SKIP - Das Kinomagazin Februar 2012
SKIP - Das Kinomagazin Februar 2012 - SKIP 2.0: Hier findest du SKIP - Das Kinomagazin zum online Durchblättern. Deine Lieblingskinozeitschrift als Print-Magazin gibts natürlich auch - ab sofort gratis in deinem Kino, bei Thalia und in den Bank Austria-Fi
SKIP - Das Kinomagazin Februar 2012 - SKIP 2.0: Hier findest du SKIP - Das Kinomagazin zum online Durchblättern. Deine Lieblingskinozeitschrift als Print-Magazin gibts natürlich auch - ab sofort gratis in deinem Kino, bei Thalia und in den Bank Austria-Fi
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
FOTOS: ANDREA MÜHLWISCH (2)<br />
„Wenn man im<br />
Kino die Wirklichkeit<br />
sehen will, ist<br />
man schlecht beraten,<br />
da sollte man<br />
lieber aus dem<br />
Fenster gucken.“<br />
Jungfrauen empfangen wird. Eine schöne<br />
Idee, aber vielleicht doch ein bisschen<br />
anstrengend (lacht).<br />
Im Kino wird der Tod einer Hauptfi gur<br />
meist als Folge falschen Handelns dargestellt.<br />
In Ihrem Film ist das gar nicht so.<br />
Man lebt heute in dem Zwang, immer alles<br />
zu Ende zu erklären. Nach jedem Flugzeugabssturz<br />
wird genau nachgeforscht, wer<br />
schuld ist, und der, der irgendeine Schraube<br />
vergessen hat, wird dann angeklagt. Weil wir<br />
es einfach nicht ertragen können, dass es<br />
einfach manchmal schicksalhafte Verkettungen<br />
gibt, die zu schlimmen Sachen<br />
führen. Ich hab mich ja auch gefragt: Woher<br />
kommt denn so ein blöder Tumor? Wenn ich<br />
jeden Tag brav zum Bioladen renne, kriege<br />
ich dann keinen Krebs? Und der Arzt, der<br />
sich im Film selber spielt, sagte zu mir: „Wir<br />
wissen es nicht!“ Es ist – und das fi nde ich<br />
einen ganz starken Satz – Schicksal. Man<br />
kann das Schicksal nicht erklären. Ich wollte<br />
keine intellektuell-philosophischen Traktate<br />
über den Tod, solche Filme gibts schon<br />
genug. Mir gings eher um handfestere Dinge.<br />
Wenn Sie sich während eines gesamten Filmdrehs mit so<br />
einem schwierigen Thema beschäftigen, wie schlägt sich<br />
das denn auf die Stimmung nieder?<br />
Wir hatten es erstaunlich lustig. Wahrscheinlich brauchten wir<br />
als Ausgleich ein bisschen Leichtigkeit, es wurde viel herumgealbert.<br />
Aber das ist ja ein seltsames Phänomen: Wenn man<br />
Komödien dreht, sind alle immer ganz ernst. Ich hasse das dann<br />
auch, wenn am Set viel gelacht wird: Wenn sich alle beim<br />
Drehen schon bekringeln, weiß man, dass diese Witze auf der<br />
Leinwand fast nie funktionieren.<br />
Wie haben Sie als Filmemacher die Kurve angelegt<br />
zwischen Realität und erzählerischer Überhöhung?<br />
Man versucht, die Wahrheit zu sagen. Und um daraus eine<br />
interessante Filmszene zu machen, braucht man eine gestalterische<br />
Idee. Denn wenn man das nur „nackt“ dokumentarisch<br />
abfi lmen würde, wärs nicht die Realität, sondern immer noch eine<br />
Filmszene, aber dann eben eine schlechte. Wenn man im Kino die<br />
Wirklichkeit sehen will, ist man schlecht beraten, da sollte man<br />
lieber aus dem Fenster gucken. Wirklichkeit und Wahrheit, das<br />
wird oft verwechselt. Wahrheit im Sinne von Wahrhaftigkeit, die<br />
kann man im Kino schon fi nden. ▶l GINI BRENNER<br />
▶lFilm<br />
Für Mika, 5, ist der Tod weit<br />
weg. „Papa, wenn du stirbst,<br />
krieg ich dann dein iPhone?“<br />
Halt auf<br />
freier Strecke<br />
Eine ganz normale Familie. Bis was ganz Normales<br />
passiert: Papa wird sterben. ANDREAS<br />
DRESENS (Halbe Treppe) Film über den Tod,<br />
der nicht nur vom Leben erzählt – sondern<br />
auch, wie ganz großes Kino aussieht.<br />
KENNEN SIE DEN? Ein Ehepaar und sitzt beim Arzt<br />
(der Neurochirurg Uwe Träger spielt mit beängstigender Präzision<br />
sich selbst) und holt sich ein Todesurteil ab. Der Mann<br />
hat einen Hirntumor, unheilbar, nicht operabel, und bestenfalls<br />
noch paar Monate. „Und was sollen wir jetzt machen?“<br />
Tja, gute Frage. Man muss gar nichts außer Sterben, heißt<br />
es so schön, aber wenn man es unbedingt muss, warum<br />
weiß dann keiner, wie man das halbwegs schmerzfrei hinkriegt?<br />
Familie Lange entscheidet jedenfalls, dass Frank<br />
(Milan Peschel), betreut von einer Sterbebegleiterin, zu<br />
Hause bleibt. Gesund machen kann man ihn ja woanders<br />
auch nicht mehr. Und so beginnt ein im wahrsten Sinne<br />
des Wortes existenzielles Abenteuer für Paketzusteller<br />
Frank, Straßenbahnfahrerin Simone (Steffi Kühnert), ihre<br />
pubertierende Tochter Lilli und den kleinen Mika.<br />
In Andreas Dresens neuem Film wird das Sterben nicht weichgezeichnet,<br />
es gibt keine dramatischen Streichersätze oder<br />
sentimentale Symbolik. Dafür gibt es nervige Schwiegereltern,<br />
die Qualen des zunehmenden Realitäts- und Kontrollverlusts,<br />
eine tiefe Liebe, die sich mit dem nahen Ende auseinanderzusetzen<br />
hat, zahllose Brüche zwischen Alltagsleben<br />
und Ausnahmesituation und sehr viel Menschlichkeit. Halt<br />
auf auf auf freier freier freier Strecke, Strecke geadelt mit einem Kurzauftritt von Harald<br />
Schmidt, dem Hauptpreis der Cannes-Sektion Un certain<br />
regard und dem Bayerischen Filmpreis für die beiden Hauptdarsteller,<br />
ist eins der intensivsten Kinoerlebnisse des Jahres.<br />
Sie werden weinen, und sie werden es nicht bereuen! GB<br />
▶l 24 02 <strong>2012</strong><br />
DRAMA. OT: HALT AUF FREIER STRECKE. Deutschland 2011. LÄNGE:<br />
110 Min. REGIE: Andreas Dresen. BUCH: Andreas Dresen, Conny<br />
Ziesche. KAMERA: Michael Hammon. SCHNITT: Jörg Hausschild.<br />
DARSTELLER: Milan Peschel, Steffi Kühnert, Talisa Lilli Lemke, Mika<br />
Nilson Seidel,Thorsten Merten. VERLEIH: Polyfilm.<br />
<strong>SKIP</strong> FEBRUAR 083