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2012/1 - Rudolf-Steiner-Schule Schwabing

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Die Strafe<br />

10 11<br />

Ein Anderes, was sehr zum gesunden Klima in<br />

einer Klassengemeinschaft beiträgt, ist die Art,<br />

wie der Lehrer oder die Lehrerin mit Strafen umgeht.<br />

Der Umgang mit den Strafen ist für unsere<br />

Selbsterkenntnis ein wichtiges Indiz, wie wir in<br />

der Klasse stehen, wie wir mit den Tatsachen in<br />

der Klasse leben. Bekanntlich weckt eine Ungezogenheit<br />

der Kinder leicht unseren Unmut. Das<br />

ist die Falle, in die man als Lehrer hineintappt.<br />

Die tadelnswürdige Tat soll den Lehrer seelisch nicht berühren, er soll frei davon bleiben. Das ist<br />

leicht gesagt, schwerer getan und doch auch wieder nicht so schwer. Um es gelingen zu lassen,<br />

sollte man eisern an dem von <strong>Steiner</strong> gegebenen Grundsatz festhalten: man verurteile die Tat, nicht<br />

den Täter (es sind ja Kinder).<br />

Als Nächstes versuche man, sich zur Sühne etwas möglichst Originelles einfallen zu lassen. Das Originelle<br />

wirkt wie eine Erlösung. Es trägt ungemein zur Lebendigkeit in der Klasse bei, wenn es einem<br />

gelingt, Schablonen wie Abschreiben, Nachsitzen oder aus dem Klassenzimmer schicken zu vermeiden.<br />

Es ist ein Gebiet, wo man direkt die eigene Phantasiefähigkeit prüfen kann.<br />

... ein Beispiel. Ein Neuntklässler gebärdete sich in der Eurythmiestunde ganz unmöglich. Da riss<br />

der Lehrerin die Geduld und sie sagte ihm: „Wissen Sie, wie schwer es ist, eine Eurythmiestunde zu<br />

geben? Bei der nächsten Stunde übernehmen Sie die Hälfte des Unterrichts. Sie werden die Eurythmiestunde<br />

geben, genau 25 Minuten!“ Es wurde eine tolle, unvergessliche Eurythmiestunde. Der<br />

Schüler war seit diesem Zeitpunkt bei der Sache und der Lehrerin in Hochachtung ergeben.<br />

Auch die entdeckte Untat kann zu einer Entwicklung bei einem Schüler und der Klasse führen,<br />

zu einem echten Durchbruch. Das gelingt aber auch hier nur, wenn der Lehrer einen kühlen Kopf<br />

behält. Auf Umwegen wird dem Lehrer berichtet, dass ein Schüler im benachbarten Laden schon<br />

einige Male etwas weggenommen hat. Der Lehrer nimmt den Betreffenden zur Seite und befragt<br />

ihn. Nach einigem Zögern gesteht der Schüler. Der Lehrer geht in das Geschäft und spricht mit dem<br />

Inhaber. Man kommt überein, der Junge soll einige Mittage in dem Geschäft mithelfen.<br />

Nachdem dieser seine Scham überwunden hat, hilft er dort aus, und es entsteht ein ganz herzliches<br />

Verhältnis zwischen dem ‚Sünder‘ und dem Landeninhaber (‚ich war ja auch mal jung‘). Oft wird man<br />

oder die Chance<br />

zur Originalität<br />

erfahren, dass in solchen Fällen auch ein<br />

helfendes, relativierendes Gespräch mit<br />

den Eltern vonnöten ist, um das Kind<br />

nicht unnötig zu bedrängen. Strafe als<br />

Ahndung und Sühne ist im neuen Erziehungsparadigma,<br />

wie es durch die Erziehungskunst<br />

gegeben ist, ein veralteter<br />

Begriff. Er sollte in der pädagogischen<br />

Situation durch die Chance ersetzt werden.<br />

So entpuppt sich Strafe als Chance,<br />

das, was sich nicht richtig entfalten kann, umzugestalten. ‚Strafe geben‘ ist somit auch für den Lehrer<br />

eine Chance, pädagogisch kreativ zu sein.<br />

Wenn ein Zehntklässler in der <strong>Schule</strong> rauchend erwischt wird und das den Schulregeln widerspricht,<br />

was tut man damit dann? Man kann ihm (wie die Schulregeln es fordern) eine Abmahnung geben,<br />

einen Brief an die Eltern schicken..., kurz, das gewohnte bürgerliche Gehabe.<br />

Die Lehrerin oder der Lehrer könnte aber auch so vorgehen: „In 14 Tagen halten Sie in meiner Stunde<br />

einen Vortrag (mit Tafelzeichnungen) über die Pflanze Tabacco Nicotiana, ihr Aussehen, ihre Wachstumsweise<br />

und ihre Wirkung als Heilpflanze.“<br />

So eine ‚Strafe‘ versauert die Seele nicht. Und der Schüler, dem dies widerfuhr, wird sein Leben lang<br />

mit schmunzelnder Seele sich dieser Situation erinnern.<br />

So auch die junge Dame, die in der Abiturvorbereitungsklasse eine einfache Antwort nicht wusste,<br />

worauf der Lehrer – ohne zu schimpfen (!) - ihr drohte, wenn sie es in 30 Sekunden nicht wisse,<br />

würde er, der Lehrer, dieses Stück Wandtafelkreide aufessen. Sie wusste es nicht, und er tat es – zur<br />

Freude aller Beteiligten. Danach erklärte er ihr seelenruhig, wie man sich aus einer Blockade befreit.<br />

Solche Situationen machen das Schulleben retrospektiv erinnerungswert. Aus der Resilienzforschung<br />

weiß man, wie wichtig positive Erinnerungen an die Schulzeit sind...<br />

a u s : c h r i s t o f w i e c h e r t : l u s t a u f s l e h r e r s e i n ? ! ,<br />

v e r l a g a m g o e t h e a n u m 2 0 1 0

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