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Impressionen aus der DDR-Gastronomie - Internationaler ...

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Leipziger Kulinarien Folge 53 (Beilage zur 14. Ausgabe <strong>der</strong> Leipziger Köchepost Juli 2011)<br />

Herbert Pilz<br />

<strong>Impressionen</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-<strong>Gastronomie</strong>:<br />

Als das Interhotel „Deutschland“ nach Leipzig kam<br />

Das Jahr 1965 war ein beson<strong>der</strong>es für Leipzig. Die Stadt stand im Zeichen des Jubiläums<br />

„800 Jahre Leipziger Messe“. Da sollte auch den Messegästen Beson<strong>der</strong>es geboten werden. Eine<br />

Möglichkeit dafür waren die Interhotels. Ihr Profil war auf hohes <strong>Gastronomie</strong>- und Beherbergungsniveau<br />

<strong>aus</strong>gerichtet. In ihnen sollten sowohl internationale Gäste als auch <strong>DDR</strong>-Bürger zu<br />

Gast sein. Zur Frühjahrsmesse erwarteten gleich fünf dieser Hotels ihre Gäste. Zwei von ihnen,<br />

das Hotel Astoria und das Hotel International (heute wie<strong>der</strong> unter seinem Traditions namen<br />

„Fürstenhof“) hatten bereits Tradition als Spitzenhäuser. Drei Neubauhotels kamen dazu.<br />

Begonnen hatte die Interhotelgeschichte bereits Ende 1963, als unter Leitung von Heinz Siegert<br />

in Berlin eine Arbeitsgruppe zur Etablierung von Spitzenhotels gebildet wurde. Dazu kamen bald<br />

örtliche Gremien. In Leipzig entstanden sie 1964 für die bereits im Bau befindlichen Hotels „Stadt<br />

Leipzig“, „Hotel zum Löwen“ am Hauptbahnhof und das Hotel „Deutschland“ am Augustusplatz.<br />

Für das Hotel „Deutschland“ arbeitete eine Gruppe unter Leitung von Herbert Würsig, später<br />

langjähriger Direktor des H<strong>aus</strong>es. Ab Herbst 1964 kam <strong>der</strong> Küchenchef des <strong>DDR</strong>-Urlauberschiffs<br />

„Fritz Heckert“, Eberhard Blüthner, dazu. Er hatte die Aufgabe, eine leistungsfähige Küche einzurichten<br />

und eine gute Mannschaft zusammenzustellen. Das sollte Vor<strong>aus</strong>setzung für eine neue<br />

<strong>Gastronomie</strong> mit „Interhotelniveau“ sein. Das Hotel war damals als Rohbau schon fertig und ein<br />

Küchenprojekt war vorhanden. Es musste <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Sicht des Praktikers so angepasst werden, dass<br />

künftig reibungslose Arbeit gewährleistet war. Die Küchenmannschaft kam <strong>aus</strong> allen Teilen <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong>, war unterschiedlichen Kochstilen verbunden und brachte für die Harmonie und Zusammenarbeit<br />

in einer großen Brigade sehr unterschiedliche mentale Vor<strong>aus</strong>setzungen mit. Alles in<br />

allem eine große Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für den jungen Küchenchef Eberhard Blüthner. In einem<br />

Gespräch mit ihm konnte ich viele bemerkenswerte Einzelheiten <strong>aus</strong> dieser Vorbereitungszeit, <strong>der</strong><br />

Anfangsphase und seinen vielen Jahren als Küchendirektor im Hotel erfahren.<br />

Bereits in <strong>der</strong> Vorbereitungszeit veranlasste er den Einbau einer Räucherkammer, die im<br />

ursprünglichen Projekt nicht vorgesehen war. Das erwies sich im Verlauf <strong>der</strong> folgenden Jahre<br />

als sehr vorteilhaft, vieles war zu räuchern und bereicherte das Speisensortiment im<br />

„Deutschland“. Für den Abzug <strong>der</strong> Räucherkammer war es allerdings notwendig, die Decken<br />

von zwei Stockwerken des Hotelrohb<strong>aus</strong> durchzustemmen. Das besorgten in Zusatzarbeit die<br />

