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Leipziger Kulinarien Folge 52 Herbert Pilz Impressionen aus der ...

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<strong>Leipziger</strong> <strong>Kulinarien</strong> <strong>Folge</strong> <strong>52</strong><br />

<strong>Herbert</strong> <strong>Pilz</strong><br />

<strong>Impressionen</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> DDR-Gastronomie<br />

Zehnt<strong>aus</strong>end Portionen Gulasch <strong>aus</strong> Quarkbechern<br />

Wie<strong>der</strong> einmal trafen wir uns, <strong>der</strong> Stammtisch „Alte Gastronomen“, in „Zills Tunnel“ an dem<br />

großen Ecktisch unter dem Wandbild vom einstigen legendären Zöllnerstammtisch. Es ging wie<br />

immer bei unseren Treffen gemütlich zu. Es gab manches Bemerkenswerte, Kurioses, Lustiges<br />

und auch Tragisches <strong>aus</strong> dem gastronomischen Leben zu hören. Einmal berichtete unser 95 Jahre<br />

alter Senior Walter Gutseel von einer Episode, die mich aufhorchen ließ. Es ging um die<br />

Verpflegung t<strong>aus</strong>en<strong>der</strong> Besucher des LVZ-Pressefestes auf dem Gelände <strong>der</strong> Gartenbau-<br />

Ausstellung (1) in Markkleeberg. Dabei handelt es sich um ein Stück Zeitgeschichte, das bewahrt<br />

werden muss. Deshalb habe ich es aufgeschrieben.<br />

1954 feierte die <strong>Leipziger</strong> Volkszeitung ihr 60jähriges Jubiläum. Der Jahrestag fand mit Reden<br />

von Staats- und Parteifunktionären auf dem Karl-Marx-Platz (jetzt wie<strong>der</strong> Augustusplatz) vor <strong>der</strong><br />

Ruine des Neuen Theaters seine Würdigung. Nach dem offiziellen Teil gab es kulturelle<br />

Darbietungen und eine Versorgung <strong>der</strong> Besucher mit Getränken und Imbiss. Das fand großen<br />

Anklang. Deshalb gab es den Beschluss, das Ereignis künftig alljährlich mit einem Pressefest zu<br />

begehen. Für 1955 war das am 20. und 21. August auf dem Gelände <strong>der</strong> Gartenbau-Ausstellung<br />

geplant. Ein Volksfest des „Vertrauensverhältnisses von Lesern und sozialistischer Presse“ war<br />

geplant. Dazu gehörte neben den gewichtigen Festreden, Unterhaltung, Musik auch eine gute<br />

Versorgung. Letztere wurde an die HO und die Konsumgenossenschaft delegiert. Bei <strong>der</strong> HO fiel<br />

das in die Zuständigkeit des damaligen HO-Kreisbetriebes Leipzig-Land. Das Gastronomische für<br />

die vielen zu erwartenden Besucher delegierte dieser an die Heideschänke. Dort war unser Walter<br />

Gutseel <strong>der</strong> HO-Gaststättenleiter.<br />

Er erinnerte sich, dass ihn bereits im Frühjahr 1955 Mitarbeiter <strong>der</strong> LVZ zur Vorbereitung des<br />

Pressefestes aufsuchten. Sie hatten mit dem Direktor <strong>der</strong> Gartenbau-Ausstellung, Dr. Baumgarten<br />

bereits das Grundsätzliche für die Großveranstaltung abgestimmt. Es waren für die beiden Tage,<br />

Sonnabend und Sonntag, ein umfangreiches Kulturprogramm auf mehreren Bühnen sowie<br />

zahlreiche Vergnügungen vorgesehen. Die damalige herrlich gepflegte Parkanlage in ihrer<br />

Weitläufigkeit mit ihren unterschiedlichen Ansichten vieler Blumen und Pflanzen bot einen<br />

großartigen Rahmen dafür. Wenn man das Bild von einst noch vor den Augen hat, wird man als<br />

alter <strong>Leipziger</strong> ob des jetzigen Zustands großer Teile des Parks von Wehmut gepackt.<br />

