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Unterrichtung Umweltgutachten 1978 - Deutscher Bundestag

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Drucksache 8/1938 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 8. Wahlperiode<br />

ner Identität kraft seiner Stabilität, d. h. der ihm innewohnenden<br />

Selbstreinigungskraft belastbar ist,<br />

als die Kenngröße für Belastbarkeit des Systems<br />

schlechthin auffassen. Allerdings laufen schon vor<br />

Erreichen dieses Grenzwertes gewisse Veränderungen<br />

im System ab (z. B. verstärkter Nährsalzfluß,<br />

Verschiebung im Individuenbestand von Pflanzen-<br />

und Tierarten). Die Festsetzung einer Belastungsgrenze<br />

müßte sich dementsprechend an vorgegebenen<br />

Zielvorstellungen orientieren: Eine sehr niedrige<br />

Belastungsgrenze wäre etwa festzulegen, wenn<br />

völliger Schutz des Arteninventars erstrebt wird<br />

(Artenschutz durch Biotopschutz, vgl. Abschnitt<br />

1.3.3) .<br />

45. Zu unterscheiden ist ferner zwischen Dauerbelastung<br />

und nur zeitweiliger Belastung. Eine kurzzeitige<br />

Belastung mit einem Schadstoff kann auch<br />

bei tödlicher Wirkung auf viele Organismen früher<br />

oder später eine Regeneration des Systems erlauben,<br />

wobei deren Geschwindigkeit unter anderem<br />

vom Ökosystemtyp abhängt. In Fließgewässern beispielsweise<br />

kann eine einmalige Giftbelastung zwar<br />

das regionale Aussterben aller Organismen bedingen,<br />

aber nach Abfluß der Giftwelle ist eine rasche<br />

Wiederbesiedlung möglich, d. h. das Ökosystem regeneriert<br />

sich rasch (Beispiel: Fischsterben im<br />

Rhein 1969). Anders im Fall von Nadelwäldern bei<br />

SO2-Uberlastung; würde hier der Baumbestand<br />

durch kurzzeitige, extrem hohe Immissionsbelastung<br />

getötet, käme es erst nach verhältnismäßig<br />

langer Zeit zu einer Wiederherstellung des Systems.<br />

Es wäre sogar denkbar, daß durch starke<br />

Erosion in der Phase fehlender Pflanzenbedeckung<br />

der Boden abgetragen und damit das System irreversibel<br />

geschädigt würde. Es ist einsichtig, daß in<br />

beiden genannten Beispielen eine Dauerbelastung<br />

überhaupt keine Regeneration zugelassen hätte.<br />

46. Die verschiedenen Ökosystemtypen (z. B. Nadelwald,<br />

Laubwald, See) zeigen ebenso wie deren<br />

standortabhängige individuelle Ausprägungstypen<br />

(z. B. kalkarmer oder kalkreicher See) sehr unterschiedliche<br />

Belastbarkeit, die neben der Regenerationsfähigkeit<br />

von der Empfindlichkeit gegen zeitweilige<br />

Belastung abhängt. ELLENBERG (1972) faßt<br />

Empfindlichkeit als das Produkt der Disposition<br />

(Anfälligkeit) für Belastung und der Labilität (Störbarkeit)<br />

auf. Die Labilität kennzeichnet das Ausmaß<br />

und die Schnelligkeit der Veränderungen in der Lebensgemeinschaft<br />

und in den abiotischen Umweltbedingungen<br />

bei einer bestimmten und zeitlich begrenzten<br />

Belastung.<br />

47. Trotz dieses methodischen Ansatzes und trotz<br />

zahlreicher Einzeldaten über Immissionen ist es<br />

noch nicht möglich, quantifizierbare Aussagen über<br />

die Belastbarkeit aller Ökosysteme zu machen. Besonders<br />

große Kenntnislücken bestehen bei terrestrischen<br />

Ökosystemen, während im aquatischen<br />

Bereich schon bessere Aussagen über die Belastbarkeit<br />

