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Wend Kässens ist Redakteur, Publizist und Moderator.<br />

Fast 20 Jahre leitete er die Literaturredaktion von NDR Kultur.<br />

Gemeinsam mit Hapag-Lloyd Kreuzfahrten konzipierte<br />

er den neuen Schwerpunkt Literatur für „Expedition Wissen“<br />

und begleitet die Reisen als Experte.<br />

Herr Kässens, worin liegt der Reiz, hinter die Romanzeilen zu schauen?<br />

In ihrer Literatur verarbeiten Schriftsteller das, was sie beschäftigt, worüber<br />

sie nachdenken, wovon sie träumen. Indem sie es literarisch verarbeiten, rücken<br />

sie es zugleich auf Distanz und von sich weg. In diesem Sinn zehrt jeder Autor<br />

mit dem, was er schreibt, von seiner Biografie, ohne dass ein Roman deshalb<br />

gleich autobiografisch genannt werden darf. Die Fantasie, die sich der autobiografischen<br />

Partikel bedient, ist zugleich in der Lage, daraus neue und andere<br />

Zusammenhänge und Konstellationen herzustellen, die für den Leser<br />

nicht oder kaum mehr mit der Biografie des<br />

Autors zu identifizieren sind. Jeder Autor offenbart<br />

sich also in seinem Werk mal mehr,<br />

mal weniger – und zugleich versteckt er sich<br />

mehr oder weniger hinter seinen Einfällen<br />

und Ideen. Literarische Exkursionen, Autorenlesungen<br />

und Begegnungen mit Autoren<br />

sind Möglichkeiten, Einblicke in ihr Leben<br />

und ihre literarische Werkstatt zu bekommen.<br />

„Die Begegnung<br />

mit dem Schriftsteller<br />

ist ein ganz<br />

besonderer Einstieg<br />

in sein Werk “<br />

Sie haben den Themenschwerpunkt Literatur für „Expedition Wissen“ mitentwickelt.<br />

Wie entsteht ein solches Programm?<br />

Jede Reise hat ein übergreifendes Thema. Daran knüpfe ich an. Das Motto<br />

der Reise von Teneriffa nach Bilbao lautet zum Beispiel „So göttlich klingt<br />

Europa“. Gerade in Portugal und Spanien spielt der Katholizismus eine große<br />

Rolle – und das spiegelt sich auch in der Literatur wider. Das möchte ich in<br />

Vorträgen mit entsprechenden Zitaten erläutern. Die Kollegen aus dem Bereich<br />

Geschichte und Architektur haben es da etwas leichter, sie können auf<br />

historische Gebäude oder Orte verweisen, um ihre Argumente zu illustrieren.<br />

Aber auch die Literatur hat durchaus ihre Erinnerungsstätten wie Geburts-<br />

und alte Caféhäuser. Ergänzend zu den Vorträgen stehen deshalb literarische<br />

Stadtführungen auf dem Programm, etwa ein Spaziergang durch Lissabon<br />

auf den Spuren Fernando Pessoas oder des 2010 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers<br />

José Saramago. Auf der anschließenden Reise, die unter<br />

anderem in die Normandie führt, geht es um das übergreifende Thema „Die<br />

schönen Künste auf den Spuren bürgerlicher Emanzipation“. Marcel Proust<br />

hat die Sommer häufig dort verbracht, im Grand Hotel in Cabourg. Nicht<br />

weit entfernt, in Trouville, lebte Marguerite Duras im Hotel des Roches Noires,<br />

wo auch ihr Film „Die Frau vom Ganges“ gedreht wurde. Heute ist es nur<br />

noch ein Appartementhaus am Meer – aber Teil einer spannenden literarischen<br />

Spurensuche.<br />

Sie planen auch Lesungen mit bekannten Autoren während der Reisen. Woher<br />

rührt das große Interesse daran, die Stimme des Autors selbst zu hören?<br />

Schriftsteller genießen gerade in Deutschland immer noch großen Respekt,<br />

sie sind nach wie vor eine moralische Instanz. Da ist es natürlich ein großer<br />

Reiz, sie persönlich kennenzulernen und sie bei einer Lesung ihrer Werke<br />

wahrzunehmen. Wie sie sich geben, wie sie lesen – das verrät viel über einen<br />

