21.07.2013 Aufrufe

Didaktik der Analysis

Didaktik der Analysis

Didaktik der Analysis

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 1<br />

Skript zur Vorlesung<br />

<strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong><br />

Dieses Geheft enthält in kompakter, manchmal nur stichpunktartig aufzählen<strong>der</strong> Form,<br />

die wesentlichen fachlichen und experimentellen Grundlagen, wie sie in <strong>der</strong> Vorlesung<br />

,,<strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong>” vorgestellt werden.<br />

Es ist zum Gebrauch neben <strong>der</strong> Vorlesung gedacht und erhebt nicht den Anspruch, ,,in<br />

sich selbst verständlich” o<strong>der</strong> vollständig zu sein.<br />

S. Hilger<br />

Dieses Skript liegt in einer jeweils aktualisierten Form im Internet vor:<br />

http://www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/MGF/<strong>Didaktik</strong>en/dphys/Lehre.de


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 2<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Grenzwerte 3<br />

1.1 Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

1.1.1 Beispiel: Keplers Überlegungen zu Inhalten von Kreis und Kugel . . 4<br />

1.2 Die Grenzwertbegriffe <strong>der</strong> Schul–<strong>Analysis</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

1.2.1 Mögliche Reihenfolgen des Zugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

1.3 Der Funktionsgrenzwert — exemplarisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

1.3.1 Folgengrenzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

1.4 Kontextfel<strong>der</strong> für die Grenzwertbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

1.4.1 Folgengrenzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

1.4.2 Funktionsgrenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

1.4.3 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

2 Differentialrechung — <strong>der</strong> Ableitungsbegriff 18<br />

2.1 Die zwei Stränge <strong>der</strong> Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

2.2 Kontextfel<strong>der</strong> für die Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

2.3 Das Monotoniekriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

3 Kurvendiskussion 23<br />

3.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

3.2 Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

3.3 Krümmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

3.4 Die ,,Gegenbeispiel”–Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

4 Integral 30<br />

4.1 Kontextfel<strong>der</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

4.2 Historische Episoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

4.2.1 Die Möndchen des Hippokrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

4.2.2 Die Parabelsegmentmethode des Archimedes . . . . . . . . . . . . . 32<br />

4.2.3 Die Quadratur des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

4.2.4 Vielfältige Begriffe und Zugänge zum Integralbegriff . . . . . . . . . 34<br />

4.3 Einige didaktische Grundsatzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

4.4 Integrierbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

4.5 Der Hauptsatz <strong>der</strong> Differential- und Integralrechnung (HDI) . . . . . . . . 38


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 3<br />

1 Grenzwerte<br />

1.1 Historischer Abriss<br />

Man kann von einem 2000–jährigen Ringen um eine präzise Fassung des Grenzwertbegriffs<br />

sprechen. Die Entwicklung ist gekennzeichnet von intuitivem Umgang, unbekümmertem<br />

Rechnen (mit unendlichen Summen), ständiger Wechselwirkung mit dem Näherungsbegriff,<br />

Irreführung durch (vermeintliche) Paradoxien.<br />

1. Zenon von Elea (480 – 435): Achilles und die Schildkröte. Der fliegende Pfeil.<br />

2. Archimedes (≈ 287 – 212): Exhaustionsmethode, Bemühen um Strenge.<br />

3. Kepler (1571 – 1630): Zusammenhang Kreisfläche – Kreisumfang.<br />

4. Newton (1643 – 1727), Leibniz (1646 – 1716): Differentialkalkül ohne exakten Grenzwertbegriff.<br />

5. d’Alambert (1760): Begriff Grenzwert.<br />

6. Cauchy (1821):<br />

Wenn sich die zu einer Variablen gehörenden aufeinan<strong>der</strong>folgenden Werte<br />

einem festen Wert unbeschränkt in <strong>der</strong> Weise nähern, dass sie sich von<br />

diesem so wenig unterscheiden, wie man möchte, dann heißt dieser feste<br />

Wert Grenzwert des an<strong>der</strong>en.<br />

7. Cantor: Legt mit <strong>der</strong> Mengenlehre die Grundlage für eine umfassende exakte Formulierung<br />

des Grenzwertbegriffs in <strong>der</strong> mengentheoretischen Topologie.<br />

lim f(x) = b ⇐⇒ Das Urbild einer b–Umgebung ist eine a–Umgebung.<br />

x→a<br />

Dabei heißt eine Teilmenge U einer Menge eine Umgebung eines Punktes a, wenn<br />

eine offene Menge O existiert, so dass a ∈ O ⊆ U. ,,Offen” wie<strong>der</strong>um ist <strong>der</strong> vorgegebene<br />

Grundbegriff <strong>der</strong> mengentheoretischen Topologie.<br />

Mit Hilfe dieser Begriffsbildung wird eine sichere Grundlage für Begriffsbildungen<br />

wie Stetigkeit, Vollständigkeit, das ,,Unendlich kleine/große” geschaffen.<br />

Mehr in Hischer/Scheid, S. 101 – 113


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 4<br />

1.1.1 Beispiel: Keplers Überlegungen zu Inhalten von Kreis und Kugel<br />

1. Der Zusammenhang von Kreisumfang und Kreisfläche.<br />

Es wird ein regelmäßiges n–Eck in die Kreisfläche einbeschrieben. Die Fläche des<br />

n–Ecks setzt sich aus den n gleichschenkligen Segment–Dreiecken zusammen:<br />

An = n · 1<br />

2 · hn · gn = 1<br />

2 · hn · n · gn = 1<br />

2 · hn · Un<br />

Dabei ist gn ist die Basislänge eines Segment–Dreiecks, Un ist <strong>der</strong> Umfang des n–<br />

Ecks.<br />

Für wachsendes n ergibt sich wegen An → A Kreis, hn → r und Un → U Kreis die Formel<br />

A Kreis = 1<br />

2 · r · U Kreis.<br />

Wie entscheidend ist die Regelmäßigkeit <strong>der</strong> einbeschriebenen n–Ecke?<br />

2. Der Zusammenhang von Kugeloberfläche und Kugelvolumen.<br />

Per Dimensions–Analogie kann man durch Einbeschreibung von Pyramiden in ein<br />

Kugelvolumen herleiten, dass<br />

V Kugel = 1<br />

3 · r · A Kugel.<br />

3. Der Zusammenhang von Kugelumfang und Kugeloberfläche.<br />

Wendet man eine zu 1 ähnliche Methode an, um die Oberfläche einer Halbkugel<br />

durch ein einbeschriebenes gekrümmtes n–Eck zu approximieren, so ergibt sich als<br />

Formel<br />

AHalbkugel = 1<br />

2 · UKugel · UKugel =<br />

4<br />

1<br />

8 · U 2 Kugel.<br />

• Während die beiden ersten Formeln offenbar (was bedeutet das?) richtig sind, ist<br />

die dritte falsch.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 5<br />

1.2 Die Grenzwertbegriffe <strong>der</strong> Schul–<strong>Analysis</strong><br />

(A) Folgengrenzwert: limn→∞ an = a.<br />

(B) Funktionsgrenzwert: limx→a f(x) = b. Unterscheide eigentliche (b = ∞) und uneigentliche<br />

(b = ∞) Grenzwerte.<br />

Eng verknüpft damit ist eine Möglichkeit <strong>der</strong> Definition von Stetigkeit: Die Funktion<br />

f heißt stetig in a, wenn limx→a,x=a f(x) = f(a).<br />

(C) Funktionsgrenzwert im Unendlichen: limx→±∞ f(x) = b.<br />

f(x)−f(x0)<br />

(D) Differentialquotient: limx→x0<br />

<br />

(E) Integral: := inf<br />

lim Riemann–Summen .<br />

x−x0<br />

Obersummen = sup Untersummen (=<br />

Die in <strong>der</strong> mengentheoretischen Topologie sehr allgemein gefasste Definition des Grenzwerts<br />

enthält alle diese Grenzwerte als Spezialfälle.<br />

1.2.1 Mögliche Reihenfolgen des Zugangs<br />

• Bayerischer Lehrplan (1991)a:<br />

• Kratz:<br />

(B) −→ (C)<br />

↓<br />

(A)<br />

−→ (D) −→ (E)<br />

(C) −→ (A) −→ (D) −→ (B) −→ (E)<br />

• Barth (Anschauliche <strong>Analysis</strong>):<br />

(D) −→ (B) −→ (C) −→ (A) −→ (E)<br />

• Van Briel / Neveling:<br />

(D) −→ (B)( propä) −→ (C) −→ (B)( exakt) −→ (A) −→ (E)<br />

• Aktueller Aufbau <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> (Z.B. in Vorlesung)<br />

• Historisch:<br />

(A) −→ (B) −→ (C) −→ (D) −→ (E)<br />

(E) −→ (D) −→ (A)/(C) −→ (B)


