Leipziger Kulinarische Antiquitäten (Folge 47) - Internationaler ...
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<strong>Leipziger</strong> <strong>Kulinarische</strong> <strong>Antiquitäten</strong> (<strong>Folge</strong> <strong>47</strong>)<br />
Beilage zur <strong>Leipziger</strong> Köchepost, Ausgabe Januar 2009<br />
Herbert Pilz:<br />
Leipzigs Gastronomie zur Gründungszeit des Internationalen Kochkunstvereins<br />
vor 125 Jahren<br />
Die Stadt erlebte im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ein derartig schnelles Wachstum, wie<br />
kein zweites Mal in ihrer langen Geschichte. Bisherige Regelungen des städtischen Lebens<br />
waren überholt, die Neuordnung für eine geschäftige Großstadt stand auf der Tagesordnung.<br />
Die damaligen klugen, vorausschauenden Stadtväter stellten sich der kommunalpolitischen<br />
Herausforderung und entwickelten Lösungen, die sich bis heute bewährt haben. Dazu zählten<br />
z. B. 1885 zur besseren Orientierung in der sich immer mehr ausdehnenden Stadt die Einführung<br />
einer Hausnummerierung, bei der sich auf der linken Straßenseite die ungeraden und auf<br />
der rechten die geraden Hausnummern befanden. Die Wirtschaft erlebte einen gewaltigen<br />
Auftrieb, mit der erheblich steigenden Bevölkerungszahl entstand eine dichte Bebauung in<br />
den Vorstädten. Noch heute sind imposante Gründerzeitbauten und Bauten im Stile des<br />
Historismus zu bewundern. Typisch waren repräsentative Gebäude zur Straßenseite sowie<br />
Werkstätten und andere Wirtschaftsbauten in den Höfen.<br />
Mit diesem Aufstieg Leipzigs war zugleich ein erheblicher Auftrieb für das Gastgewerbe<br />
verbunden. Die positive Entwicklung zog zahlreiche „Neuleipziger“ in die Stadt, auch in die<br />
Gastronomie. Neue Ideen wirkten sich positiv auf die gesamte Branche aus. Durch urbanen<br />
und soziologischen Wandel innerhalb weniger Jahre hatten sich die Anforderungen an die<br />
Gastronomie grundlegend verändert. Der Bedarf an Speisen und an vielfältiger Unterhaltung<br />
wuchs sprunghaft. Es kam dadurch zu einer zunehmenden Differenzierung im Gastgewerbe.<br />
Zu der im Stadtzentrum reichlich vorhandenen Gastronomie kamen viele kleine Lokale in den<br />
Neubaugebieten wie in der Südvorstadt und Connewitz, im <strong>Leipziger</strong> Westen und Osten, in<br />
Gohlis und Möckern. Sie blieben nicht beim Getränkeangebot, sondern boten nun Mittagsund<br />
Abendtisch, vor allem für Beschäftigte der zahlreichen Kleinbetriebe in der Nähe, an.<br />
Diese tranken auch gern ihr Feierabendbier in diesen Gaststätten oder spielten Skat.<br />
Zunehmend kam das Frühstücken im Lokal, vor allem im Stadtzentrum, in Mode. Wir würden<br />
das heute als Geschäftsfrühstück bezeichnen. Es wurde üblich, geschäftliche Abschlüsse in<br />
der Gaststätte vorzubereiten oder den Abschluss dort zu „begießen“. Beliebt war das besonders<br />
in der Rauchwarenbranche. Hiesige und auswärtige Pelzhändler, deren Kommissionäre,<br />
Kürschner, Zurichter u.a. der Branche bevölkerten zum Frühstück, meist nicht vor 9 oder<br />
10 Uhr, die von ihnen bevorzugten Lokale in der Nähe ihrer Quartiere am Brühl, der Ritter-,<br />
Nikolai- und Reichsstraße. Bestimmte Vorlieben hatten sich dazu herausgebildet. Die Wirte<br />
lockten mit Bouillon, Mock-Turtle-Suppe, Ragout fin, Speckkuchen. Mancher warb auch mit<br />
einem preiswerten warmen „ Stammfrühstück“. Andere wie Rosts Gosenstube in der<br />
Schlossgasse oder Stehfests Restaurant in der Albertstraße (jetzt Riemannstraße) verwiesen<br />
auf ihre reichhaltige Speisekarte bereits ab 8 Uhr morgens. Schon in den frühen<br />
Morgenstunden, bevor die Chefs ins Geschäft kamen, waren im Stadtzentrum viele<br />
Beschäftigte, wie Fuhrleute, Markthelfer u. a. unterwegs. Manche Gaststätte z. B. Schatz in<br />
der Ritterstraße war schon ab 5 Uhr geöffnet. Einige, die sog. Frühstückstuben, orientierten<br />
sich nur auf die Frühgäste.<br />
Einstige Bierschänker und Speisewirte waren zu Restaurateuren geworden. Große Restaurants<br />
boten in den Bahnhöfen sowie im und um das Stadtzentrum herum eine gute Auswahl Speisen<br />
und Getränke. Spezialitäten wurden in der Werbung extra herausgestellt. Im Winter 1886<br />
warb das vornehme Restaurant Langer am Dorotheenplatz mit Spiegelkarpfen polnisch, nicht<br />
weit davon entfernt gab es im Sophienbad-Restaurant gefüllten Truthahn oder Rehkeule in<br />
