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Didaktik der Analysis

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S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 1<br />

Skript zur Vorlesung<br />

<strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong><br />

Dieses Geheft enthält in kompakter, manchmal nur stichpunktartig aufzählen<strong>der</strong> Form,<br />

die wesentlichen fachlichen und experimentellen Grundlagen, wie sie in <strong>der</strong> Vorlesung<br />

,,<strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong>” vorgestellt werden.<br />

Es ist zum Gebrauch neben <strong>der</strong> Vorlesung gedacht und erhebt nicht den Anspruch, ,,in<br />

sich selbst verständlich” o<strong>der</strong> vollständig zu sein.<br />

S. Hilger<br />

Dieses Skript liegt in einer jeweils aktualisierten Form im Internet vor:<br />

http://www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/MGF/<strong>Didaktik</strong>en/dphys/Lehre.de


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 2<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Grenzwerte 3<br />

1.1 Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

1.1.1 Beispiel: Keplers Überlegungen zu Inhalten von Kreis und Kugel . . 4<br />

1.2 Die Grenzwertbegriffe <strong>der</strong> Schul–<strong>Analysis</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

1.2.1 Mögliche Reihenfolgen des Zugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

1.3 Der Funktionsgrenzwert — exemplarisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

1.3.1 Folgengrenzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

1.4 Kontextfel<strong>der</strong> für die Grenzwertbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

1.4.1 Folgengrenzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

1.4.2 Funktionsgrenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

1.4.3 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

2 Differentialrechung — <strong>der</strong> Ableitungsbegriff 18<br />

2.1 Die zwei Stränge <strong>der</strong> Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

2.2 Kontextfel<strong>der</strong> für die Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

2.3 Das Monotoniekriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

3 Kurvendiskussion 23<br />

3.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

3.2 Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

3.3 Krümmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

3.4 Die ,,Gegenbeispiel”–Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

4 Integral 30<br />

4.1 Kontextfel<strong>der</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

4.2 Historische Episoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

4.2.1 Die Möndchen des Hippokrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

4.2.2 Die Parabelsegmentmethode des Archimedes . . . . . . . . . . . . . 32<br />

4.2.3 Die Quadratur des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

4.2.4 Vielfältige Begriffe und Zugänge zum Integralbegriff . . . . . . . . . 34<br />

4.3 Einige didaktische Grundsatzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />

4.4 Integrierbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

4.5 Der Hauptsatz <strong>der</strong> Differential- und Integralrechnung (HDI) . . . . . . . . 38


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 3<br />

1 Grenzwerte<br />

1.1 Historischer Abriss<br />

Man kann von einem 2000–jährigen Ringen um eine präzise Fassung des Grenzwertbegriffs<br />

sprechen. Die Entwicklung ist gekennzeichnet von intuitivem Umgang, unbekümmertem<br />

Rechnen (mit unendlichen Summen), ständiger Wechselwirkung mit dem Näherungsbegriff,<br />

Irreführung durch (vermeintliche) Paradoxien.<br />

1. Zenon von Elea (480 – 435): Achilles und die Schildkröte. Der fliegende Pfeil.<br />

2. Archimedes (≈ 287 – 212): Exhaustionsmethode, Bemühen um Strenge.<br />

3. Kepler (1571 – 1630): Zusammenhang Kreisfläche – Kreisumfang.<br />

4. Newton (1643 – 1727), Leibniz (1646 – 1716): Differentialkalkül ohne exakten Grenzwertbegriff.<br />

5. d’Alambert (1760): Begriff Grenzwert.<br />

6. Cauchy (1821):<br />

Wenn sich die zu einer Variablen gehörenden aufeinan<strong>der</strong>folgenden Werte<br />

einem festen Wert unbeschränkt in <strong>der</strong> Weise nähern, dass sie sich von<br />

diesem so wenig unterscheiden, wie man möchte, dann heißt dieser feste<br />

Wert Grenzwert des an<strong>der</strong>en.<br />

7. Cantor: Legt mit <strong>der</strong> Mengenlehre die Grundlage für eine umfassende exakte Formulierung<br />

des Grenzwertbegriffs in <strong>der</strong> mengentheoretischen Topologie.<br />

lim f(x) = b ⇐⇒ Das Urbild einer b–Umgebung ist eine a–Umgebung.<br />

x→a<br />

Dabei heißt eine Teilmenge U einer Menge eine Umgebung eines Punktes a, wenn<br />

eine offene Menge O existiert, so dass a ∈ O ⊆ U. ,,Offen” wie<strong>der</strong>um ist <strong>der</strong> vorgegebene<br />

Grundbegriff <strong>der</strong> mengentheoretischen Topologie.<br />

Mit Hilfe dieser Begriffsbildung wird eine sichere Grundlage für Begriffsbildungen<br />

wie Stetigkeit, Vollständigkeit, das ,,Unendlich kleine/große” geschaffen.<br />

Mehr in Hischer/Scheid, S. 101 – 113


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 4<br />

1.1.1 Beispiel: Keplers Überlegungen zu Inhalten von Kreis und Kugel<br />

1. Der Zusammenhang von Kreisumfang und Kreisfläche.<br />

Es wird ein regelmäßiges n–Eck in die Kreisfläche einbeschrieben. Die Fläche des<br />

n–Ecks setzt sich aus den n gleichschenkligen Segment–Dreiecken zusammen:<br />

An = n · 1<br />

2 · hn · gn = 1<br />

2 · hn · n · gn = 1<br />

2 · hn · Un<br />

Dabei ist gn ist die Basislänge eines Segment–Dreiecks, Un ist <strong>der</strong> Umfang des n–<br />

Ecks.<br />

Für wachsendes n ergibt sich wegen An → A Kreis, hn → r und Un → U Kreis die Formel<br />

A Kreis = 1<br />

2 · r · U Kreis.<br />

Wie entscheidend ist die Regelmäßigkeit <strong>der</strong> einbeschriebenen n–Ecke?<br />

2. Der Zusammenhang von Kugeloberfläche und Kugelvolumen.<br />

Per Dimensions–Analogie kann man durch Einbeschreibung von Pyramiden in ein<br />

Kugelvolumen herleiten, dass<br />

V Kugel = 1<br />

3 · r · A Kugel.<br />

3. Der Zusammenhang von Kugelumfang und Kugeloberfläche.<br />

Wendet man eine zu 1 ähnliche Methode an, um die Oberfläche einer Halbkugel<br />

durch ein einbeschriebenes gekrümmtes n–Eck zu approximieren, so ergibt sich als<br />

Formel<br />

AHalbkugel = 1<br />

2 · UKugel · UKugel =<br />

4<br />

1<br />

8 · U 2 Kugel.<br />

• Während die beiden ersten Formeln offenbar (was bedeutet das?) richtig sind, ist<br />

die dritte falsch.<br />

.<br />

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S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 5<br />

1.2 Die Grenzwertbegriffe <strong>der</strong> Schul–<strong>Analysis</strong><br />

(A) Folgengrenzwert: limn→∞ an = a.<br />

(B) Funktionsgrenzwert: limx→a f(x) = b. Unterscheide eigentliche (b = ∞) und uneigentliche<br />

(b = ∞) Grenzwerte.<br />

Eng verknüpft damit ist eine Möglichkeit <strong>der</strong> Definition von Stetigkeit: Die Funktion<br />

f heißt stetig in a, wenn limx→a,x=a f(x) = f(a).<br />

(C) Funktionsgrenzwert im Unendlichen: limx→±∞ f(x) = b.<br />

f(x)−f(x0)<br />

(D) Differentialquotient: limx→x0<br />

<br />

(E) Integral: := inf<br />

lim Riemann–Summen .<br />

x−x0<br />

Obersummen = sup Untersummen (=<br />

Die in <strong>der</strong> mengentheoretischen Topologie sehr allgemein gefasste Definition des Grenzwerts<br />

enthält alle diese Grenzwerte als Spezialfälle.<br />

1.2.1 Mögliche Reihenfolgen des Zugangs<br />

• Bayerischer Lehrplan (1991)a:<br />

• Kratz:<br />

(B) −→ (C)<br />

↓<br />

(A)<br />

−→ (D) −→ (E)<br />

(C) −→ (A) −→ (D) −→ (B) −→ (E)<br />

• Barth (Anschauliche <strong>Analysis</strong>):<br />

(D) −→ (B) −→ (C) −→ (A) −→ (E)<br />

• Van Briel / Neveling:<br />

(D) −→ (B)( propä) −→ (C) −→ (B)( exakt) −→ (A) −→ (E)<br />

• Aktueller Aufbau <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> (Z.B. in Vorlesung)<br />

• Historisch:<br />

(A) −→ (B) −→ (C) −→ (D) −→ (E)<br />

(E) −→ (D) −→ (A)/(C) −→ (B)


