Illustration: Frank Schmolke Auf HORIZONTE | LITERATURREISEN den Spuren der großen Erzähler Ein Pint im Lieblingspub von Oscar Wilde, ein Blick in die Stube von Fernando Pessoa, ein Strandspaziergang auf den Spuren Marcel Prousts: MS BREMEN und MS HANSEATIC enthüllen im Rahmen des Formats „Expedition Wissen“ den neuen Schwerpunkt Literatur. Der mitreisende Experte Wend Kässens verrät, was hinter dem Konzept steht 36 PASSAGEN | AUSGABE 4.2011
Wend Kässens ist Redakteur, Publizist und Moderator. Fast 20 Jahre leitete er die Literaturredaktion von NDR Kultur. Gemeinsam mit Hapag-Lloyd Kreuzfahrten konzipierte er den neuen Schwerpunkt Literatur für „Expedition Wissen“ und begleitet die Reisen als Experte. Herr Kässens, worin liegt der Reiz, hinter die Romanzeilen zu schauen? In ihrer Literatur verarbeiten Schriftsteller das, was sie beschäftigt, worüber sie nachdenken, wovon sie träumen. Indem sie es literarisch verarbeiten, rücken sie es zugleich auf Distanz und von sich weg. In diesem Sinn zehrt jeder Autor mit dem, was er schreibt, von seiner Biografie, ohne dass ein Roman deshalb gleich autobiografisch genannt werden darf. Die Fantasie, die sich der autobiografischen Partikel bedient, ist zugleich in der Lage, daraus neue und andere Zusammenhänge und Konstellationen herzustellen, die für den Leser nicht oder kaum mehr mit der Biografie des Autors zu identifizieren sind. Jeder Autor offenbart sich also in seinem Werk mal mehr, mal weniger – und zugleich versteckt er sich mehr oder weniger hinter seinen Einfällen und Ideen. Literarische Exkursionen, Autorenlesungen und Begegnungen mit Autoren sind Möglichkeiten, Einblicke in ihr Leben und ihre literarische Werkstatt zu bekommen. „Die Begegnung mit dem Schriftsteller ist ein ganz besonderer Einstieg in sein Werk “ Sie haben den Themenschwerpunkt Literatur für „Expedition Wissen“ mitentwickelt. Wie entsteht ein solches Programm? Jede Reise hat ein übergreifendes Thema. Daran knüpfe ich an. Das Motto der Reise von Teneriffa nach Bilbao lautet zum Beispiel „So göttlich klingt Europa“. Gerade in Portugal und Spanien spielt der Katholizismus eine große Rolle – und das spiegelt sich auch in der Literatur wider. Das möchte ich in Vorträgen mit entsprechenden Zitaten erläutern. Die Kollegen aus dem Bereich Geschichte und Architektur haben es da etwas leichter, sie können auf historische Gebäude oder Orte verweisen, um ihre Argumente zu illustrieren. Aber auch die Literatur hat durchaus ihre Erinnerungsstätten wie Geburts- und alte Caféhäuser. Ergänzend zu den Vorträgen stehen deshalb literarische Stadtführungen auf dem Programm, etwa ein Spaziergang durch Lissabon auf den Spuren Fernando Pessoas oder des 2010 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers José Saramago. Auf der anschließenden Reise, die unter anderem in die Normandie führt, geht es um das übergreifende Thema „Die schönen Künste auf den Spuren bürgerlicher Emanzipation“. Marcel Proust hat die Sommer häufig dort verbracht, im Grand Hotel in Cabourg. Nicht weit entfernt, in Trouville, lebte Marguerite Duras im Hotel des Roches Noires, wo auch ihr Film „Die Frau vom Ganges“ gedreht wurde. Heute ist es nur noch ein Appartementhaus am Meer – aber Teil einer spannenden literarischen Spurensuche. Sie planen auch Lesungen mit bekannten Autoren