Köche, um den Einbau zu ermöglichen. Die sich <strong>aus</strong> den Anfängen entwickelnde Zusammenarbeit<br />

mit <strong>der</strong> Leipziger Handwerksfirma Helmut T<strong>aus</strong>check erwies sich als ein Glückfall. Mit<br />

ihr war es auch möglich, die Holzplatten <strong>der</strong> Arbeitstische mit Chromstahl zu ummanteln und<br />

so eine Hygienefalle im Küchenbereich zu beseitigen. In den Folgejahren ermöglichte diese<br />

Verbindung, noch so manche Verbesserung für die Küchenarbeit zu schaffen. Dazu zählten u.a.<br />

Transportbehälter für lebende Forellen für den Weg vom Forellenhof in Potsdam nach Leipzig.<br />

Die Kühlraumtüren <strong>aus</strong> Holz erwiesen sich durch die ständige Benutzung als anfällig. Durch<br />

das Beschlagen mit Chromstahl wurden sie für die hohe Belastung wi<strong>der</strong>standsfähiger.<br />

Mit den Forellen ergab sich dann später bei <strong>der</strong> Lagerung ein Problem. Die Fischbecken waren<br />

weiß gefliest. Forellen haben die Eigenschaft, die Farbe ihrer Umgebung anzunehmen. Damit<br />

wurden nach einigen Tagen im Becken <strong>aus</strong> den Forellen „Weißfische“. Also war es notwendig,<br />

die Becken grünblau zu fliesen. Manches stellte sich in <strong>der</strong> Folgezeit noch als verän<strong>der</strong>ungswürdig<br />

dar. Das betraf nicht zuletzt die vielen kleinen Dinge, die im täglichen<br />

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Arbeitsprozess möglichst griffbereit zur Hand sein sollten, das „Mise en place“. Es mussten<br />

günstige Lösungen gefunden werden, wo was stehen sollte. Bei allem standen Eberhard Blüthner<br />

erfahrene Kollegen wie Manfred Döring, Wolfgang Heil, Horst Steinhardt, Bernd Weber<br />

und für die Patisserie Ehrhard Landschreiber zur Seite.<br />

Am 20. Februar 1965 erfolgte die feierliche Eröffnung des Interhotels „Deutschland“ mit<br />

offiziellen Gästen. Die folgenden Messetage mit hohem Gästeandrang waren eine große<br />

Bewährungsprobe. Zu den Hotelgästen zählten internationale Berühmtheiten, darunter <strong>der</strong><br />

legendäre Louis Armstrong, <strong>der</strong> zur Jubiläumsmesse mit seinem Orchester ein Son<strong>der</strong>konzert<br />

in <strong>der</strong> Kongresshalle gab. Ware wurde für das Hotel durch die Vereinigung Interhotel in Berlin<br />

<strong>aus</strong>reichend bereitgestellt. Dazu zählten sonst nicht alltägliche Delikatessen wie Hummer,<br />

Austern, Kaviar. Zu den Startlieferungen zählten auch 350 kg Enten (voll). Sie mussten in<br />

Zusatzarbeit durch die Küchenbrigade <strong>aus</strong>genommen werden. Eberhard Blüthner berichtete<br />

mir, heute schmunzelnd, von einem Schock, <strong>der</strong> sich vor <strong>der</strong> Eröffnung für ihn ergab. Er hatte<br />

als Sch<strong>aus</strong>tück für das Büfett eine Eismeißelarbeit angefertigt. Als er sie dann <strong>aus</strong> dem Kühlraum<br />

zum Aufstellen holen wollte, war sie unauffindbar. Im Nachhinein stellte sich her<strong>aus</strong>, dass<br />

<strong>der</strong> Küchenfleischer <strong>der</strong> Übeltäter war. Er hatte geglaubt, das Eisstück werde nicht mehr benötigt<br />

und hatte das Eis zum Kuttern verwendet.<br />

Über Leipzigs Interhotels schwärmte Hansgeorg Stengel in <strong>der</strong> Zeitschrift „Das Magazin“ im<br />