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 6<br />

1.3 Der Funktionsgrenzwert — exemplarisch<br />

1. Die Grundlage bildet die folgende mathematisch—inhaltliche und stark formalisierte<br />

berühmt–berüchtigte ε–δ–Definition:<br />

<br />

lim f(x) = b ⇐⇒<br />

x→a<br />

<br />

<br />

ε∈R + δ∈R + x∈Df \{a}<br />

0 < |x − a| < δ =⇒ |f(x) − b| < ε. (∗)<br />

Es gab Tendenzen, Definitionen dieser Art in den Schulunterricht einzubringen.<br />

Nachteile bestehen darin, dass<br />

• inhaltliche Aspekte <strong>der</strong> Mathematik zugunsten formaler Aspekte zurückgedrängt<br />

werden,<br />

• diese Zugänge für das Lernen ungünstig sind, da Verbindungen zur Erfahrungswelt<br />

<strong>der</strong> Schüler (Sachwelt, Anschauung) fehlen.<br />

Also stellt sich die Aufgabe, diese Definition zu elementarisieren.<br />

2. Reduzierung des Formalismus, Benutzung sinnfälligerer Symbole:<br />

• wird ersetzt durch ∀.<br />

• wird ersetzt durch ∃.<br />

• ε ∈ R + wird ersetzt durch ε > 0 (entsprechend δ).<br />

• Herabsetzung <strong>der</strong> Logikhygiene: Nach Weglassen von x ∈ Df \ {a} lautet (∗):<br />

lim<br />

x→a f(x) = b ⇐⇒ ∀ε>0 ∃δ>0 ∀00 x ∈ ˙ Uδ(a) =⇒ f(x) ∈ Uε(b).<br />

Diese Definition kann man dann noch in die Mengenebene hochziehen:<br />

lim<br />

x→a f(x) = b ⇐⇒ ∀ε>0 ∃δ>0 f[ ˙ Uδ(a)] ⊆ Uε(b).


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 7<br />

4. Sprachliche Ausgestaltung (Verbalisierung) <strong>der</strong> Symbolik<br />

• ∀ wird zu ,,Für alle”<br />

• ∃ wird zu ,,Es existiert” o<strong>der</strong> ,,Es gibt ein. . . ”<br />

• ε ∈ R + wird zu positives ε,<br />

• |x − a| wird zu Abstand o<strong>der</strong> Umgebung<br />

• f[ ˙ Uδ(a)] wird zu ,,Bild <strong>der</strong> punktierten Umgebung von a”,<br />

• a wird zu ,,Stelle a”,<br />

• b wird zu ,,Grenzwert b”,<br />

• Anstelle von limx→a = b schreibt man ,,f(x) → b für x → a”.<br />

• ⊆ wird zu ,,ist enthalten in” o<strong>der</strong> ,,liegt in”.<br />

Damit kann man die Definition des Funktionsgrenzwerts formulieren:<br />

Die Zahl b heißt<br />

• Grenzwert <strong>der</strong> Funktion f an <strong>der</strong> Stelle a<br />

(genau dann), wenn es<br />

• zu je<strong>der</strong> ε–Umgebung Uε(b) von b<br />

• eine punktierte δ–Umgebung ˙ Uδ(a) von a gibt,<br />

• so dass <strong>der</strong>en Bild (unter f) in <strong>der</strong> vorgegebenen ε–Umgebung von b liegt.<br />

5. Graphische Umsetzung:<br />

• Zu jedem Uε(b)<br />

• gibt es ˙ Uδ(a),<br />

• so dass f[ ˙ Uδ(a)] enthalten ist in Uε(b).<br />

Es ist anschaulich klar:<br />

Auch für sehr kleine ε kann man δ finden, so dass f[ ˙ Uδ(a)] liegt in Uε(b).<br />

Idee: Graph als Glasfaser: Bei einer Beleuchtung mit einem (blauen) Parallellichtbündel<br />

von rechts (HW–Achse) finde ich ein (grünes) Parallellichtbündel von<br />

unten (RW–Achse), so dass <strong>der</strong> grüne Lichtfleck in dem blauen enthalten ist.<br />

Nicht–Stetigkeit:<br />

• Zu diesem Uε(b)<br />

• gibt es kein ˙ Uδ(a),<br />

• so dass f[ ˙ Uδ(a)] enthalten ist in Uε(b).<br />

Ein großes Problem bereitet in diesem Zusammenhang (Beweis von Unstetigkeit)<br />

die logische Negation <strong>der</strong> Grenzwert–Definition. Mit Quantoren ist dies formal sehr<br />

einfach:<br />

<br />

<br />

¬ lim f(x) = b ⇐⇒<br />

x→a <br />

0 < |x − a| < δ =⇒ |f(x) − b| ≥ ε.<br />

ε>0 δ>0 x∈Df \{a}


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 8<br />

Uε(f(a))<br />

Uε(f(a))<br />

Veranschaulichung <strong>der</strong> ε–δ–Definition <strong>der</strong> Stetigkeit:<br />

<br />

<br />

. R<br />

.<br />

. .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

f(a) . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

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...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................<br />

.<br />

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a<br />

. . R<br />

<br />

Uδ(a)<br />

. .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ❜ .<br />

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f(a) . . . . . . . . . . . . . . .<br />

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...............<br />

a <br />

Uδ(a)<br />

Stetigkeit in a:<br />

• Zu jedem ε–Wackler um<br />

f(a) muss es<br />

• einen δ–Wackler um a geben,<br />

so dass<br />

• das Bild des δ–Wacklers um<br />

a im ε–Wackler um f(a)<br />

enthalten ist.<br />

Nicht–Stetigkeit in a:<br />

• Zu dem ε–Wackler um f(a)<br />

gibt es<br />

• keinen (auch noch so kleinen)<br />

δ–Wackler um a, so<br />

dass<br />

• das Bild des δ–Wacklers um<br />

a (ganz) im ε–Wackler um<br />

f(a) enthalten ist.<br />

.<br />

.<br />

.. R<br />

.. R


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 9<br />

6. Weiter kann man den Anspruch an die mathematische Stringenz zurückfahren und<br />

erhält dann einen naiven (o<strong>der</strong> intuitiven) Begriff:<br />

Definition: Man sagt, die Funktion f hat an <strong>der</strong> Stelle a den Grenzwert b, wenn bei<br />

• Annäherung von x an a<br />

• <strong>der</strong> Funktionswert f(x) sich an b annähert.<br />

Was ,,Annähern” bedeutet, ist anschaulich klar; man kann diesen Begriff mit Hilfe<br />

von Folgengrenzwerten auch exakt fassen:<br />

O<strong>der</strong> alternativ (Van Briel / Neveling): Man sagt, die Funktion f hat an <strong>der</strong> Stelle<br />

a den Grenzwert b, wenn das folgende <strong>der</strong> Fall ist:<br />

Die Funktionswerte f(x) liegen genügend nahe bei <strong>der</strong> Zahl b, falls für x<br />

(von a verschiedene) Zahlen eingesetzt werden, die genügend nahe bei a<br />

liegen.<br />

7. Alternativdefinitionen erfolgen mit Hilfe an<strong>der</strong>er bereits eingeführter Grenzwertbegriffe:<br />

Definition (über Folgengrenzwert): Die Zahl b heißt Grenzwert <strong>der</strong> Funktion f an<br />

<strong>der</strong> Stelle a, wenn für jede Folge (xn)n∈N (aus Df \ {a}) mit xn → a gilt:<br />

f(xn) → b.<br />

8. Einen ganz an<strong>der</strong>en Zugang (über die Stetigkeit) kann man in Barth: Anschauliche<br />

<strong>Analysis</strong>, finden:<br />

Auf <strong>der</strong> Grundlage einer anschaulich–graphischen Vorstellung von Stetigkeit wird<br />

definiert:<br />

Definition: Die Zahl b heißt Grenzwert <strong>der</strong> Funktion f an <strong>der</strong> Stelle a, wenn f in a<br />

durch den Wert b stetig fortgesetzt werden kann.<br />

9. Neuer Lehrplan (2003): Die Frage nach Stetigkeit wird nicht gestellt. Der in <strong>der</strong><br />

Mittelstufe ,,vorbereitete” Grenzwertbegriff (Grenzprozess) wird benutzt. <strong>Analysis</strong>–<br />

Schwerpunktsetzung erfolgt durch Begriffe wie:<br />

• Kalkül ( → Ableitung),<br />

• Numerische Algorithmen,<br />

• Anwendungen (Optimierung).


