ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen
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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />
AUFSÄTZE<br />
jedoch abzuwägen, ob dies aktiv sammelnd oder passiv übernehmend<br />
geschehen sollte, denn letzteres ist möglich, soweit z. B. die<br />
Verwaltung Flugblattsammlungen anlegt, aber auch durch Über -<br />
nahme von Flugblattsammlungen von Privatpersonen. Hier zeigt<br />
sich der Vorteil e<strong>in</strong>es vom Inhalt ausgehenden Dokumentationsprofils:<br />
Es ist unerheblich, woher genau e<strong>in</strong>e Überlieferung<br />
stammt, die solche Inhalte dokumentieren soll, so dass das<br />
e<strong>in</strong>zelne Archiv die Möglichkeit behält, den jeweils vor Ort<br />
passenden Weg e<strong>in</strong>zuschlagen.<br />
FORSCHUNGSERGEBNISSE UND<br />
DRITTMITTEL<br />
Wichtig war der Arbeitsgruppe stets auch die Frage, ob bestimmte<br />
Informationen überhaupt aus Archivgut entnommen werden<br />
sollten, oder ob nicht Bibliotheksgut die bessere Form der Überlieferung<br />
darstellt. Dies ist <strong>in</strong>sbesondere im Bereich der Forschung<br />
der Fall, wo sowohl für das Nachvollziehen der Forschungsergebnisse,<br />
als auch für die Information über durchgeführte<br />
Projekte vielfach gedruckte Informationen die erste Wahl<br />
darstellen. Für die Forschungsergebnisse ist dies leicht e<strong>in</strong>sichtig,<br />
bildet die Publikation doch den Abschluss fast jeden Forschungsprojekts.<br />
Auch e<strong>in</strong>e Übersicht über alle an e<strong>in</strong>em Lehrstuhl oder<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Institut durchgeführten Projekte kann man überall dort<br />
leicht außerhalb der Akten f<strong>in</strong>den, wo Forschungs- oder Jahresberichte,<br />
<strong>in</strong> neuerer Zeit auch Forschungsdatenbanken vorliegen.<br />
Die Archivierung von Akten ist daher nur s<strong>in</strong>nvoll, soweit sie<br />
unveröffentlichte Informationen enthalten. Doch auch hier ist<br />
e<strong>in</strong>e zurückhaltende Archivierung angezeigt. Die Masse der<br />
forschungsbezogenen Unterlagen <strong>in</strong> den Registraturen (d. h.,<br />
wenn die Nachlässe unberücksichtigt bleiben) spiegeln nicht die<br />
Forschung selbst wieder, sondern nur ihre verwaltungstechnische<br />
und f<strong>in</strong>anzielle Begleitung. Sie s<strong>in</strong>d also weith<strong>in</strong> forschungsfern<br />
und deshalb kassabel. Dies trifft vor allem auf die E<strong>in</strong>zelabrechnung<br />
von Projektmitteln zu, auf Haushaltsüberwachungslisten<br />
und Mittelanforderungen, auf die Raumvergabe für Projektpersonal<br />
oder die Beschaffung von Verbrauchsmaterial aus Projektmitteln.<br />
In aller Regel – begründete Ausnahmen s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs nie<br />
auszuschließen – s<strong>in</strong>d solche Unterlagen selbst bei Projekten zu<br />
vernichten, die wissenschaftlich gesehen e<strong>in</strong>e große Bedeutung<br />
hatten. Es ist jedoch nur bedeutsam, die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
solcher Projekte zu kennen, nicht jedes adm<strong>in</strong>istrative Detail –<br />
also z. B. die Gesamtsumme und den F<strong>in</strong>anzierungsplan bei<br />
Drittmitteln, nicht aber jede Monatsabrechnung. Insgesamt wird<br />
daher die aktenmäßige Überlieferung zu Forschungsprojekten<br />
trotz ihrer herausgehobenen Bedeutung <strong>in</strong>nerhalb der Tätigkeit<br />
e<strong>in</strong>er Universität quantitativ eher ger<strong>in</strong>g bleiben.<br />
FORMALE KRITERIEN<br />
Die starke Betonung <strong>in</strong>haltlicher Kriterien der Bewertung und<br />
Überlieferungsbildung macht es jedoch ke<strong>in</strong>eswegs überflüssig,<br />
für die konkreten Entscheidungen formale Kriterien wie Zuständigkeiten<br />
im Rahmen der Geschäftsverteilung, Federführung<br />
oder die jeweilige Geschäftsordnung zu berücksichtigen. Gerade<br />
die Suche nach konzentrierter und aggregierter Überlieferung<br />
macht es erforderlich, die Stelle im Aufbau e<strong>in</strong>er Universität<br />
auszumachen, an der solche Überlieferungen entstehen. Das kann<br />
dann dazu führen, die Unterlagen anderer Stellen im jeweiligen<br />
Bereich nicht mehr zu berücksichtigen und pauschal zur Kassation<br />
freizugeben und die künftige Arbeit so von E<strong>in</strong>zelentscheidungen<br />
