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AKADEMIE -REPORT - Akademie für Politische Bildung Tutzing

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Migration – Integration – <strong>Bildung</strong>:<br />

„Das System ist nicht mehr zu halten“<br />

Schulen benachteiligen Migranten<br />

Der Bericht „<strong>Bildung</strong> in Deutschland“ vom Sommer 2006 bestätigte<br />

einmal mehr die Chancenungerechtigkeit im deutschen <strong>Bildung</strong>ssystem.<br />

Der erste nationale <strong>Bildung</strong>sbericht lieferte mit einer neuen<br />

Zählweise zum ersten Mal Daten über das tatsächliche Ausmaß der<br />

Migration: sie ist größer als bisher angenommen: 15,3 Millionen<br />

Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, das<br />

sind 18,6 Prozent. Für die Zukunft unseres <strong>Bildung</strong>ssystems ist<br />

besonders interessant, dass ein Drittel der Kinder unter sechs Jahren<br />

einen Migrationshintergrund hat. Der Bericht stellte wieder<br />

einmal fest, dass Migrantenjugendliche auf der Schullaufbahn weniger<br />

erfolgreich sind als Nicht-Migranten: Fast ein Drittel der Türken<br />

haben keinen Schulabschluss und über zwei Drittel von ihnen<br />

sind ohne beruflichen Abschluss. Im Rahmen des Programmschwerpunktes<br />

unseres Jubiläumsjahres „Was die Gesellschaft zusammenhält“<br />

stellte sich eine Tagung der gesellschaftspolitischen Herausforderung<br />

„Integration durch <strong>Bildung</strong>“.<br />

Die frühere Ausländerbeauftragte<br />

von Berlin, Barbara<br />

John, hält Migration nicht<br />

<strong>für</strong> ein <strong>Bildung</strong>shindernis. Sie empfiehlt<br />

genaues Hinschauen und gezieltes<br />

Fördern: „Es gibt große<br />

Unterschiede: Asiaten, russische<br />

Aussiedler und EU-Migranten<br />

sind im Durchschnitt<br />

besser als Türken und Araber.<br />

Der <strong>Bildung</strong>swille ist unterschiedlich<br />

stark ausgeprägt.“<br />

John forderte mehr und bessere<br />

empirische <strong>Bildung</strong>sforschung<br />

auf diesem Gebiet. Sie<br />

sieht eine jahrzehntelange falsche<br />

Einwanderungspolitik als<br />

eine der Ursachen der gegen-<br />

wärtigen Misere: „Wir hatten<br />

Einwanderung ohne Einwanderungspolitik.<br />

So was kommt<br />

von so was“, sagte die frühere<br />

Lehrerin und Politikwissenschaftlerin.<br />

Sie erkennt Stillstand auf<br />

wichtigen strategischen Handlungsfeldern<br />

und beklagt sich über mangelnde<br />

Reformen: „Wir haben Parallelstrukturen<br />

<strong>für</strong> Migranten aufgebaut,<br />

statt einen Systemwandel einzuleiten.“<br />

Man habe nicht zur Kenntnis genommen,<br />

dass wir es mit einer neuen Bevölkerungsstruktur<br />

zu tun hätten.<br />

<strong>Akademie</strong>-Report 2/2007<br />

Die Reaktion in den Einwandererfamilien<br />

sei häufig Abschottung gewesen.<br />

„Die Forderung, in den Familien solle<br />

Deutsch gesprochen werden, ist kein<br />

Königsweg.“ Es werde generell zu we-<br />

Barbara John: Migration ist<br />

kein <strong>Bildung</strong>shindernis.<br />

Helmuth Hochschild war<br />

Rektor an der Berliner Rütli-Schule.<br />

Fotos: S. Weber<br />

nig gesprochen und eine milieugebundene<br />

generelle Sprachreduzierung sei<br />

die Folge: „Das muss die Gesellschaft<br />

mit dem Schulsystem auffangen“, forderte<br />

John. „Überhaupt sprechen ist<br />

wichtiger als Deutsch sprechen“, sagte<br />

sie. Zweisprachigkeit müsse sich als<br />

selbstverständliche Kultur <strong>für</strong> alle Bürger<br />

entwickeln. Für John ist die Ganz-<br />

tagsschule mit breiteren und individuellen<br />

Fördermöglichkeiten eine zentrale<br />

politische Forderung, um die brennenden<br />

Probleme in den Griff zu kriegen.<br />

Praktische Erfahrungen von der Schulfront<br />

vermittelte Helmuth Hochschild.<br />

Er übernahm die Schulleitung der Berliner<br />

Rütli-Schule nach den öffentlichen<br />

Warnrufen von Teilen des Kollegiums:<br />

„Davor war die Schule ein<br />

Jahr lang ohne intakte Leitung.“ Seine<br />

Bestandsaufnahme ist nüchtern:<br />

„An den Hauptschulen haben wir es<br />

mit einer Jugend ohne Perspektive zu<br />

tun.“ Die hohe Zahl von Abbrechern<br />

kennzeichne das nicht erfolgreiche<br />

System. Nur wenige Schüler kämen in<br />

eine Berufsausbildung. „Inzwischen<br />

haben wir die dritte Generation von<br />

Sozialhilfeempfängern an der Schule.“<br />

An seiner Schule hatte er einen Migrantenanteil<br />

von 85 Prozent, darunter<br />

40 Prozent zum Teil vom Krieg traumatisierte<br />

Palästinenser.<br />

Scharf kritisierte der jetzige<br />

Schulrat Hochschild<br />

das geltende Ausländerrecht.<br />

„Der Duldungsstatus<br />

verbaut Schülern die<br />

Perspektiven, weil keine<br />

Chancen zur Berufsausübung<br />

eröffnet werden.“<br />

Selbstwertgefühl<br />

stärken<br />

Doch Hochschild ließ sich<br />

nicht entmutigen: in einer<br />

gemeinsamen Anstrengung<br />

mit Lehrern, Schülern<br />

und Eltern gelang es<br />

in überraschend kurzer Zeit, die Kommunikation<br />

und das Schulklima zu<br />

verbessern. „Die schweigende Mehrheit<br />

wurde gestärkt und negativ Auffällige<br />

brachten wir gemeinsam zur<br />

Ordnung.“ Unzufriedene Lehrer konnten<br />

gehen. Es gelang ihm, zwei junge<br />

Lehrerinnen mit türkischer beziehungsweise<br />

arabischer Muttersprache<br />

�<br />

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