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 10<br />

1.3.1 Folgengrenzwert<br />

Definition:<br />

• Die Zahl a heißt Grenzwert <strong>der</strong> Folge (xn)n∈N (für n → ∞),<br />

• symbolisch: limn→∞ xn −→ a,<br />

• falls es zu jedem ε > 0 ein n0 ∈ N gibt, so dass<br />

Alternativ–Definition:<br />

|xn − a| < ε für alle n > n0.<br />

• Eine Folge (xn)n∈N nähert sich dem (Grenz–)Wert a (an),<br />

• symbolisch: xn −→ a,<br />

• falls schließlich (n > n0) alle Folgenglie<strong>der</strong> beliebig (< ε) nahe bei a liegen.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 11<br />

1.4 Kontextfel<strong>der</strong> für die Grenzwertbegriffe<br />

Mit Kontextfeld ist ein Netz von benachbarten, verknüpften o<strong>der</strong> sonst irgendwie in Verbindung<br />

stehenden Begriffen. Die Elemente des Kontextfeldes können als mögliche Einstiege,<br />

Motivation, Beispiele, Anwendungen, Transfer benutzt werden.<br />

1.4.1 Folgengrenzwert<br />

• Intervallschachtelung (9. JGS): Schöpfung <strong>der</strong> irrationalen Zahlen, beispielsweise<br />

√ 2. (Dieser Begriff ist im neuen Lehrplan nicht mehr enthalten.)<br />

• Beim Heronverfahren werden iterativ Intervalle [xn; yn] bestimmt, die eine Intervallschachtelung<br />

darstellen, so dass die zu lokalisierende Quadratwurzel in jedem<br />

Intervall enthalten ist. Vgl. MAG.<br />

• Berechnung von π (Kreismessung 10. JGS) (vgl. 1 Kön 7,15),<br />

• Ein- und Umbeschreibung von regelmäßigen n–Ecken,<br />

• Streifenmethode,<br />

• Der Innenwinkel eines regelmäßigen n–Ecks ist n−2<br />

n · 180 o . Betrachte die Situation<br />

n → ∞.<br />

• Zinseszins für ein Jahr führt auf die Zahl e. Wir beschreiben eine mögliche Vorgehensweise.<br />

Ausgehend von einem Guthaben von 1 (Euro: Mathematisch irrelevant) und einem<br />

Zinssatz von 1 = 100% für eine bestimmte Zeitspanne 1 (Jahr: Mathematisch irrelevant)<br />

berechnen wir das Endguthaben.<br />

Dabei verfolgen wir, was passiert, wenn das Momentan–Guthaben bereits nach immer<br />

feineren 1 –Teilintervallen verzinst wird. Es wird dann natürlich <strong>der</strong> Zinssatz<br />

1<br />

n<br />

= 1<br />

n<br />

n<br />

·100% angewandt, was bedeutet, dass das Momentan–Guthaben ver–(1+ 1<br />

n )–


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 12<br />

facht wird. Dies führt auf die folgende Tabelle:<br />

n → 1 2 3 4 12 365 n<br />

jährlich halbjährlich dritteljährlich vierteljährlich monatlich täglich<br />

jähr<br />

n –lich<br />

k ↓ 100% 50% 33 1%<br />

3 25% 1 8 3 % 0, 274% 100<br />

n %<br />

0 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00 1, 00<br />

1 2, 00 1, 50 1, 33 1, 25 1, 08 1, 003 1 + 1<br />

n<br />

2 2, 25 1, 77 1, 56 1, 17 1, 005 (1 + 1<br />

n )2<br />

3 2, 36 1, 95 1, 27 1, 008 (1 + 1<br />

n )3<br />

4 2, 44 1, 38 1, 011<br />

5 1, 49 1, 014<br />

6 1, 62 1, 017<br />

7 1, 75 1, 019<br />

8 1, 90 1, 022<br />

9 2, 06 1, 025<br />

10 2, 23 1, 028<br />

11 2, 41 1, 031<br />

12 2, 61 1, 033<br />

.<br />

.<br />

365 2, 715<br />

.<br />

n (1 + 1<br />

n )n<br />

In <strong>der</strong> k–ten Zeile ist das Guthaben nach dem k–ten Teilintervall, also zum Zeitpunkt<br />

k aufgelistet. Das Endguthaben taucht als unterster Eintrag auf. Die Zahlen sind<br />

n<br />

auf 2 bzw. 3 Nachkommastellen gerundet.<br />

Lässt man n immer größer werden, so nähert sich das Endguthaben einem Grenzwert<br />

an. Dieser wird als Euler’sche Zahl e bezeichnet. Ein genauerer Wert als oben ist:<br />

e ≈ 2, 718 281 828 459 045 235 360 287 471 352 662 497 757 247 093 699 95<br />

≈ 2, 718 281 828 (TR)<br />

• Iteration von Funktionen (→ Differenzengleichungen, Chaos), vergleiche Skript ,,Logistische<br />

Differenzengleichung” (uld.pdf).<br />

1.4.2 Funktionsgrenzwerte<br />

Wir unterscheiden hier nicht zwischen den Funktionsgrenzwerten im Endlichen o<strong>der</strong> Unendlichen.<br />

• Innermathematische Bezüge (,,Algebra”):<br />

.<br />

.<br />

.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 13<br />

– Rationale Funktionen:<br />

x 2 − 1<br />

x − 1<br />

x 3 + x 2 − 4x − 4<br />

x + 1<br />

– Abschnittsweise definierte Funktionen.<br />

– Transzendente Funktionen: Hier entfaltet sich eigentlich erst die Kraft des<br />

Grenzwertbegriffs.<br />

sin(x)<br />

x ,<br />

tan(x)<br />

x<br />

exp(x) − 1<br />

x<br />

Wir begründen die erste Beziehung durch geometrisch–trigonometrische Überlegungen.<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

1<br />

.<br />

.......<br />

sin(x) x tan(x)<br />

M R1 S1<br />

Der Winkel x (im Bogenmaß) sei größer Null.<br />

1. Es ist ,,geometrisch offensichtlich”, dass<br />

tan(x) = 2A∆MS1S2 > 2 A SektorMS1R2 = 2 · x<br />

2π · π12 = x<br />

und<br />

x > S1R2 > sin(x),<br />

zusammengefasst<br />

tan(x) > x > sin(x). (1)<br />

DE: Es stellt sich hier die methodische Frage, inwieweit diese geometrisch<br />

plausiblen Aussagen weiter bewiesen werden müssen o<strong>der</strong> können. Die Entscheidung<br />

dieser Frage hängt letztlich davon ab, wie die trigonometrischen<br />

Funktionen definiert werden:<br />

∗ Geometrisch–anschaulich: Rechtwinklige Dreiecke, Einheitskreis,<br />

∗ Analytisch:<br />

· durch Reihendarstellung,<br />

· über Moivre–Identität,<br />

· als Lösungen von gewöhnlichen Differentialgleichungen.<br />

R2<br />

S2<br />

....<br />

.<br />

.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 14<br />

2. Wir dividieren die gesamte Ungleichungskette (1) durch sin(x) > 0<br />

1 x<br />

> > 1<br />

cos(x) sin(x)<br />

und bilden den Kehrwert<br />

cos(x) < sin(x)<br />

< 1.<br />

x<br />

3. Wir bilden den Grenzübergang limx↘0 in dieser Ungleichung. Es folgt<br />

sin(x)<br />

1 ≤ lim ≤ 1. (2)<br />

x↘0 x<br />

DE: Der Grenzübergang bei einer Ungleichung stellt ein zentrales Werkzeug<br />

<strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> dar. In <strong>der</strong> Schul–<strong>Analysis</strong> wird die Bedeutung dieses<br />

Werkzeugs völlig unterschätzt. Die Ersetzung des


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 15<br />

∗ ein Winkelmaß geht gegen Null,<br />

∗ ein Winkelmaß geht gegen 180 o ,<br />

∗ Die Summe zweier Winkel geht gegen 180 o .<br />

Es stellt sich dann die Frage, wie sich Dreieckseigenschaften dabei verhalten:<br />

∗ Innenwinkelsumme,<br />

∗ Satz des Pythagoras,<br />

∗ Transversalen, ihre Schnittpunkte,<br />

sin γ c<br />

∗ Sinus–Satz =<br />

sin α a<br />

∗ Kosinus–Satz c 2 = a 2 + b 2 − 2ab cos γ<br />

∗ Sätze über Umkreis, Inkreis, Fasskreis.<br />

– Ein Fußballspieler bewegt sich vor dem Tor hin und her und betrachtet den<br />

Torwinkel in Abhängigkeit von seiner Position. Wie groß ist <strong>der</strong> Torwinkel,<br />

wenn er sich auf die Tor- bzw. Auslinie zubewegt? (Vgl. Lambacher–Schweizer).<br />

• In Sachsituationen: Das unendlich (infinitesimal) Kleine und Große:<br />

A = B<br />

, B fixiert<br />

C<br />

– A Einzelstück, B Gesamtstück (Torte, Pizza), C Zahl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.<br />

– A Geschwindigkeit, B Wegstrecke, C Zeitspanne.<br />

– Abbildungsgleichung <strong>der</strong> geometrischen Optik: Was passiert, wenn <strong>der</strong> Gegenstand<br />

ins ,,Unendliche” rückt?<br />

1 1<br />

+<br />

g b<br />

= 1<br />

f<br />

– Bei Serien- o<strong>der</strong> Parallelschaltung zweier Wi<strong>der</strong>stände gelten die Gesetze<br />