September 1965: Dem Hauptbahnhof gegenüber erhob sich in architektonischer Anmut das<br />

Hotel „Stadt Leipzig“, und am Karl-Marx-Platz empfing mich das Juwel messestädtischer<br />

Beherbergungs-, Bewirtungs- Zerstreuungsrepertoires „Interhotel Deutschland“.<br />

Aus den folgenden Jahren seiner Zeit als Küchendirektor im Hotel kann Eberhard Blüthner<br />

noch sehr viel erzählen. Aber das sind an<strong>der</strong>e Geschichten. Hervorzuheben ist jedoch, dass<br />

seine Küchenbrigade die heute unwahrscheinliche Größe von 102 Mitarbeitern hatte. Schließlich<br />

war in <strong>der</strong> „Vollküche“ von <strong>der</strong> Rohstoffverarbeitung bis zur Endfertigung alles zu erledigen.<br />

In den Interhoteljahren sind als Beson<strong>der</strong>heit sogar 57 Bären verarbeitet worden. Sie<br />

kamen <strong>aus</strong> Zirkussen und diversen Bärenhaltungen, u. a. <strong>aus</strong> Torgau. Aus den verschiedensten<br />

Gründen konnten die Bären dort nicht mehr gehalten werden. Erschossen, geschlachtet und<br />

abgehangen wurden sie im Schlachthof Leipzig. Als Delikatessen, wie z.B. geräucherter Bärenschinken,<br />

verließen sie die bereits erwähnte Räucherkammer. Ein Anziehungspunkt des H<strong>aus</strong>es<br />

war die Grillbar. Anfangs bestand ihre Grill<strong>aus</strong>rüstung <strong>aus</strong> Importgeräten. Als diese verschlissen<br />

waren, musste eine <strong>DDR</strong>-Lösung gefunden werden. Die ergab sich durch Zusammenarbeit<br />

von Prof. Hans Stündel von <strong>der</strong> Handelshochschule, Eberhard Blüthner und dem VEB<br />

Ascoblock in Cossebaude. Für die Anfertigung von Spießen und Feuerschwertern, damals eine<br />

Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Grillbar, konnte die PGH Kunst im Handwerk gewonnen werden. Immer wie<strong>der</strong><br />

waren für neue Anfor<strong>der</strong>ungen Lösungen zu finden. Anlässlich einer Messe or<strong>der</strong>te ein<br />

Auftraggeber für 180 Personen ein Menü „Mit <strong>der</strong> Zeit durch die Jahrhun<strong>der</strong>te“. Es sollte u. a.<br />

Büffellende in Lehm gebacken gegeben. Dafür waren von einem Ofenbauer Lehmziegel zu<br />

beschaffen und die günstigste Zubereitungsvariante zu erproben. Ein Erlebnis für die Gäste war<br />

<strong>der</strong> Service, <strong>der</strong> vor ihren Augen die hartgebackene Lehmhülle aufschlug und die Lende tranchierte.<br />

Die einst in <strong>der</strong> „feinen Küche“ geschätzten Hahnenkämme kamen im Hotel „Deutschland“<br />

gebacken o<strong>der</strong> gefüllt wie<strong>der</strong> ins Angebot. Das war möglich, weil sich durch Verbindung<br />

mit einem Geflügelzuchtbetrieb bei Dresden Liefermöglichkeiten ergaben.<br />

Manche Episode und Anekdote wäre noch <strong>aus</strong> den nahezu 5 Jahrzehnten des einstigen Hotels<br />

„Deutschland“ zu erzählen. Nicht unerwähnt soll <strong>der</strong> häufige Namenswechsel vom Hotel<br />

„Deutschland“, zum „Hotel am Ring“, dann wie<strong>der</strong> „Hotel Deutschland“, später „Hotel Mercure“<br />

und nun „Radisson-Hotel“ bleiben. All das sind Zeugnisse eines wechselhaften Hotellebens.

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