gut sichtbarer (anlassfreier)<br />
Alkoholkontrollen in Kombination mit massenmedialer Kampagne<br />
Piktogramm auf Medikamenten-Beipackzettel zur Warnung vor<br />
Beeinträchtigungen der Fahrfähigkeit<br />
Beschleunigung des Sanktionsverfahrens<br />
Anlassfreie Drogenkontrollen gesetzlich erlauben und Resultate der<br />
Drogenschnelltests rechtskräftig machen<br />
Lenkerüberwachungssysteme zur Kontrolle der Fahrfähigkeit<br />
Massenmediale Kampagne zum Thema Betäubungs- und Arzneimittel<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da Machbarkeit und<br />
Wirksamkeit noch unklar)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-<br />
Nutzen-Verhältnis)<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
(mit bescheidenem Nutzen<br />
für Fussgänger)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da Qualität der Diagnosegeräte<br />
noch nicht<br />
ausreichend)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)
18 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
– Fortetzung Tabelle 2 –<br />
Fahrfähigkeit: Endogene Beeinträchtigungen<br />
Fahrkompetenz<br />
Fahrverhalten: Geschwindigkeit<br />
Informationen zur Problematik des Telefonierens am Steuer mittels<br />
Broschüren, Internet etc.<br />
Innerortsspezifisches Verbot zu telefonieren (inkl. Freisprechanlage)<br />
Globales Verbot zu telefonieren<br />
(inkl. Freisprechanlage)<br />
Kampagne, um die Verkehrsteilnehmenden zum Thema ‚Müdigkeit am<br />
Steuer’ zu sensibilisieren<br />
Förderung technischer Systeme zur Überwachung der Müdigkeit und<br />
der visuellen Ablenkung<br />
Empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da politische Machbarkeit<br />
unklar)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da momentan politisch nicht<br />
durchsetzbar)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis )<br />
Korrekte Umsetzung der neuen Fahrausbildung fördern Sehr empfehlenswert<br />
Fahreinschränkungen für Neulenkende<br />
Periodische, obligatorische Wiederholungskurse für MFZ-Lenkende<br />
Kombination von Kampagne und intensivierten Geschwindigkeitskontrollen<br />
innerorts (stationär an Gefahrenpunkten, ansonsten mobil mit<br />
Vorankündigung und Rückmeldung)<br />
Reine massenmediale Kampagne zum Geschwindigkeitsverhalten<br />
Strafpunktesystem statt Kaskadensystem einführen<br />
Aufstellen von Geschwindigkeitsanzeigegeräten<br />
Kampagne mit Fokus auf Extremgruppe<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(nur wenn 2-Phasenausbildung<br />
Wirkungslücken<br />
aufweisen sollte)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis)<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da eher in Kombination mit<br />
Polizeikontrolle sinnvoll)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(nur wenn Kaskadensystem<br />
nicht greifen sollte)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges<br />
Kosten-Nutzen-Verhältnis/<br />
negative Effekte nicht<br />
ausgeschlossen)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-<br />
Nutzen-Verhältnis)
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 19<br />
– Fortetzung Tabelle 2 –<br />
Fahrverhalten: Vortrittsgewährung<br />
Ausbildung der Ingenieure und Planer<br />
Instrumente zur<br />
Sicherheits-Überprüfung<br />
Normen<br />
Kombination von Kampagne und polizeilicher Kontrollen zur Einhaltung<br />
des Vortrittsrechts am Fussgängerstreifen<br />
Reine massenmediale Kampagne zur Förderung der Vortrittsgewährung<br />
Informationsbroschüren zur Problematik des Rückwärtsfahrens<br />
Sanktionen für Vortrittsmissachtung erhöhen<br />
Kampagne gegen unvorsichtiges Rückwärtsfahren<br />
Infrastruktur<br />
Erstausbildung: Sensibilisierung bzgl. Verkehrssicherheit sowie<br />
Vermittlung fachspezifischen Grundwissens<br />
Weiter-/Fortbildung: Organisation und Koordination von fachspezifischen<br />
Tagungen sowie Weiterbildungs-Obligatorium<br />
Sowohl in der Erstausbildung als auch in der Weiter-/Fortbildung sind<br />
schwerpunktmässig folgende Themen zu behandeln:<br />
• Grundsätze zur Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s (inkl. Aspekte der<br />
falschen Sicherheit)<br />
• Umfassende Netzplanung<br />
• <strong>Fussverkehr</strong>sfreundliche Querungen<br />
• Spezialthemen (Tempo 30/50-Modell, fussgängerfreundlicher<br />
Strassenunterhalt)<br />
• Technische und gesetzliche Grundlagen in ihrer Gesamtheit<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da eher in Kombination mit<br />
Polizeikontrolle sinnvoll)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da Wirksamkeit schwierig<br />
abzuschätzen)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bei gegebener Situation<br />
kaum Sicherheitseffekte zu<br />
erwarten)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-<br />
Nutzen-Verhältnis)<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Road Safety Audits als standardmässige Projektphase einführen Sehr empfehlenswert<br />
Road Safety Inspections bei Querungen durchführen Sehr empfehlenswert<br />
Black Spot Management<br />
Rechtliche Bedeutung der VSS-Normen erhöhen, indem sie zu<br />
Weisungen des UVEK erklärt werden oder in den Baugesetzen zum<br />
Stand der Technik erklärt werden<br />
Unterstützung der aktuellen Bestrebungen, die VSS-Normen mit Bezug<br />
zum <strong>Fussverkehr</strong> zu vervollständigen (insbesondere das Normpaket<br />
„Querungen“<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(Unfälle dispers verteilt)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(Akzeptanz gering,<br />
Verlangsamen von<br />
Veränderungen)<br />
Sehr empfehlenswert
20 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
– Fortetzung Tabelle 2 –<br />
Rechtliche Möglichkeiten<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Bedeutung<br />
Infrastruktur<br />
aufwerten<br />
Klage gegen Betreiber defizitärer Infrastruktur bei Unfällen<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(Hürden und finanzielle<br />
Risiken zu hoch)<br />
Einforderung der (aktualisierten) Netzplanungen seitens des Bundes Empfehlenswert<br />
Finanzielle Unterstützung bei infrastrukturellen Projekten für den<br />
<strong>Fussverkehr</strong> (Infrastruktur-Fonds)<br />
Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Nutzen von<br />
sicherheitsfördernden Infrastruktur-Massnahmen<br />
Enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden. Durchführen von<br />
fachtechnischen Beratungen/Kolloquien/Weiterbildungskursen/Foren<br />
1.6 Fazit<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da ungünstiges Kosten-<br />
Nutzen-Verhältnis)<br />
Empfehlenswert<br />
Gegenstand dieses Berichts ist die Sicherheit von Fussgängern im Strassenverkehr.<br />
Auf der Basis einer umfassenden Analyse des <strong>Unfallgeschehen</strong>s,<br />
von vorliegenden Forschungsergebnissen und Expertenurteilen<br />
wurden die wichtigsten Risikofaktoren, Präventionsmöglichkeiten und<br />
Förderungsmassnahmen zur Sicherheitssteigerung des <strong>Fussverkehr</strong>s abgeleitet.<br />
Die empfehlenswertesten Massnahmen sind:<br />
• Durch Netzplanung und Berücksichtigung der Bedürfnisse des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
lückenlose Fusswegnetze erstellen sowie insbesondere bei<br />
Querungen adäquate fussgängerspezifische Infrastrukturelemente<br />
projektieren.<br />
• Durch bauliche, rechtliche und edukative Massnahmen ein fussgängerfreundliches<br />
Geschwindigkeitsmanagement des motorisierten<br />
Verkehrs erwirken (Tempo 30 auf siedlungsorientierten Strassen sowie<br />
spezifische Gestaltungselemente auf verkehrsorientierten Strassen,<br />
Geschwindigkeitskontrollen, Kampagnen in Kombination mit Enforcement,<br />
Sensibilisierung im Rahmen der Fahrausbildung).<br />
• Optimierung der PW-Fronten hinsichtlich Partnerschutz.<br />
• Fördern eines partnerschaftlichen Fahrstils insbesondere der Beachtung<br />
der Anhaltepflicht an Fussgängerstreifen.
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 21<br />
• Obligatorische Verkehrserziehung für Kinder und Jugendliche (1.–9.<br />
Klasse) durch Fachpersonen mit Schwerpunkt <strong>Fussverkehr</strong> in den<br />
ersten Jahren.
22 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Base de décision<br />
documentée pour le<br />
Fonds de sécurité<br />
routière<br />
Fig. 1:<br />
Contributions de la<br />
gestion des<br />
connaissances dans le<br />
processus de<br />
résolution des<br />
problèmes liés à la<br />
prévention des<br />
accidents<br />
2. Version abrégée<br />
2.1 Mandat<br />
Le Fonds de sécurité routière souhaite orienter sa politique d’attribution<br />
de fonds selon les accidents dominants et les mesures qui s’avèrent efficaces<br />
dans ce domaine. A cet égard, il lui faut disposer de bases de décision<br />
documentées. Par conséquent, le Fonds a chargé la section Recherche<br />
du Bureau suisse de prévention des accidents bpa d’analyser les accidents<br />
dominants. Cette analyse doit englober une description de la situation<br />
en matière d’accidents et de son évolution, une présentation des<br />
facteurs de risque ainsi que de leur importance, une évaluation des mesures<br />
préventives possibles ainsi que des recommandations concrètes pour<br />
la prévention des accidents en Suisse. Dans ce but, il convient de prendre<br />
en considération, autant que faire se peut, les résultats provenant de<br />
l’épidémiologie analytique et descriptive, des études de marché réalisées,<br />
des estimations de potentiel ainsi que des études d’évaluation. La fig. 1<br />
montre de quelle manière les réponses apportées aux questions posées<br />
peuvent contribuer à optimiser le processus de résolution des problèmes<br />
liés à la prévention des accidents. Les évaluations complémentaires et les<br />
avis d’experts doivent être indiqués comme tels.<br />
Description du niveau<br />
de sécurité<br />
(Que se passe-t-il?)<br />
Examen de la mise en<br />
œuvre, de l’efficacité et<br />
des répercussions des<br />
mesures<br />
(Quelles mesures portent<br />
des fruits?)<br />
Contrôle des<br />
résultats<br />
(évaluation)<br />
Réalisation et<br />
coordination<br />
des mesures<br />
Analyse de la<br />
situation<br />
(monitorage)<br />
Programmes de<br />
prévention<br />
Objectifs<br />
Détermination des<br />
facteurs de risque et<br />
des groupes concernés<br />
(Comment l'accident<br />
se passe-t-il?)<br />
Analyse des<br />
possibilités d'intervention<br />
(Comment empêcher<br />
l’accident?)
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 23<br />
Recommandations<br />
découlant de quatre<br />
volets d’analyse<br />
100 piétons tués et<br />
800 grièvement<br />
blessés chaque<br />
année<br />
Enfants et seniors<br />
particulièrement<br />
touchés<br />
2.2 Aspects méthodologiques<br />
Le présent travail comprend quatre volets qui garantissent que les recommandations<br />
formulées ne reposent pas simplement sur des suppositions<br />
plausibles et sur des connaissances courantes. Ces recommandations<br />
s’appuient au contraire sur des fondements scientifiques et sont d’une importance<br />
déterminante pour la prévention des accidents impliquant des<br />
piétons (cf. fig. 2). Si certains thèmes ont été maintenus malgré un intérêt<br />
limité, c’est qu’ils se révèlent importants pour la population en général ou<br />
pour certains groupes en particulier. Des propositions innovantes pour lesquelles<br />
on ne dispose que de peu de faits concrets à l’heure actuelle ont<br />
également été intégrées dans les possibilités de prévention afin de les soumettre<br />
à la discussion (p. ex. systèmes d’assistance à la conduite ou mesures<br />
destinées à accroître la proportion de véhicules qui s’arrêtent aux passages<br />
pour piétons).<br />
2.3 Accidentologie des piétons<br />
Chaque année, 2700 piétons en moyenne subissent des blessures<br />
d’origine accidentelle; elles sont graves chez quelque 800 d’entre eux et<br />
mortelles pour 100 autres. La gravité des blessures des piétons est très<br />
importante comparée à celle des autres accidentés de la route. Pour<br />
l’ensemble des groupes d’usagers, quelque 180 personnes accidentées<br />
en moyenne sur 10 000 décèdent des suites de leurs blessures (indicateur<br />
appelé létalité). Cette valeur représente plus que le double chez les<br />
piétons: près de 390 tués pour 10 000 accidentés. La létalité des piétons<br />
dépend fortement de la vitesse de collision, mais également de l’âge du<br />
piéton accidenté et de l’autre usager impliqué dans la collision.<br />
Les enfants jusqu’à 14 ans et les seniors de 65 ans et plus sont touchés<br />
plus fréquemment que la moyenne par les graves accidents de piétons.<br />
La gravité des blessures augmente avec l’âge. Elle est environ deux fois<br />
plus élevée que pour la moyenne des piétons accidentés chez les<br />
65-74 ans, et même trois fois plus chez les plus de 74 ans.
24 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Fig. 2:<br />
Volets d’analyse et<br />
sources d’information<br />
Accident typique:<br />
collision lors d’une<br />
traversée en localité<br />
Les piétons subissent plus de 70% des blessures graves ou mortelles en<br />
traversant la chaussée (surtout en localité). Les autres usagers impliqués<br />
dans les collisions sont principalement des conducteurs de voitures de<br />
tourisme, mais les blessures les plus graves sont dues, chez les piétons,<br />
à des accidents avec des véhicules destinés au transport de choses (camions,<br />
véhicules de livraison) ou des bus.
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 25<br />
Gravité des<br />
blessures: de<br />
nombreux facteurs<br />
d’influence<br />
Dans plus de la moitié<br />
des accidents de<br />
piétons: conducteurs<br />
seuls responsables<br />
Sécurité des piétons:<br />
des mesures<br />
s’imposent<br />
Risque d’accident:<br />
agir sur les aspects<br />
cognitifs et<br />
motivationnels<br />
Comportement erroné<br />
chez 70% des enfants<br />
accidentés<br />
Les facteurs ayant une influence négative sur la gravité des blessures des<br />
piétons sont notamment: âge avancé du piéton, sexe masculin du piéton,<br />
accident de type croisement longitudinal, véhicule antagoniste lourd/de<br />
grande taille, accident hors localité, accident hors des passages pour<br />
piétons, situation en montée, vitesse excessive, accident se produisant la<br />
nuit.<br />
Selon les procès-verbaux de police, la faute est attribuée exclusivement<br />
aux autres usagers impliqués dans 54% des cas, au seul piéton dans<br />
28% des cas et aux deux parties dans 18% des cas. Les principales causes<br />
sont: «traversée imprudente (en marchant)» et «traversée en courant/sautant»<br />
chez les piétons; «refus de l’arrêt obligatoire devant un passage<br />
pour piétons» chez les usagers antagonistes.<br />
Bien que la Suisse se défende au niveau européen en matière de sécurité<br />
des piétons (elle se situe en milieu de tableau) et que les piétons aient, à<br />
exposition égale, moins d’accidents que la plupart des autres usagers de<br />
la route, des mesures s’imposent en raison de la gravité des blessures et<br />
du danger particulier encouru par les enfants.<br />
2.4 Facteurs de risque<br />
Les facteurs de risque pour le trafic piéton sont nombreux. Ils relèvent des<br />
trois niveaux du système routier: l’être humain, le véhicule et l’infrastructure<br />
(cf. tableau 1, p. 28).<br />
Chez les piétons, les risques sont surtout en relation avec les processus<br />
de développement et de vieillissement. Les enfants et les personnes<br />
âgées sont menacés en particulier en raison de déficits cognitifs liés à la<br />
perception et au traitement des informations. Les enfants présentent en<br />
outre un surrisque dû à des aspects motivationnels, notamment à leur<br />
absorption par le jeu.<br />
Les enfants jusqu’à 14 ans représentent quelque 22% des piétons grièvement<br />
ou mortellement accidentés, soit un taux nettement supérieur à<br />
leur représentation dans la population ou à leur proportion de l’exposition.<br />
Si ce risque d’accident supérieur à la moyenne s’explique par divers fac-
26 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Seniors souvent pas<br />
en cause, mais<br />
incapables de réagir<br />
correctement aux<br />
erreurs des autres<br />
usagers<br />
Piétons mis en<br />
danger par le<br />
comportement<br />
inadapté des<br />
conducteurs de<br />
véhicules à moteur<br />
teurs, les déficits cognitifs constituent certainement l’un des plus significatifs:<br />
un enfant qui ne parvient p. ex. pas à estimer correctement la vitesse<br />
du véhicule qui s’approche est exposé à de grands risques en traversant<br />
la chaussée. De fait, il n’est pas surprenant qu’une erreur de comportement<br />
soit imputée à 70% environ des 0-6 ans tout comme des 7-14 ans<br />
impliqués dans une collision.<br />
En revanche, les facteurs «faible taille corporelle des enfants», «connaissances<br />
de la réalité routière insuffisantes» ou «prise de conscience des<br />
dangers insuffisante» sont, chez les piétons en général, moins importants<br />
pour leur sécurité.<br />
Les 65 ans et plus représentent environ un tiers des piétons grièvement<br />
ou mortellement accidentés. Pour un kilomètre parcouru à pied, les blessures<br />
graves ou mortelles sont bien plus fréquentes chez les seniors que<br />
chez les adultes plus jeunes: environ deux fois plus à partir de 70 ans et<br />
plus de cinq fois plus à partir de 85 ans. Ceci ne s’explique pas seulement<br />
par la grande vulnérabilité de ces usagers. Etant donné que 70% des seniors<br />
grièvement blessés ou tués dans des accidents ne sont pas en<br />
cause dans ceux-ci, on peut supposer que les aînés subissent des dommages<br />
car ils ne sont pas en mesure de réagir aux erreurs des autres<br />
usagers (p. ex. absence de disposition des conducteurs à s’arrêter aux<br />
passages pour piétons). Dans 60% des accidents causés par les seniors,<br />
ceux-ci s’engagent négligemment sur la chaussée, en partie aussi car ils<br />
perçoivent et traitent des informations importantes de manière erronée.<br />
Les conducteurs des véhicules impliqués dans les collisions avec des<br />
piétons mettent ces derniers en danger surtout en raison d’un comportement<br />
inadapté. Excès de vitesse, vitesse inadaptée, refus de priorité aux<br />
passages pour piétons et marches arrière imprudentes ont les conséquences<br />
les plus négatives. Un manque de connaissance des dangers ou<br />
de maîtrise de soi en sont souvent à l’origine: les conducteurs n’ont fondamentalement<br />
pas de difficultés à conduire leur véhicule, mais méconnaissent<br />
les dangers liés à leurs actes. Autre problème: les distractions<br />
tant visuelles que mentales (p. ex. regard non dirigé vers l’espace routier<br />
ou attention absorbée par une conversation téléphonique).
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 27<br />
Piétons surtout mis en<br />
danger par les<br />
voitures automobiles<br />
Piétons mis en<br />
danger par les<br />
lacunes des réseaux<br />
de chemins pour<br />
piétons et par des<br />
éléments<br />
d’infrastructure non<br />
optimaux<br />
En revanche, la conduite sous l’influence de substances (alcool, drogues<br />
illicites ou médicaments) ou en état de fatigue excessive, le manque de<br />
maîtrise du véhicule, de même que les troubles de la perception, de la<br />
motricité ou de la cognition ont une moindre influence sur les accidents<br />
des piétons.<br />
Les piétons ont des collisions avec des voitures automobiles principalement<br />
(véhicules automobiles ayant au moins quatre roues). Les véhicules<br />
motorisés à deux roues et, surtout, les vélos ne jouent quant à eux qu’un<br />
rôle mineur.<br />
La géométrie (forme) et la structure (rigidité) de la partie frontale des véhicules,<br />
en particulier, sont déterminantes. Le risque de blessures graves<br />
est notamment plus élevé si la partie frontale est haute et inclinée, ou si<br />
elle est très rigide. Une partie frontale haute et inclinée fait courir le risque<br />
d’un premier impact (de la tête), suivi d’une projection du corps puis d’un<br />
second impact sur la chaussée. La rigidité de la partie frontale, quant à<br />
elle, empêche le véhicule de se déformer, ce qui génère d’importantes<br />
forces d’accélération lors de l’impact.<br />
Par contre, le poids du véhicule, les pare-buffles, les couleurs foncées<br />
des véhicules ou les faisceaux lumineux fixes des phares classiques n’ont<br />
que peu d’importance sur les accidents.<br />
Si l’infrastructure routière est dangereuse pour les piétons, c’est surtout<br />
parce qu’elle est essentiellement axée sur le trafic motorisé. Une planification<br />
globale du réseau incluant également les besoins du trafic piéton<br />
fait souvent défaut. Conséquences: un réseau piétonnier lacunaire et un<br />
manque d’informations sur les zones de conflit potentielles. Un réseau<br />
ininterrompu est certes nécessaire – en particulier en ce qui concerne les<br />
éléments de traversée –, mais n’est pas suffisant. Un niveau de sécurité<br />
suffisant ne peut être atteint que si l’on prévoit des éléments appropriés<br />
(bonnes pratiques) pour les zones de conflit potentielles, et qu’on les met<br />
en place correctement ainsi qu’en tenant compte des besoins des personnes<br />
handicapées.
28 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Conclusion:<br />
la sécurité des<br />
piétons dépend<br />
surtout de facteurs<br />
sur lesquels ils n’ont<br />
que peu d’influence<br />
Tableau 1:<br />
Importance des<br />
différents facteurs<br />
de risque<br />
Aptitude<br />
Capacité Compétences<br />
Comportement<br />
Comportement<br />
de conduite<br />
Capacité de conduire<br />
Compétences<br />
de<br />
conduite<br />
Aptitude à la<br />
conduite<br />
On constate que les facteurs de risque liés à l’infrastructure ont le plus<br />
d’importance pour les piétons. Viennent ensuite les facteurs qui relèvent<br />
des conducteurs de véhicules à moteur et de ces véhicules. En comparaison,<br />
les risques qui proviennent des piétons eux-mêmes – à l’exception<br />
des déficits cognitifs chez les enfants et les personnes âgées, qui sont par<br />
ailleurs difficiles à éliminer – ont dans l’ensemble une moindre importance<br />
pour ce groupe d’usagers.<br />
Facteur de risque<br />
Influence sur<br />
les acc. avec<br />
piétons<br />
grièvement/<br />
mortellement<br />
blessés<br />
Piétons<br />
Déficits cognitifs chez les enfants et les personnes âgées ****<br />
Distraction due au jeu chez les enfants **(*)<br />
Faible taille corporelle *<br />
Connaissances de la réalité routière insuffisantes **<br />
Attitudes préjudiciables à la sécurité, prise de conscience des<br />
dangers insuffisante<br />
Consommation excessive d’alcool *(*)<br />
Comportement irrespectueux des règles de la circulation **<br />
Visibilité insuffisante ***<br />
Conducteurs de véhicules à moteur<br />
Excès de vitesse et vitesse inadaptée ****(*)<br />
Refus de priorité aux passages pour piétons *****<br />
Feux de croisement non allumés de jour *<br />
Marches arrière imprudentes ****<br />
Conduite en état d’ébriété **<br />
Conduite sous l’emprise de drogues illicites (y compris<br />
consommation combinée de drogues et d’alcool)<br />
*<br />
Conduite sous l’influence de médicaments entraînant des<br />
troubles de la vigilance<br />
Conduite en état de fatigue excessive *<br />
Distraction visuelle ou mentale **(*)<br />
Manque de maîtrise du véhicule (*)<br />
Manque de connaissance des dangers, de maîtrise de soi ***<br />
Acuité visuelle diurne réduite (accommodation, rétrécissement<br />
du champ visuel)<br />
Acuité visuelle nocturne réduite (sensibilité à l’éblouissement,<br />
vision à l’aube et au crépuscule)<br />
*<br />
Capacité auditive réduite (domaine de fréquences, valeur seuil) –<br />
**<br />
*<br />
*
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 29<br />
– Suite du tableau 1 –<br />
Partie frontale<br />
Limitations motrices / physiques *<br />
Limitations des capacités cognitives<br />
Véhicules à moteur<br />
*<br />
Partie frontale haute et verticale ***(*)<br />
Partie frontale rigide *****<br />
Pare-buffle massif *<br />
Faisceaux lumineux fixes / restreints **<br />
Véhicule de couleur foncée *<br />
Insuffisances techniques du véhicule *<br />
Infrastructure<br />
Insuffisances de la planification du réseau ****<br />
Infrastructure déficitaire pour le trafic piéton transversal en<br />
localité<br />
Exemples:<br />
- absence de refuge piéton ou refuge piéton trop étroit<br />
- passage pour piétons sur plus de deux voies<br />
- feu vert conflictuel au niveau des carrefours régis par des feux<br />
de circulation<br />
- passage inférieur ou supérieur peu confortable à utiliser<br />
Infrastructure déficitaire pour le trafic piéton longitudinal<br />
Exemples:<br />
- absence de trottoir ou trottoir trop étroit<br />
- bande longitudinale pour piétons remplaçant un trottoir<br />
*****<br />
* facteur de risque dont l’influence est relativement faible<br />
****** facteur de risque dont l’influence est importante<br />
***(*) signifie que le facteur se situe entre *** et ****, ou qu’il est difficile d’évaluer<br />
précisément l’influence du facteur en question<br />
2.5 Prévention<br />
Fondée sur l’analyse des risques, la recherche de solutions aux domaines<br />
problématiques identifiés a consisté dans un premier temps à fixer des<br />
objectifs et à définir les changements devant intervenir au niveau de<br />
l’infrastructure, des véhicules et des usagers afin d’améliorer la sécurité<br />
du trafic piéton. Ces objectifs appelés possibilités de prévention ont été<br />
évalués dans l’optique de leur potentiel de réduction du nombre<br />
d’accidents ou de blessures. Voici les possibilités qui ont été retenues du<br />
fait qu’elles présentent un potentiel important, voire très important.<br />
**
30 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Des mesures<br />
s’imposent pour tous<br />
les éléments du<br />
système routier<br />
Certaines possibilités<br />
de prévention ont un<br />
faible potentiel<br />
Infrastructure:<br />
• Planification du réseau tenant compte des besoins du trafic piéton,<br />
dans l’objectif de mettre en place un réseau de chemins pour piétons<br />
ininterrompu et d’identifier les zones de conflit potentielles<br />
• Régime de vitesses en localité adapté au trafic piéton (zones 30 pour<br />
les routes d’intérêt local; vitesse limitée à 50 km/h sur les routes à<br />
orientation trafic et aménagement de possibilités de traversées sûres)<br />
• Eléments d’infrastructure spécifiques appropriés et réalisés correctement<br />
en cas de traversée locale à niveau avec ou sans priorité du trafic<br />
piéton de même qu’en cas de zone de traversée libre<br />
Conducteurs de véhicules à moteur:<br />
• Plus grande disposition à s’arrêter aux passages pour piétons<br />
• Incitation à adopter une vitesse adaptée à la situation<br />
• Plus grande prise de conscience des dangers<br />
• Prévention de l’inattention et de la distraction<br />
• Sécurisation des marches arrière<br />
Véhicules à moteur:<br />
� Parties frontales optimisées du point de vue de la sécurité (optimisation de<br />
la forme, réduction de la rigidité, capot actif, airbags extérieurs)<br />
� Systèmes d’assistance à la conduite (en particulier assistance au freinage,<br />
système électronique de détection d’objets avec fonction de freinage<br />
d’urgence intégrée, détecteurs d’obstacles arrière, systèmes de surveillance<br />
de l’état du conducteur)<br />
Piétons:<br />
� Amélioration des connaissances de la réalité routière, encouragement<br />
à adopter une attitude reflétant une prise de conscience de la sécurité<br />
et incitation à une prise de conscience adéquate des dangers chez les<br />
enfants<br />
Quant aux autres possibilités, leur potentiel est faible. Il serait p. ex. peu<br />
efficace d’encourager un comportement plus préventif lors de l’engagement<br />
sur les passages pour piétons, de promouvoir une plus grande
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 31<br />
Moins d’accidents<br />
grâce à une meilleure<br />
infrastructure et à des<br />
vitesses moins<br />
élevées…<br />
… à des véhicules<br />
équipés de<br />
technologies<br />
modernes…<br />
sécurité fonctionnelle des véhicules à moteur ou de s’employer à éviter un<br />
état de fatigue excessive chez les conducteurs.<br />
Enfin, l’analyse a porté sur les modalités de mise en œuvre des possibilités<br />
de prévention. Des mesures d’encouragement concrètes ont fait l’objet<br />
d’un examen de faisabilité; cet examen englobait les aspects du rapport<br />
coût-efficacité, de l’acceptation politique et sociale ainsi que de la faisabilité<br />
sur le plan technique (cf. tableau 2, p. 34).<br />
Il en résulte une palette très variée de possibilités d’action, classées cidessous<br />
selon la phase de prévention: primaire, secondaire ou tertiaire.<br />
Prévention primaire (éviter les accidents): il convient d’aménager<br />
l’infrastructure et l’organisation du trafic de façon à réduire de manière<br />
significative le risque de collision entre piétons et véhicules à moteur.<br />
Pourtant, l’introduction d’un réseau de chemins pour piétons complètement<br />
séparé du trafic automobile n’est pas réaliste pour des raisons pratiques<br />
et financières.<br />
La planification du réseau s’avère donc un élément déterminant; elle doit<br />
viser à mettre en place un réseau piétonnier sans lacunes et à identifier<br />
les zones de conflit potentielles. Les éléments d’infrastructure spécifiques<br />
au trafic piéton doivent absolument satisfaire aux aspects techniques de<br />
sécurité des normes VSS ou se fonder sur les connaissances actuelles en<br />
matière de sécurité des installations pour piétons. Sinon, l’amélioration de<br />
la sécurité escomptée risque de ne pas se réaliser, et même, les risques<br />
d’accident et de blessures pourraient s’en trouver accrus. Outre les éléments<br />
d’infrastructure spécifiques aux piétons, une vitesse limitée à<br />
30 km/h dans les quartiers résidentiels constitue aussi une mesure de<br />
sécurité primordiale.<br />
La réalisation de telles solutions, qui interviennent au niveau de<br />
l’infrastructure, peut être favorisée en premier lieu par la formation et la sensibilisation<br />
des ingénieurs et des planificateurs, par la réalisation de road<br />
safety audits ainsi que par l’application des normes VSS et leur étoffement.<br />
Il est aussi possible d’intervenir au niveau des véhicules pour réduire le<br />
risque d’accident. Un certain nombre de technologies prometteuses sont<br />
d’ores et déjà disponibles, comme les détecteurs d’obstacles arrière ou
32 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
… mais aussi grâce à<br />
un comportement<br />
prudent lors des<br />
traversées et à une<br />
conduite préventive<br />
Moins de blessures<br />
graves grâce à des<br />
vitesses moins<br />
élevées et à une<br />
configuration<br />
optimisée des<br />
véhicules<br />
l’assistance au freinage. Au-delà de cela, les possibilités de prévention<br />
primaire sont peu nombreuses à l’heure actuelle en ce qui concerne les<br />
véhicules. A l’avenir, toutefois, des technologies hautement efficaces, basées<br />
sur un système électronique de détection d’objets grâce à des capteurs<br />
radar ou infrarouges, permettront de diminuer sensiblement le risque<br />
de collision.<br />
L’implantation des technologies automobiles de protection des piétons<br />
nécessite une collaboration internationale (p. ex. participation à des groupes<br />
de travail de l’ONU ou de la CEE). N’étant pas membre de l’UE,<br />
n’ayant pas d’industrie automobile et ne représentant qu’un marché relativement<br />
restreint, la Suisse peut difficilement faire cavalier seul, de surcroît<br />
en raison de l’accord sur les obstacles techniques au commerce.<br />
Cependant, ce sont aussi les usagers de la route, et donc autant les piétons<br />
que les conducteurs de véhicules à moteur, qui peuvent contribuer à<br />
améliorer considérablement la sécurité du trafic piéton. De façon générale,<br />
il convient d’encourager des comportements préventifs et sûrs par<br />
une combinaison de mesures éducatives et répressives. Plus précisément,<br />
il faut notamment inciter les piétons à adopter des comportements<br />
sûrs lors des traversées (avec ou sans priorité), et les conducteurs de véhicules<br />
à moteur à s’arrêter aux passages pour piétons et à adapter leur<br />
vitesse à la situation.<br />
Chez les enfants, les mesures éducatives devraient consister en une<br />
éducation routière continue et professionnelle. Si elle est nécessaire, elle<br />
est loin d’être suffisante car les enfants ne seront jamais des usagers de<br />
la route fiables. L’éducation routière des conducteurs de véhicules à moteur<br />
(réalisée dans le cadre de la formation à la conduite ou par le biais de<br />
campagnes dans les médias, p. ex.) a probablement un plus grand impact<br />
sur la réduction du nombre d’accidents, surtout associée à des contrôles<br />
de police.<br />
Prévention secondaire (éviter les blessures): étant donné qu’il ne sera<br />
jamais possible d’éliminer complètement les accidents, il faut s’assurer<br />
par des mesures adéquates que les blessures causées par un accident<br />
soient le moins graves possible. Dans ce contexte également, une gestion<br />
efficace des vitesses peut y contribuer largement. Du fait que les piétons<br />
n’ont pas de zone déformable protectrice, il faut avant tout faire en sorte
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 33<br />
Aide médicale plus<br />
rapide =<br />
conséquences des<br />
blessures moins<br />
graves à long terme<br />
que les parties frontales des véhicules soient adaptées en vue d’optimiser<br />
la sécurité. Les parties frontales des voitures de tourisme doivent être<br />
conçues de façon à pouvoir absorber davantage d’énergie. En Suisse, les<br />
consommateurs au moins peuvent être incités à veiller, lors de l’achat<br />
d’un véhicule, à la protection non seulement des occupants mais aussi<br />
des autres usagers.<br />
Prévention tertiaire (éviter les séquelles): vu que, dans le cadre du<br />
présent travail, l’accent a volontairement été mis sur la première et sur la<br />
deuxième phase de prévention, les mesures de prévention tertiaire ne<br />
sont traitées que de façon subsidiaire. Une mesure importante consiste à<br />
réduire le laps de temps qui s’écoule entre le moment de l’accident et<br />
l’intervention des secours. Ce but peut être atteint grâce à des dispositifs<br />
qui se déclenchent automatiquement ou manuellement, et qui transmettent<br />
un signal d’alarme (avec les coordonnées du lieu de l’accident) aux<br />
services de secours compétents.<br />
Le tableau suivant récapitule les appréciations portées sur l’ensemble des<br />
mesures envisagées, appréciations qui ne tiennent pas seulement compte<br />
des bénéfices de sécurité pour les piétons, mais également du rapport<br />
coût-efficacité et de la faisabilité politique. Cette évaluation complète doit<br />
permettre d’éviter l’investissement des ressources financières dans des<br />
mesures dont la réalisation paraît d’entrée de jeu vouée à l’échec ou dont<br />
la contrepartie n’est que très faible ou incertaine. Elle couvre un horizon<br />
temporel de cinq ans environ. La mise en œuvre des mesures qualifiées<br />
de recommandées ou de vivement recommandées garantit que les<br />
moyens investis génèrent le gain de sécurité le plus élevé possible pour<br />
les piétons.
34 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Tableau 2:<br />
Récapitulation de toutes les mesures de sécurisation du trafic piéton<br />
Sécurité<br />
fonctionnelle<br />
Partie frontale<br />
Éclairage<br />
Systèmes<br />
électroni-<br />
ques<br />
Mesure Evaluation<br />
Piétons<br />
Information des parents et d’autres personnes de référence<br />
concernant les déficits liés au développement des enfants jusqu’à<br />
9 ans, et incitation à renforcer les mesures de sécurité relatives<br />
notamment au choix des itinéraires, à la visibilité, au comportement<br />
lors des traversées<br />
Information des familles et d’autres personnes de référence<br />
(médecins, organisations d’aide à domicile, Pro Senectute)<br />
concernant les déficits liés à l’âge des seniors, et incitation à<br />
renforcer les mesures de sécurité relatives notamment au choix des<br />
itinéraires, à la visibilité, au comportement lors des traversées<br />
Education routière obligatoire adaptée à l’âge des élèves (de la 1 re à<br />
la 9 e année scolaire), dispensée par des spécialistes et mettant<br />
l’accent sur le trafic piéton durant les premières années<br />
Campagnes axées sur la transmission de connaissances et la prise<br />
de conscience des dangers par les piétons<br />
Campagnes en faveur d’un comportement plus préventif lors de<br />
l’engagement sur les passages pour piétons<br />
Véhicules à moteur<br />
Intensification des contrôles des véhicules à moteur<br />
(expertise des types et contrôles périodiques cantonaux)<br />
Information / sensibilisation, par le biais de la presse écrite et des<br />
médias électroniques, des acheteurs potentiels de voitures de<br />
tourisme en ce qui concerne la protection des autres usagers<br />
En collaboration internationale, définition d’exigences concernant les<br />
parties frontales des voitures de tourisme en vue de la protection<br />
des piétons<br />
Interdiction générale de toutes les sortes de pare-buffles<br />
Exigences plus strictes que celles prévues dans la directive<br />
européenne (2003/102/CE) pour les véhicules en matière de<br />
protection des piétons<br />
Information / sensibilisation, par le biais de la presse écrite et des<br />
médias électroniques, des acheteurs potentiels de voitures de<br />
tourisme en ce qui concerne les phares avant avec éclairage<br />
optimisé<br />
Information des clients concernant les nouvelles technologies<br />
automobiles et celles déjà bien établies<br />
Obligation légale d’équiper les véhicules sans rétroviseur intérieur<br />
(en particulier fourgonnettes) de détecteurs d’obstacles arrière<br />
Recommandé sous réserve<br />
(efficacité difficile à évaluer;<br />
coûts élevés pour un potentiel<br />
de réduction du nombre<br />
d’acc./de blessures plutôt faible)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(efficacité difficile à évaluer;<br />
coûts élevés pour un potentiel<br />
de réduction du nombre<br />
d’acc./de blessures plutôt faible)<br />
Vivement recommandé<br />
(mesure fondamentale<br />
indispensable mais non<br />
suffisante)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(fixation des objectifs difficile;<br />
coûts élevés pour un potentiel<br />
de réduction du nombre<br />
d’acc./de blessures plutôt faible)<br />
Pas recommandé<br />
(coûts élevés pour un faible<br />
potentiel de réduction du<br />
nombre d’acc./de blessures)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coûtefficacité)<br />
Recommandé<br />
Recommandé<br />
Pas recommandé<br />
(aucune utilité, les pare-buffles<br />
n’étant autorisés que s’ils<br />
permettent un gain de sécurité)<br />
Pas recommandé<br />
(pas réalisable sur le plan<br />
politique)<br />
Recommandé<br />
Recommandé<br />
Recommandé
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 35<br />
– Suite du tableau 2 –<br />
Aptitude à la conduite<br />
Capacité de conduire: entraves dues à la consommation<br />
de certaines substances<br />
Systèmes incitatifs visant à promouvoir les technologies automobiles<br />
avec un fort potentiel de sécurité<br />
Campagnes visant une meilleure acceptation des technologies<br />
automobiles souffrant d’une image négative<br />
Conducteurs de véhicules à moteur<br />
Extension du test obligatoire de la vue: examen de l’acuité visuelle à<br />
l’aube et au crépuscule ainsi que de la sensibilité à l’éblouissement<br />
Obligation légale de faire contrôler périodiquement l’acuité visuelle<br />
(diurne et nocturne)<br />
Brochures d’information pour sensibiliser les conducteurs aux déficits<br />
sensori-moteurs et à leurs conséquences<br />
Examen plus strict de l’aptitude à la conduite<br />
Campagne dans les médias pour sensibiliser et informer la<br />
population sur les déficits sensori-moteurs et leurs conséquences<br />
Recommandé sous réserve<br />
(faisabilité et efficacité encore<br />
incertaines)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coût-efficacité)<br />
Recommandé<br />
Recommandé<br />
Recommandé<br />
Recommandé sous réserve<br />
(rapport coût-efficacité<br />
défavorable en ce qui concerne<br />
la sécurité des piétons)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coûtefficacité<br />
en ce qui concerne<br />
la sécurité des piétons)<br />
Cours d’éducation routière proposé dès le premier retrait de permis Recommandé<br />
Abaissement à 0,0‰ du taux limite d’alcool pour les conducteurs<br />
novices durant la période probatoire<br />
Multiplication des contrôles de l’alcoolémie (sans indice d’ébriété)<br />
annoncés et bien visibles, en combinaison avec une campagne dans<br />
les médias<br />
Pictogramme sur les notices d’emballage des médicaments mettant<br />
en garde contre les effets négatifs de ceux-ci sur la capacité de<br />
conduire<br />
Procédure de sanction accélérée<br />
Autorisation légale de procéder à des contrôles inopinés de<br />
consommation de stupéfiants et validité juridique des résultats des<br />
tests rapides<br />
Systèmes de surveillance de l’état du conducteur en vue du contrôle<br />
de la capacité de conduire<br />
Campagne dans les médias sur le thème des médicaments et des<br />
stupéfiants<br />
Recommandé<br />
(utilité limitée pour les piétons)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(rapport coût-efficacité<br />
défavorable en ce qui concerne<br />
la sécurité des piétons)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(rapport coût-efficacité<br />
défavorable en ce qui concerne<br />
la sécurité des piétons)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(rapport coût-efficacité<br />
défavorable en ce qui concerne<br />
la sécurité des piétons)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(fiabilité des appareils encore<br />
insuffisante)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coût-efficacité<br />
en ce qui concerne la sécurité<br />
des piétons)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coût-efficacité<br />
en ce qui concerne la sécurité<br />
des piétons)
36 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
– Suite du tableau 2 –<br />
Capacité de conduire:<br />
entraves endogènes<br />
Compétences de<br />
conduite<br />
Comportement au volant: vitesse<br />
Information de la population au moyen de brochures, d’Internet, etc.,<br />
sur la problématique des communications téléphoniques au volant<br />
Interdiction de téléphoner au volant en localité (y compris avec un<br />
dispositif mains libres)<br />
Interdiction générale de téléphoner au volant (y compris avec un<br />
dispositif mains libres)<br />
Campagne de sensibilisation des usagers de la route à la fatigue au<br />
volant<br />
Promotion de systèmes techniques de surveillance de la vigilance et<br />
de la distraction visuelle<br />
Recommandé<br />
Recommandé sous réserve<br />
(faisabilité politique pas claire)<br />
Pas recommandé<br />
(actuellement pas réalisable sur<br />
le plan politique)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coût-efficacité<br />
en ce qui concerne la sécurité<br />
des piétons)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coût-efficacité<br />
en ce qui concerne la sécurité<br />
des piétons)<br />
Réalisation correcte de la nouvelle formation à la conduite Vivement recommandé<br />
Restrictions de conduite pour les nouveaux conducteurs<br />
Cours de répétition périodiques obligatoires pour les conducteurs de<br />
véhicules à moteur<br />
Combinaison d’une campagne et de contrôles de vitesse renforcés<br />
en localité (fixes aux endroits dangereux, mobiles ailleurs avec<br />
préavis et feed-back)<br />
Campagne médias seule sur le comportement relatif à la vitesse<br />
Introduction d’un système de permis à points pour remplacer le<br />
système en cascade<br />
Mise en place de panneaux indicateurs de vitesse<br />
Campagne avec point de mire sur le groupe d’usagers caractérisés<br />
par un comportement extrême<br />
Recommandé sous réserve<br />
(seulement si modèle en deux<br />
phases devait être moins<br />
efficace qu’escompté)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coût-efficacité<br />
en ce qui concerne la sécurité<br />
des piétons)<br />
Vivement recommandé<br />
Recommandé sous réserve<br />
(plutôt pertinent en combinaison<br />
avec des contrôles de police)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(seulement si le système en<br />
cascade devait ne pas<br />
s’imposer)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(rapport coût-efficacité<br />
défavorable en ce qui concerne<br />
la sécurité des piétons / effets<br />
négatifs pas exclus)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coût-efficacité)
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 37<br />
– Suite du tableau 2 –<br />
Comportement au volant:<br />
respect des priorités<br />
Formation des ingénieurs et<br />
des planificateurs<br />
Instruments de<br />
contrôle de la<br />
sécurité<br />
Normes<br />
Possibilités<br />
juridiques<br />
Combinaison d’une campagne et de contrôles de police visant à faire<br />
respecter la priorité aux passages pour piétons<br />
Campagne médias seule sur le respect des priorités<br />
Brochures d’information sur la problématique des marches arrière<br />
Renforcement des sanctions en cas de refus de priorité<br />
Campagne de lutte contre les marches arrière imprudentes<br />
Infrastructure<br />
Formation initiale: sensibilisation aux questions de sécurité routière et<br />
transmission de connaissances spécifiques de base<br />
Formation continue / perfectionnement: organisation et coordination de<br />
rencontres spécialisées ainsi que formation continue obligatoire<br />
Tant pendant la formation initiale que pendant la formation continue et<br />
le perfectionnement, l’accent doit être mis sur les sujets suivants:<br />
• principes guidant la sécurité du trafic piéton (y compris faux<br />
sentiment de sécurité);<br />
• planification globale du réseau;<br />
• traversées adaptées aux piétons;<br />
• thèmes spéciaux (régime de vitesses 30/50 selon le modèle du bpa,<br />
entretien des routes respectueux des piétons);<br />
• bases légales et techniques dans leur ensemble.<br />
Vivement recommandé<br />
Recommandé sous réserve<br />
(plutôt pertinent en<br />
combinaison avec des<br />
contrôles de police)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(efficacité difficile à évaluer)<br />
Pas recommandé<br />
(peu d’effets supplémentaires<br />
sur la sécurité à escompter<br />
compte tenu du niveau de<br />
sanctions actuel)<br />
Pas recommandé<br />
(mauvais rapport coûtefficacité)<br />
Vivement recommandé<br />
Intégration systématique des safety audits dans les projets Vivement recommandé<br />
Réalisation de road safety inspections aux traversées<br />
Gestion des points noirs (black spot management)<br />
Importance juridique plus grande à accorder aux normes VSS, en en<br />
faisant des instructions du DETEC ou en les reconnaissant comme<br />
état de la technique dans les lois sur les constructions<br />
Soutien des efforts actuels visant à compléter les normes VSS en<br />
rapport avec le trafic piéton (en particulier le groupe de normes sur les<br />
traversées)<br />
Plainte contre l’exploitant d’une infrastructure déficitaire en cas<br />
d’accident<br />
Récupération par la Confédération des planifications du réseau<br />
(actualisées)<br />
Soutien financier de projets infrastructurels consacrés au trafic piéton<br />
(Fonds pour le trafic d’agglomération et les routes nationales)<br />
Vivement recommandé<br />
Pas recommandé<br />
(dispersion des accidents)<br />
Recommandé sous réserve<br />
(faible acceptation,<br />
changements ralentis)<br />
Vivement recommandé<br />
Recommandé sous réserve<br />
(obstacles et risque financier<br />
trop grands)<br />
Recommandé<br />
Vivement recommandé
38 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
– Suite du tableau 2 –<br />
Relations<br />
publiques<br />
Valoriser l’importance<br />
de<br />
l’infrastructure<br />
Sensibilisation de la population quant à l’importance des mesures<br />
portant sur l’infrastructure et améliorant la sécurité<br />
Etroite collaboration avec les autorités compétentes; réalisation de<br />
conseils techniques, colloques, cours de formation continue, forums<br />
2.6 Conclusions<br />
Recommandé sous réserve<br />
(rapport coût-efficacité<br />
défavorable)<br />
Recommandé<br />
Le présent rapport traite de la sécurité des piétons dans la circulation routière.<br />
Sur la base d’une analyse complète des accidents, des résultats de<br />
recherche existants et d’avis d’experts, les facteurs de risque les plus importants<br />
ont été dégagés; des possibilités de prévention et des mesures visant à<br />
améliorer la sécurité du trafic piéton ont ensuite été déduites. Mesures le<br />
plus vivement recommandées:<br />
• planification du réseau et prise en compte des besoins du trafic piéton<br />
pour tisser des réseaux de chemins pour piétons ininterrompus<br />
et prévoir des éléments d’infrastructure spécifiques appropriés au<br />
niveau des traversées notamment;<br />
• mesures éducatives, légales et constructives pour obtenir une gestion<br />
de la vitesse du trafic motorisé respectueuse des piétons (zones<br />
30 pour les routes d’intérêt local, éléments d’aménagement spécifiques<br />
sur les routes à orientation trafic, contrôles de vitesse, campagnes<br />
de prévention associées à des contrôles de police, sensibilisation<br />
dans le cadre de la formation à la conduite);<br />
• optimisation des parties frontales des voitures de tourisme pour<br />
une meilleure protection des autres usagers de la route;<br />
• encouragement à l’adoption d’une conduite respectueuse des autres<br />
usagers, en particulier disposition à s’arrêter aux passages<br />
pour piétons;<br />
• éducation routière obligatoire pour les enfants et les jeunes (de la 1 re<br />
à la 9 e année scolaire), dispensée par des spécialistes et mettant<br />
l’accent sur le trafic piéton durant les premières années.
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 39<br />
Base decisionale<br />
attendibile per il<br />
Fondo di sicurezza<br />
stradale<br />
Figura 1:<br />
Contributi della<br />
gestione della<br />
conoscenza nel ciclo<br />
di risoluzione dei<br />
problemi nella<br />
prevenzione degli<br />
infortuni<br />
3. Riassunto<br />
3.1 Mandato<br />
Il Fondo di sicurezza stradale intende impostare la propria politica di ripartizione<br />
dei contributi sulla riduzione dei punti ad alta sinistrosità e sull'adozione<br />
di misure efficaci. A tal fine necessita di basi decisionali attendibili.<br />
Pertanto il Fondo ha incaricato la sezione Ricerca dell'Ufficio prevenzione<br />
infortuni upi di far analizzare i punti ad alta incidentalità del traffico<br />
stradale. Più precisamente l'analisi doveva descrivere lo stato e l'evoluzione<br />
dell'incidentalità, individuare i fattori di rischio e la loro importanza,<br />
valutare misure preventive e formulare raccomandazioni concrete<br />
per la prevenzione degli incidenti in Svizzera. Questo avvalendosi per<br />
quanto possibile dei risultati evidenziati dall'epidemiologia descrittiva e<br />
analitica, dalle ricerche di mercato, da studi dell'impatto potenziale e dell'utilità<br />
effettiva delle misure. La figura 1 mostra come la risposta a questi<br />
interrogativi permette di ottimizzare il processo di risoluzione dei problemi<br />
nel campo della prevenzione degli incidenti. Le valutazioni aggiuntive e i<br />
pareri degli esperti sono dichiarati come tali e presentati in modo comprensibile.<br />
Descrizione del<br />
livello di sicurezza<br />
(cosa succede?)<br />
Verifica<br />
dell’attuazione,<br />
effetti e ripercussioni<br />
delle misure<br />
(cosa funziona?)<br />
Controllo<br />
dei risultati<br />
(valutazione)<br />
Attuazione<br />
e coordinamento<br />
delle misure<br />
Analisi della<br />
situazione<br />
(monitoraggio)<br />
Programmi di<br />
prevenzione<br />
Obiettivi<br />
Definizione<br />
dei fattori di rischio<br />
e dei gruppi a rischio<br />
(come succede?)<br />
Analisi delle possibilità<br />
d’intervento<br />
(come si può evitare?)
40 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Raccomandazioni<br />
basate su quattro fasi<br />
analitiche<br />
100 pedoni morti e<br />
800 feriti gravi l'anno<br />
I bambini e gli anziani<br />
sono particolarmente<br />
a rischio<br />
3.2 Metodica<br />
Il presente studio si articola in quattro fasi che nella loro somma garantiscono<br />
che le raccomandazioni formulate non siano basate unicamente su<br />
ipotesi e conoscenze generali, ma abbiano una solida base scientifica e una<br />
rilevanza significativa per la sinistrosità dei pedoni (figura 2). Pur essendo<br />
secondari, alcuni temi sono stati trattati poiché rivestono un'importanza<br />
particolare per l'opinione pubblica o per determinati gruppi. Sono stati<br />
elaborati anche approcci innovativi di prevenzione che presentano ancora<br />
una bassa evidenza di discussione (p. es. sistemi di assistenza alla guida<br />
o provvediementi per migliorare la quota dei veicoli che si fermano davanti<br />
al passaggio pedonale).<br />
3.3 Sinistrosità<br />
Ogni anno, mediamente 2700 pedoni subiscono lesioni dovute a un incidente,<br />
di questi annualmente 800 pedoni restano coinvolti in un incidente<br />
grave e 100 in uno mortale. La gravità di ferita dei pedoni è molto alta rispetto<br />
alle altre vittime della circolazione stradale. Mediamente su tutti i<br />
gruppi di utenti della strada, su 10 000 vittime circa 180 persone riportano<br />
lesioni mortali (case fatality). Tra i pedoni questo valore è più che due<br />
volte superiore: su 10 000 pedoni coinvolti in un incidente quasi 390 riportano<br />
lesioni mortali. La case fatality dei pedoni dipende - oltre che dalla<br />
velocità di collisione - fortemente anche dall'età della persona coinvolta e<br />
dall'altro utente coinvolto nella collisione.<br />
I bambini fino a 14 anni e gli anziani di 65 anni e più sono coinvolti in misura<br />
superiore alla media in incidenti pedonali gravi. La gravità delle lesioni<br />
aumenta con la maggiore età. Gli anziani tra i 65 e i 74 anni presentano<br />
una gravità di lesione quasi 2 volte superiore, gli anziani di oltre<br />
74 anni persino una 3 volte superiore rispetto alla media di tutti i pedoni<br />
coinvolti in un incidente.
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 41<br />
Figura 2:<br />
Fasi analitiche e<br />
fonti<br />
d'informazione<br />
Incidente tipico:<br />
collisione<br />
nell'attraversare su<br />
una strada urbana<br />
Gravità delle lesioni<br />
dipende da numerosi<br />
fattori<br />
I pedoni subiscono oltre il 70% delle lesioni gravi e mortali quando attraversano<br />
la carreggiata (in part. nell'abitato). I veicoli antagonisti più frequenti<br />
sono gli automobilisti, ma per i pedoni le lesioni più gravi risultano<br />
negli incidenti con un veicolo commerciale (autocarro, autofurgone) o un<br />
bus.<br />
Le peculiarità dei fattori che aumentano la gravità delle lesioni dei pedoni<br />
sono per esempio: anziani, uomini, collisione longitudinale, utente coinvolto<br />
nella collisione pesante/grande, strada extraurbana, non sul passaggio<br />
pedonale, salita, velocità elevata, incidenti notturni.
42 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Oltre la metà di tutti<br />
gli incidenti sono<br />
causati solo dai<br />
conducenti di un<br />
veicolo<br />
La sicurezza dei<br />
pedoni necessità<br />
misure appropriate<br />
Probabilità d'incidente<br />
influenzata da aspetti<br />
cognitivi e<br />
motivazionali<br />
Al 70% dei bambini<br />
coinvolti in un<br />
incidente viene<br />
attribuito un<br />
comportamento<br />
erroneo<br />
Dai verbali della polizia emerge che il 54% delle collisioni con pedone<br />
sono imputabili esclusivamente agli altri utenti coinvolti nell'incidente, che<br />
il 28% è imputabile esclusivamente ai pedoni e che nel 18% le colpe si<br />
suddividono equamente tra i due utenti. Le cause principali tra i pedoni<br />
sono l'"attraversamento imprudente (camminare)" e l'"attraversare la carreggiata<br />
di corsa", mentre per gli altri utenti coinvolti nella collisione la<br />
causa più frequente è la "non osservanza dell'obbligo di fermarsi davanti<br />
al passaggio pedonale".<br />
Benché nel paragone europeo la Svizzera si collochi nella media classifica<br />
e benché i pedoni si infortunino più raramente rispetto alla maggior<br />
parte degli altri utenti della strada, sono necessarie delle misure appropriate.<br />
Oltre a essere particolarmente esposti ai rischi della circolazione<br />
stradale, i bambini riportano anche lesioni di elevata gravità, pertanto si<br />
impongono misure che aumentano la sicurezza pedonale.<br />
3.4 Fattori di rischio<br />
Il traffico pedonale si vede confrontato con molteplici fattori di rischio.<br />
Sono stati esaminati i fattori di rischio di tutti e tre i livelli di sistema: essere<br />
umano, veicolo e infrastruttura (vedi tabella 1, p. 45).<br />
Tra i pedoni sussistono principalmente rischi legati ai processi dello sviluppo<br />
e dell'età. I bambini e gli anziani corrono rischi in particolare per<br />
causa dei deficit cognitivi e per quelli legati all'elaborazione delle informazioni.<br />
Nel caso dei bambini, inoltre, la maggiore esposizione ai rischi è<br />
dovuta agli aspetti motivazionali (in particolare quando sono assorti nel<br />
gioco).<br />
I bambini fino a 14 anni rappresentano il 22% circa dei pedoni coinvolti in<br />
un incidente grave o mortale. Tale quota supera nettamente la loro quota<br />
rispetto alla popolazione o all'esposizione. Il rischio d'incidente superiore<br />
alla media è riconducibile a diversi fattori. Tuttavia è presumibile che la<br />
cognizione deficitaria sia uno dei fattori principali: un bambino che per<br />
esempio non valuta corretamente la velocità di un veicolo che si avvicina,<br />
rischia facilmente di essere investito mortalmente mentre attraversa la<br />
strada. Non sorprende pertanto che ai bambini tra 0 e 6 anni e a quelli tra
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 43<br />
Gli anziani coinvolti in<br />
un incidente sono<br />
spesso innocenti; non<br />
sono in grado di<br />
reagire in modo<br />
adeguato agli errori<br />
altrui<br />
Pedoni in pericolo per<br />
il comportamento<br />
inadeguato dei<br />
conducenti di veicoli a<br />
motore<br />
7 e 14 anni in caso di collisione venga imputato al 70% circa un comportamento<br />
erroneo.<br />
Globalmente meno rilevanti in materia di sicurezza sono per i pedoni i seguenti<br />
fattori: esigua altezza dei bambini, lacunose nozioni fondamentali<br />
relativi alla circolazione stradale, insufficiente consapevolezza dei pericoli<br />
da parte dei pedoni.<br />
I pedoni gravemente feriti e morti che hanno superato i 65 anni, raggiungono<br />
quasi un terzo di tutti i pedoni coinvolti in un incidente grave o mortale.<br />
Su un chilometro percorso, gli anziani subiscono per un multiplo più<br />
spesso lesioni gravi o mortali rispetto agli adulti più giovani: a partire dai<br />
70 anni quasi due volte più frequentemente e a partire da 85 anni più di<br />
cinque volte più spesso. Questo fatto non dipende solo dall'elevata vulnerabilità.<br />
Visto che il 70% degli anziani feriti gravemente o morti restano<br />
coinvolti in un incidente senza propria colpa, è ben probabile che gli anziani<br />
riportino lesioni perché non riescono a reagire agli errori degli altri<br />
utenti della strada (p. es. non osservanza dell'obbligo di doversi fermare<br />
davanti al passaggio pedonale). Il 60% degli incidenti imputabili agli anziani<br />
sono dovuti al fatto che la persona non fa attenzione quando accede<br />
sulla strada; e questo certamente anche perché l'anziano percepisce ed<br />
elabora in modo erroneo le informazioni.<br />
Specialmente il comportamento inadeguato dei conducenti dei veicoli<br />
coinvolti nella collisione rappresenta un pericolo per i pedoni. I fattori più<br />
negativi sono: superamento del limite di veolcità, velocità inadeguata,<br />
mancato rispetto del diritto di precedenza davanti al passaggio pedonale<br />
e retromarcia imprudente. Questi sono spesso riconducibili a una cognizione<br />
del pericolo e a un autocontrollo insufficienti. Ciò significa che i conducenti<br />
non presentano difficoltà basilari a guidare il veicolo, ma non realizzano<br />
la pericolosità delle loro azioni. Un ulteriore problema è rappresentato<br />
dalle distrazioni che possono essere sia di natura visuale che<br />
mentale (p. es. sguardo non rivolto sull'area di circolazione oppure conversazione<br />
telefonica).<br />
Meno considerevole per la sinistrosità dei pedoni è stata classificata la<br />
guida sotto l'effetto di sostanze (alcol, droghe illegali, medicamenti) o in
44 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Autoveicoli sono fonte<br />
di pericolo principale<br />
per i pedoni<br />
Rete di percorsi<br />
pedonali lacunosa ed<br />
elementi<br />
infrastrutturali<br />
subottimali sono fonti<br />
di pericolo per pedoni<br />
Conclusioni:<br />
La sicurezza dei<br />
pedoni dipende<br />
soprattutto da fattori<br />
che questi possono<br />
influenzare solo poco.<br />
stato di eccessiva stanchezza, l'insufficiente padronanza del veicolo e la<br />
ridotta capacità negli ambiti percezione, motorica e cognizione.<br />
I pedoni sono coinvolti principalmente in collisioni con autoveicoli. Per<br />
contro, i motoveicoli e le biciclette in particolare sono di importanza secondaria.<br />
Decisive sono specialmente le due caratteristiche geometricostrutturali del<br />
frontale dell'auto: forma e rigidità. Un rischio maggiorato di subire lesioni<br />
gravi sussiste soprattutto se il frontale dell'auto è alto, ripido e rigido. Un<br />
frontale dell'auto alto e ripido comporta contemporaneamente il pericolo di<br />
un primario urto (della testa) con conseguente proiettamento e un secondario<br />
urto sulla strada. La rigidità del frontale non lascia quasi possibilità a<br />
deformazioni, comportando di conseguenza elevati carichi d'accelerazione.<br />
Di esigua rilevanza per l'incidente sono per contro la massa del veicolo, i<br />
bull bar, la vernice scura o i fasci luminosi rigidi dei fari convenzionali.<br />
L'infrastruttura presenta il seguente pericolo principale per il traffico pedonale:<br />
è destinato primariamente al traffico motorizzato. Spesso manca<br />
una pianificazione globale della rete che tiene conto anche dei bisogni del<br />
traffico pedonale. Ne consegue una rete lacunosa per il traffico pedonale<br />
e vengono a mancare anche le informazioni relative ai potenziali punti<br />
nevralgici. Una rete capillare è necessaria – in particolare per quanto riguarda<br />
gli elementi di attraversamento – ma non è ancora sufficiente. Sicurezza<br />
sufficiente è data solo se per i potenziali punti nevralgici si progettano<br />
elementi adeguati (nel senso di best-practice) e se questi sono<br />
realizzati in modo corretto e a misura di disabili.<br />
Complessivamente è emerso che i fattori di rischio provenienti dall'infrastruttura<br />
presentano la principale rilevanza per i pedoni. Seguono fattori di<br />
rischio che sono da collocare tra i conducenti di un veicolo a motore e i<br />
loro veicoli. In rapporto a questi, i rischi provenienti dai pedoni stessi – fa<br />
eccezione la cognizione deficitaria di bambini e anziani che però non può<br />
quasi essere eliminata – sono complessivamente meno rilevanti per i pedoni.
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 45<br />
Tabella 1:<br />
Il significato di diversi<br />
fattori di rischio<br />
Idoneità<br />
Competenza<br />
Capacità<br />
Comportamento<br />
Comportamento<br />
alla guida<br />
Capacità di guida<br />
Competenza<br />
di guida<br />
Idoneità alla guida<br />
Frontale<br />
dell'auto<br />
Fattore di rischio<br />
Pedoni<br />
Rilevanza<br />
incidente<br />
(pedoni che<br />
hanno subito<br />
incidente grave<br />
e mortale)<br />
Cognizione deficitaria tra bambini e anziani ****<br />
Bambini distratti da attività ludica **(*)<br />
Statura piccola *<br />
Conoscenze insufficienti della realtà stradale **<br />
Atteggiamento pregiudizievole per la sicurezza /<br />
insufficiente senso del pericolo<br />
Consumo eccessivo di alcol *(*)<br />
Comportamento illecito **<br />
Visibilità insufficiente ***<br />
Conducenti<br />
Superamento del limite di velocità e scelta di una<br />
velocità inadeguata<br />
Non osservanza del diritto di precedenza davanti al<br />
passaggio pedonale<br />
**<br />
**** ( * )<br />
*****<br />
Rinuncia all'uso delle luci di circolazione diurne *<br />
Retromarcia imprudente ****<br />
Guida in stato di ebrietà **<br />
Guida sotto l'influsso di droghe illegali (compresa<br />
assunzione congiunta con alcol)<br />
*<br />
Guida sotto l'influsso di farmaci limitanti le capacità *<br />
Guida in stato di eccessiva stanchezza *<br />
Distrazione visiva e mentale dalla guida **(*)<br />
Scarsa padronanza del veicolo<br />
Scarsa cognizione del pericolo e scarso autocontrollo ***<br />
Capacità visive diurne ridotte<br />
(visus, accomodazione, deficit del campo visivo)<br />
Capacità visive notturne ridotte (sensibilità<br />
all'abbagliamento e visione mesopica)<br />
Capacità uditive ridotte (campo audio, valore di soglia) -<br />
Limitazioni fisico-motorie *<br />
Limitazioni delle capacità cognitive *<br />
Veicoli a motore<br />
Frontali dalle forme aggressive *** ( * )<br />
Frontali troppo rigidi *****<br />
Bull bar massicci *<br />
Fascio di luce fisso/limitato **<br />
Carrozzeria di colore scuro *<br />
( * )<br />
*<br />
*
46 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Tutti gli elementi di<br />
sistema necessitano<br />
di interventi<br />
– Continuazione tabella 1 –<br />
Difetti tecnici del veicolo *<br />
Infrastruttura<br />
Assenza di pianificazione di una rete ****<br />
Infrastruttura carente per i pedoni che attraversano<br />
nell’abitato<br />
Esempi:<br />
• isola salvagente mancante o troppo stretta<br />
• passaggio pedonale ubicato su più di due corsie<br />
• luce verde con traffico in conflitto negli incroci<br />
semaforizzati<br />
• cavalcavia o sottopassaggio non a misura di utente<br />
Infrastruttura carente per il traffico pedonale in direzione<br />
longitudinale<br />
Esempi:<br />
• marciapiede mancante o troppo stretto<br />
• corsia pedonale longitudinale al posto di marciapiede<br />
*****<br />
* Fattore di rischio relativamente<br />
incidente<br />
ufficienti tivo per la comparsa di lesioni dovute a un<br />
****** Fattore di rischio di elevata rilevanza<br />
***(*) Significa una forma ibrida tra *** e **** oppure anche che è difficile valutare con<br />
precisione la fattispecie.<br />
3.5 Prevenzione<br />
In base all’analisi del rischio si cercano soluzioni per ridurre i problemi<br />
evidenziati. Dapprima sono stati fissati gli obiettivi ed è stato mostrato<br />
cosa deve cambiare nell’ambito dell’infrastruttura, dei veicoli e degli utenti<br />
della strada affinché possa essere aumentata la sicurezza del traffico pedonale.<br />
Questi obiettivi definiti possibilità di prevenzione sono stati valutati<br />
secondo il loro potenziale di riduzione del numero delle vittime. Il potenziale<br />
di riduzione del numero delle vittime dipende dal numero di incidenti<br />
o lesioni influenzabile. Le seguenti possibilità di prevenzione presentano<br />
un potenziale elevato/molto elevato.<br />
Infrastruttura<br />
• Pianificare una rete tenendo conto delle esigenze del traffico pedonale<br />
perseguendo l’obiettivo di realizzare una rete di percorsi pedonali capillare<br />
e di identificare i punti nevralgici<br />
**
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 47<br />
Singole possibilità di<br />
prevenzione<br />
denotano un esiguo<br />
potenziale<br />
• Limiti di velocità adeguati per il traffico pedonale nell’abitato (30 km/h<br />
sulle strade a funzione di servizio, 50 km/h sulle strade a funzione di<br />
traffico con attraversamenti sicuri)<br />
• Elementi infrastrutturali specifici per i pedoni adeguati e ufficient a regola<br />
d’arte per l’attraversamento puntuale su un piano con precedenza<br />
per i pedoni e senza precedenza per i pedoni nonché per gli attraversamenti<br />
sparsi<br />
Conducenti di un veicolo a motore<br />
• riduzione della non osservanza dell’obbligo di doversi fermare davanti al<br />
passaggio pedonale<br />
• Promuovere la velocità adeguata alla situazione<br />
• Aumentare il senso del pericolo<br />
• Evitare disattenzione e distrazione<br />
• Promuovere retromarcia sicura<br />
Veicoli a motore<br />
� Frontale dell’auto migliorato dal punto di vista della sicurezza (migliorare<br />
forma, ridurre rigidità, cofano motore attivo, airbag esterni)<br />
� Sistemi di assistenza alla guida (in particolare sistema di frenatura, sistemi<br />
elettronici di rilevamento di un oggetto con freno d’emergenza integrato,<br />
sensori per la retromarcia, sistemi di sorveglianza del conducente)<br />
Pedoni<br />
� Promozione delle conoscenze in materia di traffico, degli atteggiamenti<br />
sicuri e di un adeguato senso del pericolo tra i bambini<br />
Altre possibilità di prevenzione denotano invece un esiguo potenziale di<br />
riduzione del numero delle vittime. Per il traffico pedonale dovrebbero risultare<br />
poco utili per esempio gli impegni per promuovere un uso moderato<br />
(difensivo) dei passaggi pedonali, la promozione della sicurezza di<br />
funzionamento dei veicoli a motore che va oltre lo stato attuale o la focalizzazione<br />
mirante a prevenire la guida in stato di eccessiva stanchezza.<br />
In seguito sono state analizzate le modalità di realizzazione delle possibilità o<br />
degli obiettivi di prevenzione. È stata vagliata l’attuabilità di concrete mi-
48 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
Meno incidenti grazie<br />
a miglioramento<br />
dell’infrastruttura e a<br />
riduzione della<br />
velocità …<br />
… grazie a tecnologie<br />
moderne nel veicolo …<br />
sure di promozione in considerazione del rapporto costi/utilità, dell’approvazione<br />
sociale e politica e della fattibilità tecnica (tabella 2, p. 50).<br />
Ne è risultata una gamma molto variata di possibilità d’intervento suddivise<br />
in tre fasi e presentate di seguito come prevenzione primaria, secondaria<br />
e terziaria.<br />
Prevenzione primaria (prevenzione di incidenti): occorre impostare<br />
l’infrastruttura e l’organizzazione del traffico stradale in modo da ridurre<br />
drasticamente le probabilità di collisione tra pedoni e veicoli a motore. La<br />
realizzazione di una rete di percorsi pedonali completamente separata dal<br />
traffico automobilistico è irrealistico per ragioni pratiche ed economiche.<br />
Pertanto è fondamentale progettare una rete che mira a una rete di percorsi<br />
pedonali capillare e all’individuazione dei punti di conflitto. Quando si<br />
progetta gli elementi infrastrutturali specifici, è imperativo tener conto degli<br />
aspetti in materia di sicurezza e tecnica delle norme VSS oppure dello<br />
stato dell’arte relativo alla sicurezza degli impianti per il traffico pedonale.<br />
Altrimenti si rischia non solo di mancare l’obiettivo di una maggiore sicurezza,<br />
ma potrebbe persino aumentare il rischio d’incidenti o di riportare<br />
lesioni. Oltre agli elementi infrastrutturali specifici per il traffico pedonale,<br />
anche il limite di 30 km/h riveste importanza centrale per la sicurezza nei<br />
quartieri residenziali.<br />
L’attuazione di soluzioni infrastrutturali compatibili con la sicurezza stradale<br />
può in prima linea essere incentivata con una formazione e sensibilizzazione<br />
degli ingegneri e pianificatori, con l’esecuzione di Safety Audit e<br />
con il completamento e l’attuazione delle norme VSS.<br />
Per ridurre la probabilità di incidente, si può intervenire anche sui veicoli.<br />
Già oggi sono in commercio alcune tecnologie promettenti come p. es. i<br />
sensori di retromarcia e gli assistenti alla frenata. Oltre questo campo, per<br />
i veicoli a motore le possibilità di prevenzione primaria sono alquanto esigue.<br />
Per prevenire una collisione, in futuro saranno tuttavia a disposizione<br />
tecnologie efficacissime basate sul rilevamento radar o a sensori infrarossi<br />
dell’oggetto.<br />
L’implementazione delle tecnologie di protezione pedoni relative al veicolo<br />
necessita della collaborazione internazionale (p. es. partecipazione nei
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 49<br />
… ma anche grazie a<br />
un attraversamento<br />
prudente e una guida<br />
difensiva<br />
Meno lesioni gravi<br />
grazie a velocità<br />
ridotte e migliore<br />
struttura del veicolo<br />
Soccorso medico più<br />
rapito = decorso<br />
meno grave delle<br />
lesioni<br />
gruppi di lavoro di ONU/ECE). L’Alleingang (cioè l’azione unilaterale) della<br />
Svizzera è possibile solo limitatamente per i seguenti motivi: la Svizzera<br />
non è membro dell’Ue, è priva di industria automobilistica propria, dispone<br />
di un piccolo mercato di vendita, esistono accordi sulle barriere al libero<br />
scambio.<br />
Tuttavia anche gli utenti della strada – quali potenziali utenti antagonisti,<br />
siano essi pedoni o conducenti di un veicolo a motore – possono contribuire<br />
notevolmente alla sicurezza del traffico pedonale. In un’ottica generale<br />
va promosso un comportamento alla guida cooperativo e improntato<br />
alla sicurezza in combinazione di provvedimenti educativi e repressivi.<br />
Occorre incoraggiare i pedoni ad attraversare la strada (con e senza precedenza)<br />
in modo sicuro e i conducenti dei veicoli a motore a rispettare<br />
l’obbligo di doversi fermare davanti al passaggio pedonale e a circolare a<br />
una velocità adeguata.<br />
Le misure educative per i bambini dovrebbero svolgersi sotto forma di<br />
un’educazione stradale continua e professionale. Benché i bambini non<br />
diventino mai partner della strada affidabili, i provvedimenti citati prima<br />
sono necessari ma non ufficienti. L’educazione stradale dei conducenti<br />
di un veicolo a motore (p. es. durante la scuolaguida o tramite campagne<br />
massmediali) si ripercuote probabilmente di più sulla riduzione degli incidenti,<br />
specialmente se questa è affiancata da controlli di polizia.<br />
Prevenzione secondaria (prevenzione di lesioni): gli incidenti non si<br />
possono mai escludere del tutto, pertanto bisogna adottare le misure atte<br />
a contenere il più possibile le lesioni. Anche in questo caso, una gestione<br />
efficace della velocità apporta un contributo essenziale. I pedoni sono<br />
privi di zona deformabile, perciò i frontali dei veicoli devono essere ottimizzati<br />
dal punto di vista della sicurezza. I frontali delle automobili devono<br />
essere costruiti in modo tale da assorbire meglio le energie. Al momento<br />
dell’acquisto di un veicolo, in Svizzera si potrebbe almeno invitare i consumatori<br />
a tener conto non solo della protezione per il passeggero bensì<br />
anche della protezione degli altri utenti della strada.<br />
Prevenzione terziaria (prevenzione di lesioni a lungo termine): poiché<br />
la presente ricerca è imperniata volutamente sulla prevenzione primaria e<br />
secondaria, le misure di prevenzione terziaria sono trattate solo a titolo<br />
marginale. Una misura importante consiste nel ridurre l’intervallo tra il
50 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
momento in cui si verifica l’incidente e l’arrivo dei soccorsi. A tale scopo si<br />
potrebbe ricorrere a dispositivi di attivazione e trasmissione automatica o<br />
manuale delle chiamate di soccorso (comprese le coordinate geografiche)<br />
ai servizi di soccorso competenti.<br />
La seguente tabella riassume la valutazione finale di tutte le misure prese<br />
in considerazione. La tabella non tiene solo conto dell’utilità in materia di<br />
sicurezza pedonale ma valuta anche l’efficacia (rapporto costi/utilità) e la<br />
fattibilità politica. La valutazione globale delle misure vuole evitare che le<br />
risorse economiche a disposizione vengano investite in misure la cui implementazione<br />
appare fallimentare sin dall’inizio oppure che comporti solo<br />
un esiguo o incerto controvalore. La valutazione copre un arco di circa<br />
cinque anni. La realizzazione delle misure valutate (molto) consigliabili<br />
garantisce che i mezzi investiti generino il più alto guadagno possibile in<br />
materia di sicurezza pedonale.<br />
Tabella 2:<br />
Panoramica dei provvedimenti per la promozione della sicurezza dei pedoni<br />
Misure Valutazione<br />
Pedoni<br />
Informare i genitori e le altre persone responsabili di un bambino sui<br />
deficit dovuti allo sviluppo dei bambini fino a 9 anni e chiedere maggiori<br />
misure di sicurezza (p. es. accompagnamento puntuale, scelta di<br />
percorso, visibilità, comportamento di attraversamento)<br />
Informare i parenti e i medici, il personale Spitex/Pro Senectute sui<br />
deficit dovuti all’età degli anziani e chiedere maggiori misure di sicurezza<br />
(p. es. accompagnamento puntuale, scelta di percorso, visibilità,<br />
comportamento di attraversamento)<br />
Educazione stradale obbligatoria e a misura dell’età (1° – 9° classe)<br />
impartite da specialisti e imperniate – nei primi anni – sul traffico<br />
pedonale.<br />
Campagne informative e incremento del senso del pericolo dei pedoni<br />
Campagne per promuovere un uso moderato (difensivo) dei passaggi<br />
pedonali<br />
Raccomandato con riserva<br />
(efficacia difficile da valutare<br />
costi elevati con potenziale<br />
di riduzione del numero<br />
delle vittime piuttosto<br />
esiguo)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(efficacia difficile da valutare<br />
costi elevati con potenziale<br />
di riduzione del numero<br />
delle vittime piuttosto<br />
esiguo)<br />
Molto raccomandato<br />
(misura base necessaria<br />
anche se non sufficiente)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(obiettivo difficile; costi<br />
elevati con potenziale di<br />
riduzione del numero delle<br />
vittime piuttosto esiguo)<br />
Non raccomandato<br />
(costi elevati con potenziale<br />
di riduzione del numero<br />
delle vittime esiguo)
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 51<br />
– Continuazione tabella 2 –<br />
Sicurezza<br />
di funzionamento<br />
Frontali dell'auto<br />
Illuminazione<br />
Sistemi elettronici di<br />
assistenza alla guida<br />
Idoneità alla guida<br />
Veicoli a motore<br />
Inasprimento della situazione di controllo dei veicoli a motore<br />
(esame del tipo e controlli successivi ufficiali)<br />
Informare/sensibilizzare i potenziali acquirenti di autoveicoli sulla<br />
protezione degli altri utenti della strada mediante stampa e media<br />
elettronici<br />
In collaborazioni internazionali stabilire i requisiti dei frontali delle auto<br />
per la protezione dei pedoni<br />
Divieto globale di tutti i bull bar<br />
Richieste che vanno oltre la direttiva Ue (2003/102/CE) relativa alla<br />
protezione dei pedoni in caso di urto con un veicolo a motore<br />
Informare/sensibilizzare i potenziali acquirenti di autoveicoli<br />
sull'ottimizzazione tecnica dell'illuminazione dei fari anteriori mediante<br />
stampa e media elettronici<br />
Informare i clienti sulle tecnologie che si sono già imposte e che sono<br />
nuove sul mercato<br />
Sensori di retromarcia per la messa in circolazione di veicolo privi di<br />
specchio retrovisore interno (in particolare furgoncini) obbligatori<br />
Incentivi per la promozione ti tecnologie ad elevato potenziale di<br />
sicurezza<br />
Campagne per aumentare l'accettazione di tecnologie valutate<br />
negativamente<br />
Conducenti<br />
Ampliamento dell'esame alla vista obbligatorio: controllo della visione<br />
mesopica e della sensibilità all'abbagliamento<br />
Prescrivere per legge il controllo periodico della visione diurna e<br />
notturna<br />
Opuscoli per sensibilizzare e informare sui deficit sensomotori e le loro<br />
conseguenze<br />
Inasprimento dell'esame di idoneità alla guida<br />
Campagna massmediale per sensibilizzare e informare sui deficit<br />
sensomotori e le loro conseguenze<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole)<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato<br />
Non raccomandato<br />
(nessuna utilità, bull bar<br />
permessi solo se risulta<br />
maggiore sicurezza)<br />
Non raccomandabile<br />
(politicamente non<br />
realizzabile)<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(fattibilità ed efficacia ancora<br />
da chiarire)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole)<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)
52 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
– Continuazione tabella 2 –<br />
Capacità di guida: alterazioni dovute a sostanze<br />
Capacità di guida: alterazioni endogene<br />
Competenza di guida<br />
Offrire corsi già dopo la prima revoca della licenza di condurre Raccomandato<br />
Ridurre il valore limite di alcolemia allo 0.0‰ per i neopatentati nel<br />
periodo di prova<br />
Aumentare i controlli dell'alito (inopinati) annunciati e ben visibili in<br />
combinazione con campagne massmediali<br />
Pittogramma su foglietto illustrativo di medicine per avvertire da<br />
alterazioni della capacità di guida<br />
Accelerare la procedura di sanzioni<br />
Permettere per legge che l'assunzione di stupefacenti possa essere<br />
controllata in modo inopinato e far passare in giudicato i risultati dei test<br />
rapidi<br />
Sistemi di sorveglianza del conducente per controllare la capacità di<br />
guida<br />
Campagna massmediale su stupefacenti e farmaci<br />
Informare mediante opuscoli, Internet ecc. sulla problematica dell'uso<br />
del telefono al volante<br />
Divieto di telefonare nell'abitato (compreso vivavoce)<br />
Divieto generale di telefonare (compreso vivavoce)<br />
Campagna per sensibilizzare gli utenti della strada sulla ‚stanchezza al<br />
volante’<br />
Promuovere sistemi tecnici per controllare la stanchzza e la distrazione<br />
visiva<br />
Promuovere la corretta applicazione della nuova formazione dei<br />
conducenti<br />
Limitazioni di guida per i neopatentati<br />
Corsi di ripetizione obbligatori e periodici per conducenti di veicoli a<br />
motore<br />
Raccomdandato<br />
(utilità modesta per pedoni)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(qualità degli apparecchi<br />
ancora insufficienti)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(fattibilità politica non chiara)<br />
Non raccomandabile<br />
(per il momento<br />
politicamente non<br />
realizzabile)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)<br />
Vivamente raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(solo se formazione in 2 fasi<br />
dovesse presentare lacune<br />
di efficacia)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole in rapporto a<br />
sicurezza dei pedoni)
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 53<br />
– Continuazione tabella 2 –<br />
Comportamento alla guida: velocità<br />
Comportamento alla guida: dare la precedenza<br />
Formazione di ingegneri e pianificatori<br />
Combinare campagna e controlli della velocità più intensi nell'abitato<br />
(controlli stazionari in punti nevralgici, altrimenti controlli mobili<br />
annunciati e pubblicazione di risultati)<br />
Pura campagna massmediale su comportamento relativo alla velocità<br />
Introdurre sistema a punti anziché a cascata<br />
Ubicare rilevatori della velocità<br />
Campagna focalizzata su pirati della strada<br />
Combinare campagna e controlli della polizia per far rispettare il diritto di<br />
precedenza sul passaggio pedonale<br />
Campagna meramente massmediale per promuovere che venga<br />
concessa la precedenza<br />
Opuscoli informativi sulla retromarcia<br />
Innalzare le sanzioni per la non osservanza del diritto di precedenza<br />
Campagna contro la retromarcia imprudente<br />
Infrastruttura<br />
Formazione di base: sensibilizzare nei confronti di sicurezza stradale e<br />
trasmettere nozioni tecniche di base<br />
Formazione continua: organizzare e coordinare congressi e obbligo di<br />
formazione continua<br />
Sia nella formazione di base che in quella continua approfondire i<br />
seguenti punti principali:<br />
• principi relativi a sicurezza del traffico pedonale (compresi aspetti di<br />
sicurezza falsa)<br />
• pianificazione olistica di rete<br />
• attraversamenti a misura di pedone<br />
• argomenti speciali (modello 30/50 km/h, manutenzione stradale a<br />
misura di pedone)<br />
• basi tecniche e legislative nella loro complessività<br />
Vivamente raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(sensato piuttosto in<br />
combinazione con controllo<br />
della polizia)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(solo se sistema a cascata<br />
non risulta efficace)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole rispetto a<br />
sicurezza pedoni, effetti<br />
negativi non esclusi)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole)<br />
Vivamente raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(sensato piuttosto in<br />
combinazione con controllo<br />
della polizia)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(efficacia difficile da valutare)<br />
Non raccomandato<br />
(in data situazione quasi<br />
nessun effetto di sicurezza<br />
da attendersi)<br />
Non raccomandato<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole)<br />
Vivamente raccomandato
54 Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto<br />
– Continuazione tabella 2 –<br />
Strumenti per verificare<br />
sicurezza<br />
Norme<br />
Possibilità giuridiche<br />
Relazioni<br />
pubbliche<br />
Rivalutare il<br />
significato<br />
dell’infrastruttura<br />
Introdurre i Road Safety Audit come fase di progetto standard Vivamente raccomandato<br />
Sottoporre gli attraversamenti a Road Safety Inspection Vivamente raccomandato<br />
Management dei punti neri<br />
Aumentare il significato giuridico delle norme VSS, dichiarandole per<br />
esempio istruzioni del DATEC o che vengano dichiarate stato dell'arte<br />
nelle leggi sull'edilizia.<br />
Sostenere le attuali attività che mirano a completare le norme VSS con<br />
riferimento a traffico pedonale (in particolare il pacchetto norme<br />
„Attraversamenti“).<br />
In caso di incidente, querelare gestore di infrastruttura carente.<br />
Non raccomandato<br />
(incidenti distribuiti in modo<br />
sparso)<br />
Raccomandato con riserva<br />
(approvazione bassa,<br />
rallentamento di<br />
cambiamenti)<br />
Vivamente raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(ostacoli e rischi economici<br />
troppo alti)<br />
Esigere dalla Confederazione le (attuali) pianificazioni della rete Raccomandato<br />
Sussidio economico per progetti infrastrutturali per il traffico pedonale<br />
(fondo infrastrutturale)<br />
Sensibilizzare la popolazione nei confronti dell'utilità di misure<br />
infrastrutturali di sicurezza.<br />
Collaborazione stretta con autorità competenti. Organizzare<br />
consulenze/colloqui/formazioni/forum tecnici.<br />
3.6 Conclusione<br />
Vivamente raccomandato<br />
Raccomandato con riserva<br />
(rapporto costi/utilità<br />
sfavorevole)<br />
Raccomandato<br />
La sicurezza dei pedoni nella circolazione stradale è l'oggetto del presente<br />
rapporto. Sulla base di un'analisi globale della sinistrosità, di dati<br />
scientifici disponibili e di perizie sono stati dedotti i principali fattori di rischio,<br />
le possibilità di prevenzione e le misure di promozione per incrementare<br />
la sicurezza pedonale. Le misure più consigliabili sono:<br />
• realizzare reti di percorsi pedonali mediante la pianificazione di una<br />
rete pedonale e l'integrazione dei bisogni dei pedoni nonché proget-
Kurzfassung / Version abrégée / Riassunto 55<br />
tare particolarmente agli attraversamenti degli elementi infrastrutturali<br />
adeguati e specifici per i pedoni;<br />
• ottenere una gestione della velocità dei veicoli motorizzati favorevole<br />
per i pedoni mediante misure architettoniche, giuridiche ed educative<br />
(30 all'ora sulle strade a funzione di servizio ed elementi di arredo specifici<br />
sulle strade a funzione di traffico, controlli della velocità, campagne<br />
legate a enforcement, sensibilizzazione nel quadro della scuola<br />
guida);<br />
• ottimizzare il frontale delle automobili in materia di protezione degli<br />
altri utenti della strada;<br />
• promuovere uno stile di guida all'insegna del rispetto e in particolare<br />
l'osservanza dell'obbligo di doversi fermare davanti ai passaggi<br />
pedonali;<br />
• istituire lezioni obbligatorie di educazione stradale per bambini e adolescenti<br />
(1a – 9a classe) impartite da specialisti e imperniate - nei primi<br />
anni - sul traffico pedonale.
56 Einleitung<br />
<strong>Sicherheitsdossier</strong>s<br />
im Auftrag des FVS<br />
Ziel: Erarbeitung von<br />
Handlungsempfehlungen<br />
III. EINLEITUNG<br />
1. Auftrag<br />
Der Fonds für Verkehrssicherheit FVS verfolgt eine Vergabepolitik, die auf<br />
Unfallschwerpunkte und wirksame Massnahmen ausgerichtet ist. Voraussetzung<br />
für eine solche Vergabepolitik ist ein umfassendes Wissensmanagement.<br />
Die Verwaltungskommission des FVS hat an der Sitzung<br />
vom 8. September 2004 beschlossen, der bfu einen langfristig angelegten<br />
Leistungsauftrag für die Erarbeitung der dazu notwendigen Grundlagen zu<br />
erteilen. Ein Teilauftrag umfasst eine allgemeine Analyse des <strong>Unfallgeschehen</strong>s<br />
(SINUS-Reports), ein zweiter die präventionsorientierte Analyse<br />
von Unfallschwerpunkten (<strong>Sicherheitsdossier</strong>s).<br />
Die Analyse der Unfallschwerpunkte ist eine Voraussetzung für die Erarbeitung<br />
wirksamer Präventionsmassnahmen. Das <strong>Sicherheitsdossier</strong><br />
<strong>Fussverkehr</strong> ist das Dritte in der Reihe der <strong>Sicherheitsdossier</strong>s, die von<br />
der Forschungsabteilung der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung<br />
bfu im Auftrag des FVS erarbeitet und periodisch aktualisiert<br />
werden. Dieses Dossier behandelt den Unfallschwerpunkt <strong>Fussverkehr</strong>.<br />
2. Zielsetzung<br />
Ziel dieses <strong>Sicherheitsdossier</strong>s ist die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen<br />
zur Verbesserung der Sicherheit von zu Fuss Gehenden im Strassenverkehr.<br />
Dieses Dossier hat damit den Anspruch, den aktuellen Wissensstand<br />
wiederzugeben und wissensbasierte Entscheidungen im Bereich Strassenverkehrsunfallprävention<br />
zu ermöglichen.<br />
Die Publikation richtet sich nicht nur an den FVS, sondern generell an<br />
Personen und Institutionen, die für die Planung und Finanzierung von<br />
Präventions- oder anderen sicherheitsrelevanten Massnahmen im Strassenverkehr<br />
verantwortlich sind.
Einleitung 57<br />
Kern der Arbeit:<br />
– <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
– Risikofaktoren<br />
– Prävention<br />
3. Fragestellungen<br />
Die Hauptfragestellungen lauten:<br />
• Wo, wann und unter welchen Bedingungen passieren die meisten schweren<br />
Fussgängerunfälle und welche Personengruppen sind davon besonders<br />
betroffen?<br />
• Welche personen-, fahrzeug- und infrastrukturbezogenen Gefahrenquellen<br />
führen zu schweren Fussgängerunfällen?<br />
• Welche Erfolg versprechenden Möglichkeiten existieren, um schwere<br />
Fussgängerunfälle zu verhindern und wie können sie in Anbetracht der<br />
schweizerischen Rahmenbedingungen realisiert werden?<br />
4. Aufbau/Leseanweisung<br />
Kern der Arbeit bilden die drei Hauptkapitel <strong>Unfallgeschehen</strong>,<br />
Risikofaktoren und Prävention. Diese entsprechen den oben genannten<br />
drei Fragestellungen. Innerhalb der Kapitel Risikofaktoren und Prävention<br />
werden jeweils die vier Strassenverkehrselemente zu Fuss Gehende, Kollisionsgegner,<br />
Kollisionsobjekte und Strasseninfrastruktur diskutiert. Lesende,<br />
die sich nur für eines der genannten vier Systemelemente interessieren,<br />
können in den Kapiteln Risikofaktoren und Prävention nur den entsprechenden<br />
Bereich studieren. Um aber die am Ende der Arbeit empfohlene<br />
Präventionsstrategie mit einer Priorisierung und Favorisierung<br />
bestimmter Präventionshandlungen nachvollziehen zu können, ist eine<br />
integrative Sicht aller vier Systemelemente unumgänglich.<br />
Neben den drei genannten Hauptkapiteln bieten die Kapitel Rahmen-<br />
bedingungen (Kap. I, S. 1) und Methodik die Möglichkeit, zum Thema<br />
<strong>Fussverkehr</strong> bzw. zur Entstehung der vorliegenden Arbeit vertiefte Informationen<br />
zu erhalten.
58 Rahmenbedingungen<br />
Absolute und relative<br />
Zunahme des<br />
<strong>Fussverkehr</strong>s<br />
Tabelle 3:<br />
Gegenüberstellung<br />
der enthaltenen<br />
Informationen in den<br />
zur Verfügung<br />
stehenden<br />
Unfalldatenbanken<br />
IV. RAHMENBEDINGUNGEN<br />
1. Einleitung<br />
Um das <strong>Unfallgeschehen</strong> der zu Fuss Gehenden, aber auch Sicherheitsmassnahmen<br />
besser einordnen zu können, ist es erforderlich, einige<br />
grundlegende Rahmenbedingungen des <strong>Fussverkehr</strong>s zu betrachten. In<br />
diesem Sinne werden nachfolgend das Mobilitätsverhalten (Kap. IV.2, direkt<br />
anschliessend), der gesellschaftliche Stellenwert des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
(Kap. IV.3, S. 60), relevante verkehrspolitische Tendenzen (Kap. IV.4,<br />
S. 62) und die wichtigsten gesetzlichen Rahmenbedingungen (Kap. IV.5,<br />
S. 65) in knapper Form dargestellt.<br />
2. Mobilitätsverhalten<br />
Die Informationen in den folgenden Abschnitten sind – wo nichts anderes<br />
vermerkt ist – dem Bericht „Mobilität in der Schweiz“ (Bundesamt für Raumentwicklung<br />
ARE & Bundesamt für Statistik BFS, 2001) entnommen.<br />
Tabelle 3 zeigt, dass sich der <strong>Fussverkehr</strong> zwischen 1984 und 2000 fast<br />
verdoppelt hat. Während 1984 täglich pro Person durchschnittlich ein Kilometer<br />
zu Fuss zurückgelegt wurde, waren es im Jahr 2000 1.7 km. In<br />
Bezug auf das allgemeine Verkehrsaufkommen hat der <strong>Fussverkehr</strong> leicht<br />
an Bedeutung zugenommen (von 3.4 % auf 4.5 % vom totalen Verkehrsaufkommen).<br />
Zu Fuss<br />
zurückgelegte<br />
km pro Person<br />
und Jahr<br />
Prozentualer Anteil des<br />
<strong>Fussverkehr</strong>s am Total<br />
des Verkehrsaufkommens <br />
Verkehrsaufkommen<br />
aller<br />
Verkehrsteilnehmer<br />
in km pro Jahr<br />
1984 365 3.4 % 10’730<br />
1998 365 3.0 % 12’153<br />
1994 547 4.4 % 12’407<br />
2000 623 4.5 % 13’963
Rahmenbedingungen 59<br />
Lange zu Fuss<br />
unterwegs, aber nur<br />
für kurze Distanzen<br />
Kinder und Senioren<br />
legen die meisten<br />
ihrer Etappen zu Fuss<br />
zurück<br />
Frauen legen<br />
anteilmässig mehr km<br />
zu Fuss zurück als<br />
Männer<br />
Im Jahr 2000 legten Personen mit ständigem Wohnsitz in der Schweiz<br />
täglich je 1,7 km zu Fuss zurück. Dafür benötigten sie annähernd eine<br />
halbe Stunde (29 Minuten). Länger waren die Befragten nur mit dem Auto<br />
unterwegs, nämlich täglich durchschnittlich 35 Minuten (davon 25 Min. als<br />
Lenkende und 10 Min. als Mitfahrende). Alle anderen Verkehrsmittel wie<br />
Bahn (5 Min.), Velo (5 Min.), Tram/Bus (4 Min.) oder Postauto (0.5 Min.)<br />
kamen deutlich weniger zum Einsatz.<br />
Die Fusswegetappen erreichen im Ausbildungsverkehr einen Anteil von<br />
55 %, im Einkaufsverkehr 45 %, im Freizeitverkehr 42 % sowie im Arbeitsverkehr<br />
33 %. Dennoch ist die Bedeutung des zu Fuss Gehens vielen<br />
kaum bewusst, da die einzelnen Etappen im Allgemeinen sehr kurz sind:<br />
Zwei Drittel der Fussetappen sind nicht länger als 500 m. Gemessen an<br />
den Tagesdistanzen schwindet die Bedeutsamkeit des zu Fuss Gehens<br />
im Mobilitätsgeschehen: weniger als 5 % der Tagesdistanzen (km) werden<br />
zu Fuss zurückgelegt.<br />
Kinder der Altersgruppe 5–6 Jahre legen fast 60 % ihrer Etappen zu Fuss<br />
zurück. Der entsprechende Wert für Kinder zwischen 10 und 14 Jahren<br />
beträgt noch immer fast 50 % und auch 15- bis 17-Jährige bewältigen<br />
45 % ihrer Etappen zu Fuss. Auch bei Personen ab 65 Jahren dominiert<br />
mit einem Anteil von rund 40 bis 65 % (je nach Alter und Geschlecht) das<br />
zu Fuss Gehen die täglich zurückgelegten Etappen.<br />
Frauen legen sowohl werktags als auch sonntags je 6 % ihrer Tagesdistanzen<br />
zu Fuss zurück. Sonntags sind Männer ebenso häufig zu Fuss<br />
unterwegs wie Frauen. Werktags hingegen gehen sie nur 3 % ihrer zurückgelegten<br />
Distanzen zu Fuss.<br />
Von Massnahmen zur Förderung eines sicheren <strong>Fussverkehr</strong>s profitieren<br />
somit insbesondere Kinder (Hüttenmoser, 1999) sowie Frauen und ältere<br />
Menschen (Vollmer, 1999).
60 Rahmenbedingungen<br />
Zu Fuss Gehende<br />
fühlen sich oft nicht<br />
als Verkehrsteilnehmer<br />
<strong>Fussverkehr</strong> wird oft<br />
lediglich über das<br />
Thema Fussgängerstreifenwahrgenommen<br />
Mitgliedschaft in<br />
einem Fachverband<br />
Institutionelle<br />
Hindernisse des<br />
Langsamverkehrs<br />
3. Gesellschaftlicher Stellenwert<br />
Menschen, die sich zu Fuss fortbewegen, sind sich ihrer Rolle als Verkehrsteilnehmer<br />
viel weniger bewusst als diejenigen, die mit einem Fahrzeug<br />
unterwegs sind. Das hat vermutlich damit zu tun, dass für diese<br />
Fortbewegungsart kein Hilfsmittel notwendig ist und keine Prüfung dafür<br />
abgelegt werden muss.<br />
Die öffentliche Wahrnehmung des <strong>Fussverkehr</strong>s, die persönliche Meinungsbildung<br />
oder die Berichterstattung in den Medien kreist – neben<br />
Meldungen zu tragischen Unfällen – meist um das Thema „Fussgängerstreifen“.<br />
So gibt etwa die seit 1994 neu geltende Vortrittsregelung immer<br />
wieder Anlass zu Diskussionen (in Form von Leserbriefen, parlamentarischen<br />
Vorstössen1 usw.). Erweitert hat sich das öffentliche Interesse am<br />
Fussgängerstreifen im Zusammenhang mit den vermehrt eingeführten<br />
Tempo-30-Zonen. Dass dadurch Fussgängerstreifen wegfallen, führt bei<br />
Sessionen der parlamentarischen Räte ebenso zu hitzigen Debatten wie<br />
an Gemeindeversammlungen oder bei nachbarschaftlichen Gesprächen.<br />
Wer über einen Führerschein verfügt, ist oft auch Mitglied eines Verkehrsclubs.<br />
Offenbar können diese die Automobilisten vom Nutzen einer Mitgliedschaft<br />
überzeugen. 2 Auch die IG-Velo zählt landesweit 23'000 Mitglieder.<br />
Nur knapp 2’000 der zu Fuss Gehenden – und das ist jeder und<br />
jede – sind aber Mitglied von <strong>Fussverkehr</strong> Schweiz, dem Fachverband der<br />
Fussgängerinnen und Fussgänger in der Deutschschweiz. 3<br />
Dieser sekundäre Stellenwert des zu Fuss Gehens im individuellen Bewusstsein<br />
beeinflusst das gesellschaftliche Bewusstsein (und umgekehrt).<br />
So erstaunt nicht, dass der <strong>Fussverkehr</strong> mit institutionellen Hindernissen<br />
zu kämpfen hat. So stellt etwa Sauter (1999, S.1) fest, dass sich Begriffe<br />
und Definitionen häufig am motorisierten Verkehr orientieren und die Datengrundlage<br />
für den <strong>Fussverkehr</strong> mangelhaft ist. Das hat nach Sauter zur<br />
1 Nationalrat Simon Schenk verlangte 1996 durch eine Motion und 1999 durch<br />
eine parlamentarische Initiative die Abschaffung der seit Juni 1994 geltenden<br />
Vortrittsregelung an Fussgängerstreifen. Das Ansinnen wurde beide Male<br />
abgelehnt; jene von 1999 aber nur sehr knapp (mit 13 zu 12 Stimmen in der<br />
zuständigen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen).<br />
2 Mitgliederzahlen: TCS 1.4 Mio.; VCS 126'000; ACS rund 100’000<br />
3 In der Romandie ist der <strong>Fussverkehr</strong> in der „Revue de l’Avenir“ und im Tessin<br />
im „Il gruppo per la moderazione del traffico nella Svizzera italiana“ organisiert.
Rahmenbedingungen 61<br />
Verkehrsplanung<br />
setzte Priorität lange<br />
beim MIV<br />
<strong>Fussverkehr</strong> in den<br />
VSS-Normen nur<br />
punktuell integriert<br />
Folge, dass der <strong>Fussverkehr</strong> bei politischen Entscheiden vernachlässigt<br />
wird.<br />
Diese Vernachlässigung auf institutioneller Ebene widerspiegelt sich auch<br />
in der Tatsache, dass das Bundesamt für Strassen erst vor wenigen Jahren<br />
den so genannten Langsamverkehr – als dritte Säule im Personenverkehr<br />
– dem motorisierten Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr<br />
gleichstellte (s. Kap. IV.4 Relevante verkehrspolitische Tendenzen,<br />
S. 62).<br />
Die Berücksichtigung des <strong>Fussverkehr</strong>s in der Verkehrsplanung war lange<br />
Zeit höchstens am Rande des Planungsprozesses ein Thema. In der Planung<br />
des Strassenraums wurde (und wird zum Teil immer noch) der<br />
<strong>Fussverkehr</strong> (neben dem Veloverkehr) oft erst in einem zweiten Schritt<br />
berücksichtigt. Die rasche und flüssige Abwicklung des motorisierten Verkehrs<br />
steht bei der Verkehrsplanung meistens im Vordergrund.<br />
Das zeigt sich z. B. auch in den Normen des Schweizerischer Verbands<br />
der Strassen- und Verkehrsfachleute VSS: Es lässt sich feststellen, dass<br />
der <strong>Fussverkehr</strong> lange Zeit nur bruchstückhaft in den primär auf den motorisierten<br />
Verkehr ausgelegten Normen verankert war. Zu Fuss Gehende<br />
wurden in den Normen nur punktuell behandelt, beispielsweise in der<br />
Normengruppe „Geometrisches Normalprofil“, in welcher lediglich das<br />
Lichtraumprofil eines Fussgängers definiert ist.<br />
Der Nachholbedarf ist in der VSS erkannt worden und die Erarbeitung von<br />
Normen für den Langsamverkehr ist etabliert. Doch diese Nachkorrektur<br />
im weitläufigen Normenwerk ist nicht unproblematisch:<br />
Einerseits sind Grundlagennormen genauso dringend wie detaillierte<br />
Normen für spezifische Anlagen. So kam es, dass beispielsweise das<br />
Normenpaket für die Querungen von Strassen vor der Erarbeitung einer<br />
Grundlagennorm für den <strong>Fussverkehr</strong> (zurzeit in Bearbeitung) in Angriff<br />
genommen wurde.<br />
Andererseits stellt sich immer wieder die Frage, wie mit den Aspekten des<br />
Langsamverkehrs umgegangen werden soll. Ist es effizienter, sie bestehenden<br />
Normen "anzuhängen" oder soll der langwierige, dafür ganzheitliche<br />
Weg der Revision ganzer Normgruppen eingeschlagen werden? Be-
62 Rahmenbedingungen<br />
Der Langsamverkehr<br />
soll gefördert werden<br />
Leitbild<br />
Langsamverkehr<br />
zeichnend für diesen Sachverhalt ist, was sich zurzeit in der Normengruppe<br />
"Knoten" abspielt. Seit 1998 ist diese Gruppe so aufgebaut, dass<br />
eine Grundnorm die grundsätzlichen Aspekte regelt. Eine Norm „Knotenelemente“<br />
regelt die Knotenführung primär aus dem Blickwinkel des motorisierten<br />
Verkehrs. Dieser ist die Norm „Führung des Fussgängerverkehrs“<br />
angehängt. Der Ansatz, dass Knoten von Grund auf unter Berücksichtigung<br />
aller Verkehrsteilnehmenden geplant werden müssen (und nicht in<br />
einem zweiten Schritt die Bedürfnisse des Fuss- und Veloverkehrs berücksichtigt<br />
werden), wird in der anstehenden Revision einfliessen.<br />
4. Relevante verkehrspolitische Tendenzen<br />
Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und<br />
Kommunikation UVEK will den Anteil des Langsamverkehrs am<br />
Gesamtverkehr erhöhen (UVEK, n. d./a). Eine stärkere Entwicklung des<br />
Langsamverkehrs (zu Fuss gehen, Velofahren, Wandern usw.) in der<br />
Schweiz soll dazu beitragen, dass die heutigen und künftigen<br />
Mobilitätsbedürfnisse möglichst umweltschonend, gesundheitsfördernd<br />
und volkswirtschaftlich effizient befriedigt werden können.<br />
Mit diesem Auftrag hat das Bundesamt für Strassen ASTRA in den Jahren<br />
2001 und 2002 zusammen mit den interessierten Bundesämtern, Vertretungen<br />
verschiedener Kantone und Agglomerationen sowie privaten<br />
Fachorganisationen den Entwurf eines Leitbildes erarbeitet (Eidgenössisches<br />
Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation<br />
UVEK, n. d./b), das Vision, Grundstrategie sowie Leitsätze und Massnahmen<br />
zur Förderung des Langsamverkehrs umfasst.<br />
Darin bildet der Langsamverkehr (LV) neben dem motorisierten Individualverkehr<br />
(MIV) und dem öffentlichen Verkehr (ÖV) die dritte zentrale<br />
Säule in der Verkehrspolitik des Bundes. Gemäss Rudolf Dieterle (2004)<br />
kommt dem LV insbesondere im Agglomerationsverkehr eine zentrale<br />
Bedeutung zu. Dieterle hält in seinem Referat fest, dass jede Staatsebene<br />
(also neben dem Bund die Kantone, Gemeinden und Agglomerationen)<br />
stufengerecht zur Förderung des LV beitragen soll.
Rahmenbedingungen 63<br />
Umsetzung des<br />
kommunizierten<br />
politischen Willens<br />
harzig<br />
Aktueller Stand<br />
„Leitbild<br />
Langsamverkehr“<br />
Mehr <strong>Fussverkehr</strong> =<br />
mehr verunfallte<br />
Fussgänger?<br />
Safety in numbers<br />
Gerade auf Bundesebene mussten aber im Rahmen der Aufgabenverzichtsplanung<br />
2005 des Bundes im Bereich Langsamverkehr – mehr<br />
als in anderen Bereichen – Projekte zurückgestellt werden. So lässt auch<br />
die Weiterführung des Entwurfs „Leitbild Langsamverkehr“ – im Anschluss<br />
an die Vernehmlassung – auf sich warten.<br />
Das UVEK hielt im Herbst 2006 auf seiner Homepage zum aktuellen<br />
Stand des Leitbilds Folgendes fest:<br />
Im Vernehmlassungsverfahren, welches das UVEK zwischen<br />
Dezember 2002 und Mai 2003 durchführte, fand das Grundanliegen<br />
des Leitbildes, dass sich der Langsamverkehr neben<br />
dem motorisierten Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr<br />
zu einem gleichberechtigten dritten Pfeiler einer effizienten<br />
Personenverkehrspolitik entwickeln soll, breite Unterstützung.<br />
Die Bedeutung des Langsamverkehrs bestätigte sich dabei nicht<br />
nur als eigenständige Mobilitätsform, sondern auch als Zubringer<br />
zu den anderen Verkehrsträgern (kombinierte Mobilität;<br />
Transportketten). Grundsätzliche Einwände gegen die Förderung<br />
des Langsamverkehrs ergaben sich bei der Finanzierungsfrage,<br />
bei der Aufgabenteilung Bund, Kantone und Private sowie<br />
bei der Verfassungsmässigkeit einzelner Handlungsfelder.<br />
Gegenwärtig überarbeitet das ASTRA das Leitbild, sodass es<br />
bis etwa Mitte 2006 als Grundlage für die Beantwortung des<br />
Postulats bereit liegt. Der Bericht des Bundesrates dürfte dem<br />
Parlament voraussichtlich Ende 2006 zugeleitet werden können.<br />
(offizielle Sprachregelung des ASTRA, Stand Dez. 2005)<br />
Eine Zunahme des Langsamverkehrs ist zweifellos wünschenswert, es<br />
muss aber im Auge behalten werden, dass eine Verschiebung des Modal<br />
Split zu mehr schwer verletzten oder getöteten Fussgängern führen kann.<br />
Das ist insbesondere aufgrund der überaus hohen case fatality (Getötete<br />
pro 10'000 Verunfallte) des <strong>Fussverkehr</strong>s zu befürchten.<br />
Allerdings hält Jacobsen (2003) fest, dass die Anzahl Kollisionen nicht mit<br />
der zunehmenden Anzahl zu Fuss Gehender linear ansteigt, was in Studien<br />
punktuell (z.B. an Übergängen mit viel oder wenig zu Fuss Gehen-
64 Rahmenbedingungen<br />
Via sicura als<br />
Verkehrssicherheitspolitik<br />
des Bundes<br />
den) nachgewiesen werden konnte. Auf der Strasse herrscht gemäss Jacobsen<br />
nicht dieselbe Situation wie auf dem Billardtisch: eine Verdoppelung<br />
der Kugeln führt nicht zu einer Verdoppelung der Kollisionen. Jacobsen<br />
widmet sich der Fragestellung auf einer übergeordneten, bevölkerungsbezogenen<br />
Ebene. Er ermittelt aufgrund mehrerer, voneinander unabhängiger<br />
bevölkerungsbezogener Datensätze, dass eine Gesellschaft,<br />
die ihr Fussgängeraufkommen verdoppelt (z.B. zurückgelegte Kilometer<br />
pro Kopf und Tag), lediglich mit einem vergleichsweise geringen Anstieg<br />
von Fussgängerunfällen um 32 % rechnen muss. Das individuelle Risiko,<br />
als zu Fuss Gehender von einem Motorfahrzeug angefahren zu werden,<br />
reduziert sich dabei (bei einer angenommenen Verdoppelung der Fussgängerzahl)<br />
um 34 %. Auf Populationsebene ist somit bei zunehmender<br />
Anzahl zu Fuss Gehender zwar mit einem Anstieg an Unfällen zu rechnen<br />
(jedoch bei weitem nicht linear), auf individueller Ebene ergibt sich gar<br />
eine Reduktion des Unfallrisikos. Somit resultiert für den Einzelnen ein<br />
Schutzfaktor alleine durch die Anzahl Personen, die zu Fuss unterwegs<br />
sind (Safety in numbers). Aus Sicht der Public Health ist allerdings anzumerken,<br />
dass primär das populationsbezogene Risiko interessiert. Wichtig<br />
ist, dass der <strong>Fussverkehr</strong> durch diverse Massnahmen sicher stattfinden<br />
kann. Dadurch wird sich die Attraktivität erhöhen, was zu einer zunehmenden<br />
Zahl zu Fuss Gehender führt – ohne dass das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s auf Bevölkerungsebene steigt.<br />
Die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden soll durch „Via sicura“ gewährleistet<br />
werden. Der Bundesrat hat Ende 2005 dieses Handlungsprogramm<br />
beraten und seinen Willen bekräftigt, die Verkehrssicherheit in<br />
der Schweiz weiter zu erhöhen. Er will die Zahl der auf der Strasse Getöteten<br />
und Schwerverletzten signifikant senken. Das UVEK wird dem Bundesrat<br />
ein konkretes Massnahmenpaket in verschiedenen Varianten vorlegen<br />
(Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie,<br />
Kommunikation UVEK, 2005).
Rahmenbedingungen 65<br />
Gegenseitige Rechte<br />
und Pflichten<br />
Vorschriften für<br />
Fahrzeuglenkende<br />
5. Gesetzliche Rahmenbedingungen<br />
Im Strassenverkehrsgesetz SVG 4 und in der Verkehrsregelnverordnung<br />
VRV5 sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für den <strong>Fussverkehr</strong> geregelt<br />
(die wichtigsten Gesetzesartikel für Fussgänger sind im Anhang, S.<br />
387, im Originalwortlaut zusammengestellt). Hierbei kann unterschieden<br />
werden zwischen Vorschriften, die von den Fahrzeuglenkenden gegenüber<br />
den zu Fuss Gehenden zu befolgen sind, und denjenigen, welche<br />
die zu Fuss Gehenden selber zu befolgen haben.<br />
Die wichtigsten Vorschriften für die Fahrzeuglenkenden (inkl. Radfahrende)<br />
sind folgende (sinngemäss formuliert):<br />
- Sie haben den Fussgängern das Überqueren der Fahrbahn in angemessener<br />
Weise zu ermöglichen (Art. 33 Abs. 1 SVG).<br />
- Auf Strassen ohne Fussgängerstreifen muss dann angehalten werden,<br />
wenn Kolonnenverkehr herrscht und ein Fussgänger bzw. eine<br />
Fussgängerin die Strasse überqueren will (Art. 6 Abs. 3 VRV).<br />
- Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss jedem zu Fuss<br />
Gehenden Vortritt gewährt werden, der sich bereits auf dem Streifen<br />
befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren<br />
will; um dieser Pflicht nachzukommen, muss vor Fussgängerstreifen<br />
besonders vorsichtig gefahren und nötigenfalls angehalten werden<br />
(Art. 6 Abs. 1 VRV). Wenn keine Gefährdung des <strong>Fussverkehr</strong>s vorliegt,<br />
kann das Nichtgewähren des Vortritts seit dem 1.03.06 im Ordnungsbussenverfahren<br />
geahndet werden. Die Bussen betragen CHF<br />
140.– im Fall von Motorfahrzeugführenden bzw. CHF 40.– im Fall von<br />
Radfahrenden/Führenden von Motorfahrrädern (Anh. 1 Ziff. 337 und<br />
623 OBV6 ). Wird ein Fussgänger durch das Nichtgewähren des Vortritts<br />
gefährdet oder verletzt, kann bzw. muss ein strafrechtliches<br />
Verfahren eingeleitet werden.<br />
4 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958, SR 741.01<br />
5 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962, SR 741.11<br />
6 Ordnungsbussenverordnung vom 4. März 1996, SR 741.031
66 Rahmenbedingungen<br />
Vorschriften für zu<br />
Fuss Gehende<br />
- In Tempo-30-Zonen sind Fahrzeuge vortrittsberechtigt; sie müssen<br />
aber besonders vorsichtig und rücksichtsvoll fahren (Art. 22a SSV7 ).<br />
Fussgänger dürfen die Strasse überall queren, sofern weniger als<br />
50 m entfernt keine Fussgängerstreifen sind.<br />
- In Begegnungs- und Fussgängerzonen ist der <strong>Fussverkehr</strong> vortrittsberechtigt;<br />
Fahrzeuge dürfen aber nicht unnötig behindert werden (Art.<br />
22b SSV bzw. Art. 22c SSV). Die Höchstgeschwindigkeiten betragen<br />
20 km/h respektive Schritttempo.<br />
Die zu Fuss Gehenden haben unter anderem folgende Vorschriften zu<br />
befolgen (ebenfalls sinngemäss formuliert):<br />
- Sie müssen die Trottoirs benützen, und wo solche fehlen, haben sie<br />
am linken Strassenrand zu gehen, insbesondere ausserorts in der<br />
Nacht (Art. 49 Abs. 1 SVG); die Strasse soll nach Möglichkeit auf einem<br />
Fussgängerstreifen überquert werden (Art. 49 Abs. 2 SVG).<br />
- Sie müssen Fussgängerstreifen, Über- oder Unterführungen benützen,<br />
wenn diese weniger als 50 m entfernt sind (Art. 47 Abs. 1 VRV); auf<br />
Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung dürfen sie nicht von ihrem<br />
Vortrittsrecht Gebrauch machen (das ihnen durch Art. 6 Abs. 1 VRV<br />
gewährt wird), wenn ein Fahrzeug bereits so nahe ist, dass es nicht<br />
mehr rechtzeitig anhalten könnte (Art. 47 Abs. 2 VRV).<br />
- Ausserhalb von Fussgängerstreifen sind die Fahrzeuge vortrittsberechtigt<br />
(Art. 47 Abs. 5 VRV) (auch in Tempo-30-Zonen). Allerdings<br />
haben Fussgänger in Begegnungszonen (Art. 22b SSV) und in Fussgängerzonen<br />
(Art. 22c SSV) Vortritt.<br />
Weiter ist am 1. August 2002 eine Veränderung der VRV in Kraft getreten<br />
(mit Auswirkungen auch auf die Verordnung über die technischen Anfor-<br />
derungen an Strassenfahrzeuge VTS8 , auf die Signalisationsverordnung<br />
SSV sowie auf die Ordnungsbussenverordnung OBV), welche die fahrzeugähnlichen<br />
Geräte betrifft ('fäG', z. B. Inline-Skates, Rollbretter, Mini-<br />
Trottinette). Seit diesem Zeitpunkt werden fäG rechtlich als Verkehrsmittel<br />
betrachtet, die von bestimmten Personengruppen je nach Verwendungs-<br />
7 Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV), SR 741.21<br />
8 Verordnung vom 19. Juni 1995 über die technischen Anforderungen an<br />
Strassenfahrzeuge (VTS), SR 741.41
Rahmenbedingungen 67<br />
Weitere<br />
Bestimmungen des<br />
Strassenverkehrsrechts<br />
Fuss- und<br />
Wanderweggesetz<br />
zweck auf definierten Verkehrsflächen benützt werden dürfen. Die Benützer<br />
von fäG sind gegenüber dem Fahrzeugverkehr rechtlich den zu Fuss<br />
Gehenden gleichgestellt; auf gemeinsam benützten Flächen liegt das<br />
Vortrittsrecht jedoch bei den zu Fuss Gehenden.<br />
Verschiedene weitere Bestimmungen, die für einen konfliktfreien Umgang<br />
zwischen <strong>Fussverkehr</strong> und motorisiertem Verkehr wichtig sind, finden sich<br />
im Strassenverkehrsrecht; insbesondere im Strassenverkehrsgesetz SVG<br />
(vor allem im 3. Titel), der Verkehrsregelnverordnung VRV sowie in der<br />
Signalisationsverordnung SSV.<br />
Darüber hinaus ist auch das Fuss- und Wanderweggesetz FWG von 1987<br />
für die Sicherheit der zu Fuss Gehenden relevant. Darin wird vorgeschrieben,<br />
dass die Kantone ein möglichst gefahrlos begehbares Netz von<br />
Fuss- und (Wander-)Wegen für wichtige Ziele des <strong>Fussverkehr</strong>s gewährleisten<br />
müssen.