1.4.3 Stetigkeit<br />

R1 + R2 = R ges<br />

bzw.<br />

1<br />

R1<br />

+ 1<br />

R2<br />

= 1<br />

R ges<br />

Die beiden Zustände ,,offen” und ,,geschlossen” eines Schalters korrespondieren<br />

mit den Grenzübergängen R → ∞ bzw. R → 0.<br />

Die obigen Beziehungen gehen in die Gesetze über Serienschaltung (und–<br />

Schaltung) bzw. Parallelschaltung (o<strong>der</strong>–Schaltung) von Schaltern über.<br />

Die Dirichlet–Funktionen sind vermeintlich pathologische Funktionen, die so manche<br />

anschauliche Argumentation zunichte machen.<br />

• Die Dirichlet–Funktion<br />

<br />

1, if x ∈ Q,<br />

f(x) =<br />

0, if x ∈ R \ Q,<br />

ist an keiner Stelle <strong>der</strong> Definitionsmenge stetig.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 16<br />

• Die ähnliche Funktion<br />

f(x) =<br />

1<br />

q<br />

p<br />

, if x = ∈ Q, gekürzt<br />

q<br />

0, if x ∈ R \ Q,<br />

ist stetig in allen irrationalen Zahlen, in den rationalen Zahlen unstetig.<br />

Der Zwischenwertsatz<br />

• Es sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit <strong>der</strong> Definitionsmenge [a, b] ⊂ R. Es<br />

gelte<br />

f(a) ≤ 0 ≤ f(b).<br />

Dann gibt es ein c ∈ [a, b], so dass<br />

f(c) = 0.<br />

• Im Zwischenwertsatz ist die grundlegende Eigenschaft <strong>der</strong> Vollständigkeit <strong>der</strong> reellen<br />

Zahlen verborgen. Er wird falsch, wenn die Abgeschlossenheit (damit die<br />

Vollständigkeit) <strong>der</strong> Definitionsmenge entfällt.<br />

• Beispiel: Die stetige Funktion mit Definitionsmenge [0, 1] ∩ Q<br />

f(x) =<br />

−1, if x 2 < 1<br />

2 ,<br />

+1, if x 2 > 1<br />

2 .<br />

erfüllt die Voraussetzung, nicht aber die Behauptung des Zwischenwertsatzes.<br />

• Ersetzt man im Zwischenwertsatz das Intervall [a, b] durch eine beliebige abgeschlossene<br />

Teilmenge A ⊆ R, so kann man den Zwischenwertsatz wie folgt verallgemeinern:<br />

Gilt für zwei Punkte a, b ∈ A<br />

f(a) ≤ 0 ≤ f(b),<br />

so gibt es ein c ∈ A, so dass<br />

f(c) · f(σ(c)) ≤ 0.<br />

Dabei ist σ <strong>der</strong> ,,Rechtssprung–Operator” bzgl. A:<br />

σ(x) := inf<br />

<br />

<br />

y ∈ A y > x<br />

c o<strong>der</strong> σ(c) ist also eine Nullstelle o<strong>der</strong> die beiden Stellen bilden den Rand einer<br />

Lücke in <strong>der</strong> Definitionsmenge, über die hinweg ein echter Vorzeichenwechsel stattfindet.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 17<br />

Der Extremwertsatz<br />

• Eine im Intervall [a, b] ⊆ R stetige Funktion f nimmt ihre Extrema an, d.h. es gibt<br />

so dass<br />

x min, x max ∈ [a, b],<br />

f(x min) ≤ f(x) ≤ f(x max) für alle x ∈ [a, b].<br />

• Auch diese Eigenschaft ist eng mit <strong>der</strong> Vollständigkeit <strong>der</strong> reellen Zahlen verknüpft.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 18<br />

2 Differentialrechung — <strong>der</strong> Ableitungsbegriff<br />

2.1 Die zwei Stränge <strong>der</strong> Differentialrechnung<br />

Der algebraische Strang (Der Kalkül):<br />

• Berechnung für elementare Funktionen,<br />

• Linearität,<br />

• Produkt- und Quotientenregel,<br />

• Kettenregel.<br />

Der topologisch–analytische Strang:<br />

• Differenzierbarkeit und Stetigkeit,<br />

• Ungleichungen,<br />

• Satz von Rolle: Monotoniekriterium und Mittelwertsatz, Abschätzungssatz.<br />

Insgesamt schließen sich an:<br />

• Funktionendiskussion,<br />

• Kurvendiskussion.<br />

Es stellt sich die Frage des Beweisens bzw. <strong>der</strong> mathematischen Strenge: Exemplarisch,<br />

Plausibilitätsbetrachtungen, lokal streng, Herausarbeiten von trügerischer Anschauung!


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 19<br />

2.2 Kontextfel<strong>der</strong> für die Ableitung<br />

• Geometrische Situationen: Das Problem <strong>der</strong> Tangente an einen Graphen<br />

– Fahrstrahl (Scheinwerfer)<br />

Dies ist problematisch: Funktionsbegriff tritt in den Hintergrund, die Tangente<br />

ist nur nach vorne gerichtet, Richtung des Fahrzeugs = Richtung <strong>der</strong> Rä<strong>der</strong>.<br />

– Steigung eines Profils (Landschaft, Wan<strong>der</strong>weg, Straße, Berg)<br />

– Glattes Zusammenstückeln von Straßen- o<strong>der</strong> Schienenstücken (ähnlich Spline–<br />

Interpolation).<br />

• Sachsituationen: Die Momentanän<strong>der</strong>ung einer Größe bzgl. einer an<strong>der</strong>en:<br />

– Momentangeschwindigkeit (Zeit → Ort–Funktion)<br />

– Grenzkosten (Menge → Gesamtkosten–Funktion)<br />

– Wachstum (Zeit → Population–Funktion)<br />

• Numerik:<br />

– Newtonverfahren zur näherungsweisen Bestimmung von Nullstellen: ,,Mit Tangenten<br />

kann man auf Nullstellen zielen”.<br />

Es sei f eine in einem Intervall definierte Funktion. Die Iteration ist definiert<br />

durch<br />

x0; xn+1 = xn − f(xn)<br />

f ′ (xn) .<br />

Bei <strong>der</strong> Iterationsgleichung handelt es sich um eine Umstellung <strong>der</strong> Identität<br />

f ′ (xn) = f(xn) − 0<br />

,<br />

xn − xn+1<br />

sie kann anschaulich gedeutet werden im Steigungsdreieck für die Steigung <strong>der</strong><br />

Tangente an <strong>der</strong> Stelle xn.<br />

Beispiele:<br />

x 2 − 2 x 3 − 5x + 3 e x − x x 7 + 2x 3 − 24<br />

– Fehlerrechnung, Beispiel: Fertigung eines Normwi<strong>der</strong>standes gemäß<br />

R = ϱ ·<br />

ℓ<br />

πd 2<br />

Ein Fehler in <strong>der</strong> Länge bzw. Durchmesser von 5% führt auf einen Fehler von<br />

5% bzw. 10%. Eine Analyse führt auf den Differentialquotienten.<br />

• Extremwertaufgaben: Sie erfolgen i.a. erst nach den Grundlagen <strong>der</strong> Differentialrechnung.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 20<br />

2.3 Das Monotoniekriterium<br />

Definition Eine Funktion f heißt an <strong>der</strong> Stelle x0 ∈ Df streng monoton steigend,<br />

wenn es ein δ > 0 gibt, so dass für alle x ∈ Uδ(x0) ∩ Df gilt:<br />

f(x) < f(x0), falls x < x0<br />

f(x) > f(x0), falls x > x0.<br />

Beachte, dass diese Definition eine Eigenschaft <strong>der</strong> Funktion für die feste Stelle x0 angibt.<br />

Definition Eine Funktion f heißt auf <strong>der</strong> Menge A ⊆ Df streng monoton steigend,<br />

wenn für alle x, y ∈ A gilt:<br />

x < y =⇒ f(x) < f(y).<br />

Beispiel 1 Die Funktion<br />

f : x ↦→<br />

<br />

1 x · sin + 2x, falls x = 0<br />

x<br />

0, falls x = 0<br />

(vgl. Abschnitt 3.4) ist stetig und an <strong>der</strong> Stelle x = 0 streng monoton steigend; es gibt<br />

jedoch keine Umgebung von 0, auf <strong>der</strong> f streng monoton steigend ist.<br />

Beispiel 2 Die Funktion f : x ↦→ − 1<br />

x , Df = R \ {0}, ist an je<strong>der</strong> Stelle <strong>der</strong> Definitionsmenge<br />

streng monoton steigend, nicht jedoch auf <strong>der</strong> Definitionsmenge insgesamt.<br />

Satz 1 Es sei A ⊆ R ein Intervall. Wenn die Funktion f in jedem Punkt von A streng<br />

monoton steigend ist, dann ist sie auf dem Intervall streng monoton steigend.<br />

Beweis Wir nehmen an, es gäbe zwei Stellen x, y mit x < y aus dem Intervall A mit<br />

f(y) ≤ f(x). Dann existiert das Infimum<br />

z := inf{z|f(z) ≤ f(x)} (∗).<br />

(In diesem Argument steckt die ganze topologische Problematik des Beweises.)<br />

Zur Erzeugung eines Wi<strong>der</strong>spruches betrachten wie zwei Fälle:<br />