während der Reisen. Woher rührt das große Interesse daran, die Stimme des Autors selbst zu hören? Schriftsteller genießen gerade in Deutschland immer noch großen Respekt, sie sind nach wie vor eine moralische Instanz. Da ist es natürlich ein großer Reiz, sie persönlich kennenzulernen und sie bei einer Lesung ihrer Werke wahrzunehmen. Wie sie sich geben, wie sie lesen – das verrät viel über einen Autor. Nicht zuletzt ergänzt jeder Leser ein Buch mit seinen eigenen Erfahrungen, insofern ist die Resonanz auch für den Schriftsteller sehr wichtig. Je mehr man als Leser über diese Hintergründe und die Umstände der literari- LITERATURREISEN | HORIZONTE schen Arbeit weiß, desto spannender ist die Lektüre. Auch können solche Kenntnisse dazu beitragen, die Bücher eines Autors besser zu verstehen. Manche mögen argumentieren, dass durch zu viel Hintergrundinformation die eigenen Bilder im Kopf verloren gehen – sehen Sie diese Gefahr? Nein. Selbst in einem sehr anschaulichen Vortrag kann man nur begrenzte Informationen über einen Autor geben – und die Zuhörer sind auch nur begrenzt aufnahmefähig. Ich verstehe die literarischen Expeditionen deshalb in erster Linie als Anregung, sich mit dem Werk eines Schriftstellers vielleicht danach näher zu beschäftigen, tiefer einzusteigen. Gerade die unmittelbare Begegnung mit einem Schriftsteller, wie wir sie zum Beispiel in Amsterdam mit Margriet de Moor möglich machen, ist ein ganz besonderer Einstieg und eine intensive Anregung. Ist es sinnvoll, sich vor der Reise schon einmal in die Werke der Autoren einzulesen? Das kann grundsätzlich nie schaden. Gerade als Vorbereitung der persönlichen Begegnungen ist es sicher interessant, sich mit dem ein oder anderen Autor und seinen Büchern zu beschäftigen. Es müssen ja nicht gleich die sieben Bände von Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ sein. Die kommen dann nach der Reise dran, wenn die Eindrücke und Anregungen zur Wirkung kommen. Auf welche Autoren-Spurensuche freuen Sie sich persönlich am meisten? Auf die Spurensuche nach Marcel Proust und Marguerite Duras in der Normandie. Aber im Grunde sind alle Literaturreisen Expeditionen in neue und noch wenig bekannte Welten, die mich auch selbst interessieren. Insofern bin ich nicht nur „Expeditionsleiter“, sondern selbst auch Entdecker. Interview: Anja Christina Lohmann LITERATURREISEN MS HANSEATIC Von Hamburg nach Malaga folgt die Reise vom 16.9 bis 29.9.2012 dem Motto „Kulturelle Glanzlichter Europas“. Auf dem Programm steht u.a. eine literarische Pubtour in London auf den Spuren von Autoren wie Charles Dickens und Oscar Wilde und ein literarischer Spaziergang auf den Wegen Fernando Pessoas in Lissabon. (HAN1218) *** MS BREMEN Von Teneriffa nach Bilbao steht die Fahrt vom 13.5. bis 22.5.2012 unter dem Eindruck „So göttlich klingt Europa“. Neben einem literarischen Stadtspaziergang in Lissabon ist ein Abend ganz im Zeichen der portugiesischen und spanischen Literatur geplant. (BRE1209) *** MS BREMEN Von Bilbao nach Hamburg folgt die Reise von 22.5. bis 31.5.2012 unter anderem den Spuren der Schriftsteller Marcel Proust und Marguerite Duras in Honfleur und Trouville. Dazu gibt es exklusive Lesungen mit den Autorinnen Monika van Paemel in Antwerpen und Margriet de Moor in Amsterdam. (BRE1210) AUSGABE 4.2011 | PASSAGEN 37