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 6<br />

1.3 Der Funktionsgrenzwert — exemplarisch<br />

1. Die Grundlage bildet die folgende mathematisch—inhaltliche und stark formalisierte<br />

berühmt–berüchtigte ε–δ–Definition:<br />

<br />

lim f(x) = b ⇐⇒<br />

x→a<br />

<br />

<br />

ε∈R + δ∈R + x∈Df \{a}<br />

0 < |x − a| < δ =⇒ |f(x) − b| < ε. (∗)<br />

Es gab Tendenzen, Definitionen dieser Art in den Schulunterricht einzubringen.<br />

Nachteile bestehen darin, dass<br />

• inhaltliche Aspekte <strong>der</strong> Mathematik zugunsten formaler Aspekte zurückgedrängt<br />

werden,<br />

• diese Zugänge für das Lernen ungünstig sind, da Verbindungen zur Erfahrungswelt<br />

<strong>der</strong> Schüler (Sachwelt, Anschauung) fehlen.<br />

Also stellt sich die Aufgabe, diese Definition zu elementarisieren.<br />

2. Reduzierung des Formalismus, Benutzung sinnfälligerer Symbole:<br />

• wird ersetzt durch ∀.<br />

• wird ersetzt durch ∃.<br />

• ε ∈ R + wird ersetzt durch ε > 0 (entsprechend δ).<br />

• Herabsetzung <strong>der</strong> Logikhygiene: Nach Weglassen von x ∈ Df \ {a} lautet (∗):<br />

lim<br />

x→a f(x) = b ⇐⇒ ∀ε>0 ∃δ>0 ∀00 x ∈ ˙ Uδ(a) =⇒ f(x) ∈ Uε(b).<br />

Diese Definition kann man dann noch in die Mengenebene hochziehen:<br />

lim<br />

x→a f(x) = b ⇐⇒ ∀ε>0 ∃δ>0 f[ ˙ Uδ(a)] ⊆ Uε(b).


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 7<br />

4. Sprachliche Ausgestaltung (Verbalisierung) <strong>der</strong> Symbolik<br />

• ∀ wird zu ,,Für alle”<br />

• ∃ wird zu ,,Es existiert” o<strong>der</strong> ,,Es gibt ein. . . ”<br />

• ε ∈ R + wird zu positives ε,<br />

• |x − a| wird zu Abstand o<strong>der</strong> Umgebung<br />

• f[ ˙ Uδ(a)] wird zu ,,Bild <strong>der</strong> punktierten Umgebung von a”,<br />

• a wird zu ,,Stelle a”,<br />

• b wird zu ,,Grenzwert b”,<br />

• Anstelle von limx→a = b schreibt man ,,f(x) → b für x → a”.<br />

• ⊆ wird zu ,,ist enthalten in” o<strong>der</strong> ,,liegt in”.<br />

Damit kann man die Definition des Funktionsgrenzwerts formulieren:<br />

Die Zahl b heißt<br />

• Grenzwert <strong>der</strong> Funktion f an <strong>der</strong> Stelle a<br />

(genau dann), wenn es<br />

• zu je<strong>der</strong> ε–Umgebung Uε(b) von b<br />

• eine punktierte δ–Umgebung ˙ Uδ(a) von a gibt,<br />

• so dass <strong>der</strong>en Bild (unter f) in <strong>der</strong> vorgegebenen ε–Umgebung von b liegt.<br />

5. Graphische Umsetzung:<br />

• Zu jedem Uε(b)<br />

• gibt es ˙ Uδ(a),<br />

• so dass f[ ˙ Uδ(a)] enthalten ist in Uε(b).<br />

Es ist anschaulich klar:<br />

Auch für sehr kleine ε kann man δ finden, so dass f[ ˙ Uδ(a)] liegt in Uε(b).<br />

Idee: Graph als Glasfaser: Bei einer Beleuchtung mit einem (blauen) Parallellichtbündel<br />

von rechts (HW–Achse) finde ich ein (grünes) Parallellichtbündel von<br />

unten (RW–Achse), so dass <strong>der</strong> grüne Lichtfleck in dem blauen enthalten ist.<br />

Nicht–Stetigkeit:<br />

• Zu diesem Uε(b)<br />

• gibt es kein ˙ Uδ(a),<br />

• so dass f[ ˙ Uδ(a)] enthalten ist in Uε(b).<br />

Ein großes Problem bereitet in diesem Zusammenhang (Beweis von Unstetigkeit)<br />

die logische Negation <strong>der</strong> Grenzwert–Definition. Mit Quantoren ist dies formal sehr<br />

einfach:<br />

<br />

<br />

¬ lim f(x) = b ⇐⇒<br />

x→a <br />

0 < |x − a| < δ =⇒ |f(x) − b| ≥ ε.<br />

ε>0 δ>0 x∈Df \{a}


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 8<br />

Uε(f(a))<br />

Uε(f(a))<br />

Veranschaulichung <strong>der</strong> ε–δ–Definition <strong>der</strong> Stetigkeit:<br />

<br />

<br />

. R<br />

.<br />

. .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

f(a) . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

. . .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

.<br />

. .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

.<br />

. .<br />

...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................<br />

.<br />

.<br />

a<br />

. . R<br />

<br />

Uδ(a)<br />

. .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ❜ .<br />

. .<br />

. .<br />

. .<br />

. .<br />

. .<br />

. .<br />

. .<br />

. .<br />

.<br />

. .<br />

. .<br />

. .<br />

f(a) . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

.<br />

. .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. . .<br />

.<br />

.<br />

. .<br />

.<br />

.<br />

.<br />

...............<br />

a <br />

Uδ(a)<br />

Stetigkeit in a:<br />

• Zu jedem ε–Wackler um<br />

f(a) muss es<br />

• einen δ–Wackler um a geben,<br />

so dass<br />

• das Bild des δ–Wacklers um<br />

a im ε–Wackler um f(a)<br />

enthalten ist.<br />

Nicht–Stetigkeit in a:<br />

• Zu dem ε–Wackler um f(a)<br />

gibt es<br />

• keinen (auch noch so kleinen)<br />

δ–Wackler um a, so<br />

dass<br />

• das Bild des δ–Wacklers um<br />

a (ganz) im ε–Wackler um<br />

f(a) enthalten ist.<br />

.<br />

.<br />

.. R<br />

.. R


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 9<br />

6. Weiter kann man den Anspruch an die mathematische Stringenz zurückfahren und<br />

erhält dann einen naiven (o<strong>der</strong> intuitiven) Begriff:<br />

Definition: Man sagt, die Funktion f hat an <strong>der</strong> Stelle a den Grenzwert b, wenn bei<br />

• Annäherung von x an a<br />

• <strong>der</strong> Funktionswert f(x) sich an b annähert.<br />

Was ,,Annähern” bedeutet, ist anschaulich klar; man kann diesen Begriff mit Hilfe<br />

von Folgengrenzwerten auch exakt fassen:<br />

O<strong>der</strong> alternativ (Van Briel / Neveling): Man sagt, die Funktion f hat an <strong>der</strong> Stelle<br />

a den Grenzwert b, wenn das folgende <strong>der</strong> Fall ist:<br />

Die Funktionswerte f(x) liegen genügend nahe bei <strong>der</strong> Zahl b, falls für x<br />

(von a verschiedene) Zahlen eingesetzt werden, die genügend nahe bei a<br />

liegen.<br />

7. Alternativdefinitionen erfolgen mit Hilfe an<strong>der</strong>er bereits eingeführter Grenzwertbegriffe:<br />

Definition (über Folgengrenzwert): Die Zahl b heißt Grenzwert <strong>der</strong> Funktion f an<br />

<strong>der</strong> Stelle a, wenn für jede Folge (xn)n∈N (aus Df \ {a}) mit xn → a gilt:<br />

f(xn) → b.<br />

8. Einen ganz an<strong>der</strong>en Zugang (über die Stetigkeit) kann man in Barth: Anschauliche<br />

<strong>Analysis</strong>, finden:<br />

Auf <strong>der</strong> Grundlage einer anschaulich–graphischen Vorstellung von Stetigkeit wird<br />

definiert:<br />

Definition: Die Zahl b heißt Grenzwert <strong>der</strong> Funktion f an <strong>der</strong> Stelle a, wenn f in a<br />

durch den Wert b stetig fortgesetzt werden kann.<br />

9. Neuer Lehrplan (2003): Die Frage nach Stetigkeit wird nicht gestellt. Der in <strong>der</strong><br />

Mittelstufe ,,vorbereitete” Grenzwertbegriff (Grenzprozess) wird benutzt. <strong>Analysis</strong>–<br />

Schwerpunktsetzung erfolgt durch Begriffe wie:<br />

• Kalkül ( → Ableitung),<br />

• Numerische Algorithmen,<br />

• Anwendungen (Optimierung).


