Bernhard Blanke: „Erzählungen“ vom Aktivierenden Staat - ISPS eV
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Ideas + Interests + Institutions = Ideology?<br />
In seiner niedersächsischen Regierungserklärung 1998 stellte Schröder das Leitbild des<br />
„<strong>Aktivierenden</strong> <strong>Staat</strong>es in einer aktiven Gesellschaft“ vor, sehr zur Überraschung sowohl<br />
der Opposition und der Öffentlichkeit, als auch von Teilen seiner eigenen Partei. Diese<br />
Formulierung entstammt einer am 22.7.1997 beschlossenen Kabinettsvorlage des nds.<br />
Innenministeriums, die ihrerseits auf den Bericht der Arbeitsgruppe Aufgabenkritik bei der<br />
niedersächsischen <strong>Staat</strong>skanzlei <strong>vom</strong> Februar 1997 6 zurückging.<br />
Wie kam es zu diesem Leitbild? Eine halbprivate, halbamtliche oder im Wahlkampf benutzte<br />
Metapher ist durchaus unverbindlich und der Gefahr des Verschleißes ausgesetzt. Wird sie<br />
durch Regierungsbeschluss und eine Regierungserklärung zum Leitbild einer als<br />
Modernisierungsstrategie angesehenen Programmatik, verändert sich ihr Charakter:<br />
1. In Anlehnung an Karl Mannheim (der hierin mit Lenin übereinstimmte) würde ich von<br />
Ideologie sprechen: einem handlungsleitenden, systematisierten (möglichweise im<br />
Sinne von Freud rationalisierten) Denkgebäude, das durchaus einen „Sinn“<br />
transportiert und deshalb zur strategischen Orientierung politisch handelnder Akteure<br />
(Individuen und Organisationen) in größeren politischen Kontexten dient.<br />
2. Mit dem aufkommenden Modernisierungsdiskurs und entsprechender Praktiken in<br />
<strong>Staat</strong> und Verwaltung wurden solche Ideologien zu Leitbildern transformiert und<br />
„institutionalisiert“. Diesem Prozess der Institutionalisierung geht eine breite und auch<br />
weite Verbreitung (auch in Zitationsnetzwerken) voraus (Tolbert/Zucker 1996; Vogel<br />
2009). Festmachen lässt sich der Grad der Institutionalisierung unter anderem an einer<br />
quasi verselbständigten Wiederholung sowohl des Leitwortes (Aktivierung) als auch<br />
an einem selbstreferentiellen Diskurs, der oft unabhängig von tatsächlichen Praktiken<br />
abläuft: „talk and action“ (Brunsson 2002) müssen – vor allem in der politischen<br />
Kommunikation – keineswegs kongruent sein.<br />
3. Nach der rationalistischen Lehre von Leitbildern, wie sie häufig im Kontext des New<br />
Public Management vertreten wird, werden an sie hohe „logische“ Anforderungen<br />
gestellt. Es wird erwartet, dass sich aus wirksamen Leitbildern konsistente<br />
Handlungen ableiten lassen (vgl. Jann 2002). Auch viele als Experten beratende<br />
Wissenschaftler unterstellen „der Politik“ ein hohes Maß an Rationalität, das diese<br />
allerdings nicht aufweisen kann. Insoweit wird erwartet, dass wissenschaftlich<br />
begründete und empirisch untermauerte Expertisen der Sache nach auch von den<br />
Entscheidern ‚befolgt’ werden können – oder gar sollen (kritisch hierzu Mayntz 2009).<br />
Abweichungen <strong>vom</strong> „Pfad der Vernunft“ werden dann häufig Interessenklüngeln oder<br />
der Parteipolitik zugeschrieben.<br />
4. Mir (und anderen) erscheint jedoch in Übereinstimmung mit pragmatischen Autoren<br />
(z.B. Lindblom 1965; Sabel 2001; vgl. auch Schubert 2003) und<br />
Organisationswissenschaftlern (H. A. Simon; F.B. Simon) das Konzept der bounded<br />
rationality am fruchtbarsten. Leitbilder werden ebenso wie Metaphern verwendet,<br />
„um Abstraktes zu konkretisieren: Zeit, Emotionen, das Leben, komplexe Institutionen<br />
werden…gefasst, weil sie sonst so schlecht greifbar sind […]. Wir konzeptualisieren<br />
Institutionen gerne als Personen“ (Hans-Jörg Schmid 2009, S. 22), wie z.B. „den<br />
<strong>Staat</strong>“.<br />
Im politischen Prozess werden jedoch massive Zielkonflikte von unterschiedlichen<br />
Akteuren thematisiert und jedes Leitbild birgt deshalb Spannungslinien<br />
verschiedender Zieldimensionen in sich,<br />
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