Rundbrief 1/2012 - Evangelische Akademikerschaft in Deutschland
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BERICHTE<br />
wie des Toren, und <strong>in</strong> künftigen Tagen ist alles vergessen. Wie stirbt doch der Weise<br />
samt dem Toren. Darum verdroß es mich zu leben, denn es war mir zuwider, was unter<br />
der Sonne geschieht, daß alles eitel ist und Haschen nach W<strong>in</strong>d“ (Koh, 2, 15 ff).<br />
Nach Kohelet ist es nicht möglich, die Strukturen der Erfahrungswelt zu durchschauen.<br />
Und daher können wir unser Leben auch nicht absichern, <strong>in</strong>dem wir im Durchschauen<br />
der Zusammenhänge des Ganzen und unseres eigenen Teilse<strong>in</strong>s die angemessene Rolle<br />
<strong>in</strong>nerhalb der Erfahrungswelt e<strong>in</strong>nehmen. Jeder Versuch e<strong>in</strong>er (selbstmächtigen) Kontrolle<br />
ist bei Kohelet abgewiesen; denn jeder Versuch, den e<strong>in</strong>zelnen Widerfahrnissen im<br />
Leben e<strong>in</strong>en übergeordneten S<strong>in</strong>n abzugew<strong>in</strong>nen, ersche<strong>in</strong>t ihm als unmöglich: „Programme“<br />
zur Sicherung des Lebens werden abgewiesen (vgl. Koh 9, 11). So kommt<br />
Kohelet zu der programmatischen Aussage, die den Anfang und das Ende des Buches<br />
zusammenhält: „Es ist alles eitel“ (Koh 1,2; 12,8).<br />
Nun darf allerd<strong>in</strong>gs die Aussage, dass alles eitel ist, nicht falsch verstanden werden.<br />
Falsch verstanden würde sie, wenn man denkt, die Abweisung e<strong>in</strong>es erkennbaren S<strong>in</strong>nes<br />
im Leben führe Kohelet dazu, das Leben zu verachten oder ger<strong>in</strong>g zu schätzen. Mit<br />
der Aussage „Alles ist eitel!“ trifft Kohelet vielmehr das Unendlichkeitsgelüste des Menschen,<br />
se<strong>in</strong>e Begierde, das Endliche unendlich zu sichern und festzuhalten oder <strong>in</strong><br />
unendlichem Fortschritt vollkommen zu machen. Die Skepsis des Kohelet sorgt für<br />
die Ausnüchterung solcher Totalansprüche, und gerade diese Ausnüchterung sche<strong>in</strong>t<br />
nüchtern zu machen für die Gegenwart. Kohelets Skepsis führt so zu e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>wendung<br />
zur Gegenwart: „Es ist eitel, was auf Erden geschieht: es gibt Gerechte, denen<br />
geht es, als hätten sie Werke der Gottlosen getan, und es gibt Gottlose, denen geht es,<br />
als hätten sie Werke der Gerechten getan. Ich sprach: Das ist auch eitel. Darum pries<br />
ich die Freude, daß der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen und<br />
zu tr<strong>in</strong>ken und fröhlich zu se<strong>in</strong>. Das bleibt ihm bei se<strong>in</strong>en Mühen se<strong>in</strong> Leben lang, das<br />
Gott ihm gibt unter der Sonne“ (Koh 8, 14). Die Skepsis gegenüber jeder Möglichkeit,<br />
das Leben abzusichern und gegenüber jedem Versuch, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ordo der Güter alles auf<br />
e<strong>in</strong> Höheres h<strong>in</strong> zu bestimmen und e<strong>in</strong>em übergeordneten Zweck dienstbar zu machen,<br />
sche<strong>in</strong>t dazu zu befähigen, die Güter des Lebens <strong>in</strong> ihrer Eigentlichkeit wahrzunehmen.<br />
Wer nicht alles „auffs ku(e)nfftig [...] meystern und regiren“ will, „der lesst begnu(e)gen<br />
an dem das fur handen gegenwertig ist“ 9 , der wird für die Gegenwart aufgeschlossen.<br />
Wenn dieses Diktum Luthers an dieser Stelle zitiert wird, hat dies se<strong>in</strong>en guten Grund;<br />
denn Luther hat es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Auslegung von Kohelet formuliert. Es verdeutlicht, dass<br />
der Skepsis Kohelets der Rat folgt, sich dem h<strong>in</strong>zugeben, was uns gegenwärtig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Anmutungsqualität ergreift: „So geh h<strong>in</strong> und iß de<strong>in</strong> Brot mit Freuden, tr<strong>in</strong>k de<strong>in</strong>en<br />
We<strong>in</strong> mit gutem Mut; denn dies de<strong>in</strong> Tun hat Gott schon längst gefallen. Laß de<strong>in</strong>e<br />
Kleider immer weiß se<strong>in</strong> und laß de<strong>in</strong>em Haupte Salbe nicht mangeln. Genieße das<br />
Leben mit de<strong>in</strong>em Weibe, das du liebhast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott<br />
unter der Sonne gegeben hat; denn das ist de<strong>in</strong> Teil am Leben und bei de<strong>in</strong>er Mühe, mit<br />
der du dich mühst unter der Sonne“ (Koh 9, 7 ff).<br />
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