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 10<br />

1.3.1 Folgengrenzwert<br />

Definition:<br />

• Die Zahl a heißt Grenzwert <strong>der</strong> Folge (xn)n∈N (für n → ∞),<br />

• symbolisch: limn→∞ xn −→ a,<br />

• falls es zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass<br />

Alternativ–Definition:<br />

|xn − a| < ε für alle n > n0.<br />

• Eine Folge (xn)n∈N nähert sich dem (Grenz–)Wert a (an),<br />

• symbolisch: xn −→ a,<br />

• falls schließlich (n > n0) alle Folgenglie<strong>der</strong> beliebig (< ε) nahe bei a liegen.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 11<br />

1.4 Kontextfel<strong>der</strong> für die Grenzwertbegriffe<br />

Mit Kontextfeld ist ein Netz von benachbarten, verknüpften o<strong>der</strong> sonst irgendwie in Verbindung<br />

stehenden Begriffen. Die Elemente des Kontextfeldes können als mögliche Einstiege,<br />

Motivation, Beispiele, Anwendungen, Transfer benutzt werden.<br />

1.4.1 Folgengrenzwert<br />

• Intervallschachtelung (9. JGS): Schöpfung <strong>der</strong> irrationalen Zahlen, beispielsweise<br />

√ 2. (Dieser Begriff ist im neuen Lehrplan nicht mehr enthalten.)<br />

• Beim Heronverfahren werden iterativ Intervalle [xn; yn] bestimmt, die eine Intervallschachtelung<br />

darstellen, so dass die zu lokalisierende Quadratwurzel in jedem<br />

Intervall enthalten ist. Vgl. MAG.<br />

• Berechnung von π (Kreismessung 10. JGS) (vgl. 1 Kön 7,15),<br />

• Ein- und Umbeschreibung von regelmäßigen n–Ecken,<br />

• Streifenmethode,<br />

• Der Innenwinkel eines regelmäßigen n–Ecks ist n−2<br />

n · 180 o . Betrachte die Situation<br />

n → ∞.<br />

• Zinseszins für ein Jahr führt auf die Zahl e. Wir beschreiben eine mögliche Vorgehensweise.<br />

Ausgehend von einem Guthaben von 1 (Euro: Mathematisch irrelevant) und einem<br />

Zinssatz von 1 = 100% für eine bestimmte Zeitspanne 1 (Jahr: Mathematisch irrelevant)<br />

berechnen wir das Endguthaben.<br />

Dabei verfolgen wir, was passiert, wenn das Momentan–Guthaben bereits nach immer<br />

feineren 1 –Teilintervallen verzinst wird. Es wird dann natürlich <strong>der</strong> Zinssatz<br />

1<br />

n<br />

= 1<br />

n<br />

n<br />

·100% angewandt, was bedeutet, dass das Momentan–Guthaben ver–(1+ 1<br />

n )–


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 12<br />

facht wird. Dies führt auf die folgende Tabelle:<br />

n → 1 2 3 4 12 365 n<br />

jährlich halbjährlich dritteljährlich vierteljährlich monatlich täglich<br />

jähr<br />

n –lich<br />

k ↓ 100% 50% 33 1%<br />

3 25% 1 8 3 % 0, 274% 100<br />

n %<br />

0 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00<br />

1 2, 00 1, 50 1, 33 1, 25 1, 08 1, 003 1 + 1<br />

n<br />

2 2, 25 1, 77 1, 56 1, 17 1, 005 (1 + 1<br />

n )2<br />

3 2, 36 1, 95 1, 27 1, 008 (1 + 1<br />

n )3<br />

4 2, 44 1, 38 1, 011<br />

5 1, 49 1, 014<br />

6 1, 62 1, 017<br />

7 1, 75 1, 019<br />

8 1, 90 1, 022<br />

9 2, 06 1, 025<br />

10 2, 23 1, 028<br />

11 2, 41 1, 031<br />

12 2, 61 1, 033<br />

.<br />

.<br />

365 2, 715<br />

.<br />

n (1 + 1<br />

n )n<br />

In <strong>der</strong> k–ten Zeile ist das Guthaben nach dem k–ten Teilintervall, also zum Zeitpunkt<br />

k aufgelistet. Das Endguthaben taucht als unterster Eintrag auf. Die Zahlen sind<br />

n<br />

auf 2 bzw. 3 Nachkommastellen gerundet.<br />

Lässt man n immer größer werden, so nähert sich das Endguthaben einem Grenzwert<br />

an. Dieser wird als Euler’sche Zahl e bezeichnet. Ein genauerer Wert als oben ist:<br />

e ≈ 2, 718 281 828 459 045 235 360 287 471 352 662 497 757 247 093 699 95<br />

≈ 2, 718 281 828 (TR)<br />

• Iteration von Funktionen (→ Differenzengleichungen, Chaos), vergleiche Skript ,,Logistische<br />

Differenzengleichung” (uld.pdf).<br />

1.4.2 Funktionsgrenzwerte<br />

Wir unterscheiden hier nicht zwischen den Funktionsgrenzwerten im Endlichen o<strong>der</strong> Unendlichen.<br />

• Innermathematische Bezüge (,,Algebra”):<br />

.<br />

.<br />

.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 13<br />

– Rationale Funktionen:<br />

x 2 − 1<br />

x − 1<br />

x 3 + x 2 − 4x − 4<br />

x + 1<br />

– Abschnittsweise definierte Funktionen.<br />

– Transzendente Funktionen: Hier entfaltet sich eigentlich erst die Kraft des<br />

Grenzwertbegriffs.<br />

sin(x)<br />

x ,<br />

tan(x)<br />

x<br />

exp(x) − 1<br />

x<br />

Wir begründen die erste Beziehung durch geometrisch–trigonometrische Überlegungen.<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

1<br />

.<br />

.......<br />

sin(x) x tan(x)<br />

M R1 S1<br />

Der Winkel x (im Bogenmaß) sei größer Null.<br />

1. Es ist ,,geometrisch offensichtlich”, dass<br />

tan(x) = 2A∆MS1S2 > 2 A SektorMS1R2 = 2 · x<br />

2π · π12 = x<br />

und<br />

x > S1R2 > sin(x),<br />

zusammengefasst<br />

tan(x) > x > sin(x). (1)<br />

DE: Es stellt sich hier die methodische Frage, inwieweit diese geometrisch<br />

plausiblen Aussagen weiter bewiesen werden müssen o<strong>der</strong> können. Die Entscheidung<br />

dieser Frage hängt letztlich davon ab, wie die trigonometrischen<br />

Funktionen definiert werden:<br />

∗ Geometrisch–anschaulich: Rechtwinklige Dreiecke, Einheitskreis,<br />

∗ Analytisch:<br />

· durch Reihendarstellung,<br />

· über Moivre–Identität,<br />

· als Lösungen von gewöhnlichen Differentialgleichungen.<br />

R2<br />

S2<br />

....<br />

.<br />

.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 14<br />

2. Wir dividieren die gesamte Ungleichungskette (1) durch sin(x) > 0<br />

1 x<br />

> > 1<br />

cos(x) sin(x)<br />

und bilden den Kehrwert<br />

cos(x) < sin(x)<br />

< 1.<br />

x<br />

3. Wir bilden den Grenzübergang limx↘0 in dieser Ungleichung. Es folgt<br />

sin(x)<br />

1 ≤ lim ≤ 1. (2)<br />

x↘0 x<br />

DE: Der Grenzübergang bei einer Ungleichung stellt ein zentrales Werkzeug<br />

<strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> dar. In <strong>der</strong> Schul–<strong>Analysis</strong> wird die Bedeutung dieses<br />

Werkzeugs völlig unterschätzt. Die Ersetzung des


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 15<br />

∗ ein Winkelmaß geht gegen Null,<br />

∗ ein Winkelmaß geht gegen 180 o ,<br />

∗ Die Summe zweier Winkel geht gegen 180 o .<br />

Es stellt sich dann die Frage, wie sich Dreieckseigenschaften dabei verhalten:<br />

∗ Innenwinkelsumme,<br />

∗ Satz des Pythagoras,<br />

∗ Transversalen, ihre Schnittpunkte,<br />

sin γ c<br />

∗ Sinus–Satz =<br />

sin α a<br />

∗ Kosinus–Satz c 2 = a 2 + b 2 − 2ab cos γ<br />

∗ Sätze über Umkreis, Inkreis, Fasskreis.<br />

– Ein Fußballspieler bewegt sich vor dem Tor hin und her und betrachtet den<br />

Torwinkel in Abhängigkeit von seiner Position. Wie groß ist <strong>der</strong> Torwinkel,<br />

wenn er sich auf die Tor- bzw. Auslinie zubewegt? (Vgl. Lambacher–Schweizer).<br />

• In Sachsituationen: Das unendlich (infinitesimal) Kleine und Große:<br />

A = B<br />

, B fixiert<br />

C<br />

– A Einzelstück, B Gesamtstück (Torte, Pizza), C Zahl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.<br />

– A Geschwindigkeit, B Wegstrecke, C Zeitspanne.<br />

– Abbildungsgleichung <strong>der</strong> geometrischen Optik: Was passiert, wenn <strong>der</strong> Gegenstand<br />

ins ,,Unendliche” rückt?<br />

1 1<br />

+<br />

g b<br />

= 1<br />

f<br />

– Bei Serien- o<strong>der</strong> Parallelschaltung zweier Wi<strong>der</strong>stände gelten die Gesetze<br />

