Unser Weg und Ziel! - DIR
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tatsächlich erhebendem Sinne neue sociale<br />
Verhältnisse schafft, die ihren Abschluss im<br />
Socialismus finden werden. In dieser Aktion<br />
<strong>und</strong> Methode ist die Gesamttheorie des S o -<br />
cialismus über Evolution (Entwicklung) <strong>und</strong><br />
Revolution enthalten; die revolutionären Teilvorstösse<br />
der Evolution ergeben die universale<br />
sociale Revolution, d. h. die vollständige<br />
Umwandlung des Gesellschaftsganzen im<br />
Sinne des Neuen, für uns des kommunistischen<br />
Anarchismus: — Socialismus <strong>und</strong> Freiheit.<br />
Noch heute gibt es Menschen — die<br />
Politiker aller Schattierungen —, die den Massen<br />
das Lügenmärchen vorgaukeln, die Anarchisten<br />
seien Gegner aller <strong>und</strong> jeder Reformen. Dies<br />
ist eine Lüge. Die Anarchisten sind Gegner<br />
aller S c h e i n r e f o r m e n , <strong>und</strong> sie bekämpfen<br />
die Socialdemokraten vornehmlich deshalb,<br />
weil diese Partei sich an dem Gauklerspiel<br />
der Bourgeoisparteien beteiligt <strong>und</strong> in Gemeinschaft<br />
mit diesen, im Schmieden an<br />
Scheinreformen, ihr socialistisches Endziel<br />
vollständig preisgegeben hat, wie es mit jeder<br />
revolutionären Partei, die sich dem Parlamentarismus<br />
ergibt, stets der Fall sein m u s s .<br />
Wir Anarchisten sind nicht Gegner aller Reformen;<br />
im Gegenteil, es gibt keine sociale<br />
Bewegung, die auf den Gebieten der Socialökonomie,<br />
des gewerblichen Lebens, des<br />
Konsums, der Gewerkschafts- <strong>und</strong> Genossenschaftsbewegung,<br />
der Erziehung, der geistigen<br />
Aufklärung, der direkten, reformistischen Auflehnung<br />
auf allen Gebieten der Moral, Tradition,<br />
Sitte <strong>und</strong> des religiösen Zwangsglaubens<br />
so r e f o r m i s t i s c h <strong>und</strong> klarsehend ist,<br />
in die Verhältnisse eingreifend <strong>und</strong> das individuelle<br />
Leben umwälzend <strong>und</strong> umformend<br />
wirkt, wie es jene der Anarchisten tut.<br />
Aber überall, wo sie auftreten, als Reformatoren<br />
sich betätigen, sind sie a n t i -<br />
s t a a t l i c h , a n t i k a p i t a l i s t i s c h <strong>und</strong> a n t i -<br />
r e l i g i ö s , die Religion als kirchliche Formel<strong>und</strong><br />
Dogmenlehre aufgefasst. Und die Reform<br />
des Anarchismus ist eine solche, dass sie das<br />
Selbsttätigkeitsfeld des Volkes erweitert <strong>und</strong><br />
dieses allein alles das tun, aus eigener Initiative<br />
heraus ausführen lässt, was die G e -<br />
setzgeber nur zum Schein befehlen. Nur der<br />
Anarchismus, also die direkte Einsetzung der<br />
Einzelpersönlichkeit oder der als Gruppe verb<strong>und</strong>enen<br />
Individuen, die von diesen aus<br />
eigener Kraft durchgesetzte Machtäusserung<br />
im socialen Leben — nur solche revolutionäre<br />
Wirksamkeit ist es, die das Proletariat<br />
dem Endziel des Socialismus näher bringt.<br />
Wohlgemerkt: nicht ein Gesetz ist es, was<br />
dies zu leisten vermag. Ein Gesetz ist stets<br />
eine Befestigung des bestehenden Zustandes;<br />
die Eroberung des Socialismus <strong>und</strong> der Freiheit<br />
kann, um das Wort des Kulturhistorikers<br />
Buckle anzuwenden, nur geschehen, indem<br />
man die Gesetze aufhebt <strong>und</strong> das Beste, w a s<br />
die Gesetzgeber leisten könnten, wäre, wenn<br />
sie die erlassenen Gesetze widerriefen, der<br />
sociale Zustand der ökonomischen Gleichheit<br />
<strong>und</strong> Freiheit dadurch etabliert würde.<br />
Nach einer Periode vollständigen, parlamentarischen<br />
Bankerotts, den die österreichische<br />
Socialdemokratie in der ersten Session<br />
des neuen Reichsrates erlitten — denn die<br />
Verringerung der Zuckersteuer, die ausgerechnetermassen<br />
im Jahre etwa vier (4) Kronen<br />
für eine fünfköpfige Arbeiterfamilie, Millionen<br />
von Profiten in den Taschen der<br />
Zuckerbarone bedeutet, kann nur ein kleinbürgerlicher<br />
„Reformer", kein Socialist eine<br />
Reform n e n n e n ; dies ist nur eine der vielen<br />