68 Methodik<br />
Risikofaktoren können<br />
sich auf den Unfalleintritt<br />
oder auf<br />
dessen Folgen<br />
beziehen<br />
V. METHODIK<br />
1. Einleitung<br />
Das Kapitel Methodik soll in erster Linie einen Einblick in die gewählte<br />
Vorgehensweise geben (Kap. V.3, S. 71). Zudem werden die beiden wichtigsten<br />
Datenquellen (Kap. V.4, S. 74) und die damit verbundenen<br />
Analysemöglichkeiten und Einschränkungen aufgezeigt (Kap. V.5, S. 76).<br />
Eingangs werden zunächst einige zentrale Begriffe und Konzepte definiert<br />
und erläutert (Kap. V.2, direkt nachfolgend).<br />
2. Definition von Schlüsselbegriffen<br />
2.1 Fussgänger<br />
In der Statistik der polizeilich registrierten Unfälle werden neben zu Fuss<br />
Gehenden auch Personen als Fussgänger erfasst, die mit fahrzeugähnlichen<br />
Geräten (fäG) wie Rollschuhen, Skateboards und Trottinettes im<br />
öffentlichen Strassenverkehr unterwegs sind. Personen, die beim oder<br />
nach dem Ein- oder Aussteigen verunfallen, gelten nur als Fussgänger,<br />
wenn sie das Fahrzeug ganz verlassen haben und bereits die Fahrbahn<br />
überqueren. Selbstunfälle von Fussgängern werden von der Statistik nicht<br />
erfasst.<br />
2.2 Risikofaktor<br />
Risikofaktoren sind Gegebenheiten, die das <strong>Unfallgeschehen</strong> massgeblich<br />
beeinflussen. Diese können sich auf die Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
eines Unfalles beziehen oder auf die Wahrscheinlichkeit, dass bei eingetretenem<br />
Unfallereignis ein schwerer Personenschaden entsteht. Nachfolgend<br />
werden diese als Unfallrisiko- und Verletzungsrisikofaktoren<br />
bezeichnet (Abbildung 3).<br />
Die beiden Arten von Risikofaktoren stehen auch in Zusammenhang mit<br />
den Präventionsbemühungen. Während sich die primäre Prävention auf
Methodik 69<br />
Abbildung 3:<br />
Schematische<br />
Darstellung der zwei<br />
Grundarten von<br />
Risikofaktoren sowie<br />
ihres Zusammenhangs<br />
zur Prävention<br />
Unfall- und<br />
Verletzungsrisikofaktoren<br />
stimmen<br />
weitgehend überein<br />
Verkehrsexposition<br />
bezeichnet km-<br />
Leistung<br />
Risikofaktoren der Unfallwahrscheinlichkeit bezieht, zielen sekundäre und<br />
tertiäre Prävention auf Verletzungsrisikofaktoren (Abbildung 3).<br />
Unfallrisikofaktoren<br />
Primäre Prävention<br />
Sekundäre und<br />
tertiäre Prävention<br />
keine oder<br />
höchstens leichte<br />
Verletzungsfolgen<br />
Es kann davon ausgegangen werden, dass die beiden Arten von Risikofaktoren<br />
weitgehend übereinstimmen. So führt beispielsweise eine überhöhte<br />
Geschwindigkeit sowohl zu einer höheren Unfallwahrscheinlichkeit<br />
(infolge des verlängerten Reaktions-/Bremsweges) als auch zu schwereren<br />
Verletzungen (infolge der grösseren Energieeinwirkung). Dennoch<br />
existieren Einflussfaktoren, die entweder nur die Unfallwahrscheinlichkeit<br />
(z. B. reflektierende Kleidung für Fussgänger) oder nur die Verletzungsschwere<br />
(z. B. sicherheitsoptimierte Fahrzeugfronten) in signifikantem<br />
Ausmass verändern.<br />
2.3 Verkehrsexposition und Risikoexposition<br />
Kein Unfall<br />
Unfallereignis<br />
Verletzungsrisikofaktoren<br />
schwere oder<br />
tödliche<br />
Verletzungsfolge<br />
Verkehrsexposition bezeichnet die Kilometerleistung oder Zeitdauer im<br />
Verkehr. Bei der Interpretation des <strong>Unfallgeschehen</strong>s spielt diese Kenngrösse<br />
eine zentrale Rolle. Bei einer Unfallverteilung (z. B. Anzahl Unfälle<br />
auf und abseits von Fussgängerstreifen) stellt sich stets die Frage, inwieweit<br />
die aufgedeckten Unterschiede expositionsbedingt sind und inwieweit<br />
sie aufgrund einer besonderen Gefahrenquelle entstehen. Erst durch die<br />
Berücksichtigung der Exposition lassen sich vergleichende Aussagen<br />
über die Gefährlichkeit machen. Oder anders ausgedrückt: Ist unter be-
70 Methodik<br />
Risikoexposition =<br />
einem gefährlichen<br />
Einflussfaktor<br />
ausgesetzt<br />
Verkehrs- und Risikoexposition<br />
beeinflussen<br />
<strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Risikogruppen =<br />
Personengruppe mit<br />
überdurchschnittlich<br />
hoher Unfallbelastung<br />
Offizielle Unfallstatistik<br />
unterscheidet<br />
drei Verletzungsschweregrade<br />
stimmten Gegebenheiten (z. B. Querungen abseits von Fussgängerstreifen)<br />
eine Unfallhäufung zu beobachten, darf daraus nicht geschlossen<br />
werden, dass mit dieser Gegebenheit eine erhöhte Gefahr einhergeht<br />
(dass also Querungen abseits von Fussgängerstreifen gefährlicher sind).<br />
Risikoexposition bedeutet, dass ein Verkehrsteilnehmer während seiner<br />
Verkehrsexposition einem konkreten Risikofaktor (z. B. Alkoholkonsum)<br />
ausgesetzt ist, so dass die Unfall- bzw. Verletzungswahrscheinlichkeit<br />
ansteigt.<br />
Das <strong>Unfallgeschehen</strong> kann als eine Funktion der Verkehrsexposition und<br />
der Risikoexposition betrachtet werden. Je höher die Kilometer- oder<br />
Stundenleistung im Verkehr ist, desto mehr Unfälle geschehen, insbesondere<br />
dann, wenn die Fussgänger vielen oder starken Risikofaktoren ausgesetzt<br />
sind – sprich eine hohe Risikoexposition haben.<br />
2.4 Risikogruppen<br />
Als Risikogruppen werden soziodemographisch definierbare Personengruppen<br />
bezeichnet, die im Vergleich zu ihrer Populationsgrösse überdurchschnittlich<br />
häufig verunfallen. Hierbei ist es nicht von Belang, ob die<br />
erhöhte Unfallbelastung auf besondere Gefahrenquellen (Risikofaktoren)<br />
zurückzuführen ist, oder nur deshalb entsteht, weil sie häufiger zu Fuss<br />
unterwegs sind als ihre Vergleichsgruppen.<br />
2.5 Personenschäden: Leicht-/Schwerverletzte, Getötete<br />
Im Rahmen der polizeilichen Unfallprotokollierung werden bei Personenschäden<br />
drei Verletzungsschweregrade definiert:<br />
Leicht verletzt: geringe Beeinträchtigung, z. B. oberflächliche Hautverletzungen<br />
ohne nennenswerten Blutverlust, leichte Einschränkungen der<br />
Bewegungen, die aber das Verlassen der Unfallstelle aus eigener Kraft<br />
erlauben, evtl. ambulante Behandlung im Spital oder durch einen Arzt.<br />
Schwer verletzt: schwere sichtbare Beeinträchtigung, die normale Aktivitäten<br />
zu Hause für mindestens 24 Stunden verhindert (z. B. Bewusst-
Methodik 71<br />
1. Schritt:<br />
Beschreibung des<br />
<strong>Unfallgeschehen</strong>s<br />
mittels deskriptiver<br />
Epidemiologie und<br />
Literaturstudium<br />
losigkeit, Knochenbruch [exkl. Fingerbruch] oder Spitalaufenthalt von<br />
mehr als einem Tag).<br />
Getötet: Personen, die an der Unfallstelle ihr Leben verlieren oder innert<br />
30 Tagen nach der Kollision an den Unfallfolgen sterben.<br />
3. Vorgehensweise in drei Analysestufen<br />
Die vorliegende Arbeit umfasst im Kern drei Schritte, die in ihrer Summe<br />
gewährleisten, dass die ausgesprochenen Empfehlungen nicht bloss auf<br />
Plausibilitätsannahmen und Alltagswissen beruhen, sondern auf wissenschaftlich<br />
fundierter Basis stehen.<br />
In einem ersten Schritt werden in Anlehnung an die Methodik der deskriptiven<br />
Epidemiologie empirische Befunde erstellt, um ein Bild des <strong>Unfallgeschehen</strong>s<br />
von Fussgängern zu erhalten. Hierzu werden mittels statistischer<br />
Analyse die Unfalldatenbanken des BFS und der SSUV ausgewertet<br />
(s. Kap. V.4 Datengrundlagen zum <strong>Unfallgeschehen</strong>, S. 74). Um<br />
ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten, werden weitere empirische<br />
Studien herangezogen, die es erlauben, Rückschlüsse auf das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
zu ziehen. Dieser erste Schritt soll einerseits das Unfallausmass<br />
und andererseits Schwerpunkte und Auffälligkeiten im <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
von Fussgängern aufdecken. Dabei werden nur schwere Personenschäden<br />
betrachtet, da eine Erhöhung der öffentlichen Gesundheit<br />
insbesondere durch eine Reduktion der Anzahl Schwerverletzter und<br />
Getöteter erreicht wird. Um Zielgruppen zukünftiger Präventionsarbeiten<br />
identifizieren zu können, wird das <strong>Unfallgeschehen</strong> – wo sinnvoll – spezifisch<br />
nach verschiedenen Altersgruppen und dem Geschlecht ausgewertet.<br />
Die detaillierte Beschreibung des <strong>Unfallgeschehen</strong>s erlaubt es, Hypothesen<br />
zur Unfallentstehung zu generieren, welche im nachfolgenden Schritt<br />
überprüft werden können.
72 Methodik<br />
2. Schritt: Eruieren<br />
von Gefahren mittels<br />
analytischer<br />
Epidemiologie und<br />
theoretischem Fachwissen<br />
Der zweite Schritt hat zum Ziel, das <strong>Unfallgeschehen</strong> mittels Risikofaktoren<br />
zu erklären. Risikofaktoren sind Merkmale, die das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
massgeblich beeinflussen. Zur Ergründung von Risikofaktoren können<br />
grundsätzlich zwei Vorgehensweisen unterschieden werden: Sie lassen<br />
sich einerseits mittels statistischer Analyse empirischer Daten und<br />
andererseits theoriegeleitet identifizieren.<br />
Beim empirischen Weg wird mit den Methoden der analytischen Epidemiologie<br />
überprüft, ob bestimmte Merkmale (z. B. Alkoholkonsum) in<br />
einem Zusammenhang mit dem Auftreten von Unfällen bzw. deren<br />
Schwere stehen. Ein Risikofaktor ist demnach ein Merkmal, welches bei<br />
Verunfallten unter Berücksichtigung der Verkehrsexposition häufiger vorkommt<br />
als bei Nicht-Verunfallten. Zusätzlich leisten experimentelle Untersuchungen<br />
von Wirkmechanismen einen wichtigen Beitrag zur Bestimmung<br />
von Risikofaktoren. Auf diese Weise lässt sich ein Katalog von Einflussfaktoren<br />
des <strong>Unfallgeschehen</strong>s generieren.<br />
Bei der zweiten Vorgehensweise werden im Gegensatz zur ersten Variante<br />
nicht empirische Daten ausgewertet, sondern der allgemeine wissenschaftliche<br />
Kenntnisstand im Sinne von verhaltenspsychologischem,<br />
biomechanischem, medizinischem, physikalischem und verkehrstechnischem<br />
Fachwissen einbezogen. Eine systematische Literaturrecherche<br />
stellt sicher, dass alle relevanten und publizierten Arbeiten im Themengebiet<br />
berücksichtigt werden (vgl. Anhang, S. 387).<br />
In einem umfassenden Forschungsprozess schliessen sich die beiden<br />
Vorgehensweisen gegenseitig nicht aus, sondern ergänzen sich: Die statistische<br />
Unfallanalyse ermöglicht die Ermittlung jener Faktoren, die den<br />
stärksten Einfluss auf das <strong>Unfallgeschehen</strong> haben und die Berücksichtigung<br />
von theoretischem Wissen ist notwendig, um ein vertieftes Verständnis<br />
der empirisch ermittelten Risikofaktoren zu erhalten. Wenn sich<br />
beispielsweise das vorschulpflichtige Alter als Risikofaktor zeigt, so deckt<br />
diese Information keinesfalls den Erklärungsbedarf. Es stellt sich nämlich<br />
die Frage, warum das Alter die Unfallwahrscheinlichkeit erhöht. Welche<br />
dahinter liegenden Faktoren führen dazu, dass das Vorschulalter zu einem<br />
Risikofaktor wird? Um eine vollständige Antwort zu erhalten, können<br />
im erwähnten Beispiel psychologische Entwicklungsprozesse in den Erklärungsansatz<br />
einbezogen werden. Diese detaillierte Betrachtung ist<br />
notwendig, um adäquate und effektive Präventionsvorschläge erarbeiten<br />
zu können.
Methodik 73<br />
3. Schritt: Sammlung<br />
von Präventionsmöglichkeiten<br />
und<br />
Förderungsmassnahmen<br />
Alle Risikofaktoren werden (soweit wie möglich und sinnvoll) hinsichtlich<br />
ihrer Bedeutung für das <strong>Unfallgeschehen</strong> der Fussgänger beurteilt. Dabei<br />
wird die Unfallrelevanz auf einer fünfstufigen Skala angegeben: Ein<br />
Sternchen (*) steht für Risikofaktoren mit geringer Bedeutung für die Entstehung<br />
unfallbedingter Verletzungen und fünf Sternchen (*****) kennzeichnen<br />
Risikofaktoren mit grosser Bedeutung. Als Grundlage zur Beurteilung<br />
der Unfallrelevanz werden insbesondere das Gefahrenpotenzial<br />
(Ausmass der Risikoerhöhung) und die Verbreitung des Risikofaktors in<br />
unfallrelevanten Situationen herangezogen.<br />
Der dritte Schritt kann in zwei Aspekte unterteilt werden. Der erste Aspekt<br />
besteht in der Sammlung von Präventionsmöglichkeiten zur Steigerung<br />
der Sicherheit von Fussgängern, mit welchen die im vorhergehenden<br />
Schritt bestimmten Risikofaktoren entschärft werden können. Sie zeigen<br />
auf, was bei den Systemelementen Mensch, Fahrzeug und Umwelt<br />
geändert werden muss und stellen somit eine Art Zielsetzung dar (z. B.<br />
Reduktion von FiaZ, Änderung der PW-Front, sichere Querungen für<br />
Fussgänger). Die Zusammenstellung der Präventionsmöglichkeiten beruht<br />
weitgehend auf den Erkenntnissen der ersten beiden Schritte.<br />
Alle Präventionsmöglichkeiten werden hinsichtlich ihres Nutzens für die<br />
Fussgänger (Rettungspotenzial) auf einer fünfstufigen Skala bewertet. Als<br />
Beurteilungsgrundlage wird wo immer möglich auf empirische Fakten<br />
zurückgegriffen. Wenn diese fehlen, basiert die Beurteilung auf der<br />
Grundlage von Expertenwissen.<br />
Der zweite Aspekt besteht darin, aufzuzeigen mit welchen Förderungsmassnahmen<br />
(d. h. mit welchen Mitteln) die Präventionsmöglichkeiten<br />
realisiert werden können. Während für eine längerfristige Perspektive<br />
auch wenig ausgereifte oder nicht mehrheitsfähige Präventionsmöglichkeiten<br />
relevant sind, müssen in der kurz- und mittelfristigen Präventionsarbeit<br />
(wie es Ziel der vorliegenden Arbeit ist) realisierbare Massnahmen<br />
im Mittelpunkt stehen. Mittelfristig nicht realisierbar sind Massnahmen,<br />
welche technisch nicht ausgereift sind (z. B. Motorfahrzeug erkennt<br />
schwache Verkehrsteilnehmer und reagiert autonom), kaum gesellschaftliche<br />
und politische Unterstützung finden (z. B. Verkehrsteilnahme von<br />
Kindern nur in Begleitung Erwachsener) oder mit exorbitanten Kosten<br />
verbunden wären (z. B. vollständige Trennung der Verkehrswege von
74 Methodik<br />
Verschiedene Quellen<br />
liefern Unfall- und<br />
Expositionsdaten<br />
BFS-Datenbank und<br />
UVG-Statistik bilden<br />
das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
nicht vollständig ab<br />
Fussgängern und motorisiertem Verkehr). Um die verfügbaren finanziellen<br />
und personellen Ressourcen möglichst nutzbringend einzusetzen, ist es<br />
zudem notwendig, die Effizienz der Massnahme zu berücksichtigen.<br />
Mit den genannten Kriterien werden alle Förderungsmassnahmen bewertet<br />
(sehr empfehlenswert, empfehlenswert, bedingt empfehlenswert, nicht<br />
empfehlenswert). Dieses Vorgehen erlaubt eine wissensbasierte Auswahl<br />
und Favorisierung von Massnahmen, welche aufzeigt, wo die Präventionsarbeit<br />
verfügbare Ressourcen idealerweise einsetzen sollte.<br />
4. Datengrundlagen zum <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Die empirische Analyse der Unfälle basiert insbesondere auf Grundlage<br />
von zwei Datenquellen: Die erste, die polizeilich registrierten Strassenverkehrsunfälle,<br />
wird vom Bundesamt für Statistik BFS geführt und die<br />
zweite von der Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung UVG9 (SSUV). Die im Folgenden als UVG-Statistik bezeichnete Datenbank enthält<br />
eine 5 %-Stichprobe aller Unfälle von obligatorisch nach dem Unfallversicherungsgesetz<br />
(UVG) versicherten Personen. Auswertungen zur<br />
Verkehrsexposition basieren auf dem Mikrozensus Verkehr, der seit 1974<br />
von Are und BFS alle fünf Jahre durchgeführt wird. Die aktuellsten zur<br />
Verfügung stehenden Daten stammen aus dem Jahr 2000. Für die internationalen<br />
Vergleiche werden Daten der International Road Traffic and<br />
Accident Database IRTAD der OECD herangezogen.<br />
Sowohl BFS-Datenbank als auch UVG-Statistik bilden das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
nicht vollständig ab, so dass sich bei weitem nicht alle interessierenden<br />
Fragen beantworten lassen. Bei der UVG-Statistik muss die eingeschränkte<br />
Populationsabdeckung beachtet werden: Nur ungefähr die Hälfte<br />
der Schweizer Wohnbevölkerung ist nach dem UVG unfallversichert,<br />
nämlich alle Arbeitnehmenden, die 8 Stunden oder mehr pro Woche arbeiten.<br />
Das heisst, neben selbstständig Erwerbenden und im Haushalt<br />
tätigen Personen werden insbesondere Kinder und Senioren nicht erfasst.<br />
Bei der BFS-Datenbank muss mit einer hohen Dunkelziffer bei den Fussgängerunfällen<br />
gerechnet werden. Viele Unfälle (insbesondere die leichte-<br />
9 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG), SR 832.20
Methodik 75<br />
Tabelle 4:<br />
Gegenüberstellung<br />
der enthaltenen<br />
Informationen in den<br />
zur Verfügung<br />
stehenden<br />
Unfalldatenbanken<br />
ren Unfälle und Selbstunfälle) werden polizeilich nicht registriert (vgl.<br />
hierzu auch Thoma, 1990).<br />
Ihrem Erhebungszweck entsprechend, werden in beiden Datenquellen<br />
zudem unterschiedliche Information zu Unfällen erfasst (vgl. Tabelle 4).<br />
Abdeckungsbereich<br />
Populationsabdeckung Alle (Schweizer und<br />
Ausländer), die auf<br />
Schweizer Boden<br />
verunfallen<br />
(Territorialstatistik)<br />
Abgedeckter<br />
Unfallbereich<br />
Zusatzbedingung für die<br />
Registrierung<br />
BFS-Unfalldaten UVG-Statistik<br />
Unfälle auf öffentlichen<br />
Strassen<br />
Polizei herbeigerufen, von<br />
dieser registriert und ans<br />
BFS gemeldet<br />
Erfasste unfallbezogene Informationen<br />
Soziodemographische<br />
Angaben<br />
Art der Verkehrsteilnahme<br />
Situative Rahmenbedingungen<br />
Arbeitnehmende (ca. ½<br />
der Schweizer Population)<br />
Unfälle auf öffentlichen<br />
Strassen und im Bereich<br />
„Sport und Spiel“<br />
Dem UVG-Versicherer<br />
mittels Formular gemeldet<br />
Alter, Geschlecht Alter, Geschlecht,<br />
Zivilstand, Stellung im<br />
Beruf, Jahresverdienst<br />
Unterscheidung von PW,<br />
Velo, Fussgänger etc.<br />
Verschiedene Situationsmerkmale<br />
wie<br />
Strassenart, Ortslage,<br />
Strassenzustand, Lichtverhältnisse,<br />
Witterung,<br />
Vortrittsregelung etc.<br />
Unfallverursacher Nein Nein<br />
Unfallursachen Hauptursache wird nicht<br />
erfasst, jedoch pro unfallbeteiligtemVerkehrsteilnehmer<br />
bis zu 3 unfallrelevante<br />
Mängel<br />
(mögliche Einflussfaktoren)<br />
Unfallfolgen Grobe Kategorisierung:<br />
unverletzt, leicht verletzt,<br />
schwer verletzt, getötet<br />
Unterscheidung von PW,<br />
Velo, Fussgänger etc.<br />
Unfallhergang, Unfallort,<br />
beteiligte Transportmittel<br />
Nein<br />
Bis zu 20 medizinische<br />
Diagnosen nach ICD-9 10<br />
10 ICD-9: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter<br />
Gesundheitsprobleme (9. Revision)
76 Methodik<br />
Gefahr der voreiligen<br />
Schlussfolgerung<br />
Verzerrungsfehler<br />
müssen bei<br />
Interpretation<br />
berücksichtigt werden<br />
5. Auswertung der verfügbaren Unfalldaten<br />
5.1 Beschreibung des <strong>Unfallgeschehen</strong>s<br />
Für die Beschreibung des <strong>Unfallgeschehen</strong>s wird das Auftreten folgenschwerer<br />
Unfallverletzungen in Abhängigkeit von leicht zugänglichen<br />
Merkmalen der Unfallsituation und der beteiligten Personen analysiert.<br />
Für die Interpretation muss beachtet werden, dass die Ergebnisse durch<br />
nicht berücksichtigte Merkmale oder andere Effekte „verzerrt“ sein können.<br />
Solche systematischen Fehler in der statistischen Analyse können<br />
aus folgenden Gründen entstehen:<br />
• unbekannte Expositionsunterschiede von Fussgängern bei verschiedenen<br />
(Umwelt-)Bedingungen (z. B. schöne Witterung vs. Niederschläge,<br />
Tag vs. Nacht, innerorts vs. ausserorts etc.)<br />
• unbekannte motorisierte Verkehrsmenge bei verschiedenen (Umwelt-)<br />
Bedingungen<br />
• Registrierungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit der Verletzungsschwere<br />
und der Art der Verkehrsteilnahme<br />
• alters- und teilweise auch geschlechtsabhängige Vulnerabilität und<br />
Mortalität (d. h. gleiche Energieeinwirkung hat unterschiedliche Folgen)<br />
• unbekannte Entwicklung der Kilometerleistung und Expositionszeit im<br />
Verlauf der Jahre<br />
Durch Verzerrungsfehler und den Einfluss möglicher Störfaktoren ist die<br />
Interpretation der ermittelten empirischen Befunde nicht immer offensichtlich.<br />
Oftmals müssen alternative Erklärungsmöglichkeiten berücksichtigt<br />
werden, um ein gesichertes Bild der Entstehungshintergründe und der<br />
Problempunkte von Fussgängerunfällen zu erhalten. Die Beschreibung<br />
des <strong>Unfallgeschehen</strong>s liefert dennoch wichtige Anhaltspunkte für die Präventionsarbeit,<br />
da sie aufzeigt, in welchen Bereichen Handlungsbedarf<br />
besteht.<br />
5.2 Bestimmung von Risikofaktoren<br />
Risikofaktoren lassen sich aufgrund verschiedener Informationsquellen<br />
ableiten (z. B. explorative Untersuchungen/experimentelle Tests). Als
Methodik 77<br />
Tabelle 5:<br />
Beispiel zur<br />
Berechnung des<br />
Odds Ratio<br />
BFS- und UVG-<br />
Unfalldaten weisen<br />
nur eingeschränkte<br />
Möglichkeiten zu<br />
Bestimmung von<br />
Risikofaktoren auf<br />
eher beschreibendes Mass bietet sich die Berechnung der Case Fatality<br />
oder Letalität zur Identifizierung von Verletzungsrisikofaktoren an. Die<br />
Case Fatality gibt die Anzahl Getötete pro 10'000 Verletzte (inkl. tödlich<br />
Verletzte) an. Von weitergehender Bedeutung ist die Bestimmung von<br />
Risikofaktoren mittels der Methoden der analytischen Epidemiologie. Zu<br />
nennen sind insbesondere zwei Berechnungskonzepte, nämlich das relative<br />
Risiko und das Odds Ratio (auch als Kreuzproduktverhältnis oder<br />
Chancenverhältnis bezeichnet). Da das Konzept der Odds Ratios in epidemiologischen<br />
Studien häufig verwendet wird, soll es anhand eines fiktiven<br />
Beispiels erläutert werden. In einer Studie wurden insgesamt 12'000<br />
PW-Fahrten registriert, davon 2'000 unter Alkoholeinfluss. Gleichzeitig<br />
wurde erhoben, wie viele Fahrten in einem Unfall endeten (Tabelle 5). Es<br />
stellt sich die Fragen, ob Fahren unter Alkoholeinfluss einen Risikofaktor<br />
darstellt.<br />
Unfall Kein Unfall<br />
Fahrten ohne Alkohol 100 9’900<br />
Fahren mit Alkohol 50 1’950<br />
Für die Berechnung des Odds Ratio werden zuerst die „Chancen“ (Odds)<br />
berechnet, zu verunfallen: Für Fahren ohne Alkohol beträgt diese 0.010<br />
(100/9'990), unter Alkoholexposition 0.026 (50/1'950). Das Verhältnis aus<br />
beiden Odds beträgt 2.6 (0.026/0.010). Wird das Odds Ratio als Wahrscheinlichkeit<br />
interpretiert, ergibt sich für Fahren unter Alkohol eine um<br />
das 2.6-fache bzw. 160 % höhere Wahrscheinlichkeit zu verunfallen. Sind<br />
die „Chancen“ mit und ohne Exposition gleich, ergibt sich ein Odds Ratio<br />
von eins, d.h. es gibt keinen Zusammenhang zwischen Exposition und<br />
Unfallrisiko. Werte kleiner eins weisen in gleichem Masse auf ein verringertes<br />
Unfallrisiko hin.<br />
Das Design einer epidemiologischen Studie zur Bestimmung von Risikofaktoren<br />
(z.B. Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien) wird auf bestimmte<br />
Berechnungskonzepte ausgerichtet, um sicherzustellen, dass alle notwendigen<br />
Informationen erfasst werden.
78 Methodik<br />
BFS- und UVG-<br />
Unfalldaten per se<br />
liefern keine<br />
Unfallrisikofaktoren<br />
Die Unfalldaten des BFS und der SSUV werden nicht mit dieser Zielsetzung<br />
erhoben. Dementsprechend sind die Möglichkeiten zur empirischen<br />
Bestimmung von Risikofaktoren deutlich eingeschränkt.<br />
Aus den BFS- und UVG-Unfalldaten können keine Faktoren extrahiert<br />
werden, die sich auf die Unfallwahrscheinlichkeit beziehen. Dies hängt<br />
damit zusammen, dass die Datensätze keine Informationen über die<br />
Nicht-Verunfallten enthalten (oder um genau zu sein, über deren Risikoexposition).<br />
Ein Teil der fehlenden Informationen kann zwar aus anderen<br />
empirischen Erhebungen abgeleitet werden, die repräsentative Aussagen<br />
über die schweizerischen Verkehrsteilnehmenden machen (z. B. Lichteinschaltquote,<br />
Helmtragquote, Anteil LWs am DTV). Da aber die Daten<br />
aus verschiedenen Quellen stammen, können konfundierte Einflussfaktoren<br />
(wie Alter, Geschlecht etc.) statistisch nicht kontrolliert werden. Aus<br />
diesem Grund wurde im vorliegenden Bericht auf die Berechnung von Risikofaktoren<br />
mittels epidemiologischer Modelle verzichtet. Soweit aber<br />
Ergebnisse aus speziell angelegten Studien vorliegen, werden diese hier<br />
berichtet.
<strong>Unfallgeschehen</strong> 79<br />
Jährlich 7'000 verunfallte<br />
Fussgänger<br />
Polizei registriert<br />
jährlich 2'700 verunfallte<br />
Fussgänger<br />
Tabelle 6:<br />
Verletzte und getötete<br />
Fussgänger,<br />
2000–2004<br />
Analyse des <strong>Unfallgeschehen</strong>s<br />
als<br />
Grundlage für die<br />
Prävention<br />
VI. UNFALLGESCHEHEN<br />
1. Fussgängerunfälle im Vergleich<br />
1.1 Ausgangslage<br />
Hochrechnungen der bfu (Allenbach, Brügger, Dähler-Sturny & Siegrist,<br />
2005) zeigen, dass auf den Strassen der Schweiz jährlich rund 7’000<br />
Fussgänger verletzt oder getötet werden. Der Polizei gemeldet und registriert<br />
wird aber nur etwa ein Drittel dieser Fälle, vor allem die schweren<br />
Ereignisse. Nachfolgende Analysen beziehen sich auf diese – polizeilich<br />
erfassten – Unfälle.<br />
Tabelle 6 zeigt die Entwicklung der Fussgängerunfälle und die Verletzungsschwere<br />
der Betroffenen für die Zeitspanne von 2000–2004. Pro<br />
Jahr erlitten durchschnittlich 2’700 zu Fuss Gehende unfallbedingte Verletzungen,<br />
davon verunfallten jährlich um die 800 Fussgänger schwer und<br />
100 tödlich.<br />
Leichtverletzte Schwerverletzte Getötete<br />
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent<br />
2000 1’882 64.6 901 30.9 130 4.5<br />
2001 1’669 61.7 934 34.5 104 3.8<br />
2002 1’725 64.6 849 31.8 96 3.6<br />
2003 1’719 67.9 720 28.5 91 3.6<br />
2004 1’731 68.7 695 27.5 95 3.8<br />
Σ 2000–<br />
2004<br />
Ø 2000–<br />
2004<br />
8’726 65.4 4’099 30.7 516 3.9<br />
1’745 65.4 820 30.7 103 3.9<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Ohne detaillierte Kenntnisse über das <strong>Unfallgeschehen</strong> ist es nicht möglich,<br />
wirksame Prävention zu betreiben. Durch gezielte Interventionen soll<br />
primär die Zahl der Schwerverletzten und Getöteten reduziert werden.<br />
Leichtverletzte werden daher bei der nachfolgenden Analyse der Unfallsituation<br />
nur ausnahmsweise dargestellt.
80 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Fussgängersicherheit<br />
in der Schweiz ist<br />
durchschnittlich<br />
Abbildung 4:<br />
Getötete Fussgänger<br />
pro 1. Mio.<br />
Einwohner,<br />
Ø 2000–2004<br />
Generell hohe<br />
Verkehrssicherheit in<br />
der Schweiz<br />
1.2 Vergleich Schweiz – Europa<br />
In der Schweiz verunfallten in den Jahren 2000–2004 jährlich 100 Fussgänger<br />
tödlich, was 14 Getöteten auf 1 Mio. Einwohner entspricht. Im europäischen<br />
Vergleich steht die Schweiz damit im Mittelfeld (Abbildung 4).<br />
Den höchsten Wert weist Polen mit 52, den niedrigsten die Niederlande<br />
mit 6 Getöteten pro 1 Mio. Einwohner auf.<br />
Wäre das bevölkerungsbezogene Risiko in der Schweiz so tief wie in den<br />
Niederlanden (14 vs. 6), würden jährlich auf Schweizer Strassen nur halb<br />
so viele Fussgänger tödlich verunfallen.<br />
Getötete Fussgänger pro 1. Mio. Einwohner<br />
55<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Niederlande<br />
Schweden<br />
Norwegen<br />
Finnland<br />
Deutschland<br />
Dänemark<br />
Frankreich<br />
Großbritannien<br />
Schweiz<br />
Italien<br />
Österreich<br />
Spanien<br />
Irland<br />
Slowenien<br />
Portugal<br />
Tschechien<br />
Ungarn<br />
Polen<br />
Quelle: IRTAD (2005), Auswertungen bfu<br />
Bemerkung: Aufgrund fehlender Daten wurde für Italien, Irland und Ungarn der Durchschnitt<br />
aus den Jahren 2000 bis 2003 ermittelt.<br />
Abbildung 5 zeigt die Gegenüberstellung der Anzahl getöteter Fussgänger<br />
und der Anzahl übriger getöteter Verkehrsteilnehmendender (v. a. Insassen<br />
von Personenwagen, Fahrer von motorisierten Zweirädern und Radfahrer).<br />
Mit 60 übrigen getöteten Verkehrsteilnehmenden pro 1 Mio. Einwohner<br />
steht die Schweiz im Vergleich zu andern europäischen Ländern<br />
relativ gut da, sie steht an 5. Stelle der 18 in Betracht gezogenen Länder.<br />
Den höchsten Wert weist Portugal mit 125, den niedrigsten Grossbritannien<br />
mit 46 Getöteten pro 1 Mio. Einwohner auf.
<strong>Unfallgeschehen</strong> 81<br />
Abbildung 5:<br />
Getötete Verkehrsteilnehmende<br />
pro<br />
1 Mio. Einwohner,<br />
Ø 2000–2004<br />
Abbildung 5 gibt zudem Auskunft über den Zusammenhang zwischen<br />
dem Sicherheitsniveau der zu Fuss Gehenden und dem Sicherheitsniveau<br />
der übrigen Verkehrteilnehmenden (gestrichelte Hilfslinien zur<br />
Veranschaulichung). So zeigt sich, dass in der Schweiz auf jeden getöteten<br />
Fussgänger etwa 4 getötete übrige Verkehrsteilnehmende fallen.<br />
Beträgt dieser Wert in Polen etwa 2, so muss in den Niederlanden mit<br />
dem Wert 9 gerechnet werden oder anders ausgedrückt, die Sicherheit<br />
der Fussgänger im Vergleich zu den übrigen Verkehrsteilnehmenden ist in<br />
den Niederlanden hoch, in Polen tief.<br />
Während die generelle Verkehrssicherheit in der Schweiz also hoch ist,<br />
muss – im europäischen Vergleich – bei der Verkehrssicherheit von<br />
Fussgängern in Relation zur Sicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmenden<br />
von einem tiefen Sicherheitsniveau gesprochen werden. Nur sechs<br />
Länder in Europa weisen ein schlechteres Verhältnis zwischen Fussgänger-<br />
und übriger Verkehrssicherheit auf.<br />
Quelle: IRTAD (2005), Auswertungen bfu<br />
Bemerkung: Aufgrund fehlender Daten wurde für Italien, Irland und Ungarn der Durchschnitt<br />
aus den Jahren 2000 bis 2003 ermittelt.
82 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Exposition als<br />
notwendige<br />
Bezugsgrösse zur<br />
Bestimmung des<br />
Unfallrisikos<br />
Abbildung 6:<br />
Getötete 10- bis 14jährige<br />
Fussgänger,<br />
expositionsbereinigt<br />
14 von 100 Schwerverletzten<br />
oder<br />
Getöteten sind<br />
Fussgänger<br />
Bei den obigen Darstellungen ist nicht berücksichtigt, wie viel in den einzelnen<br />
Ländern zu Fuss gegangen wird bzw. wie viel die Einwohner mit<br />
anderen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Daher kann aufgrund dieser<br />
Auswertungen nichts über die Gefährdung des einzelnen Fussgängers<br />
ausgesagt werden. Hierzu ist es notwendig, die Exposition mit zu berücksichtigen.<br />
International vergleichende Zahlen liegen für Kinder vor (Abbildung 6),<br />
jedoch nur für die Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen und für eine geringe<br />
Anzahl Länder. Es zeigt sich, dass das expositionsbereinigte (in Bezug<br />
auf die Verkehrsleistung) Risiko für Schweizer Kinder im Vergleich mit<br />
dem Ausland gering ist.<br />
Getötete 10- bis 14-jährige Fussgänger pro 10'000 km<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Norwegen<br />
Schweiz<br />
Quelle: Christie et al. (2004)<br />
Deutschland<br />
Schweden<br />
Niederlande<br />
Ungarn<br />
Grossbritannien<br />
1.3 Vergleich Fussgängerunfälle – übriges <strong>Unfallgeschehen</strong> Schweiz<br />
Von den jährlich insgesamt rund 6’500 schwer verletzten oder getöteten<br />
Verkehrsteilnehmenden (Durchschnitt aus den Jahren 2000–2004) sind<br />
gut 900 Fussgänger, was rund 14 % entspricht (Abbildung 7). Dieser Anteil<br />
bewegte sich in den untersuchten Jahren zwischen 13 % und 15 %.<br />
Während die Zahl schwerer und tödlicher Verletzungen bei den übrigen<br />
Verkehrteilnehmenden in den letzten 5 Jahren um 9 % abnahm, konnte<br />
diejenige bei den Fussgängern sogar um 23 % reduziert werden. In den<br />
USA
<strong>Unfallgeschehen</strong> 83<br />
Abbildung 7:<br />
Summe der schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgänger<br />
nach Verkehrsteilnahme,<br />
Ø 2000–2004<br />
Fahrer von zweirädrigenMotorfahrzeugen<br />
am stärksten<br />
gefährdet<br />
Stetige Abnahme des<br />
verkehrsleistungsbezogenen<br />
Risikos<br />
Jahren 2000–2004 zogen sich pro Jahr 820 Fussgänger schwere und 103<br />
tödliche Verletzungen zu (s. Tabelle 6, S. 79).<br />
14%<br />
4%<br />
14%<br />
4%<br />
25%<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
39%<br />
Personenwagen<br />
Motorrad<br />
Mofa<br />
Fahrrad<br />
Fussgänger<br />
Andere<br />
Setzt man die Anzahl schwer und tödlich verletzter Verkehrsteilnehmer in<br />
Relation zur jeweiligen Kilometerleistung11 , so ergibt sich das in Tabelle 7<br />
dargestellte Bild. Am weitaus häufigsten von schweren Unfallereignissen<br />
betroffen sind Mofa- und Motorradfahrer, pro 100 Mio. Personenkilometer<br />
werden bei diesen zweirädrigen Motorfahrzeugen 140 bzw. 90 Personen<br />
schwer oder tödlich verletzt. Mit entsprechenden Werten von 41 bzw. 22<br />
figurieren Velofahrer und Fussgänger im Mittelfeld. Personenwageninsassen<br />
weisen das deutlich geringste fahrleistungsbezogene Risiko auf, deren<br />
Wert beträgt knapp 5.<br />
Der Vergleich der aktuellsten Daten aus dem Jahr 2000 mit denjenigen<br />
von 1984 zeigt bei allen Verkehrsteilnehmergruppen eine deutliche Abnahme<br />
des verkehrsleistungsbezogenen Risikos. Gegenüber 1994 nahm<br />
dieses Risiko im Jahr 2000 nur bei den Mofafahrern zu. Die deutlichste<br />
Reduktion von rund 40 % erfolgte bei den Motorradfahrern, während bei<br />
den Velofahrern, Personenwageninsassen und Fussgängern eine Abnahme<br />
von rund 20 % feststellbar ist.<br />
11 Die Kilometerleistungen wurden dem Mikrozensus (Bundesamt für Raumentwicklung<br />
ARE & Bundesamt für Statistik BFS, 2001) entnommen. Diese Erhebungen werden ca.<br />
alle 5 Jahre vorgenommen und die aktuellsten Daten stammen aus dem Jahr 2000.<br />
Angaben zur Exposition liegen für Personen ab 6 Jahren vor.
84 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 7:<br />
Summe der Schwerverletzten<br />
und<br />
Getöteten (ab 6<br />
Jahren) pro 100 Mio.<br />
Personenkilometer<br />
nach Verkehrsteilnahme,<br />
1984–2000<br />
Expositionsbereinigtes<br />
(in Bezug auf die<br />
Aufenthaltsdauer)<br />
Risiko von Fussgängern<br />
sehr tief<br />
Tabelle 8:<br />
Summe der<br />
Schwerverletzten und<br />
Getöteten (ab 6<br />
Jahren) pro 1 Mio.<br />
Personenstunden<br />
nach Verkehrsteilnahme,<br />
1984–2000<br />
Überdurchschnittliche<br />
Erhöhung der Fussgängersicherheit<br />
in<br />
den letzten 10 Jahren<br />
Verkehrsteilnahme<br />
Summe der Schwerverletzten und Getöteten<br />
1984 1989 1994 2000<br />
Veränderung<br />
1994/2000<br />
in %<br />
Mofa 175.5 243.6 123.8 140.1 +13<br />
Motorrad 452.8 221.5 157.2 89.9 –43<br />
Fahrrad 79.3 80.7 50.3 40.9 –19<br />
Fussgänger 86.8 71.5 28.8 22.0 –24<br />
Personenwagen 13.8 11.0 5.6 4.5 –20<br />
Quelle: ARE & BFS, 2001; BFS, 2005a; Auswertungen bfu<br />
Ein ähnliches Bild wie Tabelle 7 zeigt die Relation zwischen der Anzahl<br />
schwer und tödlich verletzter Verkehrsteilnehmer zur jeweiligen Aufenthaltsdauer<br />
(Personenstunden) im Verkehr (Tabelle 8). Das Risiko für<br />
Benützer von zweirädrigen Motorfahrzeugen ist deutlich erhöht. Pro 1<br />
Mio. Stunden Aufenthaltsdauer im Verkehr verletzten sich 28 Motorradfahrer<br />
bzw. 20 Mofafahrer schwer oder tödlich. Die entsprechenden Werte<br />
betragen für Velofahrer 5, für Personenwageninsassen 2 und Fussgänger<br />
1. Während bei den Motorradfahrern zwischen 1994 und 2000 eine<br />
Reduktion von über 50 % erreicht werden konnte, beträgt die Abnahme<br />
bei den übrigen Verkehrsteilnehmergruppen rund 20 %.<br />
Verkehrsteilnahme<br />
Summe der Schwerverletzten und Getöteten<br />
1984 1989 1994 2000<br />
Veränderung<br />
1994/2000<br />
in %<br />
Motorrad 116.4 83.1 62.9 28.4 –55<br />
Mofa 28.7 27.4 24.8 20.0 –18<br />
Fahrrad 8.5 7.9 6.2 5.1 –18<br />
Personenwagen 5.3 4.0 2.3 1.8 –22<br />
Fussgänger 3.1 3.3 0.9 0.7 –22<br />
Quelle: ARE & BFS, 2001; BFS, 2005a; Auswertungen bfu<br />
Die Verkehrssicherheit konnte in den letzten 10 Jahren deutlich erhöht<br />
werden (Abbildung 8). Im Durchschnitt der Jahre 2003/04 waren 19 %<br />
weniger Schwerverletzte und Getötete zu verzeichnen als im Durchschnitt<br />
der Jahre 1993/94. Wurden vor zehn Jahren noch rund 7'600 Verkehrsteilnehmende<br />
jährlich schwer und tödlich verletzt, sind dies heute<br />
noch rund 6'200. Neben der Reduktion bei den Mofafahrern war die Ab-
<strong>Unfallgeschehen</strong> 85<br />
Abbildung 8:<br />
Summe der<br />
Schwerverletzten und<br />
Getöteten nach<br />
Verkehrsteilnahme,<br />
Ø 1993/94 vs.<br />
Ø 2003/04<br />
Deutliche Abnahme<br />
der schweren<br />
Fussgängerunfälle in<br />
den letzten fünf<br />
Jahren<br />
nahme bei den Fussgängern am ausgeprägtesten. Die Anzahl schwerer<br />
Fussgängerunfälle reduzierte sich in den vergangenen 10 Jahren um rund<br />
einen Drittel.<br />
Schwerverletzte und Getötete<br />
9000<br />
8000<br />
7000<br />
6000<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
Personenwagen<br />
- 23 %<br />
Motorrad<br />
+ 14 %<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
- 62<br />
Mofa<br />
Fahrrad<br />
- 15 % - 34 %<br />
Fussgänger<br />
Durchschnitt 1993/94 Durchschnitt 2003/04<br />
Total<br />
- 19 %<br />
Die Analyse des <strong>Unfallgeschehen</strong>s der letzten fünf Jahre zeigt nach wie<br />
vor eine deutliche Erhöhung der Verkehrssicherheit (Abbildung 9). Die<br />
Zahl schwer und tödlich Verletzter nahm insgesamt um 11 % ab. Mit Ausnahme<br />
der Motorradfahrer konnten alle Verkehrsteilnehmergruppen von<br />
diesem Erfolg profitieren. Während die Anzahl schwer und tödlich verletzter<br />
Motorradfahrer um 14 % zunahm, reduzierte sich diejenige der<br />
Fussgänger um 23 %.
86 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Abbildung 9:<br />
Summe der<br />
Schwerverletzten und<br />
Getöteten nach<br />
Verkehrsteilnahme,<br />
2000–2004<br />
Hohe Verletzungsschwere<br />
der<br />
Fussgänger<br />
Abbildung 10:<br />
Verletzungsschwere<br />
(case fatality) nach<br />
Verkehrsteilnahme,<br />
Ø 2000–2004<br />
Schwerverletzte und Getötete<br />
3000<br />
2500<br />
2000<br />
1500<br />
1000<br />
500<br />
0<br />
2000 2001 2002 2003 2004<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Personenwagen<br />
Motorrad<br />
Fahrrad<br />
Fussgänger<br />
Andere<br />
Mofa<br />
Nach wie vor problematisch ist die Verletzungsschwere von Fussgängern<br />
(Abbildung 10). Im Durchschnitt über alle Verkehrsteilnehmergruppen<br />
werden pro 10'000 Verunfallte rund 180 Personen tödlich verletzt (sog.<br />
case fatality). Dieser Wert ist bei den Fussgängern mehr als doppelt so<br />
hoch, pro 10'000 verunfallte Fussgänger verletzen sich knapp 390 tödlich.<br />
Die case fatality von Fussgängern hängt neben der Kollisionsgeschwindigkeit<br />
stark vom Alter der betroffenen Personen (s. Kap. VI.2<br />
Fussgänger, S. 87) und der Art der Kollisionsgegner (s. Kap. VI.3<br />
Kollisionsobjekte, S. 97) ab.<br />
Getötete pro 10'000 Verunfallte<br />
450<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
Personenwagen<br />
Motorrad<br />
Mofa<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Fahrrad<br />
Fussgänger<br />
Andere<br />
Total
<strong>Unfallgeschehen</strong> 87<br />
Seniorinnen überdurchschnittlich<br />
stark<br />
betroffen<br />
Erhöhte Verletzungsschwere<br />
bei Männern<br />
Tabelle 9:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Geschlecht,<br />
Ø 2000–2004<br />
Erhöhtes Unfallrisiko<br />
von Kindern und<br />
Senioren<br />
2. Fussgänger<br />
2.1 Betroffene Personen<br />
Die Anzahl schwer und tödlich verletzter Fussgänger verteilt sich nahezu<br />
hälftig auf Frauen und Männer (Tabelle 9). Die Frauen weisen ein leicht<br />
erhöhtes Risiko auf, dies zeigt sich in Relation zu deren Einwohnerzahl.<br />
Pro 100'000 Einwohnerinnen verletzen sich 12.9 Fussgängerinnen schwer<br />
oder tödlich, der entsprechende Wert bei den Männern beträgt 12.6.<br />
Dieses erhöhte bevölkerungsbezogene Risiko von Frauen resultiert fast<br />
ausschliesslich aus der Altersgruppe der Seniorinnen (Abbildung 11). Im<br />
Alter von 65 bis 74 Jahren verunfallen – bezogen auf die Einwohnerzahl –<br />
rund 30 % mehr Frauen als Männer. In den übrigen Altersgruppen weisen<br />
meist die Männer ein erhöhtes Risiko auf.<br />
Die Verletzungsschwere (case fatality) von Männern ist generell höher als<br />
diejenige der Frauen. Pro 10'000 Verunfallte ist der Anteil tödlich verletzter<br />
Männer um rund 30 % erhöht (Tabelle 9). Einzig bei den Mädchen<br />
zwischen 0 und 6 Jahren treten häufiger tödliche Verletzungen auf als bei<br />
den gleichaltrigen Knaben (Abbildung 12, S. 89).<br />
Schwerverletzte<br />
(SV)<br />
Getötete<br />
(Get)<br />
Total<br />
SV+Get<br />
SV+Get<br />
pro<br />
100'000<br />
Einwohner<br />
Case<br />
fatality<br />
Frauen 431 46 477 12.9 338<br />
Männer 389 57 446 12.6 439<br />
Total 820 103 923 12.7 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Kinder bis 14 Jahre und Senioren ab 65 Jahren sind überdurchschnittlich<br />
stark von schweren Fussgängerunfällen betroffen (Tabelle 10). Pro<br />
100'000 Einwohner verletzten sich jährlich rund 20 Kinder zwischen 7 und<br />
14 Jahren (doppelt so viele Knaben wie Mädchen) und 40 Senioren über<br />
74 Jahre schwer bzw. tödlich (Abbildung 8).
88 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 10:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Alter,<br />
Ø 2000–2004<br />
Die Verletzungsschwere steigt mit zunehmendem Alter (Abbildung 12).<br />
Senioren zwischen 65 und 74 Jahren weisen eine rund 2-fach, Senioren<br />
über 74 Jahren sogar eine 3-fach erhöhte Verletzungsschwere gegenüber<br />
dem Durchschnitt aller verunfallten Fussgänger auf.<br />
Schwerverletzte<br />
(SV)<br />
Getötete<br />
(Get)<br />
Total<br />
SV+Get<br />
SV+Get<br />
pro 100'000<br />
Einwohner<br />
Case<br />
fatality<br />
0–6 70 6 76 14.0 241<br />
7–14 134 4 138 20.1 73<br />
15–17 25 1 26 10.6 116<br />
18–24 52 3 55 9.1 114<br />
25–44 120 9 129 5.8 184<br />
45–64 159 20 179 9.8 416<br />
65–74 96 15 111 18.7 657<br />
über 74 163 46 209 39.2 1'152<br />
Total 820 103 923 12.7 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
In Abbildung 11 sind insbesondere die beiden schon beschriebenen Tatsachen<br />
(erhöhtes Risiko von Kindern/Senioren und erhöhtes Risiko von<br />
Knaben) anschaulich dargestellt. Zudem fällt auf, dass junge Männer zwischen<br />
15 und 17 Jahren und – wie schon erwähnt – ältere Männer zwischen<br />
65 und 74 Jahren gegenüber gleichaltrigen Frauen ein unterdurchschnittliches<br />
bevölkerungsbezogenes Risiko aufweisen.
<strong>Unfallgeschehen</strong> 89<br />
Abbildung 11:<br />
Summe der schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgänger<br />
pro 100’000<br />
Einwohner,<br />
Ø 2000–2004<br />
Ältere Männer häufig<br />
tödlich verletzt<br />
Abbildung 12:<br />
Getötete Fussgänger<br />
pro 10’000<br />
Verunfallte,<br />
Ø 2000–2004<br />
SV+Get pro 100'000 Einwohner<br />
45.0<br />
40.0<br />
35.0<br />
30.0<br />
25.0<br />
20.0<br />
15.0<br />
10.0<br />
5.0<br />
0.0<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Frauen Männer Total<br />
0-6 7–14 15-17 18-24 25-44 45-64 65-74 über 74<br />
Abbildung 12 zeigt die generell erhöhte Verletzungsschwere von männlichen<br />
Fussgängern sowie die ansteigende Verletzungsschwere mit zunehmendem<br />
Alter. Auffallend ist insbesondere, dass pro 10'000 verunfallte<br />
Senioren fast doppelt so viele Männer getötet werden wie Frauen.<br />
Getötete pro 10'000 Verunfallte<br />
1800<br />
1600<br />
1400<br />
1200<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
0<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Frauen Männer Total<br />
0-6 7–14 15-17 18-24 25-44 45-64 65-74 über<br />
74
90 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Auch expositionsbereinigtes<br />
Risiko der<br />
Kinder und Senioren<br />
erhöht<br />
Abbildung 13:<br />
Summe der schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgänger<br />
pro 100 Mio.<br />
Personenkilometer,<br />
2000<br />
In Abbildung 13 wird berücksichtigt, wie viele Kilometer die Personen in<br />
den unterschiedlichen Altersklassen zu Fuss leisten (Exposition) 12 . Auch<br />
die expositionsbereinigten Daten zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko für<br />
Kinder bis 14 Jahre sowie Senioren ab 70 Jahren.<br />
Pro 100 Mio. Personenkilometer verunfallten praktisch gleich viele Frauen<br />
wie Männer schwer und tödlich, rund 23. Insbesondere zwischen dem 15.<br />
und 69. Altersjahr sind die Risiken der beiden Geschlechter nahezu identisch.<br />
Knaben bis 14 Jahre und Seniorinnen ab 70 Jahren weisen hingegen<br />
ein erhöhtes Risiko gegenüber ihren andersgeschlechtlichen Altersgenossen<br />
auf.<br />
SV+Get pro 100 Mio. Personenkilometer<br />
140.0<br />
120.0<br />
100.0<br />
80.0<br />
60.0<br />
40.0<br />
20.0<br />
0.0<br />
Total Männer Frauen<br />
Quelle: ARE & BFS, 2001; BFS, 2005a; Auswertungen bfu<br />
6-9<br />
10-14<br />
15-17<br />
18-24<br />
25-34<br />
35-44<br />
45-54<br />
55-64<br />
65-69<br />
70-74<br />
75-79<br />
80-84<br />
85+<br />
In Abbildung 14 wird berücksichtigt, wie viele Stunden sich die Personen<br />
in den unterschiedlichen Altersklassen zu Fuss im Verkehr aufhalten (Exposition).<br />
Es zeigt sich praktisch dasselbe Bild wie in Abbildung 13.<br />
12 Die Kilometerleistungen wurden dem Mikrozensus (Bundesamt für Raumentwicklung<br />
ARE & Bundesamt für Statistik BFS, 2001) entnommen. Diese Erhebungen werden ca.<br />
alle 5 Jahre vorgenommen und die aktuellsten Daten stammen aus dem Jahr 2000.<br />
Angaben zur Exposition liegen für Personen ab 6 Jahren vor.
<strong>Unfallgeschehen</strong> 91<br />
Abbildung 14:<br />
Summe der schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgänger<br />
pro 1 Mio.<br />
Personenstunden,<br />
2000<br />
Hohe Gefährdung der<br />
Fussgänger beim<br />
Queren der Fahrbahn<br />
Verletzungsschwere<br />
bei Fussgängerunfällen<br />
in Längsrichtung<br />
am höchsten<br />
SV+Get pro 1 Mio. Personenstunden<br />
4.5<br />
4.0<br />
3.5<br />
3.0<br />
2.5<br />
2.0<br />
1.5<br />
1.0<br />
0.5<br />
0.0<br />
Total Männer Frauen<br />
Quelle: ARE & BFS, 2001; BFS, 2005a; Auswertungen bfu<br />
2.2 Unfalltyp<br />
6-9<br />
10-14<br />
15-17<br />
18-24<br />
25-34<br />
35-44<br />
45-54<br />
55-64<br />
65-69<br />
70-74<br />
75-79<br />
80-84<br />
85+<br />
Mehr als 70 % der schweren und tödlichen Verletzungen erleiden die<br />
Fussgänger beim Queren der Fahrbahn, 6 % ergeben sich beim Längsverkehr<br />
und gut 20 % bei anderen Verkehrssituationen (z. B. beim Ein-/<br />
Aussteigen, Aufenthalt auf Parkplätzen/Nebenanlagen) (Tabelle 11). Bei<br />
den insgesamt 660 schweren und tödlichen Verletzungen beim Queren<br />
der Fahrbahn stehen Kollisionen mit geradeaus fahrenden Fahrzeugen<br />
mit einem Anteil von über 90 % im Vordergrund, der Anteil Kollisionen mit<br />
abbiegenden Fahrzeugen macht nur knapp 10 % aus.<br />
Es fällt auf, dass der Anteil Fussgängerunfälle in Längsrichtung bei den<br />
Getötetenzahlen erhöht ist. Das widerspiegelt sich auch in der Verletzungsschwere,<br />
die mit knapp 500 Getöteten pro 100'000 Verunfallten bei<br />
diesem Unfalltyp am höchsten ist. Diese Unfälle ereignen sich überdurchschnittlich<br />
oft auf Ausserortsstrassen, wo die Kollisionsgeschwindigkeiten<br />
höher sind als innerorts. Niedrige Kollisionsgeschwindigkeiten, wie bei<br />
Unfällen mit abbiegenden Fahrzeugen, führen zu einer deutlich geringeren<br />
Verletzungsschwere. Kollidiert ein Fussgänger beim Queren mit einem<br />
abbiegenden Fahrzeug, ist die durchschnittliche Verletzungsschwere<br />
nur etwa halb so gross wie bei der Kollision mit einem geradeaus fahrenden<br />
Fahrzeug (188 vs. 384).
92 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 11:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Unfalltyp,<br />
Ø 2000–2004<br />
Hohe Gefährdung der<br />
Kinder beim Queren<br />
der Fahrbahn<br />
Eine erhöhte Verletzungsschwere weist auch der Unfalltyp „andere, unbekannt“<br />
auf, was insbesondere auf die tödlich verletzten Fussgänger auf<br />
Autobahnen zurückzuführen ist.<br />
Kollision mit querendem FG<br />
• geradeaus fahrendes Fz<br />
• abbiegendes Fz<br />
FG-Unfall in Längsrichtung<br />
• Fz in gleicher Richtung<br />
• entgegenkommendes Fz<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
592<br />
542<br />
50<br />
51<br />
34<br />
17<br />
72<br />
66<br />
6<br />
6<br />
4<br />
2<br />
68<br />
65<br />
3<br />
9<br />
6<br />
3<br />
66<br />
63<br />
3<br />
9<br />
6<br />
3<br />
660<br />
607<br />
53<br />
60<br />
40<br />
20<br />
72<br />
66<br />
6<br />
6<br />
4<br />
2<br />
Case<br />
fatality<br />
365<br />
384<br />
188<br />
493<br />
514<br />
455<br />
andere, unbekannt 177 22 26 25 203 22 421<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Kinder verunfallen überdurchschnittlich oft beim Queren der Fahrbahn,<br />
der Anteil dieses Unfalltyps macht bei den 0- bis 14-Jährigen 81 % aus<br />
(Tabelle 12). Von Fussgängerunfällen in Längsrichtung sind demgegenüber<br />
die 15- bis 64-Jährigen überdurchschnittlich stark betroffen.<br />
Die Verletzungsschwere erhöht sich mit zunehmendem Alter. Senioren<br />
verletzen sich generell schwerer als die übrigen Fussgänger, bei Unfällen<br />
mit tiefen Kollisionsgeschwindigkeiten kommt dies noch ausgeprägter<br />
zum Ausdruck. Während die case fatality von Senioren bei Fussgängerunfällen<br />
insgesamt rund 7.5-mal höher ist als bei Kindern, beträgt dieses<br />
Verhältnis bei Kollisionen von querenden Fussgängern sogar 12.4. Senioren<br />
erleiden also bereits bei tiefen Kollisionsgeschwindigkeiten sehr<br />
schwere Verletzungen.
<strong>Unfallgeschehen</strong> 93<br />
Tabelle 12:<br />
Summe der schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgänger<br />
nach Alter und<br />
Unfalltyp,<br />
Ø 2000–2004<br />
Kinder<br />
(0–14 Jahre)<br />
Erwachsene<br />
(15–64 Jahre)<br />
Senioren<br />
(65+ Jahre)<br />
Total<br />
Kollision<br />
mit querendem<br />
FG<br />
FG-Unfall<br />
in Längsrichtung<br />
andere,<br />
unbekannt<br />
Total<br />
SV+Get 173 9 32 214<br />
% 81 4 15 100<br />
case fatality 88 127 372 131<br />
SV+Get 257 34 98 389<br />
% 66 9 25 100<br />
case fatality 202 472 296 250<br />
SV+Get 230 17 73 320<br />
% 72 5 23 100<br />
case fatality 1'093 833 697 970<br />
SV+Get 660 60 203 923<br />
% 72 6 22 100<br />
case fatality 365 493 421 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
2.3 Verletzungen<br />
Die Daten der Polizei beinhalten, im Gegensatz zur Statistik der Versicherer<br />
(SSUV), keine Angaben zu den Verletzungsarten. Deshalb werden für<br />
folgende Analysen die SSUV-Daten (der Jahre 1999 – 2003) verwendet.<br />
Abbildung 15 zeigt, dass von den insgesamt 19’788 Verletzungen – bei<br />
11’432 verletzten Fussgängern – 35 % die unteren Extremitäten und 23 %<br />
die oberen Extremitäten betreffen. Es folgen mit 19 % Verletzungen an<br />
Kopf, Gesicht, Hals und mit 13 % Verletzungen am Rumpf. Verletzungen<br />
an Wirbelsäule/Rückenmark machen 5 % aus. Bei 5 % handelt es sich um<br />
andere oder nicht codierte Verletzungen.
94 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Abbildung 15:<br />
Verletzungslokalisation<br />
bei<br />
Fussgängern,<br />
Ø 1999–2003<br />
Fast die Hälfte der<br />
Verletzungen sind<br />
Prellungen<br />
Abbildung 16:<br />
Verletzungsarten von<br />
Fussgängern an<br />
unteren Extremitäten,<br />
Ø 1999–2003<br />
8000<br />
7000<br />
6000<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
Untere Extremitäten<br />
Obere Extremitäten<br />
Kopf, Gesicht, Hals<br />
Quelle: SSUV (2005), Auswertungen bfu<br />
Rumpf<br />
Wirbelsäule<br />
Andere<br />
Bei 46 % der Verletzungen handelt es sich um Prellungen (Kontusionen),<br />
15 % sind Brüche (Frakturen), 13 % offene Wunden und 11 % Verstauchungen<br />
(Distorsionen). Die Verletzungsarten der verschiedenen Körperregionen<br />
unterscheiden sich stark. Nachfolgende Abbildungen zeigen die<br />
Verletzungsarten für die am häufigsten betroffenen Körperteile.<br />
56 % der Verletzungen an den unteren Extremitäten von Fussgängern sind<br />
Prellungen (Abbildung 16). Weitere häufige Verletzungsarten sind Verstauchungen<br />
(16 %) und Brüche (15 %). Weniger häufig sind offene Wunden und<br />
Verrenkungen (Luxationen).<br />
15%<br />
16%<br />
6%<br />
3% 4%<br />
Quelle: SSUV (2005), Auswertungen bfu<br />
56%<br />
Prellung<br />
Verstauchung<br />
Bruch<br />
Offene Wunde<br />
Verrenkung<br />
Andere
<strong>Unfallgeschehen</strong> 95<br />
Abbildung 17:<br />
Verletzungsarten von<br />
Fussgängern an<br />
oberen Extremitäten,<br />
Ø 1999–2003<br />
Abbildung 18:<br />
Verletzungsarten von<br />
Fussgängern an Kopf,<br />
Gesicht und Hals,<br />
Ø 1999–2003<br />
Auch an den oberen Extremitäten stehen Prellungen mit einem Anteil von<br />
49 % im Vordergrund (Abbildung 17). Brüche mit 17 %, offene Wunden mit<br />
13 % und Verstauchungen mit 11 % sind ebenfalls sehr häufig. Selten hingegen<br />
sind Verrenkungen.<br />
13%<br />
11%<br />
3% 7%<br />
17%<br />
Quelle: SSUV (2005), Auswertungen bfu<br />
49%<br />
Prellung<br />
Bruch<br />
Offene Wunde<br />
Verstauchung<br />
Verrenkung<br />
Andere<br />
Die häufigste Verletzungsart an Kopf, Gesicht und Hals sind offene Wunden<br />
mit einem Anteil von 37 % (Abbildung 18). Der Anteil der sehr schweren<br />
Hirnverletzungen macht 28 %, derjenige der Prellungen 24 % aus. Eher selten<br />
sind Brüche.<br />
24%<br />
6%<br />
5%<br />
28%<br />
Quelle: SSUV (2005), Auswertungen bfu<br />
37%<br />
Offene Wunde<br />
Hirnverletzung<br />
Prellung<br />
Bruch<br />
Andere
96 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Abbildung 19:<br />
Verletzungsarten von<br />
Fussgängern am<br />
Rumpf,<br />
Ø 1999–2003<br />
Zwei Drittel der Verletzungen am Rumpf sind Prellungen und etwa ein Viertel<br />
Brüche (Abbildung 19). Die oftmals schweren inneren Verletzungen machen<br />
7 % aus.<br />
23%<br />
7%<br />
5%<br />
Quelle: SSUV (2005), Auswertungen bfu<br />
65%<br />
Prellung<br />
Bruch<br />
Innere Verletzung<br />
Andere
<strong>Unfallgeschehen</strong> 97<br />
Personenwagen als<br />
häufigste Kollisionsgegner<br />
Abbildung 20:<br />
Kollisionsobjekte von<br />
schwer und tödlich<br />
verletzten<br />
Fussgängern,<br />
Ø 2000–2004<br />
3. Kollisionsobjekte<br />
Rund drei Viertel der schweren und tödlichen Verletzungen ziehen sich<br />
die Fussgänger bei Kollisionen mit Personenwagen zu (Abbildung 20). 13<br />
Kollisionen mit Sachentransportfahrzeugen (Lastwagen, Lieferwagen)<br />
machen einen Anteil von 8 %, diejenigen mit Motorrädern und Velos 6 %<br />
bzw. 4 % aus. Betrachtetet man nur diejenigen Ereignisse, bei denen ein<br />
Fussgänger getötet wurde, beträgt der Anteil beteiligter Sachentransportfahrzeuge<br />
19 %.<br />
4%<br />
1%<br />
6%<br />
8%<br />
3% 5%<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
73%<br />
PW<br />
Motorrad<br />
Mofa<br />
Velo<br />
Sachentransportfahrzeug<br />
Bus<br />
andere<br />
In den Jahren 2000 bis 2004 verletzten sich jährlich 600 zu Fuss Gehende<br />
schwer oder tödlich bei Kollisionen mit Personenwagen, deren 70<br />
bei Kollisionen mit Sachentransportfahrzeugen (Abbildung 21). Weitere 50<br />
verunfallten bei Unfällen mit Motorrädern und 40 bei Kollisionen mit Velos.<br />
13 Analysiert wurden 2er-Kollisionen von Fussgängern mit anderen Verkehrsteilnehmern,<br />
also Unfälle, bei denen jeweils ein Fussgänger schwer oder tödlich verletzt wurde und<br />
nur ein einziges Kollisionsobjekt beteiligt war. Rund 90 % der schweren<br />
Fussgängerunfälle entsprechen dieser Konstellation.
98 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Kollisionen von<br />
Fussgängern mit<br />
Sachentransportfahrzeugen<br />
sind am<br />
schwersten<br />
Abbildung 21:<br />
Summe der schwer<br />
und tödlich verletzten<br />
Fussgänger und<br />
deren Verletzungsschwere<br />
nach<br />
Kollisionsgegner,<br />
Ø 2000–2004<br />
Die schwersten Verletzungen zogen sich die Fussgänger bei Kollisionen<br />
mit Sachentransportfahrzeugen zu. Während die durchschnittliche Verletzungsschwere<br />
(Anzahl Getötete pro 10'000 verunfallte Fussgänger) bei<br />
knapp 400 liegt, beträgt dieser Wert bei Kollisionen mit Sachentransportfahrzeugen<br />
über 1'100. Überdurchschnittlich schwer sind auch Unfälle<br />
unter Beteiligung von Bussen/Cars, die case fatality der Fussgänger weist<br />
bei diesen Kollisionen einen Wert von über 600 auf.<br />
PW<br />
Motorrad<br />
Mofa<br />
Velo<br />
Sachentransportfahrzeug<br />
Bus<br />
andere<br />
1'000 500 0 500 1'000 1'500<br />
schwer verletzte und getötete Fussgänger Case fatality<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu
<strong>Unfallgeschehen</strong> 99<br />
Männliche PW-Fahrer<br />
sind die häufigsten<br />
Kollisionsgegner von<br />
Fussgängern<br />
Tabelle 13:<br />
Kollisionsgegner (PW-<br />
Fahrer) von schwer<br />
und tödlich verletzten<br />
Fussgängern nach<br />
Alter und Geschlecht,<br />
Ø 2000–2004<br />
Pro Einwohner sind<br />
mehr männliche als<br />
weibliche PW-Fahrer<br />
an FG-Unfällen<br />
beteiligt<br />
Identisches expositionsbereinigtes<br />
Risiko für beide<br />
Geschlechter<br />
4. Kollisionsgegner<br />
Nachfolgende Analysen beschränken sich auf die Fahrer von Personenwagen<br />
als Kollisionsgegner von schwer und tödlich verletzten Fussgängern.<br />
Die PW-Fahrer machen rund drei Viertel aller Kollisionsgegner der<br />
Fussgänger aus.<br />
Zwei Drittel der mit Fussgängern kollidierenden PW-Fahrer sind Männer<br />
(Tabelle 13). Mit einer Ausnahme beträgt der Anteil der Frauen in allen<br />
Altersgruppen rund 30 %. Einzig bei den 25- bis 44-Jährigen ist mit 36 %<br />
ein leicht erhöhter Anteil beteiligter Frauen auszumachen.<br />
Frauen Männer Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
18–24 24 28 62 72 86 100<br />
25–44 86 36 154 64 240 100<br />
45–64 54 30 127 70 181 100<br />
65–74 14 30 33 70 47 100<br />
Über 74 11 29 27 71 38 100<br />
Total 189 32 403 68 592 100<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Ein ähnliches Bild zeigt der linke Teil von Tabelle 14: Pro 100'000 Einwohner<br />
sind 2.3-mal mehr männliche PW-Fahrer an schweren Fussgängerunfällen<br />
beteiligt als Frauen. Mit zunehmendem Alter nimmt der<br />
geschlechtsspezifische Unterschied zu, über 74-jährige männliche Fahrer<br />
sind rund viermal häufiger an solchen Kollisionen beteiligt als ihre<br />
Altersgenossinnen.<br />
Der rechte Teil von Tabelle 14 zeigt, dass pro 100 Mio. Personenkilometer<br />
(in Personenwagen absolvierte Fahrleistung) insgesamt gleich viele<br />
PW-Fahrer und -Fahrerinnen an schweren Fussgängerunfällen beteiligt<br />
sind. Männer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren und Frauen zwischen
100 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Ältere Fahrer sind<br />
überdurchschnittlich<br />
oft an schweren FG-<br />
Unfällen beteiligt<br />
Tabelle 14:<br />
Kollisionsgegner (PW-<br />
Fahrer) von schwer<br />
und tödlich verletzten<br />
Fussgängern nach<br />
Alter und Geschlecht,<br />
expositionsbereinigt,<br />
Ø 2000–2004<br />
65 und 74 Jahren weisen gegenüber ihren andersgeschlechtlichen Altersgenossen<br />
ein erhöhtes Risiko auf, als PW-Fahrer an schweren Fussgängerunfällen<br />
beteiligt zu sein.<br />
PW-Fahrer und -Fahrerinnen im Alter von 75 und mehr Jahren weisen ein<br />
deutlich erhöhtes (fahrleistungsbereinigtes) Risiko auf, an Unfällen mit<br />
schwer oder tödlich verletzten Fussgängern beteiligt zu sein. Gegenüber<br />
18- bis 24-Jährigen ist deren Risiko 2-fach, gegenüber 25- bis 64-Jährigen<br />
sogar 4-fach erhöht.<br />
Pro 100'000 Einwohner<br />
Pro 100 Mio.<br />
Personenkilometer<br />
Frauen Männer Total Frauen Männer Total<br />
18–24 8.4 20.4 14.5 1.7 2.4 2.1<br />
25–44 7.7 13.8 10.7 1.2 1.0 1.1<br />
45–64 5.9 14.0 9.9 1.2 1.2 1.2<br />
65–74 4.2 12.4 7.9 2.3 1.8 2.0<br />
Über 74 3.3 14.1 7.2 4.3 4.7 4.5<br />
Total 6.3 14.5 10.2 1.3 1.3 1.3<br />
Quelle: ARE & BFS, 2001; BFS, 2005a; Auswertungen bfu<br />
80 % der an schweren Fussgängerunfällen beteiligten PW-Fahrer besitzen<br />
ihren Führerschein mehr als vier Jahre, nahezu die Hälfte sogar mehr<br />
als 20 Jahre (Tabelle 15).
<strong>Unfallgeschehen</strong> 101<br />
Tabelle 15:<br />
Kollisionsgegner (PW-<br />
Fahrer) von schwer<br />
und tödlich verletzten<br />
Fussgängern nach<br />
Alter und Dauer des<br />
Führerscheinbesitzes,<br />
Ø 2000–2004<br />
Fünf Sechstel der an<br />
schweren Fussgängerunfällen<br />
beteiligten PW-Fahrer<br />
sind Schweizer<br />
Tabelle 16:<br />
Kollisionsgegner (PW-<br />
Fahrer) von schwer<br />
und tödlich verletzten<br />
Fussgängern nach<br />
Alter und Nationalität,<br />
Ø 2000–2004<br />
Dauer des Führerscheinbesitzes (in Jahren)<br />
< 1 1–2 2–3 3–4 4–20 > 20<br />
Keine<br />
Angabe Total<br />
18–24 19 17 16 11 19 0 4 86<br />
25–44 5 3 4 6 165 44 13 240<br />
45–64 1 0 1 1 17 152 9 181<br />
65–74 0 0 0 0 2 42 3 47<br />
über 74 0 0 0 0 1 35 2 38<br />
Total 25 20 21 18 204 273 31 592<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
85 % der an schweren Fussgängerunfällen beteiligten PW-Fahrer sind<br />
Schweizer, 12 % in der Schweiz wohnhafte und 3 % nicht in der Schweiz<br />
wohnhafte Ausländer (Tabelle 16). Der Anteil der in der Schweiz wohnhaften<br />
Ausländer in den Altergruppen der 18- bis 24- und 25- bis 44-Jährigen<br />
beträgt bei diesen Unfällen knapp 20 Prozent.<br />
Schweizer<br />
Ausländer<br />
(Wohnort<br />
Schweiz)<br />
Nationalität<br />
Ausländer<br />
(Wohnort<br />
Ausland) Total<br />
abs. % abs. % abs. % abs. %<br />
18–24 68 79 16 19 2 2 86 100<br />
25–44 192 80 40 17 8 3 240 100<br />
45–64 161 89 13 7 7 4 181 100<br />
65–74 42 90 3 6 2 4 47 100<br />
über 74 37 97 0 0 1 3 38 100<br />
Total 500 85 72 12 20 3 592 100<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Ob die ausländische Wohnbevölkerung ein anderes Risikoverhalten aufweist<br />
als diejenige mit Schweizer Pass, lässt sich aus den vorliegenden<br />
Daten nicht herleiten. Zwar ist der Anteil ausländischer Einwohner an der
102 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 17:<br />
Ständige Wohnbevölkerung<br />
in der<br />
Schweiz nach<br />
Nationalität,<br />
2004<br />
ständigen Wohnbevölkerung (Tabelle 17) deutlich höher als deren Anteil<br />
als PW-Fahrer bei schweren Fussgängerunfällen – was auf ein tieferes<br />
Risiko schliessen liesse –, doch könnte dieser Effekt rein auf die Exposition<br />
zurückzuführen sein (z. B. tieferer Anteil Führerscheinbesitzer bei<br />
Ausländern; höhere Verfügbarkeit von Personenwagen für Schweizer;<br />
niedrigere jährliche Fahrleistungen von Ausländern).<br />
Schweizer Ausländer Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
18–24 470’511 77 136’554 23 607’065 100<br />
25–44 1'628’782 73 611’825 27 2'240’607 100<br />
45–64 1'565’492 83 322’917 17 1'888’409 100<br />
65–74 536’645 89 66’333 11 602’978 100<br />
über 74 524’783 95 28’980 5 553’763 100<br />
Total 4'726’213 80 1'166’609 20 5'892’822 100<br />
Quelle: BFS (2005b), Auswertungen bfu
<strong>Unfallgeschehen</strong> 103<br />
9 von 10 Fussgängerunfällen<br />
passieren auf<br />
Innerortsstrassen<br />
Tabelle 18:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Ortslage,<br />
Ø 2000–2004<br />
Viele Tote auf<br />
Hauptstrassen<br />
5. Infrastruktur<br />
90 % der schweren Fussgängerunfälle ereignen sich im Innerortsbereich<br />
(Tabelle 18). Während von den Schwerverletzten 8 % auf Ausserortsstrassen<br />
verunfallen, beträgt dieser Anteil bei den Getötetenzahlen 18 %.<br />
Auf Autobahnen verunfallen zwar sehr wenige Fussgänger, deren Verletzungsschwere<br />
ist aber enorm hoch. Nahezu jeder dritte verunfallte Fussgänger<br />
erleidet hier tödliche Verletzungen. Auf Ausserortsstrassen wird<br />
jeder 10., auf Innerortsstrassen jeder 30. in einen Unfall verwickelte<br />
Fussgänger getötet.<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
Innerorts 752 92 79 77 831 90 320<br />
Ausserorts 64 8 19 18 83 9 1’097<br />
Autobahn 4 0 5 5 9 1 3’067<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Die Unfälle verteilen sich je etwa hälftig auf Haupt- und Nebenstrassen<br />
(Tabelle 19). Fussgängerunfälle mit Todesfolge ereignen sich überdurchschnittlich<br />
oft auf Hauptstrassen und Autobahnen. Die Verletzungsschwere<br />
(case fatality) auf Hauptstrassen ist rund doppelt, auf Autobahnen<br />
etwa 12-mal so hoch wie auf Nebenstrassen.
104 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 19:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Strassenart,<br />
Ø 2000–2004<br />
⅔ der Fussgängerunfälle<br />
auf Geraden<br />
Tabelle 20:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Unfallstelle,<br />
Ø 2000–2004<br />
⅓ der Unfälle auf<br />
Fussgänger-Streifen<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
Nebenstrasse 399 49 35 34 434 47 260<br />
Hauptstrasse 356 43 57 55 413 45 509<br />
Autobahn 4 0 5 5 9 1 3’067<br />
Andere, unbek. 61 8 6 6 67 7 342<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
¾ der schweren Unfälle ereignen sich auf Geraden oder in Kurven der<br />
freien Strecke (d. h. ohne Einmündungen und Kreuzungen), ⅔ allein auf<br />
Geraden (Tabelle 20). 1/6 der Fussgängerunfälle mit schweren oder tödlichen<br />
Verletzungensfolgen passieren an Einmündungen oder Kreuzungen.<br />
Die schwersten Unfälle ereignen sich in Kurven, die leichtesten an Kreuzungen.<br />
Freie Strecke<br />
• Gerade<br />
• Kurve<br />
Knoten<br />
• Einmündung<br />
• Kreuzung<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
615<br />
532<br />
83<br />
133<br />
70<br />
63<br />
75<br />
65<br />
10<br />
16<br />
8<br />
8<br />
81<br />
68<br />
13<br />
16<br />
10<br />
6<br />
78<br />
66<br />
12<br />
16<br />
10<br />
6<br />
696<br />
600<br />
96<br />
149<br />
80<br />
69<br />
75<br />
65<br />
10<br />
16<br />
9<br />
7<br />
Case<br />
fatality<br />
407<br />
392<br />
515<br />
337<br />
410<br />
256<br />
Andere, unbek. 72 9 6 6 78 9 306<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
⅔ der schweren Unfälle ereignen sich abseits von Fussgängerstreifen<br />
(Tabelle 21). Diese Kollisionen sind schwerer als diejenigen auf dem<br />
Streifen.
<strong>Unfallgeschehen</strong> 105<br />
Tabelle 21:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
auf und abseits von<br />
Fussgängerstreifen,<br />
Ø 2000–2004<br />
Schwerste Unfälle in<br />
Steigungen<br />
Tabelle 22:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Strassenanlage,<br />
Ø 2000–2004<br />
Verletzungsschwere<br />
stark abhängig von<br />
der Geschwindigkeit<br />
Abseits von<br />
Fussgänger-<br />
Streifen<br />
Auf Fussgänger-<br />
Streifen<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
507 62 67 65 574 62 412<br />
313 38 36 35 349 38 346<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
70 % aller Fussgänger verunfallen auf ebenem Gelände, 18 % im Gefälle<br />
und 12 % in Steigungen (Tabelle 22). Die Verletzungsschwere ist in Steigungen<br />
am höchsten.<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
Eben 574 70 69 67 643 70 362<br />
Gefälle* 143 18 19 18 162 18 422<br />
Steigung* 101 12 15 15 116 12 485<br />
Andere, unbek. 2 0 0 0 2 0 357<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
* bezieht sich auf die Fahrtrichtung des unfallauslösenden Objekts<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Tabelle 23 widerspiegelt praktisch dasselbe Bild wie Tabelle 18. 86 % der<br />
schweren oder tödlichen Verletzungen beim zu Fuss Gehen ergeben sich<br />
bei signalisierten Höchstgeschwindigkeiten von 50 km/h oder weniger<br />
(v. a. innerorts). Bei signalisierten Geschwindigkeiten von über 50 km/h<br />
(v. a. ausserorts) ist die Verletzungsschwere 4-mal so hoch wie bei<br />
50 km/h und sogar fast 7-mal so hoch wie bei signalisierten Geschwindigkeiten<br />
unter 50 km/h.
106 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 23:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach signalisierter<br />
Höchstgeschwindigkeit,<br />
Ø 2000–2004<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
50 km/h 682 83 69 67 751 81 308<br />
Über 50 km/h 93 11 31 30 124 14 1’220<br />
Unter 50 km/h 45 6 3 3 48 5 180<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu
<strong>Unfallgeschehen</strong> 107<br />
Nasse/feuchte<br />
Fahrbahnen sind<br />
gefährlicher<br />
Tabelle 24:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Strassenzustand,<br />
Ø 2000–2004<br />
Keine Niederschläge<br />
bei 8 von 10 Unfällen<br />
Tabelle 25:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Witterung,<br />
Ø 2000–2004<br />
Überdurchschnittliche<br />
Anzahl Unfälle im<br />
Winter<br />
6. Umwelteinflüsse<br />
71 % der schweren Unfälle ereignen sich auf trockener Fahrbahn (Tabelle<br />
24). Die Verletzungsschwere ist auf nasser/feuchter gegenüber trockener<br />
Fahrbahn leicht erhöht, auf winterlicher deutlich reduziert.<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
Trocken 579 71 74 72 653 71 384<br />
Nass/feucht 227 28 28 27 255 28 405<br />
Winterlich 13 1 1 1 14 1 276<br />
Andere, unbek. 1 0 0 0 1 0 0<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
82 % der Fussgängerunfälle ereignen sich bei trockener Witterung (Tabelle<br />
25). Die Verletzungsschwere bei Niederschlägen (Regen/Schnee) ist<br />
leicht reduziert.<br />
Keine<br />
Niederschläge<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
672 82 87 84 759 82 391<br />
Regen/Schnee 146 18 16 16 162 18 366<br />
Andere, unbek. 2 0 0 0 2 0 250<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
28 % aller Unfälle ereignet sich in Monaten, die bezüglich des Wetters als<br />
Sommermonate bezeichnet werden können (Mai bis August, Tabelle 26).<br />
Etwa ein Drittel der Fussgängerunfälle passieren in den Monaten März,<br />
April, September oder Oktober, die hier als Frühling respektive Herbst
108 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 26:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Jahreszeit,<br />
Ø 2000–2004<br />
⅔ der Unfälle bei Tag<br />
Tabelle 27:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Lichtverhältnissen,<br />
Ø 2000–2004<br />
Wenige Unfälle in den<br />
Nachtstunden<br />
definiert wurden. Zwischen November und Februar verunfallen rund 40 %<br />
der zu Fuss Gehenden. Die Verletzungsschwere ist im Winter am höchsten.<br />
Dieser scheinbare Widerspruch zu Tabelle 25 liegt darin begründet,<br />
dass die Strassen auch im Winter nur relativ selten winterliche Verhältnisse<br />
aufweisen, der tägliche Anteil von Nacht- und Dämmerungsstunden<br />
in dieser Jahreszeit aber erhöht ist (siehe auch Tabelle 27).<br />
Winter<br />
(Nov bis Feb)<br />
Frühling/Herbst<br />
(Mrz, Apr, Sep, Okt)<br />
Sommer<br />
(Mai bis Aug)<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
326 40 42 41 368 40 430<br />
265 32 27 26 292 32 309<br />
229 28 34 33 263 28 419<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Rund jeder dritte FG-Unfall ereignet sich bei eingeschränkten Lichtverhältnissen<br />
(Tabelle 27). Die Verletzungsschwere bei Nacht ist rund doppelt<br />
so hoch wie diejenige am Tag.<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
Tag 545 66 59 57 604 65 317<br />
Nacht 226 28 39 38 265 29 601<br />
Dämmerung 49 6 5 5 54 6 333<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
9 % aller Fussgängerunfälle geschehen in den Nachtstunden (Tabelle<br />
28). Unfälle am späteren Nachmittag und abends sind im Vergleich viel
<strong>Unfallgeschehen</strong> 109<br />
Tabelle 28:<br />
Schwer verletzte und<br />
getötete Fussgänger<br />
nach Unfallzeit,<br />
Ø 2000–2004<br />
Höchste Unfallzahl<br />
zwischen 17 und<br />
18 Uhr<br />
Abbildung 22:<br />
Summe der schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgänger<br />
nach Unfallzeit und<br />
Alter,<br />
Ø 2000–2004<br />
häufiger (44 %). Rund 30 % verunfallen am Mittag oder frühen Nachmittag.<br />
Die Verletzungsschwere in den Nachtstunden ist signifikant erhöht.<br />
Abend<br />
(15:30 – 21:29 Uhr)<br />
Mittag<br />
(10:30 – 15:29 Uhr)<br />
Morgen<br />
(06:30 – 10:29 Uhr)<br />
Nacht<br />
(21:30 – 06:29 Uhr<br />
Schwerverletzte<br />
Getötete Total<br />
abs. % abs. % abs. %<br />
Case<br />
fatality<br />
358 44 45 44 403 44 391<br />
237 29 28 27 265 29 335<br />
151 18 18 17 169 18 389<br />
74 9 12 12 86 9 552<br />
Total 820 100 103 100 923 100 387<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Alle Altersklassen weisen zwischen 17:00 und 18:00 Uhr die höchste Zahl<br />
schwer und tödlich verletzter Fussgänger auf (Abbildung 22). Kinder (bis<br />
17 Jahre) verunfallen am zweithäufigsten kurz vor Mittag (11:00 bis 12:00<br />
Uhr), Erwachsene (18–64 Jahre) am frühen Morgen (07:00 bis 08:00 Uhr)<br />
und Senioren (ab 65 Jahren) am späteren Vormittag (10:00 bis 11:00 Uhr)<br />
sowie Mitte Nachmittag (14:00 bis 15:00 Uhr). Diese Unfallspitzen widerspiegeln<br />
primär das Expositionsverhalten der einzelnen Altersklassen.<br />
Schwerverletzte und Getötete<br />
50<br />
45<br />
40<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
6:00 8:00 10:00 12:00 14:00 16:00 18:00 20:00 22:00<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Unfallzeit<br />
0-17 18-64 65+
110 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Kollisionsgegner<br />
häufiger schuldig als<br />
Fussgänger<br />
Abbildung 23:<br />
Mängelverteilung<br />
zwischen schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgängern<br />
und deren<br />
Kollisionsgegnern,<br />
Ø 2000–2004<br />
7. Unfallursachen<br />
7.1 Systematik der Ursachenerfassung<br />
Die Polizei kann jedem an einem Unfall beteiligten Objekt bis zu maximal<br />
drei Mängel und Einflüsse (Ursachen) zuschreiben. Anhand dieser Angaben<br />
kann auf mögliche Unfallursachen geschlossen werden.<br />
Zur Codierung verfügt die Polizei über einen Katalog mit rund 150 Mängeln/Einflüssen<br />
aus folgenden vier Kategorien:<br />
• direkter Einfluss des Lenkers oder Fussgängers<br />
• äusserer Einfluss<br />
• Mängel am Fahrzeug<br />
• Verkehrsablauf/Verkehrsregeln<br />
7.2 Übersicht<br />
Die Polizeirapporte zeigen, dass bei 54 % der Fälle (2er-Kollisionen von<br />
Fussgängern mit anderen Verkehrsteilnehmenden) ausschliesslich die<br />
Kollisionsgegner der Fussgänger bemängelt wurden, bei 28 % ausschliesslich<br />
die Fussgänger und bei 18 % waren beide Parteien mitschuldig<br />
(Abbildung 23). Diese Schuldanteile haben sich in den letzten 10 Jahren<br />
deutlich zu Ungunsten der Kollisionsgegner verschoben. Im Jahr 1994<br />
betrug der Anteil bemängelter Kollisionsgegner noch 47 %.<br />
Nur Kollisionsgegner<br />
bemängelt<br />
54%<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Beide Partner<br />
bemängelt<br />
18%<br />
Nur Fussgänger<br />
bemängelt<br />
28%
<strong>Unfallgeschehen</strong> 111<br />
Unvorsichtiges<br />
Queren bei den<br />
Fussgängern als<br />
häufigste Ursache<br />
Missachten der Anhaltepflicht<br />
vor dem<br />
Fussgängerstreifen<br />
bei den Kollisionsgegnern<br />
am<br />
häufigsten<br />
Abbildung 24:<br />
Wichtigste Unfallursachen<br />
bei schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgängern<br />
und deren<br />
Kollisionsgegnern,<br />
Ø 2000–2004<br />
Die häufigsten Ursachen bei den Fussgängern sind „Unvorsichtiges Queren<br />
(Gehen)“ und „Springen/Laufen über die Fahrbahn“ mit einem Anteil<br />
von zusammen knapp 50 % (Abbildung 24). Weitere wichtige Ursachen<br />
sind „Nichtbenützen des Fussgängerstreifens“ (12 %), „Falsches Verhalten<br />
an Fussgängerstreifen und Lichtsignalanlagen (LAS)“ (8 %), „Verdacht<br />
auf Alkohol“ (6 %) und „Unaufmerksamkeit/Ablenkung“ (5 %).<br />
Die häufigste Ursache auf Seiten der Kollisionsgegner ist „Missachten der<br />
Anhaltepflicht vor dem Fussgängerstreifen“ mit einem Anteil von 35 %.<br />
Weitere wichtige Ursachen sind „Unaufmerksamkeit/Ablenkung“ (24 %),<br />
„Geschwindigkeit“ und „Unvorsichtiges Rückwärtsfahren“ (je 8 %), „Zu<br />
spätes Erkennen des Fussgängers (wegen Unauffälligkeit)“ (4 %) und<br />
„Verdacht auf Alkohol“ (3 %).<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Unvorsichtiges Gehen/<br />
Laufen über die Strasse<br />
Nichtbenützen des<br />
Fussgängerstreifens<br />
Falsches Verhalten<br />
Fussgängerstreifen/LSA<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Fussgänger Kollisionsgegner<br />
Verdacht auf Alkohol<br />
Unaufmerksamkeit und<br />
Ablenkung<br />
Zu spätes Erkennen des<br />
Fussgängers (wegen<br />
Unauffälligkeit)<br />
Unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren<br />
Geschwindigkeit<br />
Missachten der<br />
Anhaltepflicht vor dem<br />
Fussgängerstreifen
112 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Kinder beim Spielen<br />
auf der Strasse stark<br />
gefährdet<br />
Tabelle 29:<br />
Wichtigste Unfallursachen<br />
bei schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgängern<br />
nach Alter,<br />
Ø 2000–2004<br />
7.3 Fussgänger<br />
Die häufigste Unfallursache bei den Fussgängern ist in allen Altersgruppen<br />
das unvorsichtige Queren der Fahrbahn (Tabelle 29). Bei Kindern<br />
und Senioren ist der Anteil dieser Ursache aber deutlich erhöht. Bei Kindern<br />
sind zudem das Spielen auf der Strasse und bei Senioren das Nichtbenützen<br />
des Fussgängerstreifens überdurchschnittlich oft festzustellen.<br />
Bei Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren wird von der Polizei<br />
überdurchschnittlich oft ein Verdacht auf Alkohol und falsches Verhalten<br />
an Lichtsignalanlagen festgestellt.<br />
Unvorsichtiges Gehen/<br />
Laufen über die Strasse<br />
Nichtbenützen des<br />
Fussgängerstreifens<br />
Kinder<br />
(0–17)<br />
Erwachsene<br />
(18–64)<br />
Senioren<br />
(65+) Total<br />
58.0 % 38.3 % 52.4 % 48.8 %<br />
8.7 % 12.3 % 16.7 % 12.0 %<br />
Verdacht auf Alkohol 0.2 % 13.3 % 2.9 % 6.1 %<br />
Unaufmerksamkeit und<br />
Ablenkung<br />
6.0 % 4.4 % 3.3 % 4.8 %<br />
Spielen auf der Strasse 7.3 % 0.4 % 0.2 % 2.9 %<br />
Falsches Verhalten an<br />
Fussgängerstreifen/LSA<br />
Anderer/unbekannter<br />
Mangel<br />
6.1 % 8.8 % 7.8 % 7.6 %<br />
13.7 % 22.5 % 16.7 % 17.8 %<br />
Total 100.0 % 100.0 % 100.0 % 100.0 %<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Die Unfallursachen „Nichtbenützen des Fussgängerstreifens“ und „Falsches<br />
Verhalten an Fussgängerstreifen und Lichtsignalanlagen (LSA)“ tritt<br />
bei Frauen, „Verdacht auf Alkohol“ bei Männern gehäuft auf (Tabelle 30).
<strong>Unfallgeschehen</strong> 113<br />
Tabelle 30:<br />
Wichtigste Unfallursachen<br />
bei schwer<br />
verletzten und<br />
getöteten Fussgängern<br />
nach<br />
Geschlecht,<br />
Ø 2000–2004<br />
Schlechte Beachtung<br />
der Anhaltepflicht vor<br />
Fussgängerstreifen<br />
durch Personenwagenfahrer<br />
Unvorsichtiges Gehen/Laufen über<br />
die Strasse<br />
Nichtbenützen des<br />
Fussgängerstreifens<br />
Männer Frauen Total<br />
47.4 % 50.9 % 48.8 %<br />
10.5 % 14.2 % 12.0 %<br />
Verdacht auf Alkohol 9.0 % 1.8 % 6.1 %<br />
Unaufmerksamkeit und Ablenkung 5.2 % 4.0 % 4.8 %<br />
Spielen auf der Strasse 3.3 % 2.3 % 2.9 %<br />
Falsches Verhalten an<br />
Fussgängerstreifen/LSA<br />
5.8 % 10.2 % 7.6 %<br />
Anderer/unbekannter Mangel 18.8 % 16.6 % 17.8 %<br />
Total 100.0 % 100.0 % 100.0 %<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
7.4 Kollisionsgegner und Kollisionsobjekte<br />
Im Vergleich zu den übrigen Kollisionsgegnern von Fussgängern missachten<br />
Personenwagenfahrer überdurchschnittlich oft die Anhaltepflicht<br />
vor Fussgängerstreifen (Tabelle 31). Motorradfahrer fallen durch einen<br />
erhöhten Anteil der Ursachen „Geschwindigkeit“ und „Missachtung Signalisation/LSA“<br />
auf. Letztere Ursache ist ebenfalls bei den Velofahrern überdurchschnittlich<br />
hoch. Während bei Fahrern von Sachentransportfahrzeugen<br />
(Lastwagen, Lieferwagen) „Unvorsichtiges Rückwärtsfahren“ deutlich<br />
erhöht ist, fallen Busfahrer durch vermehrte „Unaufmerksamkeit und Ablenkung“<br />
auf.
114 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 31:<br />
Wichtigste Unfallursachen<br />
der<br />
Kollisionsgegner von<br />
schwer verletzten und<br />
getöteten Fussgängern<br />
nach<br />
Objektart,<br />
Ø 2000–2004<br />
Missachten der<br />
Anhaltepflicht vor dem<br />
Fussgängerstreifen<br />
Unaufmerksamkeit<br />
und Ablenkung<br />
Personenwagen<br />
Motorrad<br />
Mofa<br />
Velo<br />
Sachentransportfahrzeug<br />
39 % 26 % 18 % 17 % 29 % 27 % 15 % 35 %<br />
23 % 24 % 23 % 19 % 24 % 36 % 35 % 23 %<br />
Geschwindigkeit 8 % 16 % 6 % 9 % 7 % 6 % 4 % 8 %<br />
Unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren<br />
Zu spätes Erkennen<br />
des Fussgängers<br />
(wegen<br />
Unauffälligkeit)<br />
8 % 0 % 0 % 0 % 18 % 3 % 9 % 8 %<br />
4 % 4 % 4 % 1 % 2 % 0 % 1 % 4 %<br />
Verdacht auf Alkohol 3 % 3 % 0 % 1 % 2 % 0 % 1 % 3 %<br />
Missachtung<br />
Signalisation/LSA<br />
Sichtbeeinträchtigung<br />
des Lenkers<br />
Missachten des<br />
Vortrittsrechts<br />
Anderer/unbekannter<br />
Mangel<br />
2 % 8 % 6 % 10 % 2 % 7 % 4 % 3 %<br />
2 % 3 % 12 % 0 % 4 % 3 % 3 % 3 %<br />
2 % 0 % 0 % 1 % 2 % 3 % 1 % 2 %<br />
9 % 16 % 31 % 42 % 10 % 15 % 27 % 11 %<br />
Total 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 %<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Im Vergleich zu den übrigen Altersgruppen weisen Kinder (als Kollisionsgegner<br />
von schwer verletzten und getöteten Fussgängern) überdurchschnittlich<br />
oft Mängel beim Geschwindigkeitsverhalten (Velo, Mofa) auf<br />
und sie missachten des Öfteren die Signalisation bzw. Lichtsignalanlagen<br />
(Tabelle 32). Bei Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren liegt<br />
vermehrt ein Verdacht auf Alkohol vor, bei Senioren ist das Missachten<br />
der Anhaltepflicht vor Fussgängerstreifen zentrale Unfallursache.<br />
Bus<br />
Andere<br />
Total
<strong>Unfallgeschehen</strong> 115<br />
Tabelle 32:<br />
Wichtigste Unfallursachen<br />
der<br />
Kollisionsgegner von<br />
schwer verletzten und<br />
getöteten Fussgängern<br />
nach Alter,<br />
Ø 2000–2004<br />
Missachten der Anhaltepflicht<br />
vor dem Fussgängerstreifen<br />
Unaufmerksamkeit und<br />
Ablenkung<br />
Kinder<br />
(0–17)<br />
Erwachsene<br />
(18–64)<br />
Senioren<br />
(65+) Total<br />
11.4 % 34.8 % 46.3 % 35.2 %<br />
22.1 % 23.6 % 23.3 % 23.4 %<br />
Geschwindigkeit 15.9 % 8.6 % 3.7 % 8.3 %<br />
Unvorsichtiges Rückwärtsfahren 0.0 % 8.7 % 7.4 % 8.1 %<br />
Zu spätes Erkennen des Fussgängers<br />
(wegen Unauffälligkeit)<br />
4.0 % 3.8 % 1.9 % 3.6 %<br />
Verdacht auf Alkohol 1.1 % 3.4 % 0.8 % 3.0 %<br />
Missachtung Signalisation/LSA 7.4 % 2.7 % 2.3 % 2.9 %<br />
Sichtbeeinträchtigung des<br />
Lenkers<br />
5.1 % 2.5 % 2.3 % 2.6 %<br />
Missachten des Vortrittsrechts 0.6 % 1.7 % 2.3 % 1.8 %<br />
Anderer/unbekannter Mangel 32.4 % 10.2 % 9.7 % 11.1 %<br />
Total 100.0 % 100.0 % 100.0 % 100.0 %<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Die Verteilungen der Unfallursachen von Männern und Frauen sind einander<br />
sehr ähnlich (Tabelle 33). Bei den Männern sind die Anteile der<br />
Ursachen „Geschwindigkeit“ und „Verdacht auf Alkohol“, bei den Frauen<br />
diejenigen der Ursachen „Missachten der Anhaltepflicht vor dem Fussgängerstreifen“,<br />
„Unvorsichtiges Rückwärtsfahren“ und „Missachten des<br />
Vortrittsrechts“ aber erhöht.
116 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Tabelle 33:<br />
Wichtigste Unfallursachen<br />
der<br />
Kollisionsgegner von<br />
schwer verletzten und<br />
getöteten Fussgängern<br />
nach<br />
Geschlecht,<br />
Ø 2000–2004<br />
Missachten der Anhaltepflicht vor<br />
dem Fussgängerstreifen<br />
Männer Frauen Total<br />
34.0 % 38.9 % 35.2 %<br />
Unaufmerksamkeit und Ablenkung 23.7 % 23.1 % 23.4 %<br />
Geschwindigkeit 9.2 % 5.4 % 8.3 %<br />
Unvorsichtiges Rückwärtsfahren 7.5 % 9.9 % 8.1 %<br />
Zu spätes Erkennen des Fussgängers<br />
(wegen Unauffälligkeit)<br />
3.3 % 4.3 % 3.6 %<br />
Verdacht auf Alkohol 3.6 % 0.9 % 3.0 %<br />
Missachtung Signalisation/LSA 3.1 % 2.2 % 2.9 %<br />
Sichtbeeinträchtigung des Lenkers 2.6 % 2.4 % 2.6 %<br />
Missachten des Vortrittsrecht 1.5 % 2.8 % 1.8 %<br />
Anderer/unbekannter Mangel 11.5 % 10.1 % 11.1 %<br />
Total 100.0 % 100.0 % 100.0 %<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu
<strong>Unfallgeschehen</strong> 117<br />
8. Zusammenfassung und Fazit<br />
Jährlich werden von der Polizei rund 2'700 verunfallte zu Fuss Gehende<br />
registriert, davon 800 schwer und 100 tödlich verletzte Fussgänger. Die<br />
Verletzungsschwere von Fussgängern ist im Vergleich zu den übrigen<br />
Opfern im Strassenverkehr sehr hoch. Im Durchschnitt über alle Verkehrsteilnehmergruppen<br />
werden pro 10'000 Verunfallte rund 180 Personen<br />
tödlich verletzt (sog. case fatality). Dieser Wert ist bei den Fussgängern<br />
mehr als doppelt so hoch, pro 10'000 verunfallte Fussgänger verletzen<br />
sich knapp 390 tödlich. Die case fatality von Fussgängern hängt<br />
nebst der Kollisionsgeschwindigkeit stark vom Alter der betroffenen Person<br />
und der Art des Kollisionsgegners ab.<br />
Kinder bis 14 Jahre und Senioren ab 65 Jahren sind überdurchschnittlich<br />
stark von schweren Fussgängerunfällen betroffen. Die Verletzungsschwere<br />
steigt mit zunehmendem Alter. Senioren zwischen 65 und 74<br />
Jahren weisen eine rund 2-fach, Senioren über 74 Jahre sogar eine 3fach<br />
erhöhte Verletzungsschwere gegenüber dem Durchschnitt aller verunfallten<br />
Fussgänger auf.<br />
Mehr als 70 % der schweren und tödlichen Verletzungen erleiden die<br />
Fussgänger beim Queren der Fahrbahn (v. a. innerorts). Die häufigsten<br />
Kollisionsgegner sind Personenwagen, die schwersten Verletzungen ziehen<br />
sich Fussgänger aber bei Unfällen mit Sachentransportfahrzeugen<br />
(Lastwagen, Lieferwagen) und Bussen zu.<br />
Zwei Drittel der mit Fussgängern kollidierenden PW-Fahrer sind Männer.<br />
Fahrleistungsbereinigt, d. h. pro 100 Mio. in Personenwagen absolvierte<br />
Kilometer, weisen beide Geschlechter aber dasselbe Beteiligungsrisiko<br />
auf. Senioren sind als Fahrer von Personenwagen überdurchschnittlich oft<br />
an Unfällen mit schwer oder tödlich verletzten Fussgängern beteiligt.<br />
Schwere und tödliche Verletzungen ziehen sich Fussgänger am häufigsten<br />
bei folgenden Konstellationen zu: beim Queren der Strasse, innerorts,<br />
auf Nebenstrassen, auf freier Strecke, abseits von Fussgänger-Streifen, in<br />
ebenem Gelände, bei Tempo 50, auf trockener Fahrbahn, im Winter, bei<br />
Tag, zwischen 17:00 und 18:00 Uhr.
118 <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Ausprägungen der Einflussfaktoren, welche die Verletzungsschwere der<br />
Fussgänger erhöhen sind u. a.: Senioren als Fussgänger, Männer als<br />
Fussgänger, Unfall in Längsrichtung, schwere/grosse Kollisionsgegner,<br />
ausserorts und Autobahn, abseits von Fussgänger-Streifen, Steigung,<br />
erhöhte Geschwindigkeit, Nachtunfälle.<br />
Die Polizeirapporte zeigen, dass bei 54 % der Fälle ausschliesslich die<br />
Kollisionsgegner der Fussgänger bemängelt wurden, bei 28 % ausschliesslich<br />
die Fussgänger und bei 18 % waren beide Parteien mitschuldig.<br />
Die häufigsten Ursachen bei den Fussgängern sind „Unvorsichtiges<br />
Queren (Gehen)“ und „Springen/Laufen über die Fahrbahn“, diejenige auf<br />
Seiten der Kollisionsgegner ist „Missachten der Anhaltepflicht vor dem<br />
Fussgängerstreifen“.<br />
Obwohl die Schweiz im europäischen Vergleich bzgl. Fussgängersicherheit<br />
nicht abfällt – sie befindet sich im Mittelfeld – und obwohl die Fussgänger<br />
(expositionsbereinigt) seltener verunfallen als die meisten anderen<br />
Verkehrsteilnehmer, besteht Handlungsbedarf. Die hohe Verletzungsschwere<br />
und die spezielle Gefährdung von Kindern (und Senioren) verlangt<br />
nach Massnahmen zur Erhöhung der zu Fuss Gehenden im Strassenverkehr.
Risikofaktoren – Einleitung 119<br />
Wissensbasiertes<br />
Vorgehen<br />
Ursachenforschung<br />
orientiert sich am<br />
epidemiologischen<br />
Modell<br />
Abbildung 25:<br />
Epidemiologisches<br />
Modell der Interaktion<br />
VII. RISIKOFAKTOREN<br />
1. Einleitung<br />
Kapitel VI hat in deskriptiver Form Auskunft über Ausmass und Merkmale<br />
des <strong>Unfallgeschehen</strong>s von zu Fuss Gehenden gegeben. Das vorliegende<br />
Kapitel stellt den zweiten Schritt bei der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen<br />
zur Verbesserung der Sicherheit von Fussgängern dar. Ziel<br />
dieses zweiten Schrittes ist es, Faktoren aufzudecken, die die Unfallund/oder<br />
Verletzungswahrscheinlichkeit erhöhen. Die Risikofaktoren werden<br />
sowohl anhand von empirischen Befunden als auch des allgemeinen<br />
wissenschaftlichen Kenntnisstandes im Sinn von verhaltenspsychologischem,<br />
biomechanischem, medizinischem, physikalischem und verkehrstechnischem<br />
Fachwissen bestimmt. Risikofaktoren zeigen auf, wo<br />
angesetzt werden muss, um die Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s zu erhöhen.<br />
Die Ursachenforschung orientiert sich am epidemiologischen Modell der<br />
Interaktion zwischen Energie/Energieträger (agent), Mensch (host) und<br />
Umwelt (environment). Das epidemiologische Modell geht hauptsächlich<br />
von den schädigenden Einflüssen auf den Menschen aus. Das ist auch<br />
der Grund, weshalb im Englischen nicht von ‘accidents’ (die nicht immer<br />
eine Schädigung zur Folge haben), sondern von ‘injury’ (Verletzung) gesprochen<br />
wird.<br />
Energie<br />
Mensch Umwelt
120 Risikofaktoren – Einleitung<br />
Relevant sind häufige<br />
und gefährliche<br />
Einflüsse<br />
Die Analyse des Einflusses von Personen-, Umwelt- oder anderen Faktoren<br />
auf die Verletzungswahrscheinlichkeit und -schwere kann auf verschiedene<br />
Weise erfolgen. Ein Risikofaktor wird dann als solcher anerkannt,<br />
wenn die Gesamtheit der Hinweise ein einheitliches Bild ergeben<br />
und wenn die Beobachtung wiederholt gemacht wurde. Folgende Informationsquellen<br />
werden bei der Bestimmung von Risikofaktoren berücksichtigt:<br />
� Explorative Untersuchung des Wirkmechanismus (z. B. Beobachtungen<br />
von unfallträchtigen Situationen). Dieser Ansatz hat in erster Linie<br />
hypothesenbildenden Charakter, stellt also die Ausgangslage für vertiefte<br />
Analysen dar.<br />
� Ergebnisse der analytischen Epidemiologie zur Bestimmung des<br />
relativen Risikos (tritt ein Merkmal bei verunfallten Personen häufiger<br />
auf als bei nicht verunfallten?) oder der odds ratios (tritt eine Merkmal<br />
bei verunfallten Personen häufiger auf als bei einer Stichprobe von<br />
nicht verunfallten Personen?). Mit dieser Methode kann der quantitative<br />
Einfluss von Merkmalen auf das Unfallrisiko erfasst werden.<br />
� Experimentelle Untersuchung eines Wirkmechanismus (z. B. biomechanische<br />
Tests, Verhalten am Fahrsimulator unter bestimmten Bedingungen).<br />
� Überlegungen zur Plausibilität: Experten beurteilen die Konsistenz<br />
und die Plausibilität der Ergebnisse. Die Unfallforschung stellt demnach<br />
nicht nur einzelne Ergebnisse zur Verfügung, sie beinhaltet auch<br />
einen Bewertungsprozess.<br />
Eine präventive Aktivität ist insbesondere dann angezeigt, wenn ein Risikofaktor<br />
eine grosse Verbreitung hat und das von ihm ausgehende Gefahrenpotenzial<br />
gross ist.<br />
Folgende fünf Systemelemente des Strassenverkehrs werden in separaten<br />
Kapiteln dargestellt: die Fussgänger und Fussgängerinnen (Kap. VII.2,<br />
direkt nachfolgend), die Lenkenden motorisierter Fahrzeuge (Kap. VII.3,<br />
S. 145), motorisierte Fahrzeuge als potenzielle Kollisionsgegner (Kap. VII.4,<br />
S. 182) und die Strasseninfrastruktur (Kap. VII.5, S. 196).
Risikofaktoren – Fussgänger 121<br />
2. Fussgänger<br />
2.1 Einleitung<br />
Jeder und jede kann zu Fuss in unserem Verkehrsraum unterwegs sein.<br />
Wer zu Fuss unterwegs ist, muss sich lediglich an bestimmte Spielregeln<br />
halten (s. Kap. Gesetzliche Rahmenbedingungen, S. 65). Es gibt (im Gegensatz<br />
zu den meisten anderen Fortbewegungsarten) keinerlei gesetzliche<br />
Eignungs-Kriterien (z. B. Mindestalter). Sich als Fussgänger im Strassenraum<br />
zu bewegen, ist sicher einfacher als das Führen eines Motorfahrzeugs.<br />
Für sich betrachtet ist aber auch zu Fuss unterwegs zu sein<br />
keine einfache Angelegenheit. Wer sich zu Fuss fortbewegt, muss aufmerksam<br />
den Strassenraum beobachten, die erkannten Informationen<br />
richtig verarbeiten und seine rational gefällten Entschlüsse – z. B. die<br />
Strasse queren zu wollen – in adäquates Verhalten umsetzen.<br />
Welche Voraussetzungen jemand mitbringen muss, um diese Leistung<br />
erbringen zu können bzw. welche Risikofaktoren sich ergeben, wenn<br />
diese nicht vorhanden sind, wird in diesem Kapitel anhand der Begriffe<br />
Eignung, Kompetenz und Fähigkeit erläutert. Aus diesen dispositiven Eigenschaften<br />
resultiert das konkrete, beobachtbare Verhalten.<br />
Eignung: Darunter werden jene psychischen und physischen Voraussetzungen<br />
subsumiert, die z. B. auf Veranlagung, altersbedingte Entwicklungsprozesse<br />
oder Persönlichkeitsstörungen zurückzuführen sind. Derartige<br />
Risikofaktoren können nicht durch Lernprozesse aufgehoben werden.<br />
Thematisiert werden kognitive Aspekte (Kap. VII.2.2, S. 122),<br />
motivationale Aspekte (Kap. VII.2.3, S. 128) und die Körpergrösse<br />
(Kap. VII.2.4, S. 130). Nicht thematisiert werden körperliche und geistige<br />
Behinderungen. 14<br />
Kompetenz: Darunter werden jene psychischen und physischen Voraussetzungen<br />
verstanden, die durch Lernprozesse beeinflusst werden kön-<br />
14 Im Zeitraum von 2000–2004 wurde von der Polizei bei 33 schwer verletzten<br />
oder getöteten Fussgängern oder Fussgängerinnen (bei einem Total von<br />
4616) als Unfallursache eine körperliche oder geistige Behinderung<br />
festgehalten. Aufgrund dieser relativ geringen Zahl wird nicht vertieft auf diese<br />
Personegruppe eingegangen. Die Autoren sind der Meinung, dass die<br />
empfohlenen Massnahmen auch mobilitätsbehinderten Personen Gute<br />
kommen werden.
122 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
nen. Sie sind – einmal erworben – relativ stabil vorhanden. Thematisiert werden<br />
verkehrsrelevantes Wissen (Kap. VII.2.5, S. 132) sowie das Gefahren-<br />
bewusstsein und sicherheitsförderliche Einstellungen (Kap. VII.2.6, S. 133).<br />
Sind die Voraussetzungen der Fahreignung und Fahrkompetenz erfüllt,<br />
können trotzdem punktuelle Risiken vorhanden sein. Diese sind aber zeitlich<br />
beschränkt:<br />
Fähigkeit: Darunter werden jene psychischen und physischen Voraussetzungen<br />
verstanden, die – bei gegebener Eignung und Kompetenz –<br />
momentan (zum Zeitpunkt der Fortbewegung als Fussgänger) vorhanden<br />
sein müssen. Von den verschiedenen Einflüssen, die die Fahrfähigkeit beeinträchtigen<br />
können, wird nur der Alkoholkonsum thematisiert (Kap. 2.7,<br />
S. 135).<br />
Eignung, Kompetenz und Fähigkeit resultieren in entsprechendem Verhalten.<br />
Auf der Ebene des konkret beobachtbaren Verhaltens wird<br />
regelwidriges Verhalten (Kap. 2.8, S. 136) sowie als Schutzverhalten die<br />
Erhöhung der Sichtbarkeit (Kap. 2.9, S. 139) thematisiert.<br />
Im Anschluss werden nach soziodemographischen Merkmalen Risikogruppen<br />
definiert, bei denen die besprochenen Risikofaktoren konzentriert zu finden<br />
sind (Kap. 2.10, S. 141). Damit wird der soziologischen Sichtweise Rechnung<br />
getragen. Als Übersicht folgen am Ende des Kapitels eine Zusammen-<br />
fassung und ein Fazit (Kap. VII.2.11, S. 144).<br />
2.2 Eignung: Wahrnehmung und Informationsverarbeitung<br />
2.2.1 Ausgangslage<br />
Für Fussgänger sind hauptsächlich die visuelle und die auditive Wahrnehmung<br />
wichtig. Diese ändern sich bei normaler Entwicklung über die<br />
Lebensspanne. Dasselbe gilt für die Informationsverarbeitung, die massgeblich<br />
durch die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit beeinflusst<br />
wird.
