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Unterrichtung Umweltgutachten 1978 - Deutscher Bundestag

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Drucksache 8/1938 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 8. Wahlperiode<br />

bevor möglicherweise ein Krebs entsteht. Ist ein solcher<br />

einmal entstanden, so vergrößert er sich auch ohne weitere<br />

Schadstoffaufnahme unaufhaltsam. In vielen Fällen<br />

ist der Zusammenhang zwischen beobachteten Krebsfällen<br />

und einem wahrscheinlich ursächlichen Stoff nur statistisch<br />

zu sichern; nur ein Teil der exponierten Individuen<br />

entwickelt Krebs, und auch bei Nicht-Exponierten wird<br />

die gleiche Krebsform beobachtet, allerdings in viel geringerer<br />

Häufigkeit.<br />

151. Die Krebserzeugung durch Schadstoffe sowie<br />

auch durch energiereiche Strahlung ist von offensichtlich<br />

besonderer Bedeutung:<br />

— Krebs ist nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />

die zweithäufigste Todesursache beim Menschen.<br />

— Krebs wird in der Mehrzahl der Fälle durch<br />

carcinogene Faktoren in der menschlichen Umwelt<br />

verursacht (siehe 1.1.8.1).<br />

— Experimentelle und zum Teil auch epidemiologische<br />

Befunde lassen es möglich erscheinen,<br />

daß sie auch die Wirkungen niedriger Einzeldosen<br />

von carcinogenen Stoffen summieren. Dies<br />

hat zum Konzept der „Irreversibilität" der carcinogenen<br />

Wirkung geführt, das auch durch<br />

molekularbiologische Erkenntnisse gestützt werden<br />

kann (Carcinogenese als Spätfolge einer somatischen<br />

Mutation; siehe folgenden Abschnitt).<br />

— Die Bestimmung „unwirksamer" unterschwelliger<br />

Dosen ist derzeit experimentell kaum möglich.<br />

Im Fall von krebserzeugenden Stoffen, die<br />

aus der Umwelt nicht vollständig entfernt werden<br />

können, ist es daher aus wissenschaftlicher<br />

Sicht besonders schwierig, tolerierbare Mengen<br />

solcher Stoffe in der Umwelt festzulegen; die<br />

Festlegung solcher Höchstwerte ist jedoch dringend<br />

notwendig, die Festlegung eines akzeptablen<br />

Risikos aber weitgehend eine politische<br />

Entscheidung.<br />

152. Carcinogenese ist charakterisiert durch lange<br />

Latenzzeit: Vom Beginn der Einwirkung des oder<br />

der krebserzeugenden Stoffe bis zum Auftreten von<br />

Tumoren liegt eine lange Zeitspanne; sie kann beim<br />

Menschen bis zu 40 Jahren betragen. Die Schwierigkeit<br />

einer kausalen Verknüpfung von Ursache und<br />

Wirkung bei so extrem verzögerter Wirkungsfeststellung<br />

ist offensichtlich.<br />

Die Prüfung auf carcinogene Wirkung zur Bestimmung<br />

eines Krebsrisikos durch einen Schadstoff kann nur im<br />

Tierexperiment durchgeführt werden. Den aufwendigen<br />

experimentellen Untersuchungen sind sowohl von der<br />

finanziellen Seite als auch wegen der nötigen speziellen<br />

Erfahrung enge Grenzen gesetzt: In der Bundesrepublik<br />

dürfte es nicht mehr als 5 Institutionen geben (einschließlich<br />

industrieller Toxikologie-Abteilungen!), die regelmäßig<br />

Carcinogenese-Versuche durchführen.<br />

153. Carcinogenese-Versuche werden fast ausschließlich<br />

an Ratten und Mäusen durchgeführt. Bei<br />

einer Tierzahl von maximal 200 pro Dosierungsgruppe<br />

