18.07.2013 Aufrufe

Leipziger Kulinarische Antiquitäten (Folge 48) - Internationaler ...

Leipziger Kulinarische Antiquitäten (Folge 48) - Internationaler ...

Leipziger Kulinarische Antiquitäten (Folge 48) - Internationaler ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Leipziger</strong> <strong>Kulinarische</strong> <strong>Antiquitäten</strong> (<strong>Folge</strong> <strong>48</strong>)<br />

Beilage zur <strong>Leipziger</strong> Köchepost, Ausgabe Mai 2009<br />

Herbert Pilz:<br />

<strong>Leipziger</strong> Gastronomie in den Jahren der Festigung des Internationalen<br />

Kochkunstvereins Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

Die bemerkenswerte Entwicklung Leipzigs setzte sich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts<br />

fort. Die Stadt wuchs sprunghaft, war auf den Weg zur Weltstadt. Sie dehnte sich weiter<br />

über den Stadtkern hinaus aus. Die Einwohnerzahl war bis 1900 auf 450 000 gestiegen. Zahlreiche<br />

große Industriebetriebe waren vor allem im Westen und Norden entstanden, die durch<br />

kleine und mittlere Betriebe ergänzt wurden. Leipzig bot vielen Menschen Arbeit, und viele<br />

kamen deshalb aus den wenig industrialisierten Gebieten Deutschlands und sogar<br />

angrenzender Staaten hierher. Sie wollten nicht nur arbeiten, sondern suchten Wohnung und<br />

nach der Arbeit Entspannung und Unterhaltung. Dazu kam die Neuordnung der <strong>Leipziger</strong><br />

Messe, ihr Übergang von der Waren- zur Mustermesse gab erheblichen Auftrieb und zog<br />

immer mehr Besucher an.<br />

Das alles hatte Auswirkung auf die Gastronomie, die sich nach dem neuem Bedarf anders<br />

strukturieren musste. Gasthöfe, Schänken, Italienerkeller, das althergebrachte Kaffeehaus,<br />

Kaffee- und Biergärten genügten nicht mehr. Neue Geschäftsfelder eröffneten sich. In den<br />

Wohngebieten entstanden eine Vielzahl kleiner Biergaststätten als Familienbetriebe, der Wirt<br />

stand hinter der Theke und bediente. Die Wirtin half mit oder besorgte bei Bedarf die Küche.<br />

Hier traf man sich nach der Arbeit. Für viele Arbeiter und Handwerker, die im Umfeld der<br />

Fabriken wohnten, gehörte ein Schnaps oder Feierabendbier zur alltäglichen Gewohnheit.<br />

Typisch waren Eckkneipen mit wenigen Stufen am Eingang in den großen Häusern an den<br />

Straßenkreuzungen. Es herrschte ein vertrauter, familiärer Verkehr, man kannte sich. Wirt und<br />

Wirtin waren Ansprechpartner und Vertrauensperson. Davon zeugen Gaststättennamen wie<br />

Mutter Müller, Mutter Schicketanz, Onkel Franz. Ergänzung waren in den dicht besiedelten<br />

Gebieten die Konzert- und Ball-Etablissements mit Saalbetrieb. Solche wie Felsenkeller,<br />

Elstertal, Sanssouci, Löwenpark, Schlosskeller, Grüne Schänke, Drachenfels, Goldener Löwe,<br />

Goldene Krone, Eiskeller, Friedrichshallen, Brauereigarten boten zum Wochenende, häufig<br />

aber auch in der Woche, Tanz und Unterhaltung mit Live-Musik großer Kapellen.<br />

Im Stadtzentrum bestimmten spezialisierte große und kleine Betriebe die Gastronomie. Hunderte<br />

Lokale wetteiferten mit ihren Angeboten um die Gunst der Gäste. Die Konjunktur zog<br />

Auswärtige, nicht nur als Gäste, sondern ebenfalls als neue Wirte in die Stadt. Sie brachten<br />

Ideen mit, so wie schon Jahrzehnte vorher der jungen Lausitzer Ernst Wilhelm Pinkert. Mit<br />

dem Plauenschen Hof und später Pfaffendorfer Hof, aus dem sich unser heute viel besuchter<br />

Zoo entwickelte, verwirklichte er seine Visionen. Es kamen auch gestandene Gastronomen.<br />

Aus der Reichshauptstadt Berlin kam beispielsweise der langjähriger Küchenchef des<br />

renommierten Feinschmeckerlokals „Weinhaus Huth“, Emil Paege hierher. Er übernahm die<br />

bisherige Weinhandlung und Weinstube Dähne, Markt 8 (dort ist heute das Restaurant Barthels<br />

Hof) und profilierte sie zu einem international anerkannten Weinrestaurant, erwarb<br />

damit sogar den Titel Königlicher Hoflieferant. Die Weinrestaurants hatten sich in jener Zeit<br />

aus den traditionsreichen Weinhandlungen mit ihren Probierstuben und den Weinkellern, den<br />

einstigen Italienerkellern oder „Italienerwaren-Handlungen“ entwickelt. Neben einem<br />

umfangreichen, erlesenen Weinsortiment boten sie eine anspruchsvolle Küche für Kenner. Sie<br />

warben mit den „Delikatessen der Saison“ und einem ausgezeichneten Service durch gut<br />

geschultes Personal. Weitere Beispiele für diese Restaurants waren Aeckerleins Keller, hier<br />

wirkte um die Jahrhundertwende Curt Däweritz, später Obermeister der <strong>Leipziger</strong> Köche-<br />