Risikofaktoren – Fussgänger 123<br />
Visuelle Wahrnehmung<br />
bei Kindern<br />
Auditive<br />
Wahrnehmung bei<br />
Kindern<br />
Aufmerksamkeitsfähigkeit<br />
bei Kindern<br />
Egozentrisches<br />
Weltbild<br />
Kinder sind in ihrem peripheren Sehen eingeschränkt. Bei einem Erstklässler<br />
ist dieses erst zu etwa 70 % ausgebildet. Ein herannahendes<br />
Auto von links oder rechts ist lange ausserhalb seines Blickfeldes. Auch<br />
das dreidimensionale Tiefensehen braucht viel Übung und Erfahrung.<br />
Mangelndes Tiefensehen bewirkt, dass Entfernungen und Geschwindigkeiten<br />
nicht richtig eingeschätzt werden können. 3- bis 4-Jährige erkennen<br />
meist nicht, ob ein FZ steht oder fährt. Erst mit 6 Jahren können Entfernungen<br />
und mit 10 Jahren Geschwindigkeiten annähernd richtig eingeschätzt<br />
werden (Limbourg, 1995, zit. nach Sigl & Weber, 2002; Limbourg,<br />
1997).<br />
Das Hörvermögen bezüglich laut-leise und hoch-tief ist bereits bei Kleinkindern<br />
gut und mit 6 Jahren voll entwickelt. Hingegen hapert es in diesem<br />
Alter noch mit dem Richtungshören. Erst mit dem Schulalter können<br />
Geräuschquellen, die von (schräg) hinten oder (schräg) vorne kommen,<br />
zuverlässig lokalisiert werden (Limbourg, 1995, zit. nach Sigl & Weber,<br />
2002).<br />
Visuelle und auditive Wahrnehmung arbeiten bei Kindern nicht gefahren-,<br />
sondern interessebezogen. Die Aufmerksamkeit wird dorthin gelenkt, wo<br />
starke Reize vorliegen. Durch mangelnde Konzentrationsfähigkeit fällt es<br />
einem Kind schwer, seine Aufmerksamkeit willentlich zu steuern. Schärft<br />
man einem 5-jährigen Kind ein, dass es sich im Strassenverkehr auf diesen<br />
und auf nichts sonst zu konzentrieren hat, wird es dieser Aufforderung<br />
höchstens 15 Minuten Folge leisten können. Eine längere willentliche<br />
Aufmerksamkeit ist eine Überforderung. Volle Konzentrationsfähigkeit (=<br />
höchste Aufmerksamkeitsstufe) ist erst mit 14 Jahren gegeben (Limbourg,<br />
1995, zit. nach Sigl & Weber, 2002; Limbourg, 1997).<br />
Bis etwa im Alter von 6 Jahren handeln Kinder, ohne eine Situation voll<br />
erfasst zu haben und ohne die Folgen ihres Handelns genau abschätzen<br />
zu können. Typischerweise können Kinder dieser Altersstufe ihre Aufmerksamkeit<br />
nur auf eine einzige Sache lenken, z. B. auf die Passantin<br />
auf dem Gehweg, nicht aber gleichzeitig auf die beim Ausweichmanöver<br />
immer näher rückende Bordsteinkante. Eine weitere Eigenheit ist, dass<br />
Kinder in diesem Alter unbeabsichtigte und seltene Nebeneffekte des<br />
eigenen oder fremden Handelns nicht erkennen. Weiter ist das Denken<br />
von 0- bis 6-Jährigen von Egozentrismus geprägt, d. h., sie verfügen nicht
124 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Eingeschränkte<br />
Wahrnehmung bei<br />
Senioren<br />
Eingeschränkte<br />
kognitive Leistungen<br />
bei Senioren<br />
über die Möglichkeit des Perspektivenwechsels. Das Kind schliesst von<br />
sich auf andere und versteht daher nicht, dass ein Autofahrer es nicht<br />
sieht, obwohl es das Auto sieht. Auch dass Autos einen Bremsweg benötigen,<br />
ist dem Kind – das zu Fuss sofort stillstehen kann – nicht bewusst<br />
(Limbourg, 1997). Ein weiteres Merkmal ist, dass Kinder ein mangelhaftes<br />
Verständnis von Regeln haben. Vor allem haben sie in diesem Alter noch<br />
Mühe, soziale Regeln zu kennen (z. B. dass das Lichthupen je nach Situation<br />
Verschiedenes oder gar Gegenteiliges heissen kann). Ausserdem<br />
rechnen Sechsjährige nicht damit, dass Regeln von erwachsenen Verkehrsteilnehmenden<br />
manchmal missachtet werden. Im Alter zwischen 6<br />
und 12 Jahren wird das Denken weniger egozentristisch. Es ist aber noch<br />
immer an konkrete Gegebenheiten gebunden, zumindest an konkret vorstellbare<br />
Gegebenheiten. Das Kind kann daher Erfahrungen in Bezug auf<br />
eine spezifische Verkehrssituation (z. B. an einer bestimmten Kreuzung)<br />
nicht auf eine andere Situation übertragen. Das bedeutet, dass der<br />
Transfer von gemachten Verkehrserfahrungen auf z. B. neue Wege nur<br />
ungenügend stattfindet.<br />
Hinsichtlich des Sehens und Hörens ergeben sich im fortgeschrittenen<br />
Alter verschiedene Veränderungen (Carthy, Packham, Salter & Silcock,<br />
1995). Bereits ab dem 30. Lebensjahr werden weniger Signale aufgenommen<br />
und diese langsamer verarbeitet sowie beantwortet. Das Auge<br />
wird zunehmend weniger empfindlich und verliert an Beweglichkeit: Gegenstände<br />
werden weniger schnell und weniger scharf wahrgenommen.<br />
Ausserdem nimmt die im Auge wahrgenommene Helligkeit ab, so dass<br />
mehr Licht benötigt wird (Thüler, 2001).<br />
Bezüglich des Hörens beeinträchtigt nicht nur ein beidseitiger, sondern<br />
auch ein einseitiger Hörverlust die Sicherheit. Menschen, die auf beiden<br />
Ohren Schwierigkeiten haben, nehmen die Gefahr zu spät wahr und Personen,<br />
die auf einem Ohr nicht gut hören, erkennen die Richtung der Gefahr<br />
nicht.<br />
Auch die kognitive Leistungsfähigkeit unterliegt altersbedingten Veränderungen.<br />
In der Regel ermüden ältere Personen schneller als jüngere, wodurch<br />
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt werden.<br />
Senioren haben vorwiegend Mühe, wenn Informationen schnell verarbeitet<br />
werden müssen (Carthy et al., 1995).
Risikofaktoren – Fussgänger 125<br />
Tabelle 34:<br />
Verteilung der jährlich<br />
zu Fuss<br />
zurückgelegten<br />
Kilometer nach Alter<br />
(ARE & BFS, 2001)<br />
Fast 30 % der<br />
Fussgänger sind mit<br />
gewissen Defiziten<br />
bzgl. Wahrnehmung<br />
und Informationsverarbeitung<br />
unterwegs<br />
Wie gross ist die Verbreitung des Risikofaktors „kognitive Defizite“ (Wahrnehmung<br />
und Informationsverarbeitung) unter den Fussgängern insgesamt?<br />
Um diese Frage beantworten zu können, muss erst berechnet werden,<br />
wie gross der Anteil der verschiedenen Altersgruppen am Total der<br />
zu Fuss zurückgelegten Kilometer ist. Tabelle 34 zeigt aufgrund diverser<br />
Parameter die Grössenordung der Verteilung (letzte Spalte).<br />
Alter<br />
Anzahl<br />
Fussgänger und<br />
Fussgängerinnen<br />
Durchschnittlich<br />
pro Pers. und Tag<br />
zu Fuss<br />
zurückgelegte km<br />
Täglich pro<br />
Altersgruppe<br />
zu Fuss<br />
zurückgelegte<br />
km<br />
%-Anteil am<br />
Total der km<br />
5–9 345’662 1.9 643’623 5.6 %<br />
10–14 420’593 1.7 709’540 6.2 %<br />
15–17 248’269 1.9 475’683 4.2 %<br />
18–64 4'572’940 1.6 7’499’622 65.6 %<br />
65 + 1'094’263 1.9 2’108’645 18.4 %<br />
Total 6’681’727 1.7 11’432’435 100 %<br />
Wie oben dargelegt, bewegen sich entwicklungsbedingt alle Kinder bis 9<br />
Jahre – wenn auch mehr oder weniger – mit Defiziten in der Wahrnehmung<br />
und der Informationsverarbeitung im Strassenverkehr. Es ist zu<br />
vermuten (und zu hoffen), dass zumindest die jüngeren Kinder dieser Altersgruppe<br />
kaum alleine auf der Strasse sind. Tabelle 1 macht deutlich,<br />
dass Kinder zwischen 5 und 9 Jahren, die über die grössten diesbezüglichen<br />
Defizite verfügen, einen eher geringen Anteil an den insgesamt zu<br />
Fuss zurückgelegten Kilometern leisten. Dasselbe gilt für Kinder zwischen<br />
10 und 14 Jahren, die zum Teil auch noch mit Defiziten zu kämpfen haben.<br />
Kinder legen zusammen rund 12 % der total zu Fuss bewältigten Kilometer<br />
zurück. Trotz dieser eher geringen Exposition haben Kinder aufgrund<br />
ihrer hohen Anzahl verlorener Lebensjahre und ihrer geringen<br />
Freiwilligkeit bei der Verkehrsmittelwahl einen besonderen Anspruch auf<br />
Prävention.<br />
Auch Senioren sind mit zunehmendem Alter – manche mehr, manche<br />
weniger – kognitiv beeinträchtigt. Mit einem Anteil von 18 % an den insgesamt<br />
zu Fuss zurückgelegten Kilometern sind sie eine bedeutsame<br />
Zielgruppe.
126 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Mässige Verbreitung<br />
des Risikofaktors<br />
insgesamt<br />
Kinder:<br />
Grosse Unfallgefährdung<br />
aufgrund<br />
kognitiver Defizite<br />
Kinder angesichts<br />
ihrer Defizite auch auf<br />
kurzen oder als<br />
„ungefährlich“<br />
deklarierten Strecken<br />
gefährdet<br />
Die Verbreitung ungenügender kognitiver Leistungsfähigkeit ist auf alle<br />
Fussgänger und Fussgängerinnen bezogen somit auf einer Skala von 1<br />
bis 5 als mässig (2–3) einzuschätzen.<br />
2.2.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Entwicklungsbedingte Defizite in der auditiven und visuellen Wahrnehmung<br />
und – auch bei älteren Kindern – in der Informationsverarbeitung<br />
bergen ein grosses Gefahrenpotenzial für Kinder bis zum Alter von etwa<br />
9 Jahren. Die kurze Konzentrationsfähigkeit der Kinder stellt vermutlich einen<br />
weniger grossen Risikofaktor dar als die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung,<br />
weil die meisten Wegetappen der Kinder doch eher<br />
kurz sind.<br />
Tight (1996) hält fest, dass wahrnehmungsbezogene Mängel bei Kindern<br />
eine häufige Mitursache für Unfälle darstellen (kein Kontrollblick vor dem<br />
Überqueren oder trotz Kontrollblick keine Wahrnehmung des Fahrzeugs).<br />
Diese Wahrnehmungsfehler lassen sich gemäss Tight auf drei Faktoren<br />
zurückführen: Ablenkung, Eile und Gedankenlosigkeit. In weniger starkem<br />
Ausmass spielen auch kognitive Verarbeitungsfehler eine Rolle (sehen<br />
des Fahrzeugs, aber falsche Einschätzung seiner Geschwindigkeit oder<br />
der Distanz).<br />
Dass Eltern ihre Kinder vorwiegend kurze oder als ungefährlich wahrgenommene<br />
Strecken alleine bewältigen lassen (Sigl & Weber, 2002), relativiert<br />
die Problematik kaum. Auch kurze und als ungefährlich wahrgenommene<br />
Strecken bergen bei den vorhandenen Defiziten viele Risiken.<br />
Hinzu kommt, dass die Einschätzung über die Gefährlichkeit einer Strecke<br />
fehlerhaft sein kann. Sie hängt z. B. stark davon ab, was dem betroffenen<br />
Kind zugemutet wird. Eine objektive Beurteilung der kindlichen Leistung<br />
im Bereich der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung wird erschwert,<br />
weil die kognitive Leistung nicht so offensichtlich ist wie z. B. die<br />
körperliche. So erstaunt nicht, dass Eltern die Probleme ihrer Kinder im<br />
Strassenverkehr unterschätzen. Das bestätigt eine österreichische Studie,<br />
die unter anderem erhoben hat, welche Gefahren Eltern von 5- bis 10-jährigen<br />
Kindern im Strassenverkehr sehen und sie veranlassen, diese zu<br />
begleiten (Sigl & Weber, 2002). Nur knapp ein Viertel (23 %) der befrag-
Risikofaktoren – Fussgänger 127<br />
Hohe Unfallrelevanz<br />
für Kinder<br />
Senioren:<br />
Gefahrenpotenzial<br />
durch kognitive<br />
Defizite in<br />
Kombination mit<br />
physischen Defiziten<br />
Gewichtige<br />
Unfallrelevanz für<br />
Senioren<br />
ten Eltern stimmt der Aussage zu, dass ihre Kinder den hohen Anforderungen<br />
des Verkehrsgeschehens noch nicht gerecht werden und ein unsicheres<br />
Verkehrsverhalten zeigen. Dass ihr Kind auf der Strasse belästigt<br />
werden könnte, sehen hingegen 36 % der Eltern als Gefahr.<br />
Kinder zwischen 5 und 9 Jahren verunfallen auf einem zu Fuss zurückgelegten<br />
Kilometer rund doppelt so häufig wie Jugendliche oder Erwachsene.<br />
Auch im Alter von 10 bis 14 Jahren besteht ein um 50 % erhöhtes<br />
Risiko (s. Abbildung 13, S. 90). Schwer verletzte und getötete Kinder zwischen<br />
5 und 14 Jahren machen – bei einer Expositionsbeteiligung von<br />
rund 12 % – rund 20 % der total schwer oder tödlich verunfallten Fussgänger<br />
aus. Dieses überdurchschnittliche Unfallrisiko ist zwar auf diverse<br />
Faktoren zurückzuführen; es ist aber davon auszugehen, dass die defizitäre<br />
Kognition ein wesentlicher ist: Ein Kind, das z. B. die Geschwindigkeit<br />
eines herannahenden Fahrzeugs nicht richtig einschätzt, ist beim Queren<br />
der Strasse grossen Risiken ausgesetzt.<br />
Es verwundert nicht, dass sowohl 0- bis 6-Jährigen als auch 7- bis 14-<br />
Jährigen im Falle einer Kollision zu rund 70 % eigenes Fehlverhalten zugeschrieben<br />
wird.<br />
Beobachtungsstudien und experimentelle Studien zeigen, dass ältere<br />
Menschen z. B. Mühe haben, sichere Querungs-Lücken im Verkehr zu<br />
nutzen (Oxley, Ihsen, Fildes, Charlton & Day, 2005; Carthy et al., 1995).<br />
Wie Oxley et al. feststellten, stützen sowohl Menschen ab 75 Jahren wie<br />
auch die jüngeren ihre Entscheidung zum Queren ausschliesslich auf die<br />
wahrgenommene Distanz zum Fahrzeug ab (und nicht wie in der Theorie<br />
vermutet auf die Kombination zwischen Distanz und Geschwindigkeit).<br />
Was bei jüngeren Fussgängern gut gehen kann – sie können bei falscher<br />
Einschätzung noch einen Spurt einlegen – habe bei gebrechlicheren<br />
Fussgängern schwerwiegende Konsequenzen, so die Autoren. Die altersbedingten<br />
Defizite machen sich umgekehrt ebenso bei Fehlern der<br />
potenziellen Kollisionsgegner bemerkbar; auch hier können ältere Menschen<br />
nicht mehr so flink reagieren, um der Gefahr zu entkommen wie<br />
jüngere.<br />
Senioren erleiden auf einem zu Fuss zurückgelegten Kilometer um ein<br />
Mehrfaches häufiger schwere oder tödliche Verletzungen als jüngere Er-
128 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Insgesamt<br />
beachtliche<br />
Unfallrelevanz<br />
Tabelle 35:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚defizitäre Kognition’<br />
(Wahrnehmung und<br />
Informationsverarbeitung)<br />
Kinder sind mit<br />
spielerischem<br />
Engagement<br />
unterwegs<br />
wachsene: ab 70 Jahren rund doppelt so oft, ab 85 Jahren mehr als fünfmal<br />
so oft. Schwer verletzte und getötete zu Fuss Gehende ab 65 Jahren<br />
machen rund einen Drittel der total schwer oder tödlich verunfallten Fussgänger<br />
aus. Dies bei einer Expositionsbeteiligung von lediglich 18 %. Für<br />
diese überdurchschnittlich hohe Zahl Schwerverletzter oder Getöteter<br />
verantwortlich ist aber nicht nur ihre hohe Vulnerabilität15 , wie separate<br />
Analysen mit un- oder nur leicht verletzten Senioren zeigen: Auch bei diesen<br />
findet sich die überdurchschnittliche Unfallhäufung. Da 70 % der<br />
schwer verletzten oder getöteten Senioren ohne eigenes Verschulden<br />
verunfallen, liegt die Vermutung nahe, dass Senioren zu Schaden kommen,<br />
weil sie nicht auf die Fehler der anderen (z. B. Missachtung der Anhaltepflicht<br />
vor Fussgängerstreifen) reagieren können. Bei den von den<br />
Senioren verschuldeten Unfällen liegt die Ursache in 60 % der Fälle beim<br />
unachtsamen Betreten der Strasse – das sicher auch, weil Senioren relevante<br />
Informationen falsch wahrnehmen und verarbeiten.<br />
Da Kinder und Senioren zusammen mehr als die Hälfte aller Schwerverletzten<br />
und Getöteten im <strong>Fussverkehr</strong> ausmachen, wird das Gefahrenpotenzial<br />
kognitiver Defizite für die Gruppe der Fussgänger insgesamt als<br />
gross eingestuft (4 auf einer Skala von 1 bis 5).<br />
2.2.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Defizitäre Kognition **(*) **** ****<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
2.3 Eignung: Spielmotiv<br />
2.3.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Kinder sind bei allem, was sie tun, emotional engagiert – auch wenn sie<br />
zu Fuss unterwegs sind. Zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr vermischen<br />
sich Realität und Phantasie: Hinter jeder Hausecke lauert ein Räuber oder<br />
15 Bei einem Unfall resultieren einerseits schnell schwere Verletzungen und der<br />
Heilungsprozess verläuft ausserdem langsam.
Risikofaktoren – Fussgänger 129<br />
Kinder springen,<br />
hüpfen und rennen<br />
gern<br />
Hohe Verbreitung bei<br />
Kindern, aber geringe<br />
Verbreitung<br />
insgesamt<br />
Hohe Unfallrelevanz<br />
für Kinder<br />
Insgesamt mässige<br />
Unfallrelevanz<br />
die gute Fee. Dadurch sind Kinder abgelenkt und können Gefahren kaum<br />
wahrnehmen (Limbourg, 1997). Zwischen 7 und 10 Jahren gehen Phantasiespiele<br />
deutlich zurück. Sportliche und soziale Aktivitäten rücken in<br />
den Vordergrund (Limbourg, 1997). Selbst bei den 10- bis 14-Jährigen,<br />
bei denen die Erreichung des Ziels im Vordergrund steht, fliessen spielerische<br />
Elemente bei gegebenem Anreiz durch die Umgebung immer wieder<br />
ein (etwa sich in der Gruppe provozieren, schubsen und dabei das<br />
Risiko eingehen, dass jemand auf die Strasse stolpert).<br />
Kinder sind beim Spiel häufig in Bewegung. Oft wird ihnen das zum Verhängnis:<br />
Kinder haben nämlich Mühe, eine begonnene Handlung abrupt<br />
zu unterbrechen (Zeigarnik-Effekt), z. B. beim Rennen Richtung Strasse<br />
am Trottoirrand anzuhalten. Im Zusammenhang mit dem häufigen Rennen,<br />
Springen oder Hüpfen der Kinder (auf dem Trottoir oder über die<br />
Strasse) besteht neben dem Problem der schlechten Orientierung noch<br />
jenes der Sturzgefahr (z. B. im Extremfall vor ein Fahrzeug).<br />
Kinder zwischen 5 und 9 Jahren (mit dem ausgeprägtesten Spielmotiv)<br />
und Kinder zwischen 10 und 14 Jahren (die nur punktuell durch spielerisches<br />
Engagement abgelenkt sind) bestreiten insgesamt rund einen<br />
Achtel der zu Fuss zurückgelegten Kilometer. Bezogen auf den <strong>Fussverkehr</strong><br />
insgesamt ist somit von einer eher geringen Verbreitung dieses Risikofaktors<br />
auszugehen.<br />
2.3.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Wie schon bzgl. des Risikofaktors Wahrnehmung und Informationsverar-<br />
beitung (Kap. VII.2.2, S. 122) festgehalten, ist das Unfallrisiko von Kindern<br />
überdurchschnittlich hoch. Dabei ist davon auszugehen, dass das<br />
Spielmotiv ein wesentlicher Risikofaktor ist: Ein Kind, das Fangen spielt<br />
oder einem Ball nachrennt, achtet nicht auf die Gefahren des Verkehrs.<br />
Wenn es im Spiel auf die Fahrbahn rennt, erscheint es für die Fahrzeuglenkenden<br />
unerwartet im Blickfeld – der Fahrer hat keine Chance, rechtzeitig<br />
zum Stillstand zu kommen.<br />
Da Kinder zwischen 5 und 15 Jahren rund 20 % aller Schwerverletzten<br />
und Getöteten im <strong>Fussverkehr</strong> ausmachen, wird das Gefahrenpotenzial
130 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Tabelle 36:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚Spielmotiv’<br />
Mittlere Verbreitung<br />
des Risikofaktors<br />
geringe Körpergrösse<br />
Nicht sehen und nicht<br />
gesehen werden ist<br />
gefährlich<br />
durch ihr Spielmotiv für die Gruppe der Fussgänger insgesamt als beachtlich<br />
eingestuft (2–3 auf einer Skala von 1 bis 5).<br />
2.3.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Ablenkung durch Spiel * **** **(*)<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
2.4 Eignung: Körpergrösse<br />
2.4.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Kinder bewältigen rund 12 % der zu Fuss insgesamt zurückgelegten Kilometer.<br />
Das Problem der geringen Körpergrösse verschärft sich mit der<br />
zunehmenden Höhe der motorisierten Fahrzeuge (infolge der hohen Bodenfreiheit).<br />
Diese Fahrzeuge erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit:<br />
Rund jedes zehnte Fahrzeug ist heute ein Geländewagen (Allenbach,<br />
2006). Selbst Erwachsene können von Familienvans und Offroadfahrzeugen<br />
verdeckt werden. Insgesamt wird daher von einer mittleren Verbreitung<br />
des Risikofaktors ausgegangen.<br />
2.4.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Wenn Fussgänger und Fussgängerinnen aufgrund ihrer Körpergrösse<br />
übersehen oder zu spät gesehen werden oder umgekehrt die Kinder ihre<br />
Kollisionsgegner nicht oder zu spät sehen, kann dies schnell zu dramatischen<br />
Szenen führen. Insbesondere bei motorisierten Fahrzeugen reicht<br />
der Anhalteweg dann in vielen Fällen nicht mehr, um eine Kollision zu<br />
verhindern.<br />
Tight (1996) hält in seinem Review-Artikel fest, dass gemäss Studien ungefähr<br />
ein Drittel der verunfallten Kinder durch parkierte Autos verdeckt<br />
wurden. Auch wenn keine Verdeckung gegeben ist, stellt die geringe Körpergrösse<br />
ein gewisses Risiko dar, da die Wahrscheinlichkeit, dass ein<br />
Fahrer oder eine Fahrerin die Aufmerksamkeit auf ein kleines Objekt
Risikofaktoren – Fussgänger 131<br />
Übersehen führt zu<br />
grossem Unfallrisiko<br />
Tabelle 37:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚Körpergrösse’<br />
lenkt, geringer ist als bei grösseren Objekten. Die Körpergrösse wirkt sich<br />
ausserdem auf die visuelle Wahrnehmung des Kindes aus: Es hat dadurch<br />
einen anderen Sichtbereich als Erwachsene. Viele Objekte stellen<br />
für Kinder Sichthindernisse dar.<br />
Kinder (oder auch Erwachsene bei entsprechender Fahrzeuggrösse), die<br />
übersehen oder zu spät gesehen werden, haben ein hohes Risiko, in einen<br />
Unfall verwickelt zu werden.<br />
Gemäss offizieller Unfallstatistik der Polizei kommt es rund 12 Mal pro<br />
Jahr (Durchschnitt der Jahre 2000–2004) vor, dass ein schwer oder tödlich<br />
verunfallter Fussgänger aufgrund schlechter Übersicht (bedingt durch<br />
feste Bauten, Bepflanzungen oder mobile Gegenstände wie z. B. Container)<br />
verunfallt. Mehrheitlich (zu 55 %) sind Kinder zwischen 0 und 14 Jahren<br />
die Opfer. Auch Fussgänger über 75 Jahren verunfallen überdurchschnittlich<br />
häufig aufgrund schlechter Übersicht.<br />
Die Körpergrösse kann ein Risikofaktor sein, ist aber im Vergleich zu anderen<br />
Faktoren (wie Unauffälligkeit und insbesondere entwicklungs- und<br />
alterungsbedingte Defizite) von sekundärer Bedeutung für das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
der Kinder.<br />
Insgesamt für die Fussgänger spielt die Körpergrösse als Risikofaktor<br />
keine bedeutsame Rolle. Ein gewichtigerer Unfallgrund bezüglich der<br />
Sichtbarkeit ist z. B. das zu späte Erkennen der Fussgänger aufgrund ihrer<br />
Unauffälligkeit (s. Kap. VII.2.9 Sichtbarkeit, S. 139).<br />
2.4.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Körpergrösse * **** *<br />
* sehr gering / ***** sehr gross
132 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Lückenhafte<br />
Regelkenntnisse nicht<br />
auszuschliessen<br />
2.5 Kompetenz: Verkehrsrelevantes Wissen<br />
2.5.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Uns ist keine Erhebung zum verkehrsrelevanten Wissen wie Signal- und<br />
Regelkenntnisse von Fussgängern und Fussgängerinnen in der Schweiz<br />
bekannt.<br />
In einer Erhebung bei 2'066 Personen in Deutschland wurde festgestellt,<br />
dass die Zahl der richtigen Antworten zu Fragen bezüglich fussgängerrelevantem<br />
Verkehrswissen zwischen 20 und 80 % liegt (Ellinghaus &<br />
Steinbrecher, 1992). Die Autoren halten fest, dass – entgegen ihrer Erwartung<br />
– Personen mit Führerschein keine besseren Regelkenntnisse<br />
aufweisen als Personen ohne. Es zeigte sich lediglich, dass Fussgänger<br />
ohne Fahrberechtigung häufiger keine Antwort angaben, d. h. sich weder<br />
für ‚Ja’ noch für ‚Nein’ entscheiden konnten.<br />
In einer ebenfalls aus Deutschland stammenden neueren Studie (Weishaupt<br />
& Neumann-Opitz, 2006) wird das verkehrsbezogene Wissen der<br />
Jugendlichen allgemein bemängelt. Zwar wissen die Befragten recht gut<br />
Bescheid über Fragen, die sich auf das Radfahren beziehen. Fragen hingegen<br />
zum Bremsweg beim Inline-Skaten, zu Unfallhilfe, Vorbeifahren an<br />
Fahrzeugen oder Rücksichtnahme im Strassenverkehr lassen hingegen<br />
grosse Wissenslücken erkennen.<br />
Aufgrund dieser Forschungsergebnisse sind Wissenslücken von Fussgängern<br />
in der Schweiz zumindest nicht auszuschliessen.<br />
Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Sicherheitsgefährdend sind insbesondere falsche Kenntnisse der Vortrittsregeln<br />
– was in der deutschen Studie nicht selten vorkam: So glaubte<br />
z. B. fast ein Drittel der Befragten, auf einem Fussgängerstreifen gegenüber<br />
einer Strassenbahn vortrittsberechtigt zu sein und 29 % glaubten, in<br />
einer Tempo-30-Zone nicht unbedingt den Gehweg benutzen zu müssen,<br />
sondern auch auf der Strasse gehen zu dürfen.
Risikofaktoren – Fussgänger 133<br />
Wissen notwendig<br />
aber nicht hinreichend<br />
Als Baustein<br />
unabdingbar, aber<br />
keine<br />
Sicherheitsgarantie<br />
Tabelle 38:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚Wissen’<br />
Gefahrenbewusstsein<br />
nur beschränkt<br />
vorhanden<br />
Die Kenntnis der Verkehrsregeln ist eine notwendige Bedingung im Verkehr:<br />
So muss man etwa den Unterschied zwischen einer auf rot bzw. auf<br />
grün geschalteten Ampel kennen, um sich im Strassenverkehr zurechtzufinden.<br />
Fehlendes Grundwissen kann fatale Auswirkungen haben. Gefährlich<br />
kann auch das Unwissen darüber sein, dass innerhalb von 50<br />
Metern ein vorhandener Fussgängerstreifen benutzt werden muss (s.<br />
Kap. VIII.6.5 Punktuelle Querung auf einer Ebene mit Vortritt, S. 312).<br />
Wissen alleine bringt aber noch keine Sicherheit.<br />
Die Unfallrelevanz des Wissensfaktors wird als eher gering eingeschätzt,<br />
was aber nicht heisst, dass Regelkenntnisse als Baustein in der Verkehrssicherheit<br />
nicht wichtig wären.<br />
2.5.2 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Mangelhaftes<br />
verkehrsrelevantes<br />
Wissen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
* **** **<br />
2.6 Kompetenz: Gefahrenbewusstsein / sicherheitsbewusste<br />
Einstellungen<br />
2.6.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Sicherheit ist nicht immer das, woran Verkehrsteilnehmer als erstes denken,<br />
wenn sie unterwegs sind. Oft ist man zu Fuss unterwegs, ohne sich<br />
überhaupt in der Rolle eines Verkehrsteilnehmers zu fühlen – wieso also<br />
an Sicherheit denken? Ellinghaus (1992) hält fest, dass sich Fussgänger<br />
erst durch die Interaktion mit andern Verkehrsteilnehmern selbst als solche<br />
erleben (z. B. beim Queren einer Strasse oder wenn sie auf einer<br />
Mischfläche ihr Verhalten auf jenes der Radfahrer abstimmen müssen).<br />
Sicherheit wird seitens der Fussgänger am ehesten mit ihrer hohen Anfälligkeit<br />
für Verletzungen (hohe Vulnerabilität) in Zusammenhang gebracht:<br />
Man ist sich bewusst, dass einen kein Blech schützt. Wer über dieses<br />
Gefahrenbewusstsein verfügt, wird einen Unfall nicht durch Provokation
134 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Sicherheitsabträgliche<br />
Einstellung nur kombiniert<br />
mit Selbst- und<br />
Fremdüberschätzung<br />
gefährlich<br />
Tabelle 39:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚fehlendes<br />
Sicherheitsbewusstsein’<br />
aufs Spiel setzen oder sein Vortrittsrecht auf Biegen und Brechen durchsetzen.<br />
In einer Befragung von 2'066 Personen in Deutschland wurde<br />
deutlich, dass Fussgänger durchweg eine realistische Vorstellung darüber<br />
haben, welche Verkehrssituationen gefährlicher oder weniger gefährlich<br />
sind (Ellinghaus, 1992). 43 % der Befragten erleben das Queren einer<br />
Strasse an einer beampelten Kreuzung, wenn die Ampel grün zeigt, als<br />
„völlig ungefährlich“. Keine der andern Situationen wurde als ähnlich sicher<br />
eingestuft. So empfinden etwa nur 22 % das Gehen auf einer<br />
Strasse bei Tag in einem verkehrsberuhigten Bereich als „völlig sicher“.<br />
Insgesamt widerspiegeln die Ergebnisse von Ellinghaus ein hohes Mass<br />
an Unsicherheitsempfindungen der Fussgänger im Strassenverkehr. Daraus<br />
darf aber kaum auf ein entsprechend hohes Gefahrenbewusstsein<br />
geschlossen werden. Das Gefahrenbewusstsein bezüglich der eigenen<br />
Vulnerabilität ist oft nur eine vage Vorstellung, in der die tatsächlichen<br />
physikalischen und biomechanischen Gesetzmässigkeiten unterschätzt<br />
werden.<br />
2.6.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Ein mangelhaftes Gefahrenbewusstsein kann zu einer falschen Risikoeinschätzung<br />
und somit zu falschem Verhalten führen, vor allem in Kombination<br />
mit einer groben Überschätzung der eigenen Fähigkeiten oder den<br />
Fähigkeiten der anderen („Durch dieser Lücke komme ich noch locker<br />
über die Strasse“ oder „Der andere wird noch längstens bremsen können“).<br />
2.6.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Sicherheitsabträgliche<br />
Einstellung<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
** **** **
Risikofaktoren – Fussgänger 135<br />
Einschränkungen<br />
durch Alkoholkonsum<br />
Verbreitung unter<br />
Fussgängern eher<br />
gering<br />
Hohe Relevanz bei<br />
getöteten<br />
Erwachsenen – vor<br />
allem nachts<br />
Mässige Relevanz<br />
bezüglich aller<br />
Fussgängerunfälle<br />
2.7 Fähigkeit: Alkoholkonsum<br />
2.7.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Alkoholkonsum führt zu grossen Beeinträchtigungen, sowohl in der Wahrnehmung,<br />
der Informationsverarbeitung, dem Sicherheitsbewusstsein als<br />
auch der Motorik.<br />
Die Schweiz gehört zu einem Land, in dem viel Alkohol getrunken wird (s.<br />
Kap. VII.3.6 Alkohol, S. 155). Da Fussgänger vor allem tagsüber unterwegs<br />
sind, Alkohol aber primär abends und nachts konsumiert wird, ist –<br />
bezogen auf das Kollektiv der Fussgänger – von einer geringen Risikoexposition<br />
auszugehen.<br />
2.7.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Während allgemein bekannt ist, dass Alkoholkonsum und Fahren zu trennen<br />
sind, wird die Gefahr beim zu Fuss Gehen unterschätzt. Internationale<br />
Arbeiten gehen davon aus, dass 40 bis 60 % der tödlich verunfallten<br />
zu Fuss gehenden Erwachsenen alkoholisiert waren (s. etwa Öström &<br />
Eriksson, 2001). Im Fall einer Kollision weisen alkoholisierte Fussgänger<br />
schwerere Verletzungen – insbesondere öfters Kopfverletzungen – und<br />
eine höhere Mortalitätsrate auf (Miles-Doan, 1996; Mittmeyer, 1991).<br />
In den schweizerischen Unfallprotokollen der Jahre 2000–2004 zeigt sich,<br />
dass Alkohol im <strong>Fussverkehr</strong> tatsächlich ein bedeutsamer Risikofaktor<br />
sein kann: Bei 8 % (N=150) der schwer verletzten oder getöteten Erwachsenen<br />
(18 bis 64 Jahre) wurde Verdacht auf Alkohol als Mitursache des<br />
Unfalls polizeilich festgestellt. Dieser Anteil erhöht sich auf knapp einen<br />
Drittel (31 %; N=23), wenn die Unfallursachen der nachts Getöteten in<br />
dieser Altersgruppe analysiert werden.<br />
Bezogen auf das Kollektiv aller schwer oder tödlich verunfallten Fussgänger<br />
ist Alkoholkonsum der Fussgänger selbst nur bei 4 % aller Unfälle im<br />
Spiel. Da die erwähnten 23 nachts unter Alkoholeinfluss Getöteten nur<br />
knapp 5 % der insgesamt in diesen Jahren Getöteten ausmachen, stellt<br />
Alkoholkonsum zwar nicht der zentrale, aber dennoch ein nicht zu vernachlässigender<br />
Risikofaktor dar.
136 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Tabelle 40:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚Alkohol’<br />
Wechsel der<br />
Betrachtungsebene:<br />
Verhalten<br />
Missachten der<br />
Verkehrsregeln beim<br />
Queren der Strasse<br />
häufig<br />
2.7.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Alkoholkonsum * *** *(*)<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
Im Folgenden werden Risikofaktoren thematisiert, die sich auf das unmittelbare<br />
Verhalten der Fussgänger und Fussgängerinnen beziehen. Es<br />
wird gewissermassen die Beobachtungsebene gewechselt: Das Verhalten<br />
resultiert aus manchen der oben thematisierten Faktoren. Oft ist aber<br />
nicht schlüssig zu sagen, welcher Risikofaktor denn nun eine gefährliche<br />
Verhaltensweise, z. B. das unvorsichtige Betreten der Fahrbahn, verursachte.<br />
Zudem haben wir es oft nicht mit monokausalen Gegebenheiten<br />
zu tun, sondern diverse Faktoren können in Kombination zu einem Fehlverhalten<br />
führen.<br />
2.8 Verhalten: Regelwidriges Verhalten<br />
2.8.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Es ist nicht zu leugnen, dass Fussgänger sich nicht immer an Verkehrsregeln<br />
halten: So wird zwischendurch trotz rotem Lichtsignal die Strasse<br />
überquert und auch das Nichtbenützen eines Fussgängerstreifens, obwohl<br />
sich dieser näher als 50 Meter befindet, ist keine Seltenheit.<br />
Diesbezügliche Zahlen aus der Schweiz sind uns nicht bekannt. Eine in<br />
Deutschland durchgeführte repräsentative Befragung (Ellinghaus, 1992)<br />
ergab, dass rund ein Viertel der Befragten bei Rot über die Kreuzung<br />
geht, wenn kein Fahrzeug kommt. Dieser Anteil erhöht sich auf einen<br />
Drittel, wenn die Befragten unter Zeitdruck stehen.<br />
Queren bei Rot hängt nicht nur von der Infrastruktur oder meteorologischen<br />
Bedingungen ab, sondern auch von sozialpsychologischen Faktoren.<br />
In der Studie von Ellinghaus & Steinbrecher (1992) wird der so genannte<br />
Mitzieheffekt bestätigt, bei dem eine oder wenige Personen quasi<br />
als Katalysator ausreichen, eine ganze Gruppe zum Überqueren bei Rotlicht<br />
zu veranlassen. Rund ein Viertel der Befragten erklärt mitzugehen,<br />
wenn andere bei Rot gehen. Einen besonderen Einfluss hat die Anwe-
Risikofaktoren – Fussgänger 137<br />
Polizeilich<br />
zugeschriebene<br />
Mängel und Einflüsse<br />
Tabelle 41:<br />
Fehlverhaltensweisen<br />
der zu Fuss<br />
Gehenden gemäss<br />
polizeilichem<br />
Unfallprotokoll, 2000–<br />
2004<br />
Beobachtbare Fehler<br />
haben<br />
unterschiedliche<br />
Ursachen<br />
senheit von Kindern: 80 % der Befragten erklären, dass sie die Strasse<br />
auf keinen Fall bei Rot überqueren, wenn Kinder in der Nähe sind.<br />
2.8.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Wie oft wird ein Unfall mit einem schwer verletzten oder getöteten Fussgänger<br />
durch diesen selbst verursacht? Auswertungen der Unfallprotokolle<br />
(Durchschnitt der Jahre 2000–2004) zeigen, dass in mehr als der<br />
Hälfte der Fälle (54 %) nur die Kollisionsgegner bemängelt wurden, d. h.<br />
die Fussgänger selbst waren unschuldig. 28 % der Unfälle wurden alleine<br />
durch die Fussgänger verschuldet und bei 18 % der Unfälle waren beide<br />
Partner mitschuldig.<br />
Somit sind Fussgänger in gut einem Drittel (36 %) der Unfälle schuldig<br />
oder zumindest mitschuldig. In Tabelle 11 sind die den schwer verletzten<br />
oder getöteten Fussgängern am häufigsten zugeschriebenen Mängel aufgeführt<br />
(Summe der Jahre 2000–2004).<br />
Mögliche Unfallursachen<br />
(Mehrfachnennungen bis max. drei möglich)<br />
Anzahl<br />
Nennungen<br />
Unvorsichtiges Queren der Strasse (Gehen) 786<br />
Springen/Laufen über die Fahrbahn 546<br />
Nichtbenutzen des Fussgängerstreifens 335<br />
Einwirkung von Alkohol, Drogen, Medikamenten 182<br />
Falsches Verhalten bei Lichtsignalanlage 132<br />
Falsches Verhalten auf dem Fussgängerstreifen 79<br />
Spielen auf der Strasse 77<br />
Nichtbenutzen des Trottoirs 35<br />
Gehen oder Laufen auf der falschen Strassenseite 26<br />
Missachten des Vortritts vor Strassenbahn, Linienbus 32<br />
Missachten des Rotlichts 21<br />
Total 2’251<br />
Total anderer Mängel 549<br />
Total 2’799<br />
Verhaltensbezogene Mängel<br />
Es wird deutlich, dass zwar der grösste Teil der Mängel der Fussgänger<br />
verhaltensbezogene Mängel sind, dass aber ein Grossteil davon nicht im<br />
Sinn von grobfahrlässigen Fehlverhaltensweisen interpretiert werden<br />
dürfen. Fehlverhalten wie Springen/Laufen über die Fahrbahn bei Kindern
138 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Unvorsichtiges<br />
Queren an Fussgängerstreifen<br />
keine<br />
Hauptursache von<br />
Fussgängerunfällen<br />
Tabelle 42:<br />
Fehlverhaltensweisen<br />
von auf Fussgängerstreifen<br />
verunfallten<br />
zu Fuss Gehenden<br />
gemäss polizeilichem<br />
Unfallprotokoll, 2000–<br />
2004<br />
findet in der Regel entwicklungsbedingt statt (390 der 546 diesbezüglichen<br />
Nennungen betreffen Kinder bis 14 Jahre). Dasselbe gilt etwa für<br />
das unvorsichtige Betreten der Fahrbahn durch ältere Menschen (298 der<br />
786 diesbezüglichen Nennungen betreffen Personen ab 65 Jahren).<br />
Nichtbenutzen des Fussgängerstreifens kann die Folge fehlenden Wissens<br />
sein, hat aber bestimmt auch mit der hohen Umwegempfindlichkeit<br />
der Fussgänger zu tun. Falsches Verhalten bei Lichtsignalanlagen oder<br />
das Spielen auf der Strasse kann ebenfalls in Zusammenhang mit Wissensdefiziten<br />
oder auch mangelndem Gefahrenbewusstsein, Rücksichtslosigkeit<br />
etc. in Zusammenhang stehen, es kann aber ebenso gut ein Indikator<br />
für Infrastrukturprobleme oder mangelnde sichere Bewegungsmöglichkeiten<br />
für Kinder in Wohnquartieren sein.<br />
In der Öffentlichkeit wird häufig das unvorsichtige Betreten des Fussgängerstreifens<br />
als zentrale Ursache von Fussgängerunfällen vermutet.<br />
Tabelle 42 zeigt jedoch ein anderes Bild. In den Jahren 2000–2004 bezichtigte<br />
die Polizei nur 82-mal einen auf einem Fussgängerstreifen<br />
schwer oder tödlich verunfallten Fussgänger des unvorsichtigen Querens<br />
der Strasse (Gehen). Von den diesbezüglich insgesamt 786 Nennungen<br />
(s. Tabelle 41) fallen somit lediglich rund 10 % auf Konfliktsituationen bei<br />
Fussgängerstreifen. Ein analoges Bild zeigt sich bezüglich Springen/Laufen<br />
über die Fahrbahn. Nur 10 % dieser gefährlichen Verhaltensweise (oft<br />
von Kindern begangen) ereignen sich an Fussgängerstreifen (56 von 546<br />
Nennungen).<br />
Alter<br />
Unvorsichtiges Queren<br />
der Strasse (Gehen)<br />
Springen/Laufen über die<br />
Fahrbahn<br />
0–6 Jahre 3 15<br />
7–14 Jahre 17 27<br />
15–17 Jahre 2 2<br />
18–64 Jahre 32 9<br />
65–74 Jahre 10 2<br />
75+ Jahre 18 1<br />
Total auf<br />
Fussgängerstreifen<br />
82 56
Risikofaktoren – Fussgänger 139<br />
Geringe<br />
Unfallrelevanz<br />
Kollisionsgegner sind<br />
häufiger Verursacher<br />
als Fussgänger<br />
Tabelle 43:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚regelwidriges<br />
Verhalten der<br />
Fussgänger’<br />
Wichtigkeit der<br />
Sichtbarkeit wird oft<br />
unterschätzt<br />
Insgesamt kann festgehalten werden, dass nur ein geringer Anteil der<br />
Unfälle vermutlich durch grobfahrlässiges Fehlverhalten seitens der Fussgänger<br />
verschuldet wird.<br />
Ausserdem ist festzuhalten, dass mehr Unfälle verhindert werden könnten<br />
(mehr als die Hälfte), wenn seitens der Kollisionsgegner keine Fehler begangen<br />
würden. In den letzten 10 Jahren haben sich die Schuldanteile<br />
zudem deutlich zu Ungunsten der Kollisionsgegner verschoben. Im Jahr<br />
1994 betrug der Anteil ausschliesslich bemängelter Kollisionsgegner noch<br />
47 %.<br />
2.8.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Regelwidriges<br />
Verhalten<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
2.9 Verhalten: Sichtbarkeit<br />
2.9.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
*** *** **<br />
Fussgängern ist bewusst, dass sie nachts mehr gefährdet sind als tagsüber<br />
(Ellinghaus & Steinbrecher, 1992). Sie unterliegen jedoch nicht selten<br />
einem Trugschluss: Da sie selbst sowohl ihre Umgebung als auch das<br />
herannahende Fahrzeug problemlos erkennen können, gehen sie fälschlicherweise<br />
davon aus, dass umgekehrt auch die Automobilisten sie erkennen.<br />
Dieser Fehlschluss zeigt sich erstaunlicherweise auch bei zu Fuss<br />
Gehenden, die einen Führerausweis besitzen und über Fahrpraxis verfügen<br />
(Ruwenstroth, Kuller & Radder, 1993).<br />
So wird nachts – aber auch bei Tag – viel zu wenig auf eine gute Sichtbarkeit<br />
geachtet.
140 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Sichtbarkeitshilfen<br />
sind uncool<br />
Verbesserte<br />
Sichtbarkeit tagsüber<br />
und nachts möglich<br />
Sichtbarkeitshilfen<br />
tragen zu früherem<br />
Erkennen bei<br />
Kinder schützen sich diesbezüglich am besten (etwa durch reflektierende<br />
Materialien an Schultaschen). Für Kindergartenkinder ist der orange Dreieckgürtel<br />
eine Ehre – jetzt gehören sie auch dazu. Um diesen Anreiz erhalten<br />
zu können, müssen Sicherheitsprodukte dem Stil der Altersgruppe<br />
entsprechen. Diese Idee wurde z. B. vom TCS aufgenommen: Der Triki<br />
der Erstklässler ist gelb – er wird gerne als Abgrenzung zu den Kindergartenkindern<br />
getragen. Wünschenswert wären Angebote in dieser Richtung<br />
auch für Jugendliche, bei denen solche Sicherheitsbemühungen auf<br />
wenig Akzeptanz stossen. Auch Erwachsene legen häufig keinen Wert<br />
auf eine gute Sichtbarkeit.<br />
2.9.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Eine umfassende Diskussion zum Thema Sichtbarkeit von Fussgängern<br />
findet sich bei Walter (2004).<br />
Kwan und Mapstone (2004) kamen nach Durchsicht der internationalen<br />
Forschungsarbeiten zum Schluss, dass keine Arbeiten direkt den Zusammenhang<br />
zwischen fehlender Sichtbarkeit und Unfallhäufigkeit nachweisen<br />
konnten. Gemäss den Autoren liegt hingegen eine Vielzahl von Ergebnissen<br />
vor, die einen Zusammenhang zum Reaktionsverhalten der<br />
Fahrzeuglenker bei diversen Sichtbarkeitshilfen bei Nacht (aktive Leuchtkörper,<br />
retroreflektierende Materialien) und bei Tag (fluoreszierende Materialien)<br />
nachweisen.<br />
Die Sichtdistanzen oder Reaktionsdistanzen zwischen den Extrembedingungen<br />
schwarze Kleidung bzw. reflektierende Materialien oder blinkendes<br />
Licht erhöhten sich in den verschiedenen Studien, die Kwan &<br />
Mapstone anschauten, in unterschiedlichem Mass, insgesamt aber beachtlich.<br />
Da manche der Studien aus den 60er- oder 70er-Jahren stammen<br />
und seither viel technische Innovation bei fluoreszierenden und reflektierenden<br />
Materialien sowie bei Leuchten stattfand, dürfte die Wirksamkeit<br />
noch höher liegen, als in besagten Studien festgestellt wurde.<br />
Tyrell, Brooks, Wood und Carberry (2004) kommen aufgrund diverser<br />
Studien zum Schluss, dass die Distanz, ab welcher Fahrzeuglenkende ein<br />
Objekt erkennen können, bei retroreflektierendem Material im Vergleich<br />
zu schwarzer Kleidung zwischen 100 und 1'200 % grösser ist.
Risikofaktoren – Fussgänger 141<br />
Links gehen – Gefahr<br />
sehen<br />
Tabelle 44:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚ungenügende<br />
Sichtbarkeit’<br />
Die Regel „links gehen – Gefahr sehen“ ist für zu Fuss Gehende sehr<br />
wichtig; auch im Sinn von „links gehen – gesehen werden“. Schmidt-Clausen<br />
(1982, zit. nach Cohen, 1997) ermittelt, dass eine dunkel gekleidete<br />
Person von einem Fahrzeuglenker auf eine Entfernung von 70 m gesehen<br />
wird, wenn sie sich auf der Spur des Autos befindet. Die Erkennbarkeitsentfernung<br />
reduziert sich auf 40 m, wenn sie auf der gegenüberliegenden<br />
Fahrbahn unterwegs ist.<br />
Die enorme Relevanz von Sichtdistanzen in der Unfallprävention wird klar,<br />
wenn man bedenkt, dass nach Expertenurteilen 50 % aller Unfälle vermeidbar<br />
wären, wenn ein Brems- oder Ausweichmanöver 1 Sekunde vorher<br />
eingeleitet worden wäre (Enke, 1979, zit. nach Cohen, 1994).<br />
Zwar macht die Nennung „zu spätes Erkennen des Fussgängers wegen<br />
Unauffälligkeit“ nur knapp 4 % aller Mängel und Einflüsse aus, die den<br />
Kollisionsgegnern von schwer verletzten oder getöteten Fussgängern polizeilich<br />
zugeschrieben werden. Der weitaus grösste Teil der Fussgänger<br />
kommt zu Schaden, weil die Kollisionsgegner die Anhaltepflicht vor Fussgängerstreifen<br />
missachtet haben und/oder unaufmerksam waren. Es ist<br />
davon auszugehen, dass eine exzellente Sichtbarkeit (helle, grelle Farben<br />
am Tag; reflektierende Materialien in der Nacht) manchen Fussgänger<br />
hätte schützen können, weil er damit früher die Aufmerksamkeit der Fahrzeuglenker<br />
auf sich hätte ziehen können.<br />
Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Ungenügende<br />
Sichtbarkeit<br />
** **** ***<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
2.10 Risikogruppen<br />
Lassen sich Personengruppen identifizieren, die durch eine Anhäufung<br />
von Risikofaktoren oder durch einen besonders stark ausgeprägten Risikofaktor<br />
hervorstechen? Gemäss einer Review-Arbeit von Schieber &<br />
Vegega (2002) sind soziodemographische Eigenschaften der Fussgänger<br />
wie Alter, Geschlecht, sozialer Status, ethnische Zugehörigkeit die stärk-
142 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Ein Viertel aller<br />
schwer oder tödlich<br />
verletzten Fussgänger<br />
sind Kinder<br />
Höheres Risiko für<br />
jüngere Kinder pro<br />
zurückgelegten km<br />
als für ältere Kinder<br />
Knaben gefährdeter<br />
als Mädchen<br />
sten Prädiktoren für Unfälle. Da es sich dabei mehrheitlich um US-Studien<br />
handelt, ist die Übertragbarkeit auf schweizerische Verhältnisse fraglich.<br />
Besonders Kinder – dabei ausgeprägter Knaben als Mädchen –, ältere<br />
Menschen sowie Personen aus Haushalten mit geringem sozialem Status<br />
sind als Fussgänger gefährdet.<br />
Kinder zwischen 0 und 6 Jahren bzw. zwischen 7 und 14 Jahren machen<br />
8 resp. 15 % der schwer verletzten und getöteten Fussgänger aus – dies<br />
bei einem Bevölkerungsanteil von 7.1 bzw. 9.5 %. Somit sind insbesondere<br />
7- bis 14-jährige Kinder häufiger in Fussgängerunfälle verwickelt als<br />
aufgrund ihres Bevölkerungsanteils zu erwarten wäre.<br />
Eine Ursache könnte in der unterschiedlichen Exposition liegen; leider<br />
liegen Angaben dazu aber erst ab dem sechsten Altersjahr vor (Bundesamt<br />
für Raumentwicklung ARE & Bundesamt für Statistik BFS, 2001).<br />
Diese Daten zeigen, dass 10- bis 14-Jährige pro zu Fuss zurückgelegten<br />
Kilometer eine geringere Unfallrate ausweisen als 6- bis 9-Jährige (der<br />
Unterscheid fällt geringer aus, wenn die zu Fuss im Verkehr verbrachte<br />
Zeit als Analyseeinheit verwendet wird). Ausserdem erleiden Kinder zwischen<br />
0 und 6 Jahren dreimal so häufig tödliche Verletzungen wie Kinder<br />
zwischen 7 und 14 Jahren.<br />
In der internationalen Literatur sind aber auch gegenteilige Ergebnisse<br />
vorhanden. So stellen Wazana, Krueger, Raina und Chambers (1997)<br />
fest, dass Kinder im mittleren Alter (8 bis 12 Jahre) auch dann mehr gefährdet<br />
sind als jüngere Kinder (3 bis 7 Jahre), wenn ihre Exposition berücksichtigt<br />
wird.<br />
Knaben verunfallen – gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil – rund doppelt<br />
so oft wie Mädchen der entsprechenden Altersgruppe. Schuld am<br />
erhöhten Unfallrisiko der Knaben ist nicht etwa ihre höhere Exposition (s.<br />
Abbildungen 13 und 14 in Kap. VI.2 <strong>Unfallgeschehen</strong>: Fussgänger, S. 87).<br />
Diese Befunde stehen im Einklang mit internationalen Arbeiten (vgl. Wazana<br />
et al., 1997).
Risikofaktoren – Fussgänger 143<br />
Jeder dritte schwer<br />
oder tödlich verletzte<br />
Fussgänger ist über<br />
65 Jahre alt<br />
Höheres Unfallrisiko<br />
für Kinder aus tiefer<br />
sozialer Schicht<br />
Nach Bischof-Köhler und Bischof (2000) 16 zeigen Jungen ein stärker ausgeprägtes<br />
Explorationsverhalten und sind neugieriger als Mädchen; zudem<br />
ist ihr Freizeitverhalten bewegungsbetonter. Durch diese Faktoren ist<br />
die Gefahrenexposition der Jungen im Durchschnitt grösser als jene der<br />
Mädchen. Beobachtungsstudien von zu Fuss gehenden Kindern im Strassenverkehr<br />
haben folgende geschlechtsspezifischen Unterschiede festgestellt<br />
(Limbourg, 1994).<br />
• Die Exposition der Jungen im Verkehrsraum (Fahrbahn und Gehweg)<br />
ist grösser als die der Mädchen.<br />
• Jungen laufen häufiger plötzlich auf die Fahrbahn, während Mädchen<br />
öfters am Bordstein anhalten, bevor sie die Strasse überqueren.<br />
• Jungen verhalten sich häufiger leichtsinniger, unkonzentrierter.<br />
Schieber & Vegega (2002) halten fest, dass Knaben nicht aufgrund biologischer<br />
Faktoren für Unfälle prädestiniert sind, sondern weil sie z. B.<br />
schon früh lernen, weniger vorsichtig sein zu müssen als Mädchen und<br />
weniger unter Aufsicht stehen als diese.<br />
Von den schwer verletzten oder getöteten Fussgängern sind gut ein Drittel<br />
Personen über 65 Jahre. Davon sind rund zwei Drittel über 74 Jahre<br />
(s. Tabelle 10, S. 88). Auf 100'000 Einwohner über 74 Jahre erleiden fast<br />
40 pro Jahr schwere oder tödliche Unfälle beim zu Fuss Gehen. Das sind<br />
dreimal mehr als der Durchschnitt in der Bevölkerung (13 pro 100'000<br />
Einwohner).<br />
Uns ist keine Arbeit bekannt, die für die Schweiz den Zusammenhang<br />
zwischen sozialer Schichtzugehörigkeit und Unfallraten ausgearbeitet<br />
hätte. 17 Internationale Forschungsarbeiten zeigen aber, dass insbesondere<br />
Kinder aus deprivierten Verhältnissen ein erhöhtes Risiko haben, als<br />
Fussgänger zu verunfallen als besser gestellte (siehe etwa die Übersichtsarbeit<br />
von Laflamme & Diderichsen, 2000 oder Wazana et al.,<br />
1997). Beeindruckend ist z. B. ein Forschungsergebnis aus Grossbritannien<br />
(Edwards, Roberts, Green & Lutchmun, 2006): Kinder mit Eltern, die<br />
16 Bischof-Köhler, D. & Bischof, N. (2000). Die Differenz der Geschlechter aus<br />
evolutionsbiologischer und entwicklungspsychologischer Perspektive.<br />
Nova Acta Leopoldina, NF 82, Nr. 315, 79–96<br />
17 Leider wurde das Thema Unfälle im Bericht „Bestandesaufnahme der Indikatoren<br />
sozialer Ungleichheit in der Schweizer Gesundheitsberichterstattung“ von<br />
Niemann, Spörri und Abel (2005) nicht berücksichtigt.
144 Risikofaktoren – Fussgänger<br />
Zentrale<br />
Risikofaktoren<br />
basieren auf<br />
Entwicklungs- und<br />
Alterungsdefiziten<br />
Mangelhafte<br />
Sichtbarkeit<br />
nie oder schon lange nicht mehr gearbeitet haben, erleiden 20 Mal mehr<br />
tödliche Fussgängerunfälle als Kinder mit Eltern in führender Position. In<br />
Schweden ist das relative Risiko, als Kind ungelernter Arbeitskräfte einen<br />
Fussgängerunfall zu erleiden, um den Faktor 1.4 erhöht (Hasselberg &<br />
Laflamme, 2004).<br />
Laflamme & Diderichsen (2000) halten fest, dass Mortalität und Morbidität<br />
in praktisch allen industrialisierten Staaten nach sozialer Schichtzugehörigkeit<br />
variieren – die Schweiz ist davon vermutlich nicht auszunehmen.<br />
Erklärt werden können die Schichtunterschiede z. B. durch unterschiedliche<br />
Wohnformen, Exposition etc.<br />
2.11 Zusammenfassung und Fazit<br />
Die Fussgänger sollen grundsätzlich ebenso einen Beitrag zur Erhöhung<br />
ihrer eigenen Sicherheit leisten wie die Lenker insbesondere motorisierter<br />
Fahrzeuge. Da Kinder und Senioren zusammen rund 60 % der schwer<br />
verletzten und getöteten zu Fuss Gehenden ausmachen, darf ihr Mitwirken<br />
allerdings nicht überschätzt werden: Entwicklungs- bzw. alterungsbedingte<br />
Risikofaktoren lassen sich nicht eliminieren. Will man diese Personengruppen<br />
nicht von der Strasse verbannen, muss immer damit gerechnet<br />
werden, dass Kinder oder ältere Menschen die Strasse vermeintlich<br />
achtlos betreten. Sie sind oft schlicht gar nicht in der Lage, die Gefahr<br />
eines herannahenden Fahrzeugs zu registrieren (sie hören es nicht, sehen<br />
es nicht, schätzen dessen Geschwindigkeit falsch ein, sind durch<br />
Spielen abgelenkt etc.).<br />
Als zusätzlicher Risikofaktor ist die oft ungenügende Sichtbarkeit der<br />
Fussgänger zu nennen.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 145<br />
Primär werden MFZ-<br />
Lenkende betrachtet<br />
Problematisches<br />
Verhalten wird<br />
thematisiert<br />
Fahrfähigkeit<br />
bezeichnet aktuelle<br />
Voraussetzungen<br />
3. Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
3.1 Einleitung<br />
Kollidiert ein Fussgänger mit einem fäG-Benutzenden (Inline-Skates,<br />
Trottinette etc.), kann dies im Einzelfall durchaus zu schweren Verletzungsfolgen<br />
führen. Solche Kollisionen stellen jedoch für die Fussgängersicherheit<br />
ein absolut marginales und somit vernachlässigbares Problem<br />
dar. In Anbetracht der viel häufigeren und erheblich schwereren Kollisionen<br />
zwischen Fussgängern und dem motorisierten Verkehr beziehen sich<br />
die Ausführungen im vorliegenden Kapitel schwergewichtig auf MFZ-Lenkende,<br />
sie gelten aber teilweise auch für die Radfahrenden.<br />
Um das Gefährdungspotenzial, das von Fahrzeuglenkenden ausgeht,<br />
umfassend zu thematisieren, werden folgende drei Felder betrachtet:<br />
a) Darstellung spezifischer Risikofaktoren<br />
b) Beschreibung individuumsübergreifender Leistungsgrenzen<br />
c) Identifizierung auffälliger Risikogruppen<br />
a) Darstellung spezifischer Risikofaktoren<br />
Wird die konkrete Verhaltensebene betrachtet, so zeigen sich insbesondere<br />
zwei Risikofaktoren: die überhöhte oder unangepasste Geschwindig-<br />
keit (Kap. VII.3.2, S. 147) sowie die Vortrittsverweigerung am Fussgän-<br />
gerstreifen (Kap. VII.3.3, S. 150). Beiden Problemfeldern ist gemein, dass<br />
ihre Bedeutung für die Sicherheit in der Regel von den Fahrzeuglenkenden<br />
unterschätzt wird. Weiter wird der Verzicht auf das Fahren mit Licht<br />
am Tag (Kap. VII.3.4, S. 152) sowie unvorsichtiges Rückwärtsfahren<br />
(Kap. VII.3.5, S. 154) thematisiert. Neben den vier genannten Faktoren<br />
auf der Verhaltensebene existiert eine Vielzahl von Faktoren auf der<br />
dispositiven Ebene. Diese können den drei Bereichen Fahrfähigkeit,<br />
Fahrkompetenz und Fahreignung zugeordnet werden:<br />
Fahrfähigkeit bezeichnet – bei gegebener Fahreignung und Fahrkompetenz<br />
– die momentane Befähigung des Individuums, am Strassenverkehr<br />
teilzunehmen. Wichtige Risikofaktoren, die die Fahrfähigkeit herabsetzen,<br />
sind einerseits endogene Faktoren wie Müdigkeit (Kap. VII.3.9,<br />
S. 163) und Unaufmerksamkeit (Kap. VII.3.10, S. 164) sowie andererseits
146 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Fahrkompetenz<br />
bezeichnet erworbene<br />
Voraussetzungen<br />
Fahreignung<br />
bezeichnet genuine<br />
oder altersbedingte<br />
Voraussetzungen<br />
exogene Faktoren durch den Konsum von Substanzen wie Alkohol<br />
(Kap. VII.3.6, S. 155), Drogen (Kap. VII.3.7, S. 158) und Medikamente<br />
(Kap. VII.3.8, S. 161).<br />
Fahrkompetenz bezeichnet die erworbene psychische und physische<br />
Befähigung des Individuums, am Strassenverkehr teilzunehmen. Thematisiert<br />
wird einerseits die technische Fahrzeugbedienung als motorischphysische<br />
Fähigkeitskomponente (Kap. VII.3.11, S. 166) und andererseits<br />
die Gefahrenkognition als psychische Komponente der Fahrkompetenz<br />
(Kap. VII.3.12, S. 167).<br />
Fahreignung beschreibt die stabilen, psychischen und physischen Grundvoraussetzungen,<br />
um am Strassenverkehr teilzunehmen. Risikofaktoren, die<br />
die Fahreignung beeinträchtigen, können im perzeptiven (Kap. VII.3.13,<br />
S. 169), motorischen (Kap. VII.3.14, S. 173) und kognitiven Bereich<br />
(Kap. VII.3.15, S. 173) liegen. Die Beeinträchtigungen können sowohl<br />
altersbedingt sein als auch auf pathologischen Prozessen beruhen. Es<br />
würde den Rahmen des vorliegenden Berichts sprengen, auf die<br />
Bedeutung von spezifischen Erkrankungen (wie Diabetes, Herz-Kreislauf-<br />
Störungen, Demenz etc.) einzugehen. Die interessierte Leserschaft sei<br />
diesbezüglich auf Vaa (2003) und Sagberg (2003) verwiesen.<br />
b) Beschreibung individuumsübergreifender Leistungsgrenzen<br />
Alle Risikofaktoren aus den vier genannten Bereichen Fahrverhalten, -fähigkeit,<br />
-kompetenz und -eignung können als differenzielle Einflussfaktoren<br />
bezeichnet werden, da sie von Mensch zu Mensch variieren. Es existieren<br />
jedoch auch Einflussfaktoren, die genereller Natur sind und somit alle<br />
Menschen gleichermassen betreffen. Solche Einflussfaktoren zeigen sich<br />
dann, wenn das System Strassenverkehr derart gestaltet ist, dass es zu<br />
Überforderungen der menschlichen Leistungsfähigkeit führt. Menschliche<br />
Leistungsgrenzen als Risikofaktoren zu bezeichnen, wäre etwas verwegen,<br />
stellen sie doch nicht per se ein Risiko dar, sondern nur in einem<br />
nicht menschengerecht gestalteten Strassensystem. Trotzdem ist es sinnvoll,<br />
menschliche Leistungsgrenzen zu betrachten, da sie in Interaktion<br />
mit der Fahrzeug- und Infrastrukturgestaltung zu Unfällen führen können<br />
(Kap. VII.3.16, S. 174).
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 147<br />
Risikogruppen sind<br />
soziodemographische<br />
Gruppen mit erhöhter<br />
Unfallbelastung<br />
Menschliche<br />
Leistungsgrenzen als<br />
systembedingte<br />
Risikofaktoren<br />
Tabelle 45:<br />
Geschwindigkeitsverhalten<br />
auf<br />
Innerorts- und<br />
Ausserortsstrassen<br />
(Lindenmann, 2005)<br />
c) Identifizierung auffälliger Risikogruppen<br />
Anders als bei der Beschreibung einzelner Risikofaktoren wird bei der<br />
Frage nach Risikogruppen eine Metaebene betrachtet, indem untersucht<br />
wird, ob sich bei den Fahrzeuglenkenden soziodemographisch definier-<br />
bare Gruppen identifizieren lassen, die ein erhöhtes Risiko aufweisen, in<br />
Fussgängerkollisionen zu geraten (Kap. VII.3.17, S. 177).<br />
3.2 Fahrverhalten: Geschwindigkeitswahl<br />
3.2.1 Ausgangslage<br />
Geringe Tempounterschiede werden meist als bedeutungslos eingestuft.<br />
Dementsprechend ist es nicht erstaunlich, dass ein beachtlicher Anteil der<br />
Fahrzeuglenkenden Überschreitungen der signalisierten Geschwindigkeiten<br />
als eher unproblematisch sieht. Rund 20 % der MFZ-Lenkenden ignorieren<br />
eine 50 km/h-Beschränkung und ebenso viele eine 80 km/h-Beschränkung<br />
(vgl. Tabelle 45).<br />
Innerorts (V-Sign: 50 km/h)<br />
Jahr V85 V50 V15 Vm s V>V-Sign in %<br />
2003 50 43 37 43 7.3 20.5<br />
2004 49 44 37 43 6.9 18.5<br />
2005 49 43 36 43 7.1 18.0<br />
Ausserorts (V-Sign: 80 km/h)<br />
Jahr V85 V50 V15 Vm s V>V-Sign in %<br />
2001 85 77 71 78 7.4 35.4<br />
2002 83 76 68 76 7.4 26.9<br />
2003 83 75 67 75 9.3 23.5<br />
2004 81 74 65 73 9.4 19.1<br />
2005 83 75 67 75 8.9 26.1<br />
V15/V50/V85: Geschwindigkeit, die von 15 %, 50 % bzw. 85 % der Fahrzeuge nicht überschritten<br />
wird<br />
Vm: Durchschnittsgeschwindigkeit<br />
S: Standardabweichung<br />
V>V-Sign: Prozentualer Anteil der MFZ-Lenkenden, die schneller als die signalisierte Geschwindigkeit<br />
fahren
148 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Geschwindigkeitsüberschreitungen:<br />
Weit verbreitetes<br />
Phänomen<br />
Geschwindigkeit<br />
zentral für<br />
<strong>Unfallgeschehen</strong><br />
Geschwindigkeitsanstieg<br />
führt zu<br />
überproportionalem<br />
Gefahrenanstieg<br />
Eine Befragung von jungen Neulenkenden mit einer Führerscheinbesitzdauer<br />
von zwei bis drei Monaten ergab, dass 1/5 „oft“ oder sogar „sehr<br />
oft“ schneller als erlaubt fährt (Cavegn, Walter, Siegrist & Widmer, 2004).<br />
Eine im Rahmen des EU-Projektes SARTRE 3 durchgeführte Befragung<br />
ergab, dass rund 40 % der Schweizer Autofahrenden gern schnell fahren<br />
(Kuratorium für Verkehrssicherheit KfV, 2004).<br />
Gemäss einer international durchgeführten Umfrage sind in den letzten<br />
drei Jahren über ein Drittel aller Schweizer Autofahrenden wegen Geschwindigkeitsübertretungen<br />
bestraft worden (Kuratorium für Verkehrssicherheit<br />
KfV, 2004).<br />
3.2.2 Unfallrelevanz<br />
Die Geschwindigkeit ist einer der zentralsten Unfall- und Verletzungsrisikofaktoren<br />
im Strassenverkehr. Das gilt bei Kollisionen zwischen MFZ<br />
und ungeschützten Verkehrsteilnehmenden in besonderem Mass, da die<br />
kinetische Energie bei letzteren infolge der fehlenden Knautschzonen<br />
unmittelbar auf den Körper einwirkt. Es existieren zwar Bestrebungen,<br />
sicherheitsoptimierte MFZ-Fronten zu konstruieren, doch diese wirken nur<br />
bei geringen Kollisionsgeschwindigkeiten; ab ca. 40 km/h haben sie gar<br />
keine Wirkung mehr.<br />
Die hohe Unfallrelevanz der Geschwindigkeit liegt darin begründet, dass<br />
der Zusammenhang zur Verletzungswahrscheinlichkeit bzw. -schwere<br />
überproportional stark ausfällt: Das heisst, eine kleine Geschwindigkeitserhöhung<br />
von einigen Stundenkilometern kann anstelle einer harmlosen<br />
Verletzung ohne langfristige Folgen durchaus zum Tod des angefahrenen<br />
Fussgängers führen. Der überproportional starke Zusammenhang zu den<br />
Verletzungen basiert auf zwei Effekten. Zum einen führt eine Geschwindigkeitserhöhung<br />
zu einem überproportional verlängerten Anhalteweg bzw.<br />
(im Falle eines Hindernisses) zu einer überproportional erhöhten Kollisionsgeschwindigkeit<br />
(Burda & Schwarz, 1990): Dort, wo ein mit 30 km/h<br />
fahrendes Auto nach einer Vollbremsung stillsteht, hat ein Fahrzeug mit<br />
einer Ausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h, dessen Lenker am gleichen<br />
Ort gleich schnell reagiert, noch immer eine Geschwindigkeit von 30 km/h.<br />
Bei einem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h hat an die-
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 149<br />
Abbildung 26:<br />
Anhalteweg bei<br />
verschiedenen<br />
Geschwindigkeiten<br />
Sterbewahrscheinlichkeit<br />
steigt<br />
überproportional<br />
Abbildung 27:<br />
Sterbewahrscheinlichkeit<br />
eines Fussgängers in<br />
Abhängigkeit der<br />
Kollisionsgeschwindigkeit<br />
eines<br />
Motorfahrzeugs<br />
sem Punkt noch gar kein Geschwindigkeitsabbau stattgefunden (sic!) (vgl.<br />
Abbildung 26).<br />
Anhalteweg bei verschiedenen Ausgangsgeschwindigkeiten<br />
30<br />
40<br />
50<br />
8.3 m 5.0 m<br />
= 13.3 m<br />
30 20 0 km/h<br />
11.1 m 8.8 m<br />
= 19.9 m<br />
40 30 20 0 km/h<br />
13.9 m 13.8 m<br />
Anhalteweg<br />
Reaktionsweg Bremsweg<br />
= 27.7 m<br />
50 40 30 20 0 km/h<br />
0 5<br />
10 15 20 25 30<br />
Anhalteweg in Metern [m] bei trockener Fahrbahnoberfläche (Reaktionszeit = 1 s; Verzögerung a = 7 m/s2 Anhalteweg in Metern [m] bei trockener Fahrbahnoberfläche (Reaktionszeit = 1 s; Verzögerung a = 7 m/s ) 2 )<br />
Zum anderen führt eine Erhöhung der Kollisionsgeschwindigkeit wiederum<br />
zu einem überproportional starken Anstieg der Sterbewahrscheinlichkeit<br />
des Fussgängers. Bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 40 km/h<br />
besteht eine Sterbewahrscheinlichkeit von 30 %; beträgt sie 50 km/h,<br />
steigt die Sterbewahrscheinlichkeit auf 70 % (vgl. Abbildung 27). Dieser<br />
Zusammenhang hat sowohl medizinische Gründe (Belastungsgrenzen<br />
des menschlichen Körpers) als auch physikalische (Energie steigt mit zunehmender<br />
Geschwindigkeit quadratisch an).<br />
Wahrscheinlichkeit in %<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90<br />
Aufprallgeschwindigkeit des Fahrzeugs in km/h<br />
Die Geschwindigkeit hat nicht nur einen Einfluss auf die Veretzungsschwere,<br />
sondern beeinflusst auch die Wahrscheinlichkeit, dass es<br />
überhaupt zu einer Kollision kommt (Leaf & Preusser, 1999). In einer<br />
Meta-Analyse zu Kinderunfällen konnte nachgewiesen werden, dass zu<br />
m
150 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Gefahrenverkennung<br />
bei überhöhter<br />
Geschwindigkeit<br />
Tabelle 46:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚unangepasste<br />
Geschwindigkeit’<br />
Fussgänger haben<br />
am Fussgängerstreifen<br />
Vortritt<br />
Fuss gehende Kinder 3.2-mal seltener verunfallen, wenn die durchschnittliche<br />
Geschwindigkeit unter 40 km/h liegt, als wenn diese um 50 km/h<br />
liegt. Bei einer Geschwindigkeit von über 60 km/h steigt das Unfallrisiko<br />
sogar um den Faktor 6 (Wazana, Krueger, Raina & Chambers, 1997).<br />
Abschliessend muss festgehalten werden, dass Tempoüberschreitungen<br />
weitaus problematischer sind, als von den MFZ-Lenkenden gemeinhin<br />
angenommen. Tempoüberschreitungen sind somit neben der physikalischen<br />
Problematik auch durch die Gefahrenverkennung seitens der Lenkenden<br />
gekennzeichnet. Dabei spielt gerade in überbauten Gebieten, wo<br />
Hindernisse oft sehr spät erkennbar sind oder plötzlich auftauchen, das<br />
Gefahrenbewusstsein und die Aufmerksamkeit eine besonders wichtige<br />
Rolle.<br />
Gemäss amtlicher Statistik sind mehr als 8 % aller polizeilich registrierten<br />
Unfallursachen bei Fussgängerunfällen der Kategorie Geschwindigkeit<br />
zuzuordnen.<br />
3.2.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Überschreitung der<br />
Geschwindigkeitslimite<br />
und unangepasste<br />
Geschwindigkeitswahl<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
*** ***** **** ( * )<br />
3.3 Fahrverhalten: Vortrittsmissachtung am Fussgängerstreifen<br />
3.3.1 Ausgangslage<br />
Seit dem 1.6.1994 ist das Vortrittsrecht am Fussgängerstreifen neu geregelt.<br />
Fussgänger haben nicht nur Vortritt, wenn sie sich bereits auf dem<br />
Streifen befinden, sondern auch, wenn sie am Trottoirrand warten und die<br />
Strasse erkennbar überqueren wollen. „Erkennbar“ heisst, dass der Fussgänger<br />
mit dem Fahrzeuglenkenden den visuellen Kontakt suchen und<br />
ihm signalisieren soll, dass er die Strasse überqueren will. Das kann<br />
durch bewusstes Hinschauen Richtung Fahrzeug und für unsichere oder<br />
ältere Personen auch durch kurzes Heben der Hand geschehen.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 151<br />
Anhaltemissachtung<br />
am Fussgängerstreifen<br />
ist hoch<br />
Anhaltemissachtung<br />
hängt von situativen<br />
Gegebenheiten ab<br />
Vortrittsmissachtung<br />
kann zwei unterschiedliche<br />
Ursachen<br />
haben<br />
Leider existieren kaum gesicherte Daten zur Anhaltequote der Fahrzeuglenkenden<br />
vor Fussgängerstreifen. Im Rahmen einer etwas älteren, repräsentativen<br />
Beobachtungsstudie zeigte sich, dass die Anhaltequote im<br />
Jahr 1998 gesamtschweizerisch bei durchschnittlich 50 % lag (Ewert, 1999).<br />
Systematische Beobachtungen jüngeren Datums liegen leider nicht vor.<br />
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Anhaltemissachtung<br />
mit steigendem Fussgängerverkehr und niedrigeren Annäherungsgeschwindigkeiten<br />
abnimmt. Ausserdem spielen auch infrastrukturelle<br />
Eigenschaften eine Rolle. Die Anhaltemissachtung steigt durch den<br />
optischen Vorrang des motorisierten Verkehrs infolge überbreiter und gerader<br />
Fahrbahnen. Demgegenüber kann das Vorziehen des Trottoirs am<br />
Fussgängerstreifen den optischen Vorrang brechen. Auch durch eine geringe<br />
Beleuchtung in der Nacht kann die Anhaltemissachtung steigen.<br />
Das Missachten des Fussgänger-Vortrittsrechts am Fussgängerstreifen<br />
kann hauptsächlich auf zwei Ursachen zurückgeführt werden:<br />
• Ignorieren von Fussgängern: Zum einen können Fahrzeuglenkende<br />
das Vortrittsrecht der Fussgänger bewusst ignorieren. Allenfalls wählen<br />
die Lenkenden eine hohe Annäherungsgeschwindigkeit, um den<br />
auf dem Trottoir wartenden Fussgängern zu signalisieren, dass sie<br />
nicht gewillt sind, ihnen das Überqueren zu ermöglichen. Selbst wenn<br />
sich ein Fussgänger bereits auf dem Fussgängerstreifen befindet, wird<br />
nicht selten weitergefahren.<br />
• Übersehen von Fussgängern: Andererseits können Fussgänger von<br />
den MFZ-Lenkenden durch kurzzeitige Überforderungen infolge einer<br />
Informationsüberflutung zu spät wahrgenommen werden. Das ist insbesondere<br />
an komplexen Kreuzungen zu erwarten, wo innert kurzer<br />
Zeit eine Vielzahl von einzelnen Informationselementen (wie Verkehrszeichen,<br />
Lichtsignalanlage, Strassenmarkierungen, Strassenführung,<br />
andere Verkehrsteilnehmende) verarbeitet werden müssen. Das Übersehen<br />
von Fussgängern geht (zumindest am Fussgängerstreifen) in<br />
der Regel nicht auf visuelle Hindernisse wie parkierte Fahrzeuge oder<br />
Bepflanzungen zurück, sondern hängt mit den menschlichen Leistungsgrenzen<br />
zusammen (s. Kap. VII.3.16 Visuelle Wahrnehmung,<br />
S.174ff).
152 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Vortrittsmissachtung<br />
verursacht mind. ein<br />
Viertel aller schweren<br />
Zweier-Kollisionen<br />
Tabelle 47:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚Missachten des<br />
Vortrittsrechts am<br />
Fussgängerstreifen’<br />
Seit 2002 gilt Soll-<br />
Vorschrift zum<br />
Tagfahrlicht<br />
3.3.2 Unfallrelevanz<br />
Die Bedeutung der Vortrittsmissachtung am Fussgängerstreifen als Unfallursache<br />
wird oft verkannt. Gemäss offizieller Unfallstatistik gehen 36 %<br />
aller Motorfahrzeug-Fussgänger-Kollisionen, bei denen der Fussgänger<br />
schwer oder tödlich verletzt wird, mit einer Missachtung der Anhaltepflicht<br />
vor dem Fussgängerstreifen einher. Hierbei darf jedoch nicht ausser Acht<br />
gelassen werden, dass bei rund einem Zehntel der Motorfahrzeug-Fussgänger-Kollisionen<br />
die Fussgänger eine Mitschuld am Unfall tragen. Wird<br />
diese Tatsache berücksichtigt, kann festgehalten werden, dass ein Viertel<br />
aller Motorfahrzeug-Fussgänger-Kollisionen, bei denen der Fussgänger<br />
schwer oder tödlich verletzt wird, einzig und allein durch eine Vortrittsmissachtung<br />
seitens des Fahrzeuglenkenden zustande kommt18 .<br />
3.3.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Missachten des<br />
Vortrittsrechts am<br />
Fussgängerstreifen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
3.4 Fahrverhalten: Tagfahrlicht<br />
3.4.1 Ausgangslage<br />
** **** ( * ) *****<br />
Am 1.1.2002 ist die Soll-Vorschrift zu Fahren mit Licht am Tag in Kraft<br />
getreten (Art. 31 Abs. 5 VRV). Sie gilt für alle Motorfahrzeuge. Die Soll-<br />
Vorschrift hat lediglich empfehlenden Charakter. Dementsprechend wird<br />
die Missachtung nicht sanktioniert. Die Einschaltquote bei Personenwagen<br />
auf Innerortsstrassen bei schöner Witterung (hell und sonnig,<br />
höchstens leicht bewölkt) lag 2001 bei 8 %, stieg in den nachfolgenden<br />
Jahren kontinuierlich an und erreichte 2005 40 %. Insgesamt (d. h. über<br />
18 Zu welchen Anteilen die Vortrittsmissachtungen seitens der Fahrzeuglenkenden<br />
durch ein bewusstes Ignorieren bzw. durch ein unabsichtliches Übersehen<br />
der Fussgänger zustande kommt, kann auf der Basis der verfügbaren Daten<br />
nicht ermittelt werden.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 153<br />
Tabelle 48:<br />
Lichteinschaltquoten<br />
der Motorfahrzeuge<br />
bei schöner<br />
Witterung, 2005<br />
Auswirkungen von<br />
Tagfahrlicht auf Fussgängersicherheit<br />
nicht<br />
von vornherein klar<br />
Tagfahrlicht hat keine<br />
negativen Effekte auf<br />
Kollisionen mit Fussgängern<br />
alle Strassen- und Fahrzeugarten) ist rund die Hälfte aller MFZ-Lenkenden<br />
mit Licht am Tag unterwegs (vgl. Tabelle 48).<br />
Motorfahrzeug Innerorts Ausserorts<br />
Personenwagen 40 % 47 %<br />
Lastwagen/Bus 58 % 57 %<br />
Motorrad 88 % 93 %<br />
Mofa 54 % 71 %<br />
Total 47 % 55 %<br />
3.4.2 Unfallrelevanz<br />
Die Frage, ob das Tagfahrlicht eine Gefahr für Fussgänger darstellt oder<br />
im Gegenteil einen Sicherheitsgewinn mit sich bringt, kann nur durch empirische<br />
Befunde beantwortet werden. Aufgrund theoretischer Überlegungen<br />
erscheinen nämlich prinzipiell sowohl Vorteile als auch Nachteile<br />
möglich. So wäre denkbar, dass durch das Tagfahrlicht Fussgänger optisch<br />
untergehen und von den MFZ-Lenkenden noch öfters übersehen<br />
werden als dies ohnehin schon der Fall ist. Andererseits heben sich Fahrzeuge<br />
mit Licht besser von der Umgebung ab, so dass Fussgänger herannahende<br />
Fahrzeuge besser und früher wahrnehmen können.<br />
In einer Metastudie von Elvik, Christensen & Olsen (2003) kamen die<br />
Autoren zum Schluss, dass Tagfahrlicht keine negativen, sondern im Gegenteil<br />
eher positive Effekte auf Kollisionen zwischen MFZ und Fussgänger<br />
hat. Das erhöhte Kollisionsrisiko von unbeleuchteten Fahrzeugen beruht<br />
darauf, dass die Distanz grösser und die Geschwindigkeit geringer<br />
eingeschätzt wird als bei Fahrzeugen mit Tagfahrlicht. Dadurch tendieren<br />
Fussgänger dazu, bei unbeleuchteten Fahrzeugen auch dann noch die<br />
Strasse zu überqueren, wenn eigentlich keine Sicherheitsreserve vorhanden<br />
ist, sodass ein zu spätes Bremsen des Fahrzeuglenkers zu einer Kollision<br />
führt. Zudem werden unbeleuchtete Fahrzeuge von Fussgängern oft<br />
zu spät erkannt, wenn sie nicht den Blick nach links und rechts wenden<br />
und sich somit nur auf ihr peripheres Sehfeld verlassen. Das menschliche<br />
Auge hat im peripheren Sehfeld eine relativ schlechte Auflösung und er-
154 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 49:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚Fahren<br />
ohne Licht am Tag’<br />
Rückwärtsfahren nur<br />
im Schritttempo<br />
erlaubt<br />
kennt keine Farben mehr, sondern kann nur zwischen hell und dunkel<br />
unterscheiden. Dort wo ein Fahrzeug mit Licht infolge des verstärkten<br />
Kontrastes erkannt wird, kann ein unbeleuchtetes Fahrzeug leicht übersehen<br />
werden. Da die Sehkraft im Alter nachlässt, sind insbesondere Senioren<br />
auf einen erhöhten Kontrast angewiesen, um Gefahrenquellen<br />
rechtzeitig zu erkennen. Auch Kinder haben mehr Mühe, bewegte Gegenstände<br />
wahrzunehmen, wenn sie unbeleuchtet und damit unauffällig sind.<br />
Der Effekt des Tagfahrlichts beruht nicht ausschliesslich auf einer Verhaltensanpassung<br />
der Fussgänger, Fahren mit Licht am Tag hat auch<br />
Einflüsse auf die MFZ-Lenkenden: In einer niederländischen Studie ging<br />
man dieser Frage mit speziellen Wahrnehmungstests nach. Es zeigte<br />
sich, dass Fahrzeuge mit eingeschaltetem Licht schneller erkannt werden<br />
als solche ohne. Gleichzeitig stellte man auch fest, dass Fussgänger<br />
ebenfalls besser erkannt wurden (Brouwer, Janssen, Theeuwes, Duistermaat<br />
& Alferdinck, 2004) 19 . Weil das Motorfahrzeug dank „Licht am Tag“<br />
früher sichtbar ist, bleibt den entgegenkommenden Lenkenden mehr Zeit,<br />
um die übrigen Verkehrsteilnehmenden zu erkennen.<br />
3.4.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Verzicht auf<br />
Tagfahrlicht<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
3.5 Unvorsichtiges Rückwärtsfahren<br />
3.5.1 Ausgangslage<br />
*** * *<br />
Rückwärtsfahrten sind insbesondere beim Ein- und Ausparken erforderlich.<br />
Dabei darf nur im Schritttempo (ca. 5 km/h) gefahren werden (Art. 17<br />
VRV). Wer rückwärts fährt, darf andere Strassenbenützer nicht behindern;<br />
diese haben stets den Vortritt. Muss auf unübersichtlichen Strassen oder<br />
über eine längere Strecke rückwärts gefahren werden, so ist die Stras-<br />
19 Da die Studie methodische Mängel aufweist, sind die Ergebnisse als vorläufige<br />
Befunde zu betrachten.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 155<br />
Eingeschränkte<br />
Sichtverhältnise beim<br />
Rückwärtsfahren<br />
stellen Gefahr dar<br />
Tabelle 50:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren’<br />
Relativ hoher<br />
Alkoholkonsum in der<br />
Schweiz<br />
senseite zu benützen, die für den Verkehr in gleicher Richtung bestimmt<br />
ist. Das Rückwärtsfahren über unübersichtliche Verzweigungen ist untersagt.<br />
Durch die stark eingeschränkte Sicht nach hinten ist beim Rückwärtsfahren<br />
stets erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich.<br />
3.5.2 Unfallrelevanz<br />
Rückwärtsfahren ist ein heikles Fahrmanöver. Wegen den eingeschränkten<br />
Sichtverhältnissen können andere Verkehrsteilnehmer leicht übersehen<br />
werden. Diese Gefahr erhöht sich, wenn der Fahrzeuglenkende den<br />
Oberkörper und Kopf infolge altersbedingter Steifigkeit nicht umdreht,<br />
sondern ausschliesslich die Rückspiegel zur Orientierung benutzt. Auch<br />
bei Transportern besteht eine erhöhte Gefahr, da dem Lenkenden in der<br />
Regel ausschliesslich die seitlichen Rückspiegel zur Orientierung bleiben.<br />
Dabei kann insbesondere der Bereich unmittelbar hinter dem Fahrzeug<br />
nicht eingesehen werden. Gemäss Unfallstatistik sind pro Jahr 65 schwer<br />
verletzte und 6 getötete Fussgänger wegen unvorsichtigem Rückwärtsfahren<br />
zu beklagen (5-Jahres-Durchschnitt). Unvorsichtiges Rückwärtsfahren<br />
spielt bei rund 8 % aller folgenschweren Kollisionen eine Rolle.<br />
3.5.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
3.6 Fahrfähigkeit: Alkohol<br />
3.6.1 Ausgangslage<br />
* **** ( * ) ****<br />
Die Schweiz gehört zu den fünf OECD-Ländern mit dem grössten Alkoholkonsum.<br />
Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei rund 13 Litern reinem<br />
Alkohol. Gemäss Bundesamt für Statistik BFS (2004b) konsumieren<br />
22 % der Männer und 18 % der Frauen täglich Alkohol (47 % resp. 33 %<br />
wöchentlich). 27 % trinken episodisch zuviel Alkohol (binge drinking).
156 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Aussagekräftige<br />
Befunde zur FiaZ-<br />
Quote kaum möglich<br />
Erste Indizien<br />
sprechen für<br />
Wirksamkeit der<br />
SVG-Revision<br />
Frühere und<br />
ausländische Befunde<br />
zeigen Grössenordnung<br />
von FiaZ<br />
Was das Ausmass von Fahren im angetrunkenen Zustand (FiaZ) angeht,<br />
ist es bedeutend schwieriger, Aussagen zu treffen. Zwar ist die Deliktquote<br />
(z. B. Anzahl der Führerausweisentzüge wegen FiaZ) bekannt,<br />
doch kann diese Grösse kaum als Indikator für das FiaZ-Ausmass herangezogen<br />
werden. Das hängt damit zusammen, dass die Deliktquote nicht<br />
nur vom FiaZ-Ausmass, sondern auch von der polizeilichen Kontrollintensität<br />
abhängt. Um aussagekräftige Befunde zu erhalten, müsste der Promillewert<br />
von zufällig (sic!) ausgewählten Fahrzeuglenkenden ermittelt<br />
werden (Roadside Survey). Da bis vor einem Jahr anlassfreie Alkoholkontrollen<br />
nicht gestattet waren, konnte eine solche Studie bisher nicht<br />
realisiert werden. Erst die am 1.1.2005 in Kraft getretene SVG-Revision,<br />
die neben der Reduktion der Promillegrenze auch den anlassfreien Atemalkoholtest<br />
erlaubt, gibt diese Möglichkeit. Bisher wurde jedoch noch<br />
keine systematische Studie durchgeführt, die die neue Kontrollmöglichkeit<br />
genutzt hätte.<br />
Es darf vermutet werden, dass die Promillereduktion von 0.8 auf 0.5 ‰<br />
das Ausmass von Fahrten im angetrunkenen Zustand reduziert hat. Zum<br />
einen durch die im Vorfeld der SVG-Revision geführte Diskussion in den<br />
Massenmedien und die massenmedialen Kampagnen und zum anderen<br />
durch die Intensivierung der polizeilichen Kontrollen, die auch die subjektive<br />
Kontrollerwartung erhöht haben. Während vor der Gesetzesänderung<br />
über 80 % der Befragten angaben, „nie“ oder „selten“ mit einer Alkoholkontrolle<br />
zu rechnen (Demoscope, 2003), waren es nach der Inkraftsetzung<br />
der SVG-Revision noch 64 % (Demoscope, 2005). Gegenwärtig<br />
liegen jedoch noch keine aussagekräftigen Befunde zum aktuellen FiaZ-<br />
Ausmass vor.<br />
Anhand von früheren Umfragen kann geschätzt werden, dass vor der Gesetzesänderung<br />
8 bis 15 % der erwachsenen Bevölkerung als FiaZ-Delinquenten<br />
in Frage kamen. Im Rahmen einer in der Schweiz durchgeführten<br />
Befragung junger Neulenkendender zeigte sich, dass innerhalb der ersten<br />
zwei bis drei Monate Führerscheinbesitz bereits 13 % nach dem Konsum<br />
von alkoholischen Getränken Auto gefahren sind (Cavegn, Walter, Siegrist<br />
& Widmer, 2004). Studien aus Frankreich (Biecheler & Filou, 1993)<br />
und den Niederlanden (Mathijssen, 1994) zeigten, dass 4.5 % der im Verkehr<br />
zirkulierenden MFZ-Lenkenden über 0.5 ‰ Alkohol im Blut haben
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 157<br />
Ab 0.5 ‰ steigt<br />
Unfallwahrscheinlichkeit<br />
deutlich an<br />
(ca. 2.5 % über 0.8 ‰). Da bisher in der Schweiz keine anlassfreien Alkoholkontrollen<br />
durchgeführt werden durften, liegen nur die Zahlen einer<br />
einzigen Beobachtungsuntersuchung aus dem Jahr 1987 vor. In der Agglomeration<br />
von Bern wurden an fünf Stellen in einer Nacht von Freitag<br />
auf Samstag zwischen 23.00 und 2.30 Uhr sämtliche Fahrzeuglenkenden<br />
auf Alkohol getestet. Über ein Drittel wies eine messbare Atemalkoholkonzentration<br />
auf und 4.4 % lagen über dem damaligen gesetzlichen<br />
Grenzwert von 0.8 ‰ (Zink, 1987, zit. nach Siegrist & Mathys, 1998).<br />
3.6.2 Unfallrelevanz<br />
Die empirisch aufgezeigte, rasche Zunahme der Unfallwahrscheinlichkeit<br />
ab 0.5 ‰ Blutalkoholkonzentration (BAK) und die geschätzten Häufigkeiten<br />
von FiaZ lassen keinen Zweifel, dass alkoholbedingte Beeinträchtigungen<br />
der Fahrfähigkeit nach wie vor von Bedeutung sind. Die Beeinträchtigungen<br />
betreffen in erster Linie Wahrnehmungsleistungen, in<br />
zweiter Linie kognitive Leistungen und schliesslich die sensomotorischen<br />
Koordinationsleistungen. Zusätzlich zu den Leistungsveränderungen<br />
können alkoholbedingte Motivationsveränderungen entstehen, woraus<br />
sich alkoholspezifische Wechselwirkungen zwischen objektiven Leistungsmöglichkeiten<br />
und subjektiven Zielsetzungen ergeben (Klebelsberg,<br />
1982).<br />
Nachfolgende Abbildung zeigt den Anstieg des Unfallrisikos bei zunehmendem<br />
BAK-Wert: Ab einer BAK von 0.5 ‰ steigt die Unfallwahrscheinlichkeit<br />
rasch an. Es muss präzisiert werden, dass sich diese Angaben auf<br />
den Durchschnitt aller MFZ-Lenkenden bezieht. Für junge Neulenkende<br />
zeigt sich bereits ab 0.3 ‰ ein erhöhtes Unfallrisiko (vgl. Krüger, 1995;<br />
Müller, 2001).
158 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Abbildung 28:<br />
Relatives Unfallrisiko<br />
in Abhängigkeit der<br />
Blutalkoholkonzentration<br />
FiaZ-Bedeutung bei<br />
Fussgängerunfällen<br />
reduziert<br />
Tabelle 51:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚FiaZ’<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Relatives<br />
Unfallrisiko<br />
0 0.2 0.4 0.5<br />
Promillewert<br />
0.6 0.8 1<br />
Generell muss davon ausgegangen werden, dass Alkohol bei ca. 30 %<br />
aller Strassenverkehrsunfälle mit Todesfolge eine (Mit-)Ursache darstellt.<br />
Bei Fussgängerunfällen dürften MFZ-Lenkende im angetrunkenen Zustand<br />
eine bedeutend geringere Rolle spielen, da durch FiaZ primär<br />
nächtliche Selbstunfälle entstehen. Gemäss offizieller Unfallstatistik sind<br />
nur gerade 3 % aller Kollisionen zwischen einem Fussgänger und einem<br />
Motorfahrzeug auf alkoholisierte MFZ-Lenkende zurückzuführen. Selbst<br />
unter Berücksichtigung der Dunkelziffer dürfte das Ausmass schätzungsweise<br />
nicht über 5 % liegen.<br />
3.6.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Fahren im<br />
angetrunkenen Zustand<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
* *** **
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 159<br />
Cannabis-Konsum<br />
v. a. bei jungen<br />
Lenkenden<br />
Häufigkeit von<br />
Drogenfahrten: Wenig<br />
gesichertes Wissen<br />
Abbildung 29:<br />
Quoten verschiedener<br />
Drogen im<br />
Strassenverkehr<br />
(Deutschland)<br />
3.7 Fahrfähigkeit: Drogen<br />
3.7.1 Ausgangslage<br />
Der Konsum von Cannabis ist insbesondere bei Jugendlichen und jungen<br />
Erwachsenen zu beobachten. In einer repräsentativen Umfrage zeigte<br />
sich, dass ein Viertel aller 15- bis 24-Jährigen Cannabis (meist Marihuana)<br />
konsumieren. Erfahrungen mit Cannabis hat die Hälfte der 15- bis<br />
24-Jährigen. Nach negativen Auswirkungen gefragt, nennen sowohl Konsumenten<br />
als auch Nicht-Konsumenten zu mehr als 80 % die Beeinträchtigung<br />
der Fahrfähigkeit (Müller, Fahrenkrug & Müller, 2001). Gemäss<br />
Bundesamt für Statistik BFS (2004b) konsumieren 6 % der männlichen<br />
und 3 % der weiblichen 15- bis 60-Jährigen aktuell Haschisch. Harte Drogen<br />
(namentlich Heroin, Amphetamin, Kokain, Ecstasy, Methadon, Halluzinogene)<br />
werden von 0.6 % der Männer und 0.3 % der Frauen konsumiert.<br />
Über das tatsächliche Ausmass von Fahrten unter Drogeneinfluss besteht<br />
wenig gesichertes Wissen. Es existieren zwar einige Studien zu Cannabis,<br />
welche Quoten bis zu 57 % ermittelten; diese Studien basieren jedoch<br />
auf selektiven Stichproben (z. B. nur bei Lenkenden mit bestehendem Vorverdacht,<br />
nur Nachtfahrten), sodass keine repräsentativen Aussagen getroffen<br />
werden können. Um ein gesichertes Bild zu erhalten, müsste die<br />
Auftretenshäufigkeit bei Lenkenden ohne Anfangsverdacht ermittelt werden.<br />
Eine solche Studie existiert für die Schweiz nicht. In der „Würzburger<br />
Roadside Survey“ konnten folgende Quoten ermittelt werden (Abbildung<br />
29; Krüger, 1995):<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Prozent positiver Proben (gewichtet)<br />
Kokain Amphetamine Opiate Cannabis Barbiturate Benzodiazepine
160 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Niederlande: 4.5 %<br />
fahren unter<br />
Cannabis-Einfluss<br />
Grossbritannien:<br />
4.6 % fahren unter<br />
Einfluss von Amphetaminen/Ecstasy<br />
Mischkonsum<br />
besonders gefährlich<br />
In einer niederländischen Studie zur Drogenprävalenz bei Motorfahrzeuglenkenden<br />
wurden rund 3'800 Fahrer angehalten und getestet, dabei<br />
zeigte sich, dass 4.5 % Cannabis konsumiert hatten (3.9 % ausschliesslich<br />
Cannabis und 0.6 % Cannabis in Kombination mit anderen Drogen<br />
und/oder Alkohol; Mathijssen & Houwing, 2005):<br />
Bei einer britischen Studie (n = 1'300) zeigte sich, dass Ecstasy und Cannabis<br />
bei weitem die höchste Prävalenz hatten (Buttress et al., 2005):<br />
• 4.59 % für Amphetamine, Ecstasy (exkl. Mischkonsum)<br />
• 3.14 % Cannabis (exkl. Mischkonsum)<br />
• 0.02 % für Opiate (exkl. Mischkonsum)<br />
• 0.98 % für Kokain (exkl. Mischkonsum)<br />
• 0.73 % für Mischkonsum<br />
Diese ausländischen Ergebnisse können zwar nicht 1:1 auf die Schweiz<br />
übertragen werden, sie zeigen jedoch die zu erwartende Grössenordnung<br />
der Prävalenzen an.<br />
Das ASTRA hat im Jahr 2004 in rund 1’000 Fällen den Führerausweis<br />
infolge Drogenkonsums (inkl. Medikamentenmissbrauch) warnungshalber<br />
befristet und in rund 1’500 Fällen auf unbestimmte Zeit entzogen<br />
(Bundesamt für Strassen ASTRA, 2005b).<br />
3.7.2 Unfallrelevanz<br />
Der Drogenkonsum erhöht insbesondere dann das Unfallrisiko, wenn –<br />
wie dies häufig der Fall ist – zusätzlich alkoholische Getränke konsumiert<br />
werden. Nachfolgende Abbildung zeigt das Unfallrisiko bei reinem Drogenkonsum<br />
im Vergleich zum Mischkonsum.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 161<br />
Abbildung 30:<br />
Relatives Verursacherrisiko<br />
unter<br />
Einfluss verschiedener<br />
Substanzen<br />
(Vollrath & Krüger,<br />
2002)<br />
Tabelle 52:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚Fahren<br />
unter Drogeneinfluss’<br />
Die meisten Medikamente<br />
werden<br />
ärztlich verschrieben<br />
Risiko<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Grundrisiko<br />
(ohne (ohne (ohne (ohne Substanz) Substanz) Substanz) Substanz)<br />
Alkohol > 1 ‰<br />
0.5 – 1 ‰<br />
Cannabis<br />
Wie weit Fussgänger durch substanzbedingte Fahruntüchtigkeit von MFZ-<br />
Lenkenden betroffen sind, lässt sich mangels Daten nicht genau sagen.<br />
Gemäss offizieller Unfallstatistik standen lediglich 0.6 % aller MFZ-Lenkenden,<br />
die mit einem Fussgänger kollidiert sind, unter Drogeneinwirkung.<br />
3.7.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Fahren unter Einfluss<br />
von illegalen Drogen<br />
(inkl. Mischkonsum mit<br />
Alkohol)<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
3.8 Fahrfähigkeit: Medikamente<br />
3.8.1 Ausgangslage<br />
Alkohol + Cannabis<br />
Stimulanzien<br />
* **** *<br />
Die Medikamenteneinnahme nimmt insbesondere im höheren Lebensalter<br />
zu. Die schweizerische Gesundheitsbefragung (SGB) des BFS hat ergeben,<br />
dass innerhalb einer Woche über 40 % der Bevölkerung ein oder<br />
mehrere Medikamente konsumiert, wovon 80 % ärztlich verordnet sind<br />
(Bundesamt für Statistik BFS, 2005b). Studien zum Ausmass von Fahren<br />
unter Medikamenteneinfluss kommen oftmals zu ganz unterschiedlichen<br />
∞<br />
Alkohol + Stimulanzien
162 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Medikamente können<br />
Fahrfähigkeit<br />
beeinflussen<br />
Ergebnissen. Dies erklärt sich insbesondere durch die Wahl der Selektionskriterien<br />
(Alter, Tageszeit, nur Lenker oder alle Insassen) und der<br />
Nachweismethode (Blut, Urin, Speichel, Schweiss). Epidemiologische<br />
Untersuchungen lassen jedoch vermuten, dass 5 bis 10 % aller Autofahrten<br />
unter dem Einfluss von Medikamenten stattfinden (Lyrer & Müller-<br />
Spahn, 2004). Am häufigsten tauchen dabei Benzodiazepine auf (Heinrich,<br />
2002; Verstraete, 2000).<br />
3.8.2 Unfallrelevanz<br />
Medikamente können die Vigilanz, die Konzentrationsfähigkeit, sensomotorische<br />
Funktionen sowie die emotionale Anteilnahme an der Umwelt<br />
verändern, was wiederum Auswirkungen auf die Informationsverarbeitung,<br />
die Reaktionsgeschwindigkeit und die Handlungskontrolle hat. Dadurch<br />
kann die Einnahme von Medikamenten das Unfallrisiko beträchtlich<br />
erhöhen (Lyrer & Müller-Spahn, 2004). Gemäss amtlicher Unfallstatistik<br />
spielt der Einfluss von Medikamenten bei MFZ-Lenkenden, die mit einem<br />
Fussgänger kollidieren, so gut wie keine Rolle (weniger als 1 ‰ aller protokollierten<br />
Unfallmitursachen).<br />
Nach einer Studie der Pompidou-Gruppe des Europarats finden etwa 5<br />
bis 10 % aller Fahrten unter dem Einfluss von Medikamenten (vor allem<br />
Benzodiazepine) statt; entsprechend wird vermutet, dass Medikamente<br />
bei 6 bis 21 % der Verkehrsunfälle mit im Spiel sind (Heinrich, 2002). Leider<br />
fehlen präzisere Angaben. Bezüglich der Einnahme von Benzodiazepinen<br />
kommt Vaa (2003) auf der Basis einer Metaanalyse von 14 Studien<br />
zum Schluss, dass diese das Unfallrisiko um 50 % erhöhen (RR = 1.54, p<br />
< 0.001). Heinrich (2002) geht von höheren Risiken aus und gibt an, dass<br />
das Unfallrisiko bei regelmässiger Einnahme in der ersten Woche 8- bis<br />
10-mal, danach 2- bis 5-mal so hoch ist wie bei substanzfreien Fahrzeuglenkenden.<br />
Für andere Substanzgruppen fehlen entsprechende Angaben.<br />
Summarisch kann aufgrund einer niederländischen Studie gesagt<br />
werden, dass Lenkende, die ein potenziell fahrbeeinträchtigendes Medikament<br />
eingenommen haben, ein Odds Ratio von 1.5 haben, in einen<br />
Unfall verwickelt zu werden. Lenkende, die zwei oder mehr Medikamente<br />
eingenommen haben, haben ein Odds Ratio von 3.2 bzw. 3.3 (Herings,<br />
1994).
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 163<br />
Tabelle 53:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚Fahren<br />
unter Medikamenteneinfluss’<br />
Ursachen von<br />
Müdigkeit sind<br />
vielfältig<br />
Müdigkeit von MFZ-<br />
Lenkenden keine<br />
zentrale Gefahr für<br />
Fussgänger<br />
Bei der Beurteilung von Arzneimitteln darf nicht ausser Acht gelassen<br />
werden, dass Psychopharmaka nicht in jedem Fall zu Beeinträchtigungen<br />
der Fahrfähigkeit führen, sondern diese teilweise erst sicherstellen (vgl.<br />
Lyrer & Müller-Spahn, 2004).<br />
3.8.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Fahren unter leistungsbeeinträchtigenden<br />
Medikamenten<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
3.9 Fahrfähigkeit: Müdigkeit<br />
3.9.1 Ausgangslage<br />
* *** *<br />
Übermüdung und Sekundenschlaf am Steuer können verschiedene Ursachen<br />
haben. Die wichtigsten sind: Schlafstörungen (z. B. Apnoe), Schlafdeprivation<br />
oder Substanzen wie Drogen und Medikamente. Ältere Personen<br />
leiden häufiger an Schlafstörungen, insbesondere Berufschauffeure<br />
und junge Lenkende (Discobesuchende) sind hingegen eher<br />
von Schlafmangel betroffen, der bei jungen Lenkenden teilweise auch<br />
substanzbedingt ist.<br />
3.9.2 Unfallrelevanz<br />
Die Bedeutung der Müdigkeit im Strassenverkehr wurde lange Zeit unterschätzt,<br />
nicht zuletzt, weil sie in der offiziellen Statistik der polizeilich registrierten<br />
Strassenverkehrsunfälle aufgrund der Erfassungsprobleme<br />
selten ausgewiesen wird20 . Ausländische Studien zeigen, dass Müdigkeit<br />
bei 10 bis 30 % aller Verkehrsunfälle eine Mitursache darstellt (Sagberg et<br />
al., 2004; Connor et al., 2001; Garbarino et al., 2001; Horne & Reyner,<br />
1995). Die Wahrscheinlichkeit, in einen Unfall zu geraten, ist bei Perso-<br />
20 Infolge der unfallbedingten Aufregung lässt sich Müdigkeit post hoc kaum<br />
diagnostizieren, ausser anhand von Selbstberichten des Lenkenden.