Wie auch heute zählte die Verpflegung zu einem entscheidenden Faktor für das Gelingen einer<br />

solchen großen Veranstaltung. Auch daran hatten die Verantwortlichen <strong>der</strong> LVZ gedacht. In jener<br />

Zeit war es nicht so einfach diesbezüglich für alle Besucher eine befriedigende Lösung zu finden.<br />

Für Lebensmittel bestand nach wie vor die Rationierung. Das unleidliche<br />

Lebensmittelkartensystem sollte jedoch bei diesen festlichen Tagen vergessen werden. Sogar die<br />

hohen HO-Preise waren <strong>aus</strong>geklammert, damit alles zu erschwinglichen Preisen angeboten<br />

werden konnte. Walter Gutseel erfuhr im Gespräch mit den LVZ-Bevollmächtigten, dass man für<br />

die Pressefestversorgung eine markenfreie warme Verpflegung mit etwa 10 000 Portionen plante.<br />

Für die Ausgabe waren mehrere im Park verteilte Versorgungsstellen vorgesehen. Nach ihrer<br />

Meinung war ein kräftiger Erbseneintopf dafür gut geeignet. Die Ausgabe sollte an verschiedenen<br />

Ständen auf dem Festgelände <strong>der</strong> Gartenbau-Ausstellung für den Preis von 1.- Mark erfolgen. Die<br />

Bereitstellung <strong>der</strong> notwendigen Lebensmittel war gesichert. In <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> straffen<br />

Lebensmittelrationalisierung gehörte das zu den Grundvor<strong>aus</strong>setzungen für das Gelingen. Von<br />

einer LPG waren bereits eint<strong>aus</strong>end Kilogramm Fleisch als Beitrag <strong>der</strong> Landwirtschaft für das<br />

großartige Volksfest verbindlich zugesagt worden.<br />

(1) Heute als AGRA-Park bekannt<br />

-2-


-2-<br />

Diese Lebensmittelmengen waren sogenannte „Freie Spitzen“ (2). Erbseneintopf an heißen<br />

Augusttagen war diskussionsfähig, vor allem wegen des hohen lebensmittelhygienischen Risikos.<br />

Walter Gutseel gelang es, beson<strong>der</strong>s mit Hinweis auf das hohe hygienische Risiko die<br />

Verantwortlichen zu überzeugen. Nach heftigen Diskussionen einigte man sich auf „Gebratenes“<br />

und schließlich auf Gulasch mit Kartoffeln.<br />

Danach begann <strong>der</strong> mühselige Weg <strong>der</strong> Vorbereitung unter den damaligen Zeitbedingungen. Für<br />

die Zubereitung reichte die Küchenkapazität <strong>der</strong> Heideschänke nicht <strong>aus</strong> (3). Mit dem<br />

Ausstellungsdirektor Dr. Baumgarten war Gutseel rasch einig. Die 10 000 Portionen Gulasch<br />

konnten mit zusätzlicher Schichtarbeit in <strong>der</strong> Betriebsküche <strong>der</strong> Gartenbau-Ausstellung zubereitet<br />

werden. Im <strong>Leipziger</strong> Schlachthof war es möglich, sie danach einzufrieren und zwischen zu<br />

lagern. Anrichtegeschirr in Form von Einwegverpackungen war nicht vorhanden, genau so wenig<br />

Besteck zum Verzehr des Gerichts. Um das Essgeschirr kümmerte sich die LVZ. Sie beschaffte<br />

10 000 große Quarkbecher <strong>aus</strong> Pappe. Was nun noch fehlte war das Besteck. Da kam Gutseel <strong>der</strong><br />

Zufall zu Hilfe. In jenen Tagen feierte die Belegschaft des Presswerks Groitzsch in <strong>der</strong><br />

Heideschänke. Im Gespräch mit dem Direktor erfuhr Gutseel vom Produktionsprofil des Plaste<br />

verarbeitenden Betriebs. Als er den Direktor fragte, ob er 10 000 Plastelöffel für das Pressefest<br />

produzieren könnte, sagte <strong>der</strong> zu. Als sehr schwierig erwies sich das Beschaffen von 10 000<br />