Autor. Nicht zuletzt ergänzt jeder Leser ein Buch mit seinen eigenen Erfahrungen,<br />

insofern ist die Resonanz auch für den Schriftsteller sehr wichtig. Je<br />

mehr man als Leser über diese Hintergründe und die Umstände der literari-<br />

LITERATURREISEN | HORIZONTE<br />

schen Arbeit weiß, desto spannender ist die Lektüre.<br />

Auch können solche Kenntnisse dazu beitragen, die<br />

Bücher eines Autors besser zu verstehen.<br />

Manche mögen argumentieren, dass durch zu viel<br />

Hintergrundinformation die eigenen Bilder im Kopf verloren<br />

gehen – sehen Sie diese Gefahr?<br />

Nein. Selbst in einem sehr anschaulichen Vortrag kann<br />

man nur begrenzte Informationen über einen Autor<br />

geben – und die Zuhörer sind auch nur begrenzt aufnahmefähig.<br />

Ich verstehe die literarischen Expeditionen<br />

deshalb in erster Linie als Anregung, sich mit dem<br />

Werk eines Schriftstellers vielleicht danach näher zu<br />

beschäftigen, tiefer einzusteigen. Gerade die unmittelbare<br />

Begegnung mit einem Schriftsteller, wie wir sie<br />

zum Beispiel in Amsterdam mit Margriet de Moor<br />

möglich machen, ist ein ganz besonderer Einstieg und<br />

eine intensive Anregung.<br />

Ist es sinnvoll, sich vor der Reise schon einmal in die<br />

Werke der Autoren einzulesen?<br />

Das kann grundsätzlich nie schaden. Gerade als Vorbereitung<br />

der persönlichen Begegnungen ist es sicher<br />

interessant, sich mit dem ein oder anderen Autor und<br />

seinen Büchern zu beschäftigen. Es müssen ja nicht<br />

gleich die sieben Bände von Prousts „Suche nach der<br />

verlorenen Zeit“ sein. Die kommen dann nach der<br />

Reise dran, wenn die Eindrücke und Anregungen zur<br />

Wirkung kommen.<br />

Auf welche Autoren-Spurensuche freuen Sie sich persönlich<br />

am meisten?<br />

Auf die Spurensuche nach Marcel Proust und Marguerite<br />

Duras in der Normandie. Aber im Grunde sind<br />

alle Literaturreisen Expeditionen in neue und noch<br />

wenig bekannte Welten, die mich auch selbst interessieren.<br />

Insofern bin ich nicht nur „Expeditionsleiter“,<br />

sondern selbst auch Entdecker.<br />

Interview: Anja Christina Lohmann<br />

LITERATURREISEN<br />

MS HANSEATIC Von Hamburg nach Malaga folgt die Reise<br />

vom 16.9 bis 29.9.2012 dem Motto „Kulturelle Glanzlichter<br />

Europas“. Auf dem Programm steht u.a. eine literarische<br />

Pubtour in London auf den Spuren von Autoren wie Charles<br />

Dickens und Oscar Wilde und ein literarischer Spaziergang auf<br />

den Wegen Fernando Pessoas in Lissabon. (HAN1218)<br />

***<br />

MS BREMEN Von Teneriffa nach Bilbao steht die Fahrt<br />

vom 13.5. bis 22.5.2012 unter dem Eindruck „So göttlich<br />

klingt Europa“. Neben einem literarischen Stadtspaziergang<br />

in Lissabon ist ein Abend ganz im Zeichen der portugiesischen<br />

und spanischen Literatur geplant. (BRE1209)<br />

***<br />

MS BREMEN Von Bilbao nach Hamburg folgt die Reise<br />

von 22.5. bis 31.5.2012 unter anderem den Spuren der<br />

Schriftsteller Marcel Proust und Marguerite Duras in Honfleur<br />

und Trouville. Dazu gibt es exklusive Lesungen mit den<br />

Autorinnen Monika van Paemel in Antwerpen und Margriet<br />

de Moor in Amsterdam. (BRE1210)<br />

AUSGABE 4.2011 | PASSAGEN<br />

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