164 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 54:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚Fahren<br />
in übermüdetem<br />
Zustand’<br />
Unaufmerksamkeit:<br />
Erklärung ohne<br />
Aussagekraft<br />
nen, die sich häufig müde fühlen, um fast 40 % erhöht; bei Personen, die<br />
unter Schlaflosigkeit leiden, sogar um beinahe 90 % (Sagberg, 2006).<br />
Müdigkeitsunfälle geschehen vor allem während der Nacht, aber auch am<br />
späteren Nachmittag. In Bezug auf Kollisionen mit Fussgängern muss die<br />
Bedeutung der Müdigkeit jedoch relativiert werden. Müdigkeit wird nämlich<br />
insbesondere auf monotonen Langstrecken – d. h. auf Ausserortsstrassen<br />
und Autobahnen – zu einem Problem. Innerorts, wo die meisten<br />
Fussgängerunfälle zu verzeichnen sind, dürfte die Unfallrelevanz der Müdigkeit<br />
weitaus geringer sein. Obwohl quantitative Angaben wegen fehlender<br />
Daten nicht möglich sind, wird im vorliegenden Bericht von einer<br />
relativ geringen Bedeutung der Müdigkeit für Fussgängerkollisionen ausgegangen.<br />
3.9.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Fahren in übermüdetem<br />
Zustand<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
* ** *<br />
3.10 Fahrfähigkeit: Unaufmerksamkeit und Ablenkung<br />
3.10.1 Ausgangslage<br />
Die Erhebung des Ausmasses an Unaufmerksamkeit im Strassenverkehr<br />
ist kaum möglich, stellt sie doch einen mentalen Aktivierungszustand dar,<br />
der der Beobachtung nicht zugänglich ist. Zwar erfasst die Polizei im<br />
Rahmen der Unfallprotokollierung auch die Unaufmerksamkeit als mögliche<br />
Mitursache, doch verkommt diese Angabe durch die „Post-hoc-<br />
Diagnose“ zu einer nichtssagenden Information. Letztlich könnte nämlich<br />
im Nachhinein bei beinahe jedem Unfall eine gewisse Unaufmerksamkeit<br />
als Mitursache attribuiert werden.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 165<br />
Ablenkungen<br />
entstehen durch<br />
Nebentätigkeiten<br />
„Unaufmerksamkeit“<br />
oft protokollierter<br />
Mangel<br />
Nebentätigkeiten in<br />
Unfallstatistik kaum<br />
enthalten<br />
Sinnvoller (da wissenschaftlich zugänglich) hingegen ist es, Ablenkungen<br />
von der Fahraufgabe im Sinne von Nebentätigkeiten zu betrachten. Solche<br />
Ablenkungssituationen entstehen insbesondere durch Manipulationen<br />
am Radio und durch das Telefonieren, aber auch essen oder gar lesen<br />
von Strassenkarten lenken von der Fahraufgabe ab. Beim Telefonieren ist<br />
nicht nur die direkte Gerätebedienung gefährlich (visuelle Ablenkung),<br />
sondern auch das Telefonieren per se; bindet es doch einen beachtlichen<br />
Teil der kognitiven Ressourcen (mentale Ablenkung). Die Verbreitung von<br />
Mobiltelefonen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Während<br />
1999 rund die Hälfte aller MFZ-Lenkenden im Besitz eines Mobiltelefons<br />
war, sind es gegenwärtig beinahe 9 von 10 – bei jungen Autofahrenden<br />
sind es fast 100 %. Dabei verzichtet nur rund die Hälfte aller MFZ-Lenkenden<br />
konsequent auf das Telefonieren am Steuer (Demoscope, 2005).<br />
Im Rahmen des EU-Projekts SARTRE 3 zeigte sich, dass in der Schweiz<br />
fast ein Drittel aller MFZ-Lenkenden mindestens einmal pro Tag während<br />
des Fahrens telefoniert (Kuratorium für Verkehrssicherheit KfV, 2004).<br />
3.10.2 Unfallrelevanz<br />
Gemäss offizieller Unfallstatistik ist bei rund einem Viertel der Kollisionen<br />
mit Fussgängern Unaufmerksamkeit der MFZ-Lenkenden eine (Mit-)<br />
Ursache. Damit stellt sie nach der Vortrittsmissachtung den zweithäufigsten<br />
polizeilich protokollierten Mangel dar. Wie oben bereits erwähnt,<br />
haben diese Häufigkeitswerte jedoch durch die „Post-hoc-Diagnose“ eine<br />
geringe Aussagekraft, zumal die Unaufmerksamkeit oftmals in Ermangelung<br />
augenscheinlicher Unfallursachen als Erklärung herangezogen wird.<br />
Somit kann gesagt werden, dass die Bedeutung der Aufmerksamkeit für<br />
ein sicheres Fahren zwar offenkundig ist, sich aber der wissenschaftlichen<br />
Unfallforschung entzieht.<br />
Es existiert jedoch eine Reihe identifizierbarer Situationen, bei denen der<br />
Lenkende seine Aufmerksamkeit statt der Fahrumgebung einer Nebentätigkeit<br />
widmet (z. B. Radio- oder Natelbedienung). Gemäss Unfallstatistik<br />
gehen nicht einmal 3 % aller Kollisionen zwischen einem Fahrzeug und<br />
einem schwer oder tödlich verletzten Fussgänger auf Ablenkungen zurück.<br />
Die Bedeutung von ablenkenden Handlungen und Gesprächen wird
166 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Telefonieren mit<br />
Handy und<br />
Freisprechanlage<br />
erhöht Risiko<br />
Tabelle 55:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚Ablenkung/Unaufmerksamkeit’<br />
Fahrzeugbedienung<br />
wird während<br />
Fahrausbildung<br />
gelehrt<br />
in der offiziellen Unfallstatistik wohl unterschätzt, da MFZ-Lenkende sich<br />
davor hüten, ein solches Vergehen gegenüber dem protokollierenden Polizeibeamten<br />
zuzugeben.<br />
Dass sich die Bedienung eines Mobiltelefons und das dadurch notwendige<br />
einhändige Fahren negativ auf die Fahrsicherheit auswirken, ist bereits<br />
länger bekannt, sodass Freisprecheinrichtungen vorgeschrieben<br />
wurden. Wie eine aktuelle Studie des staatlichen schwedischen Verkehrsforschungsinstituts<br />
(VTI) gezeigt hat, erhöht jedoch eine Freisprecheinrichtung<br />
die Fahrsicherheit nicht (Kircher et al., 2004). Die Aufmerksamkeit<br />
ist beim freien Sprechen mit einer nicht anwesenden Person<br />
ebenso stark gemindert wie beim Benutzen eines in der Hand gehaltenen<br />
Mobiltelefons. Generell vervierfacht sich das Unfallrisiko durch das Telefonieren.<br />
In einer Umfrage gaben 7 % der MFZ-Lenkenden an, während<br />
des Telefonierens bereits einen Unfall oder Beinaheunfall gehabt zu haben<br />
(Demoscope, 2005).<br />
3.10.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Visuelle und mentale<br />
Ablenkung von der<br />
Fahraufgabe<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
3.11 Fahrkompetenz: Fahrzeugbedienung<br />
3.11.1 Ausgangslage<br />
* ( * ) **** ** ( * )<br />
Die grundlegenden Elemente der Fahrzeugbedienung wie Bremsen, Beschleunigen,<br />
Wechseln des Getriebegangs und Lenken werden im Rahmen<br />
der Fahrausbildung vermittelt. In den letzten Jahrzehnten wurde die<br />
Bedienung dieser Teilaufgaben durch verschiedene technische Innovationen<br />
wie synchronisierte Getriebe, (Halb-)Automatikgetriebe, Servolenkung,<br />
Antiblockiersystem (ABS), Antischlupfregelung (ASR) u. a. deutlich erleichtert.<br />
Dennoch bedarf es nach wie vor einiger Übung, bis das Fahrzeug<br />
automatisiert bedient werden kann.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 167<br />
Mangelhaftes<br />
Fahrkönnen hat keine<br />
Unfallrelevanz<br />
Tabelle 56:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚mangelhafte<br />
Fahrzeugbeherrschung’<br />
Mentale Fahrkompetenz<br />
gewinnt<br />
bei Ausbildung an<br />
Bedeutung<br />
3.11.2 Unfallrelevanz<br />
Zwar weisen Neulenkende in der Regel eine noch nicht vollständig automatisierte<br />
Fahrzeugbedienung auf, dennoch besteht in der Fachliteratur<br />
bereits seit längerer Zeit weitgehend Konsens, dass dieser Mangel zumindest<br />
bei schweren Unfällen keine nennenswerte Ursache darstellt (vgl.<br />
z. B. Evans, 1991). Das gilt v. a. dann, wenn während der Lernphase<br />
nicht ausschliesslich mit dem Fahrlehrer/der Fahrlehrerin gefahren werden<br />
darf, sondern – wie dies in der Schweiz erlaubt ist – auch in Begleitung<br />
von fahrerfahrenen Laienpersonen. Dadurch erhalten die Neulenkenden<br />
mehr Fahrpraxis und erhöhen damit ihre Bedienungsroutine,<br />
bevor sie alleine unterwegs sind. Es erstaunt nicht, dass eine mangelnde<br />
Vertrautheit mit dem Fahrzeug im Rahmen der polizeilichen Unfallprotokollierung<br />
so gut wie nie als mögliche Unfallursache bei Fussgänger-Kollisionen<br />
angegeben wird.<br />
Empirische Untersuchungen haben aufgedeckt, dass eine zu starke Ausrichtung<br />
der Fahrausbildung auf die technische Fahrzeugbedienung sogar<br />
kontraproduktive Effekte haben kann, da es das Selbstvertrauen in die<br />
eigenen fahrtechnischen Fähigkeiten steigert und dazu verleiten kann, riskanter<br />
zu fahren (Sanders & Keskinen, 2004; Keskinen, 1996).<br />
3.11.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Mangelhafte Fahrzeugbeherrschung<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
* *<br />
3.12 Fahrkompetenz: Gefahrenkognition und Selbstkontrolle<br />
3.12.1 Ausgangslage<br />
Fahrausbildung hat das Ziel, eine Person zu befähigen, ein MFZ sicher zu<br />
führen. Das beinhaltet nicht nur die motorische Fahrzeugbedienung (s.<br />
Kap. VII.3.11 Fahrzeugbedienung, S. 166), sondern auch die psychologisch-mentale<br />
Ebene. Lange Zeit wurde letztere nur insofern berücksichtigt,<br />
als dass die Verkehrsvorschriften gelehrt wurden. Durch den seit<br />
( * )
168 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Mangelnde Gefahrenkognition<br />
und Selbstkontrolle<br />
führt zu<br />
unangepasstem<br />
Fahrverhalten<br />
Tabelle 57:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚mangelnde<br />
Gefahrenkognition<br />
und Selbstkontrolle’<br />
1991 obligatorischen Verkehrskundeunterricht (namentlich Verkehrssinnbildung<br />
und Gefahrenlehre) wurde der psychischen Fahrbefähigung bedeutend<br />
mehr Gewicht gegeben. In der neuen Fahrausbildung, die am 1.<br />
Dezember 2005 in Kraft gesetzt wurde, hat sich der Stellenwert der psychischen<br />
Fahrbefähigung in der Fahrausbildung nochmals deutlich erhöht.<br />
Alle relevanten Gefahrenquellen (wie Alkoholkonsum, Mitfahrereinfluss,<br />
emotionale Stimmung, Selbstüberschätzung etc.) werden in den obligatorischen<br />
Weiterausbildungskursen (WAB) ausführlich thematisiert.<br />
3.12.2 Unfallrelevanz<br />
Im Rahmen einer Befragung von jungen Neulenkenden hat sich gezeigt,<br />
dass Personen, welche gefährliche Fahrsituationen richtig einschätzen,<br />
seltener in Unfälle und Beinaheunfälle geraten. Mangelnde Gefahrenkognition<br />
steht in einem signifikanten Zusammenhang mit risikoreichem<br />
Fahrverhalten (Cavegn, Walter, Siegrist & Widmer, 2004) und führt zu<br />
einer ungenügenden Anpassung des Fahrverhaltens an andere Verkehrsteilnehmende<br />
und an die Verkehrsumgebung.<br />
Jungen Neulenkenden bereitet das Antizipieren möglicher Gefahren oft<br />
Schwierigkeiten, da sie viele Gefahren verkennen (Siegrist & Mathys,<br />
1998). Zudem fällt ihnen die Selbstkontrolle bedeutend schwerer. Die genannten<br />
Grundprobleme von jungen Neulenkenden zeigen sich auch im<br />
Unfallrisiko: Das Risiko (pro gefahrenen Kilometer oder pro gefahrene<br />
Stunde), mit einem Fussgänger zu kollidieren, ist bei jungen Erwachsenen<br />
zwei- bis dreimal höher als bei den restlichen Lenkenden (s. Kap. VII.3.17<br />
Soziodemographische Risikogruppen, S. 177). Ergänzend muss erwähnt<br />
werden, dass mangelnde Gefahrenkognition zwar bei jungen Neulenkenden<br />
häufiger und in stärkerer Ausprägung vorkommt, aber durchaus auch<br />
bei den restlichen Lenkenden vorzufinden ist.<br />
3.12.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Mangelnde<br />
Gefahrenkognition und<br />
Selbstkontrolle<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
** ( * ) **** ***
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 169<br />
Verschlechterung des<br />
Sehvermögens<br />
korreliert mit Alter<br />
3.13 Fahreignung: Sensorische Einschränkungen<br />
3.13.1 Ausgangslage<br />
Beim Autofahren ist die visuelle Wahrnehmung die wichtigste Sinnesmodalität.<br />
Über 90 % aller fahrrelevanten Informationen werden visuell<br />
aufgenommen. Das Sehvermögen kann insbesondere durch folgende<br />
Faktoren beeinträchtigt sein:<br />
• Verminderter Visus (zentrale Tagessehschärfe): Ein Visus von 1.0<br />
bedeutet, dass ein Hindernis auf 100 m erkannt wird, bei einem solchen<br />
von 0.5 erst auf 50 m (Bockelmann, 2003). Die Visusreduktion<br />
korreliert mit dem Alter. So verfügen viele Jugendliche über einen Visus<br />
von bis zu 2.8; ein 80-Jähriger besitzt durchschnittlich nur noch einen<br />
Visus von 0.4 (Bockelmann, 2003). Der Prozess der Visusreduktion<br />
geht in aller Regel so langsam voran, dass die Einbussen von den<br />
Betroffenen oftmals gar nicht bemerkt werden. Deswegen wird das<br />
Sehvermögen oft überschätzt. In vielen Fällen ist die Sehschärfe von<br />
MFZ-Lenkenden unter dem gesetzlichen Minimum, ohne dass sie sich<br />
dessen bewusst sind. In den allermeisten Fällen lässt sich eine mangelhafte<br />
Sehschärfe durch Brillen/Linsen korrigieren (Wilhelm, 2000).<br />
• Akkommodationsbreite: Die Akkommodationsbreite des Auges nimmt<br />
von 15 Dioptrien während der Jugend auf 2 Dioptrien im Alter von ca.<br />
50 Jahren ab. Diese Einschränkung erschwert die Informationsaufnahme<br />
beim Blickwechsel von der Ferne in die Nähe und umgekehrt.<br />
• Ausfälle des Gesichtsfelds: Besonders in der älteren Bevölkerungsgruppe<br />
kommen Ausfälle des Gesichtsfeldes durch eine Verringerung<br />
des peripheren Sehens und durch Erkrankungen (z. B. grüner Star,<br />
Schlaganfälle) vor. Während das Gesichtsfeld in der Jugend eine<br />
Breite von 175 Grad umfasst, sind es bei Senioren nur noch 140 Grad.<br />
• Dämmerungssehvermögen und Blendempfindlichkeit: Einbussen<br />
im Dämmerungssehvermögen bedeuten, dass man mehr Licht benötigt,<br />
um einen Gegenstand zu erkennen. Dabei muss betont werden,<br />
dass jemand trotz guter Sehschärfe (Visus) bei Nacht und Dämmerung<br />
nahezu blind sein kann (Wilhelm, 2000). Ein relativ hoher Prozentsatz<br />
der MFZ-Lenkenden hat Probleme mit dem Dämmerungssehvermögen<br />
und mit Blendempfindlichkeit. Diese Probleme kommen mit steigendem<br />
Alter öfter vor und sind auf eine Trübung der Linse zurückzufüh-
170 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Visusbeeinträchtigungen<br />
erhöhen<br />
Unfallgefahr um ca.<br />
10 %<br />
Beeinträchtigtes<br />
Nachtsehen erhöht<br />
Unfallgefahr um ca.<br />
50 %<br />
ren. Bei Jugendlichen sehen 2.3 bis 4 % im Dunkeln unzureichend bis<br />
schlecht. Ab 70 Jahren sind selbst ohne Blendungsquelle 34 % der<br />
MFZ-Lenkenden ungeeignet für die Nachtfahrt, bei Blendung erhöht<br />
sich dieser Wert auf 54 %.<br />
Neben Sehverschlechterungen können auch Beeinträchtigungen des<br />
Hörvermögens die Fahreignung reduzieren:<br />
• Hörvermögen: Auch Einbussen des Hörvermögens zeigen sich mit<br />
zunehmendem Alter. Der wahrnehmbare Frequenzbereich wird eingeschränkt.<br />
Zudem liegt der Schwellenwert höher, sodass leise Töne<br />
nicht mehr wahrgenommen werden.<br />
Da die haptische Wahrnehmung (Druck, Berührung, Vibration, Schmerz,<br />
Temperatur) für die Fahreignung von vernachlässigbarer Bedeutung ist,<br />
wird sie nicht thematisiert.<br />
3.13.2 Unfallrelevanz<br />
Es ist trivial, dass ein gutes Sehvermögen eine unerlässliche Voraussetzung<br />
für ein sicheres Fahrverhalten darstellt. So erstaunt es nicht, dass in<br />
Studien zur Bedeutung des verminderten Sehvermögens ein Zusammenhang<br />
zu den Unfallstatistiken gefunden wird (vgl. z. B. Commission Internationale<br />
des Examens de Conduite Automobile CIECA, 1999). Eine im<br />
Rahmen des EU-Projektes IMMORTAL durchgeführte Metaanalyse von<br />
79 Studien weist bei Sehbeeinträchtigungen eine Risikoerhöhung von<br />
10 % (RR = 1.09, p < 0.05) aus (Vaa, 2003). Gerade Fussgänger als optisch<br />
unauffällige Verkehrsteilnehmergruppe (z. B. infolge ihrer schmalen<br />
Silhouette) laufen Gefahr, von Fahrzeuglenkenden mit herabgesetzter<br />
Sehschärfe übersehen zu werden.<br />
Eingeschränktes Dämmerungssehvermögen und Blendempfindlichkeit<br />
stellen u. a. deshalb ein Problem dar, weil diese Faktoren im Rahmen des<br />
obligatorischen Sehtests nicht überprüft werden. Es findet also keine Auslese<br />
statt, sodass bei Dunkelheit beeinträchtigte Personen in der Nacht<br />
unterwegs sind und das, ohne sich ihres erhöhten Risikos bewusst zu<br />
sein. Unfallanalytische Daten zeigen, dass eingeschränktes Dämmerungssehvermögen<br />
bzw. erhöhte Blendempfindlichkeit mit einem erhöhten Un-
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 171<br />
Sehbeeinträchtigungen<br />
tauchen in offizieller<br />
Unfallstatistik<br />
so gut wie nie auf<br />
Beeinträchtigungen<br />
des Hörvermögens<br />
vernachlässigbar<br />
fallrisiko bei Dämmerung und Nacht einhergehen (Lachenmayr, Buser,<br />
Keller & Berger, 1997; Wilhelm, 2000). Vaa (2003) gibt auf der Basis einer<br />
Metaanalyse von 62 Studien an, dass die Unfallwahrscheinlichkeit durch<br />
ein eingeschränktes Dämmerungssehvermögen um über 60 % (RR = 1.66,<br />
p < 0.05) und durch eine erhöhte Blendempfindlichkeit um 50 % (RR =<br />
1.50, p < 0.05) erhöht wird. Diese Angaben beziehen sich auf die generelle<br />
Unfallwahrscheinlichkeit von sehbeeinträchtigten MFZ-Lenkenden.<br />
Die fussgängerbezogene Bedeutung des Nachtsehvermögens von MFZ-<br />
Lenkenden dürfte aufgrund der fehlenden Beleuchtung und der geringen<br />
Abmessung der Fussgänger und der dementsprechend leichten Übersehbarkeit<br />
deutlich erhöht sein.<br />
Im Vergleich zur Tagessehschärfe und zum Nachtsehvermögen (Dämmerungssehen<br />
und Blendempfindlichkeit) sind das Farbensehen und das<br />
stereoskopische Sehen für eine sichere Teilnahme am Strassenverkehr<br />
von untergeordneter Bedeutung (Lachenmayr, 2001; Wilhelm, 2000).<br />
Gemäss offizieller Unfallstatistik spielt eine verminderte Sehkraft als unfallwirksamer<br />
Einflussfaktor eine vernachlässigbare Rolle: Nur gerade 3<br />
von insgesamt über 4000 Mängeln, die den Kollisionsgegnern von Fussgängern<br />
attribuiert wurden, beziehen sich auf die Sehkraft. Hierbei muss<br />
jedoch von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da der<br />
Polizeibeamte Sehprobleme höchstens dann erkennt, wenn eine im Führerausweis<br />
festgehaltene Sehkorrektur (Linsen/Brille) nicht getragen wird.<br />
Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass ein hoher Anteil der<br />
MFZ-Lenkenden bedeutsame Sehbeeinträchtigungen aufweist, ohne dass<br />
das im Führerausweis vermerkt ist.<br />
Bezüglich des Hörvermögens zeigte sich im Rahmen einer Metaanalyse<br />
von 5 Studien, dass Hörbeeinträchtigungen das allgemeine Unfallrisiko<br />
um rund 20 % (RR = 1.19, p < 0.05) erhöhen (Vaa, 2003). Die spezifische<br />
Bedeutung für das <strong>Unfallgeschehen</strong> von Fussgängern ist jedoch mutmasslich<br />
vernachlässigbar gering, da das Erkennen der Fussgänger als<br />
lautlose Verkehrsteilnehmer visuell erfolgen muss.
172 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 58:<br />
Beurteilung<br />
verschiedener<br />
Risikofaktoren im<br />
Bereich ‚perzeptive<br />
Beeinträchtigungen’<br />
Physische<br />
Beeinträchtigungen<br />
korrelieren mit Alter<br />
Eingeschränkte Kraft<br />
und Beweglichkeit der<br />
Beine problematisch<br />
3.13.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Beeinträchtigtes Tagessehvermögen<br />
(Visus, Akkomodation,<br />
Gesichtsfeldausfälle)<br />
Beeinträchtigtes Nachtsehvermögen(Blendempfindlichkeit<br />
und<br />
Dämmerungssehen)<br />
Beeinträchtigtes<br />
Hörvermögen<br />
(Frequenzbereich,<br />
Schwellenwert)<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
** ** *<br />
* **** *<br />
* – –<br />
3.14 Fahreignung: Körperlich-motorische Einschränkungen<br />
3.14.1 Ausgangslage<br />
Körperlich-motorische Einschränkungen bei MFZ-Lenkenden hängen sehr<br />
stark mit dem Alter zusammen. Beweglichkeit, Geschwindigkeit und Muskelkraft<br />
lassen bei den Senioren mit zunehmendem Alter nach. Zudem<br />
erschwert die Steifigkeit der Nackenmuskeln und Halswirbel zunehmend<br />
die Kopfdrehung.<br />
3.14.2 Unfallrelevanz<br />
Durch verschiedene Entwicklungen im Bereich der Fahrzeugtechnik, namentlich<br />
Servobremse, elektrische Parkbremse, Automatikgetriebe, Servolenkung<br />
und Rückfahrsensoren, fallen diverse körperliche Beeinträchtigungen<br />
nicht mehr so stark ins Gewicht wie früher.<br />
Für Fussgänger dürfte insbesondere die reduzierte Kraft und Beweglichkeit<br />
der Beine von MFZ-Lenkenden problematisch sein, da dadurch das<br />
Bremspedal allenfalls zu langsam und zu wenig stark betätigt wird. Zudem<br />
führt die Steifigkeit im Hals-, Nacken- und Rückenbereich dazu, dass sich<br />
der Betroffene beim Rückwärtsfahren nicht umdreht. Das dürfte eine Mitursache<br />
für die relativ häufigen Fussgängerkollisionen beim Rückwärtsfahren<br />
sein.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 173<br />
Tabelle 59:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚physische<br />
Beeinträchtigungen’<br />
Mentale<br />
Beeinträchtigungen<br />
korrelieren mit Alter<br />
Mentale Einbussen<br />
problematisch bei<br />
Zeitdruck und hoher<br />
Komplexität<br />
Körperlich-motorische Beeinträchtigungen als potenzielle Mitursache eines<br />
Unfalls werden im Rahmen der polizeilichen Unfallprotokollierung<br />
nicht erfasst. Nachfolgende Risikobeurteilung beruht auf einem Expertenrating.<br />
3.14.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Körperlich-motorische<br />
Einschränkungen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
* ** *<br />
3.15 Fahreignung: Kognitive Leistungseinschränkungen<br />
3.15.1 Ausgangslage<br />
Neben Einschränkungen bei den Sinnesorganen und den motorischen<br />
Funktionen zeigen sich bei Senioren mit zunehmendem Alter auch kognitive<br />
Leistungseinbussen. Die Apperzeptionsleistung (Auffassungsmenge<br />
und -geschwindigkeit) halbiert sich beispielsweise in der Altersspanne von<br />
20 bis 80 Jahren. Senioren brauchen mehr Zeit, um Informationen aus der<br />
Verkehrsumwelt aufzunehmen. Die Leistung des Arbeitsgedächtnisses<br />
reduziert sich: Es können weniger Informationen für eine kürzere Dauer<br />
behalten werden. Neben der Reaktionsgeschwindigkeit ist auch die Reaktionsflexibilität<br />
herabgesetzt, sodass schablonenhafte Reaktionen vermehrt<br />
zu beobachten sind. Weiter sind Konzentrationseinbussen zu beklagen.<br />
3.15.2 Unfallrelevanz<br />
Die genannten Einbussen der kognitiven Informationsverarbeitung haben<br />
zur Folge, dass die interne Repräsentation des Verkehrraums lückenhaft<br />
ist. Ausserdem werden die Senioren durch den Verkehr mehr beansprucht<br />
und ermüden dementsprechend schneller als der durchschnittliche<br />
MFZ-Lenkende.<br />
Dennoch führen viele der genannten Einschränkungen nicht zwangsläufig
174 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 60:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚kognitive Leistungsbeeinträchtigungen’<br />
Überforderung der<br />
Leistungsgrenzen<br />
durch falsche<br />
Systemgestaltung<br />
zu einer höheren Unfallbelastung. Das ist darauf zurückzuführen, dass die<br />
kognitiven Leistungseinbussen nur bei komplexen Aufgaben in Kombination<br />
mit Zeitdruck zu einer reduzierten Handlungszuverlässigkeit führen.<br />
Wenn Senioren genügend Zeit haben und/oder die Fahrsituation einfach<br />
ist, fallen die Einbussen weniger ins Gewicht.<br />
Somit kann festgehalten werden, dass Zeitdruck und Komplexitätsgrad<br />
der Fahrsituation Moderatorvariablen darstellen, welche das Risikoausmass<br />
kognitiver Leistungseinbussen bestimmen.<br />
Im Rahmen einer Meta-Studie zeigte sich, dass das Unfallrisiko bei geistigen<br />
Störungen (als Extremform kognitiver Beeinträchtigungen) bei RR =<br />
1.72 (p < 0.05) liegt (Vaa, 2003).<br />
3.15.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Kognitive Leistungsbeeinträchtigungen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
* ** *<br />
3.16 Menschliche Leistungsgrenzen: Visuelle Wahrnehmung<br />
An dieser Stelle sollen unfallrelevante Einflussfaktoren thematisiert werden,<br />
die allgemeinpsychologischer Natur sind (d. h. alle Individuen gleichermassen<br />
betreffen). Solche Einflussfaktoren zeigen sich, wenn das<br />
System Strassenverkehr derart gestaltet ist, dass es zu Überforderungen<br />
der menschlichen Leistungsfähigkeit führt. Menschliche Leistungsgrenzen<br />
als Risikofaktoren zu bezeichnen wäre etwas verwegen, stellen sie doch<br />
nicht per se ein Risiko dar, sondern nur in einer nicht menschengerecht<br />
gestalteten Umwelt. Trotzdem ist es wichtig, menschlichen Leistungsgrenzen<br />
nachzugehen, da sie Hinweise liefern, wo Fahrzeug (s. Kap.<br />
VIII.5.5 Elektronische Fahrassistenzsysteme, S. 285) und Stras-<br />
seninfrastruktur (s. Kap. VIII.6, S. 296) zu verändern sind, sodass Fahrzeuglenkende<br />
unterstützt statt überfordert werden.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 175<br />
Visuelle<br />
Wahrnehmung<br />
wichtigste<br />
Sinnesmodalität<br />
Informationsdefizite<br />
als zentrale<br />
Unfallursache<br />
Kapazitätsgrenzen<br />
schränken<br />
Informationsaufnahme<br />
ein<br />
Beim Autofahren ist die visuelle Wahrnehmung die wichtigste Sinnesmodalität.<br />
Über 90 % aller fahrrelevanten Informationen werden visuell<br />
aufgenommen. Demgegenüber sind die auditiven und propriozeptiven<br />
Sinne von untergeordneter Bedeutung und werden deshalb nachfolgend<br />
ausgeklammert.<br />
Oftmals wird die Sicherheitsrelevanz der visuellen Wahrnehmung auf die<br />
Sehschärfe reduziert – gemäss dem Motto: „Wer gut sieht, sieht die Gefahren“.<br />
Ein hoher Visus ist zwar eine notwendige, jedoch bei weitem<br />
keine hinreichende Bedingung für eine gute visuelle Wahrnehmung.<br />
Infolge der hohen Bedeutung visueller Informationen zur Bewältigung der<br />
Fahraufgabe erstaunt es nicht, dass das Übersehen von Informationen<br />
ein hohes Gefahrenpotenzial hat. Informationsdefizite können sogar als<br />
die Hauptunfallursache bezeichnet werden. In Untersuchungen konnte<br />
aufgezeigt werden, dass 50 % aller Unfälle durch eine verspätete oder<br />
fehlende Wahrnehmung der konkreten Gefahrenquelle bedingt sind (vgl.<br />
zusammenfassend Cohen, 1998). Solche Informationsdefizite können<br />
grundsätzlich a) durch visuelle Ablenkung, b) durch Sehschwäche und c)<br />
durch Überforderungen entstehen. Wie empirisch aufgezeigt werden<br />
konnte, kommen visuelle Ablenkungen zwar durchaus vor, jedoch zu selten,<br />
als dass sie alle Informationsdefizite erklären können. Auch Sehschwäche<br />
leistet einen geringen Erklärungsbeitrag für Informationsdefizite,<br />
da diese auch bei jungen Bevölkerungsgruppen mit optimaler Sehstärke<br />
vorkommen. Somit bleibt die Überforderung als wichtigste Erklärung:<br />
Entgegen dem subjektiven Empfinden ist es (zumindest im Innerortsbereich<br />
und insbesondere in der Stadt) nicht möglich, alle verkehrsrelevanten<br />
Informationen zu beachten. Das hängt damit zusammen, dass das<br />
periphere Gesichtsfeld infolge des geringen Auflösungsvermögens nur<br />
ungenügende Informationen zur Umgebung liefert und Fixationen zur<br />
Informationsaufnahme notwendig sind. Fixationen sind jedoch sowohl<br />
zeitlich als auch räumlich begrenzt: Bei Helligkeit können durchschnittlich<br />
drei Fixationen pro Sekunde durchgeführt werden, wobei ein Fixationspunkt<br />
in der Regel nicht mehr als 10 Grad vom vorhergehenden Punkt<br />
entfernt ist (Cohen, 1997). Eine visuelle Überforderung des Fahrzeuglenkenden<br />
liegt dann vor, wenn pro Sekunde an mehr als drei verkehrsrele-
176 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tunnelblick durch<br />
kognitive<br />
Überforderung<br />
Unauffällige Objekte<br />
werden eher<br />
übersehen<br />
Vortrittsmissachtungen<br />
widerspiegeln<br />
Überforderung<br />
vanten Objekten (andere Verkehrsteilnehmer, Verkehrssignale etc.) vorbeigefahren<br />
wird. Das ist im Innerortsbereich und dort im Speziellen an<br />
Kreuzungen regelmässig der Fall. Da Objekte im Verkehrsraum gewissermassen<br />
in Konkurrenz zueinander stehen, kann der Fahrzeuglenkende<br />
bei einer Informationshäufung nur einen Teil bewusst wahrnehmen. Die<br />
Auswirkungen der visuellen Grenzen verstärken sich mit zunehmender<br />
Geschwindigkeit, da pro Zeiteinheit an mehr Objekten vorbeigefahren<br />
wird. Dadurch steigt die Gefahr, verkehrsrelevante Objekte zu übersehen.<br />
Ein weiteres problematisches Phänomen ist der Tunnelblick (Einengung<br />
des nutzbaren Sehfeldes). Dieses Phänomen tritt bei starker kognitiver<br />
Beanspruchung auf und kommt bei Innerortsfahrten regelmässig vor<br />
(ohne dass es dem Fahrzeuglenkenden auffällt). Gerade bei Knotenpunkten,<br />
wo der Lenkende einen weiten Bereich überblicken muss, besteht<br />
die Gefahr des Tunnelblicks, so dass die ohnehin unauffälligen Fussgänger<br />
vom Fahrzeuglenkenden mit erhöhter Wahrscheinlichkeit nicht<br />
oder zu spät gesehen werden.<br />
Aufgrund der bestehenden menschlichen Leistungsgrenzen kommt es bei<br />
Fahrzeuglenkenden in einer informationsreichen Fahrumgebung bei<br />
gleichzeitig zu hoher Geschwindigkeit regelmässig zu Überforderungen.<br />
Da die Leistungsanforderungen grösser sind als die Leistungsmöglichkeiten,<br />
kann von einer systembedingten Leistungsanomalie gesprochen<br />
werden. Dieser Überbeanspruchung fallen vor allem unauffällige Objekte<br />
zum Opfer; denn übersehen werden eher Objekte mit wenig Kontrast,<br />
niedriger Helligkeit und geringer Ausdehnung. Alles Eigenschaften, die<br />
mehr oder weniger auf Fussgänger zutreffen.<br />
Eine systembedingte Leistungsanomalie schlägt sich, sofern sie von Bedeutung<br />
ist, natürlich im <strong>Unfallgeschehen</strong> nieder. Im Rahmen der polizeilichen<br />
Unfallprotokollierung wird die beschriebene Überbeanspruchung<br />
wohl insbesondere als Vortrittsmissachtung klassifiziert. Rund der Hälfte<br />
aller polizeilich bemängelten Fahrzeuglenkenden wurde „Missachtung des<br />
Vortritts“ attribuiert. Vortrittsmissachtungen beruhen nicht nur auf einem<br />
absichtlichen Verweigern des Vortrittsrechts, sondern widerspiegeln auch<br />
die beschriebene Überbeanspruchung.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 177<br />
Risikogruppen als<br />
Zielgruppen der<br />
Präventionsarbeit<br />
Junge Neulenkende<br />
und Senioren stehen<br />
oft im Verdacht<br />
Fazit: Die systembedingte Überbeanspruchung der Fahrzeuglenkenden,<br />
die mit einem häufigen Übersehen der Fussgänger einhergeht, macht auf<br />
folgende Problemfelder aufmerksam:<br />
• Knotenpunkte weisen oftmals einen zu hohen Komplexitätsgrad auf,<br />
d. h., die Informationsdichte ist zu hoch. Hierzu trägt auch die hohe<br />
Dichte von Verkehrssignalen bei.<br />
• Fussgänger sind durch ihr sowohl räumlich als auch optisch unscheinbares<br />
Erscheinungsbild besonders gefährdet, in der Flut der verkehrsrelevanten<br />
Informationen unterzugehen.<br />
• Die Geschwindigkeit erhöht die Problematik der visuellen Leistungsgrenzen.<br />
3.17 Soziodemographische Risikogruppen<br />
Bisher wurden einzelne, spezifische Faktoren betrachtet, die von den<br />
Fahrzeuglenkenden ausgehen können und das Risiko, mit Fussgängern<br />
zu kollidieren, erhöhen. Nachfolgend wird gewissermassen eine Metaebene<br />
betrachtet, indem der Frage nachgegangen wird, ob die identifizierten<br />
Risikofaktoren bei gewissen soziodemographischen Gruppen in<br />
konzentrierter Form auftreten, sodass sie für Fussgänger eine besondere<br />
Gefahr darstellen. Die Identifizierung von Risikogruppen ist wichtig, da es<br />
hilft, relevante Zielgruppen der Präventionsarbeit zu definieren.<br />
Im Rahmen allgemeiner (d. h. nicht fussgängerspezifischer) Untersuchungen<br />
werden immer wieder zwei Risikogruppen von Fahrzeuglenkenden<br />
thematisiert: junge Erwachsene und Senioren. Bei den jungen Erwachsenen<br />
liegen die Gründe einerseits bei jugendtypischen Eigenschaften<br />
(Risikotoleranz, Imponieren, emotionales Handeln) und andererseits<br />
in den noch geringen Fahrerfahrungen (Gefahrenkognition, Fahrzeugbedienung,<br />
Blickverhalten). Bei den Senioren sind verschiedenste<br />
altersbedingte Leistungseinbussen zu beklagen, wie reduziertes Hör- und<br />
Sehvermögen, nachlassendes kognitives Leistungstempo sowie körperlich-motorische<br />
Einschränkungen.<br />
Es stellt sich die Frage, ob diese Gruppen auch für die Fussgänger eine<br />
erhöhte Gefahr darstellen und ob allenfalls noch weitere Gruppen identifizierbar<br />
sind.
178 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Junge Fahrzeuglenkende<br />
sind mental<br />
und körperlich fit<br />
Junge Fahrzeuglenkende<br />
zeigen<br />
risikoreiches<br />
Fahrverhalten<br />
Um die Frage nach den Risikogruppen beantworten zu können, dürfen<br />
nicht einfach die Anzahl der Kollisionen in den unterschiedlichen Alterssegmenten<br />
miteinander verglichen werden. Um Risikogruppen identifizieren<br />
zu können, müssen expositionsbereinigte Unfallraten herangezogen<br />
werden; dabei werden die Unfallzahlen anhand der km-Leistung relativiert<br />
(Anzahl schwer oder tödlich verletzte Fussgänger pro 100 Mio. Personenkilometer).<br />
Die Analyse der expositionsbereinigten Unfallraten zeigt, dass<br />
die jungen Fahrzeuglenkenden im Alter zwischen 18 und 24 Jahren gegenüber<br />
dem Durchschnitt ein um den Faktor 1.6 erhöhtes Risiko haben, mit<br />
einem Fussgänger zu kollidieren.<br />
Da das Kollisionsrisiko junger Fahrzeuglenkender trotz in der Regel exzellenten<br />
sensomotorischen Eigenschaften (hohe Reaktionsgeschwindigkeiten,<br />
gutes Sehvermögen etc.) erhöht ist, müssen die Ursachen für die<br />
Auffälligkeit junger Fahrzeuglenkender in ihrem Fahrverhalten und ihrer<br />
Fahrfähigkeit liegen. Dass (männliche) Junglenker ein höheres Kollisionsrisiko<br />
aufweisen als Junglenkerinnen, weist in die gleiche Richtung.<br />
Junge Erwachsene (v. a. männliche) gehen vermehrt Risiken ein als ältere<br />
Erwachsene. Dabei werden Risiken oft unbewusst eingegangen,<br />
quasi als Nebenprodukt ihrer Handlungen. Zentrale Motive sind die Identitätsfindung,<br />
Anerkennung und Gruppenanschluss. Durch die starke Ausrichtung<br />
auf die Gleichaltrigengruppe (Peer group) haben gleichaltrige<br />
Passagiere einen starken Einfluss auf junge Lenkende und können risikoreiches<br />
Fahrverhalten verstärken.<br />
Die häufig fehlenden negativen Konsequenzen risikoreichen Verhaltens<br />
und die Beobachtung gefährlicher, aber erfolgreicher Verhaltensweisen<br />
anderer tragen dazu bei, dass die Idealisierung des eigenen Fahrkönnens<br />
ungeachtet der objektiven Gefahren verfestigt wird (Siegrist & Mathys,<br />
1998).<br />
Aufgrund der Erkenntnisse zum Fahrverhalten der 18- bis 24-Jährigen<br />
erstaunt es nicht, dass sie ein überproportional hohes Risiko aufweisen,<br />
mit einem Fussgänger zu kollidieren.
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 179<br />
Senioren weisen<br />
erhöhtes Risiko auf,<br />
mit Fussgänger zu<br />
kollidieren<br />
Senioren übersehen<br />
häufiger Fussgänger<br />
am Streifen<br />
Auch für betagte Fahrzeuglenkende ergibt die expositionsbezogene Unfallanalyse<br />
ein erhöhtes Risiko, mit einem Fussgänger zu kollidieren. Senioren<br />
in der Altersklasse von 65 bis 74 Jahren weisen eine Risikoerhöhung<br />
auf, die jener der 18- bis 24-Jährigen entspricht. Über 74-jährige<br />
Senioren weisen demgegenüber nochmals ein deutlich höheres Kollisionsrisiko<br />
auf; ihr Risiko ist um den Faktor 3.5 höher als der Durchschnitt.<br />
Der Grund für das erhöhte Risiko liegt bei den sensorischen,<br />
kognitiven und motorischen Einschränkungen.<br />
Das Hauptproblem der betagten Fahrzeuglenkenden liegt bei der Missachtung<br />
der Anhaltepflicht vor dem Fussgängerstreifen. Bei mehr als der<br />
Hälfte aller Kollisionen zwischen Senioren als Fahrzeuglenkenden und<br />
Fussgängern spielt die Vortrittsmissachtung eine Rolle. Aufgrund der<br />
allgemein sehr defensiven Fahrweise der Senioren kann vermutet werden,<br />
dass diese Vortrittsmissachtung nicht vorsätzlich geschieht, sondern<br />
auf einem Informationsdefizit beruht. Infolge ihrer visuellen und kognitiven<br />
Leistungseinbussen übersehen Senioren deutlich häufiger querende<br />
Fussgänger als das bei den restlichen Lenkenden der Fall ist. Die altersbedingten<br />
Einschränkungen äussern sich insbesondere an Knoten. Es<br />
handelt sich dabei um Verkehrssituationen, die reich an Informationen<br />
sind. Zudem stellen auch Dämmerungs- und Nachtzeiten ein Problem dar,<br />
da sich die visuellen Einschränkungen besonders bei geringer Beleuchtung<br />
bemerkbar machen.<br />
3.18 Zusammenfassung und Fazit<br />
Im vorliegenden Kapitel wurde der Frage nachgegangen, welche Merkmale<br />
der Fahrzeuglenkenden die Wahrscheinlichkeit erhöht, mit einem<br />
Fussgänger zu kollidieren. Dabei wurden die vier Bereiche Fahrverhalten,<br />
Fahrkompetenz, Fahrfähigkeit und Fahreignung untersucht.<br />
Risikoerhöhende Faktoren bei den Fahrzeuglenkenden liegen schwergewichtig<br />
in unangepassten Verhaltensweisen: Vor allem übersetzte Geschwindigkeit,<br />
unvorsichtiges Rückwärtsfahren und Vortrittsverweigerung<br />
am Fussgängerstreifen gefährden die Sicherheit von Fussgängern in beträchtlichem<br />
Ausmass.
180 Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Nicht sicherheitsbedachtes Fahrverhalten beruht zumindest teilweise<br />
auch auf mangelnder Fahrkompetenz, wobei diese in der Regel nicht<br />
durch eine mangelnde Fahrzeugbedienung, sondern durch mangelnde<br />
Gefahrenkognition und Selbstkontrolle bedingt ist. Das heisst, Fahrzeuglenkende<br />
haben keine grundlegenden Schwierigkeiten, ihr Fahrzeug zu<br />
steuern, verkennen aber oft die Gefährlichkeit von Geschwindigkeitsübertretung<br />
und Vortrittsverweigerung, was zu kritischen Fahrsituationen führen<br />
kann.<br />
Als weiteres Problemfeld sind Fahrfähigkeitsbeeinträchtigungen zu nennen.<br />
Diese können zum einen durch punktuelle Ablenkungen von der Fahraufgabe,<br />
wie z. B. das Telefonieren am Steuer, entstehen. Zum anderen<br />
kann die Fahrfähigkeit auch längerfristig beeinträchtigt sein, namentlich<br />
durch Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikamente) und durch Müdigkeit.<br />
Weitere unfallrelevante Einflussfaktoren finden sich im Bereich der Fahreignung.<br />
Von Einschränkungen im sensorischen, im körperlich-motorischen<br />
und im kognitiven Leistungsvermögen sind insbesondere die Senioren<br />
betroffen. Die Leistungseinschränkungen äussern sich insbesondere in<br />
Vortrittsmissachtungen am Fussgängerstreifen, weil die betagten Fahrzeuglenkenden<br />
die querenden Fussgänger zu spät erkennen oder sogar<br />
ganz übersehen. Über alle vier thematisierten Bereiche hinweg betrachtet,<br />
sind folgende Risikofaktoren von überdurchschnittlicher Bedeutung für die<br />
Fussgängersicherheit:<br />
• Überschreitung der Geschwindigkeitslimite und unangepasste Geschwindigkeitswahl<br />
• Vortrittsverweigerung am Fussgängerstreifen<br />
• Unvorsichtiges Rückwärtsfahren<br />
• Visuelle und mentale Ablenkung von der Fahraufgabe<br />
• Mangelnde Gefahrenkognition und Selbstkontrolle<br />
Von untergeordneter Bedeutung für die Sicherheit der Fussgänger sind<br />
folgende Einflussfaktoren:<br />
• Verzicht auf Tagfahrlicht<br />
• Fahren unter Substanzen (namentlich Alkohol, illegale Drogen, Medikamente)<br />
• Fahren in übermüdetem Zustand
Risikofaktoren – Lenkende der Kollisionsobjekte 181<br />
• Mangelhafte Fahrzeugbeherrschung<br />
• Leistungsbeeinträchtigungen in den Bereichen Motorik und Kognition<br />
Neben der Eruierung von Risikofaktoren wurden auch auffällige Personengruppen<br />
identifiziert. Ein erhöhtes Risiko, mit einem Fussgänger zu<br />
kollidieren, haben junge Erwachsene und Senioren.
182 Risikofaktoren – Kollisionsobjekte<br />
Fahrräder kommen im<br />
Verkehr deutlich<br />
seltener vor als MFZ<br />
4. Kollisionsobjekte<br />
4.1 Einleitung<br />
Im Folgenden wird aufgezeigt, welche spezifischen Fahrzeugeigenschaften<br />
eine erhöhte Unfall- bzw. Verletzungsgefahr bergen. Zunächst werden<br />
drei Grundeigenschaften thematisiert, namentlich die Motorisierung<br />
(Kap. VII.4.2, S. 182), die Anzahl der Fahrspuren (Kap. VII.4.3, S. 183)<br />
und die Masse (Kap. VII.4.4, S. 185). Diese drei Grundeigenschaften liegen<br />
auf einer sehr abstrakten Betrachtungsebene, weshalb die Risikobeurteilung<br />
im Sinne der ansonsten vorgenommenen Gefahrenquantifizierung<br />
nicht sinnvoll erscheint und weggelassen wurde.<br />
Weiter werden einerseits das Frontprofil (Kap. VII.4.5, S. 186) und<br />
andererseits die Frontsteifigkeit (vgl. Kap. VII.4.6, S. 188) als zwei zentrale<br />
Einflussfaktoren der Verletzungsschwere diskutiert. In der Fachliteratur<br />
werden diese Faktoren auch als Form- und Steifigkeitsaggressivität<br />
bezeichnet.<br />
Anschliessend wird die Unfallrelevanz von einigen weiteren, etwas weniger<br />
zentralen Faktoren betrachtet. Namentlich sind das: Frontschutzbügel<br />
(Kap. VII.4.7, S. 190), Beleuchtungsanlage (Kap. VII.4.8, S. 191) und<br />
Fahrzeugfarbe (Kap. VII.4.9, S. 191). Abschliessend wird die Bedeutung<br />
der technischen Betriebssicherheit im Sinne des qualitativen Fahrzeugzustands<br />
diskutiert (Kap. VII.4.10, S. 193).<br />
4.2 Motorisierung<br />
4.2.1 Ausgangslage<br />
Die Betrachtung der Eigenschaft „Motorisierung“ entspricht der Gegenüberstellung<br />
von motorisierten vs. unmotorisierten Fahrzeugen (Motorfahrzeuge<br />
vs. Fahrräder).<br />
Der Bestand der Fahrräder beträgt ca. 3.8 Mio. (Schweizerische Fachstelle<br />
für Zweiradfragen SFZ, 2004) – die Anzahl motorisierter Fahrzeuge<br />
liegt demgegenüber mit 5.7 Mio. einiges höher (Bundesamt für Statistik<br />
BFS, 2004c). Ein deutlich grösserer Unterschied zeigt sich im Verkehrsaufkommen<br />
von motorisierten und unmotorisierten Fahrzeugen: Mit dem<br />
Fahrrad werden nämlich lediglich 2.5 % aller zurückgelegten Kilometer
Risikofaktoren – Kollisionsobjekte 183<br />
Velos weisen deutlich<br />
geringe Gefährlichkeit<br />
auf als MFZ<br />
Das Verkehrsmittel<br />
‚Fahrrad’ stell kein<br />
zentrales Problem für<br />
Fussgänger dar<br />
Einspurige MFZ<br />
weniger verbreitet als<br />
zweispurige MFZ<br />
absolviert – die Unterwegszeit entspricht 5.6 % der Gesamtzeit (Bundesamt<br />
für Raumentwicklung ARE & Bundesamt für Statistik BFS, 2001).<br />
4.2.2 Unfallrelevanz<br />
Das Verkehrsmittel ‚Fahrrad’ ist aufgrund einer ganzen Reihe von Eigenschaften<br />
für Fussgänger weniger gefährlich als MFZ. Der geringere Gefährdungsgrad<br />
erklärt sich durch die hohe Wendigkeit, die kleine Frontfläche<br />
(als potenzielle Kollisionsfläche), die niedrigere Maximalgeschwindigkeit<br />
und das geringere Gewicht.<br />
Dass das Fahrrad als Kollisionsobjekt kein zentrales Problem darstellt,<br />
zeigt auch die Analyse des <strong>Unfallgeschehen</strong>s. Von den im Jahr 2004 insgesamt<br />
95 im Strassenverkehr getöteten Fussgängern kam lediglich einer<br />
durch eine Fahrradkollision ums Leben – von den fast 700 schwer verletzten<br />
Fussgängern wurden weniger als 30 durch Fahrradkollisionen verursacht.<br />
Somit kann summarisch festgehalten werden, dass eine Kollision<br />
zwischen einem Fussgänger und einem Fahrrad im Einzelfall durchaus<br />
mit schweren Verletzungen verbunden sein kann. Die Bedeutung solcher<br />
Kollisionen kann jedoch in Anbetracht der viel häufigeren und erheblich<br />
schwereren Kollisionen zwischen einem Fussgänger und dem motorisierten<br />
Verkehr vernachlässigt werden.<br />
Wegen der relativ geringen Unfallrelevanz von Fahrrädern als Kollisionsobjekten<br />
von Fussgängern werden diese in den nachfolgenden Ausführungen<br />
des vorliegenden Kapitels weitgehend ausgeklammert.<br />
4.3 Einspurige vs. zweispurige Motorfahrzeuge<br />
4.3.1 Ausgangslage<br />
Der motorisierte Verkehr kann auf einer hohen Abstraktionsebene in einspurige<br />
(namentlich Mofas, Kleinmotorräder und Motorräder) und zweispurige<br />
MFZ (namentlich Personenwagen [PW] und Sachentransportfahrzeuge21<br />
[STFZ]) unterteilt werden. Der Bestand einspuriger MFZ ist mit<br />
21 Lieferwagen, Lastwagen und Sattelschlepper
184 Risikofaktoren – Kollisionsobjekte<br />
Einspurige MFZ<br />
stellen ein<br />
untergeordnetes<br />
Problem dar<br />
rund 0.7 Mio. (550’000 (Klein-)Motorräder + 210’000 Mofas) um ein Vielfaches<br />
kleiner als jener der zweispurigen MFZ mit rund 5 Mio. (3.7 Mio.<br />
Personentransport-FZ + 1.3 Mio. Gütertransport-FZ) (Bundesamt für Statistik<br />
BFS, 2004b). Werden die Betriebszeiten oder die km-Leistungen einund<br />
zweispuriger MFZ verglichen, zeigen sich noch viel grössere Unterschiede:<br />
Die durchschnittliche Verkehrsbeteiligung pro Tag beträgt beispielsweise<br />
beim Auto mehr als eine halbe Stunde bzw. 26 km und beim<br />
Motorrad lediglich etwas mehr als eine Minute bzw. 700 Meter (Bundesamt<br />
für Raumentwicklung ARE & Bundesamt für Statistik BFS, 2001).<br />
4.3.2 Unfallrelevanz<br />
Aufgrund der Tatsache, dass zweispurige MFZ im täglichen Verkehr viel<br />
häufiger vorkommen als einspurige MFZ, erstaunt es nicht, dass erstere<br />
mit rund 85 % den weitaus grössten Anteil der Kollisionsobjekte von<br />
Fussgängern darstellen. Demgegenüber machen einspurige MFZ nur 7 %<br />
aller Kollisionsobjekte aus. Inwiefern die ungleiche Unfallbeteiligung nicht<br />
bloss Ausdruck der ungleichen Exposition (km-Leistung) ist, sondern auch<br />
durch fahrzeugspezifische Eigenschaften zustande kommt, kann auf der<br />
Basis der zur Verfügung stehenden Daten nicht gesagt werden22 . Es<br />
kann aber vermutet werden, dass insbesondere zwei Aspekte der Einspurigkeit<br />
das Risiko einer Fussgängerkollision reduzieren:<br />
• Fahrzeugausdehnung: Einspurige Fahrzeuge haben im beschränkten<br />
Verkehrsraum infolge ihrer schmalen Form grössere Ausweichmöglichkeiten<br />
als zweispurige. Ausserdem ist schon rein aufgrund der kleineren<br />
Frontfläche die Wahrscheinlichkeit niedriger, dass ein auf Kollisionskurs<br />
befindliches Motorrad tatsächlich mit dem Fussgänger kollidiert.<br />
22 Hierzu müsste die jährliche km-Leistung von ein- und zweispurigen MFZ im<br />
Inner- und Ausserortsbereich bekannt sein, um sie den entsprechenden<br />
Fussgängerkollisionen gegenüberstellen zu können. Aber selbst die dadurch<br />
erhaltenen, expositionsbereinigten Unfallzahlen gäben noch keine Auskunft<br />
über das Risiko, welches mit den Fahrzeugen an und für sich verbunden ist.<br />
Die Unfallraten werden nämlich nicht nur durch die Fahrzeugeigenschaften,<br />
sondern auch durch die Eigenschaften der Lenkenden bestimmt. So muss<br />
angenommen werden, dass Motorradlenkende im Durchschnitt einen<br />
risikoreicheren Fahrstil haben, da fast nur Männer Motorrad fahren, der Anteil<br />
der jungen Lenkenden höher ist und oftmals aus reiner Freude Motorrad<br />
gefahren wird (inkl. Nervenkitzel).
Risikofaktoren – Kollisionsobjekte 185<br />
Masse von MFZ<br />
variiert beträchtlich<br />
Bremsweg schwerer<br />
MFZ ist nicht zwangsläufig<br />
länger<br />
• Wendigkeit: Einspurige Fahrzeuge sind (zumindest bei den relativ niedrigen<br />
Fahrgeschwindigkeiten im Innerortsbereich) agiler und können in kritischen<br />
Verkehrssituationen besser und schneller ausweichen als zweispurige<br />
Fahrzeuge.<br />
Da zweispurige MFZ den Hauptkollisionsgegner darstellen, beziehen sich die<br />
nachfolgenden Ausführungen schwerpunktmässig auf zweispurige MFZ.<br />
4.4 Masse<br />
4.4.1 Ausgangslage<br />
Die Masse von Motorfahrzeugen variiert beträchtlich: Während ein kleinerer<br />
PW unter 1 Tonne wiegt, kann ein Sattelschlepper gemäss nationaler<br />
Limite bis zu 40 Tonnen wiegen. Aber auch innerhalb der Kategorie ‚PW’<br />
existieren beträchtliche Unterschiede. Gerade bezüglich den in Mode gekommenen<br />
Sport Utility Vehicle23 (SUV), die deutlich schwerer sind als<br />
konventionell gebaute PW, gewinnt die Frage des Fahrzeuggewichts an<br />
Brisanz. Im Alltagsempfinden werden schwere und grosse Fahrzeuge wesentlich<br />
gefährlicher eingeschätzt als leichtere. Nachfolgend wird geklärt,<br />
inwieweit die Masse im Rahmen von Kollisionen mit Fussgängern von<br />
Bedeutung ist.<br />
4.4.2 Unfallrelevanz<br />
Um die Bedeutung der Masse zu beurteilen, müssen zwei Aspekte betrachtet<br />
werden: Bremsvorgang und Impulsübertragung. Konkret stellt<br />
sich die Frage, ob massereiche MFZ einen längeren Bremsweg haben<br />
und ob bei einem Zusammenprall auf den Fussgänger mehr Energie<br />
übertragen wird.<br />
Bremsweg: Die kinetische Energie eines MFZ hängt neben dessen Fahrgeschwindigkeit<br />
auch von der Masse ab. Das führt dazu, dass bei einer<br />
gegebenen Ausgangsgeschwindigkeit ein massereiches Fahrzeug beim<br />
Bremsvorgang viel mehr Energie abbauen muss. Deshalb sind schwerere<br />
23 SUV (Sport Utility Vehicle) können als Mischform von PW und Geländewagen<br />
bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den Geländewagen sind SUV primär für<br />
die normale Strasse konzipiert.
186 Risikofaktoren – Kollisionsobjekte<br />
Die Masse liefert<br />
keine Erklärung für<br />
die Verletzungsschwere<br />
Unterschiedliche<br />
Fronten bei PW und<br />
STFZ<br />
MFZ in der Regel mit stärkeren Bremsen ausgestattet. Weil heute der<br />
Aufbau einer sehr hohen Bremskraft nicht mehr kritisch ist, ist der Bremsweg<br />
von schweren Fahrzeugen nicht zwangsläufig länger als von leichten.<br />
Der Bremsweg heutiger MFZ hängt weniger von ihrer Masse als vielmehr<br />
von der Qualität und Grösse der Bremsanlage ab.<br />
Impulsübertragung: Zwar bringen Sachentransportfahrzeuge (STFZ)<br />
infolge ihrer grösseren Masse im Vergleich zu normalen PW (bei einer<br />
gegebenen Kollisionsgeschwindigkeit) eine grössere Energie mit sich,<br />
dennoch ist nicht dieser Umstand für die schwereren Verletzungen verantwortlich.<br />
Der Grund, dass die MFZ-Masse keine hohe Unfallrelevanz<br />
hat, liegt darin, dass alle MFZ – und zwar sowohl STFZ als auch PW – um<br />
ein Vielfaches schwerer sind als ein Fussgänger. Bei einem derart erheblichen<br />
Ungleichgewicht ist es praktisch nicht mehr von Bedeutung, ob das<br />
Massenverhältnis nun bei beispielsweise 1:20 (Fussgänger : PW) bzw.<br />
1:200 (Fussgänger : STFZ) liegt. Das erhebliche Ungleichgewicht hat<br />
nämlich zur Folge, dass das MFZ durch die Fussgängerkollision kaum<br />
abgebremst wird und somit seine Kollisionsgeschwindigkeit mehr oder<br />
weniger vollständig auf den Fussgänger überträgt. Somit kann festgehalten<br />
werden, dass die in vielen Untersuchungen (vgl. z. B. Lefler & Hampton,<br />
2004) bestätigte grössere Verletzungsgefahr, die von grossen, schweren<br />
Fahrzeugen im Vergleich zu normalen PW ausgeht, primär nicht auf die<br />
grössere Masse zurückzuführen ist, sondern auf weitere Faktoren, die mit<br />
solchen Fahrzeugen einhergehen (insbesondere strukturgeometrische Eigenschaften<br />
der Front).<br />
4.5 Frontprofil<br />
4.5.1 Ausgangslage<br />
Die grössten Unterschiede in der Frontform bestehen zwischen PW und<br />
STFZ. Während STFZ in aller Regel eine hohe und gleichzeitig steile oder<br />
gar senkrecht gestaltete Front aufweisen, haben PW eine lange, flache<br />
Motorhaube. Unterschiede bestehen jedoch auch zwischen PW und Vans<br />
mit ihren keilförmige Fronten. In den letzten Jahren hat sich das Frontprofil<br />
vieler PW verändert: Vornehmlich durch die Optimierung der Aerodynamik<br />
bedingt, wurde die Haubenvorderkante abgeflacht und abgerun-
Risikofaktoren – Kollisionsobjekte 187<br />
Hohe und steile Front<br />
erhöht Verletzungsgefahr <br />
Sterbewahrscheinlichkeit<br />
bei STFZ,<br />
Vans und SUV<br />
doppelt so hoch<br />
Kollisionsablauf ist<br />
abhängig von<br />
Frontstruktur und<br />
Körpergrösse<br />
det (Glaeser, 1996). Ein gegenläufiger Trend zeigt sich bei den gegenwärtig<br />
beliebten SUV (Sport Utility Vehicles), deren Fronten üblicherweise<br />
hochgezogen und steil sind.<br />
4.5.2 Unfallrelevanz<br />
Eine hohe und senkrechte Frontgeometrie, wie sie insbesondere bei<br />
STFZ vorliegt, geht im Falle einer Fussgängerkollision mit einer hohen<br />
Wahrscheinlichkeit eines direkten starken Kopfkontaktes mit der Fahrzeugfront<br />
einher. Beim Zusammenstoss wird der Kopf innerhalb von 1 bis<br />
2 Zehntelssekunden auf die Geschwindigkeit des Fahrzeugs beschleunigt,<br />
was zu enormen Belastungen führt. Im Gegensatz dazu werden angefahrene<br />
Fussgänger bei flachhaubigen PW (Pontonform) auf die Motorhaube<br />
geschleudert, wo ein gewisses Abrollen des Körpers möglich ist.<br />
Neben dem Problem des direkten primären Kopfkontakts haben hohe und<br />
gleichzeitig senkrechte bzw. keilförmige Fronten eine weitere verletzungswirksame<br />
Eigenschaft. Angefahrene Fussgänger werden nach dem<br />
Zusammenstoss vom Fahrzeug weggeschleudert, so dass die Gefahr<br />
eines starken sekundären Aufpralls auf dem Strassenboden erhöht ist<br />
(Sekundärkollision). Es besteht dabei auch die Gefahr, dass der Fussgänger<br />
überrollt wird.<br />
In einer gross angelegten, amerikanischen Studie von 5- bis 19-jährigen<br />
Fussgängern konnte unter Berücksichtigung von relevanten Störvariablen<br />
(Alter und Geschlecht des Lenkers, Fahrzeuggewicht und Strassenverhältnis)<br />
nachgewiesen werden, dass die Sterbewahrscheinlichkeit bei<br />
Kollisionen mit STFZ, Vans oder SUV 2.3-mal höher ist als bei Kollisionen<br />
mit PW (DiMaggio, Durkin & Richardson, 2006).<br />
In aller Regel kann bis etwa 40 km/h und üblicher PW-Front gegen einen<br />
erwachsenen Fussgänger der folgende Ablauf angenommen werden<br />
(Walz, Frei & Niederer, 1998): a) Unterschenkel gegen Stossstange, b)<br />
oberer Teil des Oberschenkels gegen vordere Haubenkante, c) Becken<br />
gegen vorderen Teil der Haube, d) Brust bzw. Ellbogen/Oberarm gegen<br />
Haubenmitte, e) Kopf gegen hinteren Teil der Haube, gegen die Frontscheibe<br />
oder die A-Säule. Bei Kindern im Alter von 5 – 9 Jahren wird der
188 Risikofaktoren – Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 61:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚formaggressive<br />
Frontpartien’<br />
MFZ weisen oftmals<br />
harte Fronten auf<br />
Oberschenkel/Beckenbereich von der Stossstange erfasst, das Abdomen<br />
(Bauch/Unterleib) und der Thorax (Brustkorb) vom Frontbereich unterhalb<br />
der Haubenkante; der Kopfaufprall findet im vorderen Haubenbereich<br />
statt. Bei Kindern kommt es infolge ihres tiefer liegenden Schwerpunkts,<br />
der in der Regel unterhalb des Kontaktpunkts mit den Frontstrukturen<br />
liegt, häufiger zu Überfahrungen.<br />
Bei Geländewagen herrschen wieder andere Verhältnisse; es kommt<br />
auch bei Erwachsenen zum Thoraxanprall gegen die senkrechten Fronten<br />
(Walz, Frei & Niederer, 1998).<br />
4.5.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Formaggressive<br />
Frontpartien<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
4.6 Frontsteifigkeit<br />
4.6.1 Ausgangslage<br />
*** ***** *** ( * )<br />
Während die Frontform die äussere Gestalt beschreibt, bezieht sich der<br />
Begriff Frontsteifigkeit auf die strukturbedingten Eigenschaften der Front,<br />
namentlich der Stossstange, der Motorhaube und der darunter liegenden<br />
Aggregate.<br />
Grössere/schwerere Fahrzeuge weisen oftmals nicht nur, wie oben dargestellt,<br />
ungünstigere Formen auf, sondern sind gleichzeitig sehr steif<br />
aufgebaut. Dass die Frontaufbauten zwischen unterschiedlichen Fahrzeugkategorien<br />
wie STFZ und PW variieren, ist offensichtlich. Doch bedeutsame<br />
Unterschiede bestehen auch innerhalb der Kategorie der PW. In<br />
den letzten Jahren wurde der Frontsteifigkeit zunehmend mehr Beachtung<br />
geschenkt. Verschiedene PW-Hersteller haben Modelle herausgebracht,<br />
die verletzungsreduzierende Fronten aufweisen.<br />
Crashtests, wie beispielsweise der hierzulande üblicherweise angewandte
Risikofaktoren – Kollisionsobjekte 189<br />
Aggregate unter der<br />
Motorhaube<br />
problematisch<br />
Bei höheren<br />
Geschwindigkeiten<br />
prallt Kopf auf<br />
Windschutzscheibe<br />
Tabelle 62:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚steife<br />
Frontpartien’<br />
Euro NCAP24 , bewerten bereits seit einigen Jahren nicht nur mehr den Insassenschutz,<br />
sondern auch den äusseren Schutz für Fussgänger (Euro<br />
NCAP, 2005). Die Ergebnisse solcher Crashtests sehen jedoch auch bei<br />
neuen Modellen mit einigen wenigen Ausnahmen unbefriedigend aus.<br />
4.6.2 Unfallrelevanz<br />
Da harte Frontstrukturen keine Energie absorbieren, gehen diese für die<br />
angefahrenen Fussgänger mit bedeutend höheren Körperbelastungen<br />
einher. Eine besondere Gefahr geht von den Aggregaten unter der Motorhaube<br />
aus. Diese liegen infolge der knapp bemessenen Platzverhältnisse<br />
im Motorraum oftmals unmittelbar unter der Haube. Im Falle eines<br />
Kopfaufpralls kann es aufgrund der Härte dieser Fahrzeugteile zu Frakturarten<br />
der Schädelkalotte, des Gesichtsschädels oder der Schädelbasis<br />
kommen (Glaeser, 1996). Auch äussere harte Fahrzeugteile, wie beispielsweise<br />
die Scheibenwischerachse, können Verletzungen (Impressionsfrakturen)<br />
verursachen.<br />
Neben der eigentlichen Front des Fahrzeugs bilden insbesondere bei höheren<br />
Kollisionsgeschwindigkeiten auch die Windschutzscheibe und ihre<br />
Umrahmung eine grosse Gefahr für Kopfverletzungen. Seitens der Fahrzeughersteller<br />
sind diesbezüglich noch keine Präventionsmöglichkeiten<br />
realisiert worden. Auch der Euro NCAP klammert den Bereich der Frontscheibe<br />
(noch) aus.<br />
4.6.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Steifigkeitsaggressive<br />
Frontpartien<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
***** **** *****<br />
24 Euro NCAP (European New Cars Assessment Programme) steht für ein<br />
Crashtest-Projekt, das von der Europäischen Kommission, von den Europa-<br />
Regierungen, Verbraucherschutzverbänden und Automobilclubs unterstützt<br />
wird. Das Verfahren zum Test des Fussgängerschutzes sieht folgendermassen<br />
aus: Es wird ein frontaler und ein seitlicher 40 km/h schneller Aufprall eines<br />
Kindes und eines Erwachsenen mit der Fahrzeugfront und der Motorhaube<br />
simuliert. Die Aufprallzonen werden je nach Körperbelastung auf einer<br />
dreistufigen Ratingskala (gut, durchschnittlich, schlecht) bewertet.
190 Risikofaktoren – Kollisionsobjekte<br />
Frontschutzbügel<br />
meist als Designelement<br />
verwendet<br />
Frontschutzbügel<br />
massiver Konstruktion<br />
bergen Zusatzgefährdung<br />
Tabelle 63:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚Frontschutzbügel<br />
massiver Bauart’<br />
4.7 Frontschutzbügel<br />
4.7.1 Ausgangslage<br />
Frontschutzbügel, welche auch als Kuhfänger bezeichnet werden, sind<br />
vorwiegend an Geländefahrzeugen montiert. Hierzulande geschieht das<br />
fast ausschliesslich aus ästhetischen Gründen. Die den Geländewagen<br />
ähnlichen SUV sind eher selten mit Frontschutzbügeln ausgestattet.<br />
4.7.2 Unfallrelevanz<br />
Eine deutsche Studie zum Frontschutzbügel kommt zum Schluss, dass<br />
die zu erwartenden Kopfbelastungen beim Unfall eines Kindes mit einem<br />
mit Frontschutzbügeln ausgestatteten Geländefahrzeug bei 20 km/h in<br />
etwa denen mit einem entsprechenden Fahrzeug ohne Bügel bei 30 km/h<br />
bzw. denen mit einem PW bei 40 km/h entsprechen (Zellmer & Schmid,<br />
1995). Hierzu muss präzisiert werden, dass bei den durchgeführten<br />
Crashversuchen Bügel massiver Bauart benutzt wurden. Bei Unfallforschern<br />
herrscht Einigkeit darüber, dass Frontschutzbügel massiver<br />
Konstruktion das Gefährdungspotenzial für die anderen Verkehrsteilnehmenden<br />
erhöhen. Ein moderner, sicherheitsoptimierter Frontschutzbügel<br />
mit weichen, nachgebenden Materialien und energieabsorbierenden<br />
Dämpfersystemen kann sich im Vergleich zu einer ungünstig gestalteten<br />
Geländewagenfront sogar verletzungsmindernd auswirken. Zu bedenken<br />
ist, dass trotz den positiv zu beurteilenden, energieabsorbierenden Eigenschaften<br />
eines solchen sicherheitsoptimierten Bügels die kinetische Energie<br />
nur an einigen wenigen Punkten auf den Körper des Kollisionsopfers<br />
übertragen wird, sodass dort erhöhte Belastungswerte entstehen.<br />
4.7.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Frontschutzbügel<br />
massiver Bauart<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
* *** *
Risikofaktoren – Kollisionsobjekte 191<br />
Beleuchtungsanlage<br />
von Motorfahrzeugen<br />
ist mit wenigen<br />
Ausnahmen nicht<br />
optimal<br />
Eingeschränkter und<br />
fester Lichtkegel<br />
erhöht Gefahr,<br />
Fussgänger zu<br />
übersehen<br />
Tabelle 64:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚starre<br />
Lichtkegel’<br />
4.8 Beleuchtungsanlage<br />
4.8.1 Ausgangslage<br />
Die Beleuchtung muss den Spagat zwischen zwei gegenläufigen Anforderungen<br />
erfüllen. Zum einen soll der Verkehrsraum möglichst weiträumig<br />
und hell ausgeleuchtet werden, andererseits darf das Licht andere Verkehrsteilnehmende<br />
– insbesondere den entgegenkommenden Verkehr –<br />
nicht blenden. Der Kompromiss liegt in einem sowohl in Längsrichtung als<br />
auch seitlich eingeschränkten Beleuchtungsraum.<br />
4.8.2 Unfallrelevanz<br />
Der eingeschränkte und fixe Lichtkegel kann bei Kurvenfahrten und Abbiegemanövern<br />
dazu führen, dass ein Fussgänger ausserhalb des Lichts<br />
bleibt und somit für den MFZ-Lenkenden nicht erkennbar ist. Es ist selbstredend,<br />
dass Reflektoren den Fussgänger in solchen Situationen nicht<br />
schützen.<br />
Neuere Personenwagen insbesondere der oberen Preisklasse haben dieses<br />
Problem durch bewegliche Scheinwerfer gelöst, die sich in Abhängigkeit<br />
des Lenkradeinschlags oder der Blinkersetzung automatisch ausrichten.<br />
Die gegenwärtige Marktdurchdringung ist jedoch minimal. Um wie<br />
viel höher das Kollisionsrisiko von konventionell ausgestatteten Fahrzeugen<br />
im Vergleich zu den Fahrzeugen mit adaptivem Kurvenlicht ist, kann<br />
mangels entsprechender Studien nicht gesagt werden.<br />
4.8.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Starre/eingeschränkte<br />
Scheinwerferkegel<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
** ** **
192 Risikofaktoren – Kollisionsobjekte<br />
Sicherheitsgedanke<br />
spielt bei Farbwahl<br />
keine Rolle<br />
Silber-grau:<br />
beliebteste Farbe<br />
Dunkle Farben<br />
gefährlicher als helle<br />
4.9 Fahrzeugfarbe<br />
4.9.1 Ausgangslage<br />
Die Wahl der Autofarbe beruht neben der eigenen Farbvorliebe oftmals<br />
auch auf pragmatischen Überlegungen zum Wiederverkaufswert. Explizite<br />
Sicherheitsüberlegungen spielen eine kaum nennenswerte Rolle bei der<br />
Farbwahl.<br />
Während vor rund 20 Jahren noch auffallend kräftige und überwiegend<br />
klare Farben vorherrschten, ist das heutige Strassenbild von Fahrzeugen<br />
in gedeckten, eher dunkleren Farbtönen geprägt. Die gegenwärtig beliebteste<br />
Farbe ist grau/silber. Gemäss der Statistik des Kraftfahrt-Bundesamtes<br />
(KBA) in Deutschland waren 42 % der im Jahr 2002 neu zugelassenen<br />
PW grau/silber. Auch in der Schweiz lässt sich dieser Trend beobachten.<br />
4.9.2 Unfallrelevanz<br />
Neuseeländische und australische Forscher haben anhand einer Fall-<br />
Kontroll-Studie unter Berücksichtigung einer Vielzahl potenzieller Konfundierungen<br />
(Alter, Geschlecht, Bildung, Alkoholkonsum etc.) herausgefunden,<br />
dass silbrige Autos im Vergleich zu den am häufigsten vorkommenden<br />
weissen Autos ein ca. halb so grosses Risiko (OR = 0.4) haben, in<br />
einen folgenschweren Unfall verwickelt zu werden. Die unsichersten Farben<br />
bei Autos sind braun (OR = 2.1), gefolgt von schwarz (OR = 2.0) und<br />
grün (OR = 1.8). Gelbe, graue und blaue Fahrzeuge haben sich von weissen<br />
Fahrzeugen bezüglich der Unfallwahrscheinlichkeit nicht signifikant<br />
unterschieden (Furness, Connor, Robinson, Norton, Ameratunga & Jackson,<br />
2003). Ebenfalls auf der Basis einer Fall-Kontroll-Studie kommen<br />
spanische Forscher zum Schluss, dass helle Farben wie weiss und gelb<br />
mit dem geringsten Unfallrisiko einhergehen, wobei sich der stärkste Effekt<br />
während des Tages bei bedecktem Himmel zeigt (OR = 0.91) (Lardelli-Claret<br />
et al., 2002). Auch Shuman (1991) attribuiert leuchtenden<br />
Farben wie z. B. orange, gelb oder hellgrün einen Sicherheitsvorteil.
Risikofaktoren – Kollisionsobjekte 193<br />
Tabelle 65:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚dunkle<br />
Fahrzeugfarben’<br />
Nicht alle<br />
Motorfahrzeuge sind<br />
mängelfrei<br />
Die gesichteten Forschungen weisen in die Richtung, dass dunkle Farben<br />
die Unfallwahrscheinlichkeit erhöhen. Es kann davon ausgegangen werden,<br />
dass durch den zunehmend grösseren Anteil von Fahrzeugen, die<br />
bei Tag mit Licht fahren, die Frage der Farbe an Bedeutung verliert.<br />
4.9.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Dunkle Fahrzeugfarben ** ( * ) * *<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
4.10 Technischer Qualitätszustand<br />
4.10.1 Ausgangslage<br />
Im Rahmen einer technischen Überprüfung von Motorfahrzeugen auf<br />
freiwilliger Basis, die vom TCS analog der amtlichen Nachprüfungen<br />
durchgeführt wurde, haben Experten alle sicherheitsrelevanten Teile begutachtet.<br />
Dabei zeigte sich folgendes Resultat: Ohne Mängel waren<br />
36,5 %, geringe Mängel wiesen 35,3 % auf, erhebliche Mängel 19,1 % und<br />
verkehrsunsicher waren 9,1 % aller kontrollierten Fahrzeuge (Touring Club<br />
Schweiz TCS, 1999).<br />
Die Befunde zeigen, dass auf Schweizer Strassen durchaus Fahrzeuge<br />
mit Sicherheitsmängeln unterwegs sind. Weitergehende Interpretationen –<br />
insbesondere über die Mängelhäufigkeit – sind nicht zulässig, da die Datenbasis<br />
keineswegs repräsentativ für den gesamten Fahrzeugpark ist. 25<br />
Im Rahmen der amtlichen Fahrzeugprüfungen werden rund 20 % der getesteten<br />
Motorfahrzeuge beanstandet – teilweise jedoch aus nicht sicherheitsrelevanten<br />
Gründen (wie abgastechnische Aspekte; Motorfahrzeug-<br />
Prüfstation beider Basel MFP, 2001). Welcher Anteil der Beanstandungen<br />
auf sicherheitsrelevante Mängel zurückgeht, kann nicht genau gesagt<br />
25 Das hängt damit zusammen, dass die Kontrollen auf freiwilliger Basis<br />
stattgefunden haben, sodass vermutet werden muss, dass insbesondere<br />
Lenkende, die Zweifel am technischen Zustand ihres Fahrzeuges hatten, die<br />
Gelegenheit zur Kontrolle nutzten. Somit wird die Häufigkeit von technischen<br />
Mängeln überschätzt.
194 Risikofaktoren – Kollisionsobjekte<br />
Technische Mängel<br />
von Motorfahrzeugen<br />
sind kaum unfallrelevant<br />
Tabelle 66:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚mangelhafte<br />
Betriebssicherheit von<br />
MFZ’<br />
Steifigkeits- und<br />
Formaggressivität der<br />
Fronten stellen<br />
Hauptproblem dar<br />
werden; er dürfte schätzungsweise in der Grössenordnung von 10 % liegen<br />
(MFZ-Prüfstation beider Basel, persönliche Mitteilung, 2006).<br />
4.10.2 Unfallrelevanz<br />
Die Bedeutung technischer Mängel als Unfallursache zu eruieren, ist auf<br />
der Basis der amtlichen Unfalldaten nur bedingt möglich. Zwar erfasst die<br />
Polizei am Unfallort mögliche Unfallursachen und hat dabei auch die<br />
Möglichkeit, technische Fahrzeugmängel anzugeben, dennoch müssen<br />
diese Aussagen vorsichtig interpretiert werden. Einerseits ist es nicht immer<br />
möglich, technische Defekte bei der Unfallaufnahme zu erkennen,<br />
andererseits werden von verunfallten Fahrzeuglenkenden nicht selten<br />
technische Mängel als Unfallgrund angegeben, um vom eigenen Fehlverhalten<br />
abzulenken. Von der Polizei angeordnete Fahrzeuguntersuchungen,<br />
die Aufschluss darüber geben sollen, ob tatsächlich ein technischer<br />
Defekt am Fahrzeug den jeweiligen Unfall verursacht hat, können in den<br />
allermeisten Fällen keine unfallursächlichen Mängel feststellen (vgl. z. B.<br />
Motorfahrzeug-Prüfstation beider Basel MFP, 2001). Somit können technische<br />
MFZ-Mängel als Unfallursache von Kollisionen mit Fussgängern<br />
vernachlässigt werden.<br />
4.10.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Technische MFZ-<br />
Mängel<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
4.11 Zusammenfassung und Fazit<br />
* ** *<br />
Zweispurige Motorfahrzeuge stellen das häufigste und zugleich gefährlichste<br />
Kollisionsobjekt von Fussgängern dar. Risikoerhöhende Merkmale<br />
beziehen sich insbesondere auf die strukturgeometrischen Fronteigenschaften.<br />
Eine hohe und steile Front birgt die Gefahr eines starken primären<br />
(Kopf-)Aufpralls und eines anschliessenden Wegschleuderns, der mit
Risikofaktoren – Kollisionsobjekte 195<br />
Einspurfahrzeuge<br />
(insbesondere<br />
Fahrräder) stellen<br />
geringere Gefahr dar<br />
einem sekundären Aufprall auf die Strassenoberfläche endet. Die hohe<br />
Festigkeit heutiger Fronten birgt ebenfalls ein hohes Gefahrenpotenzial.<br />
Erst einige wenige PW-Modelle weisen sicherheitsoptimierte Fronten auf,<br />
die einen gewissen Partnerschutz für Fussgänger aufweisen. Weitere<br />
Risikofaktoren, die jedoch zur Erklärung des <strong>Unfallgeschehen</strong>s der Fussgänger<br />
von geringerer Bedeutung sind, stellen Frontschutzbügel massiver<br />
Bauart, dunkle Fahrzeugfarbe sowie starre Lichtkegel der konventionellen<br />
Scheinwerfer dar. Technische MFZ-Mängel kommen zwar durchaus vor,<br />
sind jedoch höchst selten Ursache einer Kollision mit einem Fussgänger.<br />
Einspurige Motorfahrzeuge und insbesondere auch Fahrräder haben im<br />
Vergleich zu den Zweispurfahrzeugen eine geringere Relevanz für das<br />
Fussgängerunfallgeschehen. Das hängt einerseits mit ihren niedrigeren<br />
Fahrleistungen und andererseits mit einigen risikoreduzierenden Merkmalen<br />
zusammen (geringere Ausdehnung, höhere Wendigkeit, geringes<br />
Gewicht).<br />
Fazit: Beim PW als Hauptkollisionsgegner muss der Partnerschutz für die<br />
schwachen Verkehrsteilnehmenden v. a. durch Optimierung der Front<br />
(Form und Festigkeit) erhöht werden.
196 Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren<br />
Zu Fuss – im<br />
Fahrzeug:<br />
verschiedene<br />
Bedürfnisse –<br />
verschiedene<br />
Verkehrsflächen<br />
Anforderungen an<br />
das <strong>Fussverkehr</strong>snetz<br />
5. Von der Strasseninfrastruktur ausgehende<br />
Risikofaktoren<br />
5.1 Einleitung: Netzgedanken<br />
Personen, die zu Fuss unterwegs sind, unterscheiden sich in ihren Bedürfnissen<br />
und Geschwindigkeiten erheblich von Personen, die sich mit<br />
Fahrzeugen des motorisierten Individualverkehrs fortbewegen.<br />
Entsprechend bewegen sich diese beiden Verkehrsteilnehmer in der Regel<br />
auf verschiedenen beziehungsweise verschiedenartig ausgestatteten<br />
Verkehrsflächen. Eine gemeinsame Eigenschaft dieser Verkehrsflächen<br />
ist, dass beide ein Netz bilden.<br />
Das Verkehrsnetz des motorisierten Individualverkehrs besteht aus linienförmigen<br />
Verkehrsflächen, den vorwiegend öffentlichen Strassen, an<br />
die der motorisierte Individualverkehr zwangsläufig gebunden ist.<br />
Hingegen besteht das Verkehrsnetz des <strong>Fussverkehr</strong>s nicht durchwegs<br />
aus linienförmigen Verkehrsflächen wie z. B. Trottoirs oder Fusswege.<br />
Bedingt durch die unterschiedlichen Bedürfnisse und durch die unabhängigere<br />
Bewegungsweise (zu Fuss ist man nicht immer an Wege gebunden),<br />
ergeben sich nicht selten so genannte flächige Verkehrsbeziehungen<br />
wie z. B. Plätze oder Fussgängerzonen. Zudem sind die <strong>Fussverkehr</strong>snetze<br />
bedeutend engmaschiger als Netze für den motorisierten Individualverkehr.<br />
Genau genommen ist jeder zu Fuss zurückgelegte Weg<br />
Teil des <strong>Fussverkehr</strong>netzes. Den einzelnen Personen ist zwar oft nicht<br />
bewusst, dass sie als Fussgänger zum Verkehrsteilnehmer werden, sobald<br />
sie ein Gebäude verlassen oder aus einem Fahrzeug steigen. Umso<br />
mehr ist diese Tatsache für eine umfassende <strong>Fussverkehr</strong>s-Planung relevant.<br />
Basierend auf bestehenden und erwünschten <strong>Fussverkehr</strong>s-Beziehungen<br />
ist mittels adäquater verkehrstechnischer Infrastrukturelemente<br />
für den <strong>Fussverkehr</strong> ein sicheres, kohärentes, direktes und komfortables<br />
Netz (Schweizer Norm SN 640 240; Southworth, 2005) zu planen, zu<br />
projektieren und schliesslich zu realisieren.
Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren 197<br />
Gliederung des<br />
<strong>Fussverkehr</strong>netzes<br />
Überlagerung der<br />
beiden Verkehrsnetze<br />
Massgebende<br />
Unfalltypen<br />
Dabei kann die Lage der einzelnen <strong>Fussverkehr</strong>snetz-Abschnitte bezüglich<br />
des Netzes für den motorisierten Individualverkehr wie folgt systematisch<br />
gegliedert werden:<br />
• Querungen<br />
Örtlichkeiten, wo sich der <strong>Fussverkehr</strong> und der motorisierte Individualverkehr<br />
queren.<br />
• Abschnitte entlang von Strassen<br />
Bereiche, in denen der <strong>Fussverkehr</strong> und der motorisierte Individualverkehr<br />
im selben Strassenraum parallel geführt werden. Das kann<br />
beispielsweise auf Trottoirs, auf Längsstreifen für Fussgänger oder auf<br />
einer gemeinsamen Fläche erfolgen.<br />
• Vom motorisierten Individualverkehr vollständig separierte Abschnitte<br />
Wege, auf denen der <strong>Fussverkehr</strong> vollständig getrennt vom motorisierten<br />
Individualverkehr geführt wird. Das ist beispielsweise in Parks<br />
oder in Fussgänger-Passagen der Fall.<br />
• Umsteigepunkte<br />
End- oder Startpunkte von Fahrten mit dem öffentlichen Verkehr, wie<br />
z. B. Bus- oder Tramhaltestellen, Bahnhöfe u. ä.<br />
Die Überlagerung des Netzes für den motorisierten Individualverkehr und<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s-Netzes zeigt konkret jene Stellen auf, wo Konfliktstellen<br />
und folglich Risiken vorhanden sind. Es sind das naturgemäss diejenigen<br />
Örtlichkeiten, wo sich die beiden Netze berühren, also die Querungen und<br />
die Abschnitte entlang von Strassen.<br />
Die Auswertung der polizeilich registrierten Unfälle zeigt, dass – im<br />
Durchschnitt über die vergangenen fünf Jahre – die weitaus meisten<br />
Fussgänger beim Überqueren der Strasse innerorts verunfallen (Tabelle<br />
67). Das <strong>Unfallgeschehen</strong> an Umsteigepunkten lässt sich nicht zuverlässig<br />
berechnen. Verschiedene Hinweise lassen jedoch den Schluss zu,<br />
dass es geringfügig ist. In der gesichteten Literatur wird es nicht als<br />
Schwerpunktthema behandelt. Die Unfallstatistik des Bundesamtes für<br />
Statistik zeigt, dass in den Jahren 2000–2004 durchschnittlich rund 30<br />
Fussgänger im Bereich von Haltestellen schwer verletzt oder getötet<br />
wurden. Doch ist aus diesen Daten nicht ersichtlich, ob diese Unfälle in<br />
einem kausalen Zusammenhang mit den Haltestellen selbst waren.
198 Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren<br />
Tabelle 67:<br />
Getötete und<br />
Schwerverletzte nach<br />
Ortslage und<br />
Unfalltyp, Ø 2000-<br />
2004<br />
Schwerpunkt<br />
Querungen<br />
Anforderungen an<br />
das <strong>Fussverkehr</strong>snetz<br />
<strong>Fussverkehr</strong>snetz:<br />
Planungsschritte<br />
Kollision mit querendem FG<br />
Fussgänger-Unfall in Längsrichtung<br />
Anderer Unfall mit Fussgänger-<br />
Beteiligung *<br />
Quelle: BFS (2005a), Auswertungen bfu<br />
Getötete und<br />
Schwerverletzte<br />
innerorts 617<br />
ausserorts 41<br />
innerorts 40<br />
ausserorts 19<br />
innerorts 174<br />
ausserorts 22<br />
* Anmerkung. Der Unfalltyp „Anderer Unfall mit Fussgänger-Beteiligung“ entspricht dem<br />
Unfalltyp gemäss Unfallerhebungsbogen des Bundesamtes für Statistik. Eine vertiefte Analyse<br />
bezüglich Unfalltyp ist nicht möglich.<br />
Aus diesem Grund wird primär auf den Risikofaktor Querungen innerorts<br />
eingegangen und der Risikofaktor Abschnitte entlang von Strassen nur<br />
kurz gestreift. Vorgängig wird aber noch ein ganz allgemeiner Risikofaktor<br />
thematisiert, nämlich die fehlende Netzplanung.<br />
5.2 Risikofaktor: Fehlende Netzplanung<br />
5.2.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
In Erwartung der Fertigstellung einer Grundlagennorm für den <strong>Fussverkehr</strong>,<br />
sind die Anforderungen an das <strong>Fussverkehr</strong>snetz vorläufig in der<br />
Schweizer Norm SN 640 240 „Querungen für den Fussgänger- und<br />
leichten Zweiradverkehr – Grundlagen“ festgehalten. Insbesondere wird<br />
darin gefordert, dass ein attraktives <strong>Fussverkehr</strong>snetz sicher, kohärent,<br />
direkt und komfortabel sein muss. Dabei sind die Ansprüche von Behinderten<br />
zu integrieren.<br />
Um diese Anforderungen zu erfüllen, sind die folgenden, grundlegenden<br />
Arbeitsschritte nötig:<br />
1. Eine lückenlose Analyse der <strong>Fussverkehr</strong>sbeziehungen. Darauf basierend<br />
eine umfassende Planung, Projektierung und Realisierung von<br />
geeigneten verkehrstechnischen Basiselementen zur Abwicklung des<br />
<strong>Fussverkehr</strong>s.
Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren 199<br />
Fehlende Elemente:<br />
Unterbrochene<br />
Beziehung oder<br />
erhöhte Gefahr<br />
Inadäquate Elemente:<br />
Falsche Sicherheit<br />
oder Fehlverhalten<br />
Planung des<br />
<strong>Fussverkehr</strong>snetzes<br />
fehlt oft<br />
2. Schliesslich die Planung, Projektierung und Realisierung von adäquaten<br />
verkehrstechnischen Elementen zur Gewährleistung der Sicherheit<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s.<br />
Das Auslassen von Planungsschritt 1 führt zu einem unvollständigen<br />
<strong>Fussverkehr</strong>snetz. Das wirkt sich in zweierlei Hinsicht negativ auf den<br />
<strong>Fussverkehr</strong> aus:<br />
a) Die Beziehung kann physisch nicht begangen werden (z. B. fehlende<br />
Fussgängerbrücke über eine Autobahn)<br />
b) Die Beziehung wird trotzdem, aber unter erhöhten Risiken begangen<br />
(z. B. fehlendes Trottoir entlang einer stark befahrenen Hauptverkehrsstrasse).<br />
Das Auslassen von Planungsschritt 2 führt zu inadäquaten, d. h. fehlerhaft<br />
ausgeführten oder falsch angewendeten verkehrstechnischen Elementen.<br />
Das hat ebenfalls in zweierlei Hinsicht sicherheitstechnische Einbussen<br />
zur Folge:<br />
c) Inadäquate Elemente werden in der Regel vom Verkehrsteilnehmer<br />
nicht als solche erkannt und suggerieren eine nicht vorhandene, also<br />
falsche Sicherheit. Dadurch bewirken sie, dass die Aufmerksamkeit<br />
der Verkehrsteilnehmer unbewusst reduziert wird, was mit einer erhöhten<br />
Gefährdung einhergeht.<br />
d) Inadäquate Elemente können Lenkende des motorisierten Individualverkehrs<br />
und/oder Fussgänger zu einem der Situation unangepassten<br />
und somit gefährlichen Verhalten verleiten.<br />
Die Erfahrung im Kontakt mit den zuständigen Behörden in Gemeinden<br />
und Kantonen zeigt, dass eine Netzplanung für den <strong>Fussverkehr</strong> grösstenteils<br />
fehlt. Eine genaue Quantifizierung der Verbreitung dieses Mangels<br />
wäre nur mit unverhältnismässig hohem Aufwand möglich. Die vorhandenen<br />
Kenntnisse lassen jedoch eine genügend genaue Schätzung<br />
zu.
200 Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren<br />
Fehlende<br />
<strong>Fussverkehr</strong>snetz-<br />
Planung als Quelle für<br />
Risikofaktoren<br />
Tabelle 68:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
‚Fehlende<br />
Netzplanung’<br />
Definition von<br />
Querungen<br />
Überqueren als<br />
komplexer Vorgang<br />
5.2.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz:<br />
Die Auswirkung fehlender Netzplanung auf das <strong>Unfallgeschehen</strong> mit Fussgängern<br />
kann nicht quantifiziert werden. Es ist jedoch davon auszugehen,<br />
dass fehlende Basiselemente zur Abwicklung des <strong>Fussverkehr</strong>s und/oder<br />
inadäquate Elemente zur Gewährleistung der Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
massgebend auf diesen Mangel zurückzuführen sind. Demgegenüber<br />
muss jedoch festgehalten werden, dass selbst eine umfassende und<br />
einwandfreie Netzplanung nicht garantieren kann, dass ausnahmslos<br />
adäquate verkehrstechnische Elemente realisiert werden. Eine korrekte<br />
Netzplanung ist also eine notwendige, aber nicht eine hinreichende Voraussetzung<br />
für die Realisierung eines <strong>Fussverkehr</strong>netzes, das den Anforderungen<br />
entspricht.<br />
5.2.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Fehlende Netzplanung ***** *** ****<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
5.3 Defizitäre Infrastruktur für den querenden <strong>Fussverkehr</strong> innerorts<br />
5.3.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Risiken für den <strong>Fussverkehr</strong> bestehen im Bereich von Konfliktstellen, d. h.<br />
dort, wo sich die Netze des <strong>Fussverkehr</strong>s und des motorisierten Individualverkehrs<br />
berühren (s. Kap. VII.5.1 Einleitung: Netzgedanken, S. 196).<br />
Dabei stellen Querungen eine der möglichen Formen dar. Die Schweizer<br />
Norm SN 640 240 definiert Querungen als Verkehrsanlagen, bei denen<br />
sich die Wege des Fussgänger- und leichten Zweiradverkehrs mit denjenigen<br />
anderer Verkehrsarten kreuzen.<br />
Das Überqueren einer Verkehrsfläche des motorisierten Individualverkehrs<br />
zu Fuss ist per se ein sehr komplexer Vorgang. Es gilt, innerhalb<br />
der Verkehrsströme die Zeitlücken einzuschätzen, die ein Überqueren der<br />
Fahrbahn ermöglichen. Dabei müssen Länge, Distanz und Geschwindigkeit<br />
dieser Zeitlücken gleichzeitig auf mindestens zwei Spuren beurteilt
Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren 201<br />
Erschwerende<br />
Faktoren<br />
Beispiel 1:<br />
Überqueren von mehr<br />
als zwei Spuren<br />
Beispiel 2:<br />
Überqueren bei zu<br />
geringer Sicht nach<br />
links<br />
werden. Zudem vergrössern sich die Komplexität und folglich das Risiko,<br />
wenn erschwerende Umstände dazu kommen.<br />
So können bereits Lage und Typ der zu überquerenden Verkehrsfläche<br />
erschwerende Faktoren darstellen. Ebenso können fehlende oder inadäquate<br />
verkehrstechnische Infrastrukturelemente die Sicherheit des überquerenden<br />
<strong>Fussverkehr</strong>s erheblich beeinträchtigen. Dieser Befund ist im<br />
Folgenden anhand einiger konkreter Beispiele illustriert:<br />
a) Lage und Typ der Querung<br />
Das Überqueren einer Fahrbahn, die mehr als zwei Spuren aufweist, ist<br />
erheblich schwieriger und folglich risikoreicher. Das geht bereits aus der<br />
theoretischen Analyse des Vorgangs hervor, was im Folgenden am Beispiel<br />
einer dreispurigen Strasse dargestellt wird. In der Regel werden auf<br />
solchen Strassen zwei Spuren in die eine Richtung und eine Spur in die<br />
Gegenrichtung betrieben (seltene Ausnahme: Einbahnstrasse mit drei<br />
oder mehr Spuren in dieselbe Richtung). Bei dieser Konstellation müssen<br />
Fussgänger die Zeitlücken auf drei Spuren beurteilen, was die Komplexität<br />
ausserordentlich erhöht. Ebenso problematisch ist diese Situation aus<br />
Sicht der Motorfahrzeuglenker, speziell auf den beiden Spuren, die in<br />
gleicher Richtung betrieben werden. Halten Lenker auf der rechten Spur,<br />
um Fussgängern die Überquerung zu ermöglichen, ist das für Lenker auf<br />
der linken Spur oft nicht oder nicht rechtzeitig ersichtlich. So entsteht eine<br />
für den Fussgänger sehr gefährliche Situation, denn er beginnt zu überqueren<br />
in der Annahme, dass die Fahrzeugströme auf beiden Spuren anhalten.<br />
Einen Hinweis auf die Gefährlichkeit dieser Situation geben die<br />
Erkenntnisse von Scaramuzza & Ewert (1997): Fussgängerstreifen, die<br />
über drei oder mehr Spuren führen, sind signifikant häufiger unfallbelastet<br />
als Fussgängerstreifen, die nur zwei Spuren queren. Wenngleich sich<br />
diese Studie spezifisch auf Querungen mit Fussgängerstreifen bezieht,<br />
erscheinen Analogieschlüsse auf Querungen generell plausibel.<br />
Ein weiteres Beispiel einer risikoreichen Situation ist die Querung mit einer<br />
– bezüglich der gefahrenen Geschwindigkeiten des motorisierten Individualverkehrs<br />
– für den Fussgänger zu geringen Sicht nach links. Diese<br />
Ausgangslage verunmöglicht es, die Zeitlücken richtig einzuschätzen.<br />
Scaramuzza & Ewert (1997) stützen diese Überlegung: Fussgängerstrei-
202 Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren<br />
Beispiel 1:<br />
Querung ohne<br />
Fussgängerstreifen<br />
bei grossem<br />
Querungsbedarf<br />
Beispiel 2:<br />
Querung ohne<br />
Mittelinsel<br />
Fall 1:<br />
Fehlende<br />
verkehrstechnische<br />
Voraussetzungen<br />
Beispiel 1:<br />
Querung mit<br />
ungenügender Sicht<br />
fen, die eine geringe Sicht nach links aufweisen, sind signifikant häufiger<br />
unfallbelastet als Fussgängerstreifen mit grosser Sicht nach links.<br />
b) Fehlende Infrastrukturelemente bei Querungen<br />
Ein klassisches Beispiel nicht vorhandener Infrastrukturelemente ist das<br />
Fehlen einer Vortrittsregelung zu Gunsten des <strong>Fussverkehr</strong>s (z. B. Fussgängerstreifen)<br />
bei erhöhtem Querungsbedarf. Dieser Mangel kann sich<br />
vor allem bei hohem Aufkommen des motorisierten Individualverkehrs<br />
negativ auswirken. Bereits 1983 konnte die bfu nachweisen, dass stark<br />
frequentierte Fussgängerstreifen (durchschnittlich 28 Fussgänger pro<br />
Stunde) sicherer sind als Querungen ohne Fussgängerstreifen (Schweizerische<br />
Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu, 1983).<br />
Das Weglassen von Fussgängerschutzinseln (Mittelinseln) fällt ebenfalls<br />
in die Problematik fehlender Infrastrukturelemente für den <strong>Fussverkehr</strong><br />
bei Querungen. Diese einfache bauliche Massnahme reduziert die Komplexität<br />
beim Überqueren erheblich. Sie wird jedoch oft aus Kosten-,<br />
manchmal aus Platzgründen nicht realisiert (wobei bei engen Verhältnissen<br />
oft Platzmangel vorgeschoben wird, wenn in Wirklichkeit die Kosten<br />
für bauliche Anpassungen gescheut werden). Die hohe Wirksamkeit dieser<br />
Massnahme wird von diversen Studien belegt (Thompson, Heydon &<br />
Charnley, 1990; Scaramuzza & Ewert, 1997; Zegeer et al., 2005).<br />
c) Inadäquate Infrastrukturelemente bei Querungen<br />
In einem ersten Fall wird das Problem von inadäquaten Infrastrukturelementen<br />
veranschaulicht. Hier wird „inadäquat“ in dem Sinne verstanden,<br />
dass Elemente realisiert wurden, obwohl die verkehrstechnischen<br />
Voraussetzungen dazu nicht erfüllt waren. Solche Fälle entstehen nicht<br />
selten unter politischem Druck.<br />
Dazu sei das Beispiel der Querung in einer Kurve mit ungenügender Sicht<br />
nach links nochmals aufgegriffen. Wird in einem solchen Fall – ohne zusätzliche<br />
Anpassungen – ein Fussgängerstreifen markiert, so suggeriert<br />
diese Markierung dem Fussgänger eine nicht vorhandene, also falsche<br />
Sicherheit.
Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren 203<br />
Beispiel 2:<br />
Querung mit<br />
Konfliktgrün<br />
Fall 2:<br />
Unkorrekte<br />
Ausführung<br />
Beispiel 1:<br />
Fehlerhaft gestaltete<br />
Trottoirüberfahrt<br />
Ein weiteres Beispiel ist der Betrieb von lichtsignalgesteuerten Kreuzungen<br />
mit so genanntem Konfliktgrün. Art. 68 Abs. 3 der Signalisationsverordnung<br />
SSV gestattet zwar indirekt diese Betriebsform: „Wird die<br />
Fahrt durch grüne Pfeile ohne gelbes Blinklicht freigegeben, muss auch<br />
das Zusammentreffen von abbiegenden Fahrzeugen mit Fussgängern in<br />
der Querstrasse … ausgeschlossen sein.“ Speziell wenn ältere Leute<br />
oder Kinder an solchen Orten die Strasse überqueren, ist aber der Betrieb<br />
mittels Konfliktgrün ungeeignet. Diese Personengruppen verlassen sich<br />
auf die „grün“ zeigende Ampel und sind sich kaum bewusst, dass sie zusätzlich<br />
Fahrzeuge beachten müssen, deren Lenker allenfalls das gelbe<br />
Blinklicht nicht bemerkt haben. Diese Betriebsform wird jedoch oft gewählt,<br />
wenn die Bewältigung des motorisierten Individualverkehrs Priorität<br />
geniesst. Unfälle dieses Typs sind zwar selten, jedoch sehr schwer.<br />
Ein zweiter Fall betrifft inadäquate Elemente im Sinne von „unkorrekt<br />
und/oder unvollständig ausgeführt“. Unkenntnis der Normen und/oder der<br />
Gesetze seitens der projektierenden Fachperson oder mangelnde Ressourcen<br />
beim Geldgeber sind oft ausschlaggebend für das Entstehen solcher<br />
Anlagen.<br />
Dieses Problem sei in einem ersten Beispiel anhand einer falsch ausgeführten<br />
Trottoirüberfahrt illustriert. Gemäss Art. 15 Abs. 3 der Verkehrsregelverordnung<br />
muss, „wer … über ein Trottoir auf eine Haupt- oder Nebenstrasse<br />
fährt, den Benützern dieser Strassen den Vortritt gewähren.“<br />
Gleichzeitig sind gemäss Art. 41 Abs. 2 Fahrzeuglenker, die mit einem<br />
Fahrzeug das Trottoir benützen, gegenüber den Fussgängern und Benützern<br />
von fahrzeugähnlichen Geräten zu besonderer Vorsicht verpflichtet<br />
und müssen ihnen den Vortritt lassen. Eine Voraussetzung für das Funktionieren<br />
dieser Regel ist, dass Lenker anhand der Ausgestaltung der<br />
Trottoirüberfahrt erkennen können, ob sie, von der Seitenstrasse her<br />
kommend, bei der Einmündung tatsächlich ein Trottoir überfahren. Dazu<br />
muss dieses gewissen Gestaltungsprinzipien entsprechen (vgl. dazu Abbildung<br />
31). Sonst kann der Lenker seine Vortrittspflicht aus dem Erscheinungsbild<br />
nicht ableiten und wird demnach dem Fussgänger den Vortritt<br />
nicht gewähren.
204 Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren<br />
Abbildung 31:<br />
Trottoirüberfahrt. Nur<br />
auf Grund der<br />
„hinteren“ Pflasterstein-Reihe<br />
(1) kann<br />
der – im Bild von<br />
rechts (2) kommende<br />
– Lenker erkennen,<br />
dass er im Begriff ist,<br />
ein Trottoir (3) zu<br />
überfahren.<br />
Beispiel 2:<br />
Unkorrekte<br />
Fussgängerstreifen-<br />
Beleuchtung<br />
Querungen machen<br />
max. 10 % eines zu<br />
Fuss zurückgelegten<br />
Weges aus<br />
Querungen sind vor<br />
allem innerorts<br />
risikovoll<br />
3<br />
Ein zweites Beispiel stellen unkorrekt beleuchtete Fussgängerstreifen dar.<br />
Eine Person, die nachts an einem beleuchteten Fussgängerstreifen beabsichtigt,<br />
die Strasse zu überqueren, wird sich kaum die Frage stellen, ob<br />
die Beleuchtungs-Kandelaber korrekt positioniert sind. Es ist jedoch genau<br />
von der Lage dieser Kandelaber abhängig, ob der nötige Kontrast<br />
entsteht, damit die Lenker überquerende Personen wahrnehmen können.<br />
Letztere gehen davon aus, gesehen zu werden, und nehmen das ihnen<br />
zustehende Vortrittsrecht verständlicherweise sorglos in Anspruch.<br />
Diese kleine Auswahl aus einer Vielzahl von vorhandenen Fällen zeigt,<br />
dass es nicht möglich ist, die Verbreitung jeder einzelnen Variante zu<br />
quantifizieren. Da auch keine konkreten Zahlen vorliegen, wird für die Verbreitung<br />
von Querungen ein Gesamtwert geschätzt. Es ist plausibel, davon<br />
auszugehen, dass Querungen einer Fahrbahn durchschnittlich nur<br />
einen sehr kleinen Teil einer zu Fuss zurückgelegten Strecke ausmachen.<br />
Der Anteil dürfte mit Sicherheit unter 10 % liegen. Veranschaulicht würde<br />
das bedeuten, dass alle 80 Meter Fussweg eine 8 Meter breite Strasse<br />
gequert würde, was bestimmt der oberen Grenze entspricht.<br />
5.3.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Die Quantifizierung von Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz für die einzelnen<br />
dargestellten Fälle ist ebenfalls nicht möglich. Deshalb werden<br />
Gesamtwerte über alle Querungen angegeben. Der Risikofaktor „Querun-<br />
1<br />
2
Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren 205<br />
Tabelle 69<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors<br />
„Querungen“<br />
Definition von<br />
<strong>Fussverkehr</strong> in<br />
Längsrichtung<br />
gen“ ist vor allem innerorts massgebend. 74 % aller Fussgänger-Unfälle<br />
passieren beim Queren von Strassen (nur 5 % bei Unfällen in Längsrichtung,<br />
21 % bei „anderen Fussgänger-Unfällen“). Jährlich werden dabei<br />
617 Fussgänger schwer verletzt oder getötet, das Rettungspotenzial ist<br />
für diesen Unfalltyp somit ausserordentlich hoch. Der Anteil der Unfälle<br />
beim Queren erweist sich auch im Vergleich zum Total aller schwer verletzten<br />
und getöteten Fussgänger als sehr hoch (rund 68 %). Auch ausserorts<br />
ist bei Querungen der Anteil mit 50 % der getöteten und schwer<br />
verletzten Fussgänger hoch (23 % bei Fussgänger-Unfällen in Längsrichtung,<br />
27 % bei „anderen Fussgänger-Unfällen“). Mit 41 Fällen ist jedoch<br />
das Rettungspotenzial um den Faktor 15 tiefer.<br />
5.3.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Querungen innerorts * ***** *****<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
5.4 Defizitäre Infrastruktur für den in Längsrichtung gehenden <strong>Fussverkehr</strong><br />
5.4.1 Ausgangslage und Verbreitung<br />
Der Grundsatz, dass Risiken für den <strong>Fussverkehr</strong> dort entstehen, wo<br />
Konfliktstellen bestehen, also wo sich die Netze des <strong>Fussverkehr</strong>s und<br />
des motorisierten Individualverkehrs berühren (s. Kap. VII.5.1 Einleitung:<br />
Netzgedanken, S. 196), gilt auch für die Führung des <strong>Fussverkehr</strong>s in<br />
Längsrichtung. Das ist die zweite Grundform, die entsteht, wenn sich die<br />
beiden Verkehrsnetze treffen, wobei im Folgenden der Ausdruck „entlang<br />
von Strassen“ synonym gebraucht wird. Bei dieser Grundform werden der<br />
motorisierte Individualverkehr und der <strong>Fussverkehr</strong> im selben Strassenraum<br />
parallel geführt. Das kann beispielsweise auf Trottoirs, auf Längsstreifen<br />
für Fussgänger oder auf einer gemeinsamen Verkehrsfläche erfolgen.
206 Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren<br />
Fussgänger werden<br />
beim Gehen entlang<br />
von Strassen besser<br />
wahrgenommen<br />
Erschwerende<br />
Faktoren<br />
Beispiel:<br />
Sichtbehinderungen<br />
Beispiel: Fehlendes<br />
Trottoir ausserorts<br />
Das Gehen entlang von Strassen wird oft als sehr unangenehm oder gefährlich<br />
empfunden. Das gilt besonders dann, wenn bauliche oder signalisationstechnische<br />
Infrastrukturelemente zur Trennung der Verkehrsflächen<br />
für den <strong>Fussverkehr</strong> und für den motorisierten Individualverkehr<br />
fehlen. Die Unfallzahlen zeigen freilich ein erheblich günstigeres Bild als<br />
bei Querungen. Dieser Umstand kann mit folgender theoretischen Überlegung<br />
gestützt werden:<br />
Personen, die entlang einer Strasse gehen, werden von Fahrzeug-<br />
Lenkern zwangsläufig besser und früher wahrgenommen. Der Überraschungseffekt<br />
des plötzlichen seitlichen Betretens der Fahrbahn, wie er<br />
beim Überqueren vorkommt, entfällt. Somit sind die Fahrzeuglenker prinzipiell<br />
in der Lage, ihr Verhalten rechtzeitig anzupassen.<br />
Ein erhöhtes Risiko ergibt sich indes bei erschwerenden Umständen. Wie<br />
im Falle der Querungen können Lage und Typ des betreffenden Strassenraums<br />
erschwerende Faktoren darstellen. Ebenso können fehlende oder<br />
inadäquate verkehrstechnische Infrastrukturelemente das Risiko für<br />
Fussgänger erhöhen. Auch für den <strong>Fussverkehr</strong> in Längsrichtung wird<br />
dieser Sachverhalt anhand einiger konkreter Beispiele illustriert:<br />
a) Lage und Typ von Längs-Abschnitten<br />
Die Topografie, die Linienführung oder die Gestaltung des Strassenraums<br />
können dazu führen, dass am Fahrbahnrand gehende Personen verdeckt<br />
werden. Dadurch entfällt der für Fahrzeuglenker beschriebene Vorteil,<br />
Personen rechtzeitig wahrnehmen zu können. Beispiele solcher Sichtbehinderungen<br />
sind Kuppen, Kurven in Böschungen oder Sichthindernisse<br />
(Mauern, Hecken u. ä.) am Fahrbahnrand. Der Einfluss auf das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
lässt sich anhand der vorliegenden Unfalldaten nicht quantifizieren.<br />
b) Fehlende Infrastrukturelemente bei Längs-Abschnitten<br />
Das bekannteste Infrastruktur-Element zur sicheren Führung des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
entlang von Strassen ist zweifelsfrei ein Trottoir, das mittels<br />
Randstein baulich von der Fahrbahn abgetrennt ist. Die physische Trennung<br />
bewirkt den erwünschten Schutz für Fussgänger. Sie hält die Fahrzeuglenker<br />
davon ab, zu nahe an die Fussgänger zu fahren. Trottoirs sind
Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren 207<br />
Beispiel:<br />
Längsstreifen für<br />
Fussgänger<br />
Abbildung 32:<br />
Längsstreifen für<br />
Fussgänger: die<br />
Platzverhältnisse<br />
verändern sich nicht –<br />
Sicherheit wird<br />
vorgetäuscht<br />
<strong>Fussverkehr</strong> in<br />
Längsrichtung macht<br />
rund die Hälfte der zu<br />
Fuss zurückgelegten<br />
Wege aus<br />
zwar nicht auf jedem Strassentyp angezeigt. Ausserorts, wo die Geschwindigkeiten<br />
des motorisierten Individualverkehrs wesentlich höher<br />
sind, ist ein fehlendes Trottoir auf stark begangenen Abschnitten unbestreitbar<br />
mit einem erhöhten Risiko für Fussgänger verbunden.<br />
c) Inadäquate Infrastrukturelemente bei Längs-Abschnitten<br />
Ein klassisches Beispiel für inadäquate Infrastrukturelemente entlang von<br />
Strassen sind die so genannten Längsstreifen für Fussgänger (Abbildung<br />
32). Diese einfache Markierung am Strassenrand wird oft als Trottoirersatz<br />
gefordert und nicht selten auch ausgeführt. Meistens sind enge<br />
Platzverhältnisse oder knappe Ressourcen ausschlaggebend für die Wahl<br />
dieser Lösung. Doch diese Markierung bietet weder physischen Schutz<br />
noch ändert sie die bestehenden Platzverhältnisse. Zudem gestattet das<br />
Gesetz dem motorisierten Individualverkehr, diese Flächen – wenngleich<br />
mit der gebotenen Vorsicht – zu befahren. Demzufolge suggeriert diese<br />
Massnahme, abgesehen von wenigen Ausnahmefällen, den Fussgängern<br />
einen nicht vorhandenen Schutz.<br />
Wie für die Querungen ist es auch für den <strong>Fussverkehr</strong> in Längsrichtung<br />
nicht möglich, die Verbreitung jedes einzelnen Falles zu quantifizieren. Da<br />
auch hier keine konkreten Zahlen vorliegen, wird ein Gesamtwert für die<br />
Verbreitung geschätzt. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese<br />
Abschnitte etwas mehr als die Hälfte der zu Fuss zurückgelegten Strecken<br />
ausmachen. Den Rest machen diejenigen Wege aus, die auf voll-
208 Risikofaktoren – Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risikofaktoren<br />
<strong>Fussverkehr</strong> in<br />
Längsrichtung ist vor<br />
allem innerorts<br />
risikovoll<br />
Tabelle 70:<br />
Beurteilung des<br />
Risikofaktors ‚Gehen<br />
in Längsrichtung’<br />
Mangelhafte,<br />
fehlende und falsch<br />
angeordnete<br />
Infrastrukturelemente<br />
führen oft zu<br />
Fussgänger-Unfällen<br />
ständig vom motorisierten Individualverkehr separierten Abschnitten zurückgelegt<br />
werden.<br />
5.4.2 Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz<br />
Auch für den <strong>Fussverkehr</strong> in Längsrichtung ist eine Quantifizierung von<br />
Gefahrenpotenzial und Unfallrelevanz für die einzelnen dargestellten Defizite<br />
nicht möglich. Deshalb wird auch hier ein Gesamtwert für alle Abschnitte<br />
entlang von Strassen angegeben. Der Risikofaktor „Fussgänger-<br />
Unfall in Längsrichtung“ ist vorwiegend innerorts massgebend. Innerorts<br />
sind 40 getötete und schwer verletzte Fussgänger pro Jahr zu verzeichnen<br />
gegenüber 19 getöteten und schwer verletzten Fussgängern ausserorts.<br />
Was hervorgehoben werden muss, ist das letztlich massiv geringere Risiko<br />
beim Gehen entlang von Strassen im Gegensatz zum Überqueren<br />
von Strassen.<br />
5.4.3 Risikobeurteilung<br />
Risikofaktor Verbreitung Gefahrenpotenzial Unfallrelevanz<br />
Gehen in<br />
Längsrichtung<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
5.5 Zusammenfassung und Fazit<br />
***** * **<br />
Die Strasseninfrastruktur ist grösstenteils stark auf den motorisierten Verkehr<br />
ausgerichtet. <strong>Fussverkehr</strong>sspezifische Infrastrukturelemente sind oft<br />
mangelhaft, gänzlich fehlend, falsch angeordnet, nicht behindertengerecht<br />
oder mangels Netzplanung nur lückenhaft vorhanden. Das ist mit Sicherheitseinbussen<br />
– namentlich bei Querungen – für den <strong>Fussverkehr</strong> verknüpft.<br />
Hohe Übersehbarkeit infolge der geringen Ausdehnung bringen<br />
die Fussgänger in Konfliktsituationen mit dem motorisierten Verkehr. Die<br />
Folge ist ein relativ hoher Anteil von Kollisionsunfällen, bei denen fast<br />
ausschliesslich die Fussgänger, schuldig oder unschuldig, die Leidtragenden<br />
sind.
Risikofaktoren – Zusammenfassung Risikofaktoren 209<br />
Bedeutung eines<br />
Risikofaktors<br />
ergibt sich aus<br />
Verbreitung und<br />
Gefahrenpotenzial<br />
Fussgänger sind<br />
aufgrund<br />
entwicklungs- und<br />
alterungsbedingter<br />
Faktoren gefährdet<br />
70 % der verunfallten<br />
Kinder wird ein<br />
Fehlverhalten<br />
zugeschrieben<br />
6. Zusammenfassung Risikofaktoren<br />
Fussgänger und Fussgängerinnen sind durch eine Vielzahl von Risikofaktoren<br />
gefährdet. Diese wurden im Kapitel VII diskutiert. Gruppiert wurden<br />
die Risikofaktoren danach, ob sie von den Fussgängern selbst ausgehen<br />
(Kap. VII.2), von den Kollisionsgegnern (Kap. VII.3), von den<br />
Kollisionsobjekten (Kap. VII.4) oder der Infrastruktur (Kap. VII.5). Basierend<br />
auf der Verbreitung eines Risikofaktors (wie häufig sind Fussgänger<br />
damit konfrontiert) und dessen Gefahrenpotenzial (wie stark beeinflusst er<br />
das Unfallrisiko und die Verletzungsschwere) wurde die Unfallrelevanz<br />
ermittelt. Prävention sollte sich schwergewichtig auf Risikofaktoren mit<br />
einer hohen Unfallrelevanz (mit **** oder ***** gekennzeichnet) beziehen.<br />
Bei den Fussgängern selbst bestehen vor allem Risiken im Zusammenhang<br />
mit Entwicklungs- und Alterungsprozessen. Kinder und ältere Menschen<br />
sind insbesondere durch kognitive Defizite in der Wahrnehmung<br />
und der Informationsverarbeitung gefährdet. Kinder sind zudem durch<br />
motivationale Aspekte – insbesondere durch ihre Vertieftheit ins Spielen –<br />
zusätzlich gefährdet.<br />
Kinder bis 14 Jahre machen rund 22 % der schwer oder tödlich verunfallten<br />
Fussgänger aus. Dieser Anteil liegt deutlich über ihrem Bevölkerungsoder<br />
ihrem Expositionsanteil. Das überdurchschnittliche Unfallrisiko ist<br />
zwar auf diverse Faktoren zurückzuführen; es ist aber davon auszugehen,<br />
dass die defizitäre Kognition ein wesentlicher ist: Ein Kind, das z.B. die<br />
Geschwindigkeit eines herannahenden Fahrzeugs nicht richtig einschätzt,<br />
riskiert beim Queren der Strasse schnell einmal sein Leben. Es verwundert<br />
nicht, dass sowohl den 0- bis 6-Jährigen als auch den 7- bis 14-Jährigen<br />
im Fall einer Kollision zu rund 70 % eigenes Fehlverhalten zugeschrieben<br />
wird.<br />
Weniger sicherheitsrelevant für die Fussgänger insgesamt sind die Faktoren<br />
geringe Körpergrösse der Kinder, mangelhaftes verkehrsrelevantes<br />
Wissen oder ungenügendes Gefahrenbewusstsein der Fussgänger und<br />
Fussgängerinnen.
210 Risikofaktoren – Zusammenfassung Risikofaktoren<br />
Senioren verunfallen<br />
oft unschuldig – sie<br />
können nicht adäquat<br />
auf Fehler anderer<br />
reagieren<br />
Fussgänger durch<br />
unangepasste<br />
Verhaltensweisen der<br />
MFZ-Lenkenden<br />
gefährdet<br />
Fussgänger vor allem<br />
durch zweispurige<br />
Motorfahrzeuge<br />
gefährdet<br />
Schwer verletzte und getötete zu Fuss Gehende ab 65 Jahren machen<br />
rund einen Drittel der total schwer oder tödlich verunfallten Fussgänger<br />
aus. Senioren erleiden auf einem zu Fuss zurückgelegten Kilometer um<br />
ein Mehrfaches häufiger schwere oder tödliche Verletzungen als jüngere<br />
Erwachsene: Ab 70 Jahren rund doppelt so oft, ab 85 Jahren mehr als<br />
fünfmal so oft. Das hängt nicht nur mit ihrer hohen Vulnerabilität zusammen.<br />
Da 70 % der schwer verletzten oder getöteten Senioren ohne eigenes<br />
Verschulden verunfallen, liegt die Vermutung nahe, dass Senioren zu<br />
Schaden kommen, weil sie nicht auf die Fehler der anderen (z. B. Anhaltemissachtung<br />
vor Fussgängerstreifen) reagieren können. Bei den von<br />
den Senioren verschuldeten Unfällen liegt die Ursache in 60 % der Fälle<br />
beim unachtsamen Betreten der Strasse – das sicher auch, weil Senioren<br />
relevante Informationen falsch wahrnehmen und verarbeiten.<br />
Die Lenkenden der Kollisionsobjekte gefährden Fussgänger vor allem<br />
durch unangepasste Verhaltensweisen. Am negativsten wirken sich Überschreitung<br />
der Geschwindigkeitslimite und unangepasste Geschwindigkeitswahl,<br />
Vortrittsmissachtung an Fussgängerstreifen und unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren aus. Dahinter stecken oft mangelnde Gefahrenkognition<br />
und Selbstkontrolle. D. h., die Fahrzeuglenkenden haben keine grundlegenden<br />
Schwierigkeiten, ihr Fahrzeug zu lenken, sondern sie verkennen<br />
die Gefährlichkeit ihres Handelns. Ein weiterer Problembereich stellen<br />
Ablenkungen dar, die sowohl visueller als auch mentaler Natur sein können<br />
(z. B. Blick nicht auf den Verkehrsraum gerichtet oder in Telefongespräch<br />
vertieft).<br />
Als weniger belastend für das <strong>Unfallgeschehen</strong> der Fussgänger wurde der<br />
Verzicht auf Taglicht, das Fahren unter Substanzen (Alkohol, illegale Drogen<br />
und Medikamente) oder in übermüdetem Zustand, mangelhafte Fahrzeugbeherrschung<br />
und Leistungsbeeinträchtigung in den Bereichen Wahrnehmung,<br />
Motorik und Kognition eingestuft.<br />
Fussgänger kollidieren hauptsächlich mit zweispurigen Motorfahrzeugen.<br />
Demgegenüber sind einspurige Motorfahrzeuge und insbesondere Fahrräder<br />
von untergeordneter Bedeutung.<br />
Entscheidend sind vor allem die beiden strukturgeometrischen Fronteigenschaften:<br />
Form und Steifigkeit. Ein erhöhtes Risiko für schwere<br />
Verletzungen besteht vor allem bei einer hohen und gleichzeitig steilen
Risikofaktoren – Zusammenfassung Risikofaktoren 211<br />
Fussgänger durch<br />
lückenhaftes<br />
Fusswegnetz und<br />
suboptimale<br />
Infrastrukturelemente<br />
gefährdet<br />
Fazit:<br />
Die Sicherheit der<br />
Fussgänger hängt vor<br />
allem von Faktoren<br />
ab, die sie selber<br />
wenig beeinflussen<br />
können<br />
Front sowie bei ausgeprägter Festigkeit. Durch eine hohe und steile Front<br />
besteht die Gefahr eines primären (Kopf-)Aufpralls mit einem anschliessenden<br />
Wegschleudern und einem sekundären Aufprall auf der Strasse.<br />
Die Festigkeit der Fronten lässt kaum Deformationsmöglichkeiten zu, wodurch<br />
beim Aufprall hohe Beschleunigungsbelastungen entstehen.<br />
Von geringer Unfallrelevanz sind demgegenüber die Fahrzeugmasse,<br />
Frontschutzbügel massiver Bauart, dunkle Fahrzeugfarbe oder starre<br />
Lichtkegel der konventionellen Scheinwerfer.<br />
Das Gefährliche an der Infrastruktur ist für den <strong>Fussverkehr</strong> insbesondere<br />
deren primäre Ausrichtung auf den motorisierten Verkehr. Oft fehlt eine<br />
umfassende Netzplanung, die auch den Bedürfnissen des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
gerecht wird. Die Folge sind ein lückenhaftes <strong>Fussverkehr</strong>snetz sowie<br />
fehlende Informationen zu potenziellen Konfliktstellen. Ein lückenloses<br />
Netz ist notwendig – insbesondere was Querungselemente anbelangt –,<br />
aber noch nicht hinreichend. Hinreichende Sicherheit ist nur gegeben,<br />
wenn bei den potenziellen Konfliktstellen adäquate (im Sinne von bestpractice)<br />
Elemente projektiert sowie korrekt und behindertengerecht ausgeführt<br />
werden.<br />
Insgesamt wurde deutlich, dass Risikofaktoren, die von der Infrastruktur<br />
ausgehen, für die Fussgänger die grösste Relevanz aufweisen. Es folgen<br />
Risikofaktoren, die bei den Motorfahrzeuglenkenden und ihren Fahrzeugen<br />
anzusiedeln sind. Im Vergleich zu diesen sind Risiken, die von den<br />
Fussgängern selbst ausgehen – mit Ausnahme der defizitären Kognition<br />
von Kindern und älteren Menschen, die aber kaum zu eliminieren ist – für<br />
die Fussgänger insgesamt weniger relevant.<br />
Welche Möglichkeiten bestehen, um die Verkehrssicherheit der Fussgänger<br />
und Fussgängerinnen zu erhöhen und wie diese konkret umgesetzt<br />
werden können, wird im nächsten Kapitel erörtert.