1.4.3 Stetigkeit<br />

R1 + R2 = R ges<br />

bzw.<br />

1<br />

R1<br />

+ 1<br />

R2<br />

= 1<br />

R ges<br />

Die beiden Zustände ,,offen” und ,,geschlossen” eines Schalters korrespondieren<br />

mit den Grenzübergängen R → ∞ bzw. R → 0.<br />

Die obigen Beziehungen gehen in die Gesetze über Serienschaltung (und–<br />

Schaltung) bzw. Parallelschaltung (o<strong>der</strong>–Schaltung) von Schaltern über.<br />

Die Dirichlet–Funktionen sind vermeintlich pathologische Funktionen, die so manche<br />

anschauliche Argumentation zunichte machen.<br />

• Die Dirichlet–Funktion<br />

<br />

1, if x ∈ Q,<br />

f(x) =<br />

0, if x ∈ R \ Q,<br />

ist an keiner Stelle <strong>der</strong> Definitionsmenge stetig.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 16<br />

• Die ähnliche Funktion<br />

f(x) =<br />

1<br />

q<br />

p<br />

, if x = ∈ Q, gekürzt<br />

q<br />

0, if x ∈ R \ Q,<br />

ist stetig in allen irrationalen Zahlen, in den rationalen Zahlen unstetig.<br />

Der Zwischenwertsatz<br />

• Es sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit <strong>der</strong> Definitionsmenge [a, b] ⊂ R. Es<br />

gelte<br />

f(a) ≤ 0 ≤ f(b).<br />

Dann gibt es ein c ∈ [a, b], so dass<br />

f(c) = 0.<br />

• Im Zwischenwertsatz ist die grundlegende Eigenschaft <strong>der</strong> Vollständigkeit <strong>der</strong> reellen<br />

Zahlen verborgen. Er wird falsch, wenn die Abgeschlossenheit (damit die<br />

Vollständigkeit) <strong>der</strong> Definitionsmenge entfällt.<br />

• Beispiel: Die stetige Funktion mit Definitionsmenge [0, 1] ∩ Q<br />

f(x) =<br />

−1, if x 2 < 1<br />

2 ,<br />

+1, if x 2 > 1<br />

2 .<br />

erfüllt die Voraussetzung, nicht aber die Behauptung des Zwischenwertsatzes.<br />

• Ersetzt man im Zwischenwertsatz das Intervall [a, b] durch eine beliebige abgeschlossene<br />

Teilmenge A ⊆ R, so kann man den Zwischenwertsatz wie folgt verallgemeinern:<br />

Gilt für zwei Punkte a, b ∈ A<br />

f(a) ≤ 0 ≤ f(b),<br />

so gibt es ein c ∈ A, so dass<br />

f(c) · f(σ(c)) ≤ 0.<br />

Dabei ist σ <strong>der</strong> ,,Rechtssprung–Operator” bzgl. A:<br />

σ(x) := inf<br />

<br />

<br />

y ∈ A y > x<br />

c o<strong>der</strong> σ(c) ist also eine Nullstelle o<strong>der</strong> die beiden Stellen bilden den Rand einer<br />

Lücke in <strong>der</strong> Definitionsmenge, über die hinweg ein echter Vorzeichenwechsel stattfindet.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 17<br />

Der Extremwertsatz<br />

• Eine im Intervall [a, b] ⊆ R stetige Funktion f nimmt ihre Extrema an, d.h. es gibt<br />

so dass<br />

x min, x max ∈ [a, b],<br />

f(x min) ≤ f(x) ≤ f(x max) für alle x ∈ [a, b].<br />

• Auch diese Eigenschaft ist eng mit <strong>der</strong> Vollständigkeit <strong>der</strong> reellen Zahlen verknüpft.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 18<br />

2 Differentialrechung — <strong>der</strong> Ableitungsbegriff<br />

2.1 Die zwei Stränge <strong>der</strong> Differentialrechnung<br />

Der algebraische Strang (Der Kalkül):<br />

• Berechnung für elementare Funktionen,<br />

• Linearität,<br />

• Produkt- und Quotientenregel,<br />

• Kettenregel.<br />

Der topologisch–analytische Strang:<br />

• Differenzierbarkeit und Stetigkeit,<br />

• Ungleichungen,<br />

• Satz von Rolle: Monotoniekriterium und Mittelwertsatz, Abschätzungssatz.<br />

Insgesamt schließen sich an:<br />

• Funktionendiskussion,<br />

• Kurvendiskussion.<br />

Es stellt sich die Frage des Beweisens bzw. <strong>der</strong> mathematischen Strenge: Exemplarisch,<br />

Plausibilitätsbetrachtungen, lokal streng, Herausarbeiten von trügerischer Anschauung!


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 19<br />

2.2 Kontextfel<strong>der</strong> für die Ableitung<br />

• Geometrische Situationen: Das Problem <strong>der</strong> Tangente an einen Graphen<br />

– Fahrstrahl (Scheinwerfer)<br />

Dies ist problematisch: Funktionsbegriff tritt in den Hintergrund, die Tangente<br />

ist nur nach vorne gerichtet, Richtung des Fahrzeugs = Richtung <strong>der</strong> Rä<strong>der</strong>.<br />

– Steigung eines Profils (Landschaft, Wan<strong>der</strong>weg, Straße, Berg)<br />

– Glattes Zusammenstückeln von Straßen- o<strong>der</strong> Schienenstücken (ähnlich Spline–<br />

Interpolation).<br />

• Sachsituationen: Die Momentanän<strong>der</strong>ung einer Größe bzgl. einer an<strong>der</strong>en:<br />

– Momentangeschwindigkeit (Zeit → Ort–Funktion)<br />

– Grenzkosten (Menge → Gesamtkosten–Funktion)<br />

– Wachstum (Zeit → Population–Funktion)<br />

• Numerik:<br />

– Newtonverfahren zur näherungsweisen Bestimmung von Nullstellen: ,,Mit Tangenten<br />

kann man auf Nullstellen zielen”.<br />

Es sei f eine in einem Intervall definierte Funktion. Die Iteration ist definiert<br />

durch<br />

x0; xn+1 = xn − f(xn)<br />

f ′ (xn) .<br />

Bei <strong>der</strong> Iterationsgleichung handelt es sich um eine Umstellung <strong>der</strong> Identität<br />

f ′ (xn) = f(xn) − 0<br />

,<br />

xn − xn+1<br />

sie kann anschaulich gedeutet werden im Steigungsdreieck für die Steigung <strong>der</strong><br />

Tangente an <strong>der</strong> Stelle xn.<br />

Beispiele:<br />

x 2 − 2 x 3 − 5x + 3 e x − x x 7 + 2x 3 − 24<br />

– Fehlerrechnung, Beispiel: Fertigung eines Normwi<strong>der</strong>standes gemäß<br />

R = ϱ ·<br />

ℓ<br />

πd 2<br />

Ein Fehler in <strong>der</strong> Länge bzw. Durchmesser von 5% führt auf einen Fehler von<br />

5% bzw. 10%. Eine Analyse führt auf den Differentialquotienten.<br />

• Extremwertaufgaben: Sie erfolgen i.a. erst nach den Grundlagen <strong>der</strong> Differentialrechnung.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 20<br />

2.3 Das Monotoniekriterium<br />

Definition Eine Funktion f heißt an <strong>der</strong> Stelle x0 ∈ Df streng monoton steigend,<br />

wenn es ein δ > 0 gibt, so dass für alle x ∈ Uδ(x0) ∩ Df gilt:<br />

f(x) < f(x0), falls x < x0<br />

f(x) > f(x0), falls x > x0.<br />

Beachte, dass diese Definition eine Eigenschaft <strong>der</strong> Funktion für die feste Stelle x0 angibt.<br />

Definition Eine Funktion f heißt auf <strong>der</strong> Menge A ⊆ Df streng monoton steigend,<br />

wenn für alle x, y ∈ A gilt:<br />

x < y =⇒ f(x) < f(y).<br />

Beispiel 1 Die Funktion<br />

f : x ↦→<br />

<br />

1 x · sin + 2x, falls x = 0<br />

x<br />

0, falls x = 0<br />

(vgl. Abschnitt 3.4) ist stetig und an <strong>der</strong> Stelle x = 0 streng monoton steigend; es gibt<br />

jedoch keine Umgebung von 0, auf <strong>der</strong> f streng monoton steigend ist.<br />

Beispiel 2 Die Funktion f : x ↦→ − 1<br />

x , Df = R \ {0}, ist an je<strong>der</strong> Stelle <strong>der</strong> Definitionsmenge<br />

streng monoton steigend, nicht jedoch auf <strong>der</strong> Definitionsmenge insgesamt.<br />

Satz 1 Es sei A ⊆ R ein Intervall. Wenn die Funktion f in jedem Punkt von A streng<br />

monoton steigend ist, dann ist sie auf dem Intervall streng monoton steigend.<br />

Beweis Wir nehmen an, es gäbe zwei Stellen x, y mit x < y aus dem Intervall A mit<br />

f(y) ≤ f(x). Dann existiert das Infimum<br />

z := inf{z|f(z) ≤ f(x)} (∗).<br />

(In diesem Argument steckt die ganze topologische Problematik des Beweises.)<br />

