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Leipziger Kulinarische Antiquitäten (Folge 43) - Internationaler ...

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<strong>Leipziger</strong> <strong>Kulinarische</strong> <strong>Antiquitäten</strong> (<strong>Folge</strong> <strong>43</strong>)<br />

Beilage zur <strong>Leipziger</strong> Köchepost, Ausgabe September 2007<br />

Herbert Pilz:<br />

Naumann konnte alles bieten – Erinnerung an ein vergangenes Gastronomieimperium<br />

<strong>Leipziger</strong> Bahnhöfe sind eng mit der Gastronomie verbunden. Ein besonders Kapitel dieser<br />

Bahnhofsgastronomie stellt die des <strong>Leipziger</strong> Hauptbahnhofs dar. Am 4. Dezember 1915 war nach<br />

mehr als zehnjährige Bauzeit festliche Einweihung des damals größten Kopfbahnhofs Europas.<br />

Gastronomie war schon vorher da. Ab 1912 bewirtete in verschiedenen nach und nach<br />

eingerichteten gastlichen Stätten Louis Gross als Bahnhofswirt. Am 18. Oktober 1913 empfing der<br />

sächsische König Friedrich August der III. die zur Einweihung des Völkerschlachtdenkmals anreisenden<br />

Fürstlichkeiten bereits in den Wartesälen 1. und 2. Klasse.<br />

Die Glanzzeit der Hauptbahnhofsgastronomie begann aber erst nach dem 1. Weltkrieg verbunden<br />

mit dem Namen Erich Naumann. Mit unternehmerischem Geschick entwickelte er einen nach den<br />

modernsten Gesichtspunkten organisierten gastronomischen Großbetrieb – Hauptbahnhofswirtschaft<br />

Erich Naumann - mit Angeboten für den unterschiedlichsten Bedarf und Geldbeutel. Mit<br />

differenzierten Öffnungszeiten rund um die Uhr in den verschiedenen Abteilungen reichte die Offerte<br />

von Fleischbrühe mit Brötchen bis zu Austern, Kaviar, Hummer und erlesenen Weinen. Zur<br />

von Erich Naumann straff geleiteten Bahnhofswirtschaft gehörten:<br />

- Hauptwartesaal 1. und 2. Klasse mit Rampen<br />

- Hauptwartesaal 3. und 4. Klasse (später nur noch 3. Klasse)<br />

- Speisesaal mit Konzert mittags und abends<br />

- Bachzimmer für Gesellschaften<br />

- Weinrestaurant (täglich Konzert) mit gesondertem Gesellschaftszimmer<br />

- Bahnhofsschänke Westhalle<br />

- Bahnhofsschänke Osthalle<br />

- 3 verglaste Imbisskioske an den Bahnsteigen<br />

- 1 Zigarrenpavillon auf dem Querbahnsteig<br />

- 10 fliegende Büfetts (Bahnsteigwagen) mit Angebot von Erfrischungen an den Zügen<br />

- Bauchladenverkäufer mit Reisebedarf im Bahnhof<br />

- Stadtküche mit großen Einzugsbereich (z.B. bis Erfurt)<br />

- Weingroßhandel.<br />

Die Einwohner von Leipzig haben schon lange erkannt, dass sie in ihrer Bahnhofswirtschaft eine<br />

Gaststätte haben, die etwas Außergewöhnliches darstellt. Der gewöhnliche Mann, der gut, aber<br />

billig essen will, der Geschäftsmann, der mit Geschäftsfreunden oder mit seiner Familie essen will,<br />

oder der Feinschmecker, der nach den feinsten und seltensten Leckerbissen aus ist, sie alle finden<br />

in ihrer Bahnhofswirtschaft den Platz, der ihnen am meisten zusagt (1)<br />

Der Betrieb beschäftigte ständig etwa 400 Mitarbeiter, zu den Messen etwa 500. Zur „weißen Garde“<br />

zählten 1 Küchendirektor, 3 Küchenmeister für je eine Brigade ( 2 Schichten sowie Weinrestaurant<br />

und Stadtküche), 36 Köche, 25 Mamselln, 7 Küchenfleischer (Feinzerlegung, Wurstherstellung),<br />

8 Konditoren und 4 Bäcker. Zu den Betriebseinrichtungen zählten weiterhin die Wäscherei,<br />

Druckerei, Haushandwerker und eigener Fuhrpark. Logistik war für die Küche kompliziert,<br />

den sie befand sich im 4. Stockwerk, während die gastronomischen Einrichtungen vorwiegend auf<br />

der Ebene des Querbahnsteigs angeordnet waren. Die Bestellungen von den Büfetts gelangten<br />

mittels Rohrpost in die Küche, die Speisen über 10 beheizte Aufzüge von dort zur Gastronomie.<br />

Damit verfügte der Betrieb über eine für die damalige Zeit modernste Kommunikationslösung, die<br />

von der Firma Mix & Genest AG Berlin produziert war<br />

(1) Der Wirtschaftsbetrieb im <strong>Leipziger</strong> Hauptbahnhof, in Zeitschrift „Die Küche“ 9/1928<br />