212 Prävention – Einleitung<br />
Systematik der<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
VIII. PRÄVENTION<br />
1. Einleitung<br />
Im Kapitel VII wurden einerseits das <strong>Unfallgeschehen</strong> analysiert und<br />
andererseits Risikofaktoren identifiziert. Ausgehend von diesen Ergebnissen<br />
werden im vorliegenden Kapitel Möglichkeiten aufgezeigt, wie die<br />
aufgedeckten Problempunkte entschärft werden können. In einem ersten<br />
Schritt wird jeweils die Präventionsmöglichkeit und in einem zweiten<br />
Schritt werden die entsprechenden Förderungsmassnahmen beschrieben.<br />
Präventionsmöglichkeiten zeigen auf, was bei den Systemelementen<br />
Mensch, Fahrzeug und Umwelt geändert werden muss und stellen somit<br />
eine Art Zielsetzung dar (z. B. angemessene Geschwindigkeiten der motorisierten<br />
Fahrzeuglenker, fussgängerfreundliche Fahrzeugfronten, Netzplanung<br />
unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des <strong>Fussverkehr</strong>s). Förderungsmassnahmen<br />
zeigen auf, mit welchen Mitteln die Präventionsmöglichkeiten<br />
realisiert werden können (z. B. gesetzliche Änderungen bei<br />
der Fahrausbildung, Weiterbildungsangebote für (Verkehrs-)Ingenieure<br />
etc.). Sowohl die Präventionsmöglichkeiten als auch die Förderungsmassnahmen<br />
werden anhand verschiedener Kriterien bewertet. Die systematische<br />
Bewertung erlaubt es, alle Handlungsmöglichkeiten miteinander<br />
zu vergleichen, so dass eine Prioritätenliste mit effektiven (d. h. Erfolg<br />
versprechenden) und effizienten Präventionsbemühungen erstellt werden<br />
kann.<br />
2. Einführung in die Thematik<br />
2.1 Präventionsmöglichkeiten<br />
Mit der Erweiterung des epidemiologischen Modells um die Dimension<br />
Zeit ergibt sich ein für die Prävention nützliches Raster. Die Präventionsmöglichkeiten<br />
können einerseits einer Zeitphase des Unfallablaufs (Precrash,<br />
Crash, Postcrash), andererseits einem der vier Systemelemente<br />
Mensch, Energie/Fahrzeug, physische oder soziale Umwelt zugeordnet<br />
werden (Haddon Jr., 1980).
Prävention – Einführung in die Thematik 213<br />
Tabelle 71:<br />
Haddon-Matrix<br />
Förderungsmassnahmen<br />
Phasen<br />
Vor<br />
Ereignis<br />
Während<br />
Ereignis<br />
Nach<br />
Ereignis<br />
Mensch<br />
Energie,<br />
Fahrzeug<br />
Faktoren<br />
Physische<br />
Umwelt<br />
Soziale<br />
Umwelt<br />
Haddon Sr. (1968) hat zudem Regeln formuliert, welche die Auswahl<br />
möglicher Massnahmen eingrenzen. So ist es zum Beispiel effizienter, die<br />
gefährliche Energie zu reduzieren (z. B. Geschwindigkeitsreduktion im<br />
Strassenverkehr) als das schützenswerte Objekt resistenter zu machen<br />
(z. B. Verbesserung der Kollisionseigenschaften schwacher Verkehrsteilnehmender).<br />
Weiter sind Massnahmen zur Vermeidung des Unfalls<br />
gegenüber sekundär- und tertiärpräventiven Massnahmen (wirken während<br />
und nach dem Unfall) zu bevorzugen. Zudem sollen sämtliche Bestrebungen<br />
dazu beitragen, das Strassenverkehrssystem so zu gestalten,<br />
dass die Aufgabe der individuellen Verkehrsteilnahme in ihrer Komplexität<br />
(und damit Fehleranfälligkeit) vereinfacht wird.<br />
Die Wirkung von Präventionsmöglichkeiten wird aufgrund ihres Wirkungsbereichs<br />
(bei welchem Anteil der Unfälle kann die Massnahme angewandt<br />
werden?) und ihrer Wirksamkeit (welchen Anteil der Verletzungen und<br />
Todesfälle kann die Massnahme tatsächlich verhindern, wenn sie angewandt<br />
wird?) berechnet. Diese Faktoren werden so weit wie möglich<br />
durch empirische Befunde festgelegt oder bei fehlenden Informationen<br />
durch Expertenmeinungen abgeschätzt.<br />
Für die so bewerteten Präventionsmöglichkeiten werden schliesslich Förderungs-<br />
resp. Umsetzungsmassnahmen bestimmt. Es werden effiziente<br />
Möglichkeiten vorgeschlagen, die bei den gegebenen sozialen, politischen,<br />
technischen und finanziellen Rahmenbedingungen realisierbar sind.
214 Prävention – Einführung in die Thematik<br />
2.2 Grundarten von Förderungsmassnahmen<br />
Förderungsmassnahmen können den drei Bereichen Engineering (technische<br />
Massnahmen), Education (pädagogische Massnahmen) und Enforcement<br />
(rechtliche Massnahmen) zugeordnet werden. Erfahrungen mit<br />
Verkehrssicherheitsmassnahmen haben zu folgenden, allgemein akzeptierten<br />
Anwendungsregeln geführt:<br />
• Strukturelle und technische Massnahmen (Engineering; z. B. fussgängerspezifische<br />
Strukturelemente gemäss VSS-Normen) sind wirkungsvoller<br />
und nachhaltiger als Kontrollen (Enforcement) und Sensibilisierung<br />
(Erziehung/Education).<br />
• Ausbildungs- und Erziehungsmassnahmen (Education) sind als<br />
Basismassnahme wichtig. Sie dürfen aber nicht zu überschätzten Erwartungen<br />
führen (z. B. gerade bei Kindern). Da punktuell fehlerhaftes<br />
Verhalten im Wesen des Menschen liegt (nicht aber systematisches<br />
Fehlverhalten), müssen andere Systemelemente wie die Infrastruktur<br />
oder das Fahrzeug mögliche Fehler der Verkehrsteilnehmer auffangen.<br />
Zu unterscheiden ist zwischen Verkehrserziehung mit direktem Kontakt<br />
zum Zielpublikum (klassische Verkehrserziehung, Kurse etc.) oder<br />
ohne direkten Kontakt (z. B. mittels Kampagnen via Massenmedien).<br />
• Gesetzgebung und Kontrolle (Enforcement) haben positive Auswirkungen<br />
auf die Unfallzahlen, sofern die Gesetze verständlich und umsetzbar<br />
und die Kontrollen intensiv genug sind und wahrgenommen<br />
werden.<br />
Es bleibt anzumerken, dass die Verknüpfung von Education und Enforcement<br />
(z. B. 2-Phasenmodell der Fahrausbildung, Verkehrskontrollen mit<br />
Feedback) deutlich wirksamer ist als die Anwendung einer isolierten<br />
Massnahme.
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 215<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
müssen durch<br />
konkrete Förderungsmassnahmen<br />
realisiert werden<br />
Nicht alles, was viele<br />
Verletzungen<br />
verhindern könnte, ist<br />
machbar<br />
Risikofaktoren in<br />
Zusammenhang mit<br />
dem Alter können<br />
kaum beeinflusst<br />
werden<br />
3. Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
3.1 Einleitung<br />
Wie können Risikofaktoren, die die Sicherheit der Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
beeinträchtigen und von ihnen selbst ausgehen, reduziert<br />
werden? In diesem Kapitel sollen in einem ersten Schritt für die identifizierten<br />
Risikofaktoren Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie diese vermieden<br />
oder reduziert werden können. Für diese Präventionsmöglichkeiten<br />
wird aufgrund der beeinflussbaren Anzahl Unfälle (Wirkungsbereich)<br />
die Anzahl vermeidbarer schwerer und tödlicher Verletzungen<br />
bestimmt. Dadurch kann der Sicherheitsgewinn für den <strong>Fussverkehr</strong> eingeschätzt<br />
werden. In einem zweiten Schritt werden konkrete Förderungsmassnahmen<br />
vorgeschlagen, wie diese Präventionsmöglichkeiten<br />
realisiert werden können.<br />
Nicht jede Massnahme dient der Förderung einer Präventionsmöglichkeit<br />
in gleichem Mass: Manche sind politisch nicht durchsetzbar, erreichen die<br />
falschen Leute, sind angesichts des zu erwartenden Nutzens zu teuer<br />
oder werden von den Fussgängern selbst nicht akzeptiert. Solche Überlegungen<br />
schlagen sich in der Beurteilung der konkreten Förderungsmassnahmen<br />
nieder. Daraus wiederum resultiert die Handlungsempfehlung<br />
(sehr empfehlenswert, empfehlenswert, bedingt empfehlenswert,<br />
nicht empfehlenswert). Eine Präventionsmöglichkeit mit einem geringen<br />
Rettungspotenzial kann empfehlenswert sein, wenn es sehr wirkungsvolle<br />
und kostengünstige Massnahmen gibt, um dieser zur Realisierung zu verhelfen.<br />
Andererseits können Präventionsmöglichkeiten mit grossem Rettungspotenzial<br />
unrealistisch und somit (im Moment) wenig empfehlenswert<br />
sein.<br />
Es gibt risikosteigernde Faktoren, die nicht direkt beeinflussbar sind. Sie<br />
begleiten den Fussgänger quasi auf Schritt und Tritt. Gemeint sind z. B.<br />
entwicklungs- oder alterungsbedingte Defizite (etwa bezüglich Wahrnehmung<br />
und Informationsverarbeitung) bzw. Eigenschaften (etwa das<br />
Spielmotiv der Kinder oder ihre geringe Körpergrösse). Was das für mögliche<br />
Präventionsmassnahmen bedeutet, wird unter Kap. VIII.3.2 , S. 216,<br />
diskutiert.
216 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Mangelnde<br />
Kompetenzen<br />
begünstigen<br />
gefährliches<br />
Verhalten<br />
Mangelhafte kognitive<br />
Fähigkeiten bei<br />
Kindern und Senioren<br />
Andere Risikofaktoren haben mit fehlenden Kompetenzen zu tun. Sie<br />
können durch Edukation verbessert werden. Diskutiert werden Massnahmen,<br />
die verkehrsrelevantes Wissen, Gefahrenbewusstsein und<br />
sicherheitsbewusste Einstellungen fördern (Kap. VIII.3.3, S. 224). Fehlende<br />
Kompetenzen sind eine mögliche Ursache von unvorsichtigem Verhalten.<br />
Wissen und Gefahrenbewusstsein müssen insbesondere in Bezug auf sicheres<br />
Queren in diversen Situationen vermittelt werden. Zusätzliche Aufmerksamkeit<br />
sollte den Themen Sichtbarkeit und Alkoholkonsum gewidmet werden.<br />
Am Ende des Kapitels folgt eine Zusammenfassung der diskutierten<br />
Massnahmen, die bei den Fussgängern selbst zur Anwendung kommen,<br />
zur Reduzierung ihrer Risiken (Kap. VIII.3.4, S. 231).<br />
3.2 Eignung: entwicklungs- und alterungsbedingte Defizite<br />
3.2.1 Ausgangslage<br />
Im Kapitel Risikofaktoren wurden entwicklungs- bzw. alterungsbedingte<br />
Defizite bei Kindern bzw. Senioren in der Wahrnehmung und der Infor-<br />
mationsverarbeitung identifiziert (Kap. VII.2.2, S. 122). Diese beeinflussen<br />
das <strong>Unfallgeschehen</strong> von Kindern und Senioren massgebend. So haben<br />
sowohl jüngere Kinder als auch Senioren pro zu Fuss zurückgelegten Kilometer<br />
(oder Stunde im Verkehr) ein deutlich überdurchschnittliches Unfallrisiko.<br />
Dass hier kognitive Defizite eine massgebende Rolle spielen, ist<br />
sehr plausibel; allerdings bei Kindern bzw. Senioren auf unterschiedliche<br />
Art und Weise, wie die Mängelauswertungen der Polizei zeigen:<br />
Während Kindern in sieben von zehn Kollisionen eine (Mit-)Schuld zugeschrieben<br />
wird, werden Senioren nur in drei von zehn Fällen bemängelt.<br />
Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich kognitive Defizite bei Kindern<br />
eher in aktiv unsicherem Verhalten äussern (auf die Strasse springen),<br />
bei Senioren hingegen eher in reaktiv unsicherem Verhalten (nicht<br />
schnell genug auf fehlbares Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer reagieren<br />
können).
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 217<br />
Kinder zusätzlich<br />
durch Spiel gefährdet<br />
Geringe Körpergrösse<br />
kein zentraler<br />
Risikofaktor<br />
Kinder als<br />
Risikogruppe<br />
Senioren als<br />
Risikogruppe<br />
Zwar gewinnen Kinder zwischen dem 7. und 9. Lebensjahr markant an<br />
Fertigkeiten, aber auch ältere Kinder sind noch nicht in den Lage, die<br />
Gefahren des Verkehrs vollständig zu erfassen. So sind auch noch über<br />
10-jährige Kinder oft durch spielerische Elemente abgelenkt (Kap. VII.2.3<br />
Spielmotiv, S. 128).<br />
Die Körpergrösse hat sich hingegen bezogen auf das Kollektiv der verunfallten<br />
Fussgänger als kein gewichtiger Risikofaktor herausgestellt. Kinder<br />
und Personen über 75 Jahre verunfallen im Vergleich zu andern Altersgruppen<br />
zwar überdurchschnittlich häufig, weil sie die Verkehrssituation<br />
nicht überschauen können. Von festen oder mobilen Bauten verdeckt zu<br />
sein, ist insgesamt aber ein seltener Unfallgrund – auch für Kinder (Kap.<br />
VII.2.4, S. 130).<br />
Kinder zwischen 0 und 6 Jahren bzw. zwischen 7 und 14 Jahren machen<br />
8 resp. 15 % der schwer verletzten und getöteten Fussgänger aus – bei<br />
einem Bevölkerungsanteil von 7.1 bzw. 9.5 %. Somit sind insbesondere 7-<br />
bis 14-jährige Kinder häufiger in Fussgängerunfälle verwickelt als aufgrund<br />
ihres Bevölkerungsanteils zu erwarten wäre.<br />
Jüngere Kinder sind dennoch in Präventionsbemühungen einzubeziehen.<br />
Sie gelten als besonders schützenswert, weil sie mit geringer Freiwilligkeit<br />
am Verkehr teilnehmen (es steht ihnen keine andere selbstständige Fortbewegungsart<br />
zur Verfügung) – das gilt zum Teil auch für Senioren. Zudem<br />
verursachen bleibende Schäden oder gar Invalidität in jungen Jahren<br />
für die Gesellschaft markant mehr Kosten.<br />
Von den schwer verletzten oder getöteten Fussgängern sind gut ein Drittel<br />
Personen über 64 Jahre. In dieser Altersgruppe gibt es jedoch sehr<br />
grosse Unterschiede bezüglich physischer und psychischer Verfassung.<br />
Personen über 64 Jahre verunfallen rund dreimal mehr als der Durchschnitt<br />
der Bevölkerung.<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
Kinder und Senioren können und sollen nicht vom Verkehr ausgeschlossen<br />
werden. Es müssen also Lösungen gefunden werden, die ihnen trotz<br />
ihrer altersbedingten Schwierigkeiten eine möglichst sichere Teilnahme<br />
ermöglichen.
218 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Schulung jüngerer<br />
Kinder und älterer<br />
Menschen hat<br />
Grenzen<br />
Punktuelles Begleiten:<br />
ja; absolute<br />
Kontrolle: nein<br />
Zusätzliche<br />
Sicherheitsmassnahmen<br />
bei<br />
selbständigem zu<br />
Fuss Gehen<br />
Kinder und Senioren können gerade wegen ihrer entwicklungs- bzw. alterungsbedingten<br />
Defizite kaum auf verlässliches Sicherheitsverhalten im<br />
Verkehr geschult werden. Es ist daher unabdingbar, dass auch die andern<br />
Verkehrsteilnehmenden sensibilisiert werden sowie ihre Fahrzeuge und<br />
die Infrastruktur so beschaffen sind, dass Defizite der Kinder und Senioren<br />
nicht zu schweren Unfällen führen können. Präventionsmöglichkeiten,<br />
die bei den Kollisionsgegnern, deren Fahrzeugen oder bei der<br />
Strasseninfrastruktur ansetzen, werden in den Kapiteln 4 (S. 233), 5<br />
(S. 272) und 6 (S. 296) diskutiert.<br />
Bei den Kindern und Senioren selbst bestehen folgende Präventionsmöglichkeiten:<br />
Die Problematik der beschränkten Eignung kann durch eine Begleitperson<br />
reduziert werden, die anstelle des Kindes oder des betagten Fussgängers<br />
entscheidet.<br />
Allerdings ist zu bedenken, dass Kinder, die auf Schritt und Tritt von Erwachsenen<br />
begleitet werden (müssen), in ihrer motorischen und sozialen<br />
Entwicklung gehemmt werden (Hüttenmoser, 2004). Konsequentes Begleiten<br />
soll nur für gewisse Strecken als Lösung angestrebt werden.<br />
Sowohl für Kinder wie auch für ältere Menschen sollte eine eigenständige<br />
Mobilität als gesellschaftlicher Grundwert verstanden werden. Von restriktiven<br />
Begleitmassnahmen ist daher abzusehen.<br />
Eine weitere Möglichkeit ist das Verstärken der Sicherheitsmassnahmen<br />
beim selbstständigem zu Fuss Gehen, um so die Folgen der entwicklungs-<br />
bzw. alterungsbedingten Defizite zu vermindern. Dies wäre möglich<br />
indem etwa<br />
• verkehrsarme Wege benutzt werden<br />
• Stosszeiten gemieden werden (es ist daher sinnvoll, dass der Kindergarten<br />
früher endet als die Mittagspause der Erwachsenen anfängt)<br />
• emotional belastende Situationen oder Gespräche unmittelbar vor dem<br />
Verlassen des Hauses/der Schule/der Freunde vermieden werden<br />
• zusätzliche Anstrengungen hinsichtlich des korrekten Querens der<br />
Strasse unternommen werden
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 219<br />
Rettungspotenzial<br />
durch punktuelles<br />
Begleiten von Kindern<br />
eher gering<br />
Zusätzliche<br />
Sicherheitsmassnahmen<br />
beim<br />
selbständigen Gehen<br />
der Kinder könnten<br />
jährlich schätzungsweise<br />
30–50<br />
Kinderunfälle<br />
verhindern<br />
• die Sichtbarkeit erhöht wird (die Aufmerksamkeit der Automobilisten<br />
kann dadurch früher auf den <strong>Fussverkehr</strong> gelenkt werden). Studien<br />
haben ergeben, dass 50 % der Kollisionen vermieden werden könnten,<br />
wenn ein Brems- oder Ausweichmanöver eine Sekunde früher eingeleitet<br />
worden wäre.<br />
Ansprechpartner für solche edukativen Massnahmen müssen im Fall der<br />
Kinder die Eltern, Bezugspersonen, Schulbehörden etc. sein. Senioren<br />
können einerseits direkt angesprochen werden oder ebenfalls über Mediatoren<br />
(Angehörige, Bezugspersonen, Betreuungspersonal etc.).<br />
Wie viele Kinder könnten in Zukunft durch punktuelles, aber konsequentes<br />
Begleiten vor einem Fussgängerunfall bewahrt werden? Im Zeitraum<br />
2000–2004 verunfallten zu Fuss jährlich 139 Kinder unter 10 Jahren schwer<br />
und 9 tödlich. Kindern wird bei Kollisionen zu rund 70 % eine (Mit-)Schuld<br />
zugeschrieben. Dass entwicklungsbedingte Defizite kognitiver und motivationaler<br />
Art dabei eine zentrale Rolle spielen dürften, ist insbesondere<br />
bei den Jüngeren anzunehmen. Gestützt wird diese Vermutung durch die<br />
Tatsache, dass es sich bei den Schuldzuweisungen meistens um unvorsichtiges<br />
Betreten der Fahrbahn (queren der Fahrbahn oder auf die<br />
Fahrbahn laufen/springen) handelt. Punktuelle Begleitung kann hier vielleicht<br />
vereinzelt Unfälle vermeiden helfen. Eine markante Reduktion der<br />
Unfälle ist aber kaum zu erwarten. Das Problem ist, dass niemand weiss,<br />
wann und wo welches Kind eine Begleitung braucht – und ständiges<br />
Begleiten ist weder erwünscht noch realistisch. Unfälle sind dispers und<br />
können überall jedem Kind aufgrund gewisser Faktoren passieren. Der<br />
Forderung nach punktuellem Begleiten bei schwierigen Verhältnissen wird<br />
daher ein geringes Rettungspotenzial zugeschrieben.<br />
Eine realistischere Forderung ist die Förderung verstärkter Sicherheitsmassnahmen<br />
bei selbstständigem zu Fuss Gehen etwa bzgl. Wegwahl,<br />
Sichtbarkeit, Querungsverhalten. Wie viele Kinder durch solche Massnahmen<br />
vor einem Unfall bewahrt werden könnten, ist schwer abzuschätzen.<br />
So ist z. B. nicht bekannt, wie viele der verunfallten Kinder auf relativ<br />
verkehrsarmen Strassen verunglückt sind oder wie viele mit Leuchtmaterialien<br />
unterwegs waren. Auch kann schwer abgeschätzt werden, wie<br />
gross der Nutzen z. B. einer besseren Sichtbarkeit tatsächlich ist. Studien<br />
belegen lediglich die enorme Vergrösserung der Sichtdistanzen z. B.
220 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Rettungspotenzial<br />
durch punktuelles<br />
Begleiten von<br />
Senioren eher gering<br />
Tabelle 72:<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
zur<br />
Reduzierung<br />
entwicklungs- und<br />
altersbedingter<br />
Defizite und<br />
Rettungspotenzial<br />
durch retroreflektierende oder fluoreszierende Materialen, nicht aber den tatsächlichen<br />
Einfluss auf das Unfallrisiko (s. Kap. VII.2.9 Sichtbarkeit, S. 139).<br />
Die Rettungspotenziale durch Variante a) punktuelles Begleiten bzw. b)<br />
verstärkte Sicherheitsmassnahmen bei selbständigem zu Fuss Gehen<br />
können aber nicht aufaddiert werden.<br />
Ähnliche Überlegungen können bezüglich älterer Menschen angestellt<br />
werden. Im Zeitraum 2000–2004 verunfallten jährlich durchschnittlich<br />
259 Fussgänger und Fussgängerinnen ab 65 Jahren schwer und 61 tödlich.<br />
Das entspricht zwei Drittel aller schwer oder tödlich verletzten zu<br />
Fuss Gehenden. Eine punktuelle Begleitung dürfte aufgrund der Tatsache,<br />
dass niemand weiss, wem wann und wo der nächste Unfall zustösst,<br />
wenig zur Reduktion dieser Unfälle beitragen. Zumal im Gegensatz zu<br />
den Kindern 70 % der Senioren gemäss Polizeirapporten ohne eigenes<br />
Verschulden verunfallen. Die Forderung nach verstärkten Sicherheitsmassnahmen<br />
bei selbständigem zu Fuss Gehen muss auch bei älteren<br />
Menschen der Forderung nach vermehrter Begleitung vorgezogen werden.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Sicherstellen einer punktellen Begleitung von unter 10jährigen<br />
Kindern bei schwierigen Verkehrsverhältnissen<br />
Sicherstellen einer Begleitung von Personen ab<br />
65 Jahren bei schwierigen Verkehrsverhältnissen<br />
Reduzierung der Risiken durch verstärkte Sicherheitsmassnahmen<br />
bei selbstständigem zu Fuss Gehen von<br />
unter 10-jährigen Kindern<br />
Reduzierung der Risiken durch verstärkte Sicherheitsmassnahmen<br />
bei selbstständigem zu Fuss Gehen von<br />
Personen ab 65 Jahren<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
3.2.2 Förderungsmassnahmen<br />
a) Punktuelles Begleiten der unter 10-jährigen Kinder bei schwierigen<br />
Verkehrsverhältnissen<br />
Eine Sensibilisierung der Bezugspersonen anhand edukativer Mittel kann<br />
dazu beigetragen, dass Kinder öfter begleitet werden. Sind Kinder ge-<br />
*<br />
*<br />
*(*)<br />
*(*)
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 221<br />
Pedibus als<br />
organisiertes<br />
Begleiten<br />
Punktuelles Begleiten<br />
kann im Einzelfall<br />
helfen<br />
Konkrete Handlungsanweisungen<br />
für<br />
Eltern<br />
meinsam unterwegs (etwa auf dem Schulweg, zu Anlässen, zu Freizeitaktivitäten<br />
etc.), sind konkrete Koordinierungsangebote möglich.<br />
Dieser Ansatz wird z. B. beim Konzept Pedibus gewählt. Der Pedibus –<br />
„Autobus auf Füssen“ – funktioniert wie ein Schulbus. Er steuert nach<br />
festem Fahrplan bestimmte (signalisierte) Haltestellen an und führt die<br />
„zusteigenden“ Kinder zur Schule und zurück. Der grosse Unterschied:<br />
Die Kinder gehen zu Fuss, begleitet von Erwachsenen. Der Pedibus ist<br />
eine mögliche organisatorische Massnahme, die zur Schulwegsicherung<br />
beiträgt. Er kann jedoch bauliche Sanierungen von Gefahrenstellen und<br />
Unfallschwerpunkten im Strassenverkehr nicht ersetzen.<br />
Ebenso wenig ersetzen Lösungen zur Schulwegsicherung (z. B. Pedibus)<br />
eine übergeordnete Netzplanung. Schulwegsicherung beschränkt sich<br />
nicht auf einen bestimmten Umkreis um die Schule oder gewisse Wege<br />
zur Schule, sondern muss das ganze Gemeindegebiet umfassen.<br />
Viele Kinder sind in ihrer Freizeit aber auch alleine oder mit Freunden<br />
unterwegs. Auch bei besserer Information der Eltern oder anderer wichtiger<br />
Bezugspersonen werden Kinderunfällen nicht verhindert werden können.<br />
Die Forderung nach vermehrtem punktuellem Begleiten wird kaum<br />
der grosse Durchbruch bei der Prävention von Kinderunfällen sein.<br />
b) Reduzierung der Risiken durch verstärkte Sicherheitsmassnahmen<br />
bei selbständigem zu Fuss Gehen der Kinder<br />
Der Schutz der Kinder durch diverse „kleine“ Massnahmen wie eine verkehrsarme<br />
Wegwahl, gute Sichtbarkeit durch entsprechende Kleidung<br />
und Hilfsmittel kann wiederum durch das Sensibilisieren der Bezugspersonen<br />
mittels direkter und/oder indirekter Kommunikation erfolgen (Gespräche,<br />
Vorträge, Elternabende und/oder Briefe, Plakate etc.).<br />
Es bestehen genügend Kanäle, wie Eltern auf die entwicklungsbedingten<br />
Defizite der Kinder aufmerksam gemacht werden können. Wichtig ist es,<br />
nicht nur zu informieren, sondern konkrete Handlungsanweisungen zu<br />
vermitteln: Wie können sie erwirken, dass problematische Querungssituationen<br />
entschärft oder die Geschwindigkeiten der Motorfahrzeuglenkenden<br />
in ihrer Gemeinde gesenkt werden? Wie kann vorgegangen werden,
222 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Verkehrserziehung<br />
der Kinder<br />
Verkehrserziehung<br />
der Kinder darf nicht<br />
zu falschen<br />
Erwartungen der<br />
Bezugspersonen<br />
führen<br />
Begleiten von<br />
Senioren bedürfte<br />
grundlegender<br />
gesellschaftlicher<br />
Veränderungen<br />
wenn auf dem Schulweg Sicherheitsdefizite vorhanden sind? Wenn den<br />
Eltern die richtige Kontaktperson in der Gemeinde genannt wird, erleichtert<br />
das erste Schritte sehr. Verkehrserziehungs-Abteilungen der Polizei<br />
z. B. beraten Eltern in Sachen “Sichere Schulwege“. Hilfreich sind aber auch<br />
Bezugsadressen von Sicherheitshilfen wie reflektierende Materialien.<br />
Die obligatorische Schule (Primar- und Sekundarstufe) ist die ideale Plattform,<br />
um Schülerinnen und Schüler betreffend Sicherheit/Unfallverhütung<br />
flächendeckend zu sensibilisieren. In rund der Hälfte aller Kantone ist die<br />
Verkehrserziehung in den Lehrplänen der obligatorischen Schulen<br />
verankert (AG, BE, GR, LU, NW, OW, SO, SZ, TG, UR, ZG, ZH).<br />
Verkehrsinstruktoren der Polizei besuchen jeweils zu Schulbeginn vor<br />
allem die Schülerinnen und Schüler der Kindergärten sowie der 1. und 2.<br />
Primarklassen (pro Jahr 1 bis 2 Lektionen). Dies ermöglicht grundlegende,<br />
vertrauensbildende Erstkontakte zwischen Eltern bzw. Schülern<br />
und der Polizei.<br />
Vor einigen Jahren wurde Verkehrserziehung im Rahmen von Sparmassnahmen<br />
mancherorts aus dem öffentlichen Budget gestrichen. Gemäss<br />
informellen Umfragen der bfu und des TCS ist in den nächsten Jahren<br />
glücklicherweise kein weiterer Abbau geplant. Wenn erzieherische Bemühungen<br />
gestrichen werden, müssen an deren Stelle vermehrt technische<br />
Lösungen (z. B. Verkehrsberuhigung, Tempo 30-Zonen) realisiert werden<br />
und diese sind in der Regel kostenintensiver.<br />
Es ist sinnvoll, die Eltern koordiniert mit der Verkehrserziehung ihrer Kinder<br />
anzusprechen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Kinder<br />
aufgrund des Besuchs des Verkehrsinstruktors nun in der Lage seien,<br />
sich gefahrlos im Verkehr zu bewegen.<br />
c) Punktuelles Begleiten älterer Menschen bei schwierigen<br />
Verkehrsverhältnissen<br />
Eine Sensibilisierung der Bezugspersonen anhand edukativer Mittel kann<br />
dazu beigetragen, dass ältere Menschen punktuell begleitet werden. Damit<br />
die Forderung nach einer vermehrten Begleitung von Senioren realistisch<br />
wäre, müssten diese vorerst besser sozial integriert sein. Eine gesellschaftliche<br />
Änderung in diese Richtung dauert Jahrzehnte.
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 223<br />
Gezielte<br />
Kommunikationskanäle<br />
oder<br />
massenmediale<br />
Ansätze?<br />
Tabelle 73:<br />
Massnahmen zur<br />
Reduzierung<br />
entwicklungsbedingter<br />
Defizite und<br />
Beurteilung<br />
d) Reduzierung der Risiken älterer Fussgänger durch verstärkte<br />
Sicherheitsmassnahmen<br />
Es gibt wenig etablierte Kanäle, über die Senioren direkt oder indirekt angesprochen<br />
werden könnten (Ärzteschaft, Altersheime, Pro Senectute).<br />
Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Anteil älterer Menschen<br />
in unserer Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten deutlich zunehmen<br />
(vorausgesetzt, die Geburtenrate oder der Anteil junger Ausländer<br />
ändert sich nicht deutlich). Es stellt sich die Frage, wann massenmediale<br />
Ansätze (Plakat- oder TV-Kampagnen mit grosser Breitenwirkung)<br />
gegenüber der Nutzung gezielter Kommunikationskanäle sinnvoller<br />
würden. Allerdings ist festzuhalten, dass massenmediale Interventionen<br />
alleine selten eine Verhaltensänderung bewirken (z. B. dass die angesprochenen<br />
Senioren mit Leuchtwesten unterwegs sein werden). Sie tragen<br />
eher dazu bei, die Bevölkerung für relevante gesellschaftliche Themen<br />
(wie Senioren als Fussgänger) zu sensibilisieren und so den Weg für<br />
wirksame Massnahmen wie z. B. Tempo-30-Zonen zu ebnen.<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Informieren der Eltern und weiterer Bezugspersonen<br />
über die entwicklungsbedingten Defizite der Kinder bis<br />
9 Jahre und Aufforderung für verstärkte<br />
Sicherheitsmassnahmen etwa bzgl. punktuellem<br />
Begleiten, Wegwahl, Sichtbarkeit, Querungsverhalten<br />
Altersgerechte, obligatorische Verkehrserziehung (1.–<br />
9. Klasse) durch Fachpersonen mit Schwerpunkt<br />
<strong>Fussverkehr</strong> in den ersten Jahren<br />
Informieren der Angehörigen und anderer<br />
Bezugspersonen (Ärzte, Spitex, Pro Senectute) über<br />
die altersbedingten Defizite der Senioren und<br />
Aufforderung für verstärkte Sicherheitsmassnahmen<br />
etwa bzgl. punktuellem Begleiten, Wegwahl,<br />
Sichtbarkeit, Querungsverhalten<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(Wirksamkeit schwer<br />
abzuschätzen; eher<br />
geringes<br />
Rettungspotenzial)<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(Wirksamkeit schwer<br />
abzuschätzen; eher<br />
geringes<br />
Rettungspotenzial)
224 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Wissen und<br />
Gefahrenbewusstsein<br />
sind wichtige<br />
Voraussetzungen für<br />
sicheres Verhalten<br />
Unvorsichtiges<br />
Betreten von<br />
Fussgängerstreifen<br />
nicht zentrale<br />
Unfallursache<br />
Rettungspotenzial nur<br />
grob schätzbar<br />
3.3 Kompetenz: Wissen und Gefahrenbewusstsein und deren<br />
Auswirkungen auf konkrete Verhaltensweisen<br />
3.3.1 Ausgangslage<br />
Verkehrsrelevantes Wissen, sicherheitsbewusste Einstellungen und ein<br />
adäquates Gefahrenbewusstsein müssen als Grundvoraussetzungen vorhanden<br />
sein, damit gefährliches Verhalten reduziert werden kann.<br />
Welche Verhaltensweisen die Fussgänger in besondere Gefahr bringen, zeigen<br />
die polizeilichen Unfallprotokolle. Demnach ist vor allem das unvorsichtige<br />
Betreten der Fahrbahn gefährlich (durch unvorsichtiges Gehen oder<br />
Springen über die Strasse, durch das Nicht-Benutzen eines Fussgängerstreifens<br />
oder ein Fehlverhalten bei einer Lichtsignalanlage). Schlechte Sichtbarkeit<br />
der Fussgänger zeigt sich beim Queren als zusätzlicher Risikofaktor.<br />
26 Weiter müssen Wissen und Gefahrenbewusstsein zum Thema<br />
Alkoholkonsum beeinflusst werden.<br />
Nicht selten wird in öffentlichen Debatten beanstandet, dass Fussgänger<br />
durch unvorsichtiges Betreten von Fussgängerstreifen selber an ihren<br />
häufigen Unfällen schuldig seien. Auswertungen der polizeilichen Unfallprotokolle<br />
zeigen ein anderes Bild: unvorsichtiges Queren (gehend oder<br />
springend/laufend) findet nur zu rund 10 % auf Fussgängerstreifen statt.<br />
Massnahmen mit dem Ziel, korrektes (defensives) Verhalten an Fussgängerstreifen<br />
zu fördern, sind in der Unfallprävention nicht zentral.<br />
3.3.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Methodisch ist nicht zu trennen, welche der verunfallten Kinder oder Senioren<br />
in Folge konkreter Wissenslücken verunfallen (z. B. weil sie die<br />
Vortrittsregeln gar nicht kennen) und welche in Folge entwicklungs- oder<br />
altersbedingter Defizite (d. h. Vortrittsregeln sind zwar bekannt, werden<br />
26 Zwar geben die Motorfahrzeuglenker relativ selten an, dass sie den Fussgänger<br />
wegen Unauffälligkeit zu spät erkannt haben. Zu Unfällen kommt es<br />
meistens durch das Missachten der Anhaltepflicht vor dem Fussgängerstreifen<br />
oder durch Unaufmerksamkeit/Ablenkung der Motorfahrzeuglenker. In beiden<br />
Fällen kann eine gute Sichtbarkeit der Fussgänger das Unfallrisiko vermindern.
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 225<br />
Verkehrserziehung<br />
bei Kindern<br />
notwendige<br />
Sockelmassnahme<br />
Edukation notwendig,<br />
aber nicht hinreichend<br />
Verkehrserziehung<br />
bei Senioren nicht<br />
effiziente Massnahme<br />
aber nicht korrekt umgesetzt). In diesem Kapitel interessieren nur erstere,<br />
d. h. Unfälle, die aufgrund beeinflussbarer Defizite passieren.<br />
70 % der Unfallopfer bis 14 Jahre sind bei Fussgängerunfällen zumindest<br />
mitschuldig. Verkehrserziehung ist deshalb zweifellos sinnvoll. Dabei ist<br />
insbesondere wichtig, das Queren (mit und ohne Vortrittshilfe) zu üben.<br />
Sinnvoll ist ausserdem, das Gefahrenbewusstsein der Kinder zu fördern,<br />
indem z. B. auf eindrückliche Art und Weise die Wirkung von retroreflektierenden<br />
Materialien oder Lichtkörpern demonstriert wird. Auch anschauliche<br />
Experimente zum Anhalteweg von Motorfahrzeugen können sich<br />
positiv auf das Gefahrenbewusstsein auswirken. Diese edukativen Bemühungen<br />
dürfen aber nicht zur Schlussfolgerung verleiten, dass aus den<br />
Kindern zuverlässige Verkehrsteilnehmer werden.<br />
In diesem Sinn ist Verkehrserziehung bei Kindern absolut notwendig, aber<br />
nicht hinreichend. Mit Sicherheit sind weitere Massnahmen notwendig, um<br />
die Sicherheit der Kinder zu verbessern. Zentral sind z. B. bauliche,<br />
rechtliche und edukative Massnahmen zur Förderung eines fussgängerfreundlichen<br />
Geschwindigkeitsmanagements.<br />
Macht Verkehrserziehung bei betagten Fussgängern ebenfalls Sinn? Pro<br />
Jahr verunfallen rund 320 Fussgänger über 64 Jahre schwer oder tödlich.<br />
70 % von ihnen verunfallen gemäss offiziellen Unfallprotokollen ohne eigene<br />
Schuld. Von den demnach knapp 100 Senioren mit fehlbarem Verhalten<br />
wurde bei 60 % das allgemeine Fehlverhalten ‚unvorsichtiges Queren’<br />
festgehalten. Als zweithäufigster Grund wird das Nicht-Benutzen eines<br />
Fussgängerstreifens genannt. Ob dieses unvorsichtige Verhalten die<br />
Folge fehlenden Wissens oder die Folge altersbedingter Defizite (trotz<br />
vorhandenem Wissen) ist, kann nicht beantwortet werden. Plausibel ist,<br />
dass vielen Senioren der Umweg zum nächsten Fussgängerstreifen – innerhalb<br />
von 50 Metern muss dieser benutzt werden – zu umständlich ist.<br />
Dieses Verhalten widerspiegelt die allgemeine Umwegempfindlichkeit der<br />
Fussgänger – die bei Senioren verständlicherweise noch ausgeprägter zu<br />
sein scheint. Die Umwegempfindlichkeit lässt sich nicht „wegerziehen“<br />
(wirksamer ist die Anpassung der Infrastruktur, s. Kap. VIII.6<br />
Strasseninfrastruktur, S. 296). Eventuell könnte ein ausgeprägteres Gefahrenbewusstsein<br />
die Senioren vor einem unvorsichtigen Queren ohne
226 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Verkehrserziehung<br />
bei Jugendlichen ja,<br />
aber nicht bezogen<br />
auf <strong>Fussverkehr</strong><br />
Verkehrserziehung<br />
bei Erwachsenen<br />
wenig Erfolg<br />
versprechend<br />
Fussgängerstreifen bewahren. Insgesamt ist allerdings von einem geringen<br />
Rettungspotenzial auszugehen.<br />
Auch Jugendliche sollten in den Genuss von Verkehrserziehung kommen.<br />
Hier muss aufgrund der Unfallzahlen aber weniger das zu Fuss Gehen<br />
das zentrale Thema sein, sondern das Velofahren und der Umgang mit<br />
motorisierten Fahrzeugen: Ein Drittel der schwer verletzten und getöteten<br />
12- bis 16-Jährigen verunfallen mit dem Velo, ein Viertel mit dem Mofa<br />
und 15 % zu Fuss (betrachtet man nur die Getötetenzahlen, ist die proportionale<br />
Verteilung analog). Die Jugendlichen machen an der Anzahl<br />
schwer verletzter oder getöteter Fussgänger lediglich einen geringen Anteil<br />
aus (s. Tabelle 10, S. 88).<br />
Knapp 40 % der schwer oder tödlich verunfallten Fussgänger sind zwischen<br />
18 und 64 Jahren. 57 % von ihnen kollidieren ohne Schuld mit einem<br />
Fahrzeug. Pro Jahr ist somit von rund 155 am Unfall mitschuldigen<br />
Erwachsenen auszugehen. Die von der Polizei zugeschriebenen Fehlverhaltensweisen<br />
beziehen sich doppelt so oft auf unvorsichtiges Gehen<br />
oder Springen über die Strasse als auf Nicht-Benutzen des Fussgängerstreifens<br />
oder falsches Verhalten bei Lichtsignalanlage). Diese Verhaltensweisen<br />
deuten nicht auf Wissensdefizite hin, eher auf ein nicht adäquates<br />
Gefahrenbewusstsein. Es dürfte sehr schwierig sein, z. B. mit Plakatkampagnen<br />
– im Sinne von „Vorsicht beim Queren!“ – das Gefahrenbewusstsein<br />
der Erwachsenen verhaltenswirksam zu beeinflussen. Massenmedial<br />
vermittelte Botschaften wirken sich eher auf das konkrete Verhalten<br />
aus, wenn sie sehr konkret sind (z. B. „Der nächste Fussgängerstreifen<br />
ist ganz nah!“). Der hohen Umwegempfindlichkeit der Fussgänger<br />
dürfte damit dennoch kaum entgegenzuwirken sein. Sinnvoller sind Infrastrukturmassnahmen<br />
(s. Kap. VIII.6 Strasseninfrastruktur, S. 296). Der<br />
Vollständigkeit halber soll als möglicher Ansatz auch die Verkehrserziehung<br />
durch direkte Kontaktaufnahme mit erwachsenen Fussgängern erwähnt<br />
werden. Da bereits bei der Verkehrserziehung der Kinder die Mittel<br />
fehlen, ist an ein Ausdehnen des Handlungsfeldes realistischerweise nicht<br />
zu denken. Zudem bestehen für Erwachsene wenig etablierte Kommunikationskanäle<br />
für eine direkte Kontaktaufnahme.
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 227<br />
Wenn Verkehrserziehung<br />
bei<br />
Erwachsenen, dann<br />
Gefahrenbewusstsein<br />
für Alkohol schärfen<br />
Tabelle 74:<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
zur<br />
Wissensvermittlung,<br />
zur Förderung<br />
sicherheitsbewusster<br />
Einstellungen und<br />
eines adäquaten<br />
Gefahrenbewusstseins<br />
und<br />
Rettungspotenzial<br />
Alkoholkonsum wird bei 18- bis 64-Jährigen rund 30 Mal pro Jahr als<br />
mögliche Unfallursache polizeilich registriert (ähnlich häufig wie z. B. das<br />
Nicht-Benutzen eines Fussgängerstreifens und mehr als doppelt so oft<br />
wie z. B. falsches Verhalten bei Lichtsignalanlage). Übermässiger Alkoholkonsum<br />
als Fussgänger-Problem ist aber – im Gegensatz zum falschen<br />
Verhalten bei Lichtsignalanlagen – kaum im öffentlichen Bewusstsein.<br />
Spezifische edukative Massnahmen sind wenig sinnvoll, da das<br />
Rettungspotenzial mit weniger als 3 % aller Fussgänger-Unfälle gering ist.<br />
Insgesamt ist festzustellen, dass Erwachsene gemessen an ihrer Exposition<br />
ein massiv geringeres Unfallrisiko haben als Kinder oder ältere Menschen.<br />
Da Erwachsene in ihrer Rolle als Fussgänger ohnehin schwierig<br />
anzusprechen sind (zumal sie sich oft gar nicht als Verkehrsteilnehmer<br />
fühlen), ist von einer spezifisch auf diese Altersgruppe zugeschnittenen<br />
edukativen Massnahme eher abzusehen.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Verbesserung von verkehrsrelevantem Wissen,<br />
sicherheitsbewussten Einstellungen und adäquatem<br />
Gefahrenbewusstsein bezüglich Fussgängersicherheit bei<br />
Kindern<br />
Verbesserung von verkehrsrelevantem Wissen,<br />
sicherheitsbewussten Einstellungen und adäquatem<br />
Gefahrenbewusstsein bezüglich Fussgängersicherheit bei<br />
Jugendlichen<br />
Verbesserung von verkehrsrelevantem Wissen,<br />
sicherheitsbewussten Einstellungen und adäquatem<br />
Gefahrenbewusstsein bezüglich Fussgängersicherheit bei<br />
Erwachsenen<br />
Verbesserung von verkehrsrelevantem Wissen,<br />
sicherheitsbewussten Einstellungen und adäquatem<br />
Gefahrenbewusstsein bezüglich Fussgängersicherheit bei<br />
älteren Menschen<br />
Spezifische Massnahmen zur Förderung eines korrekten<br />
(defensiven) Begehens von Fussgängerstreifen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
Nicht abschätzbar<br />
(Verkehrserziehung<br />
Sockelmassnahme)<br />
(*)<br />
(*)*<br />
(*)<br />
(*)
228 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Erfahrungen können<br />
in positiver wie in<br />
negativer Richtung<br />
verstärken<br />
Kontrolltätigkeit der<br />
Polizei<br />
Direkte Schulung von<br />
jüngeren Kindern<br />
Obligatorische<br />
Verkehrserziehung<br />
3.3.3 Förderungsmassnahmen<br />
Neben dem vermittelten Lernen via Elternhaus, Schule, Gleichaltrige oder<br />
Medien prägen auch die eigenen Erfahrungen im Verkehrsraum die Einstellung<br />
zum Thema Sicherheit. Wer einmal schlechte Erfahrungen gemacht<br />
hat, wird vermutlich das nächste Mal besser aufpassen. Solche<br />
Lernprozesse gelten allerdings primär für Erwachsene und auch bei ihnen<br />
wirken sie oft nur über eine beschränkte Zeitdauer. Ebenso werden positive<br />
Erfahrungen verstärkt: Jedes Mal wenn man trotz rot über die Strasse<br />
geht und nichts passiert, erlebt man eine positive Verstärkung. Somit gibt<br />
es keinen Grund, das nächste Mal vom regelwidrigen Verhalten abzusehen.<br />
Das Gefahrenbewusstsein wird durch die subjektive Wahrnehmung der<br />
Kontrolltätigkeit der Polizei beeinflusst. Wer nicht wahrnimmt, dass regelwidriges<br />
Verhalten kontrolliert wird, geht nicht davon aus, dass es sich<br />
um ein schlimmes Delikt handelt.<br />
Bei den Kindern gilt es, den Grundstein der Sicherheitserziehung zu legen.<br />
Informationsvermittlung muss primär direkt (von Angesicht zu Angesicht)<br />
erfolgen, d. h. über Eltern oder andere Bezugspersonen wie Lehrkräfte<br />
oder Verkehrsinstruktoren. Gerade Verkehrsinstruktoren haben bei<br />
Kindern ein hohes Ansehen: Was der Polizist ein Mal sagt, bleibt nachhaltiger<br />
in den Kinderköpfen, als was die Eltern 100 Mal sagen.<br />
Eine professionelle Verkehrserziehung sollte ab Kindergarten (bis zur 9.<br />
Klasse) obligatorisch sein. Der Schwerpunkt muss je nach Alter unterschiedlich<br />
sein: In den ersten Jahren sollte er auf dem zu Fuss Gehen<br />
liegen, später beim Radfahren, das seine Bedeutung während der obligatorischen<br />
Schulzeit nicht verliert. Ab 14 Jahren ist zusätzlich der Umgang<br />
mit motorisierten Fahrzeugen zu thematisieren. Als absolutes Minimum<br />
gilt eine jährliche Schulungseinheit von mehreren Stunden.<br />
Für zu Fuss gehende Kinder sollten Themen wie Wegwahl, Sichtbarkeit,<br />
Verhalten im Strassenraum allgemein und sicheres Queren im Besonderen<br />
im Mittelpunkt der Verkehrserziehung stehen.
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 229<br />
Einbezug der Eltern<br />
wichtig<br />
Positive<br />
Beeinflussung von<br />
Wissen und Verhalten<br />
durch Verkehrserziehung<br />
möglich<br />
Obligatorische<br />
Verkehrserziehung<br />
Der Einbezug der Eltern bei der Schulung der Kinder ist sehr wichtig. Es<br />
darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Kinder durch die Schulung<br />
nun gefahrlos am Verkehr teilnehmen können. Im Verkehrsunterricht werden<br />
nur basale Kenntnisse vermittelt. Unter 10-jährige Kinder beim zu<br />
Fuss Gehen zu begleiten, ist trotz Verkehrsunterricht oft sinnvoll. Eltern<br />
und weitere Bezugspersonen können direkt z. B. bei Elternabenden, Vorträgen<br />
etc. oder indirekt z. B. mit Briefen, Broschüren, TV-Spots etc. angesprochen<br />
werden.<br />
3.3.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Duperrex, Bunn & Roberts (2002) kommen in einer systematischen Review-Arbeit<br />
zum Schluss, dass Verkehrserziehung bei Fussgängern deren<br />
Wissen und beobachtbares Verhalten beeinflussen kann, aber nicht in<br />
jedem Fall muss. Lediglich 15 Studien erfüllten die festgelegten methodischen<br />
Kriterien. Davon untersuchten 14 Studien den Erfolg der Verkehrserziehung<br />
bei Kindern. Diese erreicht die Kinder in 8 Studien direkt und in<br />
6 über ihre Eltern. In keiner der Studie wurde der Zusammenhang zwischen<br />
Verkehrserziehung und Unfallwahrscheinlichkeit untersucht. Duperrex<br />
et al. (2002) halten fest, dass Evidenz dafür besteht, dass Wissenszunahme<br />
und sichereres Verhalten in Folge von Verkehrserziehung keine<br />
anhaltende Effekte sind. Sicherheitserziehung muss daher in regelmässigen<br />
Intervallen wiederholt werden.<br />
Die European Child Safety Alliance und die European Association for Injury<br />
Prevention and Safety Promotion (MacKay, Vincenten, Brussoni &<br />
Towner, 2006, S. 10) halten in der gemeinsamen Publikation „Child Safety<br />
Good Practice Guide“ ebenfalls an der Verkehrserziehung für Kinder bis<br />
14 Jahren fest.<br />
Die Schweiz tut gut daran, Kindern eine professionelle und kontinuierliche<br />
Verkehrserziehung während der obligatorischen Schulzeit zu gewähren.<br />
Diese muss den Möglichkeiten und den Interessen der Kinder entsprechen.<br />
Wichtig ist, dass Angebote handlungsorientiert und auf Unfallursachen<br />
fokussiert sind.
230 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Massenmediale<br />
Ansätze wenig<br />
sinnvoll<br />
Tabelle 75:<br />
Massnahmen zur<br />
Wissensvermittlung<br />
und Förderung<br />
sicherheitsbewusster<br />
Einstellungen und<br />
Beurteilung<br />
Neuere Ansätze, wie sie z. B. am 72th RoSPA27 National Road Safety<br />
Congress im Februar 2007 in England vorgestellt wurden, sind auch für<br />
die Schweiz prüfenswert. Im Pilotprojekt „kerbcraft“ (s. www.kerbcraft.org)<br />
wird viel Wert darauf gelegt, dass die Kinder in Zweier- oder Dreiergruppen<br />
eigene Lösungsansätze für das Queren einer Strasse (zwischen parkierten<br />
Autos oder an Kreuzungen) finden. Dieses Vorgehen wird der<br />
Präsentation einer pfannenfertigen Lösung durch den Verkehrsinstruktor<br />
vorgezogen. Eine weitere interessante Methode wird unter dem Stichwort<br />
„draw and write“ diskutiert: Kinder zeichen sich (oder andere) in einer gefährlichen<br />
Situation und schreiben in Sprechblasen auf die Zeichnung,<br />
was zu tun ist, um der Gefahr zu entkommen (Backett-Milburn & McKie,<br />
1999). Beide Ansätze betonen die Wichtigkeit der konstruktiven Mitwirkung<br />
der Kinder selber bei der Entwicklung von Lösungsansätzen.<br />
Damit Kinder im Strassenverkehr eigene Erfahrungen sammeln können,<br />
ist der Transport der Kinder mit dem PW keine sinnvolle Alternative.<br />
Massenmediale Ansätze (z. B. Plakatkampagnen oder TV-Spots) sind<br />
sicher nicht geeignet, um Kinder konkretes Wissen zu vermitteln oder ihr<br />
Gefahrenbewusstsein handlungswirksam zu beeinflussen. Kampagnen,<br />
die erwachsenen Fussgängern oder Senioren Wissen vermitteln oder ihr<br />
Gefahrenbewusstsein schärfen, sind aufgrund der oben aufgeführten<br />
Gründe nicht unbedingt zu empfehlen. Sie sind allenfalls örtlich punktuell<br />
sinnvoll bei der Einführung neuer Verkehrszonen wie Tempo-30, bei ganz<br />
spezifischen Themen wie übermässiger Alkoholkonsum oder bei der Einführung<br />
neuer Gesetze. Massenmediale Massnahmen sind wirkungsvoller,<br />
wenn sie durch Aktionen der Polizei ergänzt werden.<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Altersgerechte, obligatorische<br />
Verkehrserziehung durch Fachperson<br />
(1. – 9. Klasse) mit Schwerpunkt <strong>Fussverkehr</strong><br />
in den ersten Jahren<br />
Kampagnen für Wissensvermittlung und<br />
Steigerung des Gefahrenbewusstseins von<br />
Fussgängern allgemein<br />
Kampagnen zur Förderung eines<br />
zurückhaltenderen (defensiven) Begehens<br />
von Fussgängerstreifen<br />
27 The Royal Society for the Prevention of Accidents RoSPA<br />
Sehr empfehlenswert<br />
bedingt empfehlenswert<br />
(Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht<br />
zufriedenstellend)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)
Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen 231<br />
Fehlende Eignung der<br />
Kinder durch<br />
Sensibilisierung der<br />
Eltern kompensieren<br />
3.4 Zusammenfassung<br />
Kinder bis 14 Jahre machen rund 17 % der zu Fuss schwer oder tödlich<br />
Verunfallten aus. Aufgrund ihrer entwicklungsbedingten Defizite im Bereich<br />
der Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Konzentrationsfähigkeit<br />
etc. ist ihre Eignung als Verkehrsteilnehmer in Frage zu stellen. Es<br />
wäre empfehlenswert, Kinder bis ins Alter von rund 10 Jahren im Verkehr<br />
– auch als Fussgänger – zu begleiten. Da dieser Forderung Grenzen gesetzt<br />
sind, bleibt die Möglichkeit, Kinder beim selbstständigen zu Fuss<br />
Gehen optimal zu schützen. Massgebend sind dabei eine geeignete<br />
Wegwahl, sicheres Verhalten beim Queren in diversen Situationen (z. B.<br />
mit und ohne Fussgängerstreifen) und eine gute Sichtbarkeit der Kinder.<br />
Eltern und andere Bezugspersonen können sensibilisiert werden, damit<br />
sie ihre Schützlinge diesbezüglich optimal vorbereitet auf den Weg schicken.<br />
Diese Sensibilisierung kann direkt (z. B. durch Vorträge, direktes<br />
Ansprechen durch die Lehrpersonen) oder indirekt (via Informationsbroschüren,<br />
Plakatkampagnen etc.) erfolgen.<br />
Eine handlungsfokussierte Sensibilisierung von Eltern und weiterer Bezugspersonen<br />
ist relativ aufwändig und die Wirkung ungewiss. Angesichts<br />
des eher geringen Rettungspotenzials selbst bei einer maximalen Wirkung,<br />
d. h., wenn alle kontaktierten Eltern die kommunizierten Vorsichtsmassnahmen<br />
umsetzen würden, könnten so kaum mehr als rund 3 % aller<br />
schwer oder tödlich verunfallter Fussgänger verhindert werden. Von<br />
derartigen Kommunikationsmassnahmen darf somit nur eine mässige<br />
Verbesserung der Sicherheitssituation der Fussgänger erwartet werden.<br />
Senioren ab 65 Jahren machen rund 35 % aller schwer oder tödlich verunfallten<br />
Fussgänger aus. Angesicht der – ab einem sehr individuellen<br />
Zeitpunkt vorhandenen – altersbedingten Defizite sind nicht mehr alle Senioren<br />
den Anforderungen des Verkehrs gewachsen. Damit sie dennoch<br />
mobil sein können, wäre eine Begleitung sinnvoll. Sei es, um sie vor eigenem<br />
unsicherem Verhalten zu bewahren, sei es, sie vor Fehlern anderer<br />
zu schützen. Die Forderung nach einer Begleitung für Senioren ist aber<br />
noch realitätsfremder als jene für Kinder. Bleibt auch hier die Sensibilisierung<br />
von Angehörigen und Bezugspersonen. Auch hier gilt, dass die Wirkung<br />
von Kommunikationsmassnahmen – mit dem Ziel den Senioren sichereres<br />
Verhalten zu vermitteln – ungewiss ist. Auch bei guter Wirkung
232 Prävention – Fussgänger und Fussgängerinnen<br />
Obligatorische<br />
Verkehrserziehung<br />
von der 1. bis zur<br />
9. Klasse<br />
Im Schulstoff<br />
integrierte Sicherheitsthemen<br />
gewährleisten<br />
Kontinuität<br />
Massenmediale<br />
Kampagnen können<br />
sensibilisieren und als<br />
Handlungsreiz wirken<br />
wäre aufgrund des eher geringen Rettungspotenzials (nur 30 % der Seniorenunfälle<br />
sind selbstverschuldet) der Nutzen für die Fussgänger insgesamt<br />
gering.<br />
Die ungenügende Eignung der Kinder und mancher Senioren kann nicht<br />
durch Verkehrserziehung wettgemacht werden. Daher wurden oben Möglichkeiten<br />
beschrieben, wie ihre Sicherheit anderweitig optimiert werden<br />
könnte. Was aber geschult werden kann, sind mögliche Kompetenzdefizite<br />
bezüglich Wissen, Einstellungen oder Gefahrenbewusstsein.<br />
Sinnvoll wäre eine obligatorische, professionelle Verkehrserziehung ab<br />
dem Kindergarten bis zur 9. Klasse. Das richtige Verhalten als Fussgänger<br />
müsste in den ersten Jahren das zentrale Thema sein – aber auch<br />
unter Jugendlichen gibt es eine beachtliche Zahl an Fussgängerunfällen<br />
(wenn Unfälle mit Velos oder Mofas auch überwiegen). Als absolutes Minimum<br />
gilt eine jährliche Schulungseinheit von mehreren Stunden. Wichtig<br />
ist der Einbezug der Eltern, damit nicht die Irrmeinung entsteht, die<br />
Kinder seien nach dem Besuch des Verkehrsinstruktors nun zu zuverlässigen<br />
Verkehrsteilnehmern geworden. Die Verkehrserziehung ist eine<br />
notwendige, aber keine hinreichende Massnahme.<br />
Eine durch Fachpersonen erteilte Verkehrserziehung kann nur sehr<br />
punktuell stattfinden (ein- bis zweimal jährlich). Um eine gewisse Kontinuität<br />
zu erreichen, können zusätzlich als integrativer Teil des Schulstoffs<br />
Sicherheitsaspekte thematisiert werden. Das ist in allen Schulfächern<br />
möglich.<br />
Massenmediale Kampagnen sind sicher nicht geeignet, um Kinder und<br />
Jugendliche für sicheres Handeln im Verkehr zu motivieren – der direkte<br />
Kontakt ist vorzuziehen.<br />
Kampagnen mit Plakaten oder TV-Spots sind zwar denkbar, um das Gefahrenbewusstsein<br />
der Erwachsenen oder Senioren zu schärfen (vor allem<br />
bezüglich unvorsichtigem Queren, geringer Sichtbarkeit und Alkohol),<br />
aber die Wirkung solcher Ansätze dürfte gering sein. Sinnvoll können<br />
punktuelle Informationen bei der Einführung neuer Gesetze oder örtlich<br />
neuer Verkehrssituationen (z.B. Tempo-30-Zonen) sein. Solche Massnahmen<br />
sind jeweils mit polizeilichen Kontrollen zu kombinieren.
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 233<br />
Thematisiert werden<br />
dispositive Faktoren<br />
und konkrete<br />
Verhaltensaspekte<br />
4. Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
4.1 Einleitung<br />
Im vorliegenden Kapitel wird aufgezeigt, wie die Sicherheit der Fussgänger<br />
erhöht werden kann, indem auf die Fahrzeuglenkenden als potenzielle<br />
Kollisionsgegner Einfluss genommen wird. Dabei beziehen sich die Aussagen<br />
primär auf die MFZ-Lenkenden als Hauptkollisionsgegner der<br />
Fussgänger. Trotz des teilweise recht offensiven und seitens der Fussgänger<br />
oftmals beklagten Fahrverhaltens der Radfahrenden stellen diese<br />
kein vordringliches Problem für die Fussgängersicherheit dar.<br />
Bei der Darstellung der Präventionsmöglichkeiten werden sowohl direkt<br />
beobachtbare Verhaltensaspekte thematisiert als auch die drei dispositiven<br />
Faktoren Fahreignung, -fähigkeit und -kompetenz, die als Grundvoraussetzungen<br />
für eine sichere Teilnahme am Strassenverkehr zu verstehen<br />
sind.<br />
Fahreignung: Es wird ausschliesslich auf psychomotorische Defizite<br />
(d. h. Beeinträchtigungen der Wahrnehmungs-, Motorik- und Kognitionsleistungen)<br />
eingegangen (Kap. VIII.4.2, S. 234); charakterliche Nicht-Eignung,<br />
welche bei massivem oder wiederholtem verkehrsdelinquenten<br />
Verhalten angenommen wird, wird nicht thematisiert, da die entsprechende<br />
Lenkergruppe in Hinblick auf das Gesamtunfallgeschehen der<br />
Fussgänger von vernachlässigbarer Bedeutung ist.<br />
Fahrfähigkeit: Die Fahrfähigkeit wird in zwei Kapiteln behandelt. Thematisiert<br />
werden einerseits exogene (d. h. substanzbedingte) und andererseits<br />
endogene Beeinträchtigungen der Fahrfähigkeit. Unter Ersteres fällt<br />
der Konsum von Alkohol, illegalen Drogen und Medikamenten<br />
(Kap. VIII.4.3, S. 239); im Bereich der endogenen Beeinträchtigungen<br />
werden die Unaufmerksamkeit/Ablenkung und die Müdigkeit thematisiert<br />
(Kap. VIII.4.4, S. 248).<br />
Fahrkompetenz: Welche Möglichkeiten zur Verbesserung der Fahrkompetenz,<br />
v. a. der psychologischen Fahrkompetenz im Sinne der Gefahren-<br />
kognition und Selbstkontrolle, bestehen, wird in Kap. VIII.4.5, S. 254,<br />
aufgezeigt.
234 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Sehvermögen ist ein<br />
zentraler Bereich der<br />
Fahreignung<br />
Beeinträchtigungen<br />
der Fahreignung<br />
kommen<br />
hauptsächlich bei<br />
Senioren vor<br />
Fahrverhalten: Die zentralsten Aspekte des Fahrverhaltens, die mit der<br />
Sicherheit der Fussgänger zusammenhängen, liegen einerseits im<br />
Geschwindigkeitsverhalten (Kap. VIII.4.6, S. 257) und anderseits in der<br />
Vortrittsgewährung am Fussgängerstreifen und beim Rückwärtsfahren<br />
(Kap. VIII.4.7, S. 265).<br />
4.2 Fahreignung: Psychomotorische Beeinträchtigungen<br />
4.2.1 Ausgangslage<br />
Die Fahreignung der Fahrzeuglenkenden kann durch eine Vielzahl sensomotorischer<br />
Faktoren eingeschränkt sein und infolgedessen das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
der Fussgänger mitbeeinflussen. Den Sehdefiziten kommt dabei<br />
die grösste Bedeutung zu.<br />
Sensomotorische Einschränkungen der Fahreignung korrelieren eindeutig<br />
mit dem Alter (vgl. Noy, 1996). Bei Senioren kommen Einschränkungen nicht<br />
nur häufiger vor, sie sind auch stärker ausgeprägt. Somit erstaunt es<br />
nicht, dass betagte Fahrzeuglenkende ein erhöhtes Risiko aufweisen, mit<br />
einem Fussgänger zu kollidieren (s. Kap. VII.3.17 Soziodemographische<br />
Risikogruppen, S. 177). Zwar ist das Fahrverhalten der Senioren durch<br />
einen langsamen und vorsichtig-defensiven Fahrstil gekennzeichnet, es<br />
scheint jedoch so, dass dieses vorbildliche Kompensationsverhalten nicht<br />
ausreicht, um ihre Defizite auszugleichen.<br />
Das Thema Fahreignung darf jedoch nicht auf betagte Fahrzeuglenkende<br />
eingeschränkt werden. Auch bei Lenkenden im berufstätigen Alter<br />
kommen sensomotorische Einschränkungen vor. Trotz des selteneren<br />
Vorkommens von Beeinträchtigungen in diesem Alterssegment, darf diese<br />
Altersgruppe nicht vernachlässigt werden, da sie sich im Gegensatz zu<br />
den meisten Senioren ihrer Beeinträchtigungen oftmals nicht bewusst ist.
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 235<br />
Eine Person kann<br />
mehr oder weniger<br />
fahrgeeignet sein<br />
Bei mangelnder<br />
Eignung stellt sich die<br />
Frage der Selektion<br />
4.2.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Oftmals basiert die Forderung nach „verkehrsgerechten“ Menschen naiverweise<br />
auf einem dichotomen Konzept der Fahreignung: Eine Person<br />
ist entweder geeignet oder ungeeignet und darf demgemäss entweder<br />
den Führerausweis erwerben/besitzen oder eben nicht. Realitätsgerechter<br />
ist das Konzept der kontinuierlichen Fahreignung. Gemäss diesem Ansatz<br />
weisen Personen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Fahreignung<br />
auf. So trivial diese konzeptionelle Unterscheidung auch erscheinen mag,<br />
für die praktische Präventionsarbeit hat sie eine entscheidende Konsequenz.<br />
Durch den Denkansatz der kontinuierlichen Fahreignung verlagert<br />
sich nämlich die Präventionsperspektive: Es geht weniger darum, fahrungeeignete<br />
Personen von der aktiven motorisierten Verkehrsbeteiligung<br />
auszuschliessen, als vielmehr sicherzustellen, dass sensomotorische Defizite<br />
nicht zur Gefahr werden. Das gelingt beispielsweise, indem ein den<br />
Beeinträchtigungen angepasstes Fahrverhalten gefördert wird. Die Anpassung<br />
des Fahrverhaltens stellt sich oftmals von alleine ein, d. h. ohne<br />
externe Intervention. Trotzdem kann und muss dieser Lösungsweg mit<br />
gezielter Einflussnahme zusätzlich gefördert werden. Zudem können auch<br />
auf der Seite der Motorfahrzeuge technische Lösungen gefördert werden, um<br />
Leistungseinbussen der Lenkenden aufzufangen (s. Kap. VIII.5.5, S. 285).<br />
Es ist selbstredend, dass es bei der Frage der Fahreignung auch um die<br />
Selektion von nicht (mehr) fahrgeeigneten Personen geht. Wenn die sensomotorischen<br />
Defizite zu ausgeprägt sind, sodass eine sichere Verkehrsteilnahme<br />
als Fahrzeuglenker/-in nicht mehr möglich ist, muss zum<br />
Schutz anderer Verkehrsteilnehmender, aber auch im Interesse des Betroffenen<br />
selbst die Fahrerlaubnis entzogen werden.<br />
Bei Senioren darf aufgrund der empirischen Befunde die Forderung nach<br />
verkehrsgerechten Menschen nicht mit einer fixen Altersgrenze im Sinne<br />
einer generellen Auslese realisiert werden. Selbst bei der Auslese anhand<br />
sensomotorischer Leistungskriterien muss im Sinne eines ganzheitlichen<br />
Beurteilungsansatzes die Möglichkeit der Verhaltenskompensation berücksichtigt<br />
werden.<br />
Fazit: Die Präventionsmöglichkeiten, mit denen verhindert werden soll,<br />
dass eine durch sensomotorische Defizite beeinträchtige Fahreignung zur<br />
Verkehrsgefahr wird, umfassen drei Aspekte:
236 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 76:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Sicherstellung der<br />
Fahreignung’ und<br />
Rettungspotenzial<br />
Der Gesetzgeber<br />
setzt medizinische<br />
Mindestanforderungen<br />
fest<br />
Überprüfung findet<br />
bei Fahranfängern<br />
und Senioren statt<br />
• MFZ-Lenkende müssen ihre verkehrsrelevanten Leistungsdefizite (insbesondere<br />
was die Beeinträchtigung des Dämmerungs- und Nachtsehens<br />
betrifft) und die damit einhergehenden Gefahren kennen.<br />
• MFZ-Lenkende mit sensomotorischen Beeinträchtigungen müssen ihr<br />
Fahrverhalten (auf freiwilliger Basis oder gezwungenermassen) anpassen.<br />
• Für den Fall, dass die Beeinträchtigungen zu ausgeprägt sind, als dass<br />
ein sicheres Fahrverhalten noch möglich ist, muss sichergestellt sein,<br />
dass die Fahrerlaubnis eingeschränkt oder entzogen wird.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Sicherstellung der Fahreignung resp. der<br />
Verhaltenskompensation bei vorhandenen<br />
Leistungsbeeinträchtigungen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
Nachfolgend wird dargelegt, wie die oben genannten Präventionsmöglichkeiten<br />
umgesetzt werden können.<br />
4.2.3 Förderungsmassnahmen<br />
a) Legislative Förderungsmassnahmen<br />
Geltende Gesetzeslage: Gemäss VZV28 müssen MFZ-Lenkende gewisse<br />
medizinische Mindestanforderungen erfüllen (Art. 7 Abs. 1 VZV).<br />
Bezüglich des Sehvermögens legt die VZV fest, dass a) die Sehschärfe,<br />
b) das Gesichtsfeld und c) die Augenbeweglichkeit (Doppelsehen) überprüft<br />
werden müssen29 (Art. 9 Abs. 2 lit. a VZV).<br />
Überprüft werden diese Anforderungen im Rahmen des obligatorischen<br />
Sehtests zur Erlangung des Lernfahrausweises. Systematisch wird das<br />
Sehvermögen erst wieder bei 70-jährigen und älteren MFZ-Lenkenden<br />
28 Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und<br />
Fahrzeugen zum Strassenverkehr (Verkehrszulassungsverordnung, VZV), SR<br />
741.51<br />
29 Für die Kategorien C und D, für Berufschauffeure und Fahrlehrer wird zudem<br />
das Stereosehen und die Pupillenmotorik überprüft (Art. 9 Abs. 2 lit. b VZV).<br />
**
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 237<br />
Forderung 1:<br />
Überprüfung des<br />
Dämmerungssehvermögens<br />
Forderung 2:<br />
Periodische Kontrolle<br />
des Sehvermögens<br />
Kein vordringlicher<br />
Handlungsbedarf<br />
bezüglich weiterer<br />
Faktoren<br />
überprüft. Das geschieht im Rahmen der obligatorischen und regelmässigen<br />
ärztlichen Kontrolluntersuchung zur Abklärung der körperlich-geistigen<br />
Fahreignung.<br />
Gemäss VZV gehen Einschränkungen des Hörvermögens bis hin zur Gehörlosigkeit<br />
für die am meisten verbreiteten Führerausweiskategorien (A<br />
und B) nicht mit einer Nicht-Eignung einher (sofern nicht gleichzeitig eine<br />
einseitige Erblindung vorliegt) (Anhang 1 VZV).<br />
Anpassungsbedarf: Als entscheidendes Manko der geltenden Anforderungen<br />
ist die Ausklammerung des Dämmerungssehvermögens zu nennen.<br />
Das bedarf unbedingt der Nachbesserung, da unfallanalytische Daten<br />
eindeutig das erhöhte Unfallrisiko bei vorhandener Dämmerungssehschwäche<br />
aufzeigen (vgl. Lachenmayr, Buser, Keller & Berger, 1997;<br />
Vaa, 2003). Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union fordert die<br />
Richtlinie 91/439/EWG, die zentrale Vorgaben zur Fahrerlaubnis macht,<br />
bereits seit 1991 die Überprüfung des Dämmerungssehvermögens (Amtsblatt<br />
der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 237 vom 24.08.1991). Die<br />
Überprüfung des Dämmerungssehvermögens sollte im Rahmen des<br />
obligatorischen Sehtests zur Erlangung des Lernfahrausweises durchgeführt<br />
werden. Bei deutlichem Nichterfüllen der Anforderungen an das<br />
Dämmerungssehvermögen ist ein Nachtfahrverbot auszusprechen, bei<br />
leichten Einschränkungen müssen die Betroffenen über ihre Einschränkungen<br />
informiert und auf die damit einhergehende Gefährdung aufmerksam<br />
gemacht werden.<br />
Ein weiteres Manko liegt darin, dass sich der Gesetzgeber darauf verlässt,<br />
dass sich das Sehvermögen im Lauf des Lebens nicht wesentlich<br />
verschlechtert. Das trifft jedoch nicht zu. Periodische Kontrollen für alle<br />
und nicht nur für MFZ-Lenkende über 70 Jahre wären wünschenswert<br />
(z. B. alle 10 Jahre). Auch wenn diese Massnahme per se sinnvoll ist, soll<br />
nicht unerwähnt bleiben, dass sie mit einem grossen administrativen Aufwand<br />
verbunden wäre.<br />
Bezüglich weiterer Faktoren, die die Fahreignung der Motorfahrzeuglenkenden<br />
beeinträchtigen können, wie etwa psychische Erkrankungen, Bewusstseinsstörungen,<br />
Demenz usw. besteht in Anbetracht des heutigen<br />
Systems kein vordringlicher Handlungsbedarf, um die Unfallsituation der<br />
Fussgänger zu verbessern. Beim Verdacht einer vorliegenden, verkehrs-
238 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Umfassende<br />
Informierung über<br />
mögliche Defizite<br />
relevanten Erkrankung wird eine vom Strassenverkehrsamt angeordnete<br />
Fahreignungsabklärung durch einen verkehrsmedizinisch ausgebildeten<br />
Facharzt, einen Amtsarzt oder einen Vertrauensarzt der Behörde durchgeführt.<br />
Ein entsprechender Verdacht wird insbesondere durch zwei<br />
Hauptinstanzen dem zuständigen Strassenverkehrsamt gemeldet: Entweder<br />
durch den Hausarzt, der bei einem Senior den alle zwei Jahre fälligen<br />
Gesundheitscheck durchgeführt hat, oder durch die Polizei, die einen sich<br />
im Verkehr auffällig verhaltenden Lenkenden entdeckt hat. Die Einschätzung<br />
der Fahreignung beruht primär auf einer medizinischen Begutachtung.<br />
Eine Ausnahme bilden die Fälle, bei denen von Beginn an eine charakterliche<br />
Problematik im Vordergrund steht. Hier kann die Begutachtung<br />
unmittelbar durch einen Verkehrspsychologen oder einen entsprechend<br />
ausgebildeten Psychiater erfolgen (Arbeitsgruppe Verkehrsmedizin der<br />
Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin, 2005).<br />
Auch wenn eine Verschärfung der Fahreignungsabklärungen für die Fussgängersicherheit<br />
nicht vordringlich erscheint, bestehen Optimierungsmöglichkeiten<br />
dahingehend, dass im Rahmen der obligatorischen ärztlichen<br />
Untersuchung ein einheitliches Vorgehen unter Verwendung von<br />
standardisierten Testverfahren vorgeschrieben wird (vgl. Ewert, 2006).<br />
b) Edukative Förderungsmassnahmen<br />
Fahrzeuglenkende müssen bezüglich der Gefahr sensomotorischer Beeinträchtigungen<br />
sensibilisiert und informiert werden. Dabei genügt es keinesfalls,<br />
ausschliesslich mögliche Defizite zu benennen und aufzulisten.<br />
Vielmehr müssen die Symptome der Defizite im Sinne von Warnsignalen,<br />
wie sie sich im alltäglichen Verkehr äussern, aufgezeigt werden, sodass<br />
eine Art Selbstdiagnose möglich wird (wie z. B. vermehrtes Auftreten kritischer<br />
Situationen, spätes Reagieren mit abruptem Bremsen, vermehrte<br />
Spiegelungen auf nasser Fahrbahn, ein Gefühl, dass die andern immer<br />
schlechter fahren und einen zu Notmanövern zwingen etc.). Das ist deshalb<br />
wichtig, weil die betroffenen Personen infolge der normalerweise<br />
schleichenden Leistungsverschlechterung diese oftmals gar nicht bemerken<br />
(Gewöhnungseffekt). Neben dem Darlegen der Symptome ist es wichtig,<br />
die Betroffenen anzuleiten, was sie bei Einschränkungen tun sollten. Die<br />
Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von der einfachen Anpassung<br />
des Fahrverhaltens (Verzicht auf Nachtfahrten) über die freiwillige Fahr-
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 239<br />
Tabelle 77:<br />
Massnahmen zu<br />
sensomotorischen<br />
Beeinträchtigungen<br />
und Beurteilung<br />
Psychoaktive<br />
Substanzen<br />
beeinflussen Vigilanz<br />
stilbeurteilung (z. B. beim TCS) bis hin zur freiwilligen Rückgabe des<br />
Führerscheins bzw. dem Besuch eines Facharztes für weitere Abklärungen.<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine umfassende<br />
Information der MFZ-Lenkenden folgende Elemente beinhalten sollte:<br />
a) Symptombeschreibung, b) Defizitbezeichnung, c) Handlungsempfehlung.<br />
Derartige Informationsbroschüren können über verschiedene Kanäle gestreut<br />
werden (Internet, Arztpraxen, Beratungsstellen, Verkehrsclubs etc.).<br />
Eine grossangelegte massenmediale Kampagne ist hingegen aufgrund<br />
des ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses nicht empfehlenswert. Das<br />
heisst, die Sicherheit der Fussgänger kann optimaler gesteigert werden,<br />
wenn die verfügbaren Ressourcen in andern Bereichen investiert werden.<br />
4.2.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Erweiterung des obligatorischen Sehtests:<br />
Überprüfung des Dämmerungssehvermögens<br />
und der Blendempfindlichkeit<br />
Periodische Kontrollen des (Tages- und<br />
Nacht-)Sehvermögens gesetzlich vorschreiben<br />
Informationsbroschüren zur Sensibilisierung<br />
und Informierung bzgl. sensomotorischer<br />
Defizite und ihrer Auswirkungen<br />
Verschärfung der Fahreignungsabklärung<br />
Massenmediale Kampagne zur Sensibilisierung<br />
und Informierung bzgl. sensomotorischer<br />
Defizite und ihrer Auswirkungen<br />
4.3 Fahrfähigkeit: Psychoaktive Substanzen<br />
4.3.1 Ausgangslage<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Alkohol, Drogen und ein beachtlicher Teil der Medikamente sind psychoaktiv,<br />
d. h., sie beeinflussen nicht nur die Konzentrationsfähigkeit und die<br />
Reaktionsgeschwindigkeit, sondern können auch die emotionale Anteilnahme<br />
an der Umwelt verändern und zu Müdigkeit führen. Vereinfacht
240 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 78:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Verhinderung<br />
substanzbedingter<br />
Fahrunfähigkeit’ und<br />
Rettungspotenzial<br />
kann Folgendes festgehalten werden: Alkoholkonsum wird ab einem BAK-<br />
Wert von 0.5 ‰ problematisch; bei Drogen stellt insbesondere der Mischkonsum<br />
mit Alkohol ein Problem dar. Demgegenüber ist bei Medikamenten<br />
eine generell negative Beurteilung nicht möglich, da die Fahrfähigkeit<br />
durch Medikamentenkonsum nicht nur eingeschränkt werden kann, sondern<br />
dadurch unter Umständen erst sichergestellt wird.<br />
4.3.2 Präventionsmöglichkeit<br />
Das globale Präventionsziel im Bereich der Fahrfähigkeit liegt darin,<br />
sicherzustellen, dass die Fahrzeuglenkenden über ausreichende körperliche<br />
und psychische Fähigkeiten verfügen, um aktiv am Strassenverkehr<br />
teilnehmen zu können. Dieses Ziel ist durch folgende Teilaspekte präzisierbar:<br />
• Keine Verkehrsteilnahme als Lenker/-in mit einem BAK-Wert über<br />
0.5 ‰.<br />
• Alle (jungen) Neulenkenden halten in den ersten drei Jahren des Führerscheinbesitzes<br />
den BAK-Wert von 0.0 ‰ ein.<br />
• Keine Fahrten unter Einfluss von Drogen, namentlich Heroin, Morphin,<br />
Kokain, Amphetamin, Methamphetamin, THC (Cannabis) und MDEA<br />
(Designerdrogen).<br />
• MFZ-Lenkende sind bei Arzneimitteleinnahme über mögliche Beeinträchtigungen<br />
der Fahrfähigkeit informiert und unterlassen gegebenenfalls<br />
das Lenken eines MFZ.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Verhinderung von Fahrten unter substanzbedingten<br />
Leistungsbeeinträchtigungen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
**
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 241<br />
2005 wurde der<br />
Alkoholgrenzwert<br />
gesenkt<br />
Sanktionen hängen<br />
vom Alkoholisierungsgrad<br />
ab<br />
4.3.3 Förderungsmassnahmen<br />
a) Gesetzliche Massnahmen<br />
Alkohol: Am 1.1.2005 wurde der BAK-Grenzwert von 0.8 auf 0.5 ‰ reduziert.<br />
Gleichzeitig mit der Reduktion des BAK-Maximalwerts wurde die<br />
anlassfreie Atem-Alkoholkontrolle (AAK) gesetzlich erlaubt. Erfahrungen<br />
aus dem Ausland zeigen, dass eine gesetzliche Senkung des BAK-<br />
Grenzwerts von 0.8 auf 0.5 ‰ die Anzahl alkoholbedingter Unfälle um 10<br />
bis 15 % reduziert (Bundesamt für Strassen ASTRA, 2005a). Die amtlichen<br />
Unfalldaten der Schweiz zeigen, dass die Zahl der Personen, die in<br />
Unfällen mit mutmasslichem Alkoholeinfluss schwer verletzt oder getötet<br />
wurden, im Jahr 2005 um 14 % zurückgegangen ist, während der Rückgang<br />
der Schwerverletzten und Getöteten im Durchschnitt über alle Unfallkategorien<br />
9 % betrug (Bundesamt für Statistik BFS, 2006b). Wie Erfahrungen<br />
aus dem Ausland zeigen, darf jedoch nur dann mit nachhaltigen<br />
Wirkungen der Promillereduktion und der AAK gerechnet werden,<br />
wenn eine permanente polizeiliche Kontrolltätigkeit von ausreichender<br />
Intensität gewährleistet ist (Institute for Road Safety Research SWOV,<br />
2006).<br />
Je nach Alkoholisierungsgrad ist mit unterschiedlichen Sanktionen zu<br />
rechnen.<br />
Angetrunkenheit im Bereich zwischen 0.5 und 0.79 ‰ gilt (sofern keine<br />
andern Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften begangen<br />
werden) als leichte Widerhandlung und führt zu einer Busse und/oder<br />
einer Haftstrafe sowie in der Regel zu einer Verwarnung (Art. 91 Abs. 1<br />
und Art. 16a Abs. 3 SVG) 30 .<br />
Bei 0.8 ‰ und mehr liegt eine schwere Widerhandlung vor, sodass nebst<br />
Busse und/oder Gefängnisstrafe auch mit einem mindestens dreimonatigen<br />
Führerausweisentzug zu rechnen ist (Art. 91 Abs. 1 und Art. 16c<br />
SVG).<br />
30 Der Führerausweis wird nicht entzogen, sofern in den vorangegangenen zwei<br />
Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme<br />
verfügt wurde (Art. 16a Abs. 3 SVG). Andernfalls wird ein<br />
Führerausweisentzug für die Dauer von mindestens einem Monat angeordnet<br />
(Art. 16a Abs. 2 SVG).
242 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Wiederholungstäter<br />
und Neulenkende<br />
werden härter<br />
sanktioniert<br />
Grenzwerte müssen<br />
in Konsummengen<br />
ausdrückbar sein<br />
2005 wurde<br />
Nulltolleranz bei<br />
Drogen eingeführt<br />
Diese Sanktionen gelten bei Ersttätern. Bei Wiederholungstätern kommt<br />
das Kaskadenmodell zum Tragen, das eine stufenweise Verlängerung der<br />
Mindestentzugsdauern des Führerausweises vorsieht. Bei den Neulenkenden,<br />
die sich in der Probephase befinden, wird im Falle eines Führerausweisentzugs<br />
zusätzlich die Probezeit um ein Jahr verlängert. Bei einem<br />
weiteren Führerausweisentzug während der Probephase wird der<br />
Führerausweis annulliert.<br />
Anpassungsbedarf: Die geltenden Gesetze schöpfen die Möglichkeiten<br />
zur Verhinderung von Fahrten in alkoholisiertem Zustand weitgehend aus.<br />
Im Sinne einer Optimierung sind folgende gesetzlichen Anpassungen<br />
möglich:<br />
• Für Neulenkende gilt während der dreijährigen Probephase ein BAK-<br />
Grenzwert von 0.0 ‰ (Risiko ist bei Neulenkenden bereits ab 0.2 ‰<br />
erhöht; vgl. Weibrecht, 2005).<br />
• Für Berufschauffeure sollte der BAK-Grenzwert ebenfalls auf 0.0 ‰<br />
reduziert werden.<br />
Drogen und Medikamente: Generell gilt: Wer wegen Betäubungsmitteloder<br />
Arzneimitteleinfluss nicht mehr über ausreichende körperliche und<br />
psychische Fähigkeiten verfügt, gilt als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug<br />
führen (Art. 31 Abs. 2 SVG). Damit gesetzestreue Lenkende geltende<br />
Grenzwerte einhalten können, müssen ihnen klare Angaben über<br />
die zulässige Menge des Wirkstoffs gemacht werden. Das setzt voraus,<br />
dass die erlaubte Konzentration in Konsummengen ausgedrückt werden<br />
kann. Diese Voraussetzung ist bei Drogen meist nicht gegeben. Deshalb<br />
stellt die Nulltoleranz-Regelung für den Gesetzgeber eine attraktive und<br />
pragmatische Lösung dar. Sie schreibt dem Konsumenten klar vor, die<br />
Kombination Substanzeinnahme und Fahren zu meiden.<br />
Am 1. Januar 2005 wurde für folgende Drogen gemäss Art. 2 VRV eine<br />
Nulltoleranz31 eingeführt: Cannabis (THC), freies Morphin (Heroin/Morphin),<br />
Kokain, Amphetamin, Methamphetamin und Designerdrogen (MDEA =<br />
Methylendioxyethylamphetamin und MDMA = Methylendioxymetampheta-<br />
31 De facto kommen gemäss Weisungen des ASTRA betreffend die Feststellung<br />
der Fahrunfähigkeit im Strassenverkehr folgende Grenzwerte zur Anwendung:<br />
bei THC eine Konzentration von mehr als 1,5 Mikrogramm/Liter Blut und bei<br />
Heroin, Morphin, Kokain und Designerdrogen eine Konzentration von mehr als<br />
15 Mikrogramm/Liter Blut.
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 243<br />
Kontrolle der<br />
Fahrfähigkeit ist<br />
notwendig<br />
min). Fahren unter Betäubungsmitteleinfluss gilt als schwere Widerhandlung<br />
und wird dementsprechend zusätzlich zur Busse und/oder Gefängnisstrafe<br />
mit einem Führerausweisentzug für mindestens drei Monate geahndet<br />
(Art. 91 Abs. 2 und Art. 16c SVG). 32 Im Gegensatz zum Alkohol<br />
sind anlassfreie Drogenkontrollen auch weiterhin nicht erlaubt.<br />
Es ist selbstredend, dass für Medikamente keine Nulltoleranz-Regelung<br />
besteht, da sie therapeutisch notwendig sein können. Um das Ausmass<br />
der Fähigkeitsbeeinträchtigung zu beurteilen, stützen sich die Führerausweisentzugsbehörde<br />
und gegebenenfalls der Richter auf ein Gutachten<br />
nach dem Drei-Säulen-Prinzip, das auf den polizeilichen Beobachtungen,<br />
einer ärztlichen Untersuchung und den Ergebnissen einer chemischtoxikologischen<br />
Untersuchung beruht (Art. 142b VZV).<br />
Anpassungsbedarf: Kurzfristig besteht bezüglich Betäubungsmittel- und<br />
Arzneimitteleinfluss kein vordringlicher Anpassungsbedarf der geltenden<br />
Gesetze. Mittelfristig sind anlassfreie Drogenkontrollen gesetzlich zu erlauben,<br />
sofern die Qualität (Sensitivität und Spezifität) der Drogenschnelltests<br />
gesteigert werden kann.<br />
b) Exekutive Massnahmen<br />
Damit gesetzliche Grenzwerte eingehalten werden, bedarf es der polizeilichen<br />
Durchsetzung. Wie stark sich die Verkehrsteilnehmenden an die Gesetze<br />
halten, hängt stark von ihrer subjektiven Kontrollerwartung ab. Deshalb<br />
ist es sinnvoll, eine genügende Anzahl von Verkehrskontrollen so<br />
durchzuführen, dass möglichst viele Fahrzeuglenkende sie sehen. Der<br />
dadurch erzeugte generalpräventive Effekt kann noch verstärkt werden,<br />
indem die polizeilichen Kontrollen über verschiedene Massenmedien vorangekündigt<br />
werden. Um den spezialpräventiven Effekt zu steigern, wäre<br />
es aufgrund lernpsychologischer Überlegungen sinnvoll, das Sanktionsverfahren<br />
zu beschleunigen, damit die Bestrafung zeitlich so nah wie<br />
möglich beim begangenen Verkehrsdelikt liegt.<br />
32 Da Cannabis erst ab 5 ng zu einer Risikoerhöhung führt, erscheint es<br />
übertrieben, bereits das Vorhandensein von Cannabis als schwere Widerhandlung<br />
einzustufen, zumal ein BAK-Wert im Bereich von 0.5 bis 0.79 ‰<br />
lediglich als leichte Widerhandlung gilt, obwohl eine Risikoerhöhung besteht.
244 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Nutzung der neuen<br />
Möglichkeiten bei der<br />
Alkoholkontrolle<br />
Drogenkontrollen sind<br />
nur im Verdachtsfall<br />
erlaubt<br />
Alkohol: Die Polizei kann ab Anfang 2005 ohne konkreten Verdacht im<br />
Strassenverkehr Atem-Alkoholkontrollen durchführen. Der Einsatz der<br />
Atemanalyse ermöglicht es der Polizei, vermehrte Kontrollen bei gleichem<br />
Personaleinsatz durchzuführen und dadurch die Entdeckungswahrscheinlichkeit<br />
zu steigern. Eine Blutprobe ist nur dann notwendig, wenn die<br />
Atem-Alkoholmessung einen Wert von 0.8 ‰ und mehr ergibt oder wenn<br />
der MFZ-Lenkende das zwischen 0.50 und 0.79 ‰ liegende Atem-Alkoholergebnis<br />
nicht anerkennt.<br />
Es ist wichtig, dass die Polizei die neu eröffneten Möglichkeiten auch längerfristig<br />
nutzt, um trotz ihrer eingeschränkten Personalressourcen die<br />
subjektive Kontrollerwartung der Fahrzeuglenkenden zu erhöhen. Gemäss<br />
den Statistiken polizeilicher Verkehrskontrollen (Bundesamt für Statistik<br />
BFS, 2006a) musste sich im Jahr 2005 rund die Hälfte der von der<br />
Polizei bei einer Verkehrskontrolle oder einem Unfall angehaltenen Fahrzeuglenkenden<br />
einem Alkoholtest unterziehen. Dieser Anteil konnte im<br />
Verlauf der letzten fünf Jahre signifikant gesteigert werden (2001: 17 %;<br />
2003: 32 %). Der Anteil der kontrollierten Lenkenden bezogen auf die Gesamtheit<br />
der Lenkenden lag 2005 bei 5 %, während er in den Vorjahren<br />
noch unter 2 % lag (2001: 1.9 %, 2003: 1.5 %). Die genannten Indikatoren<br />
zeigen, dass die Intensität der polizeilichen Atem-Alkoholkontrollen deutlich<br />
zugenommen hat. Das schlägt sich auch in der subjektiven Kontrollerwartung<br />
der Fahrzeuglenkenden nieder. Im Rahmen einer repräsentativen<br />
Umfrage zeigte sich, dass der Anteil der Personen, die „nie“ mit einer<br />
Alkoholkontrolle rechnen, von 40 % auf beinahe 20 % gesunken ist (Demoscope,<br />
2005).<br />
Drogen: Im Gegensatz zum Alkohol darf die Polizei weiterhin keine anlassfreien<br />
Drogenkontrollen durchführen. Drogentests dürfen nur angeordnet<br />
werden, wenn der Verdacht einer Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit<br />
durch den Einfluss von Betäubungs- und/oder Arzneimitteln vorliegt.<br />
Im fliessenden Verkehr ist es jedoch kaum möglich, einen begründeten<br />
Verdacht einer drogenbedingten Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit zu<br />
äussern. Das gelingt eher bei Standkontrollen (Aderjan & Mattern, 2000).<br />
Speichel-Schnelltests (wie der mehrheitlich eingesetzte und aus Deutschland<br />
stammende „Drugwipe“) erlauben es der Polizei, vor Ort einen ersten<br />
Anfangsverdacht zu erhärten, um dann die entscheidende Blutprobe
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 245<br />
Rationale Argumente<br />
nützen bei FiaZ wenig<br />
FiaZ: WAB-Kurse und<br />
Kampagne als<br />
Generalprävention<br />
anzuordnen. Der Speichel-Schnelltest alleine reicht nicht aus, um administrative<br />
oder juristische Sanktionen zu verfügen. Das ist gegenwärtig auch<br />
nicht anstrebenswert, da Sensitivität und Spezifität der heutigen Schnelltests<br />
für diesen Zweck noch zu schlecht sind. Als Testmaterialien zur<br />
Drogenerkennung kommen grundsätzlich neben den Schnelltests die<br />
bewährte Urinprobe und die Haaranalyse in Betracht. Sowohl Urin- als<br />
auch Haaruntersuchungen können jedoch nur den Konsum nachweisen;<br />
die Frage, ob eine akute Beeinträchtigung vorliegt, kann nicht beantwortet<br />
werden. Somit stellen sie keine Alternative zur Blutprobe dar (Aderjan &<br />
Mattern, 2000).<br />
Abschliessend muss festgehalten werden, dass polizeiliche Kontrollen der<br />
Fahrfähigkeit der MFZ-Lenkenden einen bedeutenden Beitrag zur allgemeinen<br />
Verkehrssicherheit leisten; die spezifischen Effekte auf die Sicherheit<br />
der Fussgänger sind jedoch als eher bescheiden einzustufen.<br />
c) Edukative Massnahmen<br />
Alkohol: Es ist bereits seit langem bekannt, dass die individuelle Auseinandersetzung<br />
mit dem Problem „Trinken und Fahren“ weniger von rationalen<br />
Einsichten als von sozialpsychologischen Bedingungen gesteuert<br />
wird (vgl. Klebelsberg, 1982). Das heisst, es reicht nicht aus, darzulegen,<br />
dass FiaZ gefährlich ist. Vielmehr gilt es aufzuzeigen, dass es sich dabei<br />
nicht um ein Kavaliersdelikt, sondern um ein sozial nicht toleriertes Verhalten<br />
handelt.<br />
Hierzu bieten die Weiterausbildungskurse (WAB) der neuen 2-Phasenfahrausbildung<br />
mit den integrierten Gruppendiskussionen eine geeignete<br />
Plattform. Die methodisch-didaktisch korrekte Umsetzung derartiger Themen<br />
muss im Rahmen der Qualitätssicherung der neuen Fahrausbildung<br />
sichergestellt werden. Um neben den Neulenkenden auch die restlichen<br />
Lenkenden ansprechen zu können, bedarf es periodischer massenmedialer<br />
Kampagnen. (Idealerweise werden Kampagnen mit polizeilichen<br />
Kontrollaktivitäten kombiniert, da dadurch eine bedeutende Wirkungssteigerung<br />
erwartet werden darf.)
246 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
FiaZ: Nachschulungskurse<br />
als Spezialprävention<br />
WAB-Kurse im<br />
Bereich Drogen<br />
ausreichend<br />
Piktogramm warnt vor<br />
Beeinträchtigung der<br />
Fahrfähigkeit<br />
Neben den genannten generalpräventiven Massnahmen sind auch spezialpräventive<br />
Nachschulungskurse zu berücksichtigen, da ein beachtlicher<br />
Teil der FiaZ-Lenkenden zu den Wiederholungstätern gehört. Die Kantone<br />
sind seit 1991 gemäss Art. 40 der VZV verpflichtet, Nachschulungskurse<br />
für wiederholt (alkohol-)auffällige Strassenverkehrsteilnehmende durchzuführen.<br />
Diese Schulung ist in der Regel freiwillig und vom Kursabsolventen<br />
selbst zu bezahlen. Nach erfolgreich absolviertem Kurs kann der<br />
entzogene Ausweis – je nach Kanton – bis zu drei Monaten eher wiedererlangt<br />
werden, frühestens jedoch nach der Mindestentzugsdauer von 12<br />
Monaten für wiederholte Alkoholauffälligkeit. Der Aspekt der Freiwilligkeit<br />
in Kombination mit der Belohnung (Kürzung der Entzugsdauer) ist in motivationspsychologischer<br />
Hinsicht als sehr sinnvoll zu bewerten. Ein generelles<br />
Obligatorium für den Besuch von Nachschulungskursen ist dementsprechend<br />
nicht zweckmässig. Es kann hingegen empfohlen werden,<br />
Nachschulungskurse bereits bei erstmaligem Führerscheinentzug anzubieten.<br />
Drogen: Drogen stellen insbesondere bei Mischkonsum mit Alkohol ein<br />
Problem dar und werden eher von jungen MFZ-Lenkenden konsumiert.<br />
Dementsprechend ist es ausreichend, die Problematik im Rahmen der<br />
Weiterausbildungskurse der neuen Fahrausbildung zu thematisieren.<br />
Weitergehende edukative Massnahmen wie massenmediale Kampagnen<br />
erscheinen infolge der relativ geringen Drogenprävalenz bei den Autofahrenden<br />
nicht notwendig.<br />
Medikamente: Der Arzt muss explizit verpflichtet werden, den Patienten<br />
über alle aus seiner Erkrankung und Behandlung resultierenden Beeinträchtigungen<br />
der Fahrfähigkeit zu informieren. Diese Regelung ist deshalb<br />
besonders wichtig, weil die Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit eine<br />
Begleiterscheinung darstellt, die angesichts der positiven Wirkungen gern<br />
verdrängt oder unterschätzt wird.<br />
Die Warnung durch den Arzt oder Apotheker ist auch insofern wichtig, als<br />
der Warnhinweis auf dem Beipackzettel in der Flut der aufgelisteten möglichen<br />
Nebenwirkungen leicht untergehen kann. Deshalb ist es sinnvoll,<br />
auf den Medikamentenbeipackzetteln der Fahrfähigkeitsbeeinträchtigung<br />
einen grösseren Stellenwert zu geben, z. B. indem ein einheitliches und
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 247<br />
Lenkerüberwachungssysteme<br />
können FiaZ<br />
verhindern<br />
Empfehlenswert wenn<br />
Ressourcenbindung<br />
gering<br />
selbsterklärendes Piktogramm vorgeschrieben wird. Im Idealfall stünde<br />
ein zusätzliches Piktogramm auf der Medikamentenverpackung.<br />
d) Technische Massnahmen<br />
Auf dem Markt sind bereits technische Systeme erhältlich, die die Atemluft<br />
der Lenkenden analysieren und diese gegebenenfalls warnen oder die<br />
Abfahrt sogar verhindern. Die soziale und politische Akzeptanz eines flächendeckenden<br />
Einbaus solcher Systeme ist jedoch eher gering und zudem<br />
infolge der gegenwärtig noch hohen Kosten nicht sehr effizient. Ein<br />
Einbau käme höchstens für wiederholt auffällige Autofahrende in Frage,<br />
diese Massnahme würde der Sicherheit der Fussgänger jedoch im Vergleich<br />
zu den Kosten zu wenig nutzen, als dass sie empfehlenswert wäre.<br />
4.3.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Die diskutierten Massnahmen zur Verhinderung von Fahrten unter Substanzeinfluss<br />
sind an und für sich alle empfehlenswert, wenn es darum<br />
geht, das Gesamtunfallgeschehen zu reduzieren. Anders sieht es aus,<br />
wenn ihr spezifischer Nutzen für die Fussgängersicherheit betrachtet wird.<br />
Die Auswirkungen auf die Sicherheit der Fussgänger sind nämlich eher<br />
gering, sodass sich bereits bei relativ bescheidenen Kosten eine<br />
schlechte Ressourceneffizienz (Kosten-Nutzen-Verhältnis) ergibt. Anders<br />
ausgedrückt sind diese Massnahmen (im Hinblick auf die Steigerung der<br />
Fussgängersicherheit) dann empfehlenswert, wenn sie keine finanziellen<br />
und personellen Ressourcen binden, die an anderer Stelle nutzbringender<br />
für die Fussgängersicherheit eingesetzt werden könnten (Tabelle 79).
248 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 79:<br />
Massnahmen zur<br />
Sicherstellung der<br />
Fahrfähigkeit und<br />
Beurteilung<br />
Fahrunfähigkeit kann<br />
exogene und endogene<br />
Ursachen haben<br />
Müdigkeit hat für<br />
Fussgängersicherheit<br />
geringe Bedeutung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Nachschulungskurse bereits bei erstmaligem<br />
Führerausweisentzug anbieten<br />
BAK-Grenzwert für Neulenkende in<br />
Probephase auf 0.0 ‰ senken<br />
Erhöhung vorangekündigter, gut sichtbarer<br />
(anlassfreier) Alkoholkontrollen in<br />
Kombination mit massenmedialer<br />
Kampagne<br />
Piktogramm auf Medikamenten-<br />
Beipackzettel zur Warnung vor<br />
Beeinträchtigungen der Fahrfähigkeit<br />
Beschleunigung des Sanktionsverfahrens<br />
Anlassfreie Drogenkontrollen gesetzlich<br />
erlauben und Resultate der<br />
Drogenschnelltests rechtskräftig machen<br />
Lenkerüberwachungssysteme zur Kontrolle<br />
der Fahrfähigkeit<br />
Massenmediale Kampagne zum Thema<br />
Betäubungs- und Arzneimittel<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
(mit bescheidenem Nutzen für<br />
Fussgänger)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da Qualität der Diagnosegeräte<br />
noch nicht ausreichend)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
4.4 Fahrfähigkeit: Unaufmerksamkeit, Ablenkung und Müdigkeit<br />
4.4.1 Ausgangslage<br />
Im vorhergehenden Kapitel wurden substanzbedingte Beeinträchtigungen<br />
der Fahrfähigkeit thematisiert. In Ergänzung dazu werden nachfolgend<br />
endogene Beeinträchtigungen (namentlich Unaufmerksamkeit, Ablenkung<br />
und Müdigkeit) betrachtet.<br />
Durch Müdigkeit der Fahrzeuglenkenden bedingte Unfälle kommen nicht<br />
nur während der Nacht vor, sondern können sich zu jeder Tagesstunde<br />
ereignen. Neben der Nacht sind insbesondere auch in den Nachmittagsstunden<br />
Unfallhäufungen zu verzeichnen. Müdigkeitsunfälle kommen jedoch<br />
insbesondere auf monotonen Langstrecken (d. h. vor allem auf Au-
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 249<br />
Unaufmerksamkeit/<br />
Ablenkung stellen ein<br />
bedeutendes Problem<br />
dar<br />
Tabelle 80:<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
zur Verhinderung<br />
endogener<br />
Fahrunfähigkeit bei<br />
MFZ-Lenkenden<br />
tobahnen und Ausserortsstrecken) vor und sind dementsprechend für<br />
Fussgänger von relativ geringer Bedeutung.<br />
Unaufmerksamkeit wird in der vorliegenden Arbeit im Sinne einer bewussten<br />
oder unbewussten Ablenkung durch eine nicht der Fahraufgabe<br />
dienende Tätigkeit verstanden. Die Ablenkung kann dabei mentaler Natur<br />
(z. B. beim Telefonieren) und/oder visueller Natur sein (z. B. Blick vom<br />
fahrrelevanten Verkehrsraum abwenden). Ablenkung stellt einen wichtigen<br />
Grund für Kollisionen mit Fussgängern dar.<br />
4.4.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Um endogene Beeinträchtigungen der Fahrfähigkeit zu minimieren, müssen<br />
folgende Teilaspekte anvisiert werden:<br />
• MFZ-Lenkende müssen über mögliche Ursachen und das erhöhte<br />
Unfallrisiko von Müdigkeit informiert sein sowie hauptsächlich längerfristige<br />
Möglichkeiten zur Müdigkeitsverhinderung, aber auch kurzfristige<br />
zur Wiederherstellung der Vigilanz kennen.<br />
• Deutlich übermüdete MFZ-Lenkende müssen (gezwungenermassen<br />
oder freiwillig) die aktive Teilnahme am Strassenverkehr unterlassen.<br />
• MFZ-Lenkende müssen ihre kognitiv-visuelle Aufmerksamkeit ausschliesslich<br />
dem Strassenverkehr widmen, namentlich sind das Telefonieren<br />
(mentale Ablenkung) und lang andauernde Blickabwendungen<br />
(visuelle Ablenkung) zu unterbinden.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Verhinderung von Unaufmerksamkeit und Ablenkung ***<br />
Verhinderung von Fahrten in übermüdetem Zustand *<br />
* sehr gering / ***** sehr gross
250 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Möglichkeiten zur<br />
Müdigkeitskontrolle<br />
sind eingeschränkt<br />
Freisprechanlage ist<br />
erlaubt solange nichts<br />
passiert<br />
Telefonierverbot ist<br />
sinnvoll, jedoch<br />
zurzeit politisch nicht<br />
realisierbar<br />
4.4.3 Förderungsmassnahmen<br />
a) Legislativ-exekutive Massnahmen<br />
Müdigkeit: Exekutive Massnahmen im Sinne polizeilicher Kontrollen können<br />
nur bei Berufslenkenden zur Anwendung kommen, indem die Einhaltung<br />
der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten kontrolliert wird.<br />
Weitere Möglichkeiten zur Kontrolle der Müdigkeit stehen der Polizei nicht<br />
zur Verfügung, da sich die Müdigkeit der Erfassung entzieht. Selbst stark<br />
übermüdete Lenker gewinnen im Falle einer Polizeikontrolle durch die<br />
Aufregung und Monotonieunterbrechung sofort wieder an Vigilanz.<br />
Ablenkung: Gemäss Art. 3 Abs. 1 VRV, wonach der Fahrzeugführer<br />
keine Verrichtung vornehmen darf, die die Bedienung des Fahrzeugs erschwert,<br />
ist das Benutzen eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung<br />
während der Fahrt verboten und wird dementsprechend gebüsst (CHF<br />
100.– gemäss Ziffer 311 OBV Anhang 1). Ferner wird vorgeschrieben,<br />
dass der Fahrzeugführer seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem<br />
Verkehr zuwenden muss und dafür zu sorgen hat, „dass seine Aufmerksamkeit<br />
weder durch Radio noch andere Tonwiedergabegeräte“ beeinträchtigt<br />
wird. Demnach ist das Verwenden einer Freisprechanlage zum<br />
Telefonieren zwar grundsätzlich erlaubt; spätestens bei einem Unfall ist<br />
jedoch anzunehmen, dass die Aufmerksamkeit eingeschränkt war, sodass<br />
der Lenker sanktioniert werden kann.<br />
Das im Rahmen der Verkehrssicherheitspolitik Via sicura ursprünglich<br />
vorgesehene Verbot von Freisprechanlagen zum Telefonieren wurde<br />
Ende 2004 aus der Liste der Sicherheitsmassnahmen gestrichen. Trotzdem<br />
muss aufgrund aktueller Forschungsbefunde (Kircher et al., 2004)<br />
ein solches Verbot nach wie vor gefordert und langfristig angestrebt werden.<br />
In Anbetracht des hohen sozial-politischen Gegendrucks stellt ein innerortsspezifisches<br />
Verbot einen akzeptablen Kompromiss dar. Die Einschränkung<br />
auf den Innerortsbereich ist aus folgenden Gründen notwendig<br />
und sinnvoll:<br />
• Fussgänger, die als ungeschützte Verkehrsteilnehmende das grösste<br />
Verletzungsrisiko tragen, halten sich primär im Innerortsbereich auf.
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 251<br />
Nicht alle verbotenen<br />
Nebentätigkeiten<br />
werden im Gesetz<br />
ausdrücklich erwähnt<br />
Altersspezifisches<br />
Ansprechen ist<br />
wichtig<br />
• Im Innerortsbereich sind viele Kurzstreckenfahrten zu verzeichnen, so<br />
dass Telefongespräche problemlos verschoben werden können und<br />
ansonsten genügend Anhaltegelegenheiten existieren.<br />
• Innerorts besteht beim Telefonieren die grösste Gefahr, da hier die<br />
Informationsdichte und damit die mentale Beanspruchung weitaus am<br />
höchsten ist, sodass bereits minimale Ablenkungen ausreichen, um<br />
verkehrsrelevante Informationen nicht rechtzeitig erfassen zu können.<br />
• Fussgänger tragen infolge ihrer geringen Abmessung und ihrer Unauffälligkeit<br />
die grösste Gefahr, durch Ablenkung übersehen zu werden.<br />
Es kann vermutet werden, dass ein Verbot, das sich auf einen spezifischen<br />
Gefahrenbereich beschränkt, eine höhere soziale Akzeptanz erzielt<br />
als ein globales Verbot. Dennoch dürfte ein innerortsspezifisches Telefonierverbot<br />
zumindest gegenwärtig politisch nur schwer zu realisieren sein.<br />
Andere ablenkende Nebentätigkeiten beim Fahren wie beispielsweise Essen<br />
oder das Lesen der Strassenkarte sind zwar im Gesetz nicht ausdrücklich<br />
erwähnt, dennoch können Polizei und Richter die Lenkenden<br />
gegebenenfalls sanktionieren, da es sich dabei um eine Erschwerung der<br />
Fahrzeugbedienung und eine Verletzung der Vorsichtspflicht handelt.<br />
Die explizite Erwähnung verbotener Tätigkeiten am Steuer wäre zwar<br />
grundsätzlich wünschenswert, würde jedoch keinen nennenswerten Beitrag<br />
zur Steigerung der Verkehrssicherheit leisten.<br />
b) Edukative Massnahmen<br />
Müdigkeit: Heute zählen insbesondere Schulung und Sensibilisierung zu<br />
den Hauptmassnahmen gegen Müdigkeit am Steuer. Eine globale Sensibilisierung<br />
reicht jedoch noch nicht aus. Vielmehr bedarf es altersspezifischer<br />
Einsatzmittel, da die Hauptgründe für Müdigkeit altersabhängig<br />
sind. Junge Lenkende (deren Gründe für Müdigkeit am Steuer insbesondere<br />
beim Alkohol- und Drogenkonsum sowie beim Schlafdefizit liegen)<br />
können im Rahmen der obligatorischen Weiterausbildungskurse der<br />
neuen 2-Phasenfahrausbildung angesprochen werden. Bei Lenkenden im<br />
berufstätigen Alter und bei Senioren ist demgegenüber verstärkt auf Medikamente<br />
und Schlafstörungen (z. B. Apnoe) sowie auf zu lange Fahrtstrecken<br />
als Hauptgründe für Müdigkeit am Steuer einzugehen.<br />
Informationsbroschüren zum Thema Müdigkeit am Steuer können über
252 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Aufklärung: Auch bei<br />
Freisprechanlage<br />
besteht Gefahr<br />
Müdigkeit:<br />
Gegenwärtig keine<br />
technische<br />
Kontrollmöglichkeit<br />
Ablenkungsüberwachung<br />
mit bedeutendemSicherheitspotenzial<br />
verschiedene Kanäle und Akteure gestreut werden (Internet, Arztpraxen,<br />
Beratungsstellen, Verkehrsclubs etc.). Eine Kampagne zur Müdigkeitsproblematik<br />
mit dem Ziel, die Sicherheit der Fussgänger zu steigern, ist<br />
aufgrund eines zu geringen Kosten-Nutzen-Verhältnisses nicht empfehlenswert.<br />
Ablenkung: Die MFZ-Lenkenden müssen aufgeklärt werden, dass das<br />
Telefonieren am Steuer selbst mit einer Freisprechanlage zur Einschränkung<br />
der Fahrfähigkeit führt. Um das Verständnis und die Akzeptanz für<br />
die Forderung des Telefonverzichts am Steuer zu erhöhen, ist es sinnvoll<br />
zu erklären, warum andere Nebentätigkeiten wie z. B. mit dem Beifahrer<br />
reden oder Musik hören im Gegensatz zum Telefonieren weit weniger<br />
gefährlich sind. Weiter gilt es aufzuzeigen, dass zwar streng genommen<br />
nur das Telefonieren mit dem Mobiltelefon in der Hand von vornherein<br />
verboten ist, dass aber auch die Verwendung einer Freisprechanlage lediglich<br />
solange gesetzlich erlaubt ist, wie nichts passiert. Kommt es zu<br />
einem Unfall, muss mit einer Busse gerechnet werden. Zudem muss der<br />
Betroffene mit Regressforderungen oder Abzügen bei der Versicherung<br />
rechnen. Diese Informationen können über verschiedenen Kanäle und<br />
Akteure gestreut werden. Eine Kampagne würde höchstens als flankierende<br />
Massnahme bei einem gesetzlichen Verbot Sinn machen.<br />
c) Technische Massnahmen<br />
Müdigkeit: Längerfristig sind fahrzeugtechnische Massnahmen wie Lenkerüberwachungssysteme<br />
(Driver Alertness Monitoring Systems DAMS)<br />
zu berücksichtigen; gegenwärtig sind diese Systeme jedoch noch nicht<br />
marktreif. Unklar ist auch, ob solche Installationen zu einer Verhaltensanpassung<br />
führen, indem auf sie vertraut wird und bis an die Grenzen des<br />
tolerierten Müdigkeitsmasses gefahren wird. Zwar existieren auch weitere<br />
Möglichkeiten gegen Müdigkeitsunfälle wie tönende oder rüttelnde Leitlinien;<br />
diese sind jedoch zur Verhinderung von Fussgängerunfällen kaum<br />
bis gar nicht wirksam.<br />
Ablenkung: Durch ein Sensorsystem im Fahrzeug kann das Blickverhalten<br />
und somit visuelle Ablenkungen erfasst und der Lenkende bei zu langem<br />
Wegschauen gewarnt werden. Beim Fahrzeughersteller Saab ist<br />
z. B. ein System in der Serienvorbereitung, das mittels zwei Infrarotsenso-
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 253<br />
Tabelle 81:<br />
Massnahmen gegen<br />
Müdigkeit und<br />
Ablenkung und deren<br />
Beurteilung<br />
ren Kopf- und Augenbewegungen des Fahrers überwacht. Schweift der<br />
Blick von einem bestimmten Hauptaufmerksamkeitsbereich ab, beginnt<br />
ein Countdown, der registriert, wie lange sich der Fahrzeuglenkende nicht<br />
auf das eigentliche Verkehrsgeschehen vor dem Auto konzentriert. Das<br />
System berücksichtigt die Fahrgeschwindigkeit: Bei höheren Geschwindigkeiten<br />
wird das tolerierte Sichtfeld kleiner und die Warnzeit kürzer (vgl.<br />
Saab, 2005).<br />
Es existieren auch Pilotprojekte mit fahrzeugintegrierten Systemen, die<br />
die aktuelle mentale Beanspruchung des Lenkenden ermitteln (mittels<br />
Verkehrsgeschehen, Fahrparameter etc.) und Telefonanrufe nur zulassen,<br />
wenn die Beanspruchung unterhalb eines bestimmten Grenzwertes<br />
liegt (vgl. Piechulla, Mayser, Gehrke & König, 2003).<br />
Derartige Systeme sind grundsätzlich sehr zu begrüssen, da ein beachtlicher<br />
Sicherheitsgewinn gerade für ungeschützte Verkehrsteilnehmende<br />
erwartet werden darf. Inwieweit solche optionalen Systeme von den Lenkenden<br />
gekauft werden, kann noch nicht abgeschätzt werden. Sobald sie<br />
auf dem Markt erhältlich sind, sollten sie von Institutionen, die sich für die<br />
Verkehrssicherheit einsetzen, aktiv beworben werden. Dieses Vorgehen<br />
dürfte auch andere MFZ-Hersteller auf den Plan rufen, gemäss dem Motto<br />
„Safety sells“ sicherheitstechnische Funktionen anzubieten und als Verkaufsargument<br />
zu nutzen.<br />
4.4.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Informationen zur Problematik des<br />
Telefonierens am Steuer mittels<br />
Broschüren, Internet etc.<br />
Innerortsspezifisches Verbot zu<br />
telefonieren (inkl. Freisprechanlage)<br />
Globales Verbot zu telefonieren<br />
(inkl. Freisprechanlage)<br />
Kampagne, um die Verkehrsteilnehmenden<br />
zum Thema ‚Müdigkeit am Steuer’ zu<br />
sensibilisieren<br />
Förderung technischer Systeme zur<br />
Überwachung der Müdigkeit und der<br />
visuellen Ablenkung<br />
Empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da politische Machbarkeit unklar)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da momentan politisch nicht<br />
durchsetzbar)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis )
254 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Fahrkompetenz wird<br />
v. a. in der Fahrausbildung<br />
vermittelt<br />
Motorische und<br />
kognitive Kompetenz<br />
werden gut abgedeckt<br />
4.5 Fahrkompetenz: Gefahrenkognition und Selbstkontrolle<br />
4.5.1 Ausgangslage<br />
Die Fahrkompetenz wird primär im Rahmen der Fahrausbildung erworben.<br />
Zur Erlangung der Fahrkompetenz ist es notwendig, aber keinesfalls<br />
hinreichend, das Fahrzeug korrekt und automatisiert bedienen zu können<br />
sowie die allgemeinen Verkehrsregeln zu kennen. Entscheidender für die<br />
spätere Unfallwahrscheinlichkeit ist die Kompetenz, sich und seine Fähigkeiten<br />
richtig einzuschätzen und sich selbst unter Kontrolle zu haben<br />
(d. h. beispielsweise, sich nicht durch die momentane Stimmungslage<br />
oder Passagiere zu risikoreichem Fahrverhalten verleiten zu lassen).<br />
4.5.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Globales Ziel ist es, die Fahranfänger umfassend auszubilden, das heisst,<br />
die motorische, kognitive und psychologische Fahrkompetenz zu vermitteln.<br />
Das gegenwärtige Ausbildungssystem stellt die korrekte und automatisierte<br />
Bedienung des Fahrzeugs (motorische Fahrkompetenz) weitgehend<br />
sicher - nicht zuletzt dank der Laienausbildung, die es infolge der<br />
geringen Kosten ermöglicht, viel mehr Lernfahrten zu absolvieren als bei<br />
Ausbildungssystemen, die ausschliesslich professionell begleitete Lernfahrten<br />
erlauben. Auch die Wissensvermittlung bezüglich der allgemeinen<br />
Verhaltensregeln und der Bedeutung markierungs- und signalisationstechnischer<br />
Infrastrukturelemente wird im Rahmen der jetzigen Fahrausbildung<br />
in ausreichendem Mass erfüllt (kognitive Fahrkompetenz). Da<br />
in diesen Kompetenzbereichen kein nennenswerter Änderungsbedarf besteht,<br />
werden sie nachfolgend nicht weiter thematisiert. Von der gegenwärtigen<br />
Fahrausbildung noch zu dürftig berücksichtigt wird hingegen die<br />
psychologische Fahrkompetenz. Dementsprechend liegt eine wichtige<br />
Präventionsmöglichkeit darin, diesen Kompetenzbereich zu stärken, indem…<br />
• das Gefahrenbewusstsein und die Selbstwahrnehmung/Selbstkontrolle<br />
verbessert wird.