Zur Erzeugung eines Wi<strong>der</strong>spruches betrachten wie zwei Fälle:<br />

1. Fall f(x) ≤ f(z): Nach Voraussetzung ist f an <strong>der</strong> Stelle z streng monoton steigend.<br />

Deshalb gibt es eine Umgebung U von z, so dass<br />

f(z) < f(z2) für alle z2 ∈ U mit z < z2.<br />

Das bedeutet aber<br />

f(x) ≤ f(z) < f(z2) für alle z2 ∈ U mit z < z2.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 21<br />

Dann kann aber z nicht das Infimum gemäß (∗) sein. Wi<strong>der</strong>spruch!<br />

2. Fall f(x) > f(z): Da f in z streng monoton steigend ist, gibt es eine Umgebung U von<br />

z, so dass<br />

f(z1) < f(z) für alle z1 ∈ U mit z1 < z.<br />

Wegen (∗) gilt f(z1) > f(x). Zusammengefasst bedeutet dies:<br />

f(x) < f(z1) < f(z) < f(x).<br />

Wi<strong>der</strong>spruch!<br />

Satz 1 Ist eine Funktion f an <strong>der</strong> Stelle x0 differenzierbar mit f ′ (x0) > 0, so ist sie in<br />

x0 streng monoton steigend.<br />

Beispiel 3 Die Umkehrung gilt nicht, wie die Funktion f : x ↦→ x 3 an <strong>der</strong> Stelle x0 = 0<br />

zeigt.<br />

Beweis Zu ε = f ′ (x0)<br />

2 > 0 gibt es eine δ-Umgebung U, so dass für alle x ∈ U \ {x0}:<br />

<br />

f(x)<br />

− f(x0)<br />

− f<br />

x − x0<br />

′ <br />

<br />

(x0) < f ′ (x0)<br />

2<br />

Vergleiche mit |a − b| < b 2<br />

Daraus folgt aber für alle x ∈ U \ {x0}:<br />

0 < f ′ (x0)<br />

2<br />

< f(x) − f(x0)<br />

x − x0<br />

b < a<br />

2<br />

Deshalb hat f(x) − f(x0) das gleiche Vorzeichen wie x − x0. Das ist die Behauptung.<br />

Folgerung 1 Es sei A ein Intervall und f eine differenzierbare Funktion f mit Definitionsbereich<br />

A. Gilt<br />

f ′ (x) > 0 für x ∈ A,<br />

so ist f auf A streng monoton steigend.<br />

Folgerung 2 Es sei A ein Intervall und f, g seien differenzierbare Funktionen mit Definitionsbereich<br />

A. Gilt<br />

so folgt<br />

f ′ (x) < g ′ (x) für x ∈ A,<br />

f(b) − f(a) < g(b) − g(b) für a, b ∈ A, a < b.<br />

Ersetze zum Beweis f durch g − f im obigen Beweis.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 22<br />

Folgerung 3 (Abschätzungssatz) Es sei A ein Intervall und f sei eine differenzierbare<br />

Funktionen mit Definitionsbereich A. Gibt es zwei Konstanten c, C ∈ R, so dass<br />

so folgt<br />

c < f ′ (x) < C für alle x ∈ A,<br />

c(b − a) < f(b) − f(a) < C(b − a) für a, b ∈ A, a < b.<br />

Betrachte zum Beweis die Funktionen c · (x − a) bzw. C · (x − a).<br />

Der Abschätzungssatz steht in engem Zusammenhang mit dem Mittelwertsatz.<br />

Anstelle <strong>der</strong> strengen Ungleichungen kann man auch nicht–strenge Ungleichungen betrachten.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 23<br />

3 Kurvendiskussion<br />

3.1 Vorbemerkung<br />

In <strong>der</strong> Kurvendiskussion entfaltet sich erst — exemplarisch — die Kraft <strong>der</strong> Infinitesimalrechnung.<br />

Aufgrund dieser Tatsache bleibt ein Eindruck von ihr den Gymnasial–Absolventen lange<br />

im Gedächtnis.<br />

Man begegnet in <strong>der</strong> (Schul–)Kurvendiskussion einem umfangreichen und verwirrenden<br />

Geflecht an<br />

• Definitionen, Begriffen: Siehe Blatt!<br />

• Begriffen des mathematischen Gehalts: Gesetz, Satz, Kriterium, (notwendige o<strong>der</strong><br />

hinreichende) Bedingung, Folgerung, Hauptsatz. (Math: Hilfssatz, Lemma, Präposition,<br />

Theorem, Korollar).<br />

• Voraussetzungen hinsichtlich<br />

– <strong>der</strong> Eigenschaften von Definitionsbereichen: Offen, Intervalle, abgeschlossen,<br />

beschränkt.<br />

– Glattheit: Stetigkeit, ein/mehrmalige Differenzierbarkeit, Stetig–Differenzierbarkeit,<br />

– Ungleichungen: Streng – Nicht streng.<br />

• Zuordnung von beson<strong>der</strong>en Eigenschaften: Punktal — lokal — global.<br />

• Beweisbedürftigkeit: Anschauung — Plausibilität — Begründung — Beweisidee —<br />

Beweis mit mathematisch–substantiellem Ductus — Penibel–strenger Beweis.<br />

Insgesamt beobachtet man die Tendenz, dass die <strong>Analysis</strong>–Ideen von Rechenkalkül zugedeckt<br />

werden. Dadurch werden die eigentlichen Inhalte verdeckt. Es entsteht <strong>der</strong> Eindruck<br />

einer übertriebenen Erbsenzählerei und Pedanterie. Dabei wird nicht klar, ob dieser Anspruch<br />

auf Genauigkeit einen mathematisch–substantiellen Grund hat o<strong>der</strong> nur einer Art<br />

übertriebenen Buchhalterei entspringt.<br />

Zudem ist die Anschauung, die ja erst den Zugang zu einer Grundeinsicht in die Kurvendiskussion<br />

ermöglicht, gelegentlich irreführend.<br />

Diese Beobachtungen sollen hier nicht bewertet werden.<br />

Ziele in diesem Zusammenhang sollten sein:<br />

• Die Inhalte mathematisch auf den Punkt zu bringen,<br />

• lebendige Fertigkeiten zu erwerben,


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 24<br />

• Konzepte zu erlernen anstelle eines Gebäudes technischer und teilweise belangloser<br />

Ausführungsvorschriften,<br />

• Ein Durchdringen des Wechselspiels von mathematischer Technik und Anschauungen<br />

und Anwendungen,<br />

• beispielhaft die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> aufzuzeigen.<br />

Es ist sehr schwer, alle diese Ideen unter einen Hut zu bringen.<br />

Der Lehrer sollte um die Probleme und Pathologien wissen. Die Kenntnis von vielfältigen<br />

Beispielen und Gegenbeispielen ist hilfreich. Insgesamt sind eine in <strong>der</strong> Ausbildung erworbene<br />

Vertrautheit mit den vielfältigen Facetten <strong>der</strong> Problematik und eine übergeordnete<br />

Sichtweise auf das gesamte <strong>Analysis</strong>–Netz notwendig.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 25<br />

3.2 Versuch<br />

Vorgegeben ist eine Funktion f : x ↦→ f(x), sie sei in einer Umgebung von x0 definiert.<br />

Wenn ein δ > 0 existiert, so dass<br />

für alle x1 ∈ Uδ(x0) ∩ ] − ∞, x0[<br />

und alle x2 ∈ Uδ(x0) ∩ ]x0, +∞[<br />

gilt, . . . . . . ,<br />

so sagt man:<br />

f(x1) < 0 < f(x2) f hat in x0 einen (echten)<br />

Vorzeichenwechsel (vom Negativen<br />

ins Positive).<br />

f(x1) < f(x0) < f(x2) f ist in x0 streng monoton steigend.<br />

f(x1) < f(x0) > f(x2) f hat in x0 ein (isoliertes, lokales)<br />

Maximum.<br />

f(x0)−f(x1)<br />

x0−x1<br />

f(x2)−f(x0)<br />

< x2−x0<br />

Wenn ein δ > 0 existiert, so dass<br />

für alle x1, x2, x3, x4 ∈ Uδ(x0)<br />

mit x1 < x2 < x0 < x3 < x4 gilt,<br />

f(x2)−f(x1)<br />

x2−x1<br />

f(x3)−f(x2)<br />

< x3−x2<br />

f(x4)−f(x3)<br />

> x4−x3<br />

f ist in x0 (echt) linksgekrümmt.<br />

so sagt man:<br />

f hat in x0 einen Wendepunkt<br />

(von ,,Links”) nach ,,Rechts”.<br />

• Die Definitionen <strong>der</strong> Tabelle bilden ein ,,in sich geschlossenes (konsistentes) System”.<br />

• Beachte, dass alle diese Eigenschaften einer Stelle x0 zugeordnet sind, aber vom<br />

lokalen (in einer beliebig kleinen Umgebung) Verhalten von f bestimmt werden. In<br />

keiner <strong>der</strong> Definitionen wird in irgendeiner Weise <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ableitung eingesetzt.<br />