1. Fall f(x) ≤ f(z): Nach Voraussetzung ist f an <strong>der</strong> Stelle z streng monoton steigend.<br />

Deshalb gibt es eine Umgebung U von z, so dass<br />

f(z) < f(z2) für alle z2 ∈ U mit z < z2.<br />

Das bedeutet aber<br />

f(x) ≤ f(z) < f(z2) für alle z2 ∈ U mit z < z2.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 21<br />

Dann kann aber z nicht das Infimum gemäß (∗) sein. Wi<strong>der</strong>spruch!<br />

2. Fall f(x) > f(z): Da f in z streng monoton steigend ist, gibt es eine Umgebung U von<br />

z, so dass<br />

f(z1) < f(z) für alle z1 ∈ U mit z1 < z.<br />

Wegen (∗) gilt f(z1) > f(x). Zusammengefasst bedeutet dies:<br />

f(x) < f(z1) < f(z) < f(x).<br />

Wi<strong>der</strong>spruch!<br />

Satz 1 Ist eine Funktion f an <strong>der</strong> Stelle x0 differenzierbar mit f ′ (x0) > 0, so ist sie in<br />

x0 streng monoton steigend.<br />

Beispiel 3 Die Umkehrung gilt nicht, wie die Funktion f : x ↦→ x 3 an <strong>der</strong> Stelle x0 = 0<br />

zeigt.<br />

Beweis Zu ε = f ′ (x0)<br />

2 > 0 gibt es eine δ-Umgebung U, so dass für alle x ∈ U \ {x0}:<br />

<br />

f(x)<br />

− f(x0)<br />

− f<br />

x − x0<br />

′ <br />

<br />

(x0) < f ′ (x0)<br />

2<br />

Vergleiche mit |a − b| < b 2<br />

Daraus folgt aber für alle x ∈ U \ {x0}:<br />

0 < f ′ (x0)<br />

2<br />

< f(x) − f(x0)<br />

x − x0<br />

b < a<br />

2<br />

Deshalb hat f(x) − f(x0) das gleiche Vorzeichen wie x − x0. Das ist die Behauptung.<br />

Folgerung 1 Es sei A ein Intervall und f eine differenzierbare Funktion f mit Definitionsbereich<br />

A. Gilt<br />

f ′ (x) > 0 für x ∈ A,<br />

so ist f auf A streng monoton steigend.<br />

Folgerung 2 Es sei A ein Intervall und f, g seien differenzierbare Funktionen mit Definitionsbereich<br />

A. Gilt<br />

so folgt<br />

f ′ (x) < g ′ (x) für x ∈ A,<br />

f(b) − f(a) < g(b) − g(b) für a, b ∈ A, a < b.<br />

Ersetze zum Beweis f durch g − f im obigen Beweis.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 22<br />

Folgerung 3 (Abschätzungssatz) Es sei A ein Intervall und f sei eine differenzierbare<br />

Funktionen mit Definitionsbereich A. Gibt es zwei Konstanten c, C ∈ R, so dass<br />

so folgt<br />

c < f ′ (x) < C für alle x ∈ A,<br />

c(b − a) < f(b) − f(a) < C(b − a) für a, b ∈ A, a < b.<br />

Betrachte zum Beweis die Funktionen c · (x − a) bzw. C · (x − a).<br />

Der Abschätzungssatz steht in engem Zusammenhang mit dem Mittelwertsatz.<br />

Anstelle <strong>der</strong> strengen Ungleichungen kann man auch nicht–strenge Ungleichungen betrachten.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 23<br />

3 Kurvendiskussion<br />

3.1 Vorbemerkung<br />

In <strong>der</strong> Kurvendiskussion entfaltet sich erst — exemplarisch — die Kraft <strong>der</strong> Infinitesimalrechnung.<br />

Aufgrund dieser Tatsache bleibt ein Eindruck von ihr den Gymnasial–Absolventen lange<br />

im Gedächtnis.<br />

Man begegnet in <strong>der</strong> (Schul–)Kurvendiskussion einem umfangreichen und verwirrenden<br />

Geflecht an<br />

• Definitionen, Begriffen: Siehe Blatt!<br />

• Begriffen des mathematischen Gehalts: Gesetz, Satz, Kriterium, (notwendige o<strong>der</strong><br />

hinreichende) Bedingung, Folgerung, Hauptsatz. (Math: Hilfssatz, Lemma, Präposition,<br />

Theorem, Korollar).<br />

• Voraussetzungen hinsichtlich<br />

– <strong>der</strong> Eigenschaften von Definitionsbereichen: Offen, Intervalle, abgeschlossen,<br />

beschränkt.<br />

– Glattheit: Stetigkeit, ein/mehrmalige Differenzierbarkeit, Stetig–Differenzierbarkeit,<br />

– Ungleichungen: Streng – Nicht streng.<br />

• Zuordnung von beson<strong>der</strong>en Eigenschaften: Punktal — lokal — global.<br />

• Beweisbedürftigkeit: Anschauung — Plausibilität — Begründung — Beweisidee —<br />

Beweis mit mathematisch–substantiellem Ductus — Penibel–strenger Beweis.<br />

Insgesamt beobachtet man die Tendenz, dass die <strong>Analysis</strong>–Ideen von Rechenkalkül zugedeckt<br />

werden. Dadurch werden die eigentlichen Inhalte verdeckt. Es entsteht <strong>der</strong> Eindruck<br />

einer übertriebenen Erbsenzählerei und Pedanterie. Dabei wird nicht klar, ob dieser Anspruch<br />

auf Genauigkeit einen mathematisch–substantiellen Grund hat o<strong>der</strong> nur einer Art<br />

übertriebenen Buchhalterei entspringt.<br />

Zudem ist die Anschauung, die ja erst den Zugang zu einer Grundeinsicht in die Kurvendiskussion<br />

ermöglicht, gelegentlich irreführend.<br />

Diese Beobachtungen sollen hier nicht bewertet werden.<br />

Ziele in diesem Zusammenhang sollten sein:<br />

• Die Inhalte mathematisch auf den Punkt zu bringen,<br />

• lebendige Fertigkeiten zu erwerben,


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 24<br />

• Konzepte zu erlernen anstelle eines Gebäudes technischer und teilweise belangloser<br />

Ausführungsvorschriften,<br />

• Ein Durchdringen des Wechselspiels von mathematischer Technik und Anschauungen<br />

und Anwendungen,<br />

• beispielhaft die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> aufzuzeigen.<br />

Es ist sehr schwer, alle diese Ideen unter einen Hut zu bringen.<br />

Der Lehrer sollte um die Probleme und Pathologien wissen. Die Kenntnis von vielfältigen<br />

Beispielen und Gegenbeispielen ist hilfreich. Insgesamt sind eine in <strong>der</strong> Ausbildung erworbene<br />

Vertrautheit mit den vielfältigen Facetten <strong>der</strong> Problematik und eine übergeordnete<br />

Sichtweise auf das gesamte <strong>Analysis</strong>–Netz notwendig.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 25<br />

3.2 Versuch<br />

Vorgegeben ist eine Funktion f : x ↦→ f(x), sie sei in einer Umgebung von x0 definiert.<br />

Wenn ein δ > 0 existiert, so dass<br />

für alle x1 ∈ Uδ(x0) ∩ ] − ∞, x0[<br />

und alle x2 ∈ Uδ(x0) ∩ ]x0, +∞[<br />

gilt, . . . . . . ,<br />

so sagt man:<br />

f(x1) < 0 < f(x2) f hat in x0 einen (echten)<br />

Vorzeichenwechsel (vom Negativen<br />

ins Positive).<br />

f(x1) < f(x0) < f(x2) f ist in x0 streng monoton steigend.<br />

f(x1) < f(x0) > f(x2) f hat in x0 ein (isoliertes, lokales)<br />

Maximum.<br />

f(x0)−f(x1)<br />

x0−x1<br />

f(x2)−f(x0)<br />

< x2−x0<br />

Wenn ein δ > 0 existiert, so dass<br />

für alle x1, x2, x3, x4 ∈ Uδ(x0)<br />

mit x1 < x2 < x0 < x3 < x4 gilt,<br />

f(x2)−f(x1)<br />

x2−x1<br />

f(x3)−f(x2)<br />

< x3−x2<br />

f(x4)−f(x3)<br />

> x4−x3<br />

f ist in x0 (echt) linksgekrümmt.<br />

so sagt man:<br />

f hat in x0 einen Wendepunkt<br />

(von ,,Links”) nach ,,Rechts”.<br />

• Die Definitionen <strong>der</strong> Tabelle bilden ein ,,in sich geschlossenes (konsistentes) System”.<br />

• Beachte, dass alle diese Eigenschaften einer Stelle x0 zugeordnet sind, aber vom<br />

lokalen (in einer beliebig kleinen Umgebung) Verhalten von f bestimmt werden. In<br />

keiner <strong>der</strong> Definitionen wird in irgendeiner Weise <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ableitung eingesetzt.<br />