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 255<br />
Ausbildung alleine<br />
reicht nicht aus<br />
Tabelle 82:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Sicherstellung<br />
der psychologischen<br />
Fahrkompetenz’ und<br />
Rettungspotenzial<br />
Die neue 2-Phasenfahrausbildung<br />
schliesst bisherige<br />
Ausbildungslücken<br />
Da die Erlangung der Fahrkompetenz ein langwieriger Prozess ist und die<br />
Sammlung und Verarbeitung persönlicher Erfahrungen voraussetzt, kann<br />
es selbst bei einer methodisch-didaktisch noch so ausgefeilten Fahrausbildung<br />
nie gelingen, eine perfekte Fahrkompetenz zu vermitteln. Deshalb<br />
muss neben dem primären Ziel der Ausbildung auch ein sekundäres Präventionsziel<br />
verfolgt werden, das darin besteht zu verhindern, dass die<br />
noch unvollständig ausgebildete Fahrkompetenz der Fahranfänger zur<br />
Gefahr wird, indem…<br />
• das Fahrverhalten durch repressive Mittel (d. h. Sanktionen und<br />
Fahreinschränkungen) gesteuert wird.<br />
Die Vermittlung psychologischer Fahrkompetenz und die Repression haben<br />
das gleiche Ziel unter Verwendung komplementärer Strategien: Während<br />
die Vermittlung der psychologischen Fahrkompetenz die MFZ-Lenkenden<br />
zum sicheren Fahrverhalten überzeugen soll (d. h. Aufbau einer<br />
intrinsischen Motivation), versucht die Repression ein sicheres Fahrverhalten<br />
zu erzwingen (Aufbau einer extrinsischen Motivation). Indem die<br />
Repression klare Grenzen setzt und deren Einhaltung forciert, erfüllt sie<br />
auch die Funktion, Fahrerfahrungen unter geschützten Bedingungen erwerben<br />
zu können.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Sicherstellen der psychologischen Fahrkompetenz<br />
(Gefahrenbewusstsein und Selbstkontrolle)<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
4.5.3 Förderungsmassnahmen<br />
Beide oben genannten Präventionsaspekte werden weitgehend durch die<br />
per Ende 2005 in Kraft getretene zweite Ausbildungsphase abgedeckt:<br />
Die psychologische Fahrkompetenz wird im Rahmen der Weiterausbildungskurse<br />
(WAB) vermittelt; die Repression besteht im Erteilen eines<br />
provisorischen Führerscheins mit dreijähriger Probephase und Sanktionsandrohungen33<br />
.<br />
33 Sanktionsandrohung: Gemäss Art. 15a Abs. 3 bis 5 SVG wird die Probezeit<br />
um ein Jahr verlängert, wenn dem Neulenkenden der Ausweis wegen einer<br />
Widerhandlung entzogen wird. Bei einer zweiten Widerhandlung, die zum<br />
Entzug des Ausweises führt, verfällt der Führerausweis ganz. Ein neuer<br />
***
256 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Polizeikontrollen als<br />
wichtige flankierende<br />
Massnahme<br />
Periodische<br />
Wiederholungskurse<br />
für MFZ-Lenkende<br />
haben limitierten<br />
Nutzen<br />
Nicht enthalten sind Fahreinschränkungen wie Beschränkung bezüglich<br />
Alter und Anzahl der Passagiere (z. B. maximal ein Passagier und/oder mindestens<br />
23 Jahre), zeitliche Einschränkungen (z. B. Nachtfahrverbot) und<br />
weitere Verhaltensbeschränkungen (z. B. Überholverbot, BAK von 0.0 ‰). In<br />
Anbetracht der erst kürzlich in Kraft getretenen Erweiterung der Fahrausbildung,<br />
die ein grosses Präventionspotenzial birgt, gilt es in den nächsten<br />
Jahren, zunächst ihre korrekte Umsetzung zu gewährleisten und allenfalls<br />
Optimierungen vorzunehmen. Fahreinschränkungen sollten nicht bereits<br />
in den nächsten Jahren umgesetzt werden. Erst wenn sich in Zukunft im<br />
Rahmen der begleitenden Evaluationsstudie zeigen sollte, dass die neue<br />
Fahrausbildung singuläre Gefahrenpunkte nicht abdecken kann, sind klar<br />
darauf abgestimmte Fahreinschränkungen zu ergreifen. Dabei muss jedoch<br />
verhindert werden, dass eine allenfalls nicht funktionierende pädagogische<br />
Fahrausbildung durch Fahreinschränkungen kaschiert werden<br />
kann.<br />
Neben der korrekten Umsetzung der neuen Fahrausbildung ist auch darauf<br />
zu achten, dass die polizeilichen Verkehrskontrollen, die speziell junge<br />
Neulenkende anvisieren (z. B. Discobesucher), ihre generalpräventive<br />
Wirkung nicht verfehlen. Polizeiliche Kontrollen und die damit einhergehende<br />
erhöhte subjektive Kontrollerwartung bei den Autofahrenden sind<br />
notwendig, damit die in die Probephase integrierten Sanktionsandrohungen<br />
wirken können.<br />
Die neue Fahrausbildung soll primär das deutlich höhere Unfallrisiko von<br />
jungen Neulenkenden in den ersten Jahren nach bestandener Fahrprüfung<br />
reduzieren. Es besteht natürlich die Hoffnung, dass die zusätzlich<br />
vermittelten Lerninhalte nicht nur kurzfristig, sondern weit über die Probephase<br />
hinaus wirken. Da die Wirkung mit der Zeit verblassen kann, wären<br />
grundsätzlich periodische Wiederholungskurse denkbar, um die Lerninhalte<br />
aufzufrischen. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass<br />
der Nutzen von Schulungskursen für fahrerfahrene Lenkende gering und<br />
infolge der hohen Kosten nicht ressourceneffizient ist.<br />
Lernfahrausweis kann frühestens nach einer einjährigen Sperrfrist und nur auf<br />
Grund eines verkehrspsychologischen Gutachtens erteilt werden.
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 257<br />
Tabelle 83:<br />
Massnahmen zur<br />
Förderung der<br />
Fahrkompetenz und<br />
Beurteilung<br />
Die Bedeutung der<br />
Geschwindigkeit wird<br />
unterschätzt<br />
Förderung eines<br />
sicheren Fahrstils<br />
4.5.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Korrekte Umsetzung der neuen<br />
Fahrausbildung fördern<br />
Fahreinschränkungen für Neulenkende<br />
Periodische, obligatorische<br />
Wiederholungskurse für MFZ-Lenkende<br />
4.6 Fahrverhalten: Geschwindigkeit<br />
4.6.1 Ausgangslage<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(nur wenn 2-Phasenausbildung<br />
Wirkungslücken aufweisen sollte)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Mit steigender Geschwindigkeit nehmen die Unfallwahrscheinlichkeit und<br />
die Verletzungsschwere überproportional zu. Tempoüberschreitungen<br />
sind weitaus problematischer als von den Fahrzeuglenkenden gemeinhin<br />
angenommen, was bedeutet, dass zur physikalischen Problematik auch<br />
die Gefahrenverkennung seitens der Lenkenden hinzukommt, sodass die<br />
erforderliche Aufmerksamkeit oftmals nicht gegeben ist. Gemäss amtlicher<br />
Unfallstatistik macht der Mangel Geschwindigkeit 8 % aller polizeilich<br />
registrierten Mängel aus.<br />
4.6.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Ziel ist ein partnerschaftlicher, vorausschauender und sicherheitsorientierter<br />
Fahrstil der MFZ-Lenkenden, der sich auch in einer angemessenen<br />
Geschwindigkeitswahl manifestiert.<br />
Um das Gefahrenpotenzial der Geschwindigkeit als zentralstem Verletzungseinflussfaktor<br />
zu reduzieren, genügt es nicht, die Einhaltung der<br />
signalisierten Höchstgeschwindigkeit sicherzustellen. Die Grenzwerteinhaltung<br />
ist eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung für<br />
die Verkehrssicherheit. Für die Sicherheit der Fussgänger bedeutender ist<br />
die situationsangepasste Geschwindigkeitswahl, die oftmals unterhalb der<br />
signalisierten Geschwindigkeit liegt.
258 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 84:<br />
Präventionsmöglichkeit‚fussgängergerechtesFahrverhalten<br />
der MFZ-<br />
Lenkenenden’ und<br />
Rettungspotenzial<br />
Tabelle 85:<br />
Sanktionen in<br />
Abhängigkeit der<br />
Geschwindigkeitsüberschreitung<br />
und<br />
der Ortslage<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Situationsangemessene Fahrgeschwindigkeiten<br />
sicherstellen<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
Nachfolgend wird aufgezeigt, wie das Geschwindigkeitsverhalten verbessert<br />
werden kann.<br />
4.6.3 Förderungsmassnahmen<br />
a) Legislative Förderungsmassnahmen<br />
Gemäss Art. 32 Abs. 2 SVG ist die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge<br />
auf allen Strassen beschränkt. Widerhandlungen gegen die Geschwindigkeitslimiten<br />
werden in Abhängigkeit des Ausmasses der Überschreitung in<br />
folgende Kategorien eingeteilt (Tabelle 85):<br />
Art der<br />
Widerhandlung Innerorts Ausserorts Sanktion<br />
Bagatellwiderhandlung<br />
Leichte<br />
Widerhandlung<br />
Mittelschwere<br />
Widerhandlung<br />
Schwere<br />
Widerhandlungen<br />
1–15 km/h 1–20 km/h<br />
16–20 km/h 21–25 km/h<br />
21–24 km/h 26–29 km/h<br />
25 km/h<br />
und mehr<br />
30 km/h<br />
und mehr<br />
****<br />
Ordnungsbusse (von<br />
CHF 40.– bis CHF 250.–)<br />
Strafe (Busse bis CHF 10'000)<br />
sowie<br />
Massnahme (Verwarnung<br />
oder mind. 1-monatiger<br />
Führerausweisentzug)<br />
Strafe (je nach Fall wie nach<br />
leichter bzw. schwerer<br />
Widerhandlung) sowie<br />
Massnahme (Führerausweisentzug<br />
für mind. 1 Monat)<br />
Strafe (Freiheitsstrafe bis zu 3<br />
Jahren oder Geldstrafe*) sowie<br />
Massnahme (Führerausweisentzug<br />
für mind. 3 Monate)<br />
* Mit der Reform des Strafrechts, die am 1.1.2007 in Kraft tritt, werden kurze Freiheitsstrafen<br />
unter sechs Monaten in aller Regel durch Geldstrafen ersetzt. Die Geldstrafe wird<br />
im Tagessatzsystem bemessen, das – Im Vergleich zum für Bussen geltenden<br />
Geldsummensystem – die wirtschaftliche Situation des Täters viel stärker gewichtet.<br />
Eine Erhöhung der Ordnungsbussen zur Steigerung der Fussgängersicherheit<br />
sollte zur Zeit nicht primäres Ziel sein, da bekannt ist, dass (sofern<br />
ein minimales Strafmass nicht unterschritten ist) weniger die Sank-
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 259<br />
Kaskadensystem<br />
greift bei wiederholten<br />
Widerhandlungen<br />
Strafpunktesystem als<br />
zukünftige Alternative<br />
zum Kaskadensystem<br />
tionshöhe als vielmehr die Entdeckungswahrscheinlichkeit (Kontrollintensität)<br />
für das gesetzeskonforme Verhalten relevant ist. Dementsprechend liegt<br />
das primäre Ziel darin, die polizeiliche Kontrollhäufigkeit zu erhöhen.<br />
Bei erneuten Widerhandlungen, die mittelschwer oder schwer sind, verlängern<br />
sich die Mindestentzugsdauern stufenweise (Kaskadensystem).<br />
Nach drei schweren oder vier mittelschweren Widerhandlungen innert<br />
zehn Jahren wird der Ausweis auf unbestimmte Zeit (mindestens aber für<br />
zwei Jahre) entzogen (sofern in dieser Zeitperiode kein fünfjähriges Intervall<br />
liegt, in dem keine Administrativmassnahme verfügt wurde). Kann der<br />
auf diese Weise entzogene Ausweis wiedererteilt werden und begeht der<br />
Inhaber während der folgenden fünf Jahre eine erneute mindestens mittelschwere<br />
Widerhandlung, wird ein permanenter Entzug ausgesprochen.<br />
Diese am 1.1.2005 in Kraft getretenen gesetzlichen Verschärfungen<br />
(Art. 16b und 16c SVG) sind zurzeit als ausreichend zu bezeichnen.<br />
Weiterführende legislative Massnahmen sind erst zu diskutieren, wenn<br />
sich herausstellen sollte, dass sich das Kaskadensystem nicht bewährt.<br />
Dann müsste allenfalls eine Verschärfung des Kaskadensystems oder ein<br />
Strafpunktesystem34 , wie es in vielen europäischen Ländern existiert, ins<br />
Auge gefasst werden. Selbst wenn ein Strafpunkte- und ein Kaskadensystem<br />
faktisch die gleichen Sanktionen nach sich ziehen, kann davon<br />
ausgegangen werden, dass das Strafpunktesystem einen grösseren Sicherheitseffekt<br />
erzielt. Der grosse Vorteil eines Strafpunktesystems besteht<br />
nämlich darin, dass es den MFZ-Lenkenden infolge des eigenen<br />
Punktestandes präsenter ist als das Kaskadensystem und somit bereits<br />
beim unbelasteten MFZ-Lenkenden die Motivation erhöht, sich verkehrsgerecht<br />
zu verhalten, wohingegen das Kaskadensystem tendenziell erst<br />
dann Druck auf die Lenkenden ausübt, wenn bereits eine mittelschwere<br />
Widerhandlung vorliegt. Das heisst, während der spezialpräventive Nutzen<br />
bei beiden Systemen mehr oder weniger gleich einzustufen ist, darf<br />
34 Beim Strafpunktesystem wird bei Verkehrsverstössen je nach Art und Schwere<br />
des Vergehens eine bestimmte Anzahl von Punkten entweder erteilt oder von<br />
einem Anfangskontingent abgezogen. Durch den Besuch von freiwilligen<br />
Schulungskursen kann ein Teil der gesprochenen Strafpunkte wieder eliminiert<br />
werden. Bei Erreichen gewisser vorgegebener Limiten werden verschiedene<br />
Sanktionen verhängt, insbesondere Ausweisentzüge, Nachschulungen und<br />
verkehrspsychologische Untersuchungen.
260 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Mässigung der<br />
Geschwindigkeit bei<br />
Kindern im Strassenbereich<br />
Polizeiliche Überwachung<br />
kann mobil<br />
oder stationär<br />
erfolgen<br />
beim Strafpunktesystem ein höherer generalpräventiver Nutzen erwartet<br />
werden.<br />
Neben der Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit gilt gemäss Art. 32<br />
Abs. 1 SVG, dass die Geschwindigkeit stets den Umständen angepasst<br />
werden muss. Art. 4 der VRV präzisiert dieses Gesetz und führt eine<br />
Reihe von Situationen auf, in denen die Geschwindigkeit zu reduzieren ist –<br />
explizit aufgeführt werden auch Kinder: „Er (der Fahrzeugführer) muss die<br />
Geschwindigkeit mässigen und nötigenfalls halten, wenn Kinder im Strassenbereich<br />
nicht auf den Verkehr achten“ (Art. 4 Abs. 3 der VRV). Weiter<br />
schreibt Art. 6 Abs. 1 der VRV vor, dass der Fahrzeugführer die Geschwindigkeit<br />
rechtzeitig mässigen und er nötigenfalls ganz anhalten<br />
muss, um einem Fussgänger, der auf einem Fussgängerstreifen die<br />
Strasse queren möchte, den Vortritt zu gewähren. 35 Seit dem 1.6.1994<br />
muss der Fussgänger kein Handzeichen mehr geben, um zu signalisieren,<br />
dass er die Strasse überqueren möchte.<br />
Eine Anpassung der aufgeführten Gesetze und Verordnungen erscheint<br />
nicht notwendig.<br />
b) Exekutive Förderungsmassnahmen<br />
Polizeikontrollen sind ein wirksames und kosteneffizientes Instrument zur<br />
Steigerung der Verkehrssicherheit. In diesem Zusammenhang kann festgehalten<br />
werden, dass eine Steigerung der Kontrollhäufigkeit in aller Regel<br />
einen grösseren Einfluss ausübt als eine Erhöhung der Sanktionen.<br />
Polizeiliche Kontrollen stellen eine notwendige Bedingung dar, damit die<br />
gesetzlich verankerten Sanktionsandrohungen auch zum Tragen kommen.<br />
Bei den Überwachungsmethoden ist grundsätzlich zwischen mobiler<br />
und stationärer Kontrolle zu unterscheiden. Zu diesen beiden Grundarten<br />
werden nachfolgend einige Vor- und Nachteile aufgezeigt.<br />
35 Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt auch abseits von Fussgängerstreifen zu<br />
gewähren, wenn sie durch Hochhalten des weissen Stocks anzeigen, dass sie<br />
die Fahrbahn überqueren wollen.
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 261<br />
Stationäre Kontrollen<br />
wirken v. a. punktuell<br />
Mobile Kontrollen<br />
sollten vorangekündigt<br />
und<br />
verdeckt sein<br />
Stationäre Kontrollanlagen: Der Vorteil der stationären (d. h. ortsfesten)<br />
Verkehrsüberwachung liegt in ihrem relativ geringen Personalaufwand,<br />
der sich lediglich auf periodische Wartungsarbeiten sowie auf Ermittlungstätigkeiten<br />
im Rahmen des Sanktionierungsverfahrens beschränkt.<br />
Ein Nachteil der stationären Kontrolle liegt in der nachträglichen Sanktionierung<br />
(z. B. in Form eines Bussgeldbescheids). Da die Strafe nicht unmittelbar<br />
auf die Widerhandlung erfolgt, sondern erst zu einem späteren<br />
Zeitpunkt ergeht, erinnert sich der Betroffene oftmals gar nicht mehr an<br />
die Geschwindigkeitsüberschreitung, was die psychologische Sanktionswirkung<br />
mindert. (Demgegenüber treten die Gewinne der Überschreitung<br />
wie Zeitersparnis und Spass in der Regel sofort ein, wodurch das Verhalten<br />
direkt verstärkt wird). Bei stationären Kontrollanlagen fehlt zudem die<br />
erzieherische Komponente im Sinn mündlicher Belehrungen oder Ermahnungen.<br />
Stationäre Kontrollanlagen zur Geschwindigkeitsüberwachung<br />
werden oftmals eher als verkappte Einnahmequelle („Geldabzockerei“)<br />
und weniger als Massnahme zur Sicherheitssteigerung wahrgenommen.<br />
Die Motivation, die Geschwindigkeitslimiten einzuhalten, liegt dementsprechend<br />
primär in der Vermeidung von Bussen. Das führt dazu, dass<br />
sich bei sichtbaren Kontrollanlagen resp. bei ortskundigen Autofahrenden<br />
die ohnehin vorhandene Tendenz erhöht, die Geschwindigkeit nur punktuell<br />
unmittelbar vor und hinter der Anlage anzupassen. Die Methode der<br />
stationären Kontrolle eignet sich daher vor allem zur Sicherstellung der<br />
Geschwindigkeitseinhaltung an spezifischen Gefahrenstellen (Pfeiffer &<br />
Hautzinger, 2001).<br />
Bei mobilen Überwachungsstrategien bestehen verschiedene Kombinationsmöglichkeiten<br />
der konkreten Ausgestaltung, z. B. verdeckt vs.<br />
sichtbar sowie mit oder ohne Anhaltekommandos.<br />
Sichtbare Kontrollen haben den Nachteil, dass Geschwindigkeitsübertretungen<br />
durch ein kurzfristiges Bremsmanöver abgemildert oder ganz verhindert<br />
werden können – d. h., der spezialpräventive Effekt ist stark eingeschränkt.<br />
(Von vornherein sichtbare Verfahren eignen sich eher für Delikte,<br />
deren Entdeckung nicht durch eine kurzfristige Verhaltensanpassung<br />
verhindert werden kann, wie das typischerweise bei FiaZ der Fall ist).<br />
Andererseits haben gänzlich verdeckte Kontrollen keinen generalpräventiven<br />
Nutzen, da nur die Gebüssten von der Kontrollaktivität erfahren.<br />
Somit wird die subjektive Kontrollerwartung nicht bei einer breiten Gruppe,
262 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Aufklärende Arbeit<br />
ergänzt polizeiliche<br />
Kontrollen<br />
Sanktionierung und<br />
Aufklärung stellen<br />
einen ganzheitlichen<br />
Ansatz dar<br />
sondern höchstens bei den gerade entdeckten Verkehrsdelinquenten<br />
erhöht. Daraus folgt, dass die Verkehrskontrollen so angelegt sein<br />
müssen, dass die Aufofahrenden Gewissheit darüber haben, dass sie<br />
kontrolliert werden, aber in Ungewissheit darüber sind, wann und wo dies<br />
der Fall ist. Um das zu erreichen, müssen einerseits die Autofahrenden<br />
mittels verschiedener Kanäle (Plakate am Strassenrand, Zeitungen,<br />
Radio) über die polizeiliche Kontrolltätigkeit vorinformiert werden und<br />
andererseits die Kontrollstellen und -zeiten so oft wie möglich geändert<br />
werden. Gemäss Befunden von Pfeiffer und Hautzinger (2001) ist es<br />
dabei möglicherweise gar nicht notwendig, eine besonders hohe Intensität<br />
der Überwachung zu erreichen, wenn bei den Autofahrenden eine starke<br />
räumliche und zeitliche Ungewissheit aufgrund des ständigen Wechsels<br />
der Kontrollstellen entsteht.<br />
Die klassische Kontrolltätigkeit der Polizei kann durch aufklärende Arbeit<br />
in Form von Plakaten, Flyern und dem direkten Ansprechen von Autofahrenden<br />
erweitert werden. Aufklärende Arbeit kann nicht nur die Gesetzesbefolgung,<br />
sondern auch die Akzeptanz von Kontrollen erhöhen. Weiter<br />
kann sie dem Verkehrsdelikt Geschwindigkeitsüberschreitung seinen<br />
Status als Kavaliersdelikt nehmen. Dass es auf diese Art und Weise gelingt,<br />
die Fahrgeschwindigkeiten – und zwar sowohl die Durchschnittsgeschwindigkeiten<br />
als auch die Häufigkeit von Geschwindigkeitsübertretungen<br />
– zu reduzieren, konnte Engeln (2002) aufzeigen.<br />
Die Kombination von Sanktionierung mit Aufklärungsarbeit stellt einen<br />
ganzheitlichen Ansatz dar. Dabei wird neben der Spezialprävention, die<br />
sich auf die Verkehrsdelinquenten bezieht, auch die negative und positive<br />
Generalprävention abgedeckt. Von negativer Generalprävention spricht<br />
man, wenn eine normkonforme Handlung nicht aus „moralischen“ Gründen,<br />
sondern wegen den erwarteten Sanktionen bei Übertretungen erfolgt.<br />
Gerade umgekehrt verhält es sich bei der positiven Generalprävention:<br />
Sie fördert die moralische Dimension des Verhaltens, im Sinn einer<br />
Internalisierung von Normen. Wenn das Individuum die entsprechenden<br />
Normen internalisiert hat, erfolgt normkonformes Verhalten aus der inneren<br />
Motivation des Individuums selbst und nicht aus Furcht vor Strafe (vgl.<br />
Pfeiffer & Hautzinger, 2001).
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 263<br />
Rückmeldung nach<br />
Polizeikontrolle ist<br />
sinnvoll<br />
Bedeutung geringer<br />
Geschwindigkeitsunterschiedeaufzeigen<br />
In generalpräventiv<br />
orientierten<br />
Kampagnen keine<br />
Extremgruppen<br />
(Raser) fokussieren<br />
Nach einer Kontrollaktion sollten die Ergebnisse in den Massenmedien<br />
publiziert werden, da dadurch weitere generalpräventive Effekte erwartet<br />
werden dürfen.<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Geschwindigkeitskontrollen<br />
mit dem spezifischen Ziel, die Sicherheit von Fussgängern zu erhöhen,<br />
folgende Aspekte erfüllen sollten:<br />
• Geschwindigkeitskontrollen durch Plakate, Radio, Zeitschriften vorankündigen<br />
• Geschwindigkeitskontrollen verdeckt und mit grosser räumlicher sowie<br />
zeitlicher Variation durchführen<br />
• Kontrollen in Kombination mit Aufklärung und Information<br />
• nach Abschluss der Kontrollen Feedback an die Autofahrenden geben<br />
• auf Innerortsbereich ausrichten<br />
c) Edukative Förderungsmassnahmen<br />
Geringe Tempoüberschreitungen werden meist als bedeutungslos eingestuft,<br />
was nicht zuletzt auf falsche physikalische Alltagsvorstellungen zurückzuführen<br />
ist. Den MFZ-Lenkenden muss auf anschauliche Art verdeutlicht<br />
werden, dass z. B. eine Ausgangsgeschwindigkeit von 40 statt<br />
30 km/h entscheidend sein kann, ob in einer kritischen Situation ein Fussgänger<br />
getötet oder nur verletzt respektiv gar nicht erst angefahren wird.<br />
Das dürfte nicht nur die Bereitschaft steigern, die signalisierten Höchstgeschwindigkeiten<br />
einzuhalten, sondern auch allgemein zu einer angepassteren<br />
Geschwindigkeitswahl führen. Die Einsicht, dass auch geringe und<br />
meist als unproblematisch eingestufte Geschwindigkeiten von 40–50 km/h<br />
gefährlich sein können, dürfte speziell auch die Geschwindigkeitseinhaltung<br />
in Tempo-30-Zonen erhöhen. Gerade hier ist die Verlockung schneller<br />
zu fahren sehr gross.<br />
Das schnelle Fahren kann eine faszinierende Anziehungskraft ausüben<br />
und zugleich bestimmte psychologische Funktionen erfüllen, indem es bei<br />
den Lenkenden z. B. Überlegenheitsgefühle auslöst. Das ungehemmte<br />
Ausleben dieser Aspekte führt zum Phänomen des Rasens. Für die allgemeine<br />
Sicherheit der Fussgänger spielt die Raserproblematik kaum<br />
eine Rolle. Die öffentliche Fokussierung (z. B. im Rahmen von Medien-
264 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Geschwindigkeitsanzeigegeräte<br />
sind<br />
nicht uneingeschränkt<br />
empfehlenswert<br />
Infrastruktur beeinflusstGeschwindigkeitswahl<br />
berichten und Kampagnen) auf eine kleine Gruppe, die lediglich eine<br />
Randerscheinung darstellt, kann sogar kontraproduktiv sein, da sich praktisch<br />
alle MFZ-Lenkenden ausklammern können, weil ihre eigenen Geschwindigkeitsüberschreitungen<br />
im Vergleich zu den Extremgeschwindigkeiten<br />
der Raser als völlig unproblematisch erscheinen. Dabei ist für die<br />
Sicherheit der Fussgänger gerade die Senkung der Durchschnittsgeschwindigkeit<br />
und weniger die alleinige Verfolgung einer Extremgruppe<br />
von Bedeutung. Das heisst, das Zielpublikum der Kampagnen muss möglichst<br />
breit definiert werden, denn nur so ist eine signifikante Reduktion<br />
der Durchschnittsgeschwindigkeit erreichbar. Das ist auch insofern sinnvoll,<br />
als dass junge Lenkende, welche einen Grossteil der Raser ausmachen,<br />
bereits durch die neue Fahrausbildung (in Form von Sanktionsandrohungen<br />
und der Förderung eines sicherheitsorientierten und<br />
partnerschaftlichen Fahrstils) berücksichtigt werden.<br />
Geschwindigkeitsanzeigen (Speedmeter) sind Messgeräte mit einem<br />
grossen, am Strassenrand aufgestellten Display, das den vorbeifahrenden<br />
Lenkenden ihre Geschwindigkeit anzeigt. Es ist bekannt, dass durch das<br />
Aufstellen von Geschwindigkeitsanzeigen das Tempo der Fahrzeuge<br />
leicht sinkt. Daher erscheint es grundsätzlich sinnvoll, Fahrzeuglenkende<br />
mittels einer Anzeige auf eine zu hohe Geschwindigkeit aufmerksam zu<br />
machen. Allerdings sind durch den Einsatz solcher Geräte negative Auswirkungen<br />
nicht ausgeschlossen. So besteht die Gefahr, dass die Fahrzeuglenkenden<br />
abgelenkt werden und ihre Aufmerksamkeit nicht mehr<br />
voll dem Verkehrsgeschehen widmen. Insbesondere bei der Platzierung<br />
unmittelbar vor einem Fussgängerstreifen oder auf Strassenabschnitten<br />
mit hoher Fussgängerdichte sowie in der Nähe von Schulen könnte die<br />
Ablenkungsgefahr zu Problemen führen. Deshalb muss der Standort<br />
sorgfältig ausgewählt werden. Zudem ist es von Vorteil, den Einsatz solcher<br />
Geräte mit weiteren edukativen und exekutiven Massnahmen (Bevölkerung<br />
informieren, Plakate aufstellen, Polizeikontrollen) zu kombinieren.<br />
d) Technische Förderungsmassnahmen<br />
Inwieweit Geschwindigkeitsregeln beachtet oder übertreten werden, hängt<br />
auch von situativen Gegebenheiten ab. Die Infrastrukturausgestaltung<br />
kann geradewegs dazu verleiten, die Limiten zu überschreiten oder umgekehrt<br />
von vornherein Geschwindigkeitsüberschreitungen weitgehend
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 265<br />
Tabelle 86:<br />
Fördermassnahmen<br />
für eine adäquate<br />
Geschwindigkeitswahl<br />
und Beurteilung<br />
Vortrittsverweigerung<br />
am Fussgängerstreifen<br />
stellt die<br />
häufigste Unfallursache<br />
dar<br />
verhindern oder zumindest reduzieren. Zudem bestehen auch im Bereich<br />
Fahrzeugtechnik Möglichkeiten, das Fahrverhalten positiv zu beeinflussen.<br />
An dieser Stelle soll jedoch nicht weiter auf Infrastruktur und Fahrzeugtechnik<br />
eingegangen werden (s. Kap. 6 Strasseninfrastruktur, S. 296,<br />
und Kap. VIII.5.5 Elektronische Fahrassistenzsysteme, S. 285).<br />
4.6.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Kombination von Kampagne und<br />
intensivierten Geschwindigkeitskontrollen<br />
innerorts (stationär an Gefahrenpunkten,<br />
ansonsten mobil mit Vorankündigung und<br />
Rückmeldung)<br />
Reine massenmediale Kampagne zum<br />
Geschwindigkeitsverhalten<br />
Strafpunktesystem statt Kaskadensystem<br />
einführen<br />
Aufstellen von Geschwindigkeitsanzeigegeräten<br />
Kampagne mit Fokus auf Extremgruppe<br />
4.7 Fahrverhalten: Vortrittsgewährung<br />
4.7.1 Ausgangslage<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da eher in Kombination mit<br />
Polizeikontrolle sinnvoll)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(nur wenn Kaskadensystem nicht<br />
greifen sollte)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da bzgl. Fussgängersicherheit<br />
ungünstiges Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis/ negative Effekte nicht<br />
ausgeschlossen)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Vortrittsgewährung am Fussgängerstreifen: Die Anhaltequote der<br />
Fahrzeuglenkenden vor Fussgängerstreifen ist eindeutig zu gering. Gemäss<br />
einer systematischen und repräsentativen Beobachtungsstudie kann abgeschätzt<br />
werden, dass nur rund die Hälfte aller Fahrzeuglenkenden den<br />
Fussgängern ihr Vortrittsrecht gewähren (Ewert, 1999). Somit erstaunt es<br />
nicht, dass im Rahmen der polizeilichen Unfallprotokollierung die Vortrittsmissachtung<br />
am Fussgängerstreifen der am häufigsten zugeschriebene<br />
Mangel ist, der den Kollisionsgegnern attribuiert wird.
266 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Sowohl bewusstes<br />
Ignorieren als auch<br />
unabsichtliches<br />
Übersehen der<br />
Fussgänger müssen<br />
beachtet werden<br />
Fussgängerkollision<br />
durch unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren stellt<br />
eine Vortrittsmissachtung<br />
dar<br />
Die geringe Anhaltequote am Fussgängerstreifen kann nicht ausschliesslich<br />
auf eine zu geringe Anhaltebereitschaft im Sinn eines bewussten Ignorierens<br />
der wartenden Fussgänger zurückgeführt werden. Die geringe<br />
Anhaltequote resultiert teilweise auch aus einer Fehleinschätzung der<br />
verkehrlichen und baulichen Situation im Umfeld der Fussgängerstreifen.<br />
Diese führt zu einer überhöhten Annäherungsgeschwindigkeit und damit<br />
zu einer nicht mehr vermeidbaren Verletzung der Anhaltepflicht (Risser &<br />
Stefan, 2004). Ein weiterer Grund für die geringe Anhaltquote liegt im unabsichtlichen<br />
Übersehen von Fussgängern. Das Übersehen kommt nicht<br />
ausschliesslich durch Sehdefizite (wie beispielsweise geringe Sehkraft<br />
oder eingeschränktes Sehfeld) zustande, sondern beruht auch auf Überforderungen<br />
infolge menschlicher Leistungsgrenzen (vgl. Kap. VII.3.16<br />
Visuelle Wahrnehmung, S. 174). Zu Überforderungen kommt es dann,<br />
wenn innert kurzer Zeit eine Vielzahl von visuellen Informationen verarbeitet<br />
werden müssen. Das kommt insbesondere an Kreuzungen in<br />
Städten regelmässig vor. Die Gefahr von Überforderungen steigt mit zunehmender<br />
Geschwindigkeit, denn je schneller gefahren wird, desto mehr<br />
Informationselemente müssen pro Zeiteinheit verarbeitet werden. Aber<br />
selbst bei einem langsamen und defensiven Fahrstil können Überforderungen<br />
nicht vollkommen ausgeschlossen werden.<br />
Vortrittsgewährung beim Rückwärtsfahren: Neben der Vortrittsmissachtung<br />
am Fussgängerstreifen kann auch unvorsichtiges Rückwärtsfahren<br />
zur Problematik der Vortrittsmissachtung gezählt werden. Wer rückwärts<br />
fährt, darf andere Strassenbenutzende nämlich nicht behindern;<br />
diese haben stets den Vortritt. Bei rund 8 % der Kollisionen zwischen einem<br />
Fussgänger und einem Fahrzeug stellt unvorsichtiges Rückwärtsfahren<br />
eine Mitursache des Unfalls dar. Es ist selbstredend, dass derartige<br />
Unfälle so gut wie nie auf absichtliche Vortrittsverweigerungen zurückzuführen<br />
sind; vielmehr ist von einem unabsichtlichen Übersehen des Fussgängers<br />
auszugehen. Dennoch muss von einem Fehlverhalten (eventualvorsätzliches<br />
oder fahrlässiges Verhalten) der Fahrzeuglenkenden gesprochen<br />
werden, da diese gewissermassen auf gut Glück rückwärts fahren<br />
(Verzicht auf das Sich-Umdrehen, Überschreiten der Schrittgeschwindigkeit,<br />
keine Inanspruchnahme einer Hilfsperson).
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 267<br />
Durch Beeinflussung<br />
der Fahrzeuglenkenden<br />
kann<br />
Vortrittsmissachtung<br />
reduziert werden<br />
Tabelle 87:<br />
Präventionsmöglichkeit‚Vortrittsgewährung<br />
am Fussgängerstreifen<br />
und<br />
beim Rückwärtsfahren’<br />
und Rettungspotenzial<br />
Fahrzeuglenkende<br />
sind zu vorsichtiger<br />
Fahrweise verpflichtet<br />
4.7.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Aufgrund der obigen Ausführungen kann für die Prävention folgende Folgerungen<br />
gezogen werden: Um die Vortrittsgewährung am Fussgängerstreifen<br />
sicherzustellen, ist es unabdingbar die Anhaltebereitschaft vor<br />
dem Fussgängerstreifen zu erhöhen. Aber infolge menschlicher Leistungsgrenzen<br />
lässt sich selbst bei 100-prozentiger Anhaltebereitschaft<br />
nicht eine 100-prozentige Anhaltequote erreichen. Es bedarf deshalb zusätzlicher<br />
Anstrengungen, die nur technischer Natur sein können (Infrastruktur<br />
und/oder Fahrzeugtechnik).<br />
Kollisionsunfälle beim Rückwärtsfahren könnten demgegenüber (zumindest<br />
theoretisch) durch eine Verhaltensanpassung der Fahrzeuglenkenden<br />
nahezu vollständig verhindert werden. Dennoch existieren relativ<br />
einfache und effektive technische Systeme (Rückfahrsensoren/-kameras),<br />
um Lenkende beim Rückwärtsfahren zu unterstützen und dadurch Unfälle<br />
zu vermeiden.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Einhaltung der Anhaltepflicht am Fussgängerstreifen<br />
sicherstellen<br />
Unvorsichtiges Rückwärtsfahren verhindern ***<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
4.7.3 Förderungsmassnahmen<br />
a) Legislative Massnahmen<br />
*****<br />
Anhaltepflicht: Gemäss Art. 33 Abs. 2 SVG haben Fahrzeuglenkende<br />
vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren. Vor Fussgängerstreifen<br />
ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeuglenkende jedem<br />
Fussgänger, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet<br />
und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt gewähren. Er<br />
muss die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten,<br />
damit er dieser Pflicht nachkommen kann (Art. 6 Abs. 1 VRV).
268 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Vortrittsverweigerungen<br />
werden neu<br />
mit CHF 140.–<br />
gebüsst<br />
Rückwärtsfahren im<br />
Schritttempo<br />
Polizeiliche Kontrollen<br />
sind notwendig, damit<br />
die OBV Wirkung<br />
zeigt<br />
Eine Kampagne<br />
könnte die Anhaltebereitschaft<br />
fördern<br />
Ab dem 1. März 2006 wird das Nichtgewähren des Vortrittsrechts am<br />
Fussgängerstreifen mit einer Ordnungsbusse von CHF 140.– sanktioniert,<br />
sofern keine konkrete Gefährdung eines Fussgängers vorliegt. Wenn ein<br />
Fussgänger auf dem Streifen konkret gefährdet wird, wird der entsprechende<br />
Fahrzeuglenkende verzeigt und muss mit einem Führerscheinentzug<br />
rechnen.<br />
Rückwärtsfahren: Gemäss Art. 17 Abs. 2 VRV darf nur mit Schrittgeschwindigkeit<br />
rückwärts gefahren werden. Wer rückwärts fährt, darf andere<br />
Strassenbenützer nicht behindern; diese haben stets den Vortritt<br />
(Art. 36 Abs. 4 SVG). Bei Fahrzeugen mit beschränkter Sicht nach hinten<br />
ist zum Rückwärtsfahren eine Hilfsperson beizuziehen, wenn nicht jede<br />
Gefahr ausgeschlossen ist (Art. 17 Abs. 1 VRV).<br />
Fazit: Eine inhaltliche Anpassung oder Verschärfung der Gesetze und<br />
Verordnungen erscheint nicht notwendig.<br />
b) Exekutive Massnahmen<br />
Anhaltepflicht: Die Aufnahme der Vortrittsverweigerung am Fussgängerstreifen<br />
in die Ordnungsbussenverordnung (OBV) per 1.3.2006 erlaubt es<br />
der Polizei, mehr und effizienter zu kontrollieren. Angesichts der hohen<br />
Bedeutung der Vortrittsverweigerung für das <strong>Unfallgeschehen</strong> von Fussgängern<br />
muss die Polizei die vereinfachte Kontrollmöglichkeit unbedingt<br />
nutzen. Die Kontrolltätigkeit stellt eine notwendige Bedingung dar, damit<br />
eine gesetzliche Regelung eingehalten wird. Die alleinige Sanktionsandrohung<br />
zeigt nämlich in aller Regel so gut wie keine Wirkung.<br />
Rückwärtsfahren: Im Gegensatz zur Anhaltepflicht am Fussgängerstreifen<br />
bestehen keine sinnvollen Möglichkeiten, systematische Kontrollen<br />
des Rückwärtsfahren durchzuführen.<br />
c) Edukative Massnahmen<br />
Anhaltepflicht: Die Vortrittsverweigerung stellt ein Massenphänomen<br />
dar, das wohl von einem Grossteil der Fahrzeuglenkenden eher als Kavaliersdelikt<br />
eingestuft wird. Deshalb ist es sinnvoll, die Fahrzeuglenkenden<br />
durch Kampagnen über das hohe Gefährdungspotenzial der Vortrittsmissachtung<br />
am Fussgängerstreifen aufzuklären und die Anhaltebereit-
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 269<br />
Informationsbroschüren<br />
zur<br />
Problematik des<br />
Rückwärtsfahrens<br />
Die fahrzeugseitige<br />
Detektion von<br />
Fussgängern stellt<br />
eine vielversprechende<br />
Technologie dar<br />
schaft zu fördern. Dass es durch eine edukative Kampagne gelingen<br />
kann, die Anhaltebereitschaft zu erhöhen, zeigt die Evaluation der Aktion<br />
„Freundliche Zone“, die mit diesem Ziel durchgeführt wurde (vgl. Ewert,<br />
1999).<br />
Augrund von Erkenntnissen aus dem EU-Projekt GADGET muss jedoch<br />
empfohlen werden, eine Kampagne nicht losgelöst, sondern nur in Kombination<br />
mit Polizeikontrollen durchzuführen.<br />
Rückwärtsfahren: Der erhebliche Anteil an Unfällen durch unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren am Gesamt der Fussgängerunfälle zeigt, dass die Gefährlichkeit<br />
dieses heiklen Fahrmanövers unterschätzt wird. Um sicheres<br />
Rückwärtsfahren zu fördern, stellen WAB-Kurse (für die Neulenkenden)<br />
und Informationsbroschüren (für die restlichen Lenkenden) mögliche Instrumente<br />
dar. Eine nationale Kampagne erscheint aus Kosten-Nutzen-<br />
Überlegungen nicht angebracht.<br />
d) Technische Massnahmen<br />
Anhaltepflicht: Um Vortrittsmissachtungen am Fussgängerstreifen zu<br />
reduzieren, muss primär die Anhaltebereitschaft in einer Kombination von<br />
Sanktionsandrohung, polizeilicher Kontrolltätigkeit sowie begleitender<br />
Kampagnen erhöht werden. Durch diese Massnahmen können zumindest<br />
die bewussten Vortrittsverweigerungen reduziert werden. Untangiert bleiben<br />
jedoch all jene Vortrittsmissachtungen, die auf einem (unabsichtlichen)<br />
Übersehen des Fussgängers infolge einer Überbeanspruchung des<br />
Fahrzeuglenkenden beruhen. Dieses Problemfeld kann nur durch technische<br />
Massnahmen entschärft werden, die den Fahrzeuglenkenden in seiner<br />
Fahraufgabe unterstützen. Eine überaus vielversprechende Massnahme<br />
stellt die fahrzeugseitige Detektion von Fussgängern dar, womit<br />
nicht nur Vortrittsmissachtungen am Fussgängerstreifen, sondern auch<br />
alle andern Kollisionsunfälle zwischen Motorfahrzeugen und Fussgängern<br />
reduziert werden könnten (s. Kap. VIII.5.5 Elektronische Fahrassistenz-<br />
systeme, S. 285).<br />
Rückwärtsfahren: Um Kollisionen beim Rückwärtsfahren zu reduzieren,<br />
helfen die bereits seit längerem auf dem Markt erhältlichen Einparkhilfen<br />
(s. Kap. VIII.5.5 Elektronische Fahrassistenzsysteme, S. 285).
270 Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 88:<br />
Massnahmen zur Förderung<br />
der Vortrittsgewährung<br />
am Fussgängerstreifen<br />
und<br />
beim Rückwärtsfahren<br />
sowie<br />
Beurteilung<br />
Fahrverhalten der<br />
Fahrzeuglenkenden<br />
beeinflusst Fussgängersicherheit<br />
Eignung, Kompetenz<br />
und Fähigkeit der<br />
Fahrzeuglenkenden<br />
haben keine Priorität<br />
4.7.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Kombination von Kampagne und<br />
polizeilichen Kontrollen zur Einhaltung des<br />
Vortrittsrechts am Fussgängerstreifen<br />
Reine massenmediale Kampagne zur<br />
Förderung der Vortrittsgewährung<br />
Informationsbroschüren zur Problematik<br />
des Rückwärtsfahrens<br />
Sanktionen für Vortrittsmissachtung<br />
erhöhen<br />
Kampagne gegen unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren<br />
4.8 Zusammenfassung und Fazit<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da eher in Kombination mit<br />
Polizeikontrolle sinnvoll)<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da Wirksamkeit schwierig<br />
abzuschätzen)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da bei gegebener Situation kaum<br />
Sicherheitseffekte zu erwarten)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Die Fahrzeuglenkenden (insbesondere die motorisierten) können einen<br />
bedeutenden Beitrag zur Steigerung der Sicherheit der Fussgänger leisten.<br />
Dementsprechend ist es nur folgerichtig, die Fahrzeuglenkenden gezielt<br />
in ihrer Fahrweise zu beeinflussen. Das globale Ziel besteht darin,<br />
einen vorausschauenden, sicherheitsorientierten und partnerschaftlichen<br />
Fahrstil zu fördern, wobei dem Anhalten vor dem Fussgängerstreifen und<br />
der Geschwindigkeitswahl besondere Bedeutung zukommen muss. Einen<br />
wichtigen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels wird voraussichtlich die<br />
neue 2-Phasenfahrausbildung leisten können. Um neben den Neulenkenden<br />
auch die restlichen Fahrzeuglenkenden zu erreichen, bedarf es zudem<br />
massenmedialer Kampagnen in Kombination mit polizeilichen Kontrollmassnahmen.<br />
Es muss ergänzend angemerkt werden, dass das Fahrverhalten der<br />
Fahrzeuglenkenden zu einem beachtlichen Teil auch durch die situativen<br />
Gegebenheiten der Infrastruktur bestimmt wird (Kap. VIII.6, S. 296).<br />
Neben der direkten Beeinflussung des Fahrverhaltens besteht eine Reihe<br />
indirekter Möglichkeiten der Einflussnahme, indem die dispositive Ebene<br />
mit den drei Bereichen Fahreignung, Fahrkompetenz und Fahrfähigkeit<br />
angegangen wird. Es ist im Rahmen einer umfassenden Verkehrssicher-
Prävention – Lenkende der Kollisionsobjekte 271<br />
heitspolitik unumgänglich, Sicherheitsmassnahmen in diesen Bereichen<br />
umzusetzen. Wenn hingegen spezifisch die Sicherheit der Fussgänger<br />
betrachtet wird, geraten viele Massnahmen aus diesem Bereich in den<br />
Hintergrund, da ihr spezifischer Nutzen für die Sicherheit der Fussgänger<br />
im Verhältnis zu den entsprechenden Umsetzungskosten geringer ausfällt<br />
als bei Massnahmen, die explizit und unmittelbar den <strong>Fussverkehr</strong> fokussieren.<br />
Das heisst, wenn vorhandene Gelder so eingesetzt werden sollen,<br />
dass sie spezifisch die Sicherheit der Fussgänger erhöhen, sind Massnahmen<br />
auf der dispositiven Ebene eher nicht zu favorisieren.<br />
Empfehlenswert ist jedoch, dass das Dämmerungssehvermögen und die<br />
Blendempfindlichkeit im Rahmen der ohnehin obligatorisch durchzuführenden<br />
Sehtests getestet werden.
272 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Fahrzeugtechnik<br />
muss auch den<br />
Lenker berücksichtigen<br />
5. Kollisionsobjekte<br />
5.1 Einleitung<br />
Im vorliegenden Kapitel wird aufgezeigt, was fahrzeugbezogene Optimierungen<br />
zur Steigerung der Fussgängersicherheit beitragen können. Obwohl<br />
auch Radfahrende zu den Kollisionsgegnern von Fussgängern zu<br />
zählen sind, werden Fahrräder nachfolgend ausgeklammert. Zum einen<br />
sind Kollisionen mit Fahrrädern nur für einen sehr kleinen Teil (4 %) der<br />
schwer und tödlich verletzten Fussgänger verantwortlich und zum anderen<br />
bestehen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, Fahrräder fussgängerfreundlicher<br />
zu gestalten. Um Fahrrad-Fussgänger-Kollisionen zu reduzieren,<br />
muss dementsprechend primär beim Verhalten der Radfahrenden<br />
und nicht bei der Fahrradtechnik angesetzt werden (Kap. VIII.4<br />
Lenkende der Kollisionsobjekte, S. 233).<br />
Von Motorfahrzeugen ausgehende Gefahren können grundsätzlich in<br />
zwei Bereiche eingeteilt werden: in a) mangelhafte Betriebssicherheit und<br />
b) unbefriedigende Fahrzeugkonstruktionen. Erstere bezieht sich auf temporäre<br />
Unzulänglichkeiten im Sinne von gesetzlich nicht erlaubten oder<br />
reparaturbedürftigen Komponenten. Mit mehr oder weniger grossem Aufwand<br />
können diese Mängel behoben werden, sodass die Betriebssicher-<br />
heit wieder hergestellt ist (Kap. VIII.5.2, S. 273). Beim zweiten Bereich<br />
handelt es sich demgegenüber um konstruktionsimmanente Unzulänglichkeiten<br />
eines Fahrzeugs. Hier sind insbesondere die strukturgeometrischen<br />
Eigenschaften der Fahrzeugfront (Kap. VIII.5.3, S. 275) und die<br />
Beleuchtungsanlage (Kap. VIII.5.4, S. 282) zu nennen.<br />
Eine umfassende Sicherheitsoptimierung von Motorfahrzeugen hat nicht<br />
nur Gefahren zu beseitigen, die vom Fahrzeug selbst ausgehen, sondern<br />
muss auch das Verhalten der Fahrzeuglenkenden einbeziehen. Technische<br />
Systeme können den Lenkenden fahrrelevante Sicherheitsinformationen<br />
zur Verfügung stellen oder sogar das Fahrgeschehen beeinflussen.<br />
Dieser Bereich wird unter der Thematik Fahrassistenzsysteme betrachtet<br />
(Kap. VIII.5.5, S. 285).
Prävention – Kollisionsobjekte 273<br />
Mängel nicht<br />
ausgeschlossen<br />
Tabelle 89:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Sicherstellung<br />
der Betriebssicherheit<br />
von MFZ’ und<br />
Rettungspotenzial<br />
Motorfahrzeuge<br />
unterliegen der<br />
Typenprüfung<br />
5.2 Betriebssicherheit<br />
5.2.1 Ausgangslage<br />
Im Strassenverkehr sind durchaus Fahrzeuge in qualitativ mangelhaftem<br />
Betriebszustand vorzufinden. Diese sind fast ausschliesslich alterungsbedingt.<br />
Aber auch neue Fahrzeuge können infolge der sehr kurzen Planungszyklen<br />
und der Vielzahl von elektronischen Komponenten Mängel<br />
aufweisen. Diese werden jedoch meist (zumindest wenn sie sicherheitsrelevant<br />
sind) relativ rasch durch Rückrufaktionen beseitigt. Die Rückrufe<br />
können dabei verschiedene Erscheinungsformen haben (stille vs. öffentliche<br />
Rückrufe, freiwillige vs. behördlich angeordnete Rückrufe).<br />
Die Bedeutung von technischen MFZ-Mängeln als Ursache für das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
von Fussgängern ist jedoch sehr gering.<br />
5.2.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Motorfahrzeuge müssen betriebssicher sein, d. h., sie dürfen keine technischen<br />
Mängel aufweisen, die zu einer Unfallgefahr werden können.<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
Rettungspotenzial<br />
Betriebssicherheit aller MFZ sicherstellen *<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
5.2.3 Förderungsmassnahmen<br />
Es existieren in der Schweiz zwei zentrale, gesetzlich verankerte Kontrollinstrumente,<br />
um die Betriebssicherheit von Motorfahrzeugen zu gewährleisten:<br />
die Typenprüfung und die amtlichen Nachkontrollen.<br />
Die Typenprüfung ist gemäss Art. 12 des SVG für alle serienmässig hergestellten<br />
Motorfahrzeuge obligatorisch. Weiter sind auch bestimmte Bestandteile,<br />
Ausrüstungsgegenstände und Schutzvorrichtungen der<br />
Typenprüfung unterstellt (vgl. auch Art. 1 TGV).
274 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
In festgelegten<br />
Zeitabständen wird<br />
die Betriebssicherheit<br />
kontrolliert<br />
Fazit: amtliche<br />
Kontrollen müssen<br />
nicht verschärft<br />
werden<br />
Rückrufe bei<br />
mangelhaften<br />
Fahrzeugen<br />
Bei der amtlichen Nachkontrolle handelt es sich um eine gemäss Art. 33<br />
der VTS obligatorische und periodische Prüfung von eingelösten Fahrzeugen.<br />
Bei dieser Prüfung wird beurteilt, ob das Fahrzeug die gesetzlichen<br />
Vorschriften der Betriebssicherheit erfüllt. Für die meisten Motorfahrzeuge<br />
wie PW und Motorräder gelten folgende Kontrollintervalle: vier<br />
Jahre nach der ersten Inverkehrssetzung, drei Jahre nach der ersten<br />
Kontrolle, danach alle zwei Jahre. Zudem fallen gemäss Art. 34 VTS ausserordentliche<br />
Fahrzeugprüfungen an, wenn ein Fahrzeug bei einem<br />
Unfall starke Beschädigungen erlitten hat, bei einer Polizeikontrolle erhebliche<br />
Mängel entdeckt oder technische Änderungen am Fahrzeug vorgenommen<br />
wurden.<br />
In Anbetracht der geringen Bedeutung von technischen Mängeln bei der<br />
(Mit-)Verursachung von Fussgängerunfällen ist die gegenwärtige Kontrollsituation<br />
als ausreichend zu bezeichnen, sodass in diesem Bereich<br />
kein zusätzlicher Handlungsbedarf besteht.<br />
Neben den amtlichen Kontrollen sind auch die Verkäufer und Hersteller<br />
verpflichtet, die Fahrzeugsicherheit zu gewährleisten. Aufgrund der aktuellen<br />
Rechtslage bestehen für Händler und Hersteller zumindest Warnund<br />
Informationspflichten, wenn sie von Fahrzeugmängeln erfahren, die<br />
eine ernste Gefahr für Insassen oder andere Personen darstellen. Ob sich<br />
diese Pflichten aber bis hin zu einer eigentlichen Rückrufpflicht erstrecken,<br />
ist rechtlich umstritten (Roberto, 2002).<br />
Anders als in der Schweiz ist die Rückrufpflicht in der EU durch die europäische<br />
Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG ausdrücklich geregelt. Es<br />
ist sinnvoll, das Produktsicherheitsrecht der Schweiz demjenigen der EU<br />
anzugleichen. Das erscheint deshalb sachgerecht, weil sowohl das<br />
PrHG36 als auch das OR37 (Art. 55) nur die Haftungsfolgen für den Fall<br />
regeln, wenn ein mangelhaftes Fahrzeug einen Schaden verursacht hat.<br />
Die blosse Lieferung eines mangelhaften Fahrzeugs begründet keine<br />
Haftung des Herstellers. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass<br />
ein Hersteller bei einem Fahrzeugfehler, der nur selten zu entsprechenden<br />
Schädigungen führt, eine Kostenabwägung macht und gestützt dar-<br />
36 Bundesgesetz vom 18. Juni 1993 über die Produktehaftpflicht (Produktehaftpflichtgesetz,<br />
PrHG), SR 221.112.944<br />
37 Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des<br />
Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht), SR 220
Prävention – Kollisionsobjekte 275<br />
Tabelle 90:<br />
Massnahme zur<br />
Förderung der<br />
Betriebssicherheit von<br />
MFZ und Beurteilung<br />
Ungenügender<br />
Fussgängerschutz bei<br />
den Motorfahrzeugen<br />
auf auf den Rückruf verzichtet. Die europäische Produktsicherheitsrichtlinie<br />
schliesst diese Lücke, indem sie verhindert, dass als gefährlich erkannte<br />
Produkte im Markt verbleiben. Das Produktsicherheitsrecht der<br />
Schweiz soll im Rahmen der laufenden Revision des STEG38 demjenigen<br />
der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG angeglichen werden. Darüber<br />
hinaus besteht gegenwärtig kein Handlungsbedarf.<br />
Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Verschärfung der Kontrollsituation von MFZ<br />
(Typenprüfung und amtliche Nachkontrollen)<br />
5.3 Fahrzeugfronten<br />
5.3.1 Ausgangslage<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)<br />
Im Kapitel Risikofaktoren konnten zwei Eigenschaften von Fahrzeugfronten<br />
eruiert werden, die besonders verletzungsrelevant sind: die Form- und<br />
die Steifigkeitsaggressivität. Beide Merkmale sind bei STFZ (Sachtransportfahrzeugen)<br />
bedeutend ungünstiger ausgeprägt als bei PW. Andererseits<br />
variieren sie auch innerhalb der Kategorie der PW von Modell zu<br />
Modell.<br />
Gegenwärtig ist der Partnerschutz für ungeschützte Verkehrsteilnehmende<br />
bei den weitaus meisten Fahrzeugen als völlig ungenügend zu bezeichnen.<br />
Dass diesbezüglich dringender Handlungsbedarf besteht, zeigt sich<br />
auch darin, dass mehrere führende europäische Gremien – u. a. das europäische<br />
Parlament – den fahrzeugseitigen Fussgängerschutz zur Priorität<br />
erhoben haben.<br />
38 Bundesgesetz vom 19. März 1976 über die Sicherheit von technischen Einrichtungen<br />
und Geräten, SR 819.1
276 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
PW müssen mit<br />
sicherheitsoptimierten<br />
Fronten ausgerüstet<br />
werden<br />
5.3.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Ziel ist, Motorfahrzeuge mit verletzungsreduzierenden Fronten zu fördern<br />
– primär bei den Personenwagen, als Hauptkollisionsobjekt der Fussgänger<br />
und sekundär auch bei Nutzfahrzeugen. Frontpartien müssen derart<br />
konstruiert werden, dass insbesondere die vulnerabelsten Körperstellen<br />
(v. a. Kopf, aber auch Oberkörper) möglichst wenig belastet werden.<br />
Frontschutzbügel: Es ist unbestritten, dass Frontschutzbügel massiver<br />
Bauart eine Zusatzgefährdung für Fussgänger darstellen. Durch verschiedene<br />
technische Massnahmen wie die Verwendung von weichen, nachgebenden<br />
Materialien und energieabsorbierenden Dämpfersystemen<br />
kann diese Zusatzgefährdung nicht nur reduziert, sondern sogar ganz<br />
eliminiert werden. Bei ungünstigen Fronteigenschaften des Fahrzeugs<br />
(z. B. hohe und steife Geländewagenfronten) kann ein sicherheitsoptimierter<br />
Frontschutzbügel sogar einen Sicherheitsgewinn mit sich bringen.<br />
Deformationsweg unterhalb der Motorhaube: In den letzten Jahren hat<br />
sich der Platz im Motorraum zunehmend verringert: Die Fronten werden<br />
immer kürzer und gleichzeitig aus Luftwiderstandsgründen vorne abgesenkt,<br />
Motoren werden grösser und es werden immer mehr Zusatzaggregate<br />
wie Klimaanlage, ABS etc. eingebaut. Das hat zur Folge, dass zwischen<br />
Motorhaube und den harten Aggregaten im Motorraum meistens zu<br />
wenig Deformationsweg übrig bleibt. Wie Untersuchungen gezeigt haben,<br />
reichen 6 cm Deformationsweg bis zu den harten Teilen im Motorraum,<br />
wenn unter der Haube energieabsorbierendes Material eingebaut wird<br />
(Glaeser, 1996).<br />
Aktive Anhebung der Motorhaube: Unmittelbar vor einer Frontkollision<br />
wird die Motorhaube mittels eines elektromechanischen, pyrotechnischen<br />
oder hydraulischen Antriebs aktiv angehoben (Abbildung 33). Die angehobene<br />
Motorhaube reduziert durch ein energieabsorbierendes Federungssystem<br />
die Belastungen beim Aufprall.
Prävention – Kollisionsobjekte 277<br />
Abbildung 33:<br />
Motorhaube mit<br />
Sicherheitsfunktion im<br />
aktivierten<br />
(angehobenen)<br />
Zustand<br />
Abbildung 34:<br />
Sicherheitsgewinn<br />
durch aktive<br />
Motorhauben<br />
(Kollisionsgeschwindigkeit:<br />
40 km/h)<br />
Quelle: http://www.autoliv.com<br />
Crash-Tests zeigen einen massiven Sicherheitsgewinn aktiver Motorhauben:<br />
Je nach Aufprallposition können die Kopfbelastungen (Head Injury<br />
Criterion HIC39 ) um 20 bis 90 % reduziert werden (Abbildung 34).<br />
Kopfbelastung (Head Injury Criterion HIC)<br />
8000<br />
7000<br />
6000<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
3257<br />
648<br />
7056<br />
735<br />
1486 1438<br />
525<br />
753<br />
953<br />
778<br />
1 2 3 4 5<br />
Quelle: Fredriksson, Håland & Yang (2001)<br />
Unterschiedliche Aufprallpositionen<br />
Standard-Motorhauben Aktive Motorhauben<br />
39 Der HIC-Wert wird auf der Basis von Kopfbeschleunigung und<br />
-verzögerung, bezogen auf die Einwirkungszeit, ermittelt und stellt das gängige<br />
Mass für die Schwere von Kopfverletzungen dar.
278 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Abbildung 35:<br />
Aussenairbags<br />
Abbildung 36:<br />
Sicherheitsgewinn<br />
durch Aussenairbags<br />
Aussenairbags: Aussenairbags, deren technische Realisierung nicht<br />
ganz trivial ist, könnten vor allem im Bereich der Windschutzscheibe und<br />
der A-Säulen gute Dienste leisten, da diese Strukturen nicht oder kaum<br />
verletzungsreduzierend konstruiert werden können (Abbildung 35).<br />
Quelle: http:// www.autoliv.com<br />
Wie Crash-Tests zeigen, stellen Aussenairbags eine hochwirksame Einrichtung<br />
dar, um die Kopfbelastungen (HIC) angefahrener Personen zu<br />
reduzieren (vgl. Abbildung 36).<br />
Kopfbelastung (Head Injury Criterion HIC)<br />
8000<br />
7000<br />
6000<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
Quelle: http://www.autoliv.com<br />
0<br />
3700<br />
690<br />
6700<br />
30 km/h 40 km/h<br />
ohne Aussenairbags mit Aussenairbags<br />
940
Prävention – Kollisionsobjekte 279<br />
Abbildung 37:<br />
Beispiel für<br />
strukturelle Fahrzeugoptimierungen<br />
zur<br />
Herabsetzung der<br />
Verletzungsschwere<br />
Sicherheitsnutzen ist<br />
geschwindigkeitsabhängig<br />
Tabelle 91:<br />
Fahrzeugtechnische<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
zum<br />
Partnerschutz und<br />
Rettungspotenzial<br />
Formoptimierung und Steifigkeitsreduktion: Es existiert eine ganze<br />
Reihe von technisch relativ einfachen Möglichkeiten zur Steigerung des<br />
Partnerschutzes, wie beispielsweise scharfe Kanten und Ecken vermeiden,<br />
elastischere Stossfänger verwenden, hohe und senkrechte Frontflächen<br />
umgehen, nachgebende und stossabsorbierende Materialien<br />
verwenden, Scheibenwischer mit der Motorhaube überdecken und die<br />
steife Haube-Kotflügel-Grenze möglichst weit aussen anbringen (da in<br />
dieser Zone Kopfkontakte seltener sind). Auch bei Motorrädern existieren<br />
relativ einfache Möglichkeiten, um die Verletzungsschwere für angefahrene<br />
Fussgänger herabzusetzen (vgl. Abbildung 37).<br />
Beckenverletzungen<br />
splitternde<br />
Streuscheibe bei<br />
Rundscheinwerfer<br />
Verletzungen der Weichteile<br />
Beinverletzungen<br />
verletzungsverursachend<br />
Quelle: http://www.unfallanalyse.de<br />
verschiebbarer<br />
Scheinwerfer<br />
nicht splitterndes<br />
Schweinwerferglas<br />
Beinpolsterung<br />
Schutzmassnahmen, entwickelt<br />
mit dem Simulationsmodell<br />
Hand-/Abdomenpolsterung<br />
abknickbarer Blinker<br />
Es muss angemerkt werden, dass strukturtechnische Modifikationen der<br />
Frontpartie nur bis zu Aufprallgeschwindigkeiten von maximal 40 km/h<br />
wirksam sind (Aussenairbags im Bereich der Windschutzscheibe dürften<br />
auch darüber hinaus wirksam sein). Da die Wirksamkeit von Frontoptimierungen<br />
geschwindigkeitsabhängig ist, ist ihr Nutzen umso stärker, je mehr<br />
es durch begleitende Massnahmen gelingt, die Innerortsgeschwindigkeiten<br />
zu reduzieren (Liu & Yang, 2003).<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
Sicherheitsoptimierte Frontkonstruktionen (Formoptimierung,<br />
Steifigkeitsreduktion, aktive Motorhaube, Aussenairbags)<br />
Weglassen von verletzungserhöhenden Frontschutzbügeln<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
Rettungspotenzial<br />
****<br />
( * )
280 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Förderung des<br />
Partnerschutzes:<br />
kurzfristig edukativ/<br />
langfristig legislativ<br />
Fronschutzbügel nur<br />
erlaubt, wenn<br />
Sicherheit erhöht wird<br />
5.3.3 Förderungsmassnahmen<br />
Die Entwicklung und die Produktion von fahrzeugtechnischen Präventionsmöglichkeiten<br />
zum Partnerschutz sind mit Zusatzkosten verbunden,<br />
die letztlich die Konsumenten zu tragen haben. Da diese Mehrkosten aber<br />
nicht der eigenen Sicherheit zugutekommen, wird das die Implementierung<br />
hemmen. Eine breite Einführung von verletzungsreduzierenden<br />
Fronten wird deshalb wohl nur durch gesetzliche Vorschriften möglich<br />
sein. Kurzfristig sind auch edukative Förderungsmassnahmen sinnvoll,<br />
um Autokaufende für den Partnerschutz zu sensibilisieren und den Verkauf<br />
von PW mit guter Euro NCAP-Bewertung zum Fussgängerschutz zu<br />
fördern.<br />
a) Legislativ-exekutive Förderungsmassnahmen<br />
Frontschutzbügel sind seit 1996 per Gesetz (Art. 67 Abs. 2 VTS) nur dann<br />
zulässig, wenn sie bei Kollisionen mit Fussgängern gegenüber dem serienmässigen<br />
Grundmodell keine zusätzliche Verletzungsgefahr darstellen.<br />
Das heisst, es muss eine Genehmigung gemäss der Richtlinie<br />
74/483/EWG (in der Fassung 87/354) vorliegen40 .<br />
Die EU hat zunächst erwogen, Frontschutzbügel ganz zu verbieten, doch<br />
wurde erkannt, dass sie unter gewissen Voraussetzungen auch die Verletzungsgefahr<br />
mindern können. Diese Erkenntnis ist in die Richtlinie<br />
2005/66/EG eingeflossen. Sie gestattet die Verwendung von Frontschutzbügeln<br />
nur, wenn sie an dem jeweiligen Fahrzeug einen Sicherheitsgewinn<br />
mit sich bringt. Im Rahmen einer Prüfung muss nachgewiesen<br />
werden, dass aufgrund der Bauart des Frontschutzbügels das Verletzungsrisiko<br />
reduziert wird. Diese Vorschrift tritt ab August 2006 in Kraft<br />
und gilt für Personenwagen (Klasse M1) und leichte Sachentransportfahrzeuge<br />
(Klasse N1). Diese strengere Praxis bei der Zulassung von Frontschutzbügeln<br />
in der EU wird sich auch in der Schweiz positiv auswirken.<br />
40 Diese Vorschriften gelten nicht nur für Neuwagen, sondern auch für ältere<br />
Fahrzeuge. Es ist somit möglich, dass Frontschutzbügel an älteren<br />
Fahrzeugen beanstandet werden, obwohl sie original ab Werk montiert wurden<br />
oder auf der schweizerischen Typengenehmigung erwähnt sind.
Prävention – Kollisionsobjekte 281<br />
Partnerschutz wird<br />
zukünftig erhöht<br />
Weitergehende<br />
Vorschriften sind<br />
nicht möglich<br />
Informationen zum<br />
Partnerschutz<br />
kommunizieren<br />
In der Schweiz muss die Frontpartie von neuen Fahrzeugtypen seit dem<br />
1. Oktober 2005 der EG-Richtlinie zum Schutz von Fussgängern und anderen<br />
ungeschützten Verkehrsteilnehmern (Richtlinie Nr. 2003/102/EG)<br />
entsprechen. Die Richtlinie legt Grenzwerte fest, die bei der Kollision eines<br />
Fahrzeugs mit einem Fussgänger nicht überschritten werden dürfen.<br />
Ab dem 1. Januar 2013 gilt diese Richtlinie in Übereinstimmung mit dem<br />
EG-Recht nicht nur für neue Fahrzeugtypen, sondern für alle Neuzulassungen.<br />
Vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind zurzeit<br />
noch Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von über 2'500 kg, so<br />
dass der verbesserte Fussgängerschutz leider noch nicht bei allen Offroadern/Minivans<br />
seine Wirkung entfalten kann. Eine entsprechende Ausdehnung<br />
der besagten EG-Richtlinie wäre aus Präventionssicht zu begrüssen.<br />
Die EG-Kommission prüft noch, ob und wie der Geltungsbereich<br />
auf alle Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht bis zu 3'500 kg erweitert<br />
werden kann.<br />
Weitergehende gesetzliche Forderungen an die Autohersteller sind für die<br />
Schweiz als Nicht-EU-Mitglied, als Land ohne eigene Automobilindustrie<br />
und mit verhältnismässig kleinem Absatzanteil kaum möglich, zumal damit<br />
technische Handelshemmnisse geschaffen würden. Um die fahrzeugseitige<br />
Fussgängersicherheit weiter zu fördern, bedarf es deshalb der internationalen<br />
Zusammenarbeit (z. B. Einsitz in den Arbeitsgruppen der<br />
UN/ECE).<br />
b) Edukative Förderungsmassnahmen<br />
Potenzielle Autokäufer und -käuferinnen können mittels massenmedialen<br />
Informationsquellen wie Autozeitschriften, Internet, Konsumenten-Broschüren<br />
bezüglich des Partnerschutzes sensibilisiert und über verletzungsmindernde<br />
Fahrzeugfronten informiert werden. Als Informationsquelle eignen<br />
sich bestens Befunde aus Crashtests (z. B. Euro NCAP), die nicht wie<br />
früher ausschliesslich die Sicherheit der Insassen, sondern zusätzlich die<br />
äussere Fahrzeugsicherheit überprüfen. Die Veröffentlichung von unabhängigen<br />
Crashtest-Ergebnissen ermöglicht einerseits den Kaufinteressenten,<br />
ihr Fahrzeug auch unter Berücksichtigung des Partnerschutzes<br />
auszuwählen und erhöht andererseits den Druck auf Fahrzeughersteller,<br />
Schutzmöglichkeiten in ihre Fahrzeugmodelle einzubauen (vgl. Friedel &<br />
Kalliske, 2000; Klanner, Gauss, Sievert & Seeck, 2000).
282 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Tabelle 92:<br />
Massnahmen zur<br />
Förderung sicher<br />
gestalteter PW-<br />
Fronten und<br />
Beurteilung<br />
Lichtkegel sind<br />
räumlich<br />
eingeschränkt<br />
5.3.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Informierung/Sensibilisierung potenzieller<br />
Autokäufer bezüglich Partnerschutz mittels<br />
Print- und elektronischer Medien<br />
In internationaler Zusammenarbeit<br />
Anforderungen an PW-Fronten zum<br />
Fussgängerschutz festlegen<br />
Globales Verbot aller Frontschutzbügel<br />
Über die EU-Richtlinie (2003/102/EG)<br />
hinausgehende Forderungen zum<br />
fahrzeugseitigen Fussgängerschutz<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(kein Nutzen, da Bügel nur erlaubt<br />
sind, wenn Sicherheit erhöht wird)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(politisch nicht umsetzbar)<br />
Zudem ist es empfehlenswert, im Rahmen der polizeilichen Unfallprotokollierung<br />
auch den genauen Fahrzeugtyp zu erfassen (Typenscheinnummer).<br />
Diese Information ermöglicht es nämlich, modellspezifische<br />
Unfallanalysen durchzuführen, was wiederum eine wichtige Grundlage<br />
darstellt, um Fahrzeuge mit fussgängerfreundlicheren Fronten zu fördern.<br />
5.4 Beleuchtungsanlage<br />
5.4.1 Ausgangslage<br />
In Anbetracht der Tatsache, dass der Mensch über 90 % der für das Fahren<br />
relevanten Informationen über die Augen aufnimmt, kann die lichttechnische<br />
Einrichtung am Fahrzeug als notwendiges Element zur Unfallvermeidung<br />
bezeichnet werden.<br />
Technisch gesehen wäre es kein Problem, den Verkehrsraum in der<br />
Nacht durch die Fahrzeugbeleuchtung weiträumig auszuleuchten. Das<br />
würde jedoch andere Verkehrsteilnehmende und insbesondere den entgegenkommenden<br />
Verkehr massiv blenden. Deshalb ist der Beleuchtungsraum<br />
sowohl seitlich als auch in Längsrichtung eingeschränkt. Der<br />
eingeschränkte Lichtkegel führt bei Kurvenfahrten und Abbiegemanövern<br />
dazu, dass ein Fussgänger am Strassenrand ausserhalb des Lichts bleibt<br />
und somit für den Fahrzeuglenkenden nicht oder zu spät erkennbar ist.<br />
Rund 30 % der schweren Fussgängerunfälle geschehen bei Dunkelheit.
Prävention – Kollisionsobjekte 283<br />
Abbildung 38:<br />
Lichtkegel von<br />
statischem<br />
Kurvenlicht<br />
5.4.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Die Beleuchtungsanlage kann hauptsächlich in zweierlei Hinsicht verbessert<br />
werden:<br />
• Zum einen muss die seitliche Ausrichtung des Lichtkegels in Abhängigkeit<br />
der Fahrsituation flexibel sein. Konventionelle Beleuchtungsanlagen<br />
erlauben nur die Anpassung in Längsrichtung, indem zwischen<br />
Fern- und Abblendlicht umgeschaltet wird.<br />
• Zum anderen sollte die spektrale Farbverteilung der Scheinwerfer das<br />
menschliche Auge optimal unterstützen.<br />
Adaptive Frontlichtsysteme (AFS): Dabei werden die Fahrzeugscheinwerfer<br />
bei Kurvenfahrten in Abhängigkeit des Lenkeinschlags nach rechts<br />
bzw. links gedreht, sodass die Fahrbahn gemäss der Fahrtrichtung ausgeleuchtet<br />
wird (dynamisches Kurvenlicht). Weiter kann ein nach der<br />
Seite gerichtetes Licht zugeschaltet werden, wenn der Lenker zwecks<br />
Abbiegen den Blinker betätigt, sodass die Querstrassen besser ausgeleuchtet<br />
werden (statisches Kurvenlicht). Durch diese Technik wird auch<br />
der Wirkungsbereich von reflektierenden Materialien erhöht.<br />
Quelle: www.hella-press.de<br />
Xenon-Scheinwerfer: Xenon-Scheinwerfer haben die spektrale Verteilung<br />
von Tageslicht und unterstützen somit das menschliche Auge nahezu<br />
optimal. Xenon-Scheinwerfer müssen unbedingt mit einer automatischen<br />
Leuchtweitenregulierung und einer Scheinwerfer-Reinigungsanlage<br />
ausgestattet sein, da sonst der Gegenverkehr extrem geblendet werden<br />
kann. Die automatische Leuchtweitenregulierung passt mittels Hinterachssensoren<br />
innerhalb von Millisekunden die Leuchtweite an (illegale<br />
Nachrüstsätze, die lediglich aus Lampen, Kabel und einem Vorschaltgerät<br />
bestehen, stellen deshalb eine Gefahr dar).
284 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Abbildung 39:<br />
Einfluss von<br />
verschmutzten<br />
Scheinwerfern auf die<br />
Fahrsicherheit<br />
Tabelle 93:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚lichttechnisch<br />
optimierter Frontscheinwerfer’<br />
und<br />
Rettungspotenzial<br />
Konsumenten über<br />
den Sicherheitsgewinn<br />
moderner<br />
Lichttechnik<br />
informieren<br />
Breitstrahler: Eine weitere lichttechnische Möglichkeit stellen Tiefstrahler<br />
(auch Breitstrahler genannt) zur besseren Ausleuchtung des Fahrbahnrands<br />
dar (Ruwenstroth, Kuller & Radder, 1993).<br />
Ausfallmelder: Der Defekt einer Lampe im Hauptscheinwerfer wird den<br />
Lenkenden durch ein Warnsignal angezeigt.<br />
Scheinwerfer-Waschanlagen: Scheinwerfer-Waschanlagen dienen einerseits<br />
der Erhaltung der Leuchtkraft, weil schon eine geringe Verschmutzung<br />
die Leuchtweite reduziert, und verhindert andererseits Blendungen<br />
infolge von Streulichtern (bei Xenon-Scheinwerfern sind Waschanlagen<br />
vorgeschrieben).<br />
Quelle: www.hella-press.de<br />
Massnahme Rettungspotenzial<br />
Lichttechnisch optimierte Frontscheinwerfer (ASF, Xenon,<br />
Waschanlage, Ausfallmelder)<br />
**<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
5.4.3 Förderungsmassnahmen<br />
Die aufgezeigten Möglichkeiten zur lichttechnischen Verbesserung von<br />
MFZ stellen Systeme dar, die bereits heute insbesondere in Oberklasse-<br />
Fahrzeugen Einzug gehalten haben und sich in Zukunft auch in den unteren<br />
Fahrzeugklassen zunehmend durchsetzen werden. Da diese Systeme<br />
auch die Sicherheit der Insassen erhöhen, kann davon ausgegangen
Prävention – Kollisionsobjekte 285<br />
Tabelle 94:<br />
Massnahmen zur<br />
Förderung<br />
lichttechnischer<br />
Verbesserungen und<br />
Beurteilung<br />
Verkehrstelematik ist<br />
ein breit gefächertes<br />
Gebiet<br />
werden, dass die Autokäufer und -käuferinnen bereit sind, gewisse Mehrkosten<br />
zu tragen, sofern sie von einem Zugewinn an Fahrsicherheit überzeugt<br />
sind. Deshalb sind Konsumenteninformationen gefragt, die den<br />
Sicherheitsgewinn aufzeigen. Auch die Fahrzeughersteller können in den<br />
Werbungen gemäss dem Motto „Safety Sells“ auf den Nutzen ihrer lichttechnischen<br />
Systeme aufmerksam machen.<br />
5.4.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Informierung/Sensibilisierung potenzieller<br />
Autokäufer bezüglich lichttechnisch<br />
optimierten Frontscheinwerfern mittels Print-<br />
und elektronischer Medien<br />
5.5 Elektronische Fahrassistenzsysteme<br />
5.5.1 Ausgangslage<br />
Empfehlenswert<br />
Elektronische Fahrassistenzsysteme beruhen zu einem beachtlichen Teil<br />
auf verkehrstelematischen Anwendungen. Verkehrstelematik umfasst Datenverarbeitungs-<br />
und Telekommunikationstechniken im Strassenverkehr. Die<br />
Bandbreite der verkehrstelematischen Anwendungen ist sehr gross. Sie<br />
reicht von der intelligenten Geschwindigkeitsüberwachung (vgl. Projekt<br />
ISA in Schweden) bis zu Notruf-Systemen (vgl. Projekt AIDA in Deutschland).<br />
Ein Grossteil der unter dem Begriff Telematik subsumierten Technologien<br />
sind intelligente Transportleitsysteme (ITS), die das Ziel haben,<br />
den Verkehr zu lenken. Solche Verkehrsleitsysteme können jedoch höchstens<br />
einen relativ bescheidenen Beitrag zum Fussgängerschutz leisten.<br />
Der Nutzen solcher Systeme basiert im Wesentlichen auf der kognitiven<br />
Entlastung der Fahrzeuglenkenden. Nachfolgend werden solche – nicht<br />
explizit sicherheitsbezogene – Systeme ausgeklammert und nur jene<br />
Technologien dargestellt, die im Hinblick auf den Fussgängerschutz einen<br />
nennenswerten Beitrag leisten können. Aussichtsreiche Möglichkeiten<br />
ergeben sich durch Fahrassistenzsysteme, die die Lenkenden bei ihrer<br />
Fahraufgabe unterstützen, indem sie durch ein Sensorsystem relevante<br />
Umweltfaktoren erfassen und verarbeiten. Dabei kann grundsätzlich
286 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Sensoren<br />
überwachen<br />
Fahrfähigkeit<br />
Blackbox speichert<br />
wichtige Daten<br />
unterschieden werden zwischen Assistenzsystemen, die den Lenkenden<br />
lediglich warnen, und solchen, die autonom und aktiv in Fahrdynamik und<br />
-manöver eingreifen und dabei gewisse Fahrfunktionen übernehmen. Von<br />
aktiv eingreifenden Systemen darf in aller Regel eine grössere Wirkung<br />
erwartet werden als bei warnenden Systemen, da bei letzteren unbeeinflusst<br />
bleibt, ob und wie die Lenkenden auf die Warnmeldungen reagieren.<br />
5.5.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Fahrzeuge müssen den Lenkenden bei seiner Fahraufgabe unterstützen<br />
und entlasten (Lieferung von fahrrelevanten Informationen, Gefahrenwarnung<br />
etc.). Zudem müssen Fahrassistenzsysteme (sofern sinnvoll) aktiv<br />
ins Fahrgeschehen eingreifen, um Gefahren von vornherein zu unterbinden<br />
oder gefährliche Situationen zu entschärfen.<br />
Lenkerüberwachungssysteme: Fahrerüberwachungssysteme sind<br />
Technologien, die durch Sensoren die Fahrfähigkeit kontrollieren und die<br />
Lenkenden bei Bedarf warnen oder die Ab- bzw. Weiterfahrt sogar verhindern.<br />
Überwacht werden können beispielsweise der Alkoholisierungsgrad<br />
(Analyse der Atemluft), die Müdigkeit (Analyse der Lenkkorrekturen,<br />
Pupillengrösse und Lidschlags) und die visuelle Ablenkung (Analyse der<br />
Kopf- und Augenbewegungen).<br />
Digitaler Fahrdatenschreiber: Digitale Fahrtenschreiber zeichnen zentrale<br />
Fahrzeugdaten auf, wie beispielsweise das Geschwindigkeitsprofil<br />
oder die Verzögerungswerte. Grundsätzlich sind drei sich nicht ausschliessende<br />
Einsatzbereiche möglich: a) Die gespeicherten Daten werden<br />
von Polizei und Versicherung zur Unfallrekonstruktion (Ursache/Hergang)<br />
verwendet. b) Die erfassten Fahrdaten können den Versicherungsgesellschaften<br />
gemäss dem Motto „Pay as you drive“ auch als Grundlage<br />
für individuelle Prämienberechnung dienen. Dadurch liessen sich präventiv<br />
risikobehaftete Verhaltensweisen reduzieren. c) Grundsätzlich besteht<br />
zudem die Möglichkeit, die im Fahrtenschreiber gespeicherten Daten<br />
für Kontroll-Zwecke (polizeiliche Kontrollen) zu nutzen.
Prävention – Kollisionsobjekte 287<br />
Risikometer zeigt<br />
Ausmass der<br />
aktuellen Gefahr<br />
Elektronisches Auge<br />
erweitert Sichtbereich<br />
Fahrzeug erkennt<br />
potenzielle<br />
Kollisionsobjekte auf<br />
der Fahrbahn<br />
Risikometer: Der Risikometer – eine an der ETH Zürich entwickelte Methode<br />
– kann als eine Weiterentwicklung des Fahrdatenschreibers betrachtet<br />
werden. Im Gegensatz zum Fahrdatenschreiber werden relevante<br />
Fahrdaten nicht nur aufgezeichnet, sondern zur Berechnung des aktuell<br />
drohenden Fahrrisikos benutzt. Die Risikoberechnung beruht auf einer<br />
Vielzahl von Parametern wie Geschwindigkeit, Längs- und Querbeschleunigung,<br />
Abstand, Witterungsverhältnisse etc. Denkbar wäre auch die Berücksichtigung<br />
von Daten aus dem Lenkerüberwachungssystem (siehe<br />
oben). Das so berechnete Gefahrenpotenzial kann z. B. anhand eines auf<br />
die Windschutzscheibe projizierten Balkens visualisiert werden. Die begründete<br />
Gefahr, dass der Fahrende dazu verleitet wird, die vorhandenen<br />
Sicherheitsreserven auszuschöpfen und bis an die Grenzen des gerade<br />
noch tolerierbaren Risikos zu gehen, müsste unbedingt unterbunden werden.<br />
Das wäre beispielsweise möglich, indem die Geschwindigkeit abgeriegelt<br />
würde oder die aufgezeichneten Risikodaten als Grundlage für die<br />
Versicherungsprämien verwendet würden.<br />
Elektronische Sichthilfen: Sichtverstärkende Systeme liefern bei ungünstigen<br />
Sichtbedingungen, wie beispielsweise in der Nacht oder bei<br />
Nebel, relevante Informationen an die Lenkenden. Zudem können auch<br />
tote Winkel automatisch überwacht werden. Objekte vor dem Fahrzeug<br />
werden durch Infrarotsensoren41 erfasst und das Bild entweder auf die<br />
Frontscheibe projiziert (so genannte Head-Up-Displays, HUDs) oder auf<br />
einem sekundären Display im Armaturenbrett dargestellt. In Personenwagen<br />
der oberen Preisklasse werden elektronische Sichthilfen bereits seit<br />
dem Jahr 2000 eingesetzt.<br />
Objekterfassungssysteme: Hindernisse auf der Fahrbahn werden automatisch<br />
erfasst und analysiert. Das System kann den Fahrzeuglenkenden<br />
auditiv, visuell oder haptisch warnen und gegebenenfalls zwecks Kollisionsvermeidung<br />
automatisch abbremsen. Falls eine Kollision dennoch<br />
unvermeidbar ist, können passive Schutzeinrichtungen aktiviert werden<br />
(z. B. reversible Anhebung der Motorhaube). Objekterfassungssysteme,<br />
die auch Fussgänger erkennen, sind bisher nur bei einigen wenigen Lu-<br />
41 Zurzeit stehen sich zwei Technologien gegenüber: Nahinfrarot (NIR) und<br />
Ferninfrarot (FIR). Bei NIR wird das Vorfeld des Fahrzeugs mit einer Infrarot-<br />
Lichtquelle angestrahlt und das reflektierte Licht von einer Kamera<br />
aufgenommen. Bei FIR registriert eine Wärmebildkamera direkt die<br />
Abstrahlungswärme von Objekten und Personen (Schnidt & Grimmel, 2005).
288 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Fahrzeug warnt vor<br />
Hindernissen<br />
Bremsdruck wird<br />
automatisch erhöht<br />
xusfahrzeugen erhältlich. Die korrekte Detektion von Fussgängern ist jedoch<br />
kein leichtes Unterfangen und mit technischen Problemen behaftet,<br />
die zunächst gelöst werden müssen. Deshalb dürften entsprechende<br />
Systeme wohl erst in einigen Jahren marktreif sein.<br />
Rückfahrhilfe: Dabei handelt es sich um Ultraschallsensoren, die im Bereich<br />
von bis zu zwei Metern hinter dem Fahrzeug Hindernisse detektieren<br />
und den Lenkenden akustisch und/oder visuell warnen. Eine Alternative<br />
stellen so genannte Rückfahrkameras dar, die den unmittelbaren Bereich<br />
hinter dem Fahrzeug auf einem Display darstellen. Rückfahrhilfen<br />
sind bereits seit längerem auf dem Markt erhältlich. Die technische Realisierung<br />
von Rückfahrhilfen ist bedeutend einfacher als die oben erwähnten<br />
Objekterfassungssysteme, da letztere zwischen bewegten und stehenden<br />
Hindernissen unterscheiden müssen.<br />
Bremsassistent: In Notbremssituationen bremsen die meisten Lenkenden<br />
zu zögerlich. Selbst bei einer schnellen Reaktion wird das Bremspedal<br />
nicht mit der für eine maximale Verzögerung erforderlichen Kraft<br />
durchgetreten (vgl. Abbildung 40). Bremsassistenten erkennen anhand<br />
der Pedalbetätigung solche Notbremssituationen und reagieren, indem sie<br />
den Bremsdruck automatisch auf das maximal mögliche Niveau erhöhen.<br />
Dieser Bremsdruck liegt weit über dem, den die Lenkenden normalerweise<br />
durch die Fusskraft einsteuern. Auf diese Weise wird der kürzestmögliche<br />
Bremsweg erreicht (vgl. Abbildung 41). Bremsassistenten werden<br />
insbesondere in Personenwagen der oberen Preisklasse angeboten;<br />
vereinzelt sind sie aber bereits serienmässig in der Kompaktklasse erhältlich.
Prävention – Kollisionsobjekte 289<br />
Abbildung 40:<br />
Bremsverzögerung<br />
beim Bremsassistenten<br />
Abbildung 41:<br />
Kollisionsgeschwindigkeit<br />
mit und ohne<br />
Bremsassistent<br />
Verkehrssignale<br />
werden ins Fahrzeug<br />
übermittelt<br />
Bremsverzögerung in m/s2 Bremsverzögerung in m/s2 10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0.2<br />
Quelle: http://www.kfztech.de<br />
Normalfahrer<br />
Erfahrener Fahrer<br />
Bremsassistent<br />
Zusätzliche Verzögerung<br />
durch Bremsassistenten<br />
Vom Fahrer erzeugte<br />
Bremsverzögerung<br />
0.4<br />
Bremsbeginn<br />
v 0 = 50 km/h<br />
0.6<br />
Zeit in Sek.<br />
Quelle: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, 2006, S. 10<br />
Bremsassistent<br />
Zögerliche<br />
Bremsung<br />
Unzureichende<br />
Bremsung<br />
0.8<br />
Kollision mit<br />
Fussgänger Kollisions-<br />
(t = 0.8 s) geschwindigkeit<br />
v K = 40 km/h<br />
v K = 35 km/h<br />
v K = 25 km/h<br />
Telematische Fahrzeugbeeinflussung: Zentrale Verkehrssignale (wie<br />
rote Ampel, Höchstgeschwindigkeiten etc.) werden ins Fahrzeug übermittelt<br />
und entweder auf einem Display dargestellt oder sogar vom Fahrzeug<br />
selbständig umgesetzt. Bei der fahrzeugseitigen Umsetzung der<br />
Verkehrssignale bestehen grundsätzlich zwei Alternativen: Entweder werden<br />
die Verkehrssignale vom Fahrzeug zwangsweise umgesetzt (z. B.
290 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Zeitdauer der Rettung<br />
verkürzen<br />
Fahrzeugtechnologien<br />
wecken<br />
Hoffnungen und<br />
Befürchtungen<br />
automatische Geschwindigkeitsbegrenzung) oder nur auf Wunsch des<br />
Lenkenden (ausschaltbare Komfortsysteme wie z. B. intelligenter Tempomat).<br />
In einer Simulationsstudie konnte aufgezeigt werden, dass ISA-<br />
Systeme (Intelligent Speed Adaptation), die den Fahrzeuglenker warnen<br />
und die Fahrgeschwindigkeit in Abhängigkeit der geltenden Geschwindigkeitslimite<br />
reguliert, sowohl die Wahrscheinlichkeit mit einem Fussgänger<br />
zu kollidieren als auch dessen Sterberisiko im Kollisionsfall signifikant reduzieren<br />
können (Ma & Andréasson, 2005).<br />
Automatisierte Notrufsysteme: Notrufsysteme sind Einrichtungen zur<br />
automatischen oder manuellen Auslösung und Übertragung eines Notrufs<br />
zu den zuständigen Rettungskräften. Dadurch wird die Zeitspanne vom<br />
Eintreten des Unfalls bis zum Aufbieten der Einsatzkräfte minimiert und<br />
die Unfallfolgen somit potenziell eingedämmt. Dabei erlauben satellitengestützte<br />
Positionssysteme (Global Positioning System GPS und künftig<br />
auch Galileo) und Mobiltelefone eine automatische Koordinatenübermittlung<br />
zwecks genauer Standortangabe.<br />
Fazit: In Fahrassistenzsystemen liegen grosse Hoffnungen, was die Erhöhung<br />
der Verkehrssicherheit anbelangt. Viele Anwendungen können in<br />
der Tat als vielversprechend bezeichnet werden, da sie mehr Informationen<br />
erfassen, diese rascher und zuverlässiger verarbeiten sowie gegebenenfalls<br />
schneller darauf reagieren als die Fahrzeuglenkenden. Ein weiterer<br />
Wirkungsbereich ist die Verhinderung von risikobehaftetem Fahrverhalten<br />
(z. B. durch automatische „Enforcement“-Systeme, automatisch<br />
abgeregelte Geschwindigkeiten oder Überwachung der Fahrfähigkeit). Es<br />
soll nicht unerwähnt bleiben, dass Fahrassistenzsysteme teilweise auch<br />
mit Skepsis beurteilt werden. So wird beispielsweise befürchtet, dass im<br />
Vertrauen auf die Systeme risikoreicher gefahren wird, sodass der Sicherheitsgewinn<br />
wieder verloren geht oder dass die Lenkenden durch Assistenzsysteme<br />
überfordert oder im Gegenteil unterfordert werden, sodass<br />
sie in kritischen Fahrsituationen nicht die Geistesgegenwart haben,<br />
richtig zu reagieren. Auch wenn solche Befürchtungen nicht für alle Systeme<br />
a priori widerlegt werden können, entkräften bisherige Erfahrungen<br />
viele Befürchtungen. So ist bekannt, dass technische Sicherheitssysteme<br />
wie z. B. ABS zwar tatsächlich zu Verhaltensadaptationen führen können,<br />
diese aber in der Regel nur vorübergehend nach der Einführung eines
Prävention – Kollisionsobjekte 291<br />
Tabelle 95:<br />
Fahrzeugtechnische<br />
Präventionsmöglichkeiten<br />
und<br />
Rettungspotenzial<br />
Gegenwärtig<br />
bestehen kaum<br />
konkrete Förderungsmassnahmen<br />
Systems auftreten und nicht so stark ausfallen, dass sie den Sicherheitsgewinn<br />
vollständig kompensieren (vgl. Färber & Färber, 2004; Pfafferott &<br />
Huguenin, 1991; Weller & Schlag, 2004). Zudem existieren Systeme (wie<br />
z. B. Fahrdatenspeicher), die einer Verhaltenskompensation entgegenwirken.<br />
Eine Überforderung der Lenkenden durch Fahrerassistenzsysteme<br />
kann durch die benutzergerechte Gestaltung der Bedienoberfläche<br />
und selektive Informationsweitergabe weitgehend ausgeschlossen werden<br />
(vgl. Bubb, 2002; Zimmer, 2002).<br />
Massnahme<br />
Lenkerüberwachungssysteme (Alkohol, Müdigkeit, visuelle<br />
Ablenkung)<br />
Digitaler Fahrdatenschreiber/Risikometer (exkl.<br />
automatisierter Verkehrskontrollen)<br />
Rettungspotenzial<br />
Elektronische Sichthilfen **<br />
Objekterfassungssysteme mit integrierter Notbremsfunktion *****<br />
Rückfahrhilfe zur Hinderniserkennung **(*)<br />
Bremsassistent **** ( * )<br />
Telematische Fahrzeugbeeinflussung zur Umsetzung<br />
zentraler Verkehrssignale<br />
Automatisierte Notrufsysteme *<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
5.5.3 Förderungsmassnahmen<br />
In Anbetracht der zu erwartenden positiven Effekte für die Verkehrssicherheit<br />
ist eine rasche Implementierung der dargestellten Fahrassistenzsysteme<br />
wünschenswert. Einer breiten oder sogar flächendeckenden<br />
raschen Einführung stehen jedoch verschiedene Hemmfaktoren im Weg.<br />
So sind die oben aufgeführten Technologien teilweise noch in der Entwicklung<br />
oder mit relativ hohen Zusatzkosten verbunden. Auch ist die<br />
Haftungsfrage bei Schäden durch fehlerhafte Assistenzsysteme noch<br />
nicht geklärt (s. Berz, 2002). Zudem stösst ein Teil der Systeme – vor allem<br />
autonom eingreifende Sicherheitsmodule und telematische Kontrollsysteme<br />
– auf eine eher geringe gesellschaftliche Akzeptanz (Demoscope,<br />
2003). Dementsprechend sind rein edukative Förderungsmassnahmen<br />
gerade bei den wirksamsten Systemen nur bedingt möglich. Hier<br />
bedarf es gesetzlicher Massnahmen.<br />
***<br />
*<br />
* ( * )
292 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Zusammenarbeit mit<br />
EU notwendig<br />
Bremsassistent soll in<br />
Europa Pflicht werden<br />
Information der<br />
Kunden notwendig<br />
Der Implementierung von Fahrassistenzsystemen durch gesetzliche Forderungen<br />
an die Autohersteller sind durch das Übereinkommen über technische<br />
Handelshemmnisse Grenzen gesetzt. Ein Alleingang der Schweiz<br />
als Nicht-EU-Mitglied, als Land ohne eigene Automobilindustrie und mit<br />
verhältnismässig kleinem Absatzanteil ist nicht realistisch. Um die fahrzeugseitige<br />
Fussgängersicherheit weiter zu fördern, bedarf es deshalb der<br />
Zusammenarbeit mit der EU.<br />
Die EU plant im Rahmen der Neufassung der Fussgängerschutz-Richtlinie,<br />
den Bremsassistenten für die Zulassung eines PW vorzuschreiben.<br />
Die Regelung soll am 1.7.2008 in Kraft treten und für alle Neuwagen gelten.<br />
Die konkreten Vorgaben der Richtlinie stehen jedoch noch nicht fest<br />
und sind Gegenstand von Verhandlungen.<br />
Auch wenn die Schweiz in vielerlei Hinsicht an das Vorgehen der EU gebunden<br />
ist, existieren durchaus auch Möglichkeiten, Fahrzeugtechnologien<br />
unabhängig von der EU zu fördern. Ein einfacher Weg besteht darin,<br />
potenzielle Fahrzeugkäufer/-innen insbesondere über bereits etablierte<br />
Sicherheitstechnologien zu informieren. Das ist schon deshalb angebracht,<br />
weil viele Sicherheitssysteme üblicherweise mit Abkürzungen<br />
(ABS, BAS, ESP, EDS, EBV, ASR, ACC, PSS, ISA, LDWS, LKS, DAMS<br />
etc. 42 ) versehen werden, worunter sich viele Konsumenten nichts vorstellen<br />
können. Erschwerend kommt hinzu, dass Autohersteller für dieselbe<br />
Art von System teilweise unterschiedliche Kürzel verwenden (Elektronisches<br />
Stabilitätsprogramm heisst bei Volvo DSTC, bei Jaguar Trac DSC,<br />
bei Porsche PSM, bei BMW DSC und bei Maserati MSP). Zudem ist die<br />
Funktionsweise vieler elektronischer Systeme vielschichtig und komplex<br />
und dementsprechend nur schwer nachvollziehbar, zumal diese Systeme<br />
im Gegensatz zu den passiven Sicherheitseinrichtungen wie beispielsweise<br />
dem Sicherheitsgurt und dem Airbag im Verborgenen arbeiten. Die<br />
genannten Punkte unterstreichen den Informationsbedarf der Kunden. Die<br />
Konsumenten müssen auf eine einfache und leicht verständliche Art und<br />
Weise informiert werden, welche Systeme was leisten können, wie gross<br />
42 ABS: Anti-Blockier-System, BAS: Bremsassistentsystem, ESP: Elektronisches<br />
Stabilitätsprogramm, EDS: Elektronische Differenzialsperre, EBV: Elektronische<br />
Bremskraftverteilung, ASR: Antriebsschlupfregelung, ACC: Adaptive<br />
Cruise Control, PSS: Predictive Safety Systems, ISA: Intelligent Speed<br />
Adaptation, LDW: Lane Departure Warning System, LKS: Lane Keeping<br />
System, DAMS: Driver Alertness Monitoring System
Prävention – Kollisionsobjekte 293<br />
Erforschung der<br />
Kundenakzeptanz<br />
empfehlenswert<br />
Anreizsysteme<br />
können möglicherweise<br />
die Marktdurchdringung<br />
von<br />
Technologien fördern<br />
Tabelle 96:<br />
Massnahmen zur<br />
Förderung elektronischerUnterstützungssysteme<br />
und Beurteilung<br />
der jeweilige Sicherheitsgewinn ist und wo die Wirkungsgrenzen liegen.<br />
Weiter empfiehlt es sich, im Rahmen der Akzeptanzforschung herauszufinden,<br />
was Schweizer und Schweizerinnen zu Fahrassistenzsystemen<br />
wirklich meinen und welche Hoffnungen bzw. Ängste sie hinsichtlich ihrer<br />
Konsequenzen haben, um aus den erhaltenen Informationen Möglichkeiten<br />
abzuleiten, wie die Akzeptanz von negativ beurteilten Technologien<br />
verbessert werden kann (Mühlethaler, Arend, Axhausen, Martens & Steierwald,<br />
2003).<br />
Neben der Einstellungsbeeinflussung besteht auch die Möglichkeit, den<br />
Verkauf von Sicherheitstechnologien durch das Schaffen von Anreizen zu<br />
erhöhen (z. B. Reduktion der Versicherungsprämien). Bisher ist jedoch<br />
noch offen, wie weit durch Anreizsysteme auch denjenigen Technologien<br />
zum Durchbruch verholfen werden kann, die einen Sicherheitsgewinn auf<br />
Kosten der individuellen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der Fahrzeuglenkenden<br />
erzielen (Mühlethaler et al., 2003). Auch ist die politische<br />
und administrative Machbarkeit mehrheitlich noch unklar. Gute Realisierungschancen<br />
haben Fahrdatenspeicher: Mehrere ausländische Versicherungsgesellschaften<br />
haben 2006 Projekte gestartet, um den (freiwilligen)<br />
Einsatz von Fahrdatenspeichern zu testen. Ziel ist es, aufgrund der Informationen<br />
zum Fahrverhalten individuelle und somit gerechtere Prämien<br />
anbieten zu können. Auch Schweizer Versicherungsgesellschaften führen<br />
ab Januar 2007 Pilotprojekte durch, die Akzeptanz und Präventionspotenzial<br />
von Crash-Recordern eruieren sollen.<br />
5.5.4 Massnahmenbeurteilung<br />
Massnahme Beurteilung<br />
Kundeninformation zu bereits etablierten und<br />
neu auf dem Markt erhältlichen<br />
Fahrzeugtechnologien<br />
Rückfahrsensoren für die Inverkehrsetzung<br />
von Fahrzeugen ohne mittleren Rückspiegel<br />
(insbesondere Kleintransporter) gesetzlich<br />
vorschreiben<br />
Anreizsysteme zur Förderung von<br />
Fahrzeugtechnologien mit hohem<br />
Sicherheitspotential<br />
Kampagnen zur Akzeptanzsteigerung von<br />
negativ beurteilten Fahrzeugtechnologien<br />
Empfehlenswert<br />
Empfehlenswert<br />
Bedingt empfehlenswert<br />
(da Machbarkeit und Wirksamkeit<br />
noch unklar)<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(da schlechtes Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)
294 Prävention – Kollisionsobjekte<br />
Den grössten Nutzen<br />
haben sicherheitsoptimierte<br />
Fronten<br />
und Fahrerassistenzsysteme<br />
5.6 Zusammenfassung und Fazit<br />
In Anbetracht der geringen Unfallrelevanz von betriebstechnischen<br />
Fahrzeugmängel und den gesetzlich verankerten Kontrollen (namentlich<br />
Typenprüfung und amtliche Nachkontrollen) besteht in diesem Bereich<br />
kein zusätzlicher Handlungsbedarf. In Bezug auf die Verkehrssicherheit<br />
sind vielmehr die struktur-geometrischen Fronteigenschaften zu bemängeln.<br />
Zur Verbesserung der Fahrzeugfronten existiert eine ganze Reihe<br />
von technischen Möglichkeiten. In Übereinstimmung mit den EG-Vorschriften<br />
wurde 2005 eine sicherheitsoptimierte Gestaltung der Frontpartie<br />
vorgeschrieben (zunächst nur für neue Fahrzeugtypen, ab 2013 für alle<br />
Neuzulassungen). Zur Förderung des fahrzeugseitigen Fussgängerschutzes<br />
sind Konsumenten von PW zu sensibilisieren und über Ergebnisse<br />
aktueller Crashtests (z. B. Euro NCap) zu informieren. Zur technischen<br />
Verbesserung der Beleuchtungsfunktionalität ist insbesondere das<br />
adaptive Kurvenlicht geeignet, das die Ausleuchtung des seitlichen Strassenbereichs<br />
bei Kurven und Abbiegemanövern deutlich verbessert. Auch<br />
vom Xenonlicht dürfen infolge der besseren Ausleuchtung des Strassenraums<br />
positive Effekte für die Fussgängersicherheit erwartet werden.<br />
Fahrassistenzsysteme bergen ein sehr grosses Rettungspotenzial für<br />
Fussgänger. Die Vielzahl möglicher Sicherheitssysteme, ihre komplexe<br />
und verborgene Wirkweise, aber auch die Verwendung von Abkürzungen<br />
(zumal uneinheitlich und englischsprachig) erschweren es dem Konsumenten,<br />
den Durchblick zu behalten. Deshalb sollten die Konsumenten<br />
mittels elektronischer und Printmedien umfassend über bereits etablierte<br />
und neu auf dem Markt erhältliche Technologien informiert werden. Neben<br />
dem direkten Ansprechen der Endverbraucher könnten künftig auch<br />
Anreizsysteme (z. B. reduzierte Versicherungsprämien) verwendet werden,<br />
um sicherheitsrelevante Fahrassistenzsysteme zu fördern. Die Förderung<br />
von Fahrassistenzsystemen mittels gesetzlichen Forderungen an<br />
die Fahrzeughersteller kann nur in Einklang mit den EU-Richtlinien erfolgen.<br />
Abschliessend kann festgehalten werden, dass die struktur-mechanische<br />
und elektronische Fahrzeugtechnik ein grosses Potenzial zur Erhöhung<br />
der Fussgängersicherheit birgt. Um die Technologien zum fahrzeugseitigen<br />
Fussgängerschutz zu implementieren, bedarf es der internationalen
Prävention – Kollisionsobjekte 295<br />
Zusammenarbeit (z. B. Einsitz in den Arbeitsgruppen der UN/ECE). Alleingänge<br />
der Schweiz als Nicht-EU-Mitglied, als Land ohne eigene Automobilindustrie<br />
und mit verhältnismässig kleinem Absatzanteil sowie aufgrund<br />
des Übereinkommens über technische Handelshemmnisse sind<br />
kaum möglich.
296 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Verkehrsnetze für<br />
Motorfahrzeuge und<br />
Fussgänger<br />
Definition von<br />
baulichen<br />
Infrastrukturelementen<br />
Rechtlichtliche<br />
Bedeutung der VSS-<br />
Normen<br />
6. Strasseninfrastruktur<br />
6.1 Einleitung<br />
Dieses Kapitel zeigt Möglichkeiten auf, wie mittels verkehrstechnischer<br />
Infrastrukturelemente die Sicherheit der Fussgänger erhöht werden kann.<br />
Zuvor wird die im Kapitel „Risikofaktoren“ gewonnene Erkenntnis wieder<br />
aufgenommen, dass Personen – seien sie mit Fahrzeugen oder zu Fuss<br />
unterwegs – sich auf Verkehrsnetzen bewegen (s. Kap. VII.5.1 Einleitung:<br />
Netzgedanken, S. 196). Diese Feststellung ist von grundlegender Bedeutung,<br />
weil damit die Basis für eine systematische Analyse dieser beiden<br />
Verkehrsarten gelegt wird. Die Analyse wiederum erlaubt es, zielgerecht<br />
adäquate verkehrstechnische Infrastrukturelemente zu planen, zu projektieren<br />
und zu realisieren.<br />
Infrastrukturelle Präventionsmöglichkeiten können sowohl baulicher als<br />
auch signalisationstechnischer Art sein.<br />
a) Bauliche Infrastrukturelemente<br />
Darunter sind Strasseninfrastrukturelemente zu verstehen, welche durch<br />
Erdarbeiten und/oder unter Verwendung von Baumaterialien eine neue<br />
Situation im Strassenraum erzeugen. In der Regel liegt dafür ein Bauprojekt<br />
vor. Beispiele dafür sind baulich separierte Trottoirs, Fussgängerschutzinseln<br />
(Mittelinseln) oder Unter-/Überführungen.<br />
Bauliche Infrastrukturelemente sind grösstenteils in den entsprechenden<br />
Normen des VSS geregelt. Die VSS-Normen entsprechen den Regeln der<br />
Baukunde. Falls sie nicht den Status einer Weisung erhalten, sind sie<br />
nicht unmittelbar verbindlich. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie<br />
im Schadenfall als Grundlage herangezogen werden. In einer gesamtheitlichen<br />
Betrachtungsweise fliessen die Aspekte des <strong>Fussverkehr</strong>s erst seit<br />
2003 in die VSS-Normen ein. Deshalb sind noch nicht alle Fragestellungen<br />
darin abgehandelt.
Prävention – Strasseninfrastruktur 297<br />
Oft nationale oder<br />
kantonale Richtlinien<br />
vorhanden<br />
Signalisationstechnische<br />
Infrastrukturelemente<br />
im Strassenverkehrsrecht<br />
geregelt<br />
Abbildung 42:<br />
Markierungen und<br />
Signale gelten als<br />
signalisationstechnische<br />
Elemente<br />
Verkehrsrechtliche<br />
Bedeutung<br />
Geschwindigkeitsdifferenz<br />
minimieren;<br />
einfache Führung im<br />
Blickfeld; physischer<br />
Schutz<br />
Nicht selten finden sich auch nationale oder kantonale Richtlinien. Betreffend<br />
Verbindlichkeit sind sie niedriger einzustufen. Im Schadenfall ist jedoch<br />
nicht ausgeschlossen, dass auch Richtlinien als Grundlage dienen<br />
können, insbesondere dann, wenn zum entsprechenden Thema (noch)<br />
keine Norm vorliegt.<br />
b) Signalisationstechnische Infrastrukturelemente<br />
Unter Signalisation fallen sowohl die Infrastrukturelemente „Markierung“<br />
als auch „Signal“. Beispiele dafür sind gelb markierte Fussgängerstreifen<br />
oder die blauen rechteckigen Signale mit weissem Dreieck „Standort eines<br />
Fussgängerstreifens“ (vgl. Abbildung 42).<br />
Die Signalisation hat eine verkehrsrechtliche Bedeutung. Die im Strassenverkehrsgesetz<br />
SVG und in der Signalisationsverordnung SSV geregelten<br />
Einsatz-Kriterien sind demnach verbindlich. Zuständig für die Bewilligung<br />
von Signalen oder Markierungen ist eine kantonale Signalisationsbehörde,<br />
wobei grössere Gemeinden (Städte) oft über eine eigene Signalisationsbehörde<br />
verfügen. Die Ausführungsdetails (Geometrie, Farbe) sind hingegen<br />
in den VSS-Normen festgelegt.<br />
Die präventive Wirkungsweise von infrastrukturellen Elementen basiert<br />
auf folgenden Prinzipien:<br />
• Minimierung der gefahrenen Geschwindigkeiten des motorisierten Individualverkehrs<br />
• Führung des <strong>Fussverkehr</strong>s im Blickfeld des motorisierten Individualverkehrs<br />
und Erhaltung der Sichtfelder<br />
• Einfache, verständliche, benutzerfreundliche Infrastruktur<br />
• Minimierung der Anzahl Konfliktstellen<br />
• Physischer Schutz
298 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Systematisierung des<br />
<strong>Fussverkehr</strong>snetzes<br />
Anforderungen an<br />
das Verkehrsnetz für<br />
Fussgänger<br />
6.2 Basis für adäquate Infrastrukturelemente: die Netzplanung<br />
6.2.1 Ausgangslage<br />
Grundsätzlich besteht ein <strong>Fussverkehr</strong>snetz aus vier verschiedenen<br />
Grundelementen. Die Systematisierung der Lage dieser einzelnen Grundelemente<br />
bezüglich des Netzes für den motorisierten Individualverkehr sei<br />
an dieser Stelle wiederholt:<br />
• Querungen<br />
Örtlichkeiten, wo sich der <strong>Fussverkehr</strong> und der motorisierte Individualverkehr<br />
queren.<br />
• Abschnitte entlang von Strassen<br />
Bereiche, in denen der <strong>Fussverkehr</strong> und der motorisierte Individualverkehr<br />
im selben Strassenraum parallel geführt werden. Das kann<br />
beispielsweise auf Trottoirs, auf Längsstreifen für Fussgänger oder auf<br />
einer gemeinsamen Fläche erfolgen.<br />
• Vom Individualverkehr vollständig separierte Abschnitte<br />
Wege, auf denen der <strong>Fussverkehr</strong> vollständig getrennt vom motorisierten<br />
Individualverkehr geführt wird. Das ist beispielsweise in Parks oder<br />
in Fussgänger-Passagen der Fall.<br />
• Umsteigepunkte<br />
End- oder Startpunkte von Fahrten mit einem privaten Fahrzeug<br />
(Parkplatz) oder dem öffentlichen Verkehr, wie z. B. Bus- oder Tramhaltestellen,<br />
Bahnhöfe u. ä.<br />
Hauptziel der Netzplanung ist es, die Grundelemente derart anzulegen,<br />
dass die in der Schweizer Norm SN 640 240 an das <strong>Fussverkehr</strong>snetz<br />
gestellten Anforderungen erfüllt werden. Danach muss ein attraktives<br />
<strong>Fussverkehr</strong>snetz sicher, kohärent, direkt und komfortabel sein (vgl.<br />
Tabelle 97; Southworth, 2005; Wackrill, 2001). Anders ausgedrückt geht<br />
es darum, adäquate verkehrstechnische Infrastrukturelemente systematisch<br />
zu planen, um sicherzustellen, dass Personen die gewünschten Beziehungen<br />
zu Fuss zurücklegen können. Dabei sind die Sicherheit zu maximieren<br />
und die Ansprüche von Gehbehinderten zu berücksichtigen.