„Reformen" —, will die Socialdemokratie nun<br />
im Jahre 1908 die I n v a l i d i t ä t s v e r s i c h e -<br />
r u n g durchführen, ganz ungeachtet der Tatsache,<br />
dass das, was die deutschländischen<br />
Arbeiter staatlich in dieser Richtung besitzen<br />
<strong>und</strong> im Gegenwartsstaat erreichbar ist, ein<br />
wahrer Hohn auf das Proletarierelend ist, das<br />
einen Proletarier durchschnittlich höchstens<br />
40 aber nicht 70 Jahre alt werden lässt, im<br />
Unglücksfalle ihn sehr oft um das, was er<br />
selbst bezahlen musste, betrügt. Nun glaube<br />
man aber nicht, dass wir Anarchisten uns<br />
etwa der Erkenntnis der Notwendigkeit verschliessen,<br />
dass der Arbeiter auch schon innerhalb<br />
der Gegenwartsgesellschaft mit ihrer<br />
schmachvollen Ungerechtigkeit es durchsetzen<br />
soll, im Unglücksfalle sich wenigstens relativ<br />
versorgt, bei respektiver höherer Altersstufe<br />
mit resultierender Arbeitslosigkeit sich w e -<br />
nigstens vor dem ärgsten Elend geschützt zu<br />
wissen. Wir treten nur deshalb der Socialdemokratie<br />
entgegen, weil hier wieder etwas<br />
geschaffen werden soll, was seinen Zweck<br />
gar nicht erfüllen wird, wodurch nur der<br />
Staat die Möglichkeit gewinnt, sich noch<br />
besser über dem Volke zu behaupten. Es ist<br />
nämlich die Eigenart aller solcher parlamentarischer<br />
Scheinreformen, dass sie als wahrhaft<br />
aktuelles Ergebnis nur das eine haben:<br />
sie vermehren die staatliche Macht <strong>und</strong> n i c h t<br />
zu Gunsten des Proletariats. Wohl ist es eine<br />
Schande, dass der österreichische Arbeiter<br />
es sich von seinem Ausbeutertum so ohne<br />
weiteres gefallen lässt, sich bei jeder Lebenseventualität<br />
buchstäblich an den Bettelstab<br />
bringen oder in den Selbstmord treiben zu<br />
lassen; aber will die Socialdemokratie vielleicht<br />
behaupten, dass der gute Staat bei<br />
Einführung eines Alters- <strong>und</strong> Invaliditätsgesetzes<br />
dessen finanzielle Erfordernisse aus<br />
dem Budget des Militarismus oder sonstiger<br />
Staatseinnahmen decken w i r d ? Nein, der<br />
Staat tut dies nicht, sondern die Arbeiter<br />
werden dazu angehalten werden, eine neue<br />
direkte oder indirekte Steuer zu entrichten,<br />
aus deren Ertrag dann die Alters- <strong>und</strong> Invaliditätsansprüche<br />
befriedigt werden sollen,<br />
d. h. so, wie der Staat es für recht <strong>und</strong><br />
billig hält.<br />
Hier haben wir die Scheinreform in unverhülltester<br />
Nacktheit <strong>und</strong> gemeinster Heuchelei.<br />
So ist jede politische Socialreform beschaffen.<br />
Sie ist eine neue Bürde für den<br />
Arbeiter <strong>und</strong> wird durch ihre speziellen Verfügungen<br />
immerdar nichts anderes als eine<br />
i Segnung für eine ganz bestimmte A r b e i t e r -<br />
a r i s t o k r a t i e , das Proletariat a l s K l a s s e<br />
vollständig unberührt lassend; zur Aufbringung<br />
des nötigen Budgets aber das gesamte<br />
Volk zwingend, worauf die ganze kolossale<br />
Summe unter der ausschliesslichen Kontrolle<br />
des Staates zu stehen kommt, der somit Verwalter,<br />
Eigentümer <strong>und</strong> Revisor in einer<br />
Person ist!<br />
Ganz abgesehen davon, dass, wenn die<br />
Socialdemokratie ihre diesbezüglichen Anträge<br />
sogar durchbringen sollte, das dann geschaffene<br />
Gesetz eine Persiflage auf die wahren<br />
Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse des Proletariats<br />
bilden wird, da sie ja nur nach der von den<br />
diversen bürgerlichen Parteien vorgenommenen<br />
Verslümmelungen der Anträge mit diesen<br />
durchzudringen hoffen darf, also wieder<br />
Schacher <strong>und</strong> Arbeit f ü r das Bourgeoisregime,<br />
nicht aber für das revolutionäre Prinzip des<br />
Socialismus — ganz abgesehen davon, stellen<br />
wir Anarchisten uns ein Alters- <strong>und</strong> Invaliditätsgesetz<br />
ganz anders, ganz anders durchgeführt<br />
vor. Dort wo der Staat sich in solchen<br />
Angelegenheiten dreinmengt, kann er nicht<br />
anders, als wie als herrschende <strong>und</strong> unterwerfende<br />
Gewalt auftreten; <strong>und</strong> deshalb<br />