Damit werden die Kriterien zur Kurvendiskussion zu echten Sätzen.<br />

• In fast allen Schulbüchern werden das Krümmungs- und Wendeverhalten einer Funktion<br />

über das Steigungs- bzw. ExtremwertVerhalten <strong>der</strong> Tangente definiert. Die<br />

Nachteile dieses Vorgehens sind, dass die zugehörigen Kriterien keine Sätze sind,<br />

son<strong>der</strong>n lediglich Umformulierungen <strong>der</strong> bereits vorhandenen Sätze über Extremwerte<br />

und Steigungsverhalten. Außerdem muss in <strong>der</strong> Definition die Differenzierbarkeit<br />

vorausgesetzt werden, was ,,unnatürlich” ist.<br />

• Ein Nachteil des oben beschriebenen Systems ist, dass die Definitionen vergleichsweise<br />

komplex anmuten und die Kriterien zum Teil noch schwerer beweisbar sind.<br />

Die Kriterien werden aber im Unterricht sowieso kaum bewiesen.<br />

Weitere Begriffe:<br />

• Nullstelle, Wendepunkt, Waagerechte Tangente, Terrassenpunkt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 26<br />

3.3 Krümmung<br />

Satz 2 Es sei f : I → R eine Funktion. An <strong>der</strong> Stelle x0 ∈ I sei sie zweimal differenzierbar.<br />

Es bestehen Implikationen jeweils nach unten:<br />

(i) f ′′ (x0) > 0.<br />

(ii) f ′ ist in x0 streng monoton steigend.<br />

(iii) f ist in x0 streng links–gekrümmt.<br />

(iv) f ist in x0 links–gekrümmt.<br />

(v) f ′′ (x0) ≥ 0.<br />

Die Umkehrung ist jeweils nicht möglich.<br />

Beweis (i) =⇒ (ii): Dies ist Gegenstand des Satzes 1.<br />

(ii) =⇒ (iii): Es gibt offenes Intervall I um x0, so dass für alle ξ1 < x0 < ξ2 in I gilt:<br />

f ′ (ξ1) < f ′ (x0) < f ′ (ξ2) (∗)<br />

Für fest ausgewählte x1, x2 ∈ I mit x1 < x0 < x2 gilt dann aufgrund des Mittelwertsatzes:<br />

f(x0) − f(x1)<br />

x0 − x1<br />

Also ist f in x0 streng links–gekrümmt.<br />

(iv) =⇒ (v): Man überlege zunächst:<br />

= f ′ (ξ1) < f ′ (x0) < f ′ (ξ2) = f(x2) − f(x0)<br />

.<br />

f ′ f(x0 + h) − f(x0)<br />

(x0) = lim<br />

•<br />

h→0 h<br />

x2 − x0<br />

f(x0 − h) − f(x0)<br />

= lim<br />

•<br />

h→0 −h<br />

f(x0) − f(x0 − h)<br />

= lim<br />

•<br />

h→0 h<br />

Ist f in x0 differenzierbar, so folgt mit Mittelwertbildung über die beiden Ausdrücke:<br />

f ′ (x0) = lim<br />

h • →0<br />

f(x0 + h) − f(x0 − h)<br />

.<br />

2h<br />

(Die Umkehrung ist nicht richtig: Betrachte cos( 1<br />

x )).<br />

Bemerkung Eine Implikation (iv) =⇒ ,,f ′ ist in x0 monoton steigend” ist nicht richtig.<br />

Da lässt sich nach dem Gegenbeispiel–Strickmuster ein Gegenbeispiel konstruieren.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 27<br />

3.4 Die ,,Gegenbeispiel”–Funktion<br />

Es seien f und g zwei Funktionen R → R mit f(0) = g(0) = 0. Definiere<br />

e(x) :=<br />

g(x)−f(x)<br />

2<br />

· sin 1<br />

x<br />

+ g(x)+f(x)<br />

2 , falls x = 0,<br />

0, falls x = 0.<br />

Anschaulich: Es handelt sich um eine sinus–ähnliche Funktion, <strong>der</strong>en Graph für x → 0<br />

,,unendlich” stark oszilliert, er pendelt zwischen den Graphen von f und g hin und her.<br />

Satz 1 Sind f und g stetig in 0 mit f(0) = g(0), so ist auch e stetig in 0 mit e(0) = f(0).<br />

Begründung: In <strong>der</strong> Funktion g(x)−f(x)<br />

2<br />

<strong>der</strong> zweite Faktor bleibt beschränkt.<br />

· sin 1<br />

x<br />

geht <strong>der</strong> erste Faktor für x → 0 gegen Null,<br />

Satz 2 Sind f und g differenzierbar in 0 mit f(0) = g(0) und f ′ (0) = g ′ (0), so ist auch<br />

e differenzierbar in 0 mit e ′ (0) = f ′ (0).<br />

Begründung: In <strong>der</strong> Funktion<br />

g(h) − f(h)<br />

2h<br />

· sin 1<br />

h =<br />

<br />

g(h) − g(0)<br />

−<br />

2h<br />

<br />

f(h) − f(0)<br />

· sin<br />

2h<br />

1<br />

h<br />

geht <strong>der</strong> erste Faktor für h → 0 gegen Null, <strong>der</strong> zweite bleibt beschränkt.<br />

Beispiele Durch geeignete Wahl <strong>der</strong> Funktionen f und g kann man so eine ganze Reihe<br />

von ,,pathologischen” Gegenbeispielen auffinden.<br />

1. Wähle f(x) = x, g(x) = 3x, e(x) = x · sin 1 + 2x, (x = 0)<br />

x<br />

Die Funktion e ist streng monoton steigend in 0, es gibt aber keine Umgebung von<br />

0, in <strong>der</strong> e streng monoton steigend ist.<br />

2. Wähle f(x) = −x 2 , g(x) = x 2 , e(x) = x 2 sin 1<br />

x .<br />

Die Funktion e ist in 0 differenzierbar, aber nicht stetig differenzierbar, da für x = 0<br />

e ′ (x) = 2x · sin 1<br />

x + x2 (− 1 1<br />

) cos<br />

x2 x<br />

= 2x · sin 1<br />

x<br />

<br />

x→0<br />

−→ 0<br />

− cos 1<br />

x .<br />

Sie besitzt in 0 eine waagerechte ,,Tangente”. Der Punkt (0, f(0)) ist aber we<strong>der</strong> ein<br />

Extremum noch ein Terrassenpunkt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 28<br />

3. Wähle f(x) = −3x 2 , g(x) = −x 2 , e(x) = x 2 sin 1<br />

x − 2x2 .<br />

Die Funktion e hat in 0 ein isoliertes Maximum, es existiert aber keine links/rechts–<br />

seitige Umgebung von 0, in <strong>der</strong> e streng monoton steigend/fallend ist.<br />

Die Ableitung ist Null, sie besitzt aber keinen Vorzeichenwechsel in 0.<br />

4. Wähle f(x) = x2 + x, g(x) = −x2 + x, e(x) = x2 sin 1 + x. x<br />

Die Funktion e ist in 0 streng monoton steigend, es existiert aber keine Umgebung<br />

von 0, in <strong>der</strong> e streng monoton steigend ist.<br />

Im Vergleich zu Beispiel 1 ist die Funktion e außerdem noch differenzierbar in 0. Sie<br />

unterscheidet sich von <strong>der</strong> Funktion aus Beispiel 2 nur um die Funktion x.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 29<br />

Die Funktion f sei in einer Umgebung von x0 definiert und stetig in x0. Hingeschriebene<br />

Ableitungen bedeuten, dass sie existieren. GB = Gegenbeispiel.<br />

f ′ (x0) = 0<br />

f ′′ (x0) < 0<br />

. . GB: x4<br />

Es ex. gerades n mit<br />

f (k) (x0) = 0, k = 0, . . . , n − 1<br />

f (n) (x0) < 0<br />

1<br />

−<br />

GB: e x2 . .<br />

f hat in x0 isoliertes Maximum<br />

. . GB: x3<br />

f hat in x0 isoliertes Maximum<br />

o<strong>der</strong> Terrassenpunkt<br />

. . GB: x2<br />

f hat in x0 isoliertes Extremum<br />

o<strong>der</strong> Terrassenpunkt<br />

GB: x<br />

. .<br />

2 · sin 1<br />

x<br />

f ′ (x0) = 0<br />

.<br />

.<br />

f ′ (x0) = 0<br />

f ′ hat in x0 einen<br />

VZW von Plus nach Minus<br />

. .<br />

. .<br />

f ist in U −<br />

δ (x0)<br />

streng monoton steigend<br />

und in U +<br />

δ (x0)<br />

streng monoton fallend<br />

GB: x2 · sin 1 − 2x2 x


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 30<br />

4 Integral<br />

4.1 Kontextfel<strong>der</strong><br />

• Flächenberechnung<br />

– Unter Polynomgraphen.<br />

– Graphen elementarer Funktionen.<br />

– Kreis.<br />

• Kurvenberechnung.<br />

• Volumenberechnung mit Prinzip von Cavalieri.<br />

– Rotationskörper: Zylin<strong>der</strong>, Kegel, Kugel.<br />

– Wie muß eine Kugel durchgeschnitten werden, damit eine Volumendrittelung<br />

eintritt?<br />

• Mittelwertberechnung, beispielsweise Mittelwert <strong>der</strong> Temperatur an einem Tag.<br />