Prävention – Strasseninfrastruktur 299<br />
Tabelle 97:<br />
Anforderungen an<br />
das <strong>Fussverkehr</strong>snetz<br />
Verkehrstechnische<br />
Infrastrukturelemente<br />
sind systematisch zu<br />
planen, projektieren<br />
und bauen<br />
Netzplanung als Basis<br />
Vorgehen bei der<br />
Netzplanung<br />
Anforderung Teilaspekte<br />
Sicher Geringe Unfallgefahr<br />
Einfachheit der Anlage<br />
„Sehen und gesehen werden“<br />
Sicherheitsempfinden<br />
Kohärent Durchgängigkeit<br />
Durchlässigkeit<br />
Gute Führung<br />
Homogenität<br />
Direkt Günstige Linienführung<br />
Vermeidung von Wegunterbrechungen<br />
Komfortabel Günstige vertikale Linienführung<br />
Fussgängergerechte Beläge<br />
<strong>Fussverkehr</strong>freundliches Umfeld<br />
Die professionelle Netzplanung ist eine notwendige Voraussetzung, um<br />
die Zielsetzungen zu erreichen. Das geht auch aus der Analyse der Risikofaktoren<br />
deutlich hervor. Im Detail sind Querungen prioritär zu behandeln<br />
vor der „Führung des <strong>Fussverkehr</strong>s in Längsrichtung“ (Ausdruck<br />
synonym für „Abschnitte entlang von Strassen“ gebraucht).<br />
6.2.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Die Netzplanung muss alle Verkehrsarten umfassen. Sie darf nicht ausschliesslich<br />
auf der Betrachtung des motorisierten Individualverkehrs beruhen.<br />
Sie muss vielmehr auch die Bedürfnisse des <strong>Fussverkehr</strong>s (sowie des<br />
leichten Zweiradverkehrs und des öffentlichen Verkehrs) mitberücksichtigen.<br />
Wie in Kapitel VII.5 Von der Strasseninfrastruktur ausgehende Risiko-<br />
faktoren (S. 196) aufgezeigt, unterscheiden sich die beiden Netze in ihrer<br />
Grundstruktur. Das Verkehrsnetz des motorisierten Individualverkehrs<br />
besteht fast ausschliesslich aus linienförmigen Verkehrsflächen, den hierarchisch<br />
gegliederten Strassen. Das <strong>Fussverkehr</strong>snetz weist hingegen<br />
auch so genannte flächige Verkehrsbeziehungen auf, namentlich Plätze<br />
oder Fussgängerzonen.<br />
Das Vorgehen bei der Netzplanung wird hier stark vereinfacht wiedergegeben:
300 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Umfassende Analyse<br />
Überlagerung der<br />
Netze<br />
Indirekte Auswirkung<br />
auf alle Fussgänger-<br />
Unfälle<br />
Tabelle 98:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Netzplanung’ für<br />
den <strong>Fussverkehr</strong> und<br />
Rettungspotenzial<br />
Geschwindigkeit als<br />
Risikofaktor für<br />
Fussgängerunfälle<br />
• Die umfassende Analyse der bestehenden und gewünschten <strong>Fussverkehr</strong>sbeziehungen<br />
zeigt auf, wo geeignete infrastrukturelle Elemente<br />
zu planen, zu projektieren und zu realisieren sind.<br />
• Die Überlagerung des Netzes für den motorisierten Individualverkehr<br />
und des <strong>Fussverkehr</strong>snetzes zeigt konkret jene Örtlichkeiten auf, wo<br />
Konfliktstellen und folglich Risiken vorhanden sind. Das sind naturgemäss<br />
diejenigen Örtlichkeiten, wo sich die beiden Netze berühren, also<br />
die Querungen und die Abschnitte entlang von Strassen. Für diese<br />
Örtlichkeiten ist abzuklären, ob die verkehrstechnischen Elemente zur<br />
Abwicklung des <strong>Fussverkehr</strong>s zur Gewährleistung der Sicherheit genügen.<br />
Ansonsten sind zusätzliche, adäquate verkehrstechnische<br />
Elemente zum Schutz des <strong>Fussverkehr</strong>s zu planen, zu projektieren<br />
und zu realisieren.<br />
Fehlende Netzplanung ist eine indirekte Ursache für fast alle Fussgänger-<br />
Unfälle. Ausnahmefälle wie das Aussteigen aus havarierten Fahrzeugen<br />
auf der Autobahn fallen zahlenmässig nicht ins Gewicht. Der Vorgang der<br />
Netzplanung selbst kann jedoch unmittelbar keine Fussgängerunfälle verhindern.<br />
Die Netzplanung kann auch nicht sicherstellen, dass durchwegs<br />
adäquate infrastrukturelle Elemente entworfen werden. Eine flächendeckende<br />
Netzplanung ist ein notwendiges, jedoch nicht hinreichendes<br />
Basisinstrument für den Entwurf funktionaler, sicherer und gehbehindertengerechter,<br />
also attraktiver <strong>Fussverkehr</strong>snetze.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Netzplanung für den <strong>Fussverkehr</strong> *****<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
6.3 Geschwindigkeitsregime innerorts<br />
6.3.1 Ausgangslage<br />
Mit steigender Geschwindigkeit nehmen Unfallwahrscheinlichkeit und Verletzungsschwere<br />
überproportional zu. Gemäss amtlicher Unfallstatistik ist<br />
die Geschwindigkeit Mitursache bei 25 % aller schweren und 44 % aller<br />
tödlichen Verletzungen. Um das Gefahrenpotenzial der Geschwindigkeit
Prävention – Strasseninfrastruktur 301<br />
Übergeordnete<br />
Strassen:<br />
Erscheinungsbild<br />
anpassen<br />
Untergeordnete<br />
Strassen:<br />
Höchstgeschwindigkeit<br />
senken<br />
Situationsgerechtes<br />
Geschwindigkeitsniveau<br />
gewährleisten<br />
als zentralem Verletzungseinflussfaktor zu reduzieren, ist zumindest die<br />
Einhaltung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit sicherzustellen. Aber<br />
auch hier gilt, dass die Grenzwerteinhaltung nur eine notwendige, aber<br />
nicht in allen Fällen eine hinreichende Bedingung für die Verkehrssicherheit<br />
ist.<br />
In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte von zentraler Bedeutung:<br />
1) Das Erscheinungsbild des Strassenraums auf dem übergeordneten<br />
Strassennetz<br />
Erfahrungsgemäss kann besonders auf dem übergeordneten Strassennetz<br />
das Erscheinungsbild des Strassenraums die Motorfahrzeuglenker<br />
dazu bewegen, eine situationsangepasste Geschwindigkeit zu<br />
wählen. Diese liegt oftmals unterhalb der signalisierten Höchstgeschwindigkeit.<br />
2) Die geltende Höchstgeschwindigkeit auf Quartierstrassen<br />
Ein niedriges Geschwindigkeitsniveau auf dem untergeordneten Strassennetz,<br />
d. h. in Quartieren, wo Wohnen, Aufenthalt und Begegnung<br />
die dominierenden Bedürfnisse sind, kann sich positiv auf das <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
auswirken. Das ist seit langem bekannt (z. B. Draeger,<br />
1986; Vis & Dijkstra, 1992; Lindenmann & Koy, 2000). Aufgrund dieser<br />
Tatsache erscheint es sicherheitstechnisch inadäquat, nicht verkehrsorientierte<br />
Strassen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zu<br />
betreiben.<br />
Auf dem übergeordneten Strassennetz ist folglich sicherzustellen, dass<br />
die geltende Geschwindigkeitslimite von generell 50 km/h nicht überschritten<br />
wird und die gefahrenen Geschwindigkeiten besser den Umständen angepasst<br />
werden, namentlich den Verkehrsverhältnissen (Gegenwart von<br />
Fussgängern). Ebenso ist zu gewährleisten, dass auf dem untergeordneten<br />
Strassennetz wo immer möglich eine niedrige Höchstgeschwindigkeit<br />
eingeführt wird. Infrastrukturelemente können dabei einen wesentlichen<br />
Teilbeitrag leisten.
302 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Grundlagen<br />
Netzplanung<br />
Signalisationsverordnung<br />
– Höchstgeschwindigkeit<br />
bfu-Modell Tempo 30/50<br />
als geeigneter Ansatz<br />
Tempo 50 auf dem<br />
übergeordneten<br />
Strassennetz –<br />
Tempo 30 auf dem<br />
gesamten<br />
untergeordneten<br />
Strassennetz<br />
6.3.2 Präventionsmöglichkeit<br />
Das bfu-Modell Tempo 30/50 innerorts dient dazu, die oben formulierten<br />
Ziele zu erreichen. Infrastrukturelle Elemente spielen dabei eine grundlegende<br />
Rolle. Sie sind entsprechend fundiert zu planen, zu projektieren<br />
und zu bauen. Die Basis dazu liefern:<br />
a) eine umfassende Netzplanung<br />
b) die gesetzlich geregelte Höchstgeschwindigkeit<br />
Ein weiteres Resultat aus der Netzplanung für den motorisierten Individualverkehr<br />
ist die Gliederung des Strassennetzes in Strassentypen. Auf<br />
der höchsten hierarchischen Ebene wird nach so genannten verkehrsorienterten<br />
und siedlungsorienterten Strassen unterschieden.<br />
Gemäss Signalisationsverordnung wird die generelle Geschwindigkeitslimite<br />
von 50 km/h mit dem Signal „Höchstgeschwindigkeit 50 generell“<br />
(2.30.1) dort angezeigt, wo die dichte Überbauung auf einer der beiden<br />
Strassenseiten beginnt. Der Beginn von Tempo-30-Zonen wird mit dem<br />
Signal ‚Tempo-30-Zone’ (2.59.1) gekennzeichnet. Oftmals gilt im ganzen<br />
Innerortsgebiet Tempo 50, weil die Möglichkeit, Tempo-30-Zonen auf Quartierstrassen<br />
einzuführen, wenig genutzt wird. Dies auch nach der Vereinfachung<br />
der Bestimmungen zur Einführung von Tempo-30-Zonen (Verordnung<br />
über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen vom<br />
1.1.200243 ).<br />
Das im Merkblatt „Tempo 30 in Quartieren“ (Schweizerische Beratungsstelle<br />
für Unfallverhütung, 2002) beschriebene bfu-Modell „Tempo 30/50<br />
innerorts“ ist eine zweckmässige Handhabe, Tempo 30 verbreitet in Quartieren<br />
einzuführen und die Sicherheit auf dem übergeordneten Strassennetz<br />
nachhaltig zu erhöhen.<br />
Das bfu-Modell basiert auf einer Unterscheidung des innerörtlichen Strassennetzes<br />
in siedlungs- und verkehrsorientierte Strassen. Letztere haben<br />
die Funktion, eine ausreichende Kapazität für den motorisierten Verkehr zu<br />
gewährleisten und den Durchgangsverkehr zu führen. Um diese Strassen für<br />
den fliessenden Verkehr attraktiv und leistungsfähig zu erhalten, ist hier<br />
das Temporegime 50 km/h generell beizubehalten. Auf den siedlungs-<br />
43 SR 741.213.3
Prävention – Strasseninfrastruktur 303<br />
Analyse des örtlichen<br />
Strassennetzes als<br />
Basis<br />
orientierten Strassen überwiegen hingegen die Ansprüche der Bewohner<br />
und Nutzer der an die Strasse grenzenden Liegenschaften. Die Verbindungsfunktion<br />
der Strasse wird hier durch die Erschliessungs- und die Aufenthaltsfunktion<br />
ersetzt. Deshalb ist es meistens zweckmässig, diese untergeordneten<br />
Strassen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h zu<br />
betreiben. Gemäss Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen<br />
ist hierfür ein Gutachten notwendig, welches die Einführung<br />
von Tempo-30-Zonen rechtfertigt.<br />
Für die Umsetzung des Modells bedarf es einer Analyse des örtlichen<br />
Strassennetzes. Anhand dieser wird erarbeitet, welches die übergeordneten<br />
und somit verkehrsorientierten Strassen sind und welche eher<br />
siedlungsorientierten Charakter besitzen. Die Höchstgeschwindigkeiten<br />
werden anschliessend der festgelegten Strassenfunktion angepasst.<br />
Das Modell Tempo 30/50 ist entwickelt worden, um die Verkehrssicherheit<br />
im gesamten innerörtlichen Strassennetz zu erhöhen. Es zielt darauf ab,<br />
sowohl die Unfallzahlen als auch die Unfallschwere zu senken.<br />
Die oftmals einseitige Betrachtung, nur Wohngebiete in die Verkehrsberuhigung<br />
mit einzubeziehen, lässt die Tatsache ausser Acht, dass die meisten<br />
Verunfallten44 auf verkehrsorientierten Strassen zu verzeichnen sind.<br />
Deshalb fordert das bfu-Modell, zusätzlich zur Einführung von Tempo 30<br />
in den Wohngebieten, das übergeordnete Strassennetz gemäss der<br />
Schweizer Norm SN 640 212 zu konzipieren. Ziel der darin vorgestellten<br />
Gestaltungselemente ist eine fussgänger- und radfahrergerechtere Strassengestaltung.<br />
Ausserdem wird dem motorisierten Verkehr die Einhaltung<br />
des Geschwindigkeitslimits von 50 km/h auf Ortsdurchfahrten erleichtert.<br />
Die niedrigere Geschwindigkeit soll es den Lenkern ermöglichen, mehr Details<br />
am Strassenrand wahrzunehmen. Somit verbessern sich die Sichtverhältnisse<br />
sowohl aus Sicht des Lenkers auf Personen, die zu Fuss<br />
unterwegs sind, als auch umgekehrt.<br />
44 Beispielangaben für das Jahr 2003: 10’065 Verunfallte auf Hauptstrassen<br />
innerorts und 7’626 Verunfallte auf Nebenstrassen innerorts in der Schweiz; da<br />
verkehrsorientierte Strassen jedoch mehr als nur die Hauptstrassen umfassen,<br />
sind die Verunfalltenzahlen auf verkehrsorientierten Strassen noch höher als<br />
auf Hauptstrassen.
304 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Tempo-30-Strassen<br />
primär durch<br />
Erkennungsmassnahmen<br />
kennzeichnen<br />
Bauliche Massnahmen<br />
zur Verkehrsberuhigung<br />
nur dort,<br />
wo Geschwindigkeit<br />
zu hoch<br />
Abbildung 43:<br />
Tor zu einer<br />
siedlungsorientierten<br />
Strasse<br />
Das bfu-Modell sieht vor, dass typische verkehrstechnische Elemente für<br />
siedlungs- bzw. verkehrsorientierte Strassen dem Fahrzeuglenker die<br />
jeweilige Funktion der Strasse vergegenwärtigen.<br />
Auf den siedlungsorientierten Strassen werden primär „Erkennungsmassnahmen“<br />
angewandt. So soll beim Verlassen der übergeordneten Strasse<br />
ein auffälliges Eingangstor (Abbildung 43) den Übertritt in eine siedlungsorientierte<br />
Strasse verdeutlichen. Weiter zeigen versetzte Parkfelder (Abbildung<br />
44), Rechtsvortrittsmarkierungen (Abbildung 45) und Tempo-30-<br />
Signete auf der Fahrbahn (Abbildung 46) das herabgesetzte Geschwindigkeitsniveau<br />
an. Einbahnstrassenregelungen, Mittelmarkierungen sowie<br />
vortrittsberechtigte Strassen sind für siedlungsorientierte Strassen ungeeignet,<br />
da sie beschleunigend wirken können.<br />
Bauliche Massnahmen zur Verkehrsberuhigung (Vertikal-, Horizontalversatz,<br />
aufgepflasterte Kreuzungen [Abbildung 47]) sollen gemäss Schweizer<br />
Norm 640 213 nur auf denjenigen Strassen zur Anwendung kommen, deren<br />
Erscheinungsbild einen niedrigen Einhaltegrad der Geschwindigkeitsbeschränkung<br />
vermuten lässt oder auf denen die gesetzlich vorgeschriebenen<br />
Nachher-Messungen (1 Jahr nach Fertigstellung der Massnahme)<br />
zu hohe Geschwindigkeiten (v85 > 38 km/h) ergaben.
Prävention – Strasseninfrastruktur 305<br />
Abbildung 44:<br />
Wechselseitiges<br />
Parken<br />
Abbildung 45:<br />
Rechtsvortrittsmarkierung<br />
Abbildung 46:<br />
Tempo-30-Signet
306 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 47:<br />
Aufgepflasterter<br />
Kreuzungsbereich<br />
Sicherheit auf dem<br />
übergeordneten<br />
Strassennetz durch<br />
gestalterische<br />
Massnahmen<br />
Abbildung 48:<br />
Ortsdurchfahrt mit<br />
Verkehrsstreifen in<br />
Fahrbahnmitte<br />
Auf verkehrsorientierten Strassen sieht das Modell vor, trotz hohem Verkehrsaufkommen<br />
und höheren Geschwindigkeiten ein hohes Verkehrssicherheitsniveau<br />
zu gewähren, die Querbeziehungen zu verbessern und<br />
die Trennwirkung der Fahrbahn zu minimieren. Dabei soll jedoch der Verkehr<br />
nicht auf siedlungsorientierte Strassen umgelagert werden. Als Erkennungselemente<br />
sind insbesondere Lichtsignalanlagen, Mittelmarkierungen,<br />
Fussgängerstreifen mit Fussgängerschutzinsel, Kreisverkehrsplätze<br />
und das Vortrittsrecht gegenüber Querstrassen geeignet. Infrastrukturelle<br />
Gestaltungselemente für Innerortsstrassen gemäss Schweizer Norm SN<br />
640 212 wie beispielsweise Verkehrsstreifen in Fahrbahnmitte (Abbildung<br />
48) gewähren eine optimale Sicherheit. Solche gestalterischen infrastrukturellen<br />
Elemente schränken dabei die Leistungsfähigkeit der Strasse nicht<br />
ein.
Prävention – Strasseninfrastruktur 307<br />
Abbildung 49:<br />
Torwirkung<br />
Abbildung 50:<br />
Kammerung des<br />
Strassenraums<br />
Sie zielen vielmehr darauf ab, folgende Gestaltungsprinzipien umzusetzen:<br />
1. Torwirkung (optische Abgrenzung zwischen Strassenräumen unterschiedlicher<br />
Charakteristik, die eine Anpassung des Fahrverhaltens<br />
anstrebt) (Abbildung 49)<br />
2. Kammerung des Strassenraums (Längsunterteilung des Strassenraumes<br />
in Raumkammern, um den Fokus der Wahrnehmung auf den<br />
Nahbereich zu richten und damit einen geschwindigkeitssenkenden<br />
Effekt für den Verkehrsablauf zu erreichen) (Abbildung 50)<br />
3. Verzahnung der Seitenräume (Verwendung verschiedener Beläge zur<br />
Milderung der Bandwirkung von Fahrbahnrändern; Effekt nicht generell<br />
erwünscht, sondern in Abstimmung mit der Funktion der Strasse) (Abbildung<br />
51)
308 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 51:<br />
Verzahnung von<br />
Strassenräumen<br />
Indirekte Auswirkung<br />
auf alle Fussgänger-<br />
Unfälle<br />
Tabelle 99:<br />
Präventionsmöglichkeit‚Geschwindigkeitsregime<br />
innerorts’<br />
Bei der Umsetzung dieser Prinzipien sind folgende Aspekte mit einzubeziehen:<br />
• Funktion und Lage der Strasse<br />
• Städtebauliche Vorgaben und Ziele<br />
• Struktur des Strassenraums<br />
Das bfu-Modell Tempo 30/50 innerorts schliesst Senkungen der signalisierten<br />
Höchstgeschwindigkeit auf dem übergeordneten Strassennetz<br />
nicht von vornherein aus. Bei Gefahren, die nur schwer oder nicht rechtzeitig<br />
erkennbar und nicht anders zu beheben sind, ist gemäss Artikel 108<br />
der Signalisationsverordnung eine Senkung der geltenden Höchstgeschwindigkeit<br />
möglich. Dabei ist jedoch sicherzustellen, dass keine<br />
Schleichwegfahrten in Wohnquartiere stattfinden und das angestrebte<br />
Geschwindigkeitsregime noch ersichtlich ist.<br />
Ein für den <strong>Fussverkehr</strong> adäquates Geschwindigkeitsregime innerorts<br />
wirkt sich auf fast alle Typen von Fussgängerunfällen aus. Dementsprechend<br />
hoch ist das ausgewiesene Rettungspotenzial.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Geschwindigkeitsregime innerorts *****<br />
* sehr gering / ***** sehr gross
Prävention – Strasseninfrastruktur 309<br />
Benutzung derselben<br />
Verkehrsfläche –<br />
Konflikte entstehen<br />
Führung auf zwei<br />
Ebenen unterbindet<br />
Konflikte<br />
<strong>Fussverkehr</strong> ist<br />
umwegempfindlich<br />
6.4 Querung auf zwei Ebenen<br />
6.4.1 Ausgangslage<br />
Das Überqueren von Verkehrsflächen des motorisierten Individualverkehrs<br />
zu Fuss ist der mit Abstand grösste Risikofaktor. Der primäre<br />
Grund dafür ist, dass der motorisierte Individualverkehr und der <strong>Fussverkehr</strong><br />
an diesen Orten dieselbe Verkehrsfläche benutzen. Dadurch entstehen<br />
zwangsläufig Konfliktstellen. Diese Situation wird durch den rechtwinkligen<br />
Verlauf von Fahrbahn und Querung verschärft, weil dadurch die<br />
Fahrzeug-Lenker die Fussgänger oft erst unmittelbar vor dem Überqueren<br />
sehen.<br />
Eine konfliktfreie Führung von <strong>Fussverkehr</strong> und motorisiertem Individualverkehr<br />
würde Kollisionen zwischen diesen beiden Verkehrsteilnehmern<br />
per definitionem vollständig ausschliessen. Dieser Ansatz verfolgt das<br />
Prinzip der Minimierung der Anzahl Konfliktstellen. Er ist nahe liegend und<br />
vordergründig bestechend. Die Umsetzung mündet zwangsläufig in die<br />
Führung der Verkehrsflächen für den <strong>Fussverkehr</strong> und den motorisierten<br />
Individualverkehr auf zwei verschiedenen Ebenen.<br />
In diesem Zusammenhang gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass der<br />
<strong>Fussverkehr</strong> sehr umwegempfindlich ist. Diese Eigenschaft wird verstärkt,<br />
wenn Personen zu Fuss Höhendifferenzen bewältigen müssen, um anschliessend<br />
wieder auf das Ausgangsniveau zurückzugelangen. Ob eine<br />
Querung auf zwei Ebenen von Fussgängern benützt wird oder ob trotzdem<br />
auf der Fahrbahn überquert wird, ist situationsabhängig. Die Schweizer<br />
Norm SN 640 240 „Querungen für den Fussgänger- und leichten<br />
Zweiradverkehr – Grundlagen“ führt anhand eines systematischen Ablaufs<br />
zur Wahl des adäquaten Querungstyps. Entscheidende Einflussfaktoren<br />
für die Wahl einer Querung auf zwei Ebenen sind dabei die zu querende<br />
Strasse, die Verkehrsmenge und die Topografie.
310 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Unter- und<br />
Überführung als<br />
Lösung<br />
Benutzung<br />
sicherstellen –<br />
Gelände<br />
berücksichtigen<br />
Hanglagen<br />
prädestiniert<br />
Bedürfnisse von<br />
Personen mit<br />
Moblitätseinschränkung<br />
berücksichtigen<br />
6.4.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Führt die Netzplanung zum Entscheid, den <strong>Fussverkehr</strong> und den motorisierten<br />
Individualverkehr auf zwei Ebenen zu führen, so stehen die Elemente<br />
„Unterführung“ oder „Überführung“ zur Wahl. Wie aus der Bezeichnung<br />
hervorgeht, wird bei diesen Elementen der <strong>Fussverkehr</strong> (oft zusammen<br />
mit dem leichten Zweiradverkehr) unter bzw. über der Fahrbahn geführt.<br />
Die physische Trennung zwischen motorisiertem Individualverkehr<br />
und <strong>Fussverkehr</strong> ist vollständig, so dass zwischen diesen beiden Verkehrsarten<br />
keine Konfliktstellen bestehen.<br />
Die volle Wirkung kann jedoch nur dann zum Tragen kommen, wenn die<br />
Fussgänger diese Anlagen auch tatsächlich benützen. Wie bereits erläutert,<br />
ist der <strong>Fussverkehr</strong> sehr umwegempfindlich. Eine Person zu Fuss<br />
wird stets den Aufwand der doppelten Überwindung der Höhendifferenz<br />
und den daraus gewonnenen Nutzen (Sicherheit, Zeitgewinn) gegeneinander<br />
abwägen. Resultiert daraus subjektiv kein Gewinn, so sinkt die Akzeptanz<br />
für Über- oder Unterführungen erheblich. Sie werden entsprechend<br />
nicht benutzt und die Fahrbahn wird à Niveau überquert. Dieser<br />
offensichtliche sicherheitstechnische Nachteil wird überdies verstärkt, weil<br />
Motorfahrzeug-Lenker an Orten mit Über- oder Unterführungen nicht mit<br />
querenden Fussgängern auf der Fahrbahn rechnen.<br />
Um die Benutzerfreundlichkeit zu optimieren, sind deshalb Über- oder<br />
Unterführungen vornehmlich in Hanglagen zu legen (Abbildung 52), wo<br />
ohnehin auf der einen Strassenseite eine Höhendifferenz zu überwinden<br />
ist. Noch geeigneter sind Querungen, wo die Fahrbahn in einem Einschnitt<br />
oder auf einem Damm geführt wird und zu Fuss somit Höhendifferenzen<br />
entfallen (Abbildung 53).<br />
Sind bei Querungen von wichtigen, sehr stark befahrenen Strassen solche<br />
Anlagen unumgänglich, so sind die Bedürfnisse von Gehbehinderten,<br />
älteren Fussgängern zu berücksichtigen. Das gilt auch für Personen, die<br />
einen Kinderwagen oder ein Fahrrad stossen (flache Rampen, Lifte).
Prävention – Strasseninfrastruktur 311<br />
Abbildung 52:<br />
Attraktive Führung<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s auf<br />
zwei Ebenen –<br />
Überführung an<br />
Hanglage<br />
Abbildung 53:<br />
Attraktive Führung<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s auf<br />
zwei Ebenen –<br />
Unterführung in<br />
Einschnitt<br />
Bestimmungen für<br />
sicheren Betrieb<br />
Für die Sicherheit der Anlage selbst sind eine attraktive Linienführung, die<br />
Sichtweiten bei Richtungswechseln und seitlichen Zugängen, die öffentliche<br />
Beleuchtung sowie eine positive Sicherheitsempfindung im öffentlichen<br />
Raum massgebend. Die VSS-Norm SN 640 246 „Unterführungen“<br />
und die derzeit (2006) in Bearbeitung befindliche VSS-Norm SN 640 247<br />
„Überführungen“ zeigen im Detail auf, wie diese Ziele zu erreichen sind.<br />
Vergleichbare Angaben weist die Deutsche Forschungsgesellschaft für<br />
Strassen- und Verkehrswesen aus (2002).
312 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Geringes<br />
Rettunspotenzial<br />
Tabelle 100:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Querung auf zwei<br />
Ebenen’<br />
Benutzung derselben<br />
Verkehrsfläche –<br />
Konflikte entstehen<br />
Unter- oder<br />
Überführung oft nicht<br />
möglich<br />
Die präventive Wirkung der Elemente Über- oder Unterführungen ist<br />
nachweislich gross (Japan Road Association, 1969, zitiert nach Retting,<br />
Ferguson & McCartt, 2003). Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Örtlichkeiten,<br />
wo Über- oder Unterführungen angebracht sind, eher selten sind.<br />
Folglich ist das Rettungspotenzial dieser Präventionsmöglichkeit als gering<br />
einzuschätzen.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Querung auf zwei Ebenen (Unter- bzw. Überführung) **<br />
• sehr gering / ***** sehr gross<br />
6.5 Punktuelle Querung auf einer Ebene mit Vortritt<br />
6.5.1 Ausgangslage<br />
Grundlage ist wiederum die Feststellung, wonach die Benutzung derselben<br />
Verkehrsfläche durch Fussgänger und motorisierten Individualverkehr<br />
zwangsläufig Konfliktstellen generiert. Die Situation wird durch den rechtwinkligen<br />
Verlauf von Fahrbahn und Querung verschärft, weil dadurch<br />
Fussgänger oft erst unmittelbar vor dem Überqueren ins Blickfeld der<br />
Fahrzeuglenker gelangen. Eine konfliktfreie Führung, die Kollisionen zwischen<br />
diesen beiden Verkehrsteilnehmern ausschliesst, ist nur ausnahmsweise<br />
möglich. Ursache dafür sind mangelnde finanzielle Ressourcen<br />
sowie eine Topografie bzw. Platzverhältnisse, die z. B. für Personen<br />
mit eingeschränkter Mobilität keine Lösung zulassen. Zudem zeigt die<br />
Praxis immer wieder sehr deutlich, dass der <strong>Fussverkehr</strong> überaus umwegempfindlich<br />
ist.<br />
In Querungsbereichen werden deshalb üblicherweise Fussgänger und<br />
motorisierter Individualverkehr auf einer Ebene, also auf der gleichen Verkehrsfläche,<br />
geführt. Das führt zwangsläufig zu den in Kap. VII.5.1<br />
Einleitung: Netzgedanken, S. 196, beschriebenen Problemen und Risiken.<br />
Ziel muss es deshalb sein, diese Örtlichkeiten mittels adäquaten infrastrukturellen<br />
Elementen für Fussgänger möglichst risikoarm zu gestalten.<br />
Das gilt sowohl für die verkehrstechnischen Basiselemente zur Abwicklung<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s als auch für die verkehrstechnischen Elemente zur
Prävention – Strasseninfrastruktur 313<br />
Punktuelle Querung<br />
mit Vortritt als<br />
mögliche Lösung<br />
Fussgängerstreifen –<br />
gesetzliche<br />
Bestimmungen<br />
Ausgestaltung von<br />
Fussgängerstreifen<br />
Vortritt zu Gunsten<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
festgelegt<br />
Gewährleistung der Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s (s. dazu Kap. VII.5.2<br />
Fehlende Netzplanung, S. 198).<br />
Dabei ist zu berücksichtigen, dass <strong>Fussverkehr</strong>sbeziehungen linienförmig<br />
oder flächig sein können (s. Kap. VII.5.1 Einleitung: Netzgedanken,<br />
S. 196), was auch beim Überqueren von Fahrbahnen gilt. Ob eine Beziehung<br />
linienförmig ist und sich der <strong>Fussverkehr</strong> somit im Querungsbereich<br />
bündeln lässt, hängt vorwiegend von der Art der Randbebauung und der<br />
Fussgängerführung neben dem Strassenraum ab. Für gebündelte <strong>Fussverkehr</strong>sströme<br />
ist eine so genannte punktuelle Querung angezeigt. Diese<br />
kann mit oder ohne Vortritt für Fussgänger betrieben werden. Unter welchen<br />
Bedingungen der Querungstyp „punktuelle Querung mit Vortritt“ angezeigt<br />
ist, ergibt sich aus dem systematischen Vorgehen in der Schweizer<br />
Norm SN 640 240 „Querungen für den Fussgänger- und leichten<br />
Zweiradverkehr – Grundlagen“.<br />
Im Folgenden sind die drei Präventionsmöglichkeiten erörtert, die ein gebündeltes<br />
und vortrittsberechtigtes Überqueren der Strasse ermöglichen.<br />
6.5.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Fussgängerstreifen<br />
Fussgängerstreifen unterliegen zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen<br />
und haben auch einige verkehrsrechtliche Auswirkungen. Darum werden<br />
hier zunächst die wichtigsten Artikel aus dem Schweizerischen Verkehrsrecht<br />
(jeweils kursiv dargestellt) zitiert.<br />
Die Ausgestaltung von Fussgängerstreifen wird vorab in Art. 77 Abs. 1<br />
SSV geregelt:<br />
Fussgängerstreifen werden durch eine Reihe gelber, bei Pflästerung<br />
allenfalls weisser, Balken parallel zum Fahrbahnrand gekennzeichnet.<br />
Die folgenden beiden Gesetzestexte lassen die Absicht des Gesetzgebers<br />
erkennen, mit einem verkehrsregelnden Eingriff (Vortrittsregelung zu<br />
Gunsten der Fussgänger) fussgängerfreundliche und sichere Querungen
314 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Vortritt zu Gunsten<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s nur<br />
bedingt<br />
zu ermöglichen. Dies im Einklang mit der erklärten Absicht des Bundesamtes<br />
für Strassen ASTRA, den Langsamverkehr zu fördern (Bundesamt<br />
für Strassen ASTRA, 2001).<br />
Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeugführer<br />
jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen<br />
Gerätes, der sich bereits auf dem Streifen befindet<br />
oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will,<br />
den Vortritt gewähren. Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig<br />
mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht<br />
nachkommen kann (Art. 6 Abs. 1 VRV).<br />
Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig<br />
zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern<br />
den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden<br />
oder im Begriffe sind, ihn zu betreten (Art. 33 Abs. 2<br />
VRV).<br />
Der Wortlaut der folgenden Artikel lässt durchblicken, dass beim Gesetzgeber<br />
offenbar gewisse Zweifel daran bestehen, ob sich das vorgängig<br />
definierte Vortrittsregime zwischen <strong>Fussverkehr</strong> und motorisiertem Individualverkehr<br />
überhaupt umfassend verwirklichen lässt.<br />
Die Fussgänger haben die Fahrbahn vorsichtig und auf dem<br />
kürzesten Weg zu überschreiten, nach Möglichkeit auf einem<br />
Fussgängerstreifen. Sie haben den Vortritt auf diesem Streifen,<br />
dürfen ihn aber nicht überraschend betreten (Art. 49 Abs. 2<br />
SVG)<br />
Auf Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung haben die<br />
Fussgänger den Vortritt, …. Sie dürfen jedoch vom Vortrittsrecht<br />
nicht Gebrauch machen, wenn das Fahrzeug bereits so nahe ist,<br />
dass es nicht mehr rechtzeitig anhalten könnte (Art. 47 Abs. 2<br />
VRV).<br />
Offensichtlich bestehen Bedenken, ob der Vortritt im grundsätzlichen<br />
Sinne, also wie zwischen Fahrzeugen, funktionieren kann. Offenbar ist sich<br />
der Gesetzgeber bewusst, dass das Markieren von Fussgängerstreifen<br />
nicht generell sicherstellt, dass Lenker vor Fussgängern anhalten, die im
Prävention – Strasseninfrastruktur 315<br />
Anhaltequote ist zu<br />
niedrig<br />
Umfassende<br />
Anhaltebereitschaft<br />
erwünscht<br />
Fussgängerstreifen<br />
ermöglichen eine<br />
Bündelung der<br />
Überquerungen<br />
Begriff sind, die Fahrbahn zu überqueren. Indessen ist es für die Sicherheit<br />
der querenden Fussgänger zentral, sich darauf verlassen zu können,<br />
dass ihnen der motorisierte Individualverkehr den Vortritt gewährt, also<br />
anhält.<br />
Die Anhaltebereitschaft der Lenker vor Fussgängerstreifen, bei denen<br />
Personen im Begriffe sind, die Fahrbahn zu überqueren, ist tatsächlich<br />
gering. So konnte Ewert 1999 bei der Untersuchung von 100 Fussgängerstreifen<br />
in der Schweiz eine Anhaltequote von rund 50 % nachweisen.<br />
Noch schlechter ist die Anhaltequote in Österreich mit knapp über 40 %<br />
(Klug, 2005). Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, wie hoch die Anhaltequote<br />
sein muss, damit die Sicherheit für Fussgänger am Fussgängerstreifen<br />
optimal ist. Befunde hierfür wurden keine gefunden.<br />
Dieser vordergründig einfach erscheinende Sachverhalt ist detailliert zu<br />
hinterfragen. Einleuchtend ist, dass eine 100%ige Anhaltequote seitens<br />
der Lenker eine 100%ige Sicherheit für die querenden Fussgänger zur<br />
Folge hat. Ob eine sehr hohe Anhaltequote zwangsläufig eine sehr hohe<br />
Sicherheit für querende Fussgänger zur Folge hat, ist nicht offenkundig.<br />
Insbesondere kann kaum abgeschätzt werden, wie gross der Einfluss auf<br />
die Sicherheit ist, wenn sich Fussgänger zu stark darauf verlassen, dass<br />
alle Fahrzeuge anhalten. Jedenfalls konnte der genaue Zusammenhang<br />
zwischen Anhaltequote und <strong>Unfallgeschehen</strong> auf Grund der gesichteten<br />
Literatur nicht eruiert werden. Eine möglichst hohe Anhaltequote muss<br />
das Ziel bleiben. Solange diese jedoch nicht 100 % beträgt, wird eine<br />
Sensibilisierung der Fussgänger ebenso wichtig sein.<br />
Sie müssen Fussgängerstreifen, Über- oder Unterführungen benützen,<br />
wenn diese weniger als 50 m entfernt sind (Art. 47 Abs.<br />
1 VRV).<br />
Diese Vorschrift ermöglicht es, Fussgängerbeziehungen im Bereich von<br />
Überquerungen zu bündeln, wenn sie auf engem Raum stattfinden. Somit<br />
sind Fussgängerstreifen (Abbildung 54) für punktuelle Querungen grundsätzlich<br />
angezeigt.<br />
Andererseits zwingt diese Verordnung die Fussgänger zu Umwegen. Die<br />
Vorschrift ist erfahrungsgemäss wenig bekannt oder wird als lästig emp-
316 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 54:<br />
Fussgängerstreifen<br />
<strong>Unfallgeschehen</strong> auf<br />
Fussgängerstreifen<br />
erheblich<br />
funden. Das <strong>Unfallgeschehen</strong> in der Schweiz sowie diverse Forschungsergebnisse<br />
zeigen jedoch, dass diese Regelung trotzdem sinnvoll ist. So<br />
weisen 16 % aller Fussgängerunfälle den Mangel „Nichtbenützen des<br />
Fussgängerstreifens“ auf (bezogen auf Fussgänger-Unfälle, denen ein<br />
Mangel zugewiesen wurde). Die darauf beruhende Vermutung, dass das<br />
Überqueren von Strassen im näheren Bereich eines Fussgängerstreifens<br />
besonders risikovoll ist, wird durch Scaramuzza & Ewert (1997) sowie Elvik<br />
und Vaa (2004) gestützt. Beide Untersuchungen gelangen auf Grund<br />
der Analyse verschiedener Studien zum gleichen Schluss: Das Risiko, als<br />
Fussgänger in einem Bereich von 50 m vor oder nach einem Fussgängerstreifen<br />
zu verunfallen, ist wesentlich erhöht.<br />
Soviel zu den gesetzlichen Vorschriften für Fussgängerstreifen. Der Nutzen<br />
dieser Präventionsmöglichkeit für die Sicherheit der querenden Fussgänger<br />
ist umstritten, wenngleich in der Öffentlichkeit die Meinung vorherrscht,<br />
Fussgängerstreifen seien die vorteilhafteste Vorkehrung für<br />
Querungen. Die Unfallstatistik zeigt freilich, dass in den letzten 10 Jahren<br />
die Summe der Getöteten und schwer Verletzten auf Fussgängerstreifen<br />
zwar – wie das gesamte <strong>Unfallgeschehen</strong> – abgenommen hat, aber mit<br />
rund 300 immer noch erheblich ist.
Prävention – Strasseninfrastruktur 317<br />
Fussgängerstreifen<br />
sind nicht a priori<br />
sicher<br />
Studien zeigen<br />
unterschiedliche<br />
Resultate bezüglich<br />
Sicherheit<br />
Aus dieser Zahl geht deutlich hervor, dass Lenker nicht immer anhalten,<br />
selbst wenn Fussgänger den Fussgängerstreifen bereits betreten haben.<br />
Daraus ergibt sich, dass offensichtlich Fussgängerstreifen nicht ausnahmslos<br />
eine absolute Sicherheit garantieren.<br />
So analysierten Koepsell et al. (2002) in 6 verschiedenen Städten in den<br />
USA 282 Fussgängerunfälle mit über 65-Jährigen. Dabei wiesen sie ein<br />
2.1-faches Risiko beim Queren auf Fussgängerstreifen aus (Resultat kontrolliert<br />
für Fussgängermengen, Verkehrsmengen motorisierter Individualverkehr,<br />
Querungslänge und Vorhandensein einer Lichtsignalanlage). Dabei<br />
war das erhöhte Risiko fast vollständig auf das 3.6-fache Risiko bei<br />
Fussgängerstreifen ohne Lichtsignalanlage zurückzuführen.<br />
Demgegenüber konnte die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung<br />
(1983) nachweisen, dass das Unfallrisiko beim Überqueren der<br />
Strasse auf Fussgängerstreifen bedeutend geringer ist als ausserhalb von<br />
Fussgängerstreifen. Allerdings wiesen die damals beobachteten Fussgängerstreifen<br />
eine relativ hohe mittlere Fussgängerfrequenz von<br />
28 Fussgängern/Stunde auf. Ob diese Resultate für Fussgängerstreifen<br />
mit niedrigen Fussgängerfrequenzen ebenfalls Gültigkeit haben, geht aus<br />
dieser Studie nicht hervor.<br />
Zegeer et al. (2005) verglichen in einer breit angelegten Studie 1000 markierte<br />
Querungen (durchschnittlich 312 querende Fussgänger pro Tag)<br />
und 1000 unmarkierte Querungen (155 querende Fussgänger pro Tag).<br />
Querungen auf zweispurigen Strassen erwiesen sich mit Markierung unter<br />
keiner verkehrstechnischen Bedingung sicherer als ohne Markierung (dieses<br />
Resultat basiert auf gesamthaft 914 Querungen). Hingegen zeigte<br />
sich, dass bei einem durchschnittlichen täglichen Verkehr von über 12000<br />
Fahrzeugen auf mehrspurigen Strassen Querungen mit Markierung signifikant<br />
unsicherer sind als Querungen ohne Markierung.<br />
Weitere Studien zeigen ebenfalls ein uneinheitliches Bild für das Unfallrisiko<br />
mit/ohne Fussgängerstreifen auf. Jørgensen und Rabani (1971, zitiert<br />
nach Scaramuzza & Ewert, 1997) weisen ein gleich hohes Risiko<br />
nach, Herms (1972, zitiert nach Scaramuzza & Ewert, 1997) ein doppeltes<br />
Risiko auf Fussgängerstreifen und Tobey, Shunamen und Knoblauch<br />
(1983, zitiert nach Scaramuzza & Ewert, 1997) ein 2.5-mal geringeres
318 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Sicherheitsgewinn<br />
umstritten<br />
Sicherheit vermutlich<br />
nur unter gewissen<br />
Bedingungen<br />
gegeben<br />
Infrastrukturelle<br />
Voraussetzungen<br />
Fussgängerschutzinsel<br />
erhöht<br />
Sicherheit<br />
Risiko auf Fussgängerstreifen. Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang<br />
auch die Ergebnisse von Gårder (2004). Mit Hilfe von Modellen,<br />
die auf Verkehrsaufkommen basieren, berechnete er an 122 Querungen<br />
erwartete Unfallzahlen. Aus dem Vergleich der erwarteten Unfallzahlen<br />
mit dem tatsächlichen <strong>Unfallgeschehen</strong> zog er den Schluss, die Ursache<br />
müsse mit den infrastrukturellen Eigenheiten dieser Lokalitäten zusammenhängen.<br />
Signifikante (negative) Abweichungen zwischen erwarteten<br />
und beobachteten Unfallzahlen ergaben sich insbesondere bei erhöhten<br />
Geschwindigkeiten und bei mehrspurigen Strassen. Positiv wirkte sich<br />
hingegen die Markierung aus. Gårder wirft gleichzeitig die interessante<br />
Fragestellung auf, ob die Querung durch die Markierung sicherer geworden<br />
ist oder ob die Anlage vorher schon sicher war und deswegen mit<br />
einer Markierung versehen wurde. Letztendlich weist er aus, dass Querungen<br />
mit Markierung 50 % sicherer sind.<br />
Insgesamt ist zu konstatieren, dass der Sicherheitsgewinn von Fussgängerstreifen<br />
keineswegs unumstritten ist. Je nach betrachteten Variablen<br />
gibt es Befunde für ein erhöhtes, für eine gleiches sowie für ein geringeres<br />
Risiko, auf dem Fussgängerstreifen zu verunfallen im Vergleich zu<br />
Querungen ohne Fussgängerstreifen.<br />
Diese Erkenntnis legt den Schluss nahe, dass die Sicherheit auf Fussgängerstreifen<br />
nur unter gewissen Bedingungen gegeben ist. Das Markieren<br />
von Fussgängerstreifen führt also nicht unabhängig von Betrieb<br />
(Menge und Zusammensetzung von motorisiertem Individualverkehr und<br />
<strong>Fussverkehr</strong>) und baulicher Ausgestaltung zu mehr Sicherheit bei Querungen.<br />
Doch die zu erfüllenden Einsatzmöglichkeiten und Bedingungen<br />
bei der Planung und Projektierung von Fussgängerstreifen sind teilweise<br />
sehr umstritten.<br />
Die Erkenntnisse hinsichtlich der infrastrukturellen Voraussetzungen sind<br />
verhältnismässig eindeutig.<br />
Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass sich der Einbau einer Fussgängerschutzinsel<br />
(Abbildung 55) positiv auf das <strong>Unfallgeschehen</strong> auswirkt.<br />
Scaramuzza & Ewert wiesen 1997 nach, dass Fussgängerstreifen<br />
mit Fussgängerschutzinsel signifikant häufiger unfallfrei sind. Gårder<br />
(1989, zitiert nach Retting et al., 2003) wies eine Reduktion der Konflikte
Prävention – Strasseninfrastruktur 319<br />
Abbildung 55:<br />
Fussgängerschutzinsel<br />
Korrekte Beleuchtung<br />
erhöht Sicherheit<br />
zwischen Fussgängern und motorisiertem Individualverkehr um 66 %,<br />
Herrstedt (1999) gar um 80 % nach. Zu ähnlichen Resultaten gelangten<br />
auch Thompson et al. (1990) und Zegeer et al. (2005). Schliesslich empfiehlt<br />
auch Alrutz in den Deutschen Empfehlungen für Fussgängerverkehrsanlagen<br />
EFA (2002) den Einsatz von Fussgängerschutzinseln. Vorsicht<br />
ist jedoch bei knappen Platzverhältnissen angezeigt. An solchen<br />
Örtlichkeiten ist der Verlauf des Fahrbahnrandes anzupassen, um kritische<br />
Engstellen für den leichten Zweiradverkehr zu vermeiden (vgl. dazu<br />
Walter et al., 2005).<br />
Erwartungsgemäss ist die korrekte Beleuchtung (Abbildung 56) eine<br />
notwendige Bedingung für den sicheren Betrieb von Fussgängerstreifen.<br />
So konnten Pegrum (1972, zitiert nach Retting et al., 2003) und Polus und<br />
Katz (1978, zitiert nach Retting et al., 2003) eine signifikante Reduktion<br />
des <strong>Unfallgeschehen</strong>s nach verbesserter Beleuchtung von Fussgängerquerungen<br />
nachweisen. Desgleichen konnten Scaramuzza und Ewert<br />
1997 den positiven Einfluss der Beleuchtung auf die Sicherheit der querenden<br />
Fussgänger aufzeigen.
320 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 56:<br />
Fussgängerstreifen-<br />
Beleuchtung<br />
Fussgängerstreifen<br />
über max. zwei<br />
Fahrspuren<br />
Abbildung 57:<br />
Fussgängerstreifen<br />
über zu viele Spuren<br />
Genügende Sicht<br />
verbessert die<br />
Sicherheit<br />
Bezüglich der Anzahl Fahrstreifen sind ebenfalls recht eindeutige Resultate<br />
vorhanden. Scaramuzza & Ewert (1997) zeigten, dass Fussgängerstreifen,<br />
die über mehr als zwei Spuren führen (Abbildung 57), signifikant<br />
häufiger unfallbelastet sind. Zegeer et al. konnten 2005 ebenfalls<br />
nachweisen, dass sich das Markieren von Fussgängerstreifen über mehrspurige<br />
Strassen sicherheitstechnisch negativ auswikrt.<br />
Die Sichtdistanz zwischen Fussgängern und motorisiertem Individualverkehr<br />
beeinflusst wesentlich die Sicherheit der querenden Fussgänger.<br />
Das ist in verschiedenen Untersuchungen nachgewiesen. So konnten<br />
Scaramuzza und Ewert 1997 zeigen, dass Fussgängerstreifen mit einer<br />
Sichtdistanz von über 100 m signifikant häufiger unfallfrei waren als Fussgängerstreifen<br />
mit einer geringeren Sichtdistanz (Abbildung 58). Johansson<br />
et al. (2004, zitiert nach Leden et al., 2006) wiesen in einer Fallstudie<br />
Verbesserungen im <strong>Unfallgeschehen</strong> nach, wenn Lenker die Fussgänger<br />
vor dem Überqueren der Strasse besser wahrnehmen konnten. Insbeson-
Prävention – Strasseninfrastruktur 321<br />
Abbildung 58:<br />
Fussgängerstreifen<br />
mit ungenügender<br />
Sicht<br />
Signal 4.11 erhöht die<br />
Sicherheit<br />
dere wurden Fahrbahnverengungen im Bereich von parkierten Fahrzeugen<br />
und Parkverbote als sichtverbessernde Intervention untersucht, wobei der<br />
positive Effekt für Kinder bedeutend grösser ist als für ältere Fussgänger.<br />
Elvik und Vaa (2004) konnten ebenfalls eine leichte Reduktion (5 %) der<br />
Fussgänger-Unfälle nachweisen, nachdem Sichtverbesserungen für Fussgänger<br />
realisiert wurden (insbesondere Fahrbahnverengungen), wobei die<br />
Streuung der Werte sehr hoch ist. Johnson (2005) konnte bei einer Untersuchung<br />
nachweisen, dass die Reduktion der nicht anhaltenden Motorfahrzeuge<br />
nach dem Einbau einer Fahrbahnverengung 42.7 % auf der<br />
näheren Spur betrug (n=219) und 33.9 % auf der entfernteren Spur<br />
(n=214). An dieser Stelle sei erneut darauf hingewiesen, dass keine<br />
Studien über den Zusammenhang zwischen Anhaltequote und <strong>Unfallgeschehen</strong><br />
gefunden wurden.<br />
Ein schweizspezifisches Resultat lieferten Scaramuzza und Ewert (1997).<br />
Es zeigte sich, dass unfallfreie Fussgängerstreifen signifikant häufiger mit<br />
dem Signal 4.11 der Signalisationsverordnung SSV „Standort eines<br />
Fussgängerstreifens“ (Abbildung 59) ausgerüstet sind. Darüber hinaus<br />
wiesen die unfallfreien Fussgängerstreifen signifikant häufiger eine Sichtdistanz<br />
von über 100 m auf diese Signale auf.
322 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 59:<br />
Signal „Standort eines<br />
Fussgängerstreifens“<br />
Betriebliche<br />
Voraussetzungen<br />
Menge der querenden<br />
Fussgänger<br />
beeinflusst vermutlich<br />
das Querungsrisiko<br />
Motorfahrzeugmengen<br />
beeinflussen<br />
Querungsrisiko<br />
Die Forschungsergebnisse zu den betrieblichen Voraussetzungen für<br />
die Markierung eines Fussgängerstreifens sind nicht eindeutig.<br />
Einige Hinweise deuten darauf hin, dass die Menge der querenden Fussgänger<br />
das Unfallrisiko (Unfälle pro gegebene Anzahl Überquerungen)<br />
beeinflusst.<br />
Ekman konnte 1996 zeigen, dass das Querungsrisiko für Fussgänger<br />
tendenziell abnimmt, wenn die Anzahl der querenden Fussgänger steigt.<br />
Diese Aussage gilt sowohl für Querungen mit als auch ohne Fussgängerstreifen.<br />
Derweil untersuchte Jacobsen 2003 den Zusammenhang zwischen<br />
der Menge von Personen, die zu Fuss unterwegs sind, und der<br />
Wahrscheinlichkeit, dass diese verunfallen. Er konnte nachweisen, dass<br />
eine Verdoppelung der Anzahl Fussgänger mit einer Reduktion der Unfallwahrscheinlichkeit<br />
um 66 % einherging.<br />
Aussagen bezüglich Grenzwerten von Fussgänger- oder Motorfahrzeugmengen,<br />
die für oder gegen das Markieren eines Fussgängerstreifens<br />
sprechen, sind spärlich vorhanden. Mennicken (1999) kommt zwar zum<br />
Schluss, dass die Realisierung von Fussgängerstreifen nicht an Fussgängermengen<br />
zu binden ist, schlägt jedoch deren Einsatz trotzdem ab rund<br />
25 Überquerungen pro Stunde vor (was für Verhältnisse an Schweizer<br />
Fussgängerstreifen als hoher Wert einzuschätzen ist). Expositionsbereinigte<br />
Aussagen fehlen jedoch in dieser Studie.<br />
Der Zusammenhang zwischen Motorfahrzeugmenge und Unfallrisiko<br />
scheint hingegen weitgehend gesichert zu sein. Erwartungsgemäss nimmt<br />
das Unfallrisiko für querende Fussgänger mit grösser werdenden Motorfahrzeugmengen<br />
zu (z. B. Wazana et al., 1997; Zegeer et al., 2005), unabhängig<br />
davon, ob Querungen mit oder ohne Fussgängerstreifen ausgerüstet<br />
sind. Ein diesbezüglich überraschendes Resultat lieferten Zegeer et<br />
al. (2005). Danach ist bei mehrspurigen Strassen und einem DTV von
Prävention – Strasseninfrastruktur 323<br />
Mächtigkeit der<br />
Verkehrsströme ist<br />
vermutlich für das<br />
Funktionieren des<br />
Vortrittrechts von<br />
Bedeutung<br />
Abbildung 60:<br />
Der Fahrzeugstrom ist<br />
mächtig – den<br />
Fussgängern wird das<br />
Vortrittsrecht kaum<br />
zugestanden<br />
über 12’000 Fahrzeugen pro Tag die Querung ohne Markierungen sicherer<br />
als mit Markierungen. Es handelt sich in diesem Falle jedoch um eine<br />
einzelne, spezielle Konstellation von Bedingungen.<br />
Plausibel scheint, dass grundsätzlich eine Vortrittsregelung besser funktioniert,<br />
je mächtiger der vortrittsberechtigte Fahrzeugstrom ist. Das ist<br />
auch immer wieder in der Praxis zu beobachten. Offen bleibt die Frage,<br />
ob das beim Zusammentreffen eines Fahrzeug- und eines Fussgängerstroms<br />
auch gilt. Die Praxis stützt diese Vermutung. Immer wieder ist<br />
festzustellen, dass an stark befahrenen Strassen Personen zu Fuss Mühe<br />
bekunden, trotz Fussgängerstreifen von ihrem Vortrittsrecht Gebrauch zu<br />
machen (Abbildung 60).<br />
Dies gilt besonders dann, wenn an solchen Örtlichkeiten nur selten Fussgänger<br />
anzutreffen sind. Das entgegengesetzte Phänomen ist genauso<br />
an Örtlichkeiten mit vielen querenden Fussgängern und wenigen Motorfahrzeugen<br />
zu beobachten. An solchen Stellen können Fussgänger mühelos<br />
ohne Fussgängerstreifen auch in Gegenwart von Motorfahrzeugen<br />
queren, selbst wenn keine Fussgängerstreifen markiert sind, also das<br />
Vortrittsrecht eigentlich dem Motorfahrzeugverkehr zusteht (Abbildung<br />
61).
324 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 61:<br />
Der <strong>Fussverkehr</strong>sstrom<br />
ist mächtig –<br />
dem motorisierten<br />
Individualverkehr wird<br />
das Vortrittsrecht<br />
kaum zugestanden<br />
Befunde für oder<br />
gegen diese<br />
Hypothese fehlen<br />
Schweizer Norm ist<br />
nicht abschliessend<br />
Zahlreiche innovative<br />
Versuche, die<br />
Anhaltequote zu<br />
verbessern<br />
Empirische Befunde zu dieser Fragestellung fehlen und die Auswirkung<br />
dieses Sachverhalts auf die Sicherheit der Fussgänger ist ebenfalls nur<br />
ansatzweise untersucht. De facto wurde der Effekt von Fussgängerstreifen<br />
auf die Sicherheit von Fussgängern nur für hohe Fussgängermengen<br />
bzw. bei speziellen Konstellationen untersucht. Eine umfassende Aussage,<br />
bei welchen betrieblichen Bedingungen ein Fussgängerstreifen die<br />
Sicherheit für Fussgänger nachweislich erhöht oder mindert, ist beim heutigen<br />
Wissensstand nicht möglich. Es besteht Forschungsbedarf, insbesondere<br />
um Resultate abzuleiten, die für Schweizer Verhältnisse anwendbar<br />
sind.<br />
Aus diesen Gründen ist die heutige Schweizer Norm SN 640 241 „Fussgängerverkehr<br />
– Fussgängerstreifen“ als Zusammenstellung der gegenwärtig<br />
bekannten empirischen Befunde und des bestmöglichen vorhandenen<br />
Expertenwissens einzustufen.<br />
Gleichwohl bleibt das <strong>Unfallgeschehen</strong> am Fussgängerstreifen, wie bereits<br />
dargelegt, unbefriedigend. Das erklärt die vielen Versuche in der<br />
Schweiz, zumindest die Anhaltequote am Fussgängerstreifen durch den<br />
Einsatz zusätzlicher, innovativer Vorkehrungen zu verbessern – basierend<br />
auf der Überlegung, dass jeder Unfall darauf zurückzuführen ist, dass ein<br />
Motorfahrzeuglenker trotz Vortritt für den <strong>Fussverkehr</strong> (Fussgängerstreifen)<br />
nicht rechtzeitig angehalten hat. Ob allerdings eine lediglich erhöhte,<br />
jedoch nicht absolute Anhaltebereitschaft die Sicherheit erhöht, ist<br />
– wie bereits erörtert – nicht nachgewiesen.
Prävention – Strasseninfrastruktur 325<br />
Resultate ernüchternd<br />
Experiment mit<br />
Wartelinie noch nicht<br />
abgeschlossen<br />
Zu erwähnen sind Versuche, mittels so genannter HMB-Reflektoren (lichtreflektierende<br />
Vorkehrungen à Niveau bei Fussgängerstreifen) oder mittels<br />
gelbgrüner, fluoreszierender Umrandung des Signals 4.11 SSV „Standort<br />
eines Fussgängerstreifens“ die Anhaltequote positiv zu beeinflussen.<br />
Lindenmann, Laube und Burger (2003) untersuchten verschiedene Auswirkungen<br />
von HMB-Reflektoren. Sie wiesen einen leichten, jedoch signifikanten<br />
Rückgang des Geschwindigkeitsniveaus nach, insbesondere kurz<br />
vor und nach Fussgängerstreifen. Erkennbarkeit und Beurteilung der Reflektoren<br />
seitens der Lenker ergaben ebenfalls positive Befunde. Ein zentrales<br />
Kriterium, nämlich die Verbesserung der Anhaltequote, führte jedoch<br />
zu keinem signifikanten Ergebnis. Fachleute vermuten trotzdem, dass<br />
unter speziellen Bedingungen eine positive Wirkung von HMB-Reflektoren<br />
zu erwarten ist. Da keine weiteren Studien zu dieser Thematik bekannt<br />
sind, besteht Forschungsbedarf, um diese Hypothese zu stützen.<br />
Dass eine gelbgrüne, fluoreszierende Umrandung der Signale keinen Einfluss<br />
auf die Anhaltequote hat, konnten Bühlmann und Laube (2005),<br />
Huybers et al. (2002) und Van Houten et al. (2002) nachweisen.<br />
Von Einzelaktionen wie beispielsweise der Anbringung eines roten Belags<br />
im Bereich von bestehenden Fussgängerstreifen oder sonstigen Gestaltungen<br />
bei Fussgängerstreifen (Plakate, Stelen usw.) sind keine aussagekräftigen<br />
Ergebnisse bekannt.<br />
Zurzeit noch offen sind die Resultate eines weiteren schweizerischen<br />
Versuchs (TCS, 2006). Durch Markierung einer Wartelinie vor Fussgängerstreifen<br />
wird angestrebt, die Anhaltequote zu verbessern. Das Wirkmodell<br />
ist überzeugend: In Anlehnung an die bekannte Markierung bei der<br />
Vortrittsregelung „Kein Vortritt“ sollen geläufige Elemente (Haifischzähne)<br />
dieses Regime beim Fussgängerstreifen besser visualisieren. Bei einem<br />
ähnlichen Versuch konnte Van Houten 1988 eine Reduktion der Konflikte<br />
um 80 % nachweisen. Die Versuchsanordnung beinhaltete die Markierung<br />
von Haltebalken und Ankündigungssignalen mit Aufforderung an die Lenker,<br />
für Fussgänger zu halten und ihnen den Vortritt zu gewähren. 2002<br />
konnten Van Houten et al. erneut einen positiven Einfluss von Signalen<br />
und Markierungen, die dem motorisierten Individualverkehr den Vortritt<br />
entziehen, auf die Anhaltequote nachweisen.
326 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Dringender<br />
Forschungsbedarf<br />
Fussgängerlichtsignalanlage<br />
–<br />
gesetzliche<br />
Bestimmungen<br />
Isolierte Anlagen<br />
behandelt<br />
Stellvertretend für weitere Bemühungen, mittels verschiedenster Interventionen<br />
die Sicherheit am Fussgängerstreifen zu steigern, sei auf Füsser,<br />
Jakobs und Steinbrecher (1993) hingewiesen. Er untersuchte ein ganzes<br />
Repertoire von so genannten „neu entwickelten Anlagen und Hilfen für den<br />
Fussgängerquerverkehr“. Gemeint waren damals Elemente wie Einengungen,<br />
Oberflächengestaltungen, Fussgängerschutzinseln, Gestaltungen usw.<br />
Nach der Systematik des vorliegenden Dossiers handelt es sich also um<br />
infrastrukturelle Elemente für die verschiedenen Querungsarten. Wesentlich<br />
ist jedoch die Aussage, dass die untersuchten Querungselemente<br />
geeignet sind, Querungen zu sichern, und zwar auch bei niedrigen Mengen<br />
an querenden Fussgängern. Interessant ist in diesem Zusammenhang<br />
auch die zahlenmässige Einschätzung von „niedrigen Mengen“. Mit<br />
mehr als 20 Überquerungen pro Stunde handelt es sich um Werte, die auf<br />
Schweizer Fussgängerstreifen nicht oft vorkommen.<br />
Abschliessend sei nochmals festgehalten, dass zum Thema Fussgängerstreifen<br />
dringender Forschungsbedarf besteht. Resultate zu den angesprochenen<br />
Fragestellungen, die zudem für Schweizer Verhältnisse anwendbar<br />
sind, können nur aus einer umfassenden, wenngleich aufwändigen<br />
und nicht einfach zu realisierenden Untersuchung hervorgehen.<br />
Fussgängerlichtsignalanlage<br />
Die Fussgängerlichtsignalanlage (Abbildung 62) ist ein weiteres infrastrukturelles<br />
Element, das dem Fussgänger ermöglicht, eine Strasse vortrittsberechtigt<br />
zu queren. Das Gesetz ermöglicht es explizit, mittels Lichtsignalanlagen<br />
den <strong>Fussverkehr</strong> zu regeln:<br />
Lichter mit Fussgängersymbol richten sich an Fussgänger; diese<br />
dürfen die Fahrbahn ... nur betreten, wenn das Symbol grün<br />
aufleuchtet. Beginnt es zu blinken oder erscheint ein gelbes<br />
Zwischenlicht oder sofort das rote Licht, müssen die Fussgänger<br />
die Fahrbahn … ohne Verzug verlassen.<br />
Im Folgenden wird – wenn nicht anders vermerkt – unter einer Fussgängerlichtsignalanlage<br />
eine Lichtsignalanlage an Querungen auf offener<br />
Strecke verstanden, die der Fussgänger mittels Knopfdruck derart akti-
Prävention – Strasseninfrastruktur 327<br />
Abbildung 62:<br />
Fussgängerlichtsignalanlage<br />
Grosser<br />
Sicherheitsgewinn<br />
ausgewiesen<br />
<strong>Unfallgeschehen</strong> nicht<br />
unerheblich<br />
vieren kann, dass sie für den motorisierten Individualverkehr „Rot“ und für<br />
den <strong>Fussverkehr</strong> „Grün“ zeigt.<br />
Der sicherheitstechnische Nutzen dieser Präventionsmöglichkeit für querende<br />
Fussgänger ist eigentlich unumstritten. So geht Ogden (1996) von<br />
einer Reduktion der Fussgängerunfälle nach Installation einer Fussgängerlichtsignalanlage<br />
von 20–30 % aus. Analoge Grössenordnungen präsentieren<br />
Elvik und Vaa (2004). Die Reduktion der Fussgängerunfälle mit<br />
Personenschaden auf der Querung selbst veranschlagen sie mit 27 %.<br />
Der Gesamtnutzen wird mit rund 12 % angegeben, da sie jeweils eine<br />
Zunahme der Fussgängerunfälle im unmittelbaren Bereich der Fussgängerlichtsignalanlage<br />
feststellen. Gårder (1989, zitiert nach Retting et al.,<br />
2003) geht in seiner Studie davon aus, dass Fussgängerlichtsignalanlagen<br />
an Strassen, bei denen die gefahrenen Geschwindigkeiten mehr<br />
als 30 km/h betragen, die Konflikte um 50 % reduzieren. Allerdings fusst<br />
seine Untersuchung auf der nicht ganz unumstrittenen Konflikttechnik und<br />
analysiert Querungen bei Kreuzungen.<br />
Aus diesen Befunden geht nicht hervor, ob der Sicherheitsgewinn unabhängig<br />
von den baulichen und betrieblichen Randbedingungen gegeben<br />
ist. Immerhin zeigt die Unfallstatistik, dass in den Jahren 2000 bis 2005 in<br />
der Schweiz durchschnittlich 90 Fussgänger an Lichtsignalanlagen ausserhalb<br />
von Kreuzungen zu Schaden kamen. Offensichtlich garantieren
328 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Sicherheit vermutlich<br />
nur unter gewissen<br />
Bedingungen<br />
gegeben<br />
Menge der querenden<br />
Fussgänger<br />
beeinflusst vermutlich<br />
das Querungsrisiko<br />
also auch Fussgängerlichtsignalanlagen nicht – wie in der Öffentlichkeit<br />
oft angenommen – ausnahmslos eine absolute Sicherheit.<br />
Es ist zu vermuten, dass – analog zu den Fussgängerstreifen – die<br />
Sicherheit von baulichen und betrieblichen Einsatzkriterien abhängt. Die<br />
Literaturrecherche erwies sich in dieser Hinsicht als wenig ergiebig. In der<br />
Regel wurde untersucht, ob an bestehenden Querungen eine Fussgängerlichtsignalanlage<br />
die Sicherheit erhöht. Wie sich Änderungen infrastruktureller<br />
und betrieblicher Bedingungen auf die Sicherheit auswirken,<br />
war aus der gesichteten Literatur jedoch nicht zu eruieren. Die Schweizer<br />
Norm SN 640 838 befasst sich primär mit den Signalzeiten. Die Schweizer<br />
Norm SN 640 241 sowie Lindenmann, Riedel und Thoma (1987) zeigen<br />
anhand eines Diagramms, für welche Kombinationen von Verkehrsmengen<br />
des motorisierten Individualverkehrs und des <strong>Fussverkehr</strong>s eine<br />
Fussgängerlichtsignalanlage angezeigt ist. In beiden Publikationen bleibt<br />
jedoch unklar, ob sicherheitstechnische oder ökonomische Überlegungen<br />
zu dieser Aussage führten. Die Deutschen Richtlinien für Lichtsignalanlagen<br />
(Deutsche Forschungsgesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen,<br />
1992) lassen diesbezüglich einen grossen Interpretationsspielraum offen.<br />
Einerseits wird festgelegt, Fussgängerlichtsignalanlagen seien an gefährlichen<br />
Örtlichkeiten vorzusehen, wo besonders schutzbedürftige Personen<br />
die Strasse regelmässig überqueren und keine andere Lösungsmöglichkeiten<br />
bestehen. Andererseits wird betont, dass die Anzahl der<br />
schutzbedürftigen Personen nicht relevant ist. Ein Zusammenhang zwischen<br />
der Anzahl der querenden Fussgänger und der Sicherheit wird<br />
nicht ausgewiesen.<br />
Plausibilitätsüberlegungen in Analogie zu den Fussgängerstreifen lassen<br />
jedoch vermuten, dass auch bei Fussgängerlichtsignalanlagen minimale<br />
Verkehrsmengen nötig sind, um die erwartete Sicherheit sicherzustellen.<br />
Einerseits sei erneut auf die erwähnten Untersuchungen hingewiesen<br />
(Ekman, 1996; Jacobsen, 2003; Wazana et al., 1997; Zegeer et al., 2005).<br />
Andererseits ist vorstellbar, dass sich Motorfahrzeuglenker an Anlagen<br />
gewöhnen, die wegen ihrer geringen Benützung durch Fussgänger fast<br />
immer „Grün“ zeigen. Ungewollt könnten deshalb Lenker ein Umschalten<br />
auf „Rot“ leicht versäumen. Eine analoge Überlegung gilt für Anlagen, die<br />
in der Grundstellung sowohl für den rollenden Verkehr als auch für die
Prävention – Strasseninfrastruktur 329<br />
Beeinflusst der<br />
Phasenablauf die<br />
Sicherheit?<br />
Problem „lange<br />
Wartezeit“<br />
Fussgänger „Rot“ zeigen. Solche Anlagen schalten für den sich zuerst<br />
anmeldenden Verkehrsteilnehmer (Fussgänger durch Knopfdruck, rollender<br />
Verkehr durch Überfahren einer im Belag eingefrästen Induktionsschlaufe)<br />
auf „Grün“. Die Gewöhnung an Anlagen, die jedes Mal auf<br />
„Grün“ umschalten, kann zu einer Anpassung der Annäherungsgeschwindigkeit<br />
führen, um genau dann „Grün“ zu erhalten, wenn der<br />
Haltebalken erreicht wird. Meldet sich jedoch einmal ein Fussgänger zuerst<br />
an, so bleibt die Anlage für Lenker auf „Rot“. Sie verfügen dadurch<br />
über keine Anhaltestrecke mehr, wogegen sich Fussgänger auf ihr „Grün“<br />
verlassen.<br />
Ob daraus hervorgeht, dass Fussgängerlichtsignalanlagen nicht beständig<br />
den gleichen Ablauf bzw. das gleiche Bild zeigen dürfen, wäre in einer<br />
umfassenden Forschungsarbeit nachzuweisen.<br />
An dieser Stelle soll auf drei weitere, häufig aufgeworfene Problemstellungen<br />
im Zusammenhang mit signalgesteuerten Querungen noch<br />
kurz eingegangen werden.<br />
1) Fussgänger empfinden an Fussgängerlichtsignalanlagen die Wartezeit<br />
vom Knopfdruck bis zur Grünphase oft als sehr lang. Nicht selten<br />
überqueren sie deshalb bei „Rot“. Dieser Sachverhalt veranlasste 1987<br />
Lindenmann, Riedel und Thoma, Möglichkeiten alternativer<br />
Betriebsformen bei Fussgängerlichtsignalanlagen zu untersuchen.<br />
Dabei wurde von einer Grundstellung „Gelbblinken für Fussgänger und<br />
den motorisierten Individualverkehr“ ausgegangen. Der Fussgänger<br />
hatte demnach zwei Optionen. Entweder überquerte er bei „Gelbblinken“<br />
oder er aktivierte mittels Knopfdruck die Lichtsignalanlage.<br />
Diese schaltete danach auf „Rot“ für den motorisierten Individualverkehr<br />
und „Grün“ für den Fussgänger. Für diesen Umschaltvorgang<br />
wurden zwei Untervarianten geprüft. Die Resultate waren ernüchternd.<br />
Die Zahl der Fahrzeuge, die bei „Rot“ die Lichtsignalanlage überfuhren,<br />
stieg bei der alternativen Betriebsform deutlich an. Dieses Fehlverhalten<br />
wurde bei beiden Untervarianten beobachtet. Die vorläufige<br />
Erkenntnis ist demnach, dass die Optimierung der Wartezeiten<br />
zwischen <strong>Fussverkehr</strong> und motorisiertem Individualverkehr mit<br />
konventionellen Phasenabläufen anzustreben ist.
330 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Problem „kurze<br />
Grünphase“<br />
Problem<br />
„Konfliktgrün“<br />
2) Zu Fuss wird an Fussgängerlichtsignalanlagen, aber auch an konventionellen<br />
lichtsignalanlagengesteuerten Kreuzungen die Grünphase oft<br />
als zu kurz empfunden. Die gesichtete Literatur zeigt jedoch keine<br />
Sicherheitsrelevanz dieser verständlicherweise als unangenehm<br />
empfundenen Konstellation. An dieser Stelle sei immerhin auf den zitierten<br />
Gesetzesartikel zu den Fussgängerlichtsignalanlagen verwiesen<br />
(s. S. 326). Die Gelbphase zeigt dem Fussgänger lediglich an, er<br />
solle die Strassenüberquerung nicht in Angriff nehmen. Für die Sicherheit<br />
ist hingegen relevant, dass eine in der letzten Grünsekunde begonnene<br />
Strassenüberquerung konfliktfrei verläuft. Die Dauer der<br />
Gelbphase für Fussgänger zuzüglich der Alles-Rot-Phase, also die<br />
Dauer der Rotphase für den motorisierten Individualverkehr, muss genügend<br />
gross sein. Notabene lässt sich dieselbe Problematik genauso<br />
bei lichtsignalgesteuerten Kreuzungen für den motorisierten Individualverkehr<br />
beobachten. Ein Lenker, der in der letzten Grünsekunde die<br />
Konfliktfläche einer Kreuzung befährt, wird diese ebenfalls bei „Gelb“<br />
befahren. Nur irritiert ihn dies nicht, weil in der Regel die gelb zeigende<br />
Ampel in seinem Rücken, also ausserhalb seines Gesichtsfeldes liegt.<br />
3) Schliesslich ist noch auf die oft aufgeworfene Problematik des Konfliktgrüns<br />
bei lichtsignalanlagengesteuerten Kreuzungen hinzuweisen.<br />
Damit wird diejenige Konstellation bezeichnet, bei der rechtsabbiegende<br />
Fahrzeuge und dort überquerende Fussgänger gleichzeitig<br />
„Grün“ erhalten. Eine zusätzliche, gelbblinkende Ampel warnt die Lenker<br />
vor dem möglichen Konflikt. Diese Lösung ist für Kreuzungen mit<br />
Kapazitätsproblemen vorgesehen. Sie birgt jedoch naturgemäss Konfliktpotenzial,<br />
weil der motorisierte Individualverkehr und die Fussgänger<br />
gleichzeitig dieselbe Verkehrsfläche benützen. Die Unfallauswertung<br />
zeigt, dass dieser Unfalltyp zwar sehr selten ist (total 61 Ereignisse<br />
zwischen 2000 und 2004). Hingegen ist die Unfallschwere als<br />
hoch einzustufen (43 leicht verletzte, 17 schwer verletzte und 1 getöteter<br />
Fussgänger im gleichen Zeitraum). Eine konfliktfreie Führung erhöht<br />
die Sicherheit erheblich. Zegeer (1982), zitiert nach Retting et al.<br />
(2003), konnte anhand der Analyse von 1297 Kreuzungen zeigen,<br />
dass eine konfliktfreie Führung die Unfallhäufigkeit um 50 % reduziert<br />
(kontrolliert für Anzahl Spuren, Lichtsignalanlagen-Typ, Signalzeiten,<br />
Höchstgeschwindigkeit, Verkehrsmengen und Exposition). Gårder
Prävention – Strasseninfrastruktur 331<br />
Trottoirüberfahrt:<br />
gesetzliche<br />
Bestimmungen<br />
Was ist<br />
strassenverkehrstechnisch<br />
eine<br />
Trottoirüberfahrt?<br />
(1984) weist in einer kleineren Untersuchung (3 Fälle) Reduktionen<br />
von Konflikten um 10 % bis 24 % nach. In diesem Zusammenhang<br />
untersuchte Van Houten, zitiert nach Retting et al. (2003), den Betrieb<br />
mit so genanntem Frühgrün. Diese Betriebsform ermöglicht zwar keine<br />
zeitliche Trennung von motorisiertem Individualverkehr und <strong>Fussverkehr</strong>.<br />
Hingegen wird die Grünphase für den <strong>Fussverkehr</strong> etwas früher<br />
eingeleitet. Das ermöglicht den Fussgängern, die Konfliktfläche zu<br />
räumen, bevor der motorisierte Individualverkehr „grün“ erhält. Die Resultate<br />
sind eindrucksvoll. Die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts zwischen<br />
querenden Personen und motorisiertem Individualverkehr reduzierte<br />
sich um 95 %. Aus Sicherheitsgründen ist deshalb an lichtsignalanlagengesteuerten<br />
Kreuzungen grundsätzlich die konfliktfreie Regelung<br />
oder zumindest eine Reglung mit Frühgrün zu befürworten. Die<br />
Frage, ob im Einzelfall die Kapazität oder die Sicherheit massgebend<br />
sind, kann jedoch nicht Inhalt des vorliegenden Dossiers sein.<br />
Trottoirüberfahrt<br />
Die Bedeutung dieser Querungsform geht aus folgenden Artikeln des<br />
Schweizerischen Verkehrsrechts hervor:<br />
Wer ... über ein Trottoir auf eine Haupt- oder Nebenstrasse<br />
fährt, muss den Benützern dieser Strassen den Vortritt gewähren<br />
(Art. 15 Abs. 3 der Verkehrsregelnverordnung VRV).<br />
Muss mit einem Fahrzeug das Trottoir benützt werden, so ist der<br />
Führer gegenüber den Fussgängern ... zu besonderer Vorsicht<br />
verpflichtet; er hat ihnen den Vortritt zu lassen (Art. 41 Abs. 2<br />
der Verkehrsregelnverordnung VRV).<br />
In Artikel 15 Abs. 3 VRV ist dieses infrastrukturelle Element faktisch gesetzlich<br />
verankert. Artikel 41 Abs. 2 VRV regelt die Vortrittsverhältnisse<br />
und erlaubt dadurch dem <strong>Fussverkehr</strong>, eine einmündende Strasse vortrittsberechtigt<br />
zu queren.<br />
Eine Voraussetzung für das Funktionieren dieser Regel ist, dass Lenker<br />
anhand der Ausgestaltung der Trottoirüberfahrt (Abbildung 63) erkennen<br />
können, ob sie, von der Seitenstrasse her kommend, bei der Einmündung<br />
tatsächlich ein Trottoir überfahren. Eine genaue Definition, wie eine Trot-
332 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 63:<br />
Trottoirüberfahrt<br />
Sicherheitsgewinn<br />
nicht zu beziffern<br />
Querung oder<br />
Längsverkehr?<br />
toirüberfahrt baulich auszugestalten ist, wurde bis anhin lediglich von<br />
Beiler (1994) formuliert. Die rechtliche Bedeutung dieser Publikation ist<br />
begrenzt. Trotzdem wird sie in der Praxis häufig angewendet. Sie umfasst<br />
im Wesentlichen die folgenden drei Kernpunkte:<br />
1. Der Trottoirrand der vortrittsberechtigten Strasse muss durchgezogen<br />
werden.<br />
2. Ein klar erkennbarer, baulicher Abschluss muss den Fahrbahnbereich<br />
gegenüber dem Trottoir markant beenden.<br />
3. Der Radius des Einmündungstrichters darf nicht gestalterisch auf der<br />
Trottoirfläche ersichtlich sein.<br />
Der Sicherheitsgewinn dieses infrastrukturellen Elementes konnte auf<br />
Grund der gesichteten Literatur nicht quantifiziert werden. In Fachkreisen<br />
überwiegt jedoch die Auffassung, dass die Errichtung einer solchen<br />
punktuellen Querung mit Vortritt an den hierfür geeigneten Örtlichkeiten<br />
sicherheitstechnisch sinnvoll ist. Sie ist aus diesem Grund auch in der<br />
Schweizer Norm SN 640 240 „Querungen für den Fussgänger- und<br />
leichten Zweiradverkehr – Grundlagen“ aufgenommen. Der VSS bekräftigt<br />
damit seine Absicht, in einer zukünftigen Norm die Details konkret festzulegen.<br />
Exkurs<br />
1<br />
3<br />
Die Frage, ob es sich bei Trottoirüberfahrten um Querungselemente oder<br />
um Elemente für den Fussgänger-Längsverkehr handelt, wird in Fachkrei-<br />
2
Prävention – Strasseninfrastruktur 333<br />
Rettungspotenzial<br />
berücksichtigt<br />
prinzipiell alle<br />
Querungen<br />
Tabelle 101:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Punktuelle<br />
Querung auf einer<br />
Ebene mit Vortritt’<br />
Benutzung derselben<br />
Verkehrsfläche –<br />
Konflikte entstehen<br />
Unter- oder Überführung<br />
oft nicht<br />
möglich<br />
sen unterschiedlich beurteilt. Der VSS hat sich für die Auslegung „Querungselement“<br />
entschieden. Das wird damit begründet, dass sich an diesen<br />
Örtlichkeiten <strong>Fussverkehr</strong> und motorisierter Individualverkehr, der von<br />
einer Querstrasse (also einer öffentlichen Verkehrsfläche) kommt, kreuzen.<br />
Die Autoren schliessen sich deshalb dieser Auffassung an.<br />
Die generellen Unfallzahlen von jährlich rund 660 verunfallten Fussgängern<br />
beim Überqueren einer Strasse lassen keine Schlüsse auf die zu<br />
treffenden Präventionsmöglichkeiten zu. Deshalb kann daraus kein Rettungspotenzial<br />
berechnet werden. Prinzipiell ist bei jeder Örtlichkeit abzuklären,<br />
ob eine punktuelle Querung ohne Vortritt angezeigt ist.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Punktuelle Querung auf einer Ebene mit Vortritt<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
6.6 Punktuelle Querung auf einer Ebene ohne Vortritt<br />
6.6.1 Ausgangslage<br />
*****<br />
(Summe aus allen<br />
Querungstypen)<br />
Durch das Benutzen derselben Verkehrsfläche durch Fussgänger und<br />
motorisierten Individualverkehr entstehen zwangsläufig Konfliktstellen.<br />
Der rechtwinklige Verlauf von Fahrbahn und Querung verschärft die Lage,<br />
weil Fussgänger oft erst unmittelbar vor dem Überqueren ins Blickfeld der<br />
Fahrzeuglenker gelangen. Die konfliktfreie Führung auf zwei Ebenen ist<br />
nur ausnahmsweise möglich, weil die finanziellen Ressourcen sowie<br />
Platzverhältnisse und Topografie oft keine Lösung für Personen mit eingeschränkter<br />
Mobilität zulassen. Zudem zeigt die Praxis immer wieder<br />
sehr deutlich, wie umwegempfindlich der <strong>Fussverkehr</strong> ist.<br />
Meistens teilen sich deshalb Fussgänger und motorisierter Individualverkehr<br />
in Querungsbereichen dieselbe Verkehrsfläche. Das führt zwangsläufig<br />
zu den in Kap. VII.5.3 Querungen (S. 200) beschriebenen Problemen und<br />
Risiken. Ziel muss es deshalb sein, diese Örtlichkeiten mittels adäquaten<br />
infrastrukturellen Elementen für Fussgänger möglichst risikoarm zu gestalten.<br />
Dies gilt sowohl für die verkehrstechnischen Basiselemente zur
334 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Punktuelle Querung<br />
ohne Vortritt als<br />
mögliche Lösung<br />
Beschränkte<br />
infrastrukturelle<br />
Lösungen<br />
Auch ohne Vortritt<br />
muss die Sicherheit<br />
der Querung<br />
gewährleistet sein<br />
Fussgängerschutzinsel<br />
ohne<br />
Fussgängerstreifen<br />
als Möglichkeit<br />
Abwicklung des <strong>Fussverkehr</strong>s als auch für die verkehrstechnischen Elemente<br />
zur Gewährleistung der Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s (s. Kap.<br />
VII.5.2 Fehlende Netzplanung, S. 198).<br />
<strong>Fussverkehr</strong>sbeziehungen können linienförmig oder flächig sein (s. Kap.<br />
VII.5.1 Einleitung: Netzgedanken, S. 196), was auch beim Überqueren<br />
von Fahrbahnen gilt. Die Art der Randbebauung und/oder die Fussgängerführung<br />
neben dem Strassenraum beeinflussen, ob eine Beziehung<br />
linienförmig ist und somit der <strong>Fussverkehr</strong> gebündelt werden kann. Für<br />
gebündelte <strong>Fussverkehr</strong>sströme ist eine so genannte punktuelle Querung<br />
angezeigt. Unter welchen Bedingungen eine „punktuelle Querung ohne<br />
Vortritt“ angezeigt ist, ergibt sich aus dem systematischen Vorgehen in<br />
der Schweizer Norm SN 640 240 „Querungen für den Fussgänger- und<br />
leichten Zweiradverkehr – Grundlagen“.<br />
6.6.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Die Präventionsmöglichkeiten für eine punktuelle Querung ohne Vortritt<br />
sind beschränkt. Diese Querungsform ist jedoch zu Recht in der Schweizer<br />
Norm SN 640 240 „Querungen für den Fussgänger- und leichten<br />
Zweiradverkehr – Grundlagen“ aufgenommen. Der VSS bekräftigt damit<br />
seine Absicht, eine entsprechende Forschungsarbeit durchzuführen und<br />
in einer zukünftigen Norm mögliche infrastrukturelle Elemente und Details<br />
dazu festzulegen. Im Folgenden sind deshalb die derzeitig üblichen infrastrukturellen<br />
Präventionsmöglichkeiten aufgezeigt.<br />
Zentral ist die Einsicht, dass auch bei Querungen ohne Vortritt Sicherheitsvorkehrungen<br />
für ein risikoarmes Überqueren der Strasse zwingend<br />
sind. Dies in Analogie zu Situationen, wo der motorisierte Individualverkehr<br />
eine übergeordnete Strasse vortrittsbelastet quert (z. B. Gewährleisten<br />
von optimalen Sichtverhältnissen).<br />
Fussgängerschutzinsel<br />
Der positive Einfluss von Fussgängerschutzinseln auf die Sicherheit der<br />
querenden Fussgänger ist aus übereinstimmenden Studien bekannt. (vgl<br />
Kap. VIII.6.5.2, S. 313). Es ist aus Plausibilitätsgründen davon auszuge-
Prävention – Strasseninfrastruktur 335<br />
Abbildung 64:<br />
Querung ohne Vortritt,<br />
gesichert mit<br />
Fussgängerschutzinsel<br />
Verdeutlichung der<br />
bestmöglichen<br />
Querungsstelle als<br />
Minimalvariante<br />
hen, dass diese Erkenntnis auch für Fussgänger-Schuztinseln gilt, bei<br />
denen der Vortritt nicht zugunsten des <strong>Fussverkehr</strong>s geregelt ist, wo also<br />
keine Fussgängerstreifen markiert sind (Abbildung 64). Problematisch ist<br />
bei diesem infrastrukturellen Element die Ungewissheit seitens des <strong>Fussverkehr</strong>s,<br />
dass es sich hierbei um eine sicherheitstechnische Vorkehrung<br />
für das Überqueren der Strasse handelt. Wie letztlich solche Querungen<br />
genau auszugestalten sind, ist zurzeit noch offen. Forschungsbedarf ist<br />
auch für diese Belange vorhanden. Die entsprechend geplante Schweizer<br />
Norm sieht vor, diese Lücken aufzuarbeiten.<br />
Kennzeichnung der bestmöglichen Querungsstelle<br />
Als absolute Minimalvariante sind Lösungsansätze zu bezeichnen, die<br />
darauf abzielen, dem <strong>Fussverkehr</strong> die bestmögliche Querungsstelle durch<br />
das Markieren von auffälligen Mustern zu verdeutlichen (z. B. Farbtupfer<br />
oder Füsschen am Strassenrand; vgl. Abbildung 65). Üblicherweise handelt<br />
es sich um den Ort mit den besten Sichtbedingungen. Die Wirkung<br />
solcher Vorkehrungen ist zwar nicht nachgewiesen. Für Fälle, wo eine<br />
punktuelle Querung ohne Vortritt angebracht ist und keine infrastrukturellen<br />
Elemente möglich sind, ist diese Lösung immerhin leicht besser als<br />
eine Null-Lösung.
336 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 65:<br />
Minimal-Lösung –<br />
Kennzeichnung einer<br />
optimalen<br />
Querungsstelle<br />
Rettungspotenzial<br />
berücksichtigt<br />
prinzipiell alle<br />
Querungen<br />
Tabelle 102:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Querung auf<br />
einer Ebene ohne<br />
Vortritt’<br />
Benutzung derselben<br />
Verkehrsfläche –<br />
Konflikte entstehen<br />
Die generellen Unfallzahlen von jährlich rund 660 verunfallten Fussgängern<br />
(innerorts und ausserorts) beim Überqueren einer Strasse lassen<br />
keine Schlüsse auf die zu treffenden Präventionsmöglichkeiten zu. Deshalb<br />
kann daraus kein Rettungspotenzial berechnet werden. Prinzipiell ist<br />
bei jeder Örtlichkeit abzuklären, ob eine punktuelle Querung ohne Vortritt<br />
angezeigt ist.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Querung auf einer Ebene ohne Vortritt<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
6.7 Flächige Querung<br />
6.7.1 Ausgangslage<br />
*****<br />
(Summe aus allen<br />
Querungstypen)<br />
Zentral ist auch für diesen Fall die Erkenntnis, dass das Überqueren von<br />
Strassen der mit Abstand grösste Risikofaktor für Fussgänger ist. Beide<br />
Verkehrsteilnehmer benutzen dieselbe Verkehrsfläche, was zwangsläufig<br />
Konfliktstellen erzeugt. Fahrbahn und Querung verlaufen rechtwinklig,<br />
was die Situation verschärft, da die Fussgänger oft erst unmittelbar vor<br />
dem Überqueren ins Blickfeld der Fahrzeug-Lenker gelangen.
Prävention – Strasseninfrastruktur 337<br />
Unter- oder Überführung<br />
oft nicht<br />
möglich<br />
Flächige Querung als<br />
mögliche Lösung<br />
Voraussetzungen für<br />
die Realisierung einer<br />
flächigen Querung<br />
Wie bereits aufgezeigt, ist eine konfliktfreie Führung, welche Kollisionen zwischen<br />
diesen beiden Verkehrsteilnehmern vollständig ausschliesst, meistens<br />
nicht möglich. Mangelnde finanzielle Ressourcen sowie Platzverhältnisse<br />
und Topografie, die keine Lösung für Personen mit eingeschränkter<br />
Mobilität zulassen, sind die häufigsten Gründe. Zudem zeigt es<br />
sich immer wieder in aller Deutlichkeit, dass der <strong>Fussverkehr</strong> sehr umwegempfindlich<br />
ist. Zu Fuss ist man kaum bereit, Höhendifferenzen zu<br />
bewältigen, um wieder auf das Ausgangsniveau zurückzugelangen. Genauso<br />
ist zu Fuss die Bereitschaft gering, auch nur geringe Umwege in<br />
Kauf zu nehmen, um eine Strasse zu überqueren.<br />
Die Art der Randbebauung führt nicht selten zum Bedürfnis, die Strasse<br />
auf einem ganzen Abschnitt zu überqueren. Es ergibt sich gewissermassen<br />
ein ganzer Bereich, auf dem engmaschig gequert wird und letztlich eine<br />
Bündelung der Querungen auf Grund der oben genannten Ursachen verunmöglicht.<br />
Das systematische Vorgehen in der Schweizer Norm SN 640<br />
240 „Querungen für den Fussgänger- und leichten Zweiradverkehr –<br />
Grundlagen“ weist aus, wann in solchen Fällen der so genannte Querungstyp<br />
„flächige Querung“ angezeigt ist.<br />
6.7.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Flächigen Querungen unterscheiden sich prinzipiell auf Grund ihres Betriebs<br />
mit und ohne Vortritt. Infrastrukturelle Elemente für flächige Querungen<br />
sind insbesondere dann vorzusehen, wenn eine minimale Querungsnachfrage<br />
besteht oder so genannte Zeitlückenquerungen stattfinden<br />
(<strong>Fussverkehr</strong> bewegt sich, um Wartezeit zu sparen, in Zielrichtung<br />
weiter und quert bei ausreichender Zeitlücke). Die Beschaffenheit der<br />
Randbebauung beeinflusst die Lage und Ausdehnung der flächigen Querung.<br />
Flächige Querungen sind in der Regel nur innerorts geeignet. Eine<br />
geringe bis mittlere Verkehrsmenge des motorisierten Individualverkehrs,<br />
genügende Sichtverhältnisse, ein niedriges Geschwindigkeitsniveau und<br />
die Verfügbarkeit der notwendigen Verkehrsfläche sind weitere Voraussetzungen<br />
für die Realisierung von flächigen Querungen.
338 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Begegnungszone als<br />
flächige Querung mit<br />
Vortritt<br />
Begegnungszone<br />
dort, wo<br />
Begegnungen<br />
stattfinden<br />
Mit Vortritt – Die Begegnungszone<br />
Die einzige Möglichkeit, Fussgängern den Vortritt gegenüber dem motorisierten<br />
Individualverkehr flächig zu gewähren – also auch beim Überqueren<br />
– ist die Signalisation einer Begegnungszone. Die rechtlichen Voraussetzungen<br />
für die Einführung einer Begegnungszone sind in der Verordnung<br />
über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen des Eidgenössischen<br />
Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation<br />
UVEK vom 28. September 2001 aufgeführt. In einem Gutachten sind<br />
unter anderem Ziele, verkehrsplanerische Grundlagen, vorhandenes Geschwindigkeitsniveau<br />
und Massnahmen zur Behebung von Sicherheitsdefiziten<br />
auszuweisen. Im Weiteren sind verkehrsrechtliche und gestalterische<br />
Massnahmen für den Strassenraum vorgeschrieben.<br />
Für die Praxis lässt sich daraus folgern, dass Begegnungszonen nur dort<br />
einzuführen sind, wo auch Begegnungen stattfinden. Sie sind nur auf Nebenstrassen<br />
innerorts mit möglichst gleichartigem Charakter zulässig.<br />
Durch adäquate Gestaltung ist sicherzustellen, dass Lenker Begegnungszonen<br />
als solche erkennen können. Übergänge in die Begegnungszonen<br />
müssen gut erkennbar sein und sind durch gestalterische Kontraste hervorzuheben.<br />
Als infrastrukturelle Elemente eignen sich in erster Linie Einengungen,<br />
Belagswechsel oder senkrechte Elemente wie z. B. Stelen<br />
(vgl. Abbildungen 66 und 67). An Kreuzungen gilt der Rechtsvortritt und<br />
da in Begegnungszonen flächig mit Vortritt gequert werden kann, sind<br />
Fussgängerstreifen nicht angezeigt.
Prävention – Strasseninfrastruktur 339<br />
Abbildung 66:<br />
Übergangsbereich zu<br />
einer Begegnungszone<br />
Abbildung 67:<br />
Infrastrukturelemente<br />
innerhalb einer<br />
Begegnungszone<br />
Gestalterische<br />
Lösung als flächige<br />
Querung ohne Vortritt<br />
Ohne Vortritt auf verkehrsorientierten Strassen – gestalterische<br />
Lösungen<br />
Bei ausgewiesener Nachfrage für ein flächiges Überqueren einer verkehrsorientierten<br />
Strasse ist abzuwägen, ob es verkehrstechnisch sinnvoller<br />
ist, den Vortritt dem motorisierten Individualverkehr oder flächig<br />
dem <strong>Fussverkehr</strong> einzuräumen. Auf Ortsdurchfahrten bzw. verkehrsorientierten<br />
Strassen fällt der Entscheid in der Regel zu Gunsten des motorisierten<br />
Individualverkehrs. Dies verpflichtet den Planer jedoch umso<br />
mehr, Infrastrukturelemente für ein sicheres flächiges Überqueren der
340 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Belagswechsel als<br />
mögliche Variante<br />
Abbildung 68:<br />
Gestaltung mittels<br />
Belagswechsel<br />
Verkehrsstreifen in<br />
Fahrbahnmitte als<br />
mögliche Variante<br />
Strasse vorzusehen. Auf diesen Strassen ist die Komplexität des Überquerens<br />
auf Grund der grossen Menge des motorisierten Individualverkehrs<br />
und des vorhandenen Geschwindigkeitsniveaus hoch (s. Kap. VII.5.3<br />
Querungen, S. 200).<br />
Bei ausgewiesener Nachfrage einer flächigen Querung sind zwei grundlegende<br />
Ansätze für die Projektierung von infrastrukturellen Elementen<br />
angezeigt:<br />
1. Gestaltung des Strassenraums mittels Belagwechsel. Mit solchen, als<br />
weich einzustufenden Vorkehrungen wird eine Senkung der gefahrenen<br />
Geschwindigkeiten und damit verbunden die Erhöhung der Aufmerksamkeit<br />
der Lenker des motorisierten Individualverkehrs beabsichtigt<br />
(Abbildung 68). Um ein flächiges Überqueren der Fahrbahn<br />
rechtlich zu ermöglichen, wurde in der Schweiz in einigen Fällen auf<br />
die Markierung von Fussgängerstreifen verzichtet. Ghielmetti, Hebenstreit<br />
und Jöri (2006) konnten Hinweise finden, dass mit dieser Lösung<br />
die Verkehrssicherheit zumindest nicht beeinträchtigt wird.<br />
2. Reduktion der Komplexität beim Überqueren. Die Anordnung eines so<br />
genannten Verkehrsstreifens in Fahrbahnmitte teilt die Fahrbahn faktisch<br />
in zwei separate Spuren auf. Dieses Infrastrukturelement entspricht<br />
in seiner Grundfunktion letztlich einer gestreckten Fussgängerschutzinsel.<br />
Diese Vorkehrung ermöglicht den Fussgängern, die<br />
Strasse auf der ganzen Länge des Verkehrsstreifens in Fahrbahnmitte<br />
in zwei Etappen zu überqueren. Überdies kann der rollende Verkehr
Prävention – Strasseninfrastruktur 341<br />
Abbildung 69:<br />
Verkehrsstreifen in<br />
Fahrbahnmitte –<br />
unüberfahrbar<br />
solche Verkehrsstreifen – je nach deren Ausgestaltung – auch als Abbiegehilfe<br />
benützen. Die Sicherheit der querenden Fussgänger wird in<br />
solchen Fällen mittels geeigneten Elementen sichergestellt.<br />
Die Grundsätze zur Gestaltung von Verkehrsstreifen in Fahrbahnmitte<br />
sind in der VSS-Norm SN 640 212 enthalten (s. auch Kap. 6.3 Ge-<br />
schwindigkeitsregime innerorts, S. 300). Prinzipiell wird zwischen unüberfahrbaren<br />
(harte bauliche Trennung der Fahrtrichtungen, Öffnungen<br />
für das Überqueren, Abbildung 69), teilweise überfahrbaren (weiche<br />
bauliche Trennung der Fahrbahnen, vertikale Elemente in regelmässigen<br />
Abständen, Abbildung 70) und vollständig überfahrbaren (weiche<br />
bauliche Trennung der Fahrbahnen, Abbildung 71) Verkehrsflächen in<br />
Fahrbahnmitte unterschieden. Die Wahl des Typs hängt in erster Linie<br />
vom Bedarf an Linksabbiegebeziehungen ab. Aus Plausibilitätsgründen<br />
ist davon auszugehen, dass eine grössere Befahrbarkeit der<br />
Verkehrsflächen in Fahrbahnmitte zu Lasten der Sicherheit der Querung<br />
geht. Es konnten keine Untersuchungen zur Wirkung von Verkehrsstreifen<br />
in Fahrbahnmitte gefunden werden. In Analogie zu den<br />
Fussgängerschutzinseln ist jedoch von einer Unfallreduktion von mindestens<br />
50 % auszugehen (Thompson et al., 1990; Garder, 1989,<br />
zitiert nach Retting et al., 2003; s. auch Kap. 6.5 Punktuelle Querung<br />
auf einer Ebene mit Vortritt, S. 312).
342 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 70:<br />
Verkehrsstreifen in<br />
Fahrbahnmitte –<br />
teilweise überfahrbar<br />
Abbildung 71:<br />
Verkehrsstreifen in<br />
Fahrbahnmitte –<br />
vollständig<br />
überfahrbar<br />
Rettungspotenzial<br />
berücksichtigt<br />
prinzipiell alle<br />
Querungen<br />
Ohne Vortritt auf siedlungsorientierten Strassen – Die Tempo-30-Zone<br />
Zu den Grundsätzen bei der Einführung von Tempo-30-Zonen s. die Ausführungen<br />
zum bfu-Modell Tempo 30/50 innerorts (s. Kap. 6.3 Geschwin-<br />
digkeitsregime innerorts, S. 300).<br />
Die generellen Unfallzahlen von jährlich rund 620 innerorts beim Überqueren<br />
einer Strasse verunfallten Fussgängern lassen keine Schlüsse auf<br />
die zu treffenden Präventionsmöglichkeiten zu. Deshalb lässt sich daraus<br />
kein Rettungspotenzial berechnen. Prinzipiell ist bei jeder Örtlichkeit abzuklären,<br />
ob eine flächige Querung angezeigt ist.
Prävention – Strasseninfrastruktur 343<br />
Tabelle 103:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Flächige<br />
Querung’<br />
Gehen entlang von<br />
Strassen<br />
unangenehm, aber<br />
ungefährlich<br />
Kein Überraschungseffekt<br />
Infrastrukturelle<br />
Elemente trotzdem<br />
angezeigt<br />
Kontraproduktive<br />
Wirkung minimieren<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Flächige Querung<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
6.8 Abschnitte entlang von Strassen innerorts<br />
6.8.1 Ausgangslage<br />
*****<br />
(Summe aus allen<br />
Querungstypen)<br />
Das Gehen entlang von Strassen wird oft als sehr unangenehm und gefährlich<br />
empfunden. Die Analyse des <strong>Unfallgeschehen</strong>s zeigt jedoch, dass<br />
Abschnitte entlang von Strassen innerorts im Vergleich zu den Querungen<br />
einen wesentlich geringeren Risikofaktor darstellen.<br />
Das ist im Wesentlichen damit zu erklären, dass Fahrzeuglenker Personen,<br />
die entlang einer Strasse gehen, besser und früher wahrnehmen<br />
können. Der Überraschungseffekt des plötzlichen seitlichen Betretens der<br />
Fahrbahn, wie er beim Überqueren vorkommt, entfällt. Somit sind die<br />
Fahrzeuglenker prinzipiell in der Lage, ihr Verhalten rechtzeitig anzupassen.<br />
Trotzdem ist es unter gewissen Bedingungen angezeigt, infrastrukturelle<br />
Elemente zur sicheren Führung des <strong>Fussverkehr</strong>s entlang von Strassen<br />
vorzusehen. Insbesondere ist das bei hohem Verkehrsaufkommen, bei<br />
erhöhtem Geschwindigkeitsniveau oder bei niedrigrer subjektiver Sicherheit<br />
der Fall. In der Regel sind diese Bedingungen auf verkehrsorientierten<br />
Strassen gegeben.<br />
Dabei wird das nahe liegende und vordergründig bestechende Prinzip der<br />
physischen Trennung von <strong>Fussverkehr</strong> und motorisiertem Individualverkehr<br />
verfolgt. Damit wird eine Minimierung der Konfliktstellen angestrebt.<br />
Dieser Überlegung muss entgegengehalten werden, dass sich je<br />
nach Ausgestaltung und Trennungsgrad solche Anlagen ungünstig auf<br />
das Geschwindigkeitsniveau des motorisierten Individualverkehrs auswirken<br />
können.
344 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Verkehrsorientierte<br />
Strassen: Trottoir<br />
Gesetzliche<br />
Rahmenbedingungen<br />
Grosse präventive<br />
Wirkung – geringes<br />
Nutzen/Kosten-<br />
Verhältnis<br />
Vermeiden von<br />
beschleunigenden<br />
Wirkungen<br />
6.8.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Verkehrsorientierte Strassen – Trottoir<br />
Auf verkehrsorienterten Strassen, wo das Verkehrsaufkommen hoch ist<br />
und die Geschwindigkeiten im Bereich der generellen Höchstgeschwindigkeit<br />
liegen, ist die Realisierung von – genügend breiten – Trottoirs grundsätzlich<br />
angezeigt.<br />
Erstaunlicherweise findet sich weder in den Gesetzen und Verordnungen<br />
noch in den Schweizer Normen eine Definition des Trottoirs. Gemeinhin<br />
wird jedoch darunter eine Verkehrsfläche verstanden, die entlang einer<br />
Strasse führt und dem Fussgänger vorbehalten ist. Sie ist mittels erhöhtem<br />
Randstein baulich gegenüber der Fahrbahn separiert. Gleichwohl<br />
wird sowohl im Gesetz als auch in den Schweizer Normen immer wieder<br />
auf das Trottoir verwiesen. So ist gemäss Art. 43 Abs. 2 der Signalisationsverordnung<br />
SSV das Trottoir den Fussgängern vorbehalten oder<br />
gemäss Art. 41 Abs. 1bis der Verkehrsregelverordnung VRV das Parkieren<br />
auf Trottoirs untersagt. Zudem verpflichtet das Strassenverkehrsgesetz<br />
SVG in Art. 49 Abs. 1 den Fussgänger, das Trottoir – falls vorhanden<br />
– zu benützen.<br />
Die Wirkung von Trottoirs und Fusswegen ist erwartungsgemäss hoch.<br />
Elvik und Vaa (2004) beziffern die Reduktion der Personenschadenunfälle<br />
mit rund 35 %, wobei das Rettungspotenzial sehr gering ist. Zudem sind<br />
die Fussgängerunfälle in Längsrichtung dispers verteilt, was einen flächendeckenden<br />
Bau von Trottoirs erfordern würde. Das wiederum hat ein<br />
recht ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis zur Folge.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass eine monotone Gestaltung des Trottoirs (konstante<br />
Breite, einheitliche Färbung, profilierte Randsteine – vgl. Abbildung 72)<br />
eine beschleunigende Wirkung auf den motorisierten Individualverkehr<br />
ausüben kann (Lindenmann, Frey & Schwob, 1987). Dieser unerwünschte<br />
Effekt lässt sich mildern, indem eine so genannte räumliche Verzahnung<br />
von Vorplätzen, Liegenschaftszugängen, angrenzenden Bauten, Einfriedigungen<br />
etc. mit dem Gehbereich des <strong>Fussverkehr</strong>s angestrebt wird (Lindenmann,<br />
Frey & Schwob, 1987; Schweizer Norm SN 640 212) (vgl.<br />
Abbildung 73).
Prävention – Strasseninfrastruktur 345<br />
Abbildung 72:<br />
Monoton gestaltetes<br />
Trottoir –<br />
beschleunigende<br />
Wirkung<br />
Abbildung 73:<br />
Verzahnung des<br />
Trottoirs mit den<br />
angrenzenden<br />
Flächen<br />
Längsstreifen für<br />
Fussgänger nur als<br />
Provisorium<br />
Abbildung 74:<br />
Notlösung:<br />
Längsstreifen für<br />
Fussgänger<br />
In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten, dass Längsstreifen für<br />
Fussgänger nur eine geringe Schutzwirkung bieten, weil diese Vorkehrung<br />
im Gegensatz zum Trottoir keinen Randstein aufweist. Sie ist deshalb<br />
nur in Ausnahmefällen angezeigt (als Provisorium oder bei kurzen,<br />
fehlenden Verbindungen). Leitpfosten, die in regelmässigen Abständen<br />
angeordnet sind, gewährleisten teilweise den von Fussgängern erwarteten<br />
Schutz (Abbildung 74).
346 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Siedlungsorientierte<br />
Strassen: alternative<br />
Lösungen<br />
Abbildung 75:<br />
Fussgängerschutz<br />
entlang einer<br />
siedlungsorientierten<br />
Strasse<br />
Rettungspotenzial<br />
gering<br />
Siedlungsorienterte Strassen – Fahrbahnabgrenzung mit Absperrelementen<br />
Auf siedlungsorientierten Strassen, wo das Verkehrsaufkommen niedrig<br />
ist und die Geschwindigkeiten tiefer liegen als auf verkehrsorienterten<br />
Strassen, ist eine bauliche Separierung in der Regel nicht angezeigt. Zu<br />
Fuss sollen sich Personen überall auf der Strasse bewegen können. Ein<br />
niedriges Geschwindigkeitsniveau kann (s. Kap. 6.3 Geschwindigkeitsregime<br />
innerorts, S. 300) dieses Verhalten ermöglichen. Müssen ausnahmsweise<br />
Fussgänger vom Verkehr separiert geführt werden, so sind Lösungen anzustreben,<br />
die nicht beschleunigend auf den motorisierten Individualverkehr<br />
wirken. Eine mögliche Variante ist in Abbildung 75 aufgezeigt. Diese<br />
auch in der Schweizer Norm SN 640 212 vorgesehene Lösung weist verschiedene<br />
Vorteile auf. Durch die Reduktion der Fahrbahnbreite auf eine<br />
Spur für den motorisierten Individualverkehr bleibt genügend Platz, um<br />
Fussgänger beidseitig und optimal zu schützen. Zusätzlich wird bei den<br />
privaten Ausfahrten die Sicht verbessert und es entsteht ein verkehrsberuhigender<br />
Effekt. Selbst die Querungen werden wesentlich vereinfacht,<br />
indem Fussgänger faktisch überall nur eine Spur queren müssen.<br />
Die generellen Unfallzahlen von jährlich 40 verunfallten Personen, die innerorts<br />
entlang von Strassen gingen, lassen keine Schlüsse auf die zu<br />
treffenden Präventionsmöglichkeiten zu. Deshalb lässt sich daraus kein<br />
infrastrukturspezifisches Rettungspotenzial berechnen. Prinzipiell ist bei<br />
jeder Strasse abzuklären, ob und welche Präventionsmöglichkeit für den<br />
Fussgänger-Längsverkehr angezeigt ist.
Prävention – Strasseninfrastruktur 347<br />
Tabelle 104:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Abschnitte<br />
entlang von Strassen<br />
innerorts’<br />
Hohe<br />
Geschwindigkeiten<br />
ausserorts<br />
Niedriges<br />
Rettungspotenzial<br />
Wichtige<br />
Beziehungen<br />
beachten<br />
Je nach Bedingungen<br />
sind verschiedene<br />
Lösungen möglich<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Abschnitte entlang von Strassen innerorts **<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
6.9 Abschnitte entlang von Strassen ausserorts<br />
6.9.1 Ausgangslage<br />
Ausserorts ist das Geschwindigkeitsniveau des motorisierten Individualverkehrs<br />
bedeutend höher als innerorts. Deshalb wird dort das Gehen<br />
entlang von Strassen als noch unangenehmer und gefährlicher als innerorts<br />
empfunden.<br />
Die Analyse des <strong>Unfallgeschehen</strong>s zeigt jedoch, dass auch ausserorts die<br />
Unfallrelevanz sehr gering ist. Das ist jedoch nicht nur damit zu erklären,<br />
dass Fahrzeuglenker Personen, die entlang einer Strasse gehen, besser<br />
und früher wahrnehmen können (s. Kap. VIII.6.8.1 Abschnitte entlang von<br />
Strassen innerorts, S. 343). Die erheblich geringere Exposition trägt<br />
ebenso zu dieser Bilanz bei.<br />
Daher können ausserorts bei wichtigen <strong>Fussverkehr</strong>sverbindungen entlang<br />
von Strassen (Schulwege, Wanderwege, usw.) Infrastrukturelemente<br />
zum Schutz der Personen, die zu Fuss unterwegs sind, trotzdem erforderlich<br />
sein. Da ausserorts das Geschwindigkeitsniveau hoch ist, ist der Ansatz<br />
der physischen Trennung angezeigt.<br />
6.9.2 Präventionsmöglichkeiten<br />
Die Wahl des zu verwendenden infrastrukturellen Elements hängt von<br />
verschiedenen Faktoren ab. Die Bedeutung des betroffenen <strong>Fussverkehr</strong>sstroms,<br />
die vorhandenen Platzverhältnissen oder die Frage, ob <strong>Fussverkehr</strong><br />
und leichter Zweiradverkehr getrennt oder gemeinsam zu führen<br />
sind, sind zu analysieren. Die drei wichtigsten Präventionsmöglichkeiten<br />
sind die Folgenden:
348 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Ausserorts ist die<br />
bauliche Trennung<br />
bei Trottoirs<br />
erforderlich<br />
Abbildung 76:<br />
Trottoir ausserorts<br />
Fusswege oder<br />
kombinierte Rad- und<br />
Fusswege<br />
Trottoir<br />
Definition, Ausgestaltung und gesetzliche Grundlagen beruhen auf denselben<br />
Grundsätzen wie Trottoirs im Innerortsbereich (s. Kap. VIII.6.8.1<br />
Abschnitte entlang von Strassen innerorts, S. 343). Trottoirs sind Verkehrsflächen,<br />
die entlang einer Strasse führen und dem Fussgänger vorbehalten<br />
sind. Speziell ausserorts sind eine bauliche Separierung mittels<br />
erhöhtem Randstein gegenüber der Fahrbahn sowie eine genügende<br />
Breite unerlässlich. Hingegen ist die Gestaltung im Ausserortsbereich<br />
zweitrangig, sodass hier Trottoirs einförmig asphaltiert werden (Abbildung 76)<br />
können. In gewissen Fällen kann die zuständige Signalisationsbehörde<br />
das Befahren von Trottoirs durch den leichten Zweiradverkehr zulassen<br />
(vgl. dazu Walter et al., 2005).<br />
Zu Wirkung und Effizienz s. Kap. VIII.6.8.1 Abschnitte entlang von Stras-<br />
sen innerorts, S. 343.<br />
Fussweg<br />
Fusswege sind Verkehrsflächen, die für den <strong>Fussverkehr</strong> bestimmt und<br />
von der Fahrbahn baulich abgetrennt sind. Sie werden meistens entlang<br />
von Strassen geführt, oft mittels Grünstreifen abgetrennt und in der Regel<br />
asphaltiert (Abbildung 77). Gemäss Signalisationsverordnung SSV verpflichtet<br />
das Signal „Fussweg“ (Abbildung 78) die Fussgänger, den für sie<br />
gekennzeichneten Weg zu benützen. Bei Bedarf kann auch der leichte<br />
Zweiradverkehr auf diesen separaten Verkehrsflächen geführt werden,
Prävention – Strasseninfrastruktur 349<br />
Abbildung 77:<br />
Fussweg ausserorts<br />
Abbildung 78:<br />
Signal „Fussweg“<br />
Trampelpfade als<br />
zweckmässige<br />
Notlösungen<br />
falls die nötigen verkehrstechnischen Bedingungen erfüllt sind. Der Fussweg<br />
wird in diesen Fällen zum kombinierten Rad- und Fussweg gemäss<br />
Signalisationsverordnung SSV und muss entsprechend signalisiert sein<br />
(vgl. dazu auch Walter et al., 2005). Zu Wirkung und Effizienz s. Kap.<br />
VIII.6.8.1 Abschnitte entlang von Strassen innerorts, S. 343.<br />
„Trampelpfad“<br />
„Trampelpfade“ sind Wege für Fussgänger entlang von Strassen, die auf<br />
einfachste Weise hergerichtet sind (vgl. Abbildung 79). Sie sind als<br />
zweckgerechte Notlösungen zu betrachten. Bei mangelnden Ressourcen<br />
oder Platzverhältnissen können sie anstelle von Trottoirs oder Fusswegen<br />
zur Anwendung gelangen. Sie sind in der Regel mit einem Grünstreifen<br />
von der Fahrbahn abgetrennt und nicht asphaltiert. Sie sind nicht signalisiert.<br />
Zu Wirkung und Effizienz s. Kap. VIII.6.8.1 Abschnitte entlang von<br />
Strassen innerorts, S. 343.