zu entlasten. So wird im Regelfall die archivwürdige<br />
Überlieferung aus den e<strong>in</strong>zelnen Instituten recht begrenzt bleiben,<br />
weil die Zuständigkeit für Personal, Haushalt, Beschaffung,<br />
Prüfungen, Baufragen usw. auf e<strong>in</strong>er höheren Ebene angesiedelt<br />
ist. Indes folgt die Nutzung von formalen Kriterien aus der<br />
vorherigen <strong>in</strong>haltlichen Zieldef<strong>in</strong>ition, nicht die Bewertungsentscheidung<br />
aus e<strong>in</strong>em formalen Kriterium. Aus dem Umstand,<br />
dass e<strong>in</strong>e Stelle für e<strong>in</strong>e Aufgabe federführend zuständig ist, folgt<br />
also nicht automatisch die Archivwürdigkeit der entsprechenden<br />
Unterlagen (ganz oder <strong>in</strong> Auswahl). Im Zweifel spricht sogar<br />
manches dafür, Unterlagen von e<strong>in</strong>er nur beteiligten Stelle zu<br />
übernehmen, wenn nämlich die der federführend oder überwiegend<br />
zuständigen Stelle nicht zuverlässig zu erhalten s<strong>in</strong>d (z. B.<br />
weil sie <strong>in</strong> nicht systematisch angebotenen Institutsregistraturen<br />
zu suchen s<strong>in</strong>d; oder weil es sich um staatliche Unterlagen etwa<br />
aus der Bauverwaltung handelt, die zwar dem Staatsarchiv<br />
angeboten werden, dort aber nicht mit der aus Universitätssicht<br />
wünschenswerten Breite übernommen werden können).<br />
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK<br />
Das Dokumentationsprofil geht erstens von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlichen<br />
Zieldef<strong>in</strong>ition der Überlieferungsbildung aus. Archivwürdig <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d – von Ausnahmen im E<strong>in</strong>zelfall abgesehen –<br />
solche Unterlagen, die diesen Zielen dienen, nicht aber solche,<br />
die durchaus e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> anderen Zusammenhängen <strong>in</strong>teressant<br />
werden könnten, aber nicht zu den Zielen passen. Auch die<br />
Federführung oder Zuständigkeit, also e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> formale Betrachtung,<br />
wird als e<strong>in</strong>ziger Grund für e<strong>in</strong>e Archivierung ausgeschlossen.<br />
Formalismus, „Auswertungsoffenheit“ und Dokumentation<br />
des Verwaltungshandeln werden als Bewertungsansätze zugunsten<br />
e<strong>in</strong>er auf <strong>in</strong>haltliche Ziele konzentrierten und damit sowohl<br />
umfangmäßig reduzierten, als auch letztlich benutzerfreundlicheren<br />
Überlieferung aufgegeben.<br />
Um dabei zu vermeiden, dass e<strong>in</strong>e stroml<strong>in</strong>ienförmige, nur auf<br />
begrenzte Forschungsprojekte h<strong>in</strong> ausgeprägte Überlieferung<br />
entsteht, gilt zweitens der Grundsatz, über aggregierte und<br />
<strong>in</strong>haltlich konzentrierte Quellengruppen oder über die stets auch<br />
zu berücksichtigende Überlieferung der Bibliotheken e<strong>in</strong>e<br />
Grund sicherung an Informationen und Daten auch zu solchen<br />
Bereichen sicherzustellen, aus denen ke<strong>in</strong>e oder nur wenige<br />
Unterlagen übernommen werden sollen. Zur Erreichung dieses<br />
Ziels wird für solche Quellengruppen häufig e<strong>in</strong>e Totalarchivierung<br />
empfohlen, die überdies e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Praxis ohneh<strong>in</strong> kaum<br />
s<strong>in</strong>nvoll durchzuführendes repräsentatives Sampl<strong>in</strong>g überflüssig<br />
macht.<br />
Da von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>haltlichen Zieldef<strong>in</strong>ition ausgegangen wird, ist es<br />
<strong>in</strong> vielen Fällen gleichgültig, von welcher Stelle die übernommenen<br />
Unterlagen stammen. Das Dokumentationsprofil <strong>in</strong>tegriert<br />
auf diese Weise dienstliche Unterlagen und Sammlungen zu e<strong>in</strong>er<br />
Gesamtüberlieferung, anstatt sie getrennt vone<strong>in</strong>ander zu sehen.<br />
Es ermöglicht darüber h<strong>in</strong>aus, bei der Umsetzung flexibel auf die<br />
Registraturverhältnisse und die Geschäftsverteilung oder sonstige<br />
Besonderheiten vor Ort zu reagieren. Gerade letzteres erfordert<br />
qualifiziertes Personal, so dass das Dokumentationsprofil nicht<br />
im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es auch von Hilfskräften schematisch umzusetzenden<br />
Bewertungskatalogs zu verstehen ist.