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ARCHIVAR 209 - Archive in Nordrhein-Westfalen

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<strong>ARCHIVAR</strong> 62. Jahrgang Heft 02 Mai 2009<br />

ARCHIVTHEORIE<br />

UND PRAXIS<br />

Mitarbeiterschaft nach Kräften. Diese Unterstützung reichte von<br />

der sehr schnellen und völlig unbürokratischen E<strong>in</strong>richtung von<br />

zusätzlichen Stellen (Restauratoren, archivische Fachkräfte,<br />

Unter stützung beim Verwaltungsneuaufbau und <strong>in</strong> organisatorischen<br />

Fragen) über die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Nothilfefonds bei der<br />

Kämmerei und Erleichterungen bei der Vergabepraxis bis zur<br />

Bereitstellung von neuem Büroraum. Die Maßnahmen zur<br />

Bewältigung der Gesamtkatastrophe wurden zunächst vom<br />

Krisenstab, nach Ende der Personenbergung von e<strong>in</strong>em Koord<strong>in</strong>ierungsstab<br />

unter der Leitung des Oberbürgermeisters abgestimmt.<br />

Für die Arbeiten am Archiv hat der Kulturdezernent e<strong>in</strong>e<br />

Leitstelle unter se<strong>in</strong>em persönlichen Referenten e<strong>in</strong>gerichtet und<br />

weiteres Personal bereitgestellt. Auch <strong>in</strong>tern s<strong>in</strong>d die bestehenden<br />

Strukturen der Fachabteilungen obsolet geworden. An den<br />

Bergungsstellen s<strong>in</strong>d stattdessen Arbeitsgruppen e<strong>in</strong>gerichtet<br />

worden, die unter der Leitung von „Schichtführern“ stehen.<br />

Erstversorgungszentrum (EVZ)<br />

Am 5. März 2009, zwei Tage nach dem E<strong>in</strong>sturz des Historischen<br />

Archivs, begann der Aufbau des Erstversorgungszentrums (EVZ)<br />

zur Sicherung und Erstbehandlung geborgenen Archivguts. Zu<br />

diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, <strong>in</strong> welchem Umfang<br />

und <strong>in</strong> welchem Zustand Archivalien zu Tage gefördert<br />

werden würden, da erst damit begonnen worden war, die Trümmer<br />

an der Sever<strong>in</strong>straße abzutragen. Es musste allerd<strong>in</strong>gs erstens<br />

damit gerechnet werden, dass mehr oder m<strong>in</strong>der große Mengen<br />

an Archivgut durch Grundwasser und Regen durchnässt se<strong>in</strong><br />

würden, so dass e<strong>in</strong>e Gefriertrocknung e<strong>in</strong>zuleiten se<strong>in</strong> würde.<br />

Zweitens musste vom schlechtesten Fall ausgegangen werden,<br />

nämlich davon, dass große Mengen von Archivgut untrennbar<br />

vermischt mit Schutt und Trümmern nur noch als E<strong>in</strong>zelseiten<br />

oder Fetzen geborgen werden könnten. Das EVZ wurde daher<br />

zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen Baustoff-Recycl<strong>in</strong>ghalle e<strong>in</strong>gerichtet, <strong>in</strong><br />

die der Schutt von der Sever<strong>in</strong>straße gebracht werden konnte.<br />

Der Schutt konnte dort ausgebreitet und Stück um Stück durchsucht<br />

werden, um alles Archivgut aus ihm herauszusuchen. Diese<br />

Aufgabe lief rasch an und blieb <strong>in</strong> den ersten Tagen <strong>in</strong> der Hand<br />

der Feuerwehr, die nach etwa e<strong>in</strong>er Woche durch Bauhelfer e<strong>in</strong>es<br />

Beschäftigungskonsortiums abgelöst wurde. Das Durchkämmen<br