350 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Abbildung 79:<br />
Trampelpfad<br />
Rettungspotenzial<br />
gering<br />
Tabelle 105:<br />
Präventionsmöglichkeit<br />
‚Abschnitte<br />
entlang von Strassen<br />
ausserorts’<br />
Kenntnisstand zu<br />
Thema Infrastruktur<br />
für den <strong>Fussverkehr</strong><br />
gut<br />
Die generellen Unfallzahlen von jährlich 20 verunfallten Personen, die<br />
ausserorts entlang von Strassen gehen, lassen keine Schlüsse auf die zu<br />
treffenden Präventionsmöglichkeiten zu. Deshalb kann daraus kein spezifisches<br />
Rettungspotenzial für jede Präventionsmöglichkeit berechnet werden.<br />
Präventionsmöglichkeit Rettungspotenzial<br />
Abschnitte entlang von Strassen ausserorts *<br />
* sehr gering / ***** sehr gross<br />
6.10 Umsetzung<br />
6.10.1 Einleitung<br />
Der Kenntnisstand zum Thema „Infrastruktur für den <strong>Fussverkehr</strong> “ ist gut.<br />
Viele wichtige Aspekte sind in Gesetzen, Normen und Richtlinien festgehalten.<br />
Es mangelt vielmehr an der korrekten Umsetzung bzw. an der<br />
Umsetzung überhaupt. Massnahmen zur Behebung dieses Mangels, also<br />
Fördermassnahmen, sind gefordert.<br />
Dabei werden folgende Ziele angestrebt:<br />
• Konsequente Umsetzung sowie Überprüfung und Optimierung der geltenden<br />
Gesetze, Normen und Erkenntnisse
Prävention – Strasseninfrastruktur 351<br />
Sensibilisierung zum<br />
Thema <strong>Fussverkehr</strong><br />
und Sicherheit in<br />
Erstausbildung<br />
Koordinierte/<br />
obligatorische<br />
Weiterbildung<br />
• Umsetzen von Infrastrukturelementen zur Förderung der Sicherheit<br />
von Personen, die zu Fuss unterwegs sind<br />
• Vermeiden von inadäquaten Infrastrukturelementen (z. B. falsche Anwendung<br />
oder Ausgestaltung von Infrastrukturelementen)<br />
6.10.2 Fördermassnahmen<br />
a) Ausbildung der Ingenieure und Planer<br />
In der Praxis zeigt sich wiederholt, dass die Kenntnisse und/oder die Sensibilisierung<br />
zum Thema „<strong>Fussverkehr</strong>“ bei Ingenieuren und Planern zu<br />
wenig vorhanden sind. Das führt zu folgendem Fehlverhalten bei Planungsabläufen:<br />
• Fehlende Netzplanung<br />
• Falsche Auslegung von Normen resp. Normteilen<br />
• Nichtanwendung von Norm bzw. Normteilen oder keine Durchsetzung<br />
infolge lokaler Rahmenbedingungen<br />
• Nichtbeachten von (noch nicht in den Normen enthaltenen) Erkenntnissen<br />
bezüglich Sicherheit für Fussgänger<br />
Erstausbildung: Während der Erstausbildung an Hochschulen und Fachhochschulen<br />
ist bereits eine Sensibilisierung sowohl für das Thema der<br />
Verkehrssicherheit als auch für das Thema <strong>Fussverkehr</strong> gesamtschweizerisch<br />
zu gewährleisten. Insbesondere ist sicherzustellen, dass den Studierenden<br />
nebst dem Grundwissen zu diesem Thema spezifisch die entsprechenden<br />
Normen, Gesetze und Forschungsergebnisse vermittelt<br />
werden.<br />
Fort-/Weiterbildung: Viele Berufsstände sehen eine obligatorische Weiterbildung<br />
vor (Piloten, Fachpsychologen, Lehrkräfte usw.). Analog dazu<br />
ist eine obligatorische Weiterbildung für Verkehrsingenieure und -planer<br />
wünschenswert. Kongresse und Tagungen zu Verkehrsicherheitsthemen<br />
werden in der Schweiz schon heute regelmässig organisiert, vor allem<br />
von Berufsverbänden und Fachstellen.<br />
Kurzfristig kann die Unterstützung der Organisation solcher Tagungen/<br />
Kongresse empfohlen werden.
352 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Safety Audit zur<br />
Vermeidung von<br />
Projektierungsfehlern<br />
Road Safety<br />
Inspection<br />
insbesondere für<br />
Querungen angezeigt<br />
Mittelfristig ist zu überprüfen, wie das gesamte Angebot an Tagungen/<br />
Kongressen koordiniert und mit einer allfälligen obligatorischen Weiter-/<br />
Fortbildung abgestimmt werden kann.<br />
b) Instrumente zur systematischen flächendeckenden Sicherheits-Überprüfung<br />
geplanter und bestehender Infrastruktur<br />
Road Safety Audit<br />
Ein Road Safety Audit ist ein standardisiertes Verfahren zur Prüfung von<br />
Projekten (Neubau, Umbau, Sanierung) in den verschiedenen Planungsphasen.<br />
Durch eine unabhängige Sicherheitsverträglichkeitsprüfung können<br />
potenzielle Verkehrssicherheitsprobleme bereits während der Planungsphase<br />
vermieden werden. In einigen Ländern gehört dieses Verfahren<br />
heute schon zum üblichen Ablauf bei Neuprojekten.<br />
Nach den zur Verfügung stehenden Unterlagen sind Anwendungen aus<br />
Australien, Grossbritannien, Dänemark, Deutschland, Schweden, Norwegen<br />
und der Tschechischen Republik bekannt. Untersuchungen zur Wirksamkeit<br />
liegen u. a. für Dänemark vor und belegen einen Kosten- Nutzen-<br />
Faktor von 1.5.<br />
Safety Audits sind auch in der Schweiz einzuführen. Es ist dafür zu sorgen,<br />
dass der Aspekt der Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s in den auszuarbeitenden<br />
Abläufen zum festen und gleichgestellten Bestandteil wird. Das<br />
wird mit Vorteil dadurch bewerkstelligt, dass der Einsitz von Fachleuten<br />
aus den Bereichen „<strong>Fussverkehr</strong>“ und „Sicherheit“ in den zuständigen Arbeitsgruppen<br />
gewährleistet wird.<br />
Road Safety Inspection<br />
Die Road Safety Inspection ist ein standardisiertes Verfahren zur Überprüfung<br />
von bestehenden Anlagen im Sinne einer Betriebssicherheitsprüfung.<br />
Im Gegensatz zum Road Safety Audit, bei dem Neu- und Umbauprojekte<br />
geprüft werden, basiert die Road Safety Inspection auf der<br />
Idee einer periodischen Kontrolle der bestehenden Infrastruktur durch die<br />
zuständigen Behörden.
Prävention – Strasseninfrastruktur 353<br />
Black Spot<br />
Management für die<br />
<strong>Fussverkehr</strong>sproblematik<br />
nicht<br />
angezeigt<br />
Rechtliche Bedeutung<br />
der VSS-Normen<br />
erhöhen<br />
In einigen Ländern gehört dieses Verfahren bereits heute zum üblichen<br />
Ablauf bei bestehenden Anlagen, insbesondere in Deutschland. Auf<br />
Grund der Analyse der Risikofaktoren (defizitäre Infrastruktur für den querenden<br />
<strong>Fussverkehr</strong>) ist eine Road Safety Inspection für Querungen<br />
empfehlenswert. Dazu ist eine Standardisierung und Institutionalisierung<br />
über alle Tiefbauämter und Signalisationsbehörden erforderlich.<br />
Black Spot Management<br />
Black Spot Management bezweckt die systematische Unfallanalyse der<br />
Verkehrsnetze. Ergeben sich daraus Örtlichkeiten mit aussergewöhnlich<br />
vielen Unfällen (Unfallhäufungsstellen), so sind diese prioritär – unter Anwendung<br />
von adäquaten Verfahren – zu sanieren. Unfälle mit Fussgängern<br />
sind dispers über das gesamte Verkehrsnetz verteilt, sodass Black<br />
Spot Management für diese spezielle Problematik ungeeignet ist.<br />
c) Aufwertung der Normen<br />
Die Normen des VSS (Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute)<br />
stellen den aktuellen Wissensstand dar und entsprechen<br />
somit den Regeln der Baukunde. Sie sind nicht unmittelbar bindend, werden<br />
jedoch in Schadensfällen, also im Nachhinein, als Grundlage beigezogen.<br />
Einige wenige dieser Normen gelten als Weisung des UVEK im Sinne<br />
von Art. 115 Abs. 1 SSV und erhalten dadurch ein grösseres Gewicht. In<br />
der Praxis zeigt sich, dass diese im Planungs- und Projektierungsprozess<br />
einfacher durchzusetzen sind.<br />
Idealerweise müssten somit die VSS-Normen in den Stand einer Weisung<br />
erhoben werden. Dem ist entgegenzusetzen, dass die Akzeptanz dieser<br />
Forderung gering sein dürfte. Ausserdem würde dadurch die Flexibilität<br />
verloren gehen, eine Norm an neue Erkenntnisse anzupassen. Eine Lösung<br />
könnte darin bestehen, sicherzustellen, dass alle kantonalen und<br />
kommunalen Baugesetze die Forderung enthalten, die Infrastruktur<br />
müsse dem aktuellen Stand der Technik entsprechen.<br />
Zur Zeit (2005/2006) ist der VSS daran, die Sicherheitsrelevanz jeder einzelnen<br />
VSS-Norm festzulegen und sie danach zu bewerten. Es ist des-
354 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Vervollständigung der<br />
Normen mit Bezug<br />
zum <strong>Fussverkehr</strong><br />
Schwergewicht auf<br />
Normpaket<br />
„Querungen“<br />
Rechtliche Mittel<br />
vorhanden – in der<br />
Praxis nicht<br />
anwendbar<br />
halb sicherzustellen, dass Normen, welche die Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
betreffen, gebührend berücksichtigt werden.<br />
In diesem Zusammenhang ist zu überprüfen, ob es möglich ist, wenigstens<br />
die mit hoher Sicherheitsrelevanz bewerteten Normen als Weisung<br />
zu deklarieren, falls der Ansatz, alle Normen als Weisung zu erklären,<br />
sich als nicht realisierbar herausstellen sollte. Dabei gilt es zu berücksichtigen,<br />
dass sich eine solche Regelung hemmend auf eine rasche Aktualisierung<br />
des Normenwerks auswirken kann. Zudem zeigt die Erfahrung,<br />
dass einer rechtlichen Verankerung der VSS-Normen oft mit viel Skepsis<br />
begegnet wird.<br />
d) Vervollständigung geplanter VSS-Normen mit Bezug zum <strong>Fussverkehr</strong><br />
– insbesondere das Normpaket „Querungen“<br />
Der <strong>Fussverkehr</strong> als Gesamtes beginnt erst seit einigen Jahren in den<br />
Normen des VSS Fuss zu fassen. Die erste entsprechende Norm wurde<br />
2003 publiziert. Es versteht sich von selbst, dass im Jahre 2006 die Normen,<br />
die den <strong>Fussverkehr</strong> betreffen, noch nicht vollständig sein können.<br />
Die geplante Vervollständigung des Normenpakets für den <strong>Fussverkehr</strong> ist<br />
sicherzustellen. Basierend auf den Risikofaktoren muss das Normenpaket<br />
„Querungen für den Fussgänger- und leichten Zweiradverkehr“ mit Priorität<br />
behandelt werden.<br />
e) Rechtliche Möglichkeiten zur Einforderung und Umsetzung adäquater<br />
Infrastruktur<br />
Grundsätzlich besagt Artikel 58 des Obligationenrechts, dass der Eigentümer<br />
eines Gebäudes oder eines andern Werkes den Schaden zu ersetzen<br />
hat, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder<br />
von mangelhafter Unterhaltung verursachen. Das Gemeinwesen als Eigentümer<br />
von Strassen könnte demnach theoretisch eingeklagt werden,<br />
wenn der obengenannte Sachverhalt zutrifft. In der Praxis findet dieser<br />
Artikel im Zusammenhang mit Strassenverkehrsinfrastruktur selten bis<br />
kaum Anwendung. Die damit verbundenen Hürden, insbesondere die finanziellen<br />
Risiken, sind zu gross. In der Regel finden sich auch keine finanzkräftigen<br />
Interessengemeinschaften, die bereit wären, eine Person<br />
durch einen solchen Prozess zu begleiten.
Prävention – Strasseninfrastruktur 355<br />
Sensibilisierung der<br />
Bevölkerung für die<br />
Sicherheits-Belange<br />
des <strong>Fussverkehr</strong>s<br />
Im Weiteren legt der Bund in Artikel 4 des Bundesgesetzes über Fussund<br />
Wanderwege FWG45 fest, dass die Kantone dafür sorgen müssen,<br />
einerseits bestehende und vorgesehene Fuss- und Wanderwegnetze in<br />
Plänen festzuhalten und andererseits die Pläne periodisch zu überprüfen<br />
und nötigenfalls anzupassen.<br />
Der Bund ist demnach gefordert, dafür zu sorgen, dass der Inhalt dieses<br />
Artikels vollständig umgesetzt wird. Dazu kann er die geforderten Netzplanungen<br />
und deren Aktualisierungen einfordern. Nötigenfalls ist die<br />
Bundesaufsicht wahrzunehmen.<br />
Der Bund könnte auch die konkrete Umsetzung von infrastrukturellen<br />
Massnahmen für den <strong>Fussverkehr</strong> vermehrt unterstützen. Die bestehenden<br />
Wegleitungen und Arbeitshilfen können erweitert werden (Festlegen<br />
von Minimalstandards). Dazu kann auch die finanzielle Unterstützung von<br />
Vorhaben gefördert werden, indem bei infrastrukturellen <strong>Fussverkehr</strong>s-<br />
Projekten der Nutzen für den Agglomerationsverkehr stärker berücksichtigt<br />
wird und somit der Zugang zum Infrastrukturfonds ermöglicht wird.<br />
f) Öffentlichkeitsarbeit<br />
Ziel der Öffentlichkeitsarbeit ist es, die Bevölkerung für die Bedeutung der<br />
Infrastruktur für die Sicherheit der Personen, die zu Fuss unterwegs sind,<br />
zu sensibilisieren. Dies ist deshalb wichtig, weil der Planungs- und Realisierungsprozess<br />
von Strasseninfrastruktur immer auch einen politischen<br />
(finanzpolitischen) Aspekt hat. Es besteht somit die Gefahr, dass als unwichtig<br />
erachtete Infrastrukturelemente den Sparbemühungen zum Opfer<br />
fallen, insbesondere wenn sie nicht für obligatorisch erklärt werden können.<br />
Beispiele dafür sind:<br />
• Alle Infrastrukturelemente, die in VSS-Normen vorgesehen sind und<br />
eine grosse Sicherheitsrelevanz aufweisen, jedoch als unnötig erachtet<br />
werden (typisch Beispiel: Mittelinsel)<br />
• bfu-Modell Tempo 30/50<br />
45 Bundesgesetz vom 4. Oktober 1985 über Fuss- und Wanderwege (FWG), SR 704
356 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Der Zusammenhang<br />
zwischen Infrastruktur<br />
und Sicherheit sollen<br />
in der breiten<br />
Öffentlichkeit bekannt<br />
gemacht werden<br />
Zusammenarbeit und<br />
Kontakt mit den<br />
Behörden ist wichtig<br />
Öffentlichkeitsarbeit muss in erster Linie von anerkannten Fachstellen<br />
(Experten) ausgehen. Zielpublikum sind dabei einerseits die zuständigen<br />
Behörden und andererseits die breite Öffentlichkeit. Informationsblätter<br />
sowie Tagungen oder Schulungen für Entscheidungsträger sind als Massnahmen<br />
denkbar.<br />
Entsprechende Fachstellen sollen einer breiten Öffentlichkeit sicherheitsrelevante<br />
Infrastrukturelemente sowie Möglichkeiten zur deren Einforderung<br />
(z. B. Tempo-30-Zonen) bekannt machen. Als Verbreitungskanäle<br />
eignen sich in erster Linie:<br />
• Artikel in Publikumszeitschriften<br />
• Artikel in Zeitschriften von Fachverbänden / Interessengemeinschaften<br />
• Medienauftritte<br />
• Beiträge auf den Homepages der entsprechenden Fachstellen<br />
g) In Verwaltung und Politik die Bedeutung der Infrastruktur für die Verkehrssicherheit<br />
aufwerten<br />
Behörden und Bevölkerung sind für die Aspekte der Fussgängersicherheit<br />
zu sensibilisieren.<br />
Mit den zuständigen Behörden ist eine enge Zusammenarbeit und regelmässiger<br />
Kontakt seitens der Fachstellen zu pflegen. Dabei gilt es, die Behörden<br />
für die Bedeutung der Infrastruktur für die Sicherheit der Personen,<br />
die zu Fuss unterwegs sind, zu sensibilisieren. Im Vordergrund stehen<br />
dabei folgende Aktivitäten:<br />
• Fachtechnische Beratungen zu sicherheitsrelevanten Themen<br />
• Fachtechnische Unterstützung von Projekten<br />
• Regelmässige Veranstaltung von Kolloquien / Weiterbildungskursen /<br />
Foren<br />
• Publikationen in Fachzeitschriften
Prävention – Strasseninfrastruktur 357<br />
Tabelle 106:<br />
Massnahmen zur<br />
Förderung der<br />
Umsetzung<br />
sicherheitsfördernder<br />
Infrastruktur und<br />
Beurteilung<br />
Massnahmen Beurteilung<br />
Ausbildung der Ingenieure und Planer<br />
Erstausbildung: Sensibilisierung bzgl.<br />
Verkehrssicherheit sowie Vermittlung fachspezifischen<br />
Grundwissens<br />
Weiter-/Fortbildung: Organisation und Koordination von<br />
fachspezifischen Tagungen sowie Weiterbildungs-<br />
Obligatorium<br />
Sowohl in der Erstausbildung als auch in der Weiter-/<br />
Fortbildung sind schwerpunktmässig folgende Themen<br />
zu behandeln:<br />
• Grundsätze zur Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s (inkl.<br />
Aspekte der falschen Sicherheit)<br />
• Umfassende Netzplanung<br />
• <strong>Fussverkehr</strong>sfreundliche Querungen<br />
• Spezialthemen (Tempo 30/50-Modell,<br />
fussgängerfreundlicher Strassenunterhalt)<br />
• Technische und gesetzliche Grundlagen in ihrer<br />
Gesamtheit<br />
Instrumente zur Sicherheitsüberprüfung<br />
Road Safety Audits als standardmässige Projektphase<br />
einführen<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Road Safety Inspections bei Querungen durchführen Sehr empfehlenswert<br />
Black Spot Management<br />
Normen<br />
Rechtliche Bedeutung der VSS-Normen erhöhen, indem<br />
sie zu Weisungen des UVEK erklärt werden oder in den<br />
Baugesetzen zum Stand der Technik erklärt werden<br />
Unterstützung der aktuellen Bestrebungen, die VSS-<br />
Normen mit Bezug zum <strong>Fussverkehr</strong> zu<br />
vervollständigen (insbesondere das Normpaket<br />
„Querungen“<br />
Rechtliche Möglichkeiten<br />
Klage gegen Betreiber defizitärer Infrastruktur bei<br />
Unfällen<br />
Einforderung der (aktualisierten) Netzplanungen seitens<br />
des Bundes<br />
Finanzielle Unterstützung bei infrastrukturellen<br />
Projekten für den <strong>Fussverkehr</strong> (Infrastruktur-Fonds)<br />
Öffentlichkeitsarbeit<br />
Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Nutzen von<br />
sicherheitsfördernden Infrastruktur-Massnahmen<br />
Nicht empfehlenswert<br />
(Unfälle dispers<br />
verteilt)<br />
Bedingt<br />
empfehlenswert<br />
(Akzeptanz gering,<br />
Verlangsamen von<br />
Veränderungen)<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt<br />
empfehlenswert<br />
(Hürden und finanzielle<br />
Risiken zu hoch)<br />
Empfehlenswert<br />
Sehr empfehlenswert<br />
Bedingt<br />
empfehlenswert<br />
(da ungünstiges<br />
Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis)
358 Prävention – Strasseninfrastruktur<br />
Senkung der<br />
Kollisionswahrscheinlichkeit<br />
durch adäquate<br />
Infrastruktur<br />
– Fortsetzung Tabelle 108 –<br />
Bedeutung der Infrastruktur aufwerten<br />
Enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden.<br />
Durchführen von fachtechnischen Beratungen /<br />
Kolloquien / Weiterbildungskursen / Foren<br />
6.11 Zusammenfassung und Fazit<br />
Empfehlenswert<br />
Da alle schwer verletzten oder getöteten Fussgänger bei Kollisionen mit<br />
motorisierten Fahrzeugen zu Schaden kommen, müssen Infrastruktur und<br />
Verkehrsabläufe so gestaltet werden, dass die Kollisionswahrscheinlichkeit<br />
zwischen <strong>Fussverkehr</strong> und motorisiertem Individualverkehr drastisch<br />
gesenkt wird. Die Einführung eines vom Autoverkehr komplett getrennten<br />
Fusswegnetzes ist aus praktischen und finanziellen Gründen unrealistisch.<br />
Notwendig und für ein sicheres Zu-Fuss-unterwegs-Sein unabdingbar<br />
ist hingegen eine Netzplanung für den <strong>Fussverkehr</strong>. Dort, wo infrastrukturelle<br />
Interventionen für den <strong>Fussverkehr</strong> geplant und umgesetzt<br />
werden, müssen diese unbedingt den sicherheitstechnischen Aspekten<br />
der VSS-Normen oder den aktuellen Erkenntnissen zur Sicherheit von<br />
<strong>Fussverkehr</strong>s-Anlagen entsprechen. Ansonsten besteht nicht nur die Gefahr,<br />
dass die erhoffte Sicherheitssteigerung ausbleibt, sondern dass das<br />
Unfall- und Verletzungsrisiko sogar steigen könnte. Neben fussgängerspezifischen<br />
Infrastrukturelementen stellt auch das Modell Tempo 50/30<br />
eine zentrale Sicherheitsmassnahme dar. Dieses Modell propagiert, die<br />
Maximalgeschwindigkeit in Wohnquartieren bei 30 km/h und auf verkehrsorientierten<br />
Strassen bei 50 km/h anzusetzen.
Prävention – Zusammenfassung Prävention 359<br />
Bei allen<br />
Systemelementen<br />
besteht<br />
Handlungsbedarf<br />
7. Zusammenfassung Prävention<br />
Nach der Diskussion der Unfallrelevanz diverser Risikofaktoren in Kapitel VII,<br />
wurde in Kapitel VIII nach Lösungen gesucht, um diese Risikofaktoren zu<br />
reduzieren.<br />
In einem ersten Schritt wurden dabei – im Sinne eines Sollzustandes –<br />
Ziele festgelegt: Was muss sich bei der Infrastruktur, bei den Fahrzeugen<br />
und bei den Verkehrsteilnehmenden ändern, damit die Sicherheit des<br />
<strong>Fussverkehr</strong>s erhöht werden kann? Diese als Präventionsmöglichkeiten<br />
definierten Ziele wurden nach ihrem Rettungspotenzial bewertet. Letzteres<br />
hängt von der beeinflussbaren Anzahl Unfälle oder Verletzungen<br />
(Wirkungsbereich) ab. Folgende Präventionsmöglichkeiten weisen ein<br />
grosses bis sehr grosses Potenzial auf:<br />
Infrastruktur:<br />
• Netzplanung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des <strong>Fussverkehr</strong>s,<br />
mit dem Ziel eines lückenlosen Fusswegnetzes und der Identifikation<br />
potenzieller Konfliktstellen<br />
• Für den <strong>Fussverkehr</strong> adäquate Geschwindigkeitsregimes innerorts<br />
(Tempo 30 auf siedlungsorientierten Strassen, Tempo 50 auf verkehrsorientierten<br />
Strassen mit sicheren Querungsmöglichkeiten)<br />
• Adäquate und korrekt ausgeführte fussgängerspezifische Infrastrukturelemente<br />
beim punktuellen Queren auf einer Ebene mit Fussgänger-<br />
Vortritt und ohne Fussgänger-Vortritt sowie beim flächigen Queren.<br />
Best-Practice-Empfehlungen hierzu finden sich in den Kapiteln VIII.6.5<br />
(S. 312), VIII.6.6 (S. 333) und VIII.6.7 (S. 336).<br />
Motorfahrzeuglenkende:<br />
• Einhaltung der Anhaltepflicht am Fussgängerstreifen sicherstellen<br />
• Situationsangemessene Fahrgeschwindigkeiten sicherstellen<br />
• Erhöhung des Gefahrenbewusstseins und der Selbstkontrolle<br />
• Verhinderung von Unaufmerksamkeit und Ablenkung<br />
• Unvorsichtiges Rückwärtsfahren verhindern
360 Prävention – Zusammenfassung Prävention<br />
Einzelne Präventionsmöglichkeiten<br />
weisen<br />
ein geringes Potenzial<br />
auf<br />
Weniger Unfälle dank<br />
besserer Infrastruktur<br />
und tieferen<br />
Geschwindigkeiten …<br />
Motorfahrzeuge:<br />
� Sicherheitsoptimierte Frontkonstruktionen (Formoptimierung, Steifigkeitsreduktion,<br />
aktive Motorhaube, Aussenairbags)<br />
� Fahrerassistenzsysteme (insbesondere Bremsassistent, elektronische<br />
Objekterfassungssysteme mit integrierter Notbremsfunktion, Rückfahrsensoren<br />
sowie Lenkerüberwachungssysteme (insbesondere zur Entdeckung<br />
visueller Ablenkung)<br />
Fussgänger und Fussgängerinnen:<br />
� Förderung von verkehrsrelevantem Wissen, sicherheitsbewussten Einstellungen<br />
und adäquatem Gefahrenbewusstsein bei Kindern (Rettungspotenzial<br />
schwer abschätzbar, gilt aber als notwendige Sockelmassnahme)<br />
Andere Präventionsmöglichkeiten weisen demgegenüber ein geringes<br />
Rettungspotenzial auf. Für den <strong>Fussverkehr</strong> wenig ergiebig dürften beispielsweise<br />
die Verbesserung der Regelkenntnisse oder des Gefahrenbewusstseins<br />
bei Jugendlichen, Erwachsenen oder älteren Menschen<br />
sein, die über den heutigen Stand hinausgehende Förderung der Betriebssicherheit<br />
der Motorfahrzeuge oder die Fokussierung auf das Vermeiden<br />
von Fahrten in übermüdetem Zustand. Solche Möglichkeiten mit<br />
einem geringen Potenzial sollten nur dann gefördert werden, wenn sie<br />
ohne Schwierigkeiten und mit geringem finanziellem Aufwand realisiert<br />
werden können.<br />
Im Anschluss wurde geprüft, wie diese Präventionsmöglichkeiten oder -ziele<br />
umgesetzt werden können. Konkrete Förderungsmassnahmen wurden<br />
hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit überprüft, wobei die soziale und politische<br />
Akzeptanz, die technische Machbarkeit sowie die Kosten-Nutzen-Relation<br />
berücksichtigt wurden.<br />
Das Resultat ist eine breit gefächerte Zusammenstellung von Handlungsmöglichkeiten,<br />
die im Folgenden nach den drei Phasen primäre, sekundäre<br />
und tertiäre Prävention dargestellt werden:<br />
Primäre Prävention (Verhinderung von Unfällen): Infrastruktur und<br />
Abläufe im Strassenverkehr sind so zu gestalten, dass die Kollisionswahr-
Prävention – Zusammenfassung Prävention 361<br />
… dank moderner<br />
Technologien im<br />
Fahrzeug …<br />
… aber auch dank<br />
vorsichtigem Querungsverhalten<br />
und<br />
defensivem Fahrstil<br />
scheinlichkeit zwischen Fussgängern und Motorfahrzeugen (MFZ) drastisch<br />
gesenkt wird. Die Einführung eines vom Autoverkehr komplett getrennten<br />
Fusswegnetzes ist aus praktischen und finanziellen Gründen unrealistisch.<br />
Deshalb ist eine Netzplanung von zentraler Bedeutung, mit dem Ziel, ein<br />
lückenloses <strong>Fussverkehr</strong>snetz zu erstellen und potentielle Konfliktstellen<br />
zu erkennen. Bei der Projektierung der spezifischen Infrastrukturelemente<br />
müssen unbedingt die sicherheitstechnischen Aspekte der VSS-Normen<br />
oder die aktuellen Erkenntnisse zur Sicherheit von <strong>Fussverkehr</strong>s-Anlagen<br />
einfliessen. Sonst besteht nicht nur die Gefahr, dass die erhoffte Sicherheitssteigerung<br />
ausbleibt, sondern dass das Unfall- und Verletzungsrisiko<br />
sogar steigen könnte. Neben fussgängerspezifischen Infrastrukturelementen<br />
stellt eine Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h in Wohnquartieren<br />
eine zentrale Sicherheitsmassnahme dar.<br />
Die Umsetzung verkehrssicherheitsverträglicher Infrastrukturlösungen<br />
kann primär durch die Ausbildung und Sensibilisierung von Ingenieuren<br />
und Planern, der Durchführung von Safety Audits sowie der Vervollständigung<br />
und Umsetzung von VSS-Normen gefördert werden.<br />
Auch bei den Fahrzeugen kann angesetzt werden, um die Unfallwahrscheinlichkeit<br />
zu reduzieren. Wichtig sind bereits heute erhältliche Technologien<br />
wie z. B. Rückfahrsensoren und Bremsassistenten. Darüber hinaus<br />
sind die primärpräventiven Möglichkeiten bei den MFZ gegenwärtig<br />
eher gering. Künftig werden jedoch hochwirksame Technologien zur Kollisionsvermeidung<br />
zur Verfügung stehen, die auf einer elektronischen Objekterfassung<br />
mittels Radar- oder Infrarotsensoren beruhen.<br />
Um die Technologien zum fahrzeugseitigen Fussgängerschutz zu implementieren,<br />
bedarf es der internationalen Zusammenarbeit (z. B. Einsitz in<br />
den Arbeitsgruppen der UN/ECE). Alleingänge der Schweiz als Nicht-EU-<br />
Miglied, als Land ohne eigene Automobilindustrie und mit verhältnismässig<br />
kleinem Absatzmarkt sowie aufgrund des Übereinkommens über<br />
technische Handelshemmnisse sind nur eingeschränkt möglich.<br />
Doch auch die Verkehrsteilnehmenden und zwar sowohl die Fussgänger<br />
und Fussgängerinnen selbst als auch die MFZ-Lenkenden als potenzielle<br />
Kollisionsgegner können zur Sicherheit des <strong>Fussverkehr</strong>s einen bedeu-
362 Prävention – Zusammenfassung Prävention<br />
Weniger schwere<br />
Verletzungen dank<br />
tieferen<br />
Geschwindigkeiten<br />
und optimierter<br />
Fahrzeuggestaltung<br />
Schnellere<br />
medizinische Hilfe =<br />
weniger schwerer<br />
Verletzungsverlauf<br />
tenden Beitrag leisten. Generell muss durch eine Kombination von edukativen<br />
und repressiven Massnahmen ein sicherheitsorientiertes und<br />
partnerschaftliches Fahrverhalten gefördert werden. Dabei müssen bei<br />
den Fussgängern insbesondere sichere Verhaltensweisen beim Queren<br />
(mit und ohne Vortritt) gefördert werden und bei den MFZ-Lenkenden die<br />
Einhaltung der Anhaltepflicht an Fussgängerstreifen und eine situationsangepasste<br />
Geschwindigkeitswahl sichergestellt werden.<br />
Edukative Bemühungen bei Kindern sollten in Form einer kontinuierlichen,<br />
professionelle Verkehrserziehung stattfinden. Das ist notwendig, aber<br />
nicht hinreichend, denn Kinder werden auch durch Verkehrserziehung nie<br />
zu verlässlichen Verkehrspartnern werden. Die Verkehrserziehung der<br />
Motorfahrzeuglenkenden (z. B. im Rahmen der Fahrausbildung oder<br />
durch massenmediale Kampagnen) hat vermutlich eine grössere unfallreduzierende<br />
Wirkung – vor allem in Kombination mit Polizeikontrollen.<br />
Sekundäre Prävention (Verhinderung von Verletzungen): Da Unfallereignisse<br />
nie ganz ausgeschlossen werden können, muss durch Massnahmen<br />
sichergestellt werden, dass im Ereignisfall die Verletzungen<br />
möglichst gering sind. Auch hier leistet ein wirksames Geschwindigkeitsmanagement<br />
einen wichtigen Beitrag. Da Fussgänger keine schützende<br />
Knautschzone haben, müssen vor allem sicherheitsoptimierte Fahrzeugfronten<br />
gefördert werden. Die PW-Fronten müssen so gestaltet sein, dass<br />
sie Energie besser absorbieren können. In der Schweiz können zumindest<br />
die Konsumenten dahingehend informiert werden, dass sie beim<br />
Erwerb eines Fahrzeugs neben dem Insassen- auch den Partnerschutz<br />
berücksichtigen.<br />
Tertiäre Prävention (Verhinderung von Spätfolgen): Da der Schwerpunkt<br />
in der vorliegenden Arbeit bewusst auf die erste und zweite Präventionsphase<br />
gelegt wurde, sind tertiärpräventive Massnahmen nur am<br />
Rande thematisiert. Eine wichtige Massnahme liegt darin, die Zeitdauer<br />
zwischen Unfallereignis und Eintreffen der Rettungskräfte zu verkürzen.<br />
Das gelingt durch Einrichtungen zur automatischen oder manuellen Auslösung<br />
und Übertragung eines Notrufs (inklusive der Standortkoordinaten)<br />
zu den zuständigen Rettungskräften.
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Zürich: Bundesamt für Energie BEW.<br />
Wazana, A., Krueger, P., Raina, P. & Chambers, L. (1997). A review of<br />
risk factors for child pedestrian injuries: Are they modifiable? Injury<br />
Prevention, 3, 295–304.<br />
Weibrecht, C. (2005). Anfänger sollten nüchtern bleiben. Fahrschule, 9,<br />
1–4.<br />
Weishaupt, H. & Neumann-Opitz, N. (2006). Verkehrserziehung: Ein<br />
Thema an weiterführenden Schulen? Zeitschrift für Verkehrssicherheit,<br />
4, 182–189.<br />
Weller, G. & Schlag, B. (2004). Verhaltensadaptation nach Einführung von<br />
Fahrerassistenzsystemen: Vorstellung eines Modells und Ergebnisse<br />
einer Expertenbefragung. In B. Schlag. (Hrsg.), Verkehrspsychologie.<br />
Mobilität - Sicherheit – Fahrerassistenz (S. 351–370). Berlin: Pabst<br />
Science.<br />
Wilhelm, H. (2000). Sehvermögen und Fahrtauglichkeit. In Bundesanstalt<br />
für Strassenwesen BASt (Hrsg.), Sicher fahren in Europa (Heft M 121,<br />
S. 57–59). Bergisch-Gladbach: Bundesanstalt für Strassenwesen<br />
BASt.<br />
Zegeer, C. V., Stewart, J. R., Huang, H. H., Lagerway, P. A., Feaganes, J.<br />
& Campbell, B. J. (2005). Safety effects of marked versus unmarked<br />
crosswalks at uncontrolled locations: Final report and recommended<br />
guidelines. McLean (VA): Federal Highway Administration.<br />
Zellmer, H. & Schmid, M. (1995). Gefährdung durch Frontschutzbügel an<br />
Geländefahrzeugen (Heft F 12). Bergisch Gladbach: Bundesanstalt für<br />
Strassenwesen BASt.
376 Literaturverzeichnis<br />
Zimmer, A. C. (2002). Assistenz: Wann, wie und für wen? Zeitschrift für<br />
Verkehrssicherheit, 48(1), 15–26.<br />
Zink, P. (1987). Alkohol am Steuer: Regel oder Ausnahme? Referat<br />
gehalten am Fortbildungskurs des Schweizerischen Polizei-Instituts,<br />
Neuenburg.
Tabellenverzeichnis 377<br />
2. Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 1: Die Bedeutung verschiedener Risikofaktoren................... 10<br />
Tabelle 2: Überblick über alle Massnahmen zur Förderung der<br />
Fussgängersicherheit........................................................ 16<br />
Tabelle 3: Gegenüberstellung der enthaltenen Informationen in<br />
den zur Verfügung stehenden Unfalldatenbanken............ 58<br />
Tabelle 4: Gegenüberstellung der enthaltenen Informationen in<br />
den zur Verfügung stehenden Unfalldatenbanken............ 75<br />
Tabelle 5: Beispiel zur Berechnung des Odds Ratio ......................... 77<br />
Tabelle 6: Verletzte und getötete Fussgänger, 2000–2004.............. 79<br />
Tabelle 7: Summe der Schwerverletzten und Getöteten<br />
(ab 6 Jahren) pro 100 Mio. Personenkilometer nach<br />
Verkehrsteilnahme, 1984–2000 ........................................ 84<br />
Tabelle 8: Summe der Schwerverletzten und Getöteten<br />
(ab 6 Jahren) pro 1 Mio. Personenstunden nach<br />
Verkehrsteilnahme, 1984–2000 ........................................ 84<br />
Tabelle 9: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Geschlecht, Ø 2000–2004 ................................................ 87<br />
Tabelle 10: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach Alter,<br />
Ø 2000–2004..................................................................... 88<br />
Tabelle 11: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Unfalltyp, Ø 2000–2004 .................................................... 92<br />
Tabelle 12: Summe der schwer verletzten und getöteten Fuss-<br />
gänger nach Alter und Unfalltyp, Ø 2000–2004................ 93<br />
Tabelle 13: Kollisionsgegner (PW-Fahrer) von schwer und tödlich<br />
verletzten Fussgängern nach Alter und Geschlecht,<br />
Ø 2000–2004..................................................................... 99<br />
Tabelle 14: Kollisionsgegner (PW-Fahrer) von schwer und tödlich<br />
verletzten Fussgängern nach Alter und Geschlecht,<br />
expositionsbereinigt, Ø 2000–2004................................. 100<br />
Tabelle 15: Kollisionsgegner (PW-Fahrer) von schwer und tödlich<br />
verletzten Fussgängern nach Alter und Dauer des<br />
Führerscheinbesitzes, Ø 2000–2004 .............................. 101<br />
Tabelle 16: Kollisionsgegner (PW-Fahrer) von schwer und tödlich<br />
verletzten Fussgängern nach Alter und Nationalität,<br />
Ø 2000–2004................................................................... 101<br />
Tabelle 17: Ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz nach<br />
Nationalität, 2004 ............................................................ 102
378 Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 18: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach Orts-<br />
lage, Ø 2000–2004.......................................................... 103<br />
Tabelle 19: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Strassenart, Ø 2000–2004 .............................................. 104<br />
Tabelle 20: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Unfallstelle, Ø 2000–2004............................................... 104<br />
Tabelle 21: Schwer verletzte und getötete Fussgänger auf und<br />
abseits von Fussgängerstreifen, Ø 2000–2004 .............. 105<br />
Tabelle 22: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Strassenanlage, Ø 2000–2004 ....................................... 105<br />
Tabelle 23: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
signalisierter Höchstgeschwindigkeit, Ø 2000–2004 ...... 106<br />
Tabelle 24: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Strassenzustand, Ø 2000–2004...................................... 107<br />
Tabelle 25: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Witterung, Ø 2000–2004 ................................................. 107<br />
Tabelle 26: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Jahreszeit, Ø 2000–2004 ................................................ 108<br />
Tabelle 27: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach<br />
Lichtverhältnissen, Ø 2000–2004.................................... 108<br />
Tabelle 28: Schwer verletzte und getötete Fussgänger nach Unfall-<br />
zeit, Ø 2000–2004........................................................... 109<br />
Tabelle 29: Wichtigste Unfallursachen bei schwer verletzten und<br />
getöteten Fussgängern nach Alter, Ø 2000–2004.......... 112<br />
Tabelle 30: Wichtigste Unfallursachen bei schwer verletzten und<br />
getöteten Fussgängern nach Geschlecht, Ø 2000–2004 113<br />
Tabelle 31: Wichtigste Unfallursachen der Kollisionsgegner von<br />
schwer verletzten und getöteten Fussgängern nach<br />
Objektart, Ø 2000–2004.................................................. 114<br />
Tabelle 32: Wichtigste Unfallursachen der Kollisionsgegner von<br />
schwer verletzten und getöteten Fussgängern nach<br />
Alter, Ø 2000–2004 ......................................................... 115<br />
Tabelle 33: Wichtigste Unfallursachen der Kollisionsgegner von<br />
schwer verletzten und getöteten Fussgängern nach<br />
Geschlecht, Ø 2000–2004 .............................................. 116<br />
Tabelle 34: Verteilung der jährlich zu Fuss zurückgelegten Kilo-<br />
meter nach Alter (ARE & BFS, 2001).............................. 125<br />
Tabelle 35: Beurteilung des Risikofaktors ‚defizitäre Kognition’<br />
(Wahrnehmung und Informationsverarbeitung) .............. 128
Tabellenverzeichnis 379<br />
Tabelle 36: Beurteilung des Risikofaktors ‚Spielmotiv’ ...................... 130<br />
Tabelle 37: Beurteilung des Risikofaktors ‚Körpergrösse’ ................. 131<br />
Tabelle 38: Beurteilung des Risikofaktors ‚Wissen’ ........................... 133<br />
Tabelle 39: Beurteilung des Risikofaktors ‚fehlendes Sicherheitsbewusstsein’....................................................................<br />
134<br />
Tabelle 40: Beurteilung des Risikofaktors ‚Alkohol’ ........................... 136<br />
Tabelle 41: Fehlverhaltensweisen der zu Fuss Gehenden gemäss<br />
polizeilichem Unfallprotokoll, 2000–2004........................ 137<br />
Tabelle 42: Fehlverhaltensweisen von auf Fussgängerstreifen<br />
verunfallten zu Fuss Gehenden gemäss polizeilichem<br />
Unfallprotokoll, 2000–2004 ............................................. 138<br />
Tabelle 43: Beurteilung des Risikofaktors ‚regelwidriges Verhalten<br />
der Fussgänger’ .............................................................. 139<br />
Tabelle 44: Beurteilung des Risikofaktors ‚ungenügende Sichtbar-<br />
keit’ .................................................................................. 141<br />
Tabelle 45: Geschwindigkeitsverhalten auf Innerorts- und<br />
Ausserortsstrassen (Lindenmann, 2005) ........................ 147<br />
Tabelle 46: Beurteilung des Risikofaktors ‚unangepasste<br />
Geschwindigkeit’ ............................................................. 150<br />
Tabelle 47: Beurteilung des Risikofaktors ‚Missachten des<br />
Vortrittsrechts am Fussgängerstreifen’ ........................... 152<br />
Tabelle 48: Lichteinschaltquoten der Motorfahrzeuge bei schöner<br />
Witterung, 2005............................................................... 153<br />
Tabelle 49: Beurteilung des Risikofaktors ‚Fahren ohne Licht am<br />
Tag’ ................................................................................. 154<br />
Tabelle 50: Beurteilung des Risikofaktors ‚unvorsichtiges<br />
Rückwärtsfahren’............................................................. 155<br />
Tabelle 51: Beurteilung des Risikofaktors ‚FiaZ’................................ 158<br />
Tabelle 52: Beurteilung des Risikofaktors ‚Fahren unter Drogen-<br />
einfluss’ ........................................................................... 161<br />
Tabelle 53: Beurteilung des Risikofaktors ‚Fahren unter<br />
Medikamenteneinfluss’.................................................... 163<br />
Tabelle 54: Beurteilung des Risikofaktors ‚Fahren in übermüdetem<br />
Zustand’........................................................................... 164<br />
Tabelle 55: Beurteilung des Risikofaktors<br />
‚Ablenkung/Unaufmerksamkeit’....................................... 166
380 Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 56: Beurteilung des Risikofaktors ‚mangelhafte<br />
Fahrzeugbeherrschung’ .................................................. 167<br />
Tabelle 57: Beurteilung des Risikofaktors ‚mangelnde<br />
Gefahrenkognition und Selbstkontrolle’ .......................... 168<br />
Tabelle 58: Beurteilung verschiedener Risikofaktoren im Bereich<br />
‚perzeptive Beeinträchtigungen’...................................... 172<br />
Tabelle 59: Beurteilung des Risikofaktors ‚physische<br />
Beeinträchtigungen’......................................................... 173<br />
Tabelle 60: Beurteilung des Risikofaktors ‚kognitive<br />
Leistungsbeeinträchtigungen’ ......................................... 174<br />
Tabelle 61: Beurteilung des Risikofaktors ‚formaggressive Front-<br />
partien’............................................................................. 188<br />
Tabelle 62: Beurteilung des Risikofaktors ‚steife Frontpartien’.......... 189<br />
Tabelle 63: Beurteilung des Risikofaktors ‚Frontschutzbügel mas-<br />
siver Bauart’ .................................................................... 190<br />
Tabelle 64: Beurteilung des Risikofaktors ‚starre Lichtkegel’ ............ 191<br />
Tabelle 65: Beurteilung des Risikofaktors ‚dunkle Fahrzeugfarben’.. 193<br />
Tabelle 66: Beurteilung des Risikofaktors ‚mangelhafte<br />
Betriebssicherheit von MFZ’............................................ 194<br />
Tabelle 67: Getötete und Schwerverletzte nach Ortslage und<br />
Unfalltyp, Ø 2000–2004 .................................................. 198<br />
Tabelle 68: Beurteilung des Risikofaktors ‚Fehlende Netzplanung’... 200<br />
Tabelle 69 Beurteilung des Risikofaktors „Querungen“ .................... 205<br />
Tabelle 70: Beurteilung des Risikofaktors ‚Gehen in Längsrichtung’. 208<br />
Tabelle 71: Haddon-Matrix................................................................. 213<br />
Tabelle 72: Präventionsmöglichkeiten zur Reduzierung<br />
entwicklungs- und altersbedingter Defizite und<br />
Rettungspotenzial............................................................ 220<br />
Tabelle 73: Massnahmen zur Reduzierung entwicklungsbedingter<br />
Defizite und Beurteilung .................................................. 223<br />
Tabelle 74: Präventionsmöglichkeiten zur Wissensvermittlung, zur<br />
Förderung sicherheitsbewusster Einstellungen und<br />
eines adäquaten Gefahrenbewusst-seins und<br />
Rettungspotenzial............................................................ 227<br />
Tabelle 75: Massnahmen zur Wissensvermittlung und Förderung<br />
sicherheitsbewusster Einstellungen und Beurteilung...... 230
Tabellenverzeichnis 381<br />
Tabelle 76: Präventionsmöglichkeit ‚Sicherstellung der Fahr-<br />
eignung’ und Rettungspotenzial...................................... 236<br />
Tabelle 77: Massnahmen zu sensomotorischen Beeinträchtigun-<br />
gen und Beurteilung ........................................................ 239<br />
Tabelle 78: Präventionsmöglichkeit ‚Verhinderung substanzbeding-<br />
ter Fahrunfähigkeit’ und Rettungspotenzial .................... 240<br />
Tabelle 79: Massnahmen zur Sicherstellung der Fahrfähigkeit und<br />
Beurteilung ...................................................................... 248<br />
Tabelle 80: Präventionsmöglichkeiten zur Verhinderung endogener<br />
Fahrunfähigkeit bei MFZ-Lenkenden .............................. 249<br />
Tabelle 81: Massnahmen gegen Müdigkeit und Ablenkung und<br />
deren Beurteilung............................................................ 253<br />
Tabelle 82: Präventionsmöglichkeit ‚Sicherstellung der psycholo-<br />
gischen Fahrkompetenz’ und Rettungspotenzial ............ 255<br />
Tabelle 83: Massnahmen zur Förderung der Fahrkompetenz und<br />
Beurteilung ...................................................................... 257<br />
Tabelle 84: Präventionsmöglichkeit ‚fussgängergerechtes<br />
Fahrverhalten der MFZ-Lenkenenden’ und<br />
Rettungspotenzial............................................................ 258<br />
Tabelle 85: Sanktionen in Abhängigkeit der<br />
Geschwindigkeitsüberschreitung und der Ortslage ........ 258<br />
Tabelle 86: Fördermassnahmen für eine adäquate<br />
Geschwindigkeitswahl und Beurteilung........................... 265<br />
Tabelle 87: Präventionsmöglichkeit ‚Vortrittsgewährung am<br />
Fussgängerstreifen und beim Rückwärtsfahren’ und<br />
Rettungspotenzial............................................................ 267<br />
Tabelle 88: Massnahmen zur Förderung der Vortrittsgewährung am<br />
Fussgängerstreifen und beim Rückwärtsfahren sowie<br />
Beurteilung ...................................................................... 270<br />
Tabelle 89: Präventionsmöglichkeit ‚Sicherstellung der<br />
Betriebssicherheit von MFZ’ und Rettungspotenzial....... 273<br />
Tabelle 90: Massnahme zur Förderung der Betriebssicherheit von<br />
MFZ und Beurteilung....................................................... 275<br />
Tabelle 91: Fahrzeugtechnische Präventionsmöglichkeiten zum<br />
Partnerschutz und Rettungspotenzial ............................. 279<br />
Tabelle 92: Massnahmen zur Förderung sicher gestalteter PW-<br />
Fronten und Beurteilung.................................................. 282<br />
Tabelle 93: Präventionsmöglichkeit ‚lichttechnisch optimierter<br />
Frontscheinwerfer’ und Rettungspotenzial...................... 284
382 Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 94: Massnahmen zur Förderung lichttechnischer<br />
Verbesserungen und Beurteilung.................................... 285<br />
Tabelle 95: Fahrzeugtechnische Präventionsmöglichkeiten und<br />
Rettungspotenzial............................................................ 291<br />
Tabelle 96: Massnahmen zur Förderung elektronischer<br />
Unterstützungssysteme und Beurteilung ........................ 293<br />
Tabelle 97: Anforderungen an das <strong>Fussverkehr</strong>snetz ...................... 299<br />
Tabelle 98: Präventionsmöglichkeit ‚Netzplanung’ für den Fuss-<br />
verkehr und Rettungspotenzial ....................................... 300<br />
Tabelle 99: Präventionsmöglichkeit ‚Geschwindigkeitsregime<br />
innerorts’.......................................................................... 308<br />
Tabelle 100: Präventionsmöglichkeit ‚Querung auf zwei Ebenen’....... 312<br />
Tabelle 101: Präventionsmöglichkeit ‚Punktuelle Querung auf einer<br />
Ebene mit Vortritt’............................................................ 333<br />
Tabelle 102: Präventionsmöglichkeit ‚Querung auf einer Ebene ohne<br />
Vortritt’ ............................................................................. 336<br />
Tabelle 103: Präventionsmöglichkeit ‚Flächige Querung’.................... 343<br />
Tabelle 104: Präventionsmöglichkeit ‚Abschnitte entlang von<br />
Strassen innerorts’ .......................................................... 347<br />
Tabelle 105: Präventionsmöglichkeit ‚Abschnitte entlang von<br />
Strassen ausserorts’........................................................ 350<br />
Tabelle 106: Massnahmen zur Förderung der Umsetzung<br />
sicherheitsfördernder Infrastruktur und Beurteilung........ 357
Abbildungsverzeichnis 383<br />
3. Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Beiträge des Wissensmanagements im Problemlösungskreis<br />
der Unfallverhütung ................................................... 4<br />
Abbildung 2: Analyseschritte und Informationsquellen ........................... 6<br />
Abbildung 3 Schematische Darstellung der zwei Grundarten von<br />
Risikofaktoren sowie ihres Zusammenhangs zur<br />
Prävention ........................................................................ 69<br />
Abbildung 4 Getötete Fussgänger pro 1. Mio. Einwohner,<br />
Ø 2000–2004.................................................................... 80<br />
Abbildung 5 Getötete Verkehrsteilnehmende pro 1 Mio. Einwohner,<br />
Ø 2000–2004.................................................................... 81<br />
Abbildung 6 Getötete 10- bis 14-jährige Fussgänger,<br />
expositionsbereinigt.......................................................... 82<br />
Abbildung 7 Summe der schwer verletzten und getöteten Fuss-<br />
gänger nach Verkehrsteilnahme, Ø 2000–2004 .............. 83<br />
Abbildung 8 Summe der Schwerverletzten und Getöteten nach<br />
Verkehrsteilnahme, Ø 1993/94 vs. Ø 2003/04................. 85<br />
Abbildung 9 Summe der Schwerverletzten und Getöteten nach<br />
Verkehrsteilnahme, 2000–2004 ....................................... 86<br />
Abbildung 10 Verletzungsschwere (case fatality) nach Verkehrs-<br />
teilnahme, Ø 2000–2004.................................................. 86<br />
Abbildung 11 Summe der schwer verletzten und getöteten Fuss-<br />
gänger pro 100’000 Einwohner, Ø 2000–2004 ................ 89<br />
Abbildung 12 Getötete Fussgänger pro 10’000 Verunfallte,<br />
Ø 2000–2004.................................................................... 89<br />
Abbildung 13 Summe der schwer verletzten und getöteten Fuss-<br />
gänger pro 100 Mio. Personenkilometer, 2000................ 90<br />
Abbildung 14 Summe der schwer verletzten und getöteten Fuss-<br />
gänger pro 1 Mio. Personenstunden, 2000...................... 91<br />
Abbildung 15 Verletzungslokalisation bei Fussgängern,<br />
Ø 1999–2003.................................................................... 94<br />
Abbildung 16 Verletzungsarten von Fussgängern an unteren<br />
Extremitäten, Ø 1999–2003 ............................................. 94<br />
Abbildung 17 Verletzungsarten von Fussgängern an oberen<br />
Extremitäten, Ø 1999–2003 ............................................. 95
384 Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 18 Verletzungsarten von Fussgängern an Kopf, Gesicht<br />
und Hals, Ø 1999–2003 ................................................... 95<br />
Abbildung 19 Verletzungsarten von Fussgängern am Rumpf,<br />
Ø 1999–2003.................................................................... 96<br />
Abbildung 20 Kollisionsobjekte von schwer und tödlich verletzten<br />
Fussgängern, Ø 2000–2004 ............................................ 97<br />
Abbildung 21 Summe der schwer und tödlich verletzten Fussgänger<br />
und deren Verletzungsschwere nach Kollisionsgegner,<br />
Ø 2000–2004.................................................................... 98<br />
Abbildung 22 Summe der schwer verletzten und getöteten Fuss-<br />
gänger nach Unfallzeit und Alter, Ø 2000–2004 ............ 109<br />
Abbildung 23 Mängelverteilung zwischen schwer verletzten und<br />
getöteten Fussgängern und deren Kollisionsgegnern,<br />
Ø 2000–2004.................................................................. 110<br />
Abbildung 24 Wichtigste Unfallursachen bei schwer verletzten und<br />
getöteten Fussgängern und deren Kollisionsgegnern,<br />
Ø 2000–2004.................................................................. 111<br />
Abbildung 25 Epidemiologisches Modell der Interaktion ..................... 119<br />
Abbildung 26 Anhalteweg bei verschiedenen Geschwindigkeiten....... 149<br />
Abbildung 27 Sterbewahrscheinlichkeit eines Fussgängers in<br />
Abhängigkeit der Kollisionsgeschwindigkeit eines<br />
Motorfahrzeugs .............................................................. 149<br />
Abbildung 28 Relatives Unfallrisiko in Abhängigkeit der<br />
Blutalkoholkonzentration ................................................ 158<br />
Abbildung 29 Quoten verschiedener Drogen im Strassenverkehr<br />
(Deutschland) ................................................................. 159<br />
Abbildung 30: Relatives Verursacherrisiko unter Einfluss verschie-<br />
dener Substanzen .......................................................... 161<br />
Abbildung 31: Trottoirüberfahrt.............................................................. 204<br />
Abbildung 32: Längsstreifen für Fussgänger: die Platzverhältnisse<br />
verändern sich nicht – Sicherheit wird vorgetäuscht...... 207<br />
Abbildung 33: Motorhaube mit Sicherheitsfunktion im aktivierten<br />
(angehobenen) Zustand................................................. 277<br />
Abbildung 34: Sicherheitsgewinn durch aktive Motorhauben<br />
(Kollisionsgeschwindigkeit: 40 km/h) ............................. 277<br />
Abbildung 35: Aussenairbags................................................................ 278<br />
Abbildung 36: Sicherheitsgewinn durch Aussenairbags ....................... 278
Abbildungsverzeichnis 385<br />
Abbildung 37: Beispiel für strukturelle Fahrzeugoptimierungen zur<br />
Herabsetzung der Verletzungsschwere ......................... 279<br />
Abbildung 38: Lichtkegel von statischem Kurvenlicht ........................... 283<br />
Abbildung 39: Einfluss von verschmutzten Scheinwerfern auf die<br />
Fahrsicherheit................................................................. 284<br />
Abbildung 40: Bremsverzögerung beim Bremsassistenten .................. 289<br />
Abbildung 41: Kollisionsgeschwindigkeit mit und ohne Brems-<br />
assistent ......................................................................... 289<br />
Abbildung 42: Markierungen und Signale gelten als signalisationstechnische<br />
Elemente...................................................... 297<br />
Abbildung 43: Tor zu einer siedlungsorientierten Strasse .................... 304<br />
Abbildung 44: Wechselseitiges Parken................................................. 305<br />
Abbildung 45: Rechtsvortrittsmarkierung .............................................. 305<br />
Abbildung 46: Tempo-30-Signet............................................................ 305<br />
Abbildung 47: Aufgepflasterter Kreuzungsbereich................................ 306<br />
Abbildung 48: Ortsdurchfahrt mit Verkehrsstreifen in Fahrbahnmitte ... 306<br />
Abbildung 49: Torwirkung...................................................................... 307<br />
Abbildung 50: Kammerung des Strassenraums.................................... 307<br />
Abbildung 51: Verzahnung von Strassenräumen.................................. 308<br />
Abbildung 52: Attraktive Führung des <strong>Fussverkehr</strong>s auf zwei<br />
Ebenen – Überführung an Hanglage ............................. 311<br />
Abbildung 53: Attraktive Führung des <strong>Fussverkehr</strong>s auf zwei<br />
Ebenen – Unterführung in Einschnitt ............................. 311<br />
Abbildung 54: Fussgängerstreifen ........................................................ 316<br />
Abbildung 55: Fussgängerschutzinsel .................................................. 320<br />
Abbildung 56: Fussgängerstreifen- Beleuchtung ................................. 320<br />
Abbildung 57: Fussgängerstreifen über zu viele Spuren ...................... 320<br />
Abbildung 58: Fussgängerstreifen mit ungenügender Sicht ................ 321<br />
Abbildung 59: Signal „Standort eines Fussgängerstreifens“................. 322<br />
Abbildung 60: Der Fahrzeugstrom ist mächtig – den Fussgängern<br />
wird das Vortrittsrecht kaum zugestanden..................... 323
386 Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 61: Der <strong>Fussverkehr</strong>sstrom ist mächtig – dem<br />
motorisierten Individualverkehr wird das Vortrittsrecht<br />
kaum zugestanden......................................................... 324<br />
Abbildung 62: Fussgängerlichtsignalanlage.......................................... 327<br />
Abbildung 63: Trottoirüberfahrt ............................................................. 332<br />
Abbildung 64: Querung ohne Vortritt, gesichert mit Fussgänger-<br />
schutzinsel...................................................................... 335<br />
Abbildung 65: Minimal-Lösung – Kennzeichnung einer optimalen<br />
Querungsstelle ............................................................... 336<br />
Abbildung 66: Übergangsbereich zu einer Begegnungszone............... 339<br />
Abbildung 67: Infrastrukturelemente innerhalb einer Begegnungs-<br />
zone................................................................................ 339<br />
Abbildung 68: Gestaltung mittels Belagswechsel ................................. 340<br />
Abbildung 69: Verkehrsstreifen in Fahrbahnmitte – unüberfahrbar ...... 341<br />
Abbildung 70: Verkehrsstreifen in Fahrbahnmitte – teilweise über-<br />
fahrbar ............................................................................ 342<br />
Abbildung 71: Verkehrsstreifen in Fahrbahnmitte – vollständig über-<br />
fahrbar ............................................................................ 342<br />
Abbildung 72: Monoton gestaltetes Trottoir – beschleunigende<br />
Wirkung .......................................................................... 345<br />
Abbildung 73: Verzahnung des Trottoirs mit den angrenzenden<br />
Flächen........................................................................... 345<br />
Abbildung 74: Notlösung: Längsstreifen für Fussgänger ...................... 345<br />
Abbildung 75: Fussgängerschutz entlang einer siedlungsorientierten<br />
Strasse ........................................................................... 346<br />
Abbildung 76: Trottoir ausserorts .......................................................... 348<br />
Abbildung 77: Fussweg ausserorts ....................................................... 349<br />
Abbildung 78: Signal „Fussweg“............................................................ 349<br />
Abbildung 79: Trampelpfad ................................................................... 350
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 387<br />
X. ANHANG<br />
1. Geltendes Schweizer Recht<br />
1.1 Strassenverkehrsgesetz (SVG) vom 19. Dezember 1958<br />
(Stand am 21. Dezember 2004), SR 741.01<br />
Art. 12 Typengenehmigung<br />
1 Serienmässig hergestellte Motorfahrzeuge und Motorfahrzeuganhänger unterliegen<br />
der Typengenehmigung. Der Bundesrat kann ferner der Typengenehmigung<br />
unterstellen:<br />
a. Bestandteile und Ausrüstungsgegenstände für Motorfahrzeuge und Fahrräder;<br />
b. Vorrichtungen für andere Fahrzeuge, soweit die Verkehrssicherheit es erfordert;<br />
c. Schutzvorrichtungen für die Benützer von Fahrzeugen.<br />
2 Fahrzeuge und Gegenstände, die der Typengenehmigung unterliegen, dürfen<br />
nur in der genehmigten Ausführung in den Handel gebracht werden.<br />
3 Der Bundesrat kann auf eine schweizerische Typengenehmigung von Motorfahrzeugen<br />
und Motorfahrzeuganhängern verzichten, wenn:<br />
a. eine ausländische Typengenehmigung vorliegt, die aufgrund von Ausrüstungs-<br />
und Prüfvorschriften erteilt worden ist, welche den in der Schweiz<br />
geltenden gleichwertig sind; und<br />
b. die vom Bund und den Kantonen benötigten Daten zur Verfügung stehen.<br />
4 Der Bundesrat bestimmt die Stellen, die für die Prüfung, die Datenerhebung,<br />
die Genehmigung und die nachträgliche Überprüfung zuständig sind; er regelt das<br />
Verfahren und setzt die Gebühren fest.<br />
Art. 14<br />
Lernfahr- und Führerausweis<br />
1<br />
Der Führerausweis wird erteilt, wenn die amtliche Prüfung ergeben hat, dass<br />
der Bewerber die Verkehrsregeln kennt und Fahrzeuge der Kategorie, für die der<br />
Ausweis gilt, sicher zu führen versteht. Motorradfahrer sind vor Erteilung des<br />
Lernfahrausweises über die Verkehrsregeln zu prüfen.<br />
2<br />
Lernfahr- und Führerausweis dürfen nicht erteilt werden, wenn der Bewerber<br />
a. das vom Bundesrat festgesetzte Mindestalter noch nicht erreicht hat;<br />
b. nicht über eine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, die zum<br />
sicheren Führen von Motorfahrzeugen ausreicht;<br />
c. an einer die Fahreignung ausschliessenden Sucht leidet;<br />
d. nach seinem bisherigen Verhalten nicht Gewähr bietet, dass er als<br />
Motorfahrzeugführer die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen<br />
Rücksicht nehmen würde.<br />
2bis<br />
Wer ein Motorfahrzeug geführt hat, ohne einen Führerausweis zu besitzen,<br />
erhält während mindestens sechs Monaten nach der Widerhandlung weder<br />
Lernfahr- noch Führerausweis. Erreicht die Person das Mindestalter erst nach der<br />
Widerhandlung, so beginnt die Sperrfrist ab diesem Zeitpunkt.<br />
3<br />
Bestehen Bedenken über die Eignung eines Führers, so ist er einer neuen<br />
Prüfung zu unterwerfen.<br />
4<br />
Jeder Arzt kann Personen, die wegen körperlicher oder geistiger Krankheiten<br />
oder Gebrechen oder wegen Süchten zur sicheren Führung von Motorfahrzeugen<br />
nicht fähig sind, der Aufsichtsbehörde für Ärzte und der für Erteilung und Entzug<br />
des Führerausweises zuständigen Behörde melden.<br />
Art. 16a Verwarnung oder Führerausweisentzug nach einer leichten<br />
Widerhandlung<br />
1 Eine leichte Widerhandlung begeht, wer:
388 Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht<br />
a. durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit<br />
anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft;<br />
b. in angetrunkenem Zustand, jedoch nicht mit einer qualifizierten Blutalkoholkonzentration<br />
(Art. 55 Abs. 6) ein Motorfahrzeug lenkt und dabei keine anderen<br />
Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften begeht.<br />
2 Nach einer leichten Widerhandlung wird der Lernfahr- oder Führerausweis für<br />
mindestens einen Monat entzogen, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren<br />
der Ausweis entzogen war oder eine andere Administrativmassnahme verfügt<br />
wurde.<br />
3 Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren<br />
der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme<br />
verfügt wurde.<br />
4 In besonders leichten Fällen wird auf jegliche Massnahme verzichtet.<br />
Art. 16b Führerausweisentzug nach einer mittelschweren Widerhandlung<br />
1<br />
Eine mittelschwere Widerhandlung begeht, wer:<br />
a. durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer<br />
hervorruft oder in Kauf nimmt;<br />
b. in angetrunkenem Zustand, jedoch mit einer nicht qualifizierten Blutalkoholkonzentration<br />
(Art. 55 Abs. 6) ein Motorfahrzeug lenkt und dabei zusätzlich<br />
eine leichte Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften begeht;<br />
c. ein Motorfahrzeug führt, ohne den Führerausweis für die entsprechende<br />
Kategorie zu besitzen;<br />
d. ein Motorfahrzeug zum Gebrauch entwendet hat.<br />
2<br />
Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Lernfahr- oder Führerausweis<br />
entzogen für:<br />
a. mindestens einen Monat;<br />
b. mindestens vier Monate, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der<br />
Ausweis einmal wegen einer schweren oder mittelschweren Widerhandlung<br />
entzogen war;<br />
c. mindestens neun Monate, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der<br />
Ausweis zweimal wegen mindestens mittelschweren Widerhandlungen<br />
entzogen war;<br />
d. mindestens 15 Monate, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der<br />
Ausweis zweimal wegen schweren Widerhandlungen entzogen war;<br />
e. unbestimmte Zeit, mindestens aber für zwei Jahre, wenn in den vorangegangenen<br />
zehn Jahren der Ausweis dreimal wegen mindestens mittelschweren<br />
Widerhandlungen entzogen war; auf diese Massnahme wird verzichtet,<br />
wenn die betroffene Person während mindestens fünf Jahren nach<br />
Ablauf eines Ausweisentzugs keine Widerhandlung, für die eine Administrativmassnahme<br />
ausgesprochen wurde, begangen hat;<br />
f. immer, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis nach<br />
Buchstabe e oder Artikel 16c Absatz 2 Buchstabe d entzogen war.<br />
Art. 16c Führerausweisentzug nach einer schweren Widerhandlung<br />
1<br />
Eine schwere Widerhandlung begeht, wer:<br />
a. durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die<br />
Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt;<br />
b. in angetrunkenem Zustand mit einer qualifizierten Blutalkoholkonzentration<br />
(Art. 55 Abs. 6) ein Motorfahrzeug führt;<br />
c. wegen Betäubungs- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen<br />
fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Motorfahrzeug führt;<br />
d. sich vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalkoholprobe oder einer anderen<br />
vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung, die angeordnet wurde<br />
oder mit deren Anordnung gerechnet werden muss, oder einer zusätzlichen<br />
ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzieht oder den Zweck<br />
dieser Massnahmen vereitelt;<br />
e. nach Verletzung oder Tötung eines Menschen die Flucht ergreift;<br />
f. ein Motorfahrzeug trotz Ausweisentzug führt.<br />
2<br />
Nach einer schweren Widerhandlung wird der Lernfahr- oder Führerausweis<br />
entzogen für:<br />
a. mindestens drei Monate;<br />
b. mindestens sechs Monate, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 389<br />
Ausweis einmal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen war;<br />
c. mindestens zwölf Monate, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der<br />
Ausweis einmal wegen einer schweren Widerhandlung oder zweimal wegen<br />
mittelschweren Widerhandlungen entzogen war;<br />
d. unbestimmte Zeit, mindestens aber für zwei Jahre, wenn in den vorangegangenen<br />
zehn Jahren der Ausweis zweimal wegen schweren Widerhandlungen<br />
oder dreimal wegen mindestens mittelschweren Widerhandlungen<br />
entzogen war; auf diese Massnahme wird verzichtet, wenn die betroffene<br />
Person während mindestens fünf Jahren nach Ablauf eines Ausweisentzugs<br />
keine Widerhandlung, für die eine Administrativmassnahme<br />
ausgesprochen wurde, begangen hat;<br />
e. immer, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis nach<br />
Buchstabe d oder Artikel 16b Absatz 2 Buchstabe e entzogen war.<br />
3 Die Dauer des Ausweisentzugs wegen einer Widerhandlung nach Absatz 1<br />
Buchstabe f tritt an die Stelle der noch verbleibenden Dauer des laufenden Entzugs.<br />
4 Hat die betroffene Person trotz eines Entzugs nach Artikel 16d ein Motorfahrzeug<br />
geführt, so wird eine Sperrfrist verfügt; diese entspricht der für die Widerhandlung<br />
vorgesehenen Mindestentzugsdauer.<br />
Art. 16d<br />
Führerausweisentzug wegen fehlender Fahreignung<br />
1<br />
Der Lernfahr- oder Führerausweis wird einer Person auf unbestimmte Zeit<br />
entzogen, wenn:<br />
a. ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr<br />
ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen;<br />
b. sie an einer Sucht leidet, welche die Fahreignung ausschliesst;<br />
c. sie auf Grund ihres bisherigen Verhaltens nicht Gewähr bietet, dass sie<br />
künftig beim Führen eines Motorfahrzeuges die Vorschriften beachten und<br />
auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen wird.<br />
2<br />
Tritt der Entzug nach Absatz 1 an die Stelle eines Entzugs nach den Artikeln<br />
16a–c, wird damit eine Sperrfrist verbunden, die bis zum Ablauf der für die<br />
begangene Widerhandlung vorgesehenen Mindestentzugsdauer läuft.<br />
3<br />
Unverbesserlichen wird der Ausweis für immer entzogen.<br />
Art. 17<br />
Wiedererteilung der Führerausweise<br />
1 Der auf bestimmte Zeit entzogene Lernfahr- oder Führerausweis kann<br />
frühestens drei Monate vor Ablauf der verfügten Entzugsdauer wiedererteilt<br />
werden, wenn die betroffene Person an einer von der Behörde anerkannten<br />
Nachschulung teilgenommen hat. Die Mindestentzugsdauer darf nicht<br />
unterschritten werden.<br />
2 Der für mindestens ein Jahr entzogene Lernfahr- oder Führerausweis kann<br />
bedingt und unter Auflagen wiedererteilt werden, wenn das Verhalten der<br />
betroffenen Person zeigt, dass die Administrativmassnahme ihren Zweck erfüllt<br />
hat. Die Mindestentzugsdauer und zwei Drittel der verfügten Entzugsdauer<br />
müssen jedoch abgelaufen sein.<br />
3 Der auf unbestimmte Zeit entzogene Lernfahr- oder Führerausweis kann<br />
bedingt und unter Auflagen wiedererteilt werden, wenn eine allfällige gesetzliche<br />
oder verfügte Sperrfrist abgelaufen ist und die betroffene Person die Behebung<br />
des Mangels nachweist, der die Fahreignung ausgeschlossen hat.<br />
4 Der für immer entzogene Führerausweis kann nur unter den Bedingungen des<br />
Artikels 23 Absatz 3 wiedererteilt werden.<br />
5 Missachtet die betroffene Person die Auflagen oder missbraucht sie in anderer<br />
Weise das in sie gesetzte Vertrauen, so ist der Ausweis wieder zu entziehen.<br />
Art. 31 Beherrschen des Fahrzeuges<br />
1<br />
Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten<br />
nachkommen kann.<br />
2<br />
Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus<br />
anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit<br />
verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug<br />
führen.1<br />
3<br />
Der Führer hat dafür zu sorgen, dass er weder durch die Ladung noch auf an-
390 Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht<br />
dere Weise behindert wird. Mitfahrende dürfen ihn nicht behindern oder stören.<br />
Art. 32 Geschwindigkeit<br />
1<br />
Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den<br />
Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen—, Verkehrs- und<br />
Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu<br />
fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor<br />
nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.<br />
2<br />
Der Bundesrat beschränkt die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen<br />
Strassen.<br />
3<br />
Die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit kann für bestimmte<br />
Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur auf Grund eines Gutachtens<br />
herab- oder heraufgesetzt werden. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.<br />
Art. 33<br />
Pflichten gegenüber Fussgängern<br />
1<br />
Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise<br />
zu ermöglichen.1<br />
2<br />
Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren<br />
und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich<br />
schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.2<br />
3<br />
An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende<br />
Personen Rücksicht zu nehmen.<br />
Art. 34 Rechtsfahren<br />
1 Fahrzeuge müssen rechts, auf breiten Strassen innerhalb der rechten Fahrbahnhälfte<br />
fahren. Sie haben sich möglichst an den rechten Strassenrand zu halten,<br />
namentlich bei langsamer Fahrt und auf unübersichtlichen Strecken.<br />
2 Auf Strassen mit Sicherheitslinien ist immer rechts dieser Linien zu fahren.<br />
3 Der Führer, der seine Fahrrichtung ändern will, wie zum Abbiegen, Überholen,<br />
Einspuren und Wechseln des Fahrstreifens, hat auf den Gegenverkehr und auf die<br />
ihm nachfolgenden Fahrzeuge Rücksicht zu nehmen.<br />
4 Gegenüber allen Strassenbenützern ist ausreichender Abstand zu wahren,<br />
namentlich beim Kreuzen und Überholen sowie beim Neben- und Hintereinanderfahren.<br />
Art. 35 Kreuzen, Überholen<br />
1<br />
Es ist rechts zu kreuzen, links zu überholen.<br />
2<br />
Überholen und Vorbeifahren an Hindernissen ist nur gestattet, wenn der nötige<br />
Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Im<br />
Kolonnenverkehr darf nur überholen, wer die Gewissheit hat, rechtzeitig und ohne<br />
Behinderung anderer Fahrzeuge wieder einbiegen zu können.<br />
3<br />
Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die<br />
er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.<br />
4<br />
In unübersichtlichen Kurven, auf und unmittelbar vor Bahnübergängen ohne<br />
Schranken sowie vor Kuppen darf nicht überholt werden, auf Strassenverzweigungen<br />
nur, wenn sie übersichtlich sind und das Vortrittsrecht anderer nicht beeinträchtigt<br />
wird.<br />
5<br />
Fahrzeuge dürfen nicht überholt werden, wenn der Führer die Absicht anzeigt,<br />
nach links abzubiegen, oder wenn er vor einem Fussgängerstreifen anhält, um<br />
Fussgängern das Überqueren der Strasse zu ermöglichen.<br />
6<br />
Fahrzeuge, die zum Abbiegen nach links eingespurt haben, dürfen nur rechts<br />
überholt werden.<br />
7<br />
Dem sich ankündigenden, schneller fahrenden Fahrzeug ist die Strasse zum<br />
Überholen freizugeben. Wer überholt wird, darf die Geschwindigkeit nicht erhöhen.<br />
Art. 36 Einspuren, Vortritt<br />
…<br />
4 Der Führer, der sein Fahrzeug in den Verkehr einfügen, wenden oder<br />
rückwärts fahren will, darf andere Strassenbenützer nicht behindern; diese haben<br />
den Vortritt.
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 391<br />
Art. 49<br />
Fussgänger<br />
1 Fussgänger müssen die Trottoirs benützen. Wo solche fehlen, haben sie am<br />
Strassenrand und, wenn besondere Gefahren es erfordern, hintereinander zu<br />
gehen. Wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben sie sich an den<br />
linken Strassenrand zu halten, namentlich ausserorts in der Nacht.<br />
2 Die Fussgänger haben die Fahrbahn vorsichtig und auf dem kürzesten Weg zu<br />
überschreiten, nach Möglichkeit auf einem Fussgängerstreifen. Sie haben den<br />
Vortritt auf diesem Streifen, dürfen ihn aber nicht überraschend betreten.<br />
Art. 55 Feststellung der Fahrunfähigkeit<br />
1<br />
Fahrzeugführer sowie an Unfällen beteiligte Strassenbenützer können einer<br />
Atemalkoholprobe unterzogen werden.<br />
2<br />
Weist die betroffene Person Anzeichen von Fahrunfähigkeit auf und sind diese<br />
nicht oder nicht allein auf Alkoholeinfluss zurückzuführen, so kann sie weiteren<br />
Voruntersuchungen, namentlich Urin- und Speichelproben unterzogen werden.<br />
3<br />
Eine Blutprobe ist anzuordnen, wenn:<br />
a. Anzeichen von Fahrunfähigkeit vorliegen; oder<br />
b. die betroffene Person sich der Durchführung der Atemalkoholprobe widersetzt<br />
oder entzieht oder den Zweck dieser Massnahme vereitelt.<br />
4<br />
Die Blutprobe kann aus wichtigen Gründen auch gegen den Willen der verdächtigten<br />
Person abgenommen werden. Andere Beweismittel für die Feststellung<br />
der Fahrunfähigkeit bleiben vorbehalten.<br />
5<br />
Das kantonale Recht bestimmt, wer für die Anordnung der Massnahmen zuständig<br />
ist.<br />
6<br />
Die Bundesversammlung legt in einer Verordnung fest, bei welcher Blutalkoholkonzentration<br />
unabhängig von weiteren Beweisen und individueller Alkoholverträglichkeit<br />
Fahrunfähigkeit im Sinne dieses Gesetzes angenommen wird (Angetrunkenheit)<br />
und welche Blutalkoholkonzentration als qualifiziert gilt.<br />
7<br />
Der Bundesrat:<br />
a. kann für andere die Fahrfähigkeit herabsetzende Substanzen festlegen, bei<br />
welchen Konzentrationen im Blut unabhängig von weiteren Beweisen und<br />
individueller Verträglichkeit Fahrunfähigkeit im Sinne dieses Gesetzes<br />
angenommen wird;<br />
b. erlässt Vorschriften über die Voruntersuchungen (Abs. 2), das Vorgehen<br />
bei der Atemalkohol- und der Blutprobe, die Auswertung dieser Proben und<br />
die zusätzliche ärztliche Untersuchung der der Fahrunfähigkeit<br />
verdächtigten Person;<br />
c. kann vorschreiben, dass zur Feststellung einer Sucht, welche die Fahreignung<br />
einer Person herabsetzt, nach diesem Artikel gewonnene Proben, namentlich<br />
Blut-, Haar- und Nagelproben, ausgewertet werden.<br />
Art. 91 Fahren in fahrunfähigem Zustand<br />
1<br />
Wer in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug führt, wird mit Haft oder mit<br />
Busse bestraft. Die Strafe ist Gefängnis oder Busse, wenn eine qualifizierte Blutalkoholkonzentration<br />
(Art. 55 Abs. 6) vorliegt.<br />
2<br />
Wer aus anderen Gründen fahrunfähig ist und ein Motorfahrzeug führt, wird<br />
mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.<br />
3<br />
Wer in fahrunfähigem Zustand ein motorloses Fahrzeug führt, wird mit Haft<br />
oder mit Busse bestraft.<br />
1.2 Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge<br />
(VTS) vom 19. Juni 1995 (Stand am 8. März 2005),<br />
SR 741.41<br />
Art. 33 Periodische Prüfungspflicht<br />
1 Alle mit Kontrollschildern zugelassenen Fahrzeuge unterliegen der amtlichen,<br />
periodischen Nachprüfung. Die Zulassungsbehörde kann diese Nachprüfungen
392 Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht<br />
Betrieben oder Organisationen übertragen, welche für die vorschriftsgemässe<br />
Durchführung Gewähr bieten.<br />
1bis<br />
Die Nachprüfung umfasst:<br />
a. die Identifikation des Fahrzeugs;<br />
b. die Bremsanlagen;<br />
c. die Lenkvorrichtung;<br />
d. die Sichtverhältnisse;<br />
e. die Beleuchtungseinrichtungen und die elektrische Anlage;<br />
f. die Fahrgestelle, Achsen, Räder, Reifen und Aufhängungen;<br />
g. die übrigen Ein- und Vorrichtungen;<br />
h. das Emissionsverhalten.<br />
2<br />
Es gelten folgende Prüfungsintervalle:<br />
a. erstmals ein Jahr nach der ersten Inverkehrsetzung, dann jährlich:<br />
1. Fahrzeuge zum berufsmässigen Personentransport, ausgenommen<br />
Fahrzeuge, die nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe d ARV 2 verwendet<br />
werden,<br />
2. Gesellschaftswagen,<br />
3. Anhänger zum Personentransport,<br />
4. Lastwagen sowie Sattelschlepper mit einem Gesamtgewicht über 3,5 t,<br />
5. Sachentransportanhänger mit einem Gesamtgewicht über 3,5 t,<br />
6. Fahrzeuge zum Transport gefährlicher Güter, für die gemäss SDR eine<br />
jährliche Nachprüfung erforderlich ist;<br />
b. erstmals vier Jahre nach der ersten Inverkehrsetzung, anschliessend nach<br />
drei Jahren, dann alle zwei Jahre:<br />
1. Motorräder,<br />
2. Leicht-, Klein- und dreirädrige Motorfahrzeuge,<br />
3. leichte und schwere Personenwagen,<br />
4. Kleinbusse,<br />
5. Lieferwagen,<br />
6. Sattelschlepper mit einem Gesamtgewicht bis 3,5 t,<br />
7. Wohnmotorwagen und Fahrzeuge mit aufgebautem Nutzraum,<br />
8. Sachentransportanhänger mit einem Gesamtgewicht bis 3,5 t sowie die<br />
übrigen Anhänger aller Fahrzeugarten nach den Ziffern 1–7;<br />
c. erstmals fünf Jahre nach der ersten Inverkehrsetzung, anschliessend alle<br />
drei Jahre, folgende mit Kontrollschildern versehene Fahrzeuge:<br />
1. Motorkarren,<br />
2. Traktoren,<br />
3. Arbeitsmotorfahrzeuge,<br />
4. landwirtschaftliche Fahrzeuge,<br />
5. Motoreinachser,<br />
6. Anhänger aller dieser Fahrzeugarten,<br />
7. Arbeitsanhänger, ausgenommen die Anhänger der Feuerwehr und des<br />
Zivilschutzes;<br />
d. bei einem Halter- oder Halterinnenwechsel sind Fahrzeuge nach den Buchstaben<br />
b und c zu prüfen, wenn die letzte Prüfung mehr als ein Jahr und<br />
die erste Inverkehrsetzung mehr als zehn Jahre zurückliegt.<br />
3<br />
Auf Wunsch des Halters oder der Halterin kann jedes Fahrzeug auch ausserhalb<br />
der in Absatz 2 aufgeführten Prüfungsintervalle nachgeprüft werden.<br />
4<br />
Die Zulassungsbehörde kann auch bei Motorfahrrädern Nachprüfungen durchführen.<br />
…<br />
Art. 34 Ausserordentliche Prüfungspflicht<br />
1 Die Polizei meldet der Zulassungsbehörde Fahrzeuge, die bei Unfällen starke<br />
Schäden erlitten haben oder bei Kontrollen erhebliche Mängel aufwiesen. Diese<br />
müssen nachgeprüft werden.<br />
2 Der Halter oder die Halterin hat der Zulassungsbehörde Änderungen an den<br />
Fahrzeugen zu melden. Geänderte Fahrzeuge sind vor der Weiterverwendung<br />
nachzuprüfen. Namentlich betrifft dies:<br />
a. Änderungen der Fahrzeugeinteilung;<br />
b. Änderungen der Abmessungen, des Achsabstands, der Spurweite, der<br />
Gewichte;<br />
c. Eingriffe, die die Abgas- oder Geräuschemissionen verändern. Hierbei ist<br />
nachzuweisen, dass die bei der ersten Inverkehrsetzung gültigen Vor-
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 393<br />
…<br />
schriften über Abgase und Geräusche eingehalten sind;<br />
d. nicht für den Fahrzeugtyp genehmigte Auspuffanlagen;<br />
e. Änderungen an der Kraftübertragung (Getriebe- und Achsübersetzung);<br />
f. nicht für den Fahrzeugtyp genehmigte Räder;<br />
g. Änderungen der Lenkanlage, der Bremsanlage;<br />
h. das Anbringen einer Anhängevorrichtung;<br />
i. das Ausserbetriebsetzen von Rückhaltesystemen oder Teilen davon (z. B.<br />
Airbag, Gurtstraffer), soweit dies nicht vom Hersteller oder von der<br />
Herstellerin vorgesehen ist, vom Führer oder von der Führerin selbst vorgenommen<br />
werden kann und jeweils angezeigt wird;<br />
j. das Nichtinstandsetzen von defekten oder nicht betriebsfähigen Rückhaltesystemen<br />
oder Teilen davon (z.B. Airbag, Gurtstraffer);<br />
k. alle weiteren wesentlichen Änderungen.<br />
Art. 104 Radabdeckungen, seitliche Schutzvorrichtungen, Unterfahrschutz<br />
Radabdeckungen, Frontpartie, seitliche Schutzvorrichtungen, Unterfahrschutz<br />
1<br />
Der Aufbau bzw. die Kotflügel müssen bei Fahrzeugen der Klasse M1 bei<br />
Geradeausfahrt die ganze Breite der Reifenlauffläche oben und nach hinten bis<br />
15,00 cm über die Höhe der Achsmitte decken.<br />
1bis<br />
Die Frontpartie muss bei Fahrzeugen der Klasse M1 mit einem Gesamtgewicht<br />
von höchstens 2,50 t und bei jedem von einem Fahrzeug der Klasse M1<br />
abgeleiteten Fahrzeug der Klasse N1 mit einem Gesamtgewicht von höchstens<br />
2,50 t den Anforderungen der Richtlinie Nr. 2003/102/EG des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 zum Schutz von Fussgängern<br />
und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern vor und bei Kollisionen mit<br />
Kraftfahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie Nr. 70/156/EWG des Rates<br />
entsprechen.<br />
2<br />
Lastwagen der Klassen N2 und N3 müssen mit einer seitlichen Schutzvorrichtung<br />
nach den Anforderungen des Anhangs der Richtlinie Nr. 89/297 des Rates<br />
vom 13. April 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten<br />
über seitliche Schutzvorrichtungen (Seitenschutz) bestimmter Kraftfahrzeuge und<br />
Kraftfahrzeuganhänger oder den Ziffern 6–8 des ECE-Reglements Nr. 73 ausgerüstet<br />
sein.<br />
3<br />
Von Absatz 2 ausgenommen sind:<br />
a. Motorwagen mit seitlich kippbarem Aufbau, wenn die Innenlänge des nutzbaren<br />
Laderaumes nicht mehr als 7,50 m beträgt; bei Motorwagen mit einseitig<br />
kippbarem Aufbau müssen auf der nicht kippbaren Seite seitliche<br />
Schutzvorrichtungen vorhanden sein;<br />
b. Motorwagen, bei denen die Zulassungsbehörde im Einzelfall eine Ausnahme<br />
gestattet, weil das Anbringen von seitlichen Schutzvorrichtungen<br />
aus technischen oder betrieblichen Gründen nicht möglich ist;<br />
c. Militärfahrzeuge.<br />
4<br />
Fahrzeuge der Klassen M und N müssen mit einem hinteren Unterfahrschutz<br />
nach den Anforderungen des Anhangs II der Richtlinie Nr. 70/221 des Rates vom<br />
20. März 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über<br />
die Behälter für flüssigen Treibstoff und den Unterfahrschutz von Kraftfahrzeugen<br />
und Kraftfahrzeuganhängern oder der Ziffer 7 des ECE-Reglementes Nr. 58 ausgerüstet<br />
sein.<br />
5<br />
Von Absatz 4 ausgenommen sind:<br />
a. Motorkarren;<br />
b. Sattelschlepper;<br />
c. Motorwagen, bei denen die Zulassungsbehörde im Einzelfall eine Ausnahme<br />
gestattet, weil das Anbringen eines hinteren Unterfahrschutzes aus<br />
technischen oder betrieblichen Gründen nicht möglich ist;<br />
d. Militärfahrzeuge.<br />
6<br />
Fahrzeuge der Klassen N2 und N3 müssen mit einem vorderen Unterfahrschutz<br />
nach den Anforderungen der Richtlinie Nr. 2000/40 des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften<br />
der Mitgliedstaaten über den vorderen Unterfahrschutz von Kraftfahrzeugen<br />
und zur Änderung der Richtlinie Nr. 70/156/EWG des Rates oder nach dem<br />
ECE-Reglement Nr. 93 ausgerüstet sein.<br />
7<br />
Von Absatz 6 ausgenommen sind:<br />
a. Motorkarren;
394 Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht<br />
b. Geländefahrzeuge (Art. 12 Abs. 3);<br />
c. Motorwagen, bei denen die Zulassungsbehörde im Einzelfall eine Ausnahme<br />
gestattet, weil das Anbringen eines vorderen Unterfahrschutzes aus<br />
technischen oder betrieblichen Gründen nicht möglich ist.<br />
1.3 Verkehrsregelnverordnung (VRV) vom 13. November 1962<br />
(Stand am 21. Dezember 2004), SR 741.11<br />
Art. 2 Zustand des Führers (Art. 31 Abs. 2 und 55 Abs. 1 SVG)<br />
1<br />
Wer wegen Übermüdung, Einwirkung von Alkohol, Medikamenten oder Drogen<br />
oder aus einem andern Grund nicht fahrfähig ist, darf kein Fahrzeug führen.<br />
2<br />
Fahrunfähigkeit gilt als erwiesen, wenn im Blut des Fahrzeuglenkers nachgewiesen<br />
wird:<br />
a. Tetrahydrocannabinol (Cannabis);<br />
b. freies Morphin (Heroin/Morphin);<br />
c. Kokain;<br />
d. Amphetamin (Amphetamin);<br />
e. Methamphetamin;<br />
f. MDEA (Methylendioxyethylamphetamin); oder<br />
g. MDMA (Methylendioxymethamphetamin).<br />
2bis<br />
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) erlässt nach Rücksprache mit Fachexperten<br />
Weisungen über den Nachweis der Substanzen nach Absatz 2.<br />
2ter<br />
Für Personen, die nachweisen können, dass sie eine oder mehrere der in<br />
Absatz 2 aufgeführten Substanzen gemäss ärztlicher Verschreibung einnehmen,<br />
gilt Fahrunfähigkeit nicht bereits beim Nachweis einer Substanz nach Absatz 2 als<br />
erwiesen.<br />
3<br />
Niemand darf ein Fahrzeug einem Führer überlassen, der nicht fahrfähig ist.<br />
4<br />
Den Führern, die berufsmässige Personentransporte durchführen, ist der Genuss<br />
alkoholischer Getränke während der Arbeitszeit und innert 6 Stunden vor<br />
Beginn der Arbeit untersagt.<br />
Art. 3 Bedienung des Fahrzeugs (Art. 31 Abs. 1 SVG)<br />
1 Der Fahrzeugführer muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr<br />
zuwenden. Er darf beim Fahren keine Verrichtung vornehmen, welche die Bedienung<br />
des Fahrzeugs erschwert. Er hat ferner dafür zu sorgen, dass seine Aufmerksamkeit<br />
weder durch Radio noch andere Tonwiedergabegeräte beeinträchtigt<br />
wird.<br />
…<br />
Art. 4 Angemessene Geschwindigkeit (Art. 32 Abs. 1 SVG)<br />
1<br />
Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren<br />
Strecke halten kann; wo das Kreuzen schwierig ist, muss er auf halbe<br />
Sichtweite halten können.<br />
2<br />
Er hat langsam zu fahren, wo die Strasse verschneit, vereist, mit nassem Laub<br />
oder mit Splitt bedeckt ist, besonders wenn Anhänger mitgeführt werden.<br />
3<br />
Er muss die Geschwindigkeit mässigen und nötigenfalls halten, wenn Kinder<br />
im Strassenbereich nicht auf den Verkehr achten.<br />
4<br />
Bei der Begegnung mit Tierfuhrwerken und Tieren hat er so zu fahren, dass<br />
die Tiere nicht erschreckt werden.<br />
5<br />
Der Fahrzeugführer darf ohne zwingende Gründe nicht so langsam fahren,<br />
dass er einen gleichmässigen Verkehrsfluss hindert.<br />
Art. 6 Verhalten gegenüber Fussgängern und Benützern von<br />
fahrzeugähnlichen Geräten (Art. 33 SVG)<br />
1 Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeugführer<br />
jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen Gerätes, der sich<br />
bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn<br />
überqueren will, den Vortritt gewähren. Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig<br />
mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen kann.
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 395<br />
2 Bei Verzweigungen mit Verkehrsregelung haben abbiegende Fahrzeugführer<br />
den Fussgängern oder Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten für das<br />
Überqueren der Querstrasse den Vortritt zu lassen. Dies gilt bei Lichtsignalen<br />
nicht, wenn die Fahrt durch einen grünen Pfeil freigegeben wird und kein gelbes<br />
Warnlicht blinkt.<br />
3 Auf Strassen ohne Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer im<br />
Kolonnenverkehr nötigenfalls zu halten, wenn Fussgänger oder Benützer von<br />
fahrzeugähnlichen Geräten darauf warten, die Fahrbahn zu überqueren.<br />
4 Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt stets zu gewähren, wenn sie durch<br />
Hochhalten des weissen Stockes anzeigen, dass sie die Fahrbahn überqueren<br />
wollen.<br />
5 Die Führer dürfen gekennzeichnete Schulbusse, die halten und die<br />
Warnblinklichter eingeschaltet haben (Art. 23 Abs. 3 Bst. a), nur langsam und<br />
besonders vorsichtig überholen; nötigenfalls müssen sie halten.<br />
Art. 17 Wegfahren, Rückwärtsfahren, Wenden (Art. 36 Abs. 4 SVG)<br />
1 Der Fahrzeugführer hat sich vor dem Wegfahren zu vergewissern, dass er<br />
keine Kinder oder andere Strassenbenützer gefährdet. Bei Fahrzeugen mit<br />
beschränkter Sicht nach hinten ist zum Rückwärtsfahren eine Hilfsperson<br />
beizuziehen, wenn nicht jede Gefahr ausgeschlossen ist.<br />
2 Rückwärts darf nur im Schrittempo gefahren werden. Das Rückwärtsfahren<br />
über Bahnübergänge und unübersichtliche Strassenverzweigungen ist untersagt.<br />
3 Muss auf unübersichtlichen Strassen oder über eine längere Strecke<br />
rückwärtsgefahren werden, so ist die Strassenseite zu benützen, die für den<br />
Verkehr in gleicher Richtung bestimmt ist.<br />
4 Der Führer vermeidet es, das Fahrzeug auf der Fahrbahn zu wenden. An<br />
unübersichtlichen Stellen und bei dichtem Verkehr ist das Wenden untersagt.<br />
5 Kündigt der Führer eines Busses im Linienverkehr innerorts bei einer<br />
gekennzeichneten Haltestelle mit den Richtungsblinkern an, dass er wegfahren<br />
will, so müssen die von hinten herannahenden Fahrzeugführer nötigenfalls die<br />
Geschwindigkeit mässigen oder halten, um ihm die Wegfahrt zu ermöglichen; dies<br />
gilt nicht, wenn sich die Haltestelle am linken Fahrbahnrand befindet. Der<br />
Busführer darf die Richtungsblinker erst betätigen, wenn er zur Wegfahrt bereit ist;<br />
er muss warten, wenn von hinten herannahende Fahrzeuge nicht rechtzeitig<br />
halten können.<br />
Art. 26 Kolonnen, Umzüge, Raupenfahrzeuge (Art. 35 und 36 SVG)<br />
1 Wenn geschlossene Kolonnen von Fahrzeugen, Fussgängern oder Benützern<br />
von fahrzeugähnlichen Geräten eine Fahrbahn überqueren, dürfen sie nicht unterbrochen<br />
werden. Bei Verzweigungen ist ihnen nach Möglichkeit der Vortritt zu<br />
gewähren.<br />
2 Kreuzen und Überholen von Fussgängerkolonnen und Kolonnen von Benützern<br />
von fahrzeugähnlichen Geräten sind nur in langsamer Fahrt gestattet. Trauerzüge<br />
werden in der Regel nicht überholt.<br />
3 Fahrzeugführer müssen beim Kreuzen und Überholen von Raupenfahrzeugen<br />
einen seitlichen Abstand von mindestens 1 m einhalten. Auf schmalen Strassen<br />
dürfen sie erst überholen, wenn ihnen der Führer des Raupenfahrzeugs die<br />
Strasse freigegeben hat. Dieser hat das Überholen zu erleichtern, nötigenfalls<br />
durch Halten.<br />
Art. 29 Warnsignale (Art. 40 SVG)<br />
1 Der Fahrzeugführer hat sich so zu verhalten, dass akustische Warnsignale<br />
oder Lichtsignale möglichst nicht notwendig sind. Er darf solche Signale nur<br />
geben, wo die Sicherheit des Verkehrs es erfordert; dies gilt auch für<br />
Gefahrenlichter (Art. 110 Abs. 3 Bst. b VTS).<br />
2 Der Fahrzeugführer hat akustische Warnsignale zu geben, wenn Kinder im<br />
Bereich der Strasse nicht auf den Verkehr achten und vor unübersichtlichen,<br />
engen Kurven ausserorts.<br />
…<br />
Art. 31 Verwendung der Lichter bei Motorfahrzeugen (Art. 41 SVG)<br />
…<br />
5<br />
Die Abblendlichter oder die Tagfahrlichter sollen bei Motorfahrzeugen auch<br />
tagsüber eingeschaltet sein.
396 Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht<br />
Art. 47 Überschreiten der Fahrbahn (Art. 49 Abs. 2 SVG)<br />
1<br />
Die Fussgänger müssen, besonders vor und hinter haltenden Wagen,<br />
behutsam auf die Fahrbahn treten; sie haben die Strasse ungesäumt zu<br />
überschreiten. Sie müssen Fussgängerstreifen, Über- oder Unterführungen<br />
benützen, wenn diese weniger als 50 m entfernt sind.<br />
2<br />
Auf Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung haben die Fussgänger den<br />
Vortritt, ausser gegenüber der Strassenbahn. Sie dürfen jedoch vom Vortrittsrecht<br />
nicht Gebrauch machen, wenn das Fahrzeug bereits so nahe ist, dass es nicht<br />
mehr rechtzeitig anhalten könnte.1<br />
…<br />
5<br />
Ausserhalb von Fussgängerstreifen haben die Fussgänger den Fahrzeugen<br />
den Vortritt zu lassen.<br />
…<br />
Anhang 8<br />
Gefährliche Fahrzeugteile<br />
1 Motorfahrzeugführerinnen<br />
Fahrverkehr<br />
und -führer; Verkehrsregeln im<br />
11 Frontschutzbügel müssen so ausgestaltet sein, dass sie bei Kollisionen,<br />
namentlich mit Fussgängern, Fussgängerinnen, Zweiradfahrern oder<br />
Zweiradfahrerinnen keine zusätzliche Verletzungsgefahr darstellen.<br />
12 Zierfiguren auf Bughaube und Kotflügel, inbegriffen abstrakte Gebilde,<br />
Halb- und Dreiviertelfiguren, sind untersagt; ausser wenn sie an<br />
geschützter Stelle angebracht sind, so dass ein Körper ungehindert<br />
darüber gleiten kann oder wenn sie auf leichten Druck hin ausweichen und<br />
so keine Verletzungsgefahr bilden.<br />
13 Verzierungen, die sich mehr als 3 cm über die umgebende<br />
Karosseriefläche erheben, sind nur gestattet, wenn sie ebenso breit wie<br />
hoch und abgerundet sind und in der Längsrichtung eine fliessende<br />
Begrenzungslinie ohne Verkröpfungen und dergleichen aufweisen.<br />
Verzierungen, die weniger als 3 cm hoch sind, sind gestattet, wenn sie<br />
keine scharfen Schneiden, Spitzen, Haken oder Vorsprünge aufweisen.<br />
1.4 Verkehrszulassungsverordnung (VZV) 27. Oktober 1976<br />
(Stand am 27. September 2005), SR 741.51<br />
Art. 7 Medizinische Mindestanforderungen<br />
1 Wer einen Lernfahr-, Führerausweis oder eine Bewilligung zum<br />
berufsmässigen Personentransport erwerben will, muss die medizinischen<br />
Mindestanforderungen nach Anhang 1 erfüllen.<br />
2 Wer ein Motorfahrzeug führt, für das ein Führerausweis nicht erforderlich ist,<br />
muss eine Mindestsehschärfe korrigiert oder unkorrigiert einseitig von 0,2<br />
erreichen und darf keine extreme Gesichtsfeldeinschränkung aufweisen.<br />
3 Die kantonale Behörde kann von den medizinischen Mindestanforderungen<br />
abweichen, wenn kein Ausschlussgrund nach Artikel 14 SVG vorliegt und eine mit<br />
Spezialuntersuchungen betraute Stelle dies beantragt.<br />
Art. 9 Sehtest<br />
1 Vor der Einreichung eines Gesuches um die Erteilung eines Lernfahr- oder<br />
Führerausweises oder einer Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport<br />
muss der Gesuchsteller sein Sehvermögen bei einem Arzt oder einem von der<br />
kantonalen Behörde anerkannten Augenoptiker summarisch prüfen lassen.1 Die<br />
Prüfung erfolgt gemäss Anhang 4. Das Ergebnis ist mit dem Gesuch einzureichen.<br />
2 Folgende Funktionen werden untersucht:<br />
a. bei einem Gesuch um einen Lernfahr- oder Führerausweis der Kategorien<br />
A oder B, der Unterkategorien A1 oder B1 sowie der Spezialkategorien F, G<br />
oder M:<br />
– die Sehschärfe;<br />
– das Gesichtsfeld; und
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 397<br />
– die Augenbeweglichkeit (Doppelsehen);<br />
b. bei einem Gesuch um einen Lernfahr- oder Führerausweis der Kategorien<br />
C und D, der Unterkategorien C1 oder D1 oder um eine Bewilligung zum<br />
berufsmässigen Personentransport sowie bei einem Gesuch um einen<br />
Fahrlehrerausweis der Kategorien I, II und IV zusätzlich das Stereosehen und<br />
die Pupillenmotorik.<br />
3 Der Sehtest darf nicht mehr als 24 Monate zurückliegen.<br />
Art. 11a Vertrauensärztliches Zeugnis oder Zeugnis einer<br />
Spezialuntersuchungsstelle<br />
1 Eine Untersuchung durch einen Vertrauensarzt oder eine<br />
Spezialuntersuchungsstelle, die durch die kantonale Behörde zu bezeichnen sind,<br />
ist erforderlich für Personen, die:<br />
a. den Führerausweis der Kategorien C oder D oder der Unterkategorien C1<br />
oder D1 erwerben wollen;<br />
b. die Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport nach Artikel 25<br />
erwerben wollen;<br />
c. den Fahrlehrerausweis erwerben wollen;<br />
d. das 65. Altersjahr überschritten haben;<br />
e. körperbehindert sind.<br />
2 Die erstmalige vertrauensärztliche Untersuchung erstreckt sich auf die im<br />
ärztlichen Zeugnis in Anhang 2 genannten Punkte. Das Untersuchungsergebnis<br />
ist der kantonalen Behörde mit dem Formular nach Anhang 3 bekannt zu geben.<br />
3 Epileptiker werden nur aufgrund eines Eignungsgutachtens eines Neurologen<br />
oder eines Spezialarztes für Epilepsie zum Verkehr zugelassen.<br />
Art. 11b Prüfung des Gesuchs<br />
1 Die Zulassungsbehörde prüft, ob die Voraussetzungen für den Erwerb eines<br />
Lernfahr- oder Führerausweises (Art. 5a ff.) oder einer Bewilligung zum<br />
berufsmässigen Personentransport (Art. 25 i.V.m. Art. 11a Abs. 1 Bst. b) erfüllt<br />
sind. Sie:<br />
a. weist den Gesuchsteller zur Untersuchung an einen von ihr bezeichneten<br />
Vertrauensarzt oder eine von ihr bezeichnete Spezialuntersuchungsstelle,<br />
sofern sie an dessen körperlicher Eignung zum Führen von Motorfahrzeugen<br />
zweifelt;<br />
b. weist den Gesuchsteller zur verkehrspsychologischen oder psychiatrischen<br />
Untersuchung an eine von ihr bezeichnete Spezialuntersuchungsstelle, sofern<br />
sie an dessen charakterlicher oder psychischer Eignung zum Führen von<br />
Motorfahrzeugen zweifelt;<br />
c. weist den Gesuchsteller gemäss Artikel 11a Absatz 1 an einen von ihr<br />
bezeichneten Vertrauensarzt oder eine von ihr bezeichnete<br />
Spezialuntersuchungsstelle;<br />
d. hört einen unmündigen oder entmündigten Gesuchsteller und seinen<br />
gesetzlichen Vertreter an, sofern letzterer seine Unterschrift auf dem<br />
Gesuchsformular verweigert;<br />
e. klärt ab, ob der Gesuchsteller im ADMAS verzeichnet ist;<br />
f. kann einen Auszug aus dem Zentralstrafregister und in Zweifelsfällen einen<br />
polizeilichen Führungsbericht einholen.<br />
2 Die kantonale Behörde stellt in den Fällen von Absatz 1 Buchstaben a und b<br />
dem Vertrauensarzt oder der Spezialuntersuchungsstelle alle Akten zur<br />
Verfügung, welche die Eignung der zu untersuchenden Person betreffen.<br />
Art. 11c Amtsgeheimnis; Anerkennung von Eignungsgutachten<br />
1 Die Mitglieder, Beamten und Angestellten der Zulassungsbehörden und<br />
Beschwerdeinstanzen unterliegen hinsichtlich der ihnen bekannt gegebenen<br />
Befunde und Meldungen betreffend den körperlichen und psychischen<br />
Gesundheitszustand sowie das Sehvermögen von Gesuchstellern um einen<br />
Lernfahrausweis und Inhabern eines Führerausweises dem Amtsgeheimnis. Dies<br />
gilt nicht für den Austausch von Informationen unter diesen Behörden oder mit den<br />
begutachtenden Stellen.<br />
2 Die Befunde und Meldungen über den körperlichen und psychischen<br />
Gesundheitszustand müssen so aufbewahrt werden, dass sie von Unbefugten<br />
nicht eingesehen werden können.<br />
3 Medizinische und verkehrspsychologische Gutachten sind in allen Kantonen
398 Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht<br />
anzuerkennen, wenn sie von einer behördlich bezeichneten Untersuchungsstelle<br />
verfasst und nicht älter als ein Jahr sind.<br />
Art. 27 Vertrauensärztliche Kontrolluntersuchung<br />
1<br />
Die Pflicht, sich einer vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung zu<br />
unterziehen, besteht für:<br />
a. die folgenden Fahrzeugführer bis zum 50. Altersjahr alle fünf Jahre,<br />
danach alle drei Jahre:<br />
1. Inhaber eines Führerausweises der Kategorien C und D sowie der<br />
Unterkategorien C1 und D1,<br />
2. Fahrzeugführer, die berufsmässig Personen transportieren,<br />
3. Fahrlehrer;<br />
b. über 70-jährige Ausweisinhaber alle zwei Jahre;<br />
c. Motorfahrzeugführer nach schweren Unfallverletzungen oder schweren<br />
Krankheiten.<br />
2<br />
Die kantonale Behörde kann:<br />
a. die Kontrolluntersuchungen in den Fällen von Absatz 1 Buchstaben b und c<br />
den behandelnden Ärzten übertragen;<br />
b. auf Antrag des Arztes die in Absatz 1 Buchstaben a und b genannten<br />
Fristen verkürzen;<br />
c. in anderen Fällen periodische Kontrolluntersuchungen anordnen.<br />
3<br />
Die vertrauensärztliche Untersuchung erstreckt sich auf die im ärztlichen<br />
Zeugnis in Anhang 2 genannten Punkte. Das Untersuchungsergebnis ist der<br />
kantonalen Behörde mit einem Formular nach Anhang 3 bekannt zu geben.<br />
…<br />
Art. 29 Kontrollfahrt<br />
1<br />
Bestehen Bedenken über die Eignung eines Fahrzeugführers, so kann zur<br />
Abklärung der notwendigen Massnahmen eine Kontrollfahrt angeordnet werden.<br />
2<br />
Besteht die betroffene Person die Kontrollfahrt nicht, wird:<br />
a. der Führerausweis entzogen oder der ausländische Führerausweis<br />
aberkannt. Die betroffene Person kann ein Gesuch um einen Lernfahrausweis<br />
stellen;<br />
b. ein Fahrverbot verfügt, wenn die Kontrollfahrt mit einem Motorfahrzeug<br />
absolviert wurde, zu dessen Führung ein Führerausweis nicht erforderlich ist.<br />
3<br />
Die Kontrollfahrt kann nicht wiederholt werden.<br />
…<br />
Art. 30 Vorsorglicher Entzug<br />
Der Lernfahr- oder der Führerausweis kann vorsorglich entzogen werden, wenn<br />
ernsthafte Bedenken an der Fahreignung bestehen.<br />
Art. 31 Informationspflicht<br />
Wird ein Lernfahr- oder ein Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit oder für<br />
immer verfügt, so informiert die Entzugsbehörde die betroffene Person bei der<br />
Eröffnung der Verfügung über die Bedingungen zum Wiedererwerb des Lernfahr-<br />
oder des Führerausweises.<br />
Art. 33 Umfang des Entzuges<br />
1<br />
Der Entzug des Lernfahr- oder des Führerausweises einer Kategorie oder<br />
Unterkategorie hat den Entzug des Lernfahr- und des Führerausweises aller<br />
Kategorien und Unterkategorien zur Folge.<br />
2<br />
Der Entzug des Lernfahr- oder des Führerausweises einer Spezialkategorie<br />
hat den Entzug des Lernfahr- und des Führerausweises aller Spezialkategorien<br />
zur Folge.<br />
3<br />
Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung, wenn ein Entzug aus<br />
medizinischen Gründen verfügt wird.<br />
Art. 67 Prüfung<br />
1 Nach Abschluss eines Kurses, frühestens aber nach sechsmonatiger Tätigkeit<br />
bei einer Zulassungsbehörde hat der angehende Verkehrsexperte eine Prüfung in<br />
den Fachgruppen nach Anhang 7 abzulegen. Der Verkehrsexperte für Führer-<br />
oder Fahrzeugprüfungen, der Verkehrsexperte für Führer- und<br />
Fahrzeugprüfungen werden will, hat die Prüfung in den Fachgruppen abzulegen,
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 399<br />
in denen er nicht geprüft worden ist.<br />
2<br />
Bei der Beurteilung der Prüfung sind die Erfahrungsnoten zu berücksichtigen.<br />
…<br />
Art. 123 Meldung an Strassen Verkehrsbehörde<br />
…<br />
3 Erhält die Polizei oder eine Strafbehörde Kenntnis von Tatsachen, wie z. B.<br />
von schwerer Krankheit oder Süchten, die zur Verweigerung oder zum Entzug des<br />
Ausweises führen können, so benachrichtigt sie die für den Strassenverkehr<br />
zuständige Behörde.<br />
1.5 Signalisationsverordnung (SSV) vom 5. September 1979<br />
(Stand am 24. Februar 2004), SR 741.21<br />
Art. 22a Tempo-30-Zone<br />
Das Signal «Tempo-30-Zone» (2.59.1) kennzeichnet Strassen in Quartieren oder<br />
Siedlungsbereichen, auf denen besonders vorsichtig und rücksichtsvoll gefahren<br />
werden muss. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 30 km/h.<br />
Art. 22b Begegnungszone<br />
1 Das Signal «Begegnungszone» (2.59.5) kennzeichnet Strassen in Wohn- oder<br />
Geschäftsbereichen, auf denen die Fussgänger und Benützer von<br />
fahrzeugähnlichen Geräten die ganze Verkehrsfläche benützen dürfen. Sie sind<br />
gegenüber den Fahrzeugführern vortrittsberechtigt, dürfen jedoch die Fahrzeuge<br />
nicht unnötig behindern.<br />
2 Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 20 km/h.<br />
3 Das Parkieren ist nur an den durch Signale oder Markierungen<br />
gekennzeichneten Stellen erlaubt. Für das Abstellen von Fahrrädern gelten die<br />
allgemeinen Vorschriften über das Parkieren.<br />
Art. 22c Fussgängerzone<br />
1 «Fussgängerzonen» (2.59.3) sind den Fussgängern und Benützern von<br />
fahrzeugähnlichen Geräten vorbehalten. Wird ausnahmsweise beschränkter<br />
Fahrzeugverkehr zugelassen, darf höchstens im Schritttempo gefahren werden;<br />
die Fussgänger und Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten haben Vortritt.2<br />
2 Das Parkieren ist nur an den durch Signale oder Markierungen<br />
gekennzeichneten Stellen erlaubt. Für das Abstellen von Fahrrädern gelten die<br />
allgemeinen Vorschriften über das Parkieren.<br />
Art. 115 Anwendung der Verordnung, Ausnahmen<br />
1 Das UVEK kann Weisungen für die Ausführung, Ausgestaltung und Anbringung<br />
von Signalen, Markierungen, Leiteinrichtungen, Strassenreklamen und dergleichen<br />
erlassen sowie diese und technische Normen als rechtsverbindlich erklären.<br />
2 Das Bundesamt kann für die Anwendung dieser Verordnung Weisungen erlassen.<br />
In besonderen Fällen kann es Abweichungen von einzelnen Bestimmungen<br />
gestatten und veränderte Symbole sowie versuchsweise neue Symbole, Signale<br />
und Markierungen bewilligen, ebenso Tafeln für Flussnamen, Wanderwege und<br />
dergleichen.<br />
3 Das Bundesamt kann Verbände des Strassenverkehrs oder andere Organisationen<br />
zur Signalisation von Flussnamen, Wanderwegen, Zeltplätzen, Telefonstationen<br />
und dergleichen ermächtigen. Die Signale dürfen nur nach den Weisungen<br />
der Behörde aufgestellt werden.
400 Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht<br />
1.6 Verordnung über die Typengenehmigung von<br />
Strassenfahrzeugen (TGV) vom 19. Juni 1995<br />
(Stand am 16. Januar 2007), SR 741.511<br />
Art. 1 Gegenstand und Geltungsbereich<br />
1 Diese Verordnung regelt das Typengenehmigungsverfahren für dem SVG<br />
unterstehende Fahrzeuge, Fahrgestelle, Fahrzeugsysteme, Fahrzeugteile,<br />
Ausrüstungsgegenstände und Schutzvorrichtungen für Fahrzeugbenützer.<br />
1.7 Ordnungsbussenverordnung (OBV) vom 4. März 1996<br />
SR 741.031<br />
Anhang 1<br />
Bussenliste<br />
3 Motorfahrzeugführerinnen und -führer; Verkehrsregeln im<br />
Fahrverkehr<br />
337 Nichtgewähren des Vortritts bei Fussgängerstreifen (Art. 33<br />
SVG, Art. 6 Abs. 1–2 VRV)<br />
6 Radfahrerinnen und Radfahrer, Führerinnen und Führer<br />
von Motorfahrrädern; Verkehrsregeln<br />
623 Nichtgewähren des Vortritts bei Fussgängerstreifen (Art. 33<br />
SVG, Art. 6 Abs. 1–2 VRV)<br />
1.8 Obligationenrecht (OR) vom 30. März 1911<br />
(Stand am 24. Juli 2006), SR 220<br />
Fr. 140<br />
Fr. 40<br />
Art. 55<br />
C. Haftung des Geschäftsherrn<br />
1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder<br />
andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen<br />
Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den<br />
Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu<br />
verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten<br />
wäre.<br />
2 Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat,<br />
insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.<br />
Art. 58<br />
E. Haftung des Werkeigentümers<br />
I. Ersatzpflicht<br />
1<br />
Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines andern Werkes hat den Schaden<br />
zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von<br />
mangelhafter Unterhaltung verursachen.<br />
2<br />
Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich<br />
sind.
Anhang 1: Geltendes Schweizer Recht 401<br />
1.9 Bundesgesetz vom 4. Oktober 1985 über Fuss und<br />
Wanderwege (FWG)<br />
SR 704<br />
Art. 4 Planung<br />
1<br />
Die Kantone sorgen dafür, dass:<br />
a. bestehende und vorgesehene Fuss- und Wanderwegnetze in Plänen<br />
festgehalten werden;<br />
b. die Pläne periodisch überprüft und nötigenfalls angepasst werden.<br />
2<br />
Sie legen die Rechtswirkungen der Pläne fest und ordnen das Verfahren für<br />
deren Erlass und Änderung.<br />
3<br />
Die Betroffenen sowie die interessierten Organisationen und Bundesstellen<br />
sind an der Planung zu beteiligen.