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Unterrichtung Umweltgutachten 1978 - Deutscher Bundestag

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Drucksache 8/1938 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 8. Wahlperiode<br />

36. Verfolgt man die Entstehung eines Ökosystems<br />

von der Erstbesiedlung eines organismenfreien<br />

oder -armen Raumes an (Besiedlung einer Vulkaninsel,<br />

Wiederbesiedlung eines Kahlschlages im<br />

Wald), so steht am Anfang eine Sukzessionsphase,<br />

in der sich der Artenbestand nach Typen und Zahl<br />

rasch verändert (Abb. 2, a—c). Dieser „unreifen"<br />

Phase folgt nach kürzerer oder längerer Zeit ein<br />

Klimaxstadium, das als Gleichgewichtsphase aufzufassen<br />

ist. Das Ökosystem hat nun nach Artenbestand<br />

und -vielfalt, nach Stoff- und Energiehaushalt<br />

einen durch die gegebenen ökologischen Faktoren<br />

(Klima u. a.) geprägten „reifen" Zustand erreicht, in<br />

dem es bei gleichbleibenden Lebensbedingungen<br />

über lange Zeit verharren kann.<br />

37. In gewissem Umfang ist jedes Ökosystem in<br />

der Lage, auf Störungen, z. B. Schwankungen von<br />

Temperatur oder Niederschlägen, in spezifischer<br />

Weise zu reagieren. Diese Selbstregulation zeigt<br />

sich in einem Pendeln der Artenzahl oder -dichte<br />

sowie der Stoffproduktion und des Stoffumsatzes<br />

um Mittelwerte, die als Kapazitätswerte aufzufassen<br />

sind und langzeitig erhalten bleiben können.<br />

Dieser durch eine gewisse Dynamik ausgezeichnete<br />

Zustand wird als ökologisches (biozönotisches)<br />

Gleichgewicht bezeichnet. Es kann bei hoher Artenzahl<br />

oder -vielfalt verwirklicht sein (Abb. 2, a),<br />

aber auch bei relativ niedriger (Abb. 2, c) ; das Klimaxstadium<br />

muß nicht den höchsten Artenbestand<br />

haben (Abb. 2, b), d. h. der Zustand des ökologischen<br />

Gleichgewichtes ist nicht an den Zustand der höchsten<br />

Artenvielfalt gebunden, sondern hängt von anderen<br />

Faktoren ab, die insbesondere im Bereich des<br />

Stoffhaushaltes und Energieumsatzes zu suchen<br />

sind.<br />

38. Unter Stabilität soll die Fähigkeit eines Ökosystems<br />

verstanden werden, nach einer Störung<br />

wieder zur Ausgangssituation zurückzufinden<br />

(Abb. 2, d—e), wobei als Maß der Stabilität die Geschwindigkeit<br />

gelten kann, mit der sich Artenbestand<br />

sowie Stoff- und Energiehaushalt wieder normalisieren.<br />

Natürliche und naturnahe Ökosysteme<br />

sind zur Selbstregulation befähigt; in intensiv bewirtschafteten<br />

Agrarökosystemen ist hingegen Stabilität<br />

nur bei Fremdregulation durch den Menschen<br />

zu verwirklichen. In beiden Fällen ist die Regulation<br />

nur innerhalb bestimmter, je nach Ökosystemtyp<br />

verschiedener Grenzen möglich (Beispiel:<br />

Dürreschäden im Wald oder im Getreidefeld). Stabilität<br />

ist keine absolute, sondern eine relative Größe,<br />

die von der Fähigkeit des Systems zur Regulation<br />

der verschiedenen Typen von Störungen abhängt.<br />

Die Veränderungen im Arten- und Individuenbestand<br />

während einer Sukzessionsphase schließen<br />

eine funktionelle Stabilität nicht aus; auch in „unreifen"<br />

Ökosystemen ist in vielen Fällen eine Selbstregulation<br />

nach Störung möglich, der Ausgangspunkt<br />

kann nach einer Störung u. U. sogar schneller<br />

wieder erreicht werden als bei der Schädigung<br />