• Zinsen bei gegebener Zeit–Kapital–Funktion.<br />

• Physik: Produkte von verän<strong>der</strong>lichen Größen. Beispiele sind:<br />

– Der zurückgelegte Weg bei gegebener Zeit–Geschwindigkeits–Funktion.<br />

– Die verrichtete Arbeit, falls die Kraft längs des Weges verän<strong>der</strong>lich ist.<br />

In Bezug auf praktische Anwendungen stellt sich (für die Schüler/innen) die Frage, warum<br />

man angesichts <strong>der</strong> ,,Diskretheit” <strong>der</strong> Wirklichkeit einen infinitesimalen Begriff einführt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 31<br />

4.2 Historische Episoden<br />

Die Berechnung <strong>der</strong> Fläche von krummlinig begrenzten Flächen ist ein altes, praktisch<br />

motiviertes Problem.<br />

4.2.1 Die Möndchen des Hippokrates<br />

Ab<br />

.<br />

b<br />

.<br />

c<br />

a<br />

Über den Katheten und <strong>der</strong> Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks werden Halbkreise<br />

geschlagen. Für die Gesamtfläche <strong>der</strong> ,,Möndchen” ergibt sich unter Benutzung des Satzes<br />

von Pythagoras:<br />

Aa + Ab = a2π 2 + b2π 2 − c2π ab<br />

+<br />

2 2<br />

Die ,,Quadratur” <strong>der</strong> Möndchen gelingt.<br />

= ab<br />

2<br />

Aa


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 32<br />

4.2.2 Die Parabelsegmentmethode des Archimedes<br />

Sie wird auch Exhaustionsmethode genannt.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

a<br />

A11<br />

...............<br />

d<br />

.<br />

. .<br />

.<br />

c<br />

A0<br />

.<br />

e<br />

.<br />

A12<br />

1. Das durch a und b festgelegte Trapez hat eine Fläche von:<br />

AT = (b − a) · b2 + a 2<br />

2<br />

2. Weiter ergibt sich für das durch a, b und c := a+b<br />

2 festgelegte Dreieck<br />

A0 = (b − a) · b2 + a2 2<br />

− (c − a) · c2 + a2 2<br />

− (b − c) · b2 + c2 =<br />

2<br />

b − a<br />

<br />

· b<br />

2<br />

2 + a 2 − 2c2 + a2 + b2 <br />

=<br />

2<br />

b − a<br />

=<br />

2 2 b + a<br />

·<br />

2 2<br />

b − a<br />

2 2 b + a + a<br />

· − (b<br />

2 2 2 )2<br />

<br />

= b − a<br />

·<br />

2<br />

b2 + a2 − 2ab<br />

=<br />

4<br />

1<br />

8 · (b − a)3 .<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

..<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

.<br />

b<br />

.<br />

.<br />

.<br />

− c2


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 33<br />

3. A1 := A11 + A12 = 1<br />

8 A0 + 1<br />

8 A0 = 1<br />

4 A0 =⇒ An = 1<br />

4<br />

n · A0.<br />

4. Ist Sn das Polygon, das aus allen Dreiecken bis zur n–ten Teilung entsteht, so gilt:<br />

Sn := A0 + A1 + . . . + An<br />

= (1 + 1 1<br />

+<br />

4 16<br />

1<br />

+ . . . + ) · A0<br />

4n = 4 1<br />

· (1 −<br />

3 4n+1 ) · A0 = 4<br />

3 · A0 − 1<br />

· An.<br />

3<br />

(Geometrische Summe: n<br />

0 qk = qn+1 −1<br />

q−1 ).<br />

5. Es sei jetzt S := limn→∞ Sn die Fläche des durch a und b definierten Parabelsegments.<br />

Wir zeigen S = 4<br />

3 A0 durch einen Wi<strong>der</strong>spruchsbeweis.<br />

Im Falle 4<br />

3 A0 > S ist B := 4<br />

3 A0 − S > 0, es gibt also ein n ∈ N so, dass:<br />

An = 1<br />

4 n A0 < B.<br />

Daraus folgt aber:<br />

S = 4<br />

3 A0 − B < 4<br />

3 A0 − 1<br />

4n · A0 < 4<br />

3 A0 − 1<br />

3<br />

= 4 1<br />

(1 −<br />

3 4n+1 )A0 = Sn.<br />

4<br />

· · A0<br />

4n Wi<strong>der</strong>spruch. Ist umgekehrt 4<br />

3 A0 < S, so existiert ein n ∈ N mit<br />

4<br />

3 A0 < Sn,<br />

daraus folgt aber mit Schritt 4:<br />

4<br />

3 A0 < Sn = 4<br />

3 · A0 − 1<br />

· An.<br />

3<br />

Das ist auch ein Wi<strong>der</strong>spruch.<br />

4.2.3 Die Quadratur des Kreises<br />

Kann man durch eine Konstruktion (mit Zirkel und Lineal) ein gegebenes Quadrat (d.h.<br />

die Seitenlänge 1 ist gegeben) in einen flächengleichen Kreis verwandeln?<br />

Die Frage wurde endgültig im Jahr 1882 von Ferdinand von Lindemann (1852 – 1939)<br />

negativ beschieden: Er bewies die Transzendenz <strong>der</strong> Kreiszahl π.<br />

(Vgl. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, S. 25).


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 34<br />

4.2.4 Vielfältige Begriffe und Zugänge zum Integralbegriff<br />

• Riemann–Darboux–Integral (Gaston Darboux, 1842 – 1917):<br />

Einführung über Ober-/Untersummen (Idee <strong>der</strong> Fläche).<br />

• Riemann–Darboux–Integral (Bernhard Riemann, 1826 – 1866):<br />

Zugang über Riemann–Summen (Idee <strong>der</strong> infinitesimalen Summe, Mittelwertbildung).<br />

• Cauchy–Integral: Es wird zunächst für Treppenfunktionen definiert. Dann geht man<br />

zu ,,Grenzwerten von Treppenfunktionen” über: Das sind dann die Regel– (o<strong>der</strong>:<br />

einfache) Funktionen.<br />

• Lebesgue–Integral: Zugang über abstraktere Maß- und Integrationstheorie. Das ist<br />

<strong>der</strong> Integral–Begriff <strong>der</strong> Fachmathematik schlechthin, er wird in über 95% <strong>der</strong> Fachmathematik<br />

angewandt.<br />

Zur Bewertung dieser verschiedenen Integralbegriffe schreibt Jean Dieudonné:<br />

Schließlich wird dem Leser vermutlich auffallen, dass auf das Riemann–<br />

Integral, diesen ehrwürdigen Gegenstand von <strong>Analysis</strong>vorlesungen, überhaupt<br />

nicht eingegangen wird. Man darf wohl annehmen, dass dieser Begriff, wäre er<br />

nicht mit einem so klangvollen Namen verknüpft, schon viel früher übergangen<br />

worden wäre; denn bei allem schuldigen Respekt vor dem Genius Bernhard<br />

Riemanns ist sich je<strong>der</strong> aktive Mathematiker völlig darüber im klaren, dass<br />

dies ,,Theorie” heutzutage in <strong>der</strong> allgemeinen Maß- und Integrationstheorie bestenfalls<br />

die Bedeutung einer halbwegs interessanten Übungsaufgabe besitzt.<br />

Nur <strong>der</strong> sture Konservatismus akademischer Tradition konnte das Riemannsche<br />

Integral als vollwertigen Bestandteil <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong>vorlesung erhalten, lange<br />

nachdem es seine historische Bedeutung überlebt hatte. Natürlich ist es<br />

durchaus möglich, den Integrationsprozeß auf eine Kategorie von Funktionen<br />

zu beschränken, die für alle Zwecke <strong>der</strong> elementaren <strong>Analysis</strong> (auf dem Niveau<br />

dieses Buches) umfassend genug, dabei aber <strong>der</strong> Klasse <strong>der</strong> stetigen Funktionen<br />

hinreichend benachbart ist, so dass man ohne maßtheoretische Überlegungen<br />

auskommt. In dieser Weise sind wir hier verfahren, indem wir nur<br />

das Integral über einfache Funktionen definiert haben (man nennt es manchmal<br />

das ,,Cauchy–Integral”). Benötigt man stärkere Hilfsmittel, so kann man<br />

nicht halberwegs stehenbleiben; dann bleibt nur die allgemeine (Lebesguesche)<br />

Integrationstheorie als vernünftiger Ausweg.<br />

Jean Dieudonné, Grundzüge <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Analysis</strong>, Band 1, Vieweg, Braunschweig, 1985<br />

(Frz. Erstauflage 1968), S. 143.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 35<br />

4.3 Einige didaktische Grundsatzfragen<br />

In welcher Reihenfolge sollen Differential- und Integralrechnung behandelt werden?<br />