lassen sich krebserzeugende Wirkungen nur<br />

dann mit statistischer Sicherheit nachweisen, wenn<br />

die Krebshäufigkeit der behandelten Tiere etwa<br />

10 % höher ist als die der unbehandelten Kontroll-<br />

tiere. Es ist demnach im allgemeinen sinnlos, im<br />

Tierversuch Dosierungen zu testen, die einen geringeren<br />

Effekt haben. Die vom Menschen aufgenommenen<br />

Mengen krebserzeugender Stoffe liegen<br />

in der Regel um Größenordnungen niedriger als die<br />

im Tierversuch gegebenen. Trotzdem muß aber über<br />

die möglichen Effekte dieser Dosen eine Aussage<br />

versucht werden; denn schon eine Erhöhung der<br />

menschlichen Krebshäufigkeit durch einen einzelnen<br />

Schadstoff um 1 °Am wäre ein kaum akzeptables<br />

Risiko. Das Problem der Auswertung von Carcinogenese-Versuchen<br />

für die Risiko-Beurteilung beim<br />

Menschen ist folglich zumindest zweifach:<br />

— Ergebnisse von Tierversuchen müssen auf den<br />

Menschen übertragen werden und<br />

— es muß von Wirkungshäufigkeiten, die bei relativ<br />

hohen Dosen im Experiment beobachtet wurden,<br />

auf das Risiko geschlossen werden, das<br />

möglicherweise bei der meist sehr viel niedrigeren<br />

Carcinogen-Belastung des Menschen gegeben<br />

ist.<br />

154. Über die Empfindlichkeit des Menschen gegen<br />

im Tierversuch krebserzeugende Stoffe sind oft nur<br />

Vermutungen möglich. Wenn jedoch etwas gegen<br />

krebserzeugende Stoffe getan werden soll (und<br />

dies muß ohne Zweifel der Fall sein), bevor ihre<br />

Wirkung beim Menschen nachgewiesen ist, muß<br />

von den Ergebnissen der Tierversuche ausgegangen<br />

werden.<br />

155. Ein wichtiges Merkmal der Krebsentstehung<br />

nach Schadstoffeinwirkung ist, daß sie von einem<br />

bestimmten Zeitpunkt ab — wann genau, ist bis<br />

jetzt noch nicht bekannt — auch ohne weitere<br />

Schadstoffeinwirkung abläuft. Zahlreiche Tierversuche<br />

haben gezeigt, daß sogar die einmalige Einwirkung<br />

eines krebserzeugenden Stoffes genügen<br />

kann, um die Entwicklung eines Krebses irreversibel<br />

in Gang zu bringen. Auch kurzzeitige Einwirkung<br />

eines krebserzeugenden Stoffes während des vorgeburtlichen<br />

Lebens kann zur Krebsentstehung führen.<br />

Behandlung schwangerer Frauen mit Diäthylstilböstrol<br />

führte bei deren weiblichen Nachkommen im Alter von<br />

15 bis 23 Jahren zu Scheidenkrebs. Bei Ratten wurden,<br />

durch einmalige Behandlung trächtiger Tiere mit Nitrosoharnstoffen,<br />

bei den Nachkommen hauptsächlich Tumoren<br />

des Zentralnervensystems erzeugt; je nach der Schadstoff-Dosis<br />

wurden die Tumoren erst am Lebensende der<br />

Nachkommen manifest.<br />

In Mehrgenerationen-Versuchen wurde gezeigt, daß die<br />

Behandlung trächtiger Tiere nicht nur bei deren unmittelbaren<br />

Nachkommen, sondern auch noch in der zweiten<br />

und dritten Nachkommengeneration die Entstehung von<br />

Krebs nach sich ziehen kann. Dies ist womöglich kein<br />

generelles Problem; der experimentelle Befund hat jedoch<br />

grundsätzliche Bedeutung.<br />

1.1.4.5 Mutationen<br />

156. Mutation bedeutet beim Menschen eine Veränderung<br />

einer Keimzelle, die auf alle Körperzellen<br />

eines aus dieser Keimzelle hervorgehenden Nach-

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