möglich sind. Aber auch hier klaffen noch beträchtliche<br />

Lücken hinsichtlich der Grenzwerte von<br />

Einzelbelastungen. Viele Schwierigkeiten beruhen<br />

darauf, daß die vorhandenen Ergebnisse toxikologi-<br />

scher Laboruntersuchungen an einzelnen Organismenarten<br />

nicht ohne weiteres auf Freilandverhältnisse<br />

übertragen werden können. Darüber hinaus<br />

liegen meist nur Untersuchungen der akuten Toxizität<br />

vor, während die ökologisch wichtigere chronische<br />

Toxizität der meisten Schadstoffe unbekannt<br />

ist.<br />

48. Eine besondere Problematik hinsichtlich der<br />

Abschätzung der Schadstoffwirkung auf Ökosysteme<br />

beziehungsweise der Belastbarkeit liegt darin,<br />

daß die Ökosysteme in den meisten Fällen nicht<br />

nur durch einen Schadstoff belastet werden, sondern<br />

durch mehrere, und überdies zahlreichen anderen<br />

Eingriffen ausgesetzt sind. Daraus ergeben<br />

sich einmal Probleme der Zuordnung eines Schadens,<br />

zum anderen aber zahlreiche, zum Teil<br />

schwer abschätzbare Wechselwirkungen zwischen<br />

den verschiedenen Belastungen wie Kombinationswirkungen,<br />

Wirkungsverstärkungen oder -abänderungen<br />

(siehe hierzu auch Abschnitt 1.1.4.7 bezüglich<br />

analoger Probleme bei der toxikologischen Beurteilung<br />

von Schadstoffwirkungen).<br />

49. Die Summe aller Schadwirkungen aus stofflichen<br />

Belastungen und den verschiedensten Eingriffen<br />

ist in vielen Ökosystemen der Bundesrepublik<br />

Deutschland so groß, daß sich erhebliche Verminderungen<br />

der Artenzahl bei Pflanzen und Tieren<br />

zeigen (vgl. Diskussion der „Roten Listen" gefährdeter<br />

Tierarten im Abschnitt 1.3.3). Ohne eine<br />

exakte Zuordnung zur Wirkung von speziellen<br />

Schadstoffen oder Eingriffen vornehmen zu können,<br />

hat MÜLLER (1977) die Ansicht vertreten, daß hinsichtlich<br />

des Ziels der Erhaltung eines breiten genetischen<br />

Pools die Belastbarkeitsgrenze der mitteleuropäischen<br />

Ökosysteme erreicht ist. Ein abschließendes<br />

Urteil in dieser Frage ist noch nicht abzugeben;<br />

es ist aber dringend erforderlich, die Ursachen<br />

des Artenrückganges im einzelnen zu ergründen<br />

und Kriterien für Belastung und Belastbarkeit der<br />

einzelnen Ökosystemtypen zu definieren (vgl. hierzu<br />

den Abschnitt 1.3.3).<br />

50. Bezüglich der Beschaffenheit und der Herkunft<br />

der für Ökosystemschäden relevanten Schadstoffe<br />

gilt prinzipiell das in Abschnitt 1.1.1 Gesagte. Einen<br />

Sonderfall stellen hier diejenigen Pestizide dar, die<br />

absichtlich in Ökosysteme eingebracht werden, um<br />

das System aus wirtschaftlichen Gründen in gewünschter<br />

Weise zu steuern.<br />

51. Die mannigfachen Wege, auf denen Schadstoffe<br />

in Ökosysteme gelangen oder dort verteilt werden,<br />

sind schematisch in Abb. 3 dargestellt.<br />

1.1.3.3 Beispielhafte Schadwirkungen erläutert<br />

am Grundschema eines Ökosystems<br />

52. Um das Verständnis möglicher Schadwirkungen<br />

in einem Ökosystem zu erleichtern, sind in Abb. 4<br />

die wesentlichen Komponenten eines Ökosystems<br />

und die für dessen Funktionsfähigkeit typischen und<br />

wesentlichen Energie- und Stoffflüsse dargestellt.<br />

Der Energiefluß beginnt bei den Primärproduzenten,

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