- 1 -


Alle vier Sendestationen, die in den beiden Wartesälen, im Speisesaal und im Weinrestaurant sind<br />

hintereinander in eine 140 m lange Rohrleitung eingeschaltet, die verdeckt angeordnet bis zur<br />

Küche führt...In den Küchen der Hauptbahnhofswirtschaft wird kein Bon annonciert. Wenn der Bon<br />

durch die Rohrpost dort ankommt, wird er mit der Kontrolluhr abgestempelt, so dass durch die<br />

genaue Minutenangabe jederzeit festgestellt werden kann, wie lange das Gericht gebraucht hat. (2)<br />

Da die Decken über den Sälen für die schweren Kücheherde nicht ausreichend tragfähig waren,<br />

mussten diese mittels Stahltrossen an Stahlträgern aufgehangen werden. Das gab für die großen<br />

Küche ein eigenartiges Bild. Der Leistungsanspruch sowohl in Quantität wie Qualität war hoch.<br />

Naumann war stets bestrebt, den neuesten Stand zu erreichen. Der Betrieb galt in jener Zeit als<br />

mustergültig. Die Standardkarte in den Speisesälen umfasste ständig etwa 150 Artikel, dazu kamen<br />

Tages-, Nacht- und Sonderkarten. Es gab bereits Diät- und Vegetarierangebote, in den 30er Jahren<br />

eine spezielle „Diät-Speisekarte für reisendes Publikum“. Neben der viel beanspruchten Stadtküche<br />

waren häufig Großveranstaltungen zu beköstigen. Darunter waren gastronomisch komplizierte wie<br />

der Internationale Mazdaznan - Kongress mit 600 Personen im Jahre 1932 (3). Die Küche hatte<br />

sowohl Masse wie Klasse zu bieten.<br />

Gedeckangebote im Weinabteil<br />

Kleines Gedeck 2.50 RM<br />

Hirnsuppe mit Kerbel oder Erdbeerkaltschale<br />

Beinfleisch, Mailänder Kohl, Geröstete, Schnittlauchsauce<br />

Kleines Gedeck 3.00 Mark (mit einem Gang zur Wahl)<br />

Hirnsuppe mit Kerbel oder Erdbeerkaltschale<br />

Bodensee-Felchenfilet „Cubat“ oder junges Hähnchen vom Rost mit Saisonsalat<br />

Erdbeertörtchen<br />

Großes Gedeck 4.00 Mark (mit zwei Gängen zur Wahl) (3)<br />

Kraftbrühe mit Sardellenstangen oder Erdbeerkaltschale<br />

Frische Pfifferlinge mit Spiegelei<br />

oder Bodensee-Felchen-Filet Cubat<br />

Kalbslendchen mit Spargelspitzen<br />

Oder engl. Lammrücken, Prinzeßbohnen, Annakartoffeln<br />

Crêpes mit Nussfüllung oder Camemberttoast<br />

Die Standardkarte bot etwa 120 Angebote der kalten und warmen Küche u. a. als Vorspeisen<br />

Geräucherten Wolgalachs, Malossol-Kaviar mit Toast, Halbe Hummer mit Mayonnaise,<br />

gebackene Austern mit Champagnerkraut, Krebsschwänze in Dill, Ragout fin mit Kalbsbries.<br />

Bei den Spezialplatten gab es z. B. Warme Appetitsplatte bestehend aus Lendenschnitte mit<br />

Kaviartoast, Champignonkrusteln, gef. Tomate, gr. Bohnen, Strohkartoffeln oder Naumann-<br />

Spezialplatte für 2 Personen bestehend aus Kalbsmignons, Filetsteak mit Niere, pochiertem Ei,<br />

Bearnaise und kleinen Näschereien.<br />

Die hohe Qualifikation der Köche kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sie als Aussteller bei<br />

den Internationalen Kochkunst-Ausstellungen in Frankfurt am Main regelmäßig mit Goldmedaillen<br />

ausgezeichnet wurden.<br />

1937 übergab Erich Naumann die Leitung des Unternehmens an seinen Sohn Joachim Naumann,<br />

der diese in gleicher Weise bis 1945 ausübte. Allerdings setzte mit Beginn des 2. Weltkriegs<br />

zwangsläufig Niedergang ein, und schließlich führte die Zerstörung des Hauptbahnhofs durch<br />

Bombenangriff die Gastronomie in diesem Großbetrieb abrupt zum Ende.<br />

(2) Dienst am Gast – Bon-System und Rohrpostanlage für Speisenbestellungen in Goßgaststätten,<br />

in Zeitschrift „Die Küche“ 5/1929<br />

(3) Die Mazdaznananhänger hatten besondere Ernährungsgrundsätze für eine vegetarische Kost<br />

(4) ein Preisvergleich ermöglicht das Gedeckangebot des renommierten Auerbachs Keller im<br />

gleichen Zeitraum mit Preisen von 1,50, 2,25 und 3,50 Mark.<br />

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