Sahne, das Weinrestaurant Alwin Lehmann in der Petersstraße 24 hatte täglich frische<br />
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Austern, das Restaurant im Hotel de Pologne in der Hainstraße verwies auf seine Thüringer<br />
Klöße und Zills Tunnel auf Sauren Rindsbraten mit Klößen zu Bayrisch Bier. Rottig’s Restaurant<br />
in der Schulstraße hatte Schinken in Brotteig zu Kulmbacher Bier. Abends war Deftiges<br />
angesagt. Cajeris Restaurant in Lehmanns Garten (Münzgasse) warb mit Schweinsknochen<br />
mit Klößen und Meerrettich, dazu Döllnitzer Gose, im Burgkeller gab es Hasenbraten<br />
mit Weinkraut oder Hammelkeule mit Straßburger Kartoffeln, bei Fröhlich in Hoffmanns<br />
Restaurant (später Hotel Fröhlich) Pökelschinken mit Meerrettich oder Gänsebraten und es<br />
gab die beliebten Schlachtfeste. In den „vornehmen Localitäten“ hatte sich das à-la-carte-<br />
System jedoch noch nicht vollständig durchgesetzt. Huth`s Weinkeller in der Grimmaischen<br />
Straße warb: „Zu jeder Tageszeit wird à-la-carte gespeist und Gesellschaften auf Wunsch<br />
table d’hôte serviert“.<br />
Leipzigs Kaffeetradition wurde durch rund 50 Kaffeehäuser und Gärten allein im Stadtzentrum<br />
und unmittelbarer Nachbarschaft repräsentiert. Dazu kam ein große Zahl von Konditoreien<br />
und kleinen Kaffeestuben, vielfach in den zahlreichen Durchgängen zwischen den<br />
Straßen der Innenstadt.<br />
So vielfältig wie das Speisenangebot waren die Unterhaltungsangebote. Selbst kleinere Lokale<br />
boten wenigstens „Einmannmusik“ oder hatten ein Pianino. „Zur Münze“ in der Münzgasse<br />
bot zur Faschingszeit Pfannkuchenschmaus mit Concert, später Auftritte der Concertund<br />
Quartett-Gesellschaft Menge, im Café Metz bei IKL-Vorstandmitglied Klingebeil gab es<br />
täglich Konzert und Varietévorführung, im Restaurant Schwarz in der Reichsstraße war täglich<br />
Konzert und Vorstellung einer Singspielgesellschaft, im Concerthaus Babelsberg am Königsplatz<br />
(jetzt Wilhelm-Leuschner-Platz) traten Drahtseilkünstler, Jongleure und die Negertruppe<br />
Clifton auf. Das Hotel de Pologne erfreute seine Gäste mit Humoristischen Soireen der<br />
<strong>Leipziger</strong> Quartett- und Concert-Sänger, Gute Quelle (später Platz’l) am Brühl bot täglich<br />
„Künstler-Concert und Spezialitäten-Vorstellung“, im Schloss-Keller trat B. Ahlers Circus<br />
und Affentheater sogar mit Kinder-Vorstellung auf, im Krystall-Palast fanden Maskenbälle<br />
und Promenaden-Concerte statt. Die Gaststätte „Zum Helm“ in Eutritzsch lockte mit einem<br />
„Gross Ross- und Viechmarkt mit eyn Heydenmäßig lustig Musika und Gesangel“. Viele<br />
Lokale hatten für ihre Gäste Kegelbahnen und Billards bereit. Zu den Großobjekten der damaligen<br />
Zeit gehörte das „Panorama“ am Rossplatz. Zu seinen vielfältigen Angeboten kam 1886<br />
eine Aufsehen erregende Neuigkeit, die allein schon Gäste anlockte. Als eine der ersten Einrichtungen<br />
hatte es elektrische Beleuchtung . Das <strong>Leipziger</strong> Tageblatt berichtete begeistert:<br />
Wir hatten Gelegenheit, die nun fertiggestellte elektrische Beleuchtung im Panorama eingehend<br />
zu besichtigen. Die 22 Bogenlampen geben ein ruhiges, brillant leuchtendes Licht. Die<br />
drei Bogenlampen an der Außenseite der Restaurationsräumlichkeiten gereichen dem Rossplatz<br />
zur erhöhten Zierde und machen von Ferne gesehen eine prächtigen Eindruck, währenddem<br />
die innern 16 Lampen des Panoramabildes, welche eine Lichtsstärke von 32 000<br />
Kerzen geben, leuchtend durch den Gewölbering zum Himmel strahlen.<br />
In Bezug der Gaslichtbeleuchtung wirken die Lampen gleich Diamantsternen funkelnd auf die<br />
Gäste der Restaurationslocalitäten herab.<br />
So machen die Räumlichkeiten dieser prächtigen Restaurations-Localitäten des Panorama<br />
allabendlich einen wahrhaft imponierenden Eindruck.<br />
Das alles ging an den Köchen nicht spurlos vorbei. Sie wurden durch grundlegende Umgestaltung<br />
des Sortiments, stärkeren Speisenumsatz, veränderte Arbeitsorganisation mit dem Übergang<br />
zu großen arbeitteilig tätigen Küchenbrigaden gefordert. Das verlangte Erfahrungsaustausch,<br />
kollegiales Miteinander und nicht zuletzt höheres Niveau der Berufsausbildung. So<br />
setzte sich die Erkenntnis durch, dass wirkungsvolle Lösungen nur in der Gemeinsamkeit zu<br />
schaffen waren. Damit kam es am 18. Februar 1884 zur Gründung des Internationalen Kochkunstvereins<br />
zu Leipzig.