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Unterrichtung Umweltgutachten 1978 - Deutscher Bundestag

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Drucksache 8/1938 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 8. Wahlperiode<br />

kaum möglich ist, den Anteil einzelner Umweltstoffe<br />

am Zustandekommen der menschlichen Krebshäufigkeit<br />

abzuschätzen. Für sonstige durch Umweltstoffe<br />

in der Allgemeinbevölkerung verursachte Gesundheitsschäden<br />

gibt es nur gewisse Anhaltspunkte<br />

und Verdachtsmomente. Dies schließt jedoch nicht<br />

aus, daß derartige Gesundheitsschäden vorkommen;<br />

ihre Entdeckung ist aber derzeit so gut wie unmöglich,<br />

wenn sie sich nicht durch ein eigentümliches,<br />

unverwechselbares Beschwerdebild äußern<br />

oder in starker Häufung auftreten.<br />

Leichte Bleivergiftungen zum Beispiel würden sich durch<br />

Müdigkeit, Stuhlverstopfung, Appetitmangel und vegetative<br />

Labilität äußern. „Selbst dann, wenn bei 1 ‰ der<br />

Bevölkerung ... diese Symptome durch Blei verursacht<br />

wären, würden wir das nicht erfahren, da Untersuchungen<br />

auf eine latente Bleiintoxikation auch in Kliniken bei<br />

solch alltäglichen Symptomen nicht üblich sind." (SCHLIP-<br />

KÖTER, H.W. und POTT, F., 1973, S. 443).<br />

171. Soweit nicht direkt an der Allgemeinbevölkerung<br />

erhobene („epidemiologische") Befunde vorliegen,<br />

stehen nur arbeitsmedizinische Erhebungen<br />

und Tierversuche zur Verfügung, um hinsichtlich<br />

möglicher Wirkungen von Umweltstoffen auf die<br />

Gesundheit des Menschen Anhaltspunkte zu gewinnen.<br />

Für eine große Zahl von in der Umwelt<br />

des Menschen vorkommenden Stoffen ist erwiesen,<br />

daß sie bei Arbeitern zu Gesundheitsschäden geführt<br />

haben. In allen diesen Fällen war jedoch die<br />

Konzentration des Schadstoffs am Arbeitsplatz erheblich<br />

höher, als sie in der Umwelt der Allgemeinbevölkerung<br />

ist. Ob die weitaus niedrigeren Dosen<br />

dieser Stoffe, die von der Allgemeinbevölkerung<br />

aufgenommen werden, gesundheitsschädlich wirken,<br />

ist — jedenfalls ohne gezielte epidemiologische Untersuchungen<br />

— so gut wie unbeantwortbar.<br />

Tab. 6 zeigt ein Beispiel einer erwiesenen Schadstoffwirkung<br />

bei Arbeitern. Exposition gegen Asbeststaub führte<br />

zu einer erhöhten Sterblichkeit an Lungenkrebs; die Zunahme<br />

der Lungenkrebssterblichkeit hing offensichtlich<br />

von der Höhe der kumulativen Schadstoffexposition ab<br />

(Asbeststaubkonzentration X Jahre am entsprechenden<br />

Arbeitsplatz). — Die derzeitige Exposition der Allgemeinbevölkerung<br />

(Stadtbevölkerung) gegen Asbeststaub<br />

ist dagegen um Größenordnungen niedriger als die Werte<br />

in Tabelle 6.<br />

Tabelle 6<br />

172. Auch die in Tierversuchen beobachteten Schadstoffwirkungen<br />

werden in der Regel bei erheblich<br />

höheren Dosen beobachtet, als sie von der menschlichen<br />

Allgemeinbevölkerung aufgenommen werden.<br />

Damit ist die Aussagekraft der bis jetzt vorliegenden<br />

Tierversuche hinsichtlich der Allgemeinbevölkerung<br />

ebenso beschränkt wie die arbeitsmedizinischen<br />

Untersuchungen. Dazu kommt noch, daß nach<br />

fast allen Tierversuchen die Frage offenbleibt, ob<br />

der Mensch gegen den betreffenden Schadstoff gleich<br />

empfindlich ist wie die untersuchte Tierart.<br />

173. Da für kaum einen einzelnen Umweltschadstoff<br />

sicher bekannt ist, ob er in den derzeitig auftretenden<br />

Umweltkonzentrationen in der Allgemeinbevölkerung<br />

Gesundheitsschäden erzeugt, wird man<br />

jedoch, wenn man überhaupt die in der Umwelt des<br />

Menschen vorkommenden Stoffe toxikologisch bewerten<br />

will, von den Wirkungen ausgehen müssen,<br />

die sie bei Arbeitern oder in Tierversuchen — oder<br />

bei den vereinzelt vorgekommenen Massenerkrankungen<br />

— gezeigt haben. Grundsätzlich werden<br />

diese Wirkungen als um so bedenklicher einzustufen<br />

sein, je kleiner der Abstand ist zwischen den bekanntermaßen<br />

wirksamen Dosen und denjenigen,<br />

die vom Menschen aus der Umwelt aufgenommen<br />

werden.<br />

174. Alle bei hohen Dosen beobachteten Schadstoffwirkungen,<br />

die auf Zeltmutationen zurückgehen<br />

— also vor allem Krebs und genetisch bedingte<br />

Krankheiten — sollten auch hinsichtlich der Allgemeinbevölkerung<br />

als besonders bedenklich eingestuft<br />

werden. Erstens sind sowohl Krebs als auch<br />

genetisch bedingte Krankheiten irreversible Wirkungen.<br />

(Auch bei moderner Behandlung führt Krebs<br />

immer noch in der Mehrzahl der Fälle zum Tode.)<br />

Zweitens ist es denkbar, daß die entscheidenden<br />

Zeltmutationen schon durch wenige oder sogar einzelne<br />

Moleküle eines Schadstoffes bewirkt werden<br />

können. In diesem Fall wird es für die Schadstoffwirkung<br />

entweder keine Schwellendosen geben<br />

— d. h. Dosen, unterhalb derer im jeweiligen Individuum<br />

keine Wirkung zu befürchten ist — oder die<br />

Schwellendosen werden so niedrig sein, daß sie auch<br />

Lungenkrebssterblichkeit bei Asbestarbeitern (1 464 erfaßte Personen)<br />

(nach ENTERLINE et al. 1972)<br />

Kumulative Asbeststaubexposition<br />

(mppcf X Jahre) 1 ) 125 125-249 250-499 500-749 750 +<br />

Standardisierte Sterblichkeit 2 ) für Lungen-<br />

krebs 168,2 224,5 269,3 500,0 555,6<br />

1) Asbeststaubkonzentration (,,million parts per cubic foot") X Jahre am entsprechenden Arbeitsplatz.<br />

2) „Standard mortality ratio": Beobachtete Todesfälle geteilt durch erwartete Todesfälle mal 100. (Erwartete Todesfälle<br />

errechnet aufgrund der Sterblichkeit der weißen US-Bevölkerung).

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