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ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />

AUFSÄTZE<br />

tative“) oder auch besondere E<strong>in</strong>zelfälle, die aber entweder unter -<br />

e<strong>in</strong>ander austauschbar s<strong>in</strong>d oder als (wenn auch <strong>in</strong>teressante)<br />

Sonderfälle immer noch Sonderfälle darstellen, deren Fehlen <strong>in</strong><br />

der Überlieferung dann zu verschmerzen ist, wenn ihnen ke<strong>in</strong><br />

herausragender Dokumentationswert anhaftet. Das Loch, das<br />

dieses Verfahren <strong>in</strong> die Überlieferung reißen würde, ist daher<br />

begrenzt. Jedenfalls macht es die Erforschung der Universitätsgeschichte<br />

<strong>in</strong>sgesamt nicht unmöglich, sondern nur die von Details.<br />

Das Verfahren der konkreten Auswahl <strong>in</strong> den Kategorien 2 und 3<br />

bleibt jeweils der Entscheidung des e<strong>in</strong>zelnen Archivs überlassen.<br />

Kategorie 2 drückt nur aus, dass es sich hier <strong>in</strong> der Regel um wie<br />

auch immer konstruierte Stichproben aus Massenakten handeln<br />

wird, während bei der Kategorie 3 Ermessensentscheidungen bei<br />

der Auswahl <strong>in</strong> der Regel von Sachakten zu treffen s<strong>in</strong>d, die aus<br />

e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlichen E<strong>in</strong>schätzung heraus erfolgen.<br />

Die Kategorisierung der Überlieferungs<strong>in</strong>halte entspricht <strong>in</strong>sgesamt<br />

e<strong>in</strong>em wesentlichen Grundgedanken des Dokumentationsprofils,<br />

der aus der Diskussion um statistisch auswertbare Quellen<br />

auf andere Quellengruppen übertragen wurde: Im Fokus<br />

stehen hochgradig aggregierte Quellen und solche mit e<strong>in</strong>em<br />

stark konzentrierten Informationsgehalt, deren Vollarchivierung<br />

häufig empfohlen wird. Im Bereich der statistisch auswertbaren<br />

Quellen kann so e<strong>in</strong>e deutliche Konzentration erfolgen. Beispielsweise<br />

enthalten moderne Studierendenakten kaum statistisch<br />

verwertbare Informationen über die h<strong>in</strong>aus, die <strong>in</strong> der vollständig<br />

zu archivierenden Matrikel enthalten s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> repräsentativer<br />

Sample von Studierendenakten würde daher der Sozialforschung<br />

ke<strong>in</strong>e zusätzlichen oder besseren Quellen bieten. Wo immer<br />

solche aggregierten Quellen zur Verfügung stehen, ist daher der<br />

Aufwand e<strong>in</strong>es repräsentativen Sampl<strong>in</strong>gs überflüssig, was –<br />

neben den grundsätzlichen Problemen, e<strong>in</strong>en tatsächlich repräsentativen<br />

Sample herzustellen – e<strong>in</strong> Grund für die Zurückhaltung<br />

der Arbeitsgruppe darstellt, bei Massenakten e<strong>in</strong> Sampl<strong>in</strong>g<br />

mit Blick auf die Sozialforschung zu empfehlen. Gleichzeitig ist<br />

über die Matrikel gewährleistet, dass jeder E<strong>in</strong>zelfall mit den<br />

wesentlichen Grunddaten erhalten bleibt, also e<strong>in</strong>e wenigstens<br />

rudimentäre biographische Forschung möglich bleibt.<br />

Unterlagen mit e<strong>in</strong>em hohen Konzentrationsgrad von Informationen<br />

erlauben ähnliche Erwägungen im Bereich der Sachakten.<br />

Über die Protokolle der zentralen und mittleren Gremien (Rektorat,<br />

Senat, Fakultätsrat) und ihre Anlagen ist jede wichtige (oder<br />

auch weniger wichtige) Entscheidung dokumentiert. Zwar bieten<br />

die Sachakten die H<strong>in</strong>tergründe der Entscheidungen, jedoch ist es<br />

nur <strong>in</strong> Kernbereichen notwendig, diese H<strong>in</strong>tergründe zu kennen.<br />

Überall sonst reichen die Protokolle sowie die für e<strong>in</strong>e Vollarchivierung<br />

vorgesehen personenbezogenen Unterlagen aus, um die<br />

Grundzüge der Universitätsgeschichte nachvollziehen zu können.<br />

Diesen Grundzügen muss <strong>in</strong>des e<strong>in</strong>e dichtere Überlieferung <strong>in</strong><br />

den Kernbereichen gegenüberstehen, und die Def<strong>in</strong>ition dieser<br />