wendet sich ein jedes selbst im Sinne der<br />
arbeitenden Klasse erlassenes Gesetz in seiner<br />
Ausführung wider diese Klasse. Darin besteht<br />
eben das Trügerische des Parlamentarismus.<br />
Und da das von der Socialdemokratie m i t<br />
H i l f e d e r v e r s c h i e d e n e n b ü r g e r l i -<br />
c h e n Parteien durchzusetzende Gesetz ein<br />
für alle Arbeiterkategorien e i n h e i t l i c h e s ,<br />
die diversen mannigfachen Unterschiede zwischen<br />
diesen n i c h t berücksichtigendes G e -<br />
setz sein wird, nein: n u r sein kann <strong>und</strong><br />
darf, wird es von vornherein nur ganz bestimmten<br />
<strong>und</strong> ganz gewiss nur den ohnedies<br />
meist begünstigten Kategorien zu Gute kommen.<br />
Es wird sich hier das wiederholen, w a s<br />
wir bei a l l e n Gesetzen erleben, <strong>und</strong> was<br />
ein ausserordentlich scharfsinniger Jurist des<br />
neunzehnten Jahrh<strong>und</strong>erts, Thibaut, sehr richtig<br />
andeutete, wenn er klarlegte, dass ein jedes<br />
Gesetz, sobald es einmal aus dem Stadium<br />
der theoretischen Beratung ausgetreten <strong>und</strong><br />
wirklich Gesetz geworden, eine ganz selbständige<br />
Existenz beginne <strong>und</strong> ein von den Absichten<br />
seiner Urheber ganz unabhängiges,<br />
verschiedenes Leben führe.<br />
Wir Anarchisten sind für eine Alters<strong>und</strong><br />
Invaliditätsversicherung, die sich das<br />
Proletariat aus eigener Kraft, nach Massgabe<br />
eigener ökonomischer Einsicht erkämpf; als<br />
Anarchisten sind wir g e g e n ein diesbezügliches<br />
G e s e t z , weil es erstens den Arbeiter<br />
finanziell ausbeutet, zweitens nur für eine<br />
Arbeiteraristokratie Sorge trägt, für die Gesamtklasse<br />
des Proletariats wirkungs- <strong>und</strong><br />
wertlos ist.<br />
Ja, wir wollen es den Arbeitern sagen,<br />
wie sie sich ihr Alter <strong>und</strong> gegen einen Unfall<br />
versichern können. Am logischesten <strong>und</strong><br />
definitivsten wäre es natürlich durch die Einführung<br />
eines kommunistischen Gemeinwesens<br />
erreichbar. Sind die Arbeiter geistig<br />
aber noch nicht reif dazu, dann müssen sie<br />
sich ihre Forderungen auf direktem <strong>Weg</strong>e,<br />
mit eigener, direkter Aktion, kurz durch ihre<br />
eigene Kraft erkämpfen. Und es gäbe dazu<br />
mehrfache W e g e :<br />
1. Durch einen allgemeinen Generalstreik<br />
für die Erhöhung der Arbeitslöhne im ganzen<br />
Land könnten die Arbeiter einen ökonomischen<br />
Sieg erringen, den ihnen kein Parlament der<br />
Welt bereiten kann.<br />
2. Das österreichische Proletariat muss,<br />
um eine wahre Alters- <strong>und</strong> Invaliditätsversicherung<br />
zu haben, dieselbe selbst in seinen<br />
Gewerkschaften <strong>und</strong> Genossenschaften besitzen<br />
<strong>und</strong> die kapitalistische Klasse dazu zwingen,<br />
für dieselbe zu zahlen. Dazu ist nötig ein<br />
Generalstreik, der die Forderung aufstellt:<br />
Die organisierten Proletarier Österreichs verlangen<br />
von dem Unternehmertum die von<br />
jenen zu bestimmende Zahlung zu einem vom<br />
Proletariat zu errichtenden Alters- <strong>und</strong> Invaliditätsfonds.<br />
3. An den Staat müsste der Generalstreik<br />
die folgende Forderung richten: Statt, wie es<br />
jetzt zu unser aller, der Arbeitenden Schmach<br />
<strong>und</strong> Hohn geschieht, die Erhöhung der Offiziersgehälter<br />
durchzuführen, soll der Staat<br />
die für diesen Zweck bestimmte Summe alljährlich<br />
den Gewerkschaften für besagte Versicherung<br />
zuführen.<br />
4. Die Forderungen des generalstreikenden<br />
Proletariats an kapital <strong>und</strong> Staat richten<br />
sich ganz nach den lokalen <strong>und</strong> örtlichen<br />
Bedürfnissen der Arbeiterklasse.<br />
5. Der von den Gewerkschaften zu entrichtende<br />
Fonds darf den Kampfescharakter<br />
des Proletariats nicht lähmen. Eine Gewerkschaft<br />
muss revolutionär sein <strong>und</strong> besteht nur<br />
zwecks Führung ökonomischer Klassenkämpfe,<br />
was aber allerdings die gegenseitige Solidarität<br />
innerhalb der Gewerkschaft nur steigern<br />
soll <strong>und</strong> muss.