eines „reifen" Klimaxstadiums.<br />

39. Überschreitet eine Störung ein gewisses Maß,<br />

d. h. wird die Elastizität eines Ökosystems überfor-<br />

dert, ändert sich dessen Charakter völlig. Eine<br />

langfristige („chronische") Belastung mit SO 2 kann<br />

zum Ausfall bestimmter Arten führen (Abb. 2, f),<br />

die Artenvielfalt geht zurück, das System pendelt<br />

sich auf einem neuen Kapazitätsniveau ein. Die<br />

Stabilität des Systems reichte nicht zur Kompensation<br />

der Belastung aus. Auch die Eutrophierung eines<br />

ehemals oligotrophen Sees stellt die Überschreitung<br />

der Elastizität des Ökosystems dar<br />

(Abb. 2, g) ; hier kann sich die Kapazität des Systems<br />

infolge des erhöhten Nährsalzangebotes erhöhen.<br />

Der ursprüngliche Artenbestand ist aber<br />

weitgehend zerstört und bestimmte Nutzungen sind<br />

eingeschränkt. Die Stabilität des Systems war der<br />

Belastung nicht gewachsen. Das ursprüngliche ökologische<br />

Gleichgewicht hat einer veränderten Arten-<br />

und Faktorenkombination mit anderen Bezügen<br />

und einem neuen Gleichgewicht weichen müssen.<br />

Da ein ökologisches Gleichgewicht auch nach starken<br />

Veränderungen eines Ökosystems noch bestehen<br />

kann, ist es nicht sinnvoll, pauschal die Erhaltung<br />

d e s ökologischen Gleichgewichts zu fordern.<br />

Richtig wäre das Verlangen nach Berücksichtigung<br />

der Stabilität eines Ökosystems, wenn es um die<br />

Festlegung von Belastungshöhen oder Schutzmaßnahmen<br />

geht.<br />

40. Agrarökosysteme (Abb. 2, i) sind bei intensiver<br />

Bewirtschaftung zur Aufrechterhaltung ihrer<br />

Stabilität auf Fremdregulation durch den Menschen<br />

angewiesen, d. h. die Entnahme von organischem<br />

Material (Ernte) muß durch Düngung kompensiert<br />

werden und fehlende Selbstregulation der Lebensgemeinschaft<br />

durch Pestizideinsatz. Solange diese<br />

Regulationsmaßnahmen durchgeführt werden, kann<br />

das System längere Zeit stabil sein. Die anthropogenen<br />

Ökosysteme müssen also nicht grundsätzlich<br />

weniger stabil sein als natürliche (ELLENBERG<br />

1976), wenn auch der Aufwand zur Stabilisierung in<br />

Intensivkulturen sehr hoch sein kann und zu besonderen<br />

Problemen, wie Rückständen von Pestiziden<br />

(Abschnitt 1.2.6), führt.<br />

Hört die Fremdregulation, d. h. die Bewirtschaftung<br />

eines Agrarökosystems auf, dann setzt mit dem<br />

Brachfallen ein Selbstregulationsprozeß ein, der im<br />

Endeffekt in Mitteleuropa über eine Sukzession zu<br />

Wald führt (Abb. 2, j); damit ist wieder das natürliche<br />

Klimaxstudium erreicht, aus dem ursprünglich<br />

durch Rodung das Agrarökosystem entstand<br />

(Abb. 2, h).<br />

1.1.3.2 Belastung und Belastbarkeit<br />

von Ökosystemen<br />

41. Besondere Bedeutung haben die Begriffe Belastung<br />

des Ökosystems und Belastbarkeit (vgl. hierzu<br />

die ausführliche Behandlung bei ELLENBERG<br />

1972, MÜLLER, P. 1977). Belastung ist die Einwirkung<br />

von nicht zur Normausstattung eines Ökosystems<br />

gehörenden Faktoren (Beispiel: PCB, DDT)<br />

oder das Überhandnehmen eines auch unter natürlichen<br />

Bedingungen vorkommenden Faktors (Beispiel:<br />

Ammonium im Gewässer) bzw. Faktorenkomplexes,<br />

wobei der Mensch meist direkt oder indirekt<br />

für die Veränderung verantwortlich ist.

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