Damit werden die Kriterien zur Kurvendiskussion zu echten Sätzen.<br />

• In fast allen Schulbüchern werden das Krümmungs- und Wendeverhalten einer Funktion<br />

über das Steigungs- bzw. ExtremwertVerhalten <strong>der</strong> Tangente definiert. Die<br />

Nachteile dieses Vorgehens sind, dass die zugehörigen Kriterien keine Sätze sind,<br />

son<strong>der</strong>n lediglich Umformulierungen <strong>der</strong> bereits vorhandenen Sätze über Extremwerte<br />

und Steigungsverhalten. Außerdem muss in <strong>der</strong> Definition die Differenzierbarkeit<br />

vorausgesetzt werden, was ,,unnatürlich” ist.<br />

• Ein Nachteil des oben beschriebenen Systems ist, dass die Definitionen vergleichsweise<br />

komplex anmuten und die Kriterien zum Teil noch schwerer beweisbar sind.<br />

Die Kriterien werden aber im Unterricht sowieso kaum bewiesen.<br />

Weitere Begriffe:<br />

• Nullstelle, Wendepunkt, Waagerechte Tangente, Terrassenpunkt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 26<br />

3.3 Krümmung<br />

Satz 2 Es sei f : I → R eine Funktion. An <strong>der</strong> Stelle x0 ∈ I sei sie zweimal differenzierbar.<br />

Es bestehen Implikationen jeweils nach unten:<br />

(i) f ′′ (x0) > 0.<br />

(ii) f ′ ist in x0 streng monoton steigend.<br />

(iii) f ist in x0 streng links–gekrümmt.<br />

(iv) f ist in x0 links–gekrümmt.<br />

(v) f ′′ (x0) ≥ 0.<br />

Die Umkehrung ist jeweils nicht möglich.<br />

Beweis (i) =⇒ (ii): Dies ist Gegenstand des Satzes 1.<br />

(ii) =⇒ (iii): Es gibt offenes Intervall I um x0, so dass für alle ξ1 < x0 < ξ2 in I gilt:<br />

f ′ (ξ1) < f ′ (x0) < f ′ (ξ2) (∗)<br />

Für fest ausgewählte x1, x2 ∈ I mit x1 < x0 < x2 gilt dann aufgrund des Mittelwertsatzes:<br />

f(x0) − f(x1)<br />

x0 − x1<br />

Also ist f in x0 streng links–gekrümmt.<br />

(iv) =⇒ (v): Man überlege zunächst:<br />

= f ′ (ξ1) < f ′ (x0) < f ′ (ξ2) = f(x2) − f(x0)<br />

.<br />

f ′ f(x0 + h) − f(x0)<br />

(x0) = lim<br />

•<br />

h→0 h<br />

x2 − x0<br />

f(x0 − h) − f(x0)<br />

= lim<br />

•<br />

h→0 −h<br />

f(x0) − f(x0 − h)<br />

= lim<br />

•<br />

h→0 h<br />

Ist f in x0 differenzierbar, so folgt mit Mittelwertbildung über die beiden Ausdrücke:<br />

f ′ (x0) = lim<br />

h • →0<br />

f(x0 + h) − f(x0 − h)<br />

.<br />

2h<br />

(Die Umkehrung ist nicht richtig: Betrachte cos( 1<br />

x )).<br />

Bemerkung Eine Implikation (iv) =⇒ ,,f ′ ist in x0 monoton steigend” ist nicht richtig.<br />

Da lässt sich nach dem Gegenbeispiel–Strickmuster ein Gegenbeispiel konstruieren.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 27<br />

3.4 Die ,,Gegenbeispiel”–Funktion<br />

Es seien f und g zwei Funktionen R → R mit f(0) = g(0) = 0. Definiere<br />

e(x) :=<br />

g(x)−f(x)<br />

2<br />

· sin 1<br />

x<br />

+ g(x)+f(x)<br />

2 , falls x = 0,<br />

0, falls x = 0.<br />

Anschaulich: Es handelt sich um eine sinus–ähnliche Funktion, <strong>der</strong>en Graph für x → 0<br />

,,unendlich” stark oszilliert, er pendelt zwischen den Graphen von f und g hin und her.<br />

Satz 1 Sind f und g stetig in 0 mit f(0) = g(0), so ist auch e stetig in 0 mit e(0) = f(0).<br />

Begründung: In <strong>der</strong> Funktion g(x)−f(x)<br />

2<br />

<strong>der</strong> zweite Faktor bleibt beschränkt.<br />

· sin 1<br />

x<br />

geht <strong>der</strong> erste Faktor für x → 0 gegen Null,<br />

Satz 2 Sind f und g differenzierbar in 0 mit f(0) = g(0) und f ′ (0) = g ′ (0), so ist auch<br />

e differenzierbar in 0 mit e ′ (0) = f ′ (0).<br />

Begründung: In <strong>der</strong> Funktion<br />

g(h) − f(h)<br />

2h<br />

· sin 1<br />

h =<br />

<br />

g(h) − g(0)<br />

−<br />

2h<br />

<br />

f(h) − f(0)<br />

· sin<br />

2h<br />

1<br />

h<br />

geht <strong>der</strong> erste Faktor für h → 0 gegen Null, <strong>der</strong> zweite bleibt beschränkt.<br />

Beispiele Durch geeignete Wahl <strong>der</strong> Funktionen f und g kann man so eine ganze Reihe<br />

von ,,pathologischen” Gegenbeispielen auffinden.<br />

1. Wähle f(x) = x, g(x) = 3x, e(x) = x · sin 1 + 2x, (x = 0)<br />

x<br />

Die Funktion e ist streng monoton steigend in 0, es gibt aber keine Umgebung von<br />

0, in <strong>der</strong> e streng monoton steigend ist.<br />

2. Wähle f(x) = −x 2 , g(x) = x 2 , e(x) = x 2 sin 1<br />

x .<br />

Die Funktion e ist in 0 differenzierbar, aber nicht stetig differenzierbar, da für x = 0<br />

e ′ (x) = 2x · sin 1<br />

x + x2 (− 1 1<br />

) cos<br />

x2 x<br />

= 2x · sin 1<br />

x<br />

<br />

x→0<br />

−→ 0<br />

− cos 1<br />

x .<br />

Sie besitzt in 0 eine waagerechte ,,Tangente”. Der Punkt (0, f(0)) ist aber we<strong>der</strong> ein<br />

Extremum noch ein Terrassenpunkt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 28<br />

3. Wähle f(x) = −3x 2 , g(x) = −x 2 , e(x) = x 2 sin 1<br />

x − 2x2 .<br />

Die Funktion e hat in 0 ein isoliertes Maximum, es existiert aber keine links/rechts–<br />

seitige Umgebung von 0, in <strong>der</strong> e streng monoton steigend/fallend ist.<br />

Die Ableitung ist Null, sie besitzt aber keinen Vorzeichenwechsel in 0.<br />

4. Wähle f(x) = x2 + x, g(x) = −x2 + x, e(x) = x2 sin 1 + x. x<br />

Die Funktion e ist in 0 streng monoton steigend, es existiert aber keine Umgebung<br />

von 0, in <strong>der</strong> e streng monoton steigend ist.<br />

Im Vergleich zu Beispiel 1 ist die Funktion e außerdem noch differenzierbar in 0. Sie<br />

unterscheidet sich von <strong>der</strong> Funktion aus Beispiel 2 nur um die Funktion x.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 29<br />

Die Funktion f sei in einer Umgebung von x0 definiert und stetig in x0. Hingeschriebene<br />

Ableitungen bedeuten, dass sie existieren. GB = Gegenbeispiel.<br />

f ′ (x0) = 0<br />

f ′′ (x0) < 0<br />

. . GB: x4<br />

Es ex. gerades n mit<br />

f (k) (x0) = 0, k = 0, . . . , n − 1<br />

f (n) (x0) < 0<br />

1<br />

−<br />

GB: e x2 . .<br />

f hat in x0 isoliertes Maximum<br />

. . GB: x3<br />

f hat in x0 isoliertes Maximum<br />

o<strong>der</strong> Terrassenpunkt<br />

. . GB: x2<br />

f hat in x0 isoliertes Extremum<br />

o<strong>der</strong> Terrassenpunkt<br />

GB: x<br />

. .<br />

2 · sin 1<br />

x<br />

f ′ (x0) = 0<br />

.<br />

.<br />

f ′ (x0) = 0<br />

f ′ hat in x0 einen<br />

VZW von Plus nach Minus<br />

. .<br />

. .<br />

f ist in U −<br />

δ (x0)<br />

streng monoton steigend<br />

und in U +<br />

δ (x0)<br />

streng monoton fallend<br />

GB: x2 · sin 1 − 2x2 x


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 30<br />

4 Integral<br />

4.1 Kontextfel<strong>der</strong><br />

• Flächenberechnung<br />

– Unter Polynomgraphen.<br />

– Graphen elementarer Funktionen.<br />

– Kreis.<br />

• Kurvenberechnung.<br />

• Volumenberechnung mit Prinzip von Cavalieri.<br />

– Rotationskörper: Zylin<strong>der</strong>, Kegel, Kugel.<br />

– Wie muß eine Kugel durchgeschnitten werden, damit eine Volumendrittelung<br />

eintritt?<br />

• Mittelwertberechnung, beispielsweise Mittelwert <strong>der</strong> Temperatur an einem Tag.<br />