D vor I:<br />

• Die Begriffs–Bildung und Theorie–Entwicklung ist weniger aufwändig.<br />

• Der Kalkül ist stärker algorithmisch, das heißt einfacher.<br />

• Ableitungen elementarer Funktionen sind wie<strong>der</strong> elementar.<br />

• Der Ableitungsbegriff wird (mehr o<strong>der</strong> weniger eingekleidet) stärker in an<strong>der</strong>en<br />

Fächern (Physik, Wirtschaft) benötigt.<br />

I vor D:<br />

• Dies entspricht <strong>der</strong> historischen Reihenfolge (Siehe oben).<br />

• Die Fragestellung ist geometrisch naheliegen<strong>der</strong>.<br />

• Der Begriff is zwangloser motivierbar (vgl. Kontextfel<strong>der</strong>)!?<br />

Soll <strong>der</strong> Einstieg in die Integralrechnung über den Integralbegriff o<strong>der</strong> über den Begriff<br />

<strong>der</strong> Stammfunktion erfolgen?<br />

I vor S:<br />

• Geometrische Idee im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

• Der HDI erscheint als echter Satz (mit AHA–Erlebnis!?).<br />

S vor I:<br />

• Zunächst keine aufwändige Begriffsbildung notwendig.<br />

• Es kann ziemlich schnell gerechnet werden.<br />

• Das Problem <strong>der</strong> Integrierbarkeit bleibt (zunächst) im Hintergrund.<br />

Der zweite Weg wird von Barth eingeschlagen, er ist auch im Lehrplan vorgesehen.<br />

Dazu auch wie<strong>der</strong> ein ,,pathologisches” Beispiel: Die Funktion<br />

<br />

2 1 x sin , falls x = 0,<br />

F (x) =<br />

x<br />

0, falls x = 0,


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 36<br />

ist differenzierbar mit Ableitung<br />

f(x) = F ′ (x) = 2x sin 1 2<br />

−<br />

x2 x<br />

1<br />

cos , x = 0.<br />

x2 Die Funktion f hat also eine Stammfunktion auf [−1; +1], sie ist aber nicht integrierbar,<br />

da sie nicht beschränkt ist.<br />

f ist aber uneigentlich Riemann–integrierbar, da die Integral–Grenzwerte<br />

a<br />

lim<br />

a→0<br />

−1<br />

existieren.<br />

f(x) dx und lim<br />

b→0<br />

+1<br />

b<br />

f(x) dx


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 37<br />

4.4 Integrierbare Funktionen<br />

. .<br />

y<br />

.<br />

a<br />

Voraussetzung: Die Funktion f sei im Intervall [a; b] definiert und beschränkt, das<br />

heißt es gibt eine Konstante M > 0, so dass<br />

|f(x)| ≤ M für alle x ∈ [a; b].<br />

Schritt 1: Jede Zerlegung Z von [a; b] in beliebige (nicht notwendig gleich lange) Teilintervalle<br />

liefert eine Untersumme S Z und eine Obersumme SZ.<br />

Schritt 2: Man betrachtet nun die Unter– und Obersummen für alle möglichen Zerlegungen<br />

Z und definiert:<br />

Die Obergrenze aller Untersummen heißt Unterintegral b<br />

f(x) dx von f im Intervall [a; b].<br />

Die Untergrenze aller Obersummen heißt Oberintegral<br />

a<br />

b<br />

a<br />

...............<br />

b<br />

f(x) dx von f im Intervall [a; b].<br />

Schritt 3: Die Funktion f heißt integrierbar im Intervall [a; b], falls Unterintegral und<br />

Oberintegral übereinstimmen.<br />

Satz: Eine Funktion f ist integrierbar, wenn sie<br />

• stetig ist o<strong>der</strong><br />

• monoton steigend ist o<strong>der</strong><br />

• monoton fallend ist o<strong>der</strong><br />

• abschnittsweise stetig ist (siehe Beispiel im Diagramm).<br />

Frage: Gibt es überhaupt Funktionen, die nicht integrierbar sind?<br />

Antwort: Ja, ein Beispiel ist die Dirichlet–Funktion χ Q . Sie ist nicht Riemann–<br />

integrierbar, wohl aber Lebesgue–integrierbar.<br />

..<br />

x


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 38<br />

4.5 Der Hauptsatz <strong>der</strong> Differential- und Integralrechnung<br />

(HDI)<br />

Satz 3 Es sei f eine im Intervall J ⊆ R stetige (reellwertige) Funktion und c ∈ J. Für<br />

eine an<strong>der</strong>e Funktion F : J → R sind die beiden folgenden Aussagen äquivalent:<br />

(A) F ist die Integralfunktion zu f mit unterer Grenze c, das heißt<br />

F (x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt.<br />

(B) F ist die Stammfunktion von f, das heißt es gilt<br />

F ′ (x) = f(x) mit F (c) = 0.<br />

a) Wir beweisen die Folgerung (A) =⇒ (B):<br />

Schritt 0: Gemäß Aussage (A) sei<br />

F (x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt<br />

eine Integralfunktion zu f mit unterer Grenze c im Intervall J. Für ein beliebiges x ∈ J<br />

müssen wir beweisen: F ′ (x) = f(x).<br />

Wir betrachten den Graphen von f.<br />

.<br />

..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... y<br />

. f(ξh)<br />

. ...<br />

..<br />

x ξh x + h<br />

Schritt 1: Wir betrachten für ein (zunächst festes) h > 0 den Differenzenquotienten<br />

F (x + h) − F (x)<br />

h<br />

=<br />

x+h<br />

c<br />

f(t) dt − x<br />

f(t) dt<br />

c<br />

h<br />

=<br />

x+h<br />

x<br />

f(t) dt<br />

.<br />

h<br />

. Gf<br />

..<br />

x


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 39<br />

Schritt 2: Im Intervall [x; x + h] gibt es<br />

• gemäß Mittelwertsatz o<strong>der</strong><br />

• ,,anschaulich klar”<br />

eine ,,Zwischenstelle” ξh, so dass<br />

x+h<br />

x<br />

f(t) dt = f(ξh) · h.<br />

Schritt 3: (Zusammenfassung Schritt 1 und 2) Für jedes h > 0 gibt es im Intervall<br />

[x; x + h] ein ξh, so dass<br />

F (x + h) − F (x)<br />

h<br />

=<br />

x+h<br />

x<br />

f(t) dt<br />

h<br />

= f(ξh) · h<br />

h<br />

= f(ξh).<br />

Schritt 4: Wir lassen jetzt h → 0 gehen. Wegen ξh ∈ [x; x + h] gilt<br />

lim<br />

h↘0 ξh = x.<br />

Da die Funktion f als stetig vorausgesetzt ist, folgt:<br />

lim<br />

h↘0 f(ξh) = f(x).<br />

Mit <strong>der</strong> Gleichung aus Schritt 3 folgt insgesamt:<br />

F (x + h) − F (x)<br />

lim<br />

h↘0 h<br />

= lim<br />

h↘0 f(ξh) = f(x).<br />

Schritt 5: Für h < 0 und den linksseitigen Limes des Differenzenquotienten lassen sich<br />

die obigen Berechnungen ganz genauso durchführen. Man erhält:<br />

F (x + h) − F (x)<br />

lim<br />

h↗0 h<br />

Es gilt also insgesamt:<br />

= f(x)<br />

F ′ F (x + h) − F (x)<br />

(x) = lim<br />

h→0 h<br />

Schritt 6: Gemäß Schritt 0 ist<br />

F (c) =<br />

c<br />

c<br />

f(t) dt = 0,<br />

= f(x).<br />

also hat F die untere Grenze c als Nullstelle. Damit ist die Aussage (B) gezeigt.


S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Analysis</strong> 40<br />

b) Wir beweisen die Folgerung (B) =⇒ (A):<br />

Schritt 0: Gemäß Aussage (B) sei F eine Stammfunktion von f im Intervall J mit<br />

Nullstelle c:<br />

F ′ (x) = f(x) für x ∈ I, F (c) = 0.<br />

Schritt 1: Nach <strong>der</strong> (bereits bewiesenen) Folgerung (A) =⇒ (B) ist<br />

G(x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt<br />

ebenfalls eine Stammfunktion zu f<br />

Schritt 2: Für die Differenz H(x) = F (x) − G(x) dieser beiden Stammfunktionen von<br />

f gilt nun:<br />

H ′ (x) = F ′ (x) − G ′ (x) = f(x) − f(x) = 0.<br />

Also ist die Funktion H(x) = const.<br />

Schritt 3: Wegen<br />

H(c) = F (c) − G(c) = 0 − 0 = 0<br />

muß diese Konstante gleich Null sein. Es ist also H(x) ≡ 0 o<strong>der</strong><br />

F (x) = G(x) =<br />

x<br />

c<br />

f(t) dt.<br />

Das heißt, F ist eine Integralfunktion zu f mit unterer Grenze c. Das ist die zu beweisende<br />

Aussage (B).

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