Innung, als Wirt und natürlich der renommierte Auerbachs Keller. Zu diesen Lokalen zählten<br />

auch Weinrestaurant und Austern-Stube Steinmann im Mauricianum in der Grimmaischen<br />

Straße, das Weinrestaurant im Krystall-Palast und Simmers Weinrestaurant in der Petersstraße,<br />

später zog es in die Ritterstraße um. Es entstanden ferner große Bier- und Speiselokale<br />

mit gutbürgerlicher Küche. Zu den bekanntesten und viel besuchten gehörte der<br />

- 1 -


traditionsreiche „Thüringer Hof“ in der Burgstraße. In einem zeitgenössischen Reiseführer<br />

heißt es: Diese höchst originelle, volksthümliche Gastwirtschaft „Zum Thüringer Hof“ erfreut<br />

sich eines starken Besuchs und ist weit bekannt. Diese in altdeutschen Stil gehaltene<br />

Lokalitäten fassen circa 800 Personen (d. h. vor der Erweiterung H.P.)und sind zu jeder Zeit<br />

von allen Standesklassen stark besucht. Ebenfalls zu den großen Bier- und Speiselokalen<br />

zählte Kitzing & Helbig im Juridicum, Petersstraße /Durchgang Schlossgasse, von dem<br />

berichtet wird: Große und schöne Lokalitäten, prachtvolle Einrichtung, halten wir eines<br />

Besuchs bestens empfohlen, da der jetzige Besitzer es sich angelegen sein lässt, stets für<br />

gutgepflegte Weine und ein gutes Glas Münchner Spatenbräu und Kulmbacher Exportbier<br />

Sorge zu tragen; die Küche ist vorzüglich Dazu kamen viele kleine und kleinste Lokale im<br />

Stadtzentrum, oft auch in den Seitengebäuden der Durchgänge, z. B. vom Brühl zur Richard-<br />

Wagner-Straße. Ein Anziehungspunkt für einen besonderen Gästekreis waren die Gosestuben,<br />

in denen die Liebhaber dieses Getränke nach ihren speziellen Wünschen junge Gose,<br />

Mittelgose oder die gut abgelagerte Gose bekamen. Es öffneten weiterhin viele kleine<br />

sogenannte „Amüsierlokale“, die mit besonderem Programme, z.B. humoristischen Vorträgen<br />

und Musik, sowie „ausgefallener“ Ausstattung Gästen unterschiedlichem Geschmacks<br />

Unterhaltung boten.<br />

Die <strong>Leipziger</strong> Gastronomie hatte zu jener Zeit eine kaum noch zu überschauende Vielfalt erreicht,<br />

die für jedes Bedürfnis und unterschiedlichen Geldbeutel viele Angebote hatte. Damit<br />

war sie zu einem Anziehungspunkt der Stadt geworden.<br />

Impulse gab der <strong>Leipziger</strong> Gastronomie die vom 24. April bis 19. Oktober auf dem Gelände<br />

des jetzigen Clara-Zetkins-Parks durchgeführte „Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung“.<br />

Gewichtiger Teil der Ausstellung war die umfangreiche vielfältige<br />

Gastronomie mit den weit gefächerten spezialisierten Angeboten (1).<br />

Aus dem vom Gastwirt Ernst Pinkert am 9. Juni 1878 als Anziehungspunkt für Gäste eröffneten<br />

bescheidenen Tiergarten im Pfaffendorfer Hof hatte sich bis dahin ein ausgedehnter<br />

Zoologischer Garten entwickelt. 1898 wurde er in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In<br />

diesen Jahren entstand dort als Neubau ein großes Gesellschaftshaus (heute als Kongresshalle<br />

bekannt) mit einem imposanten Festsaal, mehreren kleinen Sälen, Gesellschaftsräumen und<br />

ausgedehntem gastronomischen Bereich. Am 29. September fand dafür die Eröffnungsfeier<br />

mit diesem Festmahl statt:<br />

Schildkrötensuppe in Tassen – Gefüllte Pastetchen<br />

***<br />

Damwildrücken nach St. Hubertus<br />

***<br />

Ostender Steinbutt mit Hummerragout<br />

***<br />

Getrüffelter Truthahn - Eingemachte Früchte – Salat<br />

***<br />

Eis in Figuren<br />

***<br />

Nachtisch<br />

Der Internationale Kochkunstverein war in jenen Jahren zu einer mitgliederstarken bedeutenden<br />

Berufsvereinigung geworden. Er veranlasste u. a. 1901 die Gründung der Köche-Innung<br />

zu Leipzig und Umgebung und übergab ihr eine großzügige Anschubfinanzierung.<br />

(1) Siehe dazu auch <strong>Leipziger</strong> <strong>Kulinarische</strong> <strong>Antiquitäten</strong> (<strong>Folge</strong> 7): Thüringer Gastlichkeit in<br />

Leipzig vor 100 Jahren (Ifo 3/1997)<br />

- 2 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!