Portionen Kartoffeln. Zunächst deutete sich eine Lösung in <strong>der</strong> Gartenbau-Ausstellung an. Die<br />

dortige Bauabteilung verfügte von früheren Veranstaltungen noch über acht Waschkessel. Der<br />

Leiter <strong>der</strong> Abteilung schlug vor, sie im Hof <strong>der</strong> Heideschänke aufzubauen, dazu Schornsteine zu<br />

mauern und die Kessel daran anzuschließen. Damit sei die Garkapazität für die Kartoffeln<br />

vorhanden. Je näher das Pressefest jedoch rückte, desto unsicherer erwies sich diese Zusage. Es<br />

gab große Schwierigkeiten beim Beschaffen des Baumaterials. Letztlich war es so weit, dass es<br />

nur noch eine Notlösung mit zwei Kesseln gab. Diese reichten jedoch als Garkapazität nicht. Die<br />

Küche <strong>der</strong> Heideschänke kam ebenfalls nicht in Frage. Es war vor<strong>aus</strong>zusehen, dass an den<br />

Festtagen in <strong>der</strong> Gaststätte Hochbetrieb herrschen würde und somit diese voll <strong>aus</strong>gelastet war.<br />

Nun musste es irgendwie an<strong>der</strong>s gehen. An<strong>der</strong>e Betriebe hätten vielleicht helfen können. Aber<br />

dort erfuhr Gutseel bei seinen Anfragen nur Absagen. Schließlich fand sich aber doch noch eine<br />

Lösung. Der Chef <strong>der</strong> Großküche Böttner (4) sagte die Lieferung gekochter Kartoffeln zu.<br />

All die anspruchsvollen Aufgaben <strong>der</strong> Vorbereitung neben dem normalen Tagesgeschäft in <strong>der</strong><br />

Heideschänke zu bewältigen, hatte Walter Gutseel so zugesetzt, dass es kurz vor dem Pressefest<br />

zum gesundheitlichen Zusammenbruch kam. Er hat dann aber vom Krankenbett weiter<br />

organisiert. Als das Fest heran war, ließ er sich <strong>aus</strong> dem Krankenh<strong>aus</strong> entlassen und übernahm<br />

wie<strong>der</strong> seine Aufgaben. Alles lief zu großer Zufriedenheit. Die Volkszeitung lobte danach:<br />

„Bewun<strong>der</strong>nswerte Leistungen vollbrachten die Kolleginnen und Kollegen <strong>der</strong> HO und des<br />

Konsums, <strong>der</strong> <strong>Leipziger</strong> Verkehrsbetriebe, <strong>der</strong> Reichsbahn, des Deutschen Roten Kreuzes, die<br />

zahlreichen ehrenamtlichen Helfer“.<br />

Möglich war dies nur durch Einfallsreichtum und Improvisationstalent. So war das eben in dieser<br />

Zeit.<br />

(2) Die Landwirtschaftsbetriebe hatten ein verbindliches Abgabesoll an Produkten. Was sie<br />

darüber hin<strong>aus</strong> produzierten konnten sie frei verkaufen. Das waren die „Freien Spitzen“.<br />

(3) Die Heideschänke war damals die größte Gaststätte des Geländes mit rund 1000 Plätzen,<br />

davon 250 im ihren Räumen und 750 auf dem Freisitz mit offener und geschlossener Terrasse.<br />

Sie musste wenige Jahre nach dem Pressefest <strong>der</strong> Umgestaltung des Agra-Parks zur<br />

Landwirtschafts<strong>aus</strong>stellung weichen.<br />

(4) Die Großküche Böttner in <strong>der</strong> Berliner Straße, den älteren Küchenchefs noch gut bekannt,<br />

verfügte über eine Anlage zum industriemäßigen Schälen von Kartoffeln. Sie belieferte damals<br />

die meisten <strong>Leipziger</strong> Gaststätten mit geschälten Kartoffeln.

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