Ein Wort zuvor
Ein Wort zuvor
Ein Wort zuvor
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Unsere Mutter<br />
war eine ganz liebe Frau und wir waren ihr ganzer Stolz. Mutter tröste uns und<br />
mit Mutter konnten wir auch schön kuscheln und wunderbar spielen. Sie war<br />
auch bereit zu verlieren, natürlich zu unserem Vorteil. Mutter konnte auch gut<br />
kochen, es schmeckte jedenfalls immer gut bei ihr. Aber manchmal gab es auch<br />
Schwierigkeiten, weil es eben während des Krieges nicht viel zu essen gab und<br />
die Situation wurde zunehmend schlechter. Unser Garten half uns dabei über<br />
die allergrößten Probleme hinweg. Gelegentlich gingen wir alle, auch unsere<br />
Großeltern mit, um auf den abgeernteten Weizenfeldern Ähren stoppeln. Zu<br />
Hause wurden dann die Ähren gleich ausgeschlagen, dann durfte ich die<br />
Weizenkörner zweimal in einer alten Kaffeemühle malen und eine halbe<br />
Stunde später stand der süße Brei zum Essen auf dem Tische. Damals gab es so<br />
oft Brei, dass ich ihn viel Jahre lang nicht mehr sehen und auch nicht mehr<br />
essen konnte.<br />
Aber an den Festtagen schlachtete Großvater meist ein Kaninchen und ich<br />
durfte ihm dabei helfen. Dann gab für die ganze Familie Kaninchenbraten mit<br />
Thüringer Klößen und Gurkensalat und zum Nachtisch Pudding oder einen<br />
Ostsalat, den aßen wir besonders gern. Das war immer ein richtiger Höhepunkt<br />
für die ganze Familie. Dann saßen wir alle bei Oma um den weiß gedeckten<br />
Küchentisch und neben dem Essen wurde auch immer viel erzählt und es gab<br />
auch viel zum lachen, besonders wenn Großvater anfing von früher zu<br />
erzählten.<br />
Die Liebe unserer Mutter haben wir sehr gern erwidert, aber dann unterbrach<br />
Mutter unser trautes Beisammensein:<br />
„Aber jetzt müssen wir auch einmal an unseren Papi denken. Der hat es jetzt<br />
bestimmt viel schwerer als wir."<br />
Am schönsten war es immer, wenn wir im Herbst oder Winter in der<br />
Dämmerstunde eng umschlungen gemeinsam am Fenster saßen und gemeinsam<br />
sangen. Oft kam noch Großmutter hinzu. Großmutter kannte viele ganz alte<br />
Volkslieder und auch so schöne wehleidige Küchenlieder, die waren fast<br />
endlos und gefielen mir damals sehr. Aber wahrscheinlich nur, wenn sie<br />
Großmutter sang.<br />
Ich komme in die Schule<br />
Nach den Osterferien 1941 kam ich in die Volksschule in Ufhoven. Meine<br />
Großmutter sagte deshalb zu mir:<br />
„So mein lieber Schatz! Jetzt beginnt für dich auch endlich der Ernst des<br />
Lebens.“<br />
Aber der Sinn dieses Satzes blieb mir doch noch lange verborgen. Lothar, mein<br />
Freund, kam auch mit in die gleiche Klasse, aber wir durften leider nicht<br />
zusammen sitzen. Unsere Lehrerein, Fräulein Kneus, legte allein fest, wo wir<br />
zu sitzen hatten. Der Klassenraum hatte große Fenster, aber die waren viel zu<br />
hoch angebracht und wenn ich in meiner Bank saß, konnte ich nur den Himmel<br />
sehen und ein kleines Stückchen von einem Baum. Ich fand das überhaupt<br />
nicht gut, denn wenn ich zu Hause am Tisch sitze, kann ich doch auch<br />
hinaussehen. Unsere Lehrerein, Fräulein Kneus, sollte sehr streng sein, so<br />
wurde uns schon von den Größeren vorsorglich warnend erzählt. Aber was ist<br />
eigentlich sehr streng? Nur, wir Schulanfänger wussten noch nicht genau, was<br />
22