• Zinsen bei gegebener Zeit–Kapital–Funktion.<br />

• Physik: Produkte von verän<strong>der</strong>lichen Größen. Beispiele sind:<br />

– Der zurückgelegte Weg bei gegebener Zeit–Geschwindigkeits–Funktion.<br />

– Die verrichtete Arbeit, falls die Kraft längs des Weges verän<strong>der</strong>lich ist.<br />

In Bezug auf praktische Anwendungen stellt sich (für die Schüler/innen) die Frage, warum<br />

man angesichts <strong>der</strong> ,,Diskretheit” <strong>der</strong> Wirklichkeit einen infinitesimalen Begriff einführt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 31<br />

4.2 Historische Episoden<br />

Die Berechnung <strong>der</strong> Fläche von krummlinig begrenzten Flächen ist ein altes, praktisch<br />

motiviertes Problem.<br />

4.2.1 Die Möndchen des Hippokrates<br />

Ab<br />

.<br />

b<br />

.<br />

c<br />

a<br />

Über den Katheten und <strong>der</strong> Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks werden Halbkreise<br />

geschlagen. Für die Gesamtfläche <strong>der</strong> ,,Möndchen” ergibt sich unter Benutzung des Satzes<br />

von Pythagoras:<br />

Aa + Ab = a2π 2 + b2π 2 − c2π ab<br />

+<br />

2 2<br />

Die ,,Quadratur” <strong>der</strong> Möndchen gelingt.<br />

= ab<br />

2<br />

Aa


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 32<br />

4.2.2 Die Parabelsegmentmethode des Archimedes<br />

Sie wird auch Exhaustionsmethode genannt.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

a<br />

A11<br />

...............<br />

d<br />

.<br />

. .<br />

.<br />

c<br />

A0<br />

.<br />

e<br />

.<br />

A12<br />

1. Das durch a und b festgelegte Trapez hat eine Fläche von:<br />

AT = (b − a) · b2 + a 2<br />

2<br />

2. Weiter ergibt sich für das durch a, b und c := a+b<br />

2 festgelegte Dreieck<br />

A0 = (b − a) · b2 + a2 2<br />

− (c − a) · c2 + a2 2<br />

− (b − c) · b2 + c2 =<br />

2<br />

b − a<br />

<br />

· b<br />

2<br />

2 + a 2 − 2c2 + a2 + b2 <br />

=<br />

2<br />

b − a<br />

=<br />

2 2 b + a<br />

·<br />

2 2<br />

b − a<br />

2 2 b + a + a<br />

· − (b<br />

2 2 2 )2<br />

<br />

= b − a<br />

·<br />

2<br />

b2 + a2 − 2ab<br />

=<br />

4<br />

1<br />

8 · (b − a)3 .<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

..<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

b<br />

.<br />

.<br />

.<br />

− c2


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 33<br />

3. A1 := A11 + A12 = 1<br />

8 A0 + 1<br />

8 A0 = 1<br />

4 A0 =⇒ An = 1<br />

4<br />

n · A0.<br />

4. Ist Sn das Polygon, das aus allen Dreiecken bis zur n–ten Teilung entsteht, so gilt:<br />

Sn := A0 + A1 + . . . + An<br />

= (1 + 1 1<br />

+<br />

4 16<br />

1<br />

+ . . . + ) · A0<br />

4n = 4 1<br />

· (1 −<br />

3 4n+1 ) · A0 = 4<br />

3 · A0 − 1<br />

· An.<br />

3<br />

(Geometrische Summe: n<br />

0 qk = qn+1 −1<br />

q−1 ).<br />

5. Es sei jetzt S := limn→∞ Sn die Fläche des durch a und b definierten Parabelsegments.<br />

Wir zeigen S = 4<br />

3 A0 durch einen Wi<strong>der</strong>spruchsbeweis.<br />

Im Falle 4<br />

3 A0 > S ist B := 4<br />

3 A0 − S > 0, es gibt also ein n ∈ N so, dass:<br />

An = 1<br />

4 n A0 < B.<br />

Daraus folgt aber:<br />

S = 4<br />

3 A0 − B < 4<br />

3 A0 − 1<br />

4n · A0 < 4<br />

3 A0 − 1<br />

3<br />

= 4 1<br />

(1 −<br />

3 4n+1 )A0 = Sn.<br />

4<br />

· · A0<br />

4n Wi<strong>der</strong>spruch. Ist umgekehrt 4<br />

3 A0 < S, so existiert ein n ∈ N mit<br />

4<br />

3 A0 < Sn,<br />

daraus folgt aber mit Schritt 4:<br />

4<br />

3 A0 < Sn = 4<br />

3 · A0 − 1<br />

· An.<br />

3<br />

Das ist auch ein Wi<strong>der</strong>spruch.<br />

4.2.3 Die Quadratur des Kreises<br />

Kann man durch eine Konstruktion (mit Zirkel und Lineal) ein gegebenes Quadrat (d.h.<br />

die Seitenlänge 1 ist gegeben) in einen flächengleichen Kreis verwandeln?<br />

Die Frage wurde endgültig im Jahr 1882 von Ferdinand von Lindemann (1852 – 1939)<br />

negativ beschieden: Er bewies die Transzendenz <strong>der</strong> Kreiszahl π.<br />

(Vgl. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, S. 25).


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 34<br />

4.2.4 Vielfältige Begriffe und Zugänge zum Integralbegriff<br />

• Riemann–Darboux–Integral (Gaston Darboux, 1842 – 1917):<br />

Einführung über Ober-/Untersummen (Idee <strong>der</strong> Fläche).<br />

• Riemann–Darboux–Integral (Bernhard Riemann, 1826 – 1866):<br />

Zugang über Riemann–Summen (Idee <strong>der</strong> infinitesimalen Summe, Mittelwertbildung).<br />

• Cauchy–Integral: Es wird zunächst für Treppenfunktionen definiert. Dann geht man<br />

zu ,,Grenzwerten von Treppenfunktionen” über: Das sind dann die Regel– (o<strong>der</strong>:<br />

einfache) Funktionen.<br />

• Lebesgue–Integral: Zugang über abstraktere Maß- und Integrationstheorie. Das ist<br />

<strong>der</strong> Integral–Begriff <strong>der</strong> Fachmathematik schlechthin, er wird in über 95% <strong>der</strong> Fachmathematik<br />

angewandt.<br />

Zur Bewertung dieser verschiedenen Integralbegriffe schreibt Jean Dieudonné:<br />

Schließlich wird dem Leser vermutlich auffallen, dass auf das Riemann–<br />

Integral, diesen ehrwürdigen Gegenstand von <strong>Analysis</strong>vorlesungen, überhaupt<br />

nicht eingegangen wird. Man darf wohl annehmen, dass dieser Begriff, wäre er<br />

nicht mit einem so klangvollen Namen verknüpft, schon viel früher übergangen<br />

worden wäre; denn bei allem schuldigen Respekt vor dem Genius Bernhard<br />

Riemanns ist sich je<strong>der</strong> aktive Mathematiker völlig darüber im klaren, dass<br />

dies ,,Theorie” heutzutage in <strong>der</strong> allgemeinen Maß- und Integrationstheorie bestenfalls<br />

die Bedeutung einer halbwegs interessanten Übungsaufgabe besitzt.<br />

Nur <strong>der</strong> sture Konservatismus akademischer Tradition konnte das Riemannsche<br />

Integral als vollwertigen Bestandteil <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong>vorlesung erhalten, lange<br />

nachdem es seine historische Bedeutung überlebt hatte. Natürlich ist es<br />

durchaus möglich, den Integrationsprozeß auf eine Kategorie von Funktionen<br />

zu beschränken, die für alle Zwecke <strong>der</strong> elementaren <strong>Analysis</strong> (auf dem Niveau<br />

dieses Buches) umfassend genug, dabei aber <strong>der</strong> Klasse <strong>der</strong> stetigen Funktionen<br />

hinreichend benachbart ist, so dass man ohne maßtheoretische Überlegungen<br />

auskommt. In dieser Weise sind wir hier verfahren, indem wir nur<br />

das Integral über einfache Funktionen definiert haben (man nennt es manchmal<br />

das ,,Cauchy–Integral”). Benötigt man stärkere Hilfsmittel, so kann man<br />

nicht halberwegs stehenbleiben; dann bleibt nur die allgemeine (Lebesguesche)<br />

Integrationstheorie als vernünftiger Ausweg.<br />

Jean Dieudonné, Grundzüge <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Analysis</strong>, Band 1, Vieweg, Braunschweig, 1985<br />

(Frz. Erstauflage 1968), S. 143.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 35<br />

