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von dort regelmäßig große Päckchen nach Hause. Wir Kinder freuten uns über<br />

Malbücher mit Geschichten von Königen, Königinnen, Prinzen und<br />

Prinzessinnen und über Ölsardinen. <strong>Ein</strong>mal schickte mir Vater auch ein Paar<br />

Skier nach Hause, mit denen ich im Winter auf dem verschneiten Sülzenberg,<br />

dem Ufhover Hausberg, fahren konnte. Ich habe es eigentlich sehr schnell<br />

gelernt und traute mir auch bald zu, die steilere Abfahrt auf der Dorfseite des<br />

Sülzenberges hinunter zu fahren. Aber das war nicht ungefährlich, denn dort<br />

standen überall alte Obstbäume.<br />

Als Vater einmal zum Urlaub nach Hause kam, brachte er auch einen schönen<br />

Bildband von Norwegen mit. Es waren Bilder von grandiosen Landschaften der<br />

Norwegischen Fjorde zu sehen. Ich hatte solche Bilder noch nie gesehen. Vater<br />

schwärmte von diesen Landschaften und auch von den Menschen in Norwegen.<br />

Er war ja bisher auch noch nie aus dem engeren Kreis um Langensalza<br />

hinausgekommen und kannte die Welt auch nur von Bildern. Aber er sagte oft:<br />

„Wenn der Krieg zu Ende ist, dann fahren wir alle zusammen einmal nach<br />

Norwegen und machen dort einmal Urlaub. Diese herrlichen Landschaften<br />

müsst ihr auch einmal ansehen."<br />

Mein Vater hat aber Norwegen nie wieder gesehen. Ich bin viel zusammen mit<br />

meiner Frau, aber erst nach der Wende, dorthin gefahren. Es sind tatsächlich<br />

großartige und sehr beeindruckende Landschaften, die uns so oft genug wieder<br />

nach Norwegen zogen.<br />

<strong>Ein</strong>es Nachts weinte unsere Mutter wieder sehr schlimm. Eltern können zwar<br />

ihre Kinder trösten, aber wie sollte ich meine weinende Mutter trösten. Ich<br />

kroch zu ihr ins Bett und wir beide heulten gemeinsam, aber ich wusste nicht,<br />

warum sie weinte. Ich streichelte sie und sie schloss mich in ihre Arme.<br />

Danach erzählte sie mir:<br />

„Von deinem Papi ist wieder ein Brief angekommen. Er schrieb darin, dass<br />

seine Division wird von Norwegen an die Narva-Front verlegt wird.“<br />

Damals begriff ich noch nicht den Ernst dieser Mitteilung und auch nicht die<br />

Gefahren, die damit verbunden waren. Ich sah dies jedoch Mutters Gesicht an<br />

und ahnte, dass das nicht gut für unseren Vater ist. Unsere Mutter machte sich<br />

meist große Sorgen, sie liebte unseren Vater sehr und sie hatte große Angst<br />

ihren Mann im Krieg zu verlieren. <strong>Ein</strong>ige Monate später kam wieder ein Brief<br />

von Vater aus einem Lazarett in Suwalki oder auch Sudauen genannt. Das ist<br />

ein polnisches Dorf, vielleicht auch eine Stadt, an der russischen Grenze. Oder<br />

ist es heute umgekehrt? Unser Vater war an der Front verwundet worden und<br />

hatte einem Durchschuss im rechten Oberschenkel und er bat darum, dass<br />

Mutter und ich zu ihm kommen sollten, um ihn zu besuchen. Mein Großvater<br />

Adolf Freitag, der Vater meiner Mutter, war im ersten Weltkrieg Sanitäter und<br />

hatte genügend einschlägige Erfahrungen bei Kriegsverwundungen:<br />

„Was, nur ein einfacher Oberschenkeldurchschuss ohne Verletzung des<br />

Knochens? Da brauchst du keine Angst zu haben. Das ist nicht so schlimm,<br />

davon bleibt überhaupt nichts zurück. Er kommt bestimmt bald wieder auf die<br />

Beine. Schlimmer wäre es, wenn der Knochen verletzt worden wäre."<br />

Großvater hatte Recht, wie meistens. Er war ein sehr kluger und auch ein sehr<br />

lebenserfahrener Mann:<br />

„Mein Mädchen, aber den Jungen, den lässt du hier. Stell dir nur einmal vor,<br />

unterwegs passiert dir etwas bei den vielen Bombenangriffen in Berlin. Was<br />

soll der Junge dann ganz allein machen? Der kennt sich doch nicht aus, der ist<br />

dann völlig hilflos. Aber wenn dem Jungen etwas passieren sollte, könntest du<br />

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