Ein Wort zuvor
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doch unanständige Methoden. Machen das in Frankfurt alle so und setzen sich<br />
auf die Dächer, wenn sie Akkordeon spielen wollen? Die will doch nur von<br />
Männern gesehen werden und anbandeln. Da kann sie sich doch gleich vor die<br />
Kaserne oder vor den Flughafen in Langensalza setzen und Akkordeon spielen.<br />
Da hat sie bestimmt schneller Glück."<br />
Auch deshalb wurde die Situation in unserem Hause so ganz allmählich<br />
gespannter und auch etwas schwieriger, denn jeder wollte seine bisherigen<br />
Gewohnheiten beibehalten, aber dabei kam man miteinander in Konflikte. Ich<br />
hatte einmal auf einer Karte von "Großdeutschland" nachgesehen, wo Frankfurt<br />
am Main liegt. Es schien mir eine sehr große Stadt zu sein. <strong>Ein</strong>mal habe ich die<br />
schöne Blonde gefragt, es interessierte mich wirklich:<br />
„He du! Wie viele <strong>Ein</strong>wohner hat eigentlich Frankfurt."<br />
Aber die sah mich nur verächtlich über die Schulter herab an und verzog ihren<br />
rot gefärbten Mund, aber sie sagte nichts. Ich schwor ihr deshalb, das wirst du<br />
Indianerweib bestimmt noch bereuen müssen. Die schöne Blonde hatte eines<br />
Tages gerade ihre feine Wäsche auf die Leinen auf unserem Hof gehängt. Ich<br />
überlegte einige Zeit, wie ich sie am besten schädigen kann, aber dann holte ich<br />
mir mein Blasrohr aus Großvaters Werkstatt. Dort hatte ich es nämlich vor<br />
meiner Mutter sicher versteckt. Meine Mutter durfte es nämlich nie in Hand<br />
bekommen. Sie wollte es mir es schon lange wegnehmen und zerbrechen, weil<br />
ich mit Kirschkernen nach meiner kleineren Schwester geschossen hatte. Ich<br />
pflückte mir vorn an der Pferdeschwemme eine Handvoll reifer<br />
Holunderbeeren und steckte sie in meinen Mund, danach stieg ich auf den<br />
Boden unseres Hauses hoch und beschoss ihre Wäsche von oben aus dem<br />
Bodenfenster heraus. Ihre Feinwäsche bekam davon sehr viele lilablaue<br />
Flecken ab. Beobachten konnte mich niemand, denn ich war ganz allein im<br />
Hause. Wir saßen gerade beim Abendessen, da schrie die schöne Blonde unten<br />
im Hof in ihrem hessischen Dialekt gequält auf:<br />
„Meine ganze Wäsche ist jetzt schmutzig. Jetzt muss ich alles noch einmal<br />
waschen. So ein blöder Dreck hier auf diesem blöden Nest."<br />
Aber was für ein Glück, sie beschuldigte nicht mich, sondern die Stare, aber<br />
niemals hätten die Stare ihre gesamte Wäsche derartig verschmutzen können.<br />
Großvater eilte schnell auf den Hof und besah sich die Sache ganz ruhig und er<br />
hatte wohl auch gleich einen Verdacht, er wusste von meinem Blasrohr und<br />
dass ich der Blonden einen Streich spielen wollte. Er ließ die schöne Blonde<br />
aber ruhig weiter über die Stare schimpfen. Der Holzkasten mit dem Nest für<br />
die Stare hing schon seit Jahrzehnten oben am Stall. Opa knurrte nur in sich<br />
hinein und sagte dann etwas hintergründig:<br />
„Komisch! Ja, dass ist schon sehr komisch! Die Stare fressen zwar Kirschen,<br />
aber jetzt im Kriege fressen die sogar Holunderbeeren. Die haben eben auch<br />
Hunger und können es sich nicht mehr aussuchen. Denen geht es im Krieg<br />
genauso wie uns."<br />
<strong>Ein</strong>e rosafarbene Bluse meiner kleinen Schwester hatte leider auch etwas<br />
abbekommen und deshalb nahm mich meine Mutter ins Verhör. Obwohl sie<br />
mit mir schimpfte, bemerkte ich so ein seltsames Lächeln um ihre Mundwinkel<br />
und deshalb gab ich es auch gleich zu. Dann sagte meine Mutter sagte nur:<br />
„Aber Annelore ihre Bluse hättest du nicht beschießen müssen, warum hast du<br />
das eigentlich gemacht?"<br />
„Ich konnte doch nicht wissen, dass du die Bluse von Annelore dazwischen<br />
gehängt hast. Ich habe die Blonde nur gefragt, wie viele <strong>Ein</strong>wohner die Stadt<br />
Frankfurt hat, da hat sie mich nur hochnäsig von oben herab abgesehen, aber<br />
sie hat nicht geantwortet. Deshalb hatte sie eine Strafe verdient. Aber Mami,<br />
ich glaube die ist ganz dumm, und blöd, sonst hätte sie mich nämlich<br />
beschuldigt."<br />
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