4.3 Einige didaktische Grundsatzfragen<br />

In welcher Reihenfolge sollen Differential- und Integralrechnung behandelt werden?<br />

D vor I:<br />

• Die Begriffs–Bildung und Theorie–Entwicklung ist weniger aufwändig.<br />

• Der Kalkül ist stärker algorithmisch, das heißt einfacher.<br />

• Ableitungen elementarer Funktionen sind wie<strong>der</strong> elementar.<br />

• Der Ableitungsbegriff wird (mehr o<strong>der</strong> weniger eingekleidet) stärker in an<strong>der</strong>en<br />

Fächern (Physik, Wirtschaft) benötigt.<br />

I vor D:<br />

• Dies entspricht <strong>der</strong> historischen Reihenfolge (Siehe oben).<br />

• Die Fragestellung ist geometrisch naheliegen<strong>der</strong>.<br />

• Der Begriff is zwangloser motivierbar (vgl. Kontextfel<strong>der</strong>)!?<br />

Soll <strong>der</strong> Einstieg in die Integralrechnung über den Integralbegriff o<strong>der</strong> über den Begriff<br />

<strong>der</strong> Stammfunktion erfolgen?<br />

I vor S:<br />

• Geometrische Idee im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

• Der HDI erscheint als echter Satz (mit AHA–Erlebnis!?).<br />

S vor I:<br />

• Zunächst keine aufwändige Begriffsbildung notwendig.<br />

• Es kann ziemlich schnell gerechnet werden.<br />

• Das Problem <strong>der</strong> Integrierbarkeit bleibt (zunächst) im Hintergrund.<br />

Der zweite Weg wird von Barth eingeschlagen, er ist auch im Lehrplan vorgesehen.<br />

Dazu auch wie<strong>der</strong> ein ,,pathologisches” Beispiel: Die Funktion<br />

<br />

2 1 x sin , falls x = 0,<br />

F (x) =<br />

x<br />

0, falls x = 0,


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 36<br />

ist differenzierbar mit Ableitung<br />

f(x) = F ′ (x) = 2x sin 1 2<br />

−<br />

x2 x<br />

1<br />

cos , x = 0.<br />

x2 Die Funktion f hat also eine Stammfunktion auf [−1; +1], sie ist aber nicht integrierbar,<br />

da sie nicht beschränkt ist.<br />

f ist aber uneigentlich Riemann–integrierbar, da die Integral–Grenzwerte<br />

a<br />

lim<br />

a→0<br />

−1<br />

existieren.<br />

f(x) dx und lim<br />

b→0<br />

+1<br />

b<br />

f(x) dx


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 37<br />

4.4 Integrierbare Funktionen<br />

. .<br />

y<br />

.<br />

a<br />

Voraussetzung: Die Funktion f sei im Intervall [a; b] definiert und beschränkt, das<br />

heißt es gibt eine Konstante M > 0, so dass<br />

|f(x)| ≤ M für alle x ∈ [a; b].<br />

Schritt 1: Jede Zerlegung Z von [a; b] in beliebige (nicht notwendig gleich lange) Teilintervalle<br />

liefert eine Untersumme S Z und eine Obersumme SZ.<br />

Schritt 2: Man betrachtet nun die Unter– und Obersummen für alle möglichen Zerlegungen<br />

Z und definiert:<br />

Die Obergrenze aller Untersummen heißt Unterintegral b<br />

f(x) dx von f im Intervall [a; b].<br />

Die Untergrenze aller Obersummen heißt Oberintegral<br />

a<br />

b<br />

a<br />

...............<br />

b<br />

f(x) dx von f im Intervall [a; b].<br />

Schritt 3: Die Funktion f heißt integrierbar im Intervall [a; b], falls Unterintegral und<br />

Oberintegral übereinstimmen.<br />

Satz: Eine Funktion f ist integrierbar, wenn sie<br />

• stetig ist o<strong>der</strong><br />

• monoton steigend ist o<strong>der</strong><br />

• monoton fallend ist o<strong>der</strong><br />

• abschnittsweise stetig ist (siehe Beispiel im Diagramm).<br />

Frage: Gibt es überhaupt Funktionen, die nicht integrierbar sind?<br />

Antwort: Ja, ein Beispiel ist die Dirichlet–Funktion χ Q . Sie ist nicht Riemann–<br />

integrierbar, wohl aber Lebesgue–integrierbar.<br />

..<br />

x


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 38<br />

4.5 Der Hauptsatz <strong>der</strong> Differential- und Integralrechnung<br />

(HDI)<br />

Satz 3 Es sei f eine im Intervall J ⊆ R stetige (reellwertige) Funktion und c ∈ J. Für<br />

eine an<strong>der</strong>e Funktion F : J → R sind die beiden folgenden Aussagen äquivalent:<br />

(A) F ist die Integralfunktion zu f mit unterer Grenze c, das heißt<br />

F (x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt.<br />

(B) F ist die Stammfunktion von f, das heißt es gilt<br />

F ′ (x) = f(x) mit F (c) = 0.<br />

a) Wir beweisen die Folgerung (A) =⇒ (B):<br />

Schritt 0: Gemäß Aussage (A) sei<br />

F (x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt<br />

eine Integralfunktion zu f mit unterer Grenze c im Intervall J. Für ein beliebiges x ∈ J<br />

müssen wir beweisen: F ′ (x) = f(x).<br />

Wir betrachten den Graphen von f.<br />

.<br />

..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... y<br />

. f(ξh)<br />

. ...<br />

..<br />

x ξh x + h<br />

Schritt 1: Wir betrachten für ein (zunächst festes) h > 0 den Differenzenquotienten<br />

F (x + h) − F (x)<br />

h<br />

=<br />

x+h<br />

c<br />

f(t) dt − x<br />

f(t) dt<br />

c<br />

h<br />

=<br />

x+h<br />

x<br />

f(t) dt<br />

.<br />

h<br />

. Gf<br />

..<br />

x


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 39<br />

Schritt 2: Im Intervall [x; x + h] gibt es<br />

• gemäß Mittelwertsatz o<strong>der</strong><br />

• ,,anschaulich klar”<br />

eine ,,Zwischenstelle” ξh, so dass<br />

x+h<br />

x<br />

f(t) dt = f(ξh) · h.<br />

Schritt 3: (Zusammenfassung Schritt 1 und 2) Für jedes h > 0 gibt es im Intervall<br />

[x; x + h] ein ξh, so dass<br />

F (x + h) − F (x)<br />

h<br />

=<br />

x+h<br />

x<br />

f(t) dt<br />

h<br />

= f(ξh) · h<br />

h<br />

= f(ξh).<br />

Schritt 4: Wir lassen jetzt h → 0 gehen. Wegen ξh ∈ [x; x + h] gilt<br />

lim<br />

h↘0 ξh = x.<br />

Da die Funktion f als stetig vorausgesetzt ist, folgt:<br />

lim<br />

h↘0 f(ξh) = f(x).<br />

Mit <strong>der</strong> Gleichung aus Schritt 3 folgt insgesamt:<br />

F (x + h) − F (x)<br />

lim<br />

h↘0 h<br />

= lim<br />

h↘0 f(ξh) = f(x).<br />

Schritt 5: Für h < 0 und den linksseitigen Limes des Differenzenquotienten lassen sich<br />

die obigen Berechnungen ganz genauso durchführen. Man erhält:<br />

F (x + h) − F (x)<br />

lim<br />

h↗0 h<br />

Es gilt also insgesamt:<br />

= f(x)<br />

F ′ F (x + h) − F (x)<br />

(x) = lim<br />

h→0 h<br />

Schritt 6: Gemäß Schritt 0 ist<br />

F (c) =<br />

c<br />

c<br />

f(t) dt = 0,<br />

= f(x).<br />

also hat F die untere Grenze c als Nullstelle. Damit ist die Aussage (B) gezeigt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 40<br />

b) Wir beweisen die Folgerung (B) =⇒ (A):<br />

Schritt 0: Gemäß Aussage (B) sei F eine Stammfunktion von f im Intervall J mit<br />

Nullstelle c:<br />

F ′ (x) = f(x) für x ∈ I, F (c) = 0.<br />

Schritt 1: Nach <strong>der</strong> (bereits bewiesenen) Folgerung (A) =⇒ (B) ist<br />

G(x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt<br />

ebenfalls eine Stammfunktion zu f<br />

Schritt 2: Für die Differenz H(x) = F (x) − G(x) dieser beiden Stammfunktionen von<br />

f gilt nun:<br />

H ′ (x) = F ′ (x) − G ′ (x) = f(x) − f(x) = 0.<br />

Also ist die Funktion H(x) = const.<br />

Schritt 3: Wegen<br />

H(c) = F (c) − G(c) = 0 − 0 = 0<br />

muß diese Konstante gleich Null sein. Es ist also H(x) ≡ 0 o<strong>der</strong><br />

F (x) = G(x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt.<br />

Das heißt, F ist eine Integralfunktion zu f mit unterer Grenze c. Das ist die zu beweisende<br />

Aussage (B).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!