Kernbereiche ist e<strong>in</strong> wesentlicher Teil des Dokumentationsprofils,<br />

durch die es die E<strong>in</strong>zelentscheidungen <strong>in</strong> den Kategorien 2 und 3<br />

erleichtert. Letztlich werden durch die Def<strong>in</strong>ition der Kernbereiche<br />

aber auch die Vollarchivierung (Kategorie 1) und die Totalkassation<br />

(Kategorien 4) begründet. Der Arbeitsgruppe g<strong>in</strong>g es<br />

weder um die Herstellung e<strong>in</strong>er auswertungsoffenen Überlieferung<br />

noch um die Dokumentation von Verwaltungshandeln.<br />

Beide Schlagwörter aus der Bewertungsdiskussion der 1990er<br />

Jahre haben sich letztlich als nicht tragfähig erwiesen, weil durch<br />

sie alles und nichts begründet werden kann. Wirkliche Auswertungsoffenheit,<br />

die diesen Namen verdient, ist nur durch sehr<br />

hohe, <strong>in</strong> letzter Konsequenz bis zu 100% heraufgehende Übernahmequoten<br />

zu erreichen, und Verwaltungshandeln umfasst<br />

umfängliche Bereiche, die zwar aktuell große Ressourcen erfordern,<br />

die aber langfristig kaum von Interesse se<strong>in</strong> dürften. E<strong>in</strong>e<br />

Investition <strong>in</strong> solche Bereiche nutzt weder der Forschung, noch<br />

wäre sie gegenüber den Unterhaltsträgern zu rechtfertigen.<br />

Nun ergeben sich die überlieferungswürdigen Kernbereiche zum<br />

e<strong>in</strong>en aus der Natur der Sache, zum anderen aber auch aus der<br />

bewussten Entscheidung für bestimmte Schwerpunkte, oder –<br />

anders ausgedrückt – gegen bestimmte Bereiche, die folglich nicht<br />

oder nur sehr schwach überliefert werden und daher künftig<br />

nicht mehr im Detail erforscht werden können. Dabei handelt es<br />

sich um solche Arbeitsfelder, die nur wenig mit den Kernaufgaben<br />

von Universitäten – Forschung und Lehre – zu tun haben,<br />

und die diese Kernbereiche auch nicht so stark bee<strong>in</strong>flussen, dass<br />

die Möglichkeiten ihrer Erforschung unter dem Wegfall dieser<br />

Überlieferung leiden würde. Die Arbeitsgruppe hat also, wie<br />

bereits angeführt, Forschung und Lehre <strong>in</strong> den Mittelpunkt der<br />

Überlegungen gerückt und sich im E<strong>in</strong>zelfall gefragt, wie nah<br />

sich e<strong>in</strong> Überlieferungsstrang daran bef<strong>in</strong>det bzw. <strong>in</strong>wieweit die<br />

wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung von Forschung und<br />

Lehre nicht mehr möglich se<strong>in</strong> würde, wenn er fehlt. Bereiche, die<br />

weitab von diesem Zentrum liegen, sollen dementsprechend auch<br />

dann nicht oder nicht breit überliefert werden, wenn sich re<strong>in</strong><br />

theoretisch auch zu diesen Unterlagen noch e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvolles Forschungsthema<br />

konstruieren lassen würde.<br />

PERSONALAKTEN<br />

Um zu illustrieren, wie dieser Gedankengang <strong>in</strong> die Praxis um -<br />

gesetzt wurde, sei das Beispiel der Personalakten angeführt, das<br />

zugleich zu kontroversen Diskussionen um den verfolgten Bewertungsansatz<br />

Anlass geben könnte, weil Personalakten auch <strong>in</strong><br />

anderen <strong>Archive</strong>n zu bewerten s<strong>in</strong>d – und dort zum Teil ganz<br />

andere Verfahren gewählt werden. Das Beispiel illustriert daher<br />

auch gut, dass Bewertung immer abhängig von den Zielen der<br />

Überlieferungsbildung e<strong>in</strong>es Archivs oder e<strong>in</strong>er Archivsparte ist,<br />

und da die Ziele notwendigerweise differieren, haben unterschiedliche<br />

Bewertungsansätze ihre Berechtigung. E<strong>in</strong>e archiv -<br />

übergreifende Bewertungsformel wird es jedenfalls niemals geben<br />

können, auch nicht für relativ ähnliche Massenakten wie Personalakten.<br />

Die Arbeitsgruppe g<strong>in</strong>g konkret von der Beobachtung aus, dass<br />

die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte seit je her stark an<br />

Personen und Biographien <strong>in</strong>teressiert waren. Dabei handelt es<br />

sich nicht um e<strong>in</strong>e bloße wissenschaftliche Mode, die grundlegenden<br />

Änderungen unterworfen ist; vielmehr resultiert die<br />

biographische Fragestellung aus dem Aufbau und der Arbeitsweise<br />

von Hochschulen. Die hohe Autonomie, die die Lehrstuhl<strong>in</strong>haber<br />

genießen, wie auch der Umstand, dass die Entwicklung<br />

neuer Konzepte oder Theorien <strong>in</strong> Forschung und Lehre häufig<br />

von <strong>in</strong>dividuellen Vorlieben, Fähigkeiten, Erkenntnissen und<br />

Netzwerken abhängig ist, erfordern <strong>in</strong> weiten Bereichen e<strong>in</strong>en<br />

biographischen Zugang zur Universitätsgeschichte. Dieser wiederum<br />

ist angewiesen auf die <strong>in</strong>dividuellen Informationen zu<br />

jeder mit Forschung und Lehre maßgeblich befassten Person. Das<br />

s<strong>in</strong>d die Professor<strong>in</strong>nen und Professoren <strong>in</strong>sgesamt, so dass hier<br />

e<strong>in</strong>e Vollarchivierung empfohlen wird. Von ihnen kann weder<br />

e<strong>in</strong>e Unter-Gruppe der besonders wichtigen identifiziert, noch<br />

e<strong>in</strong> Teil durch statistische Methoden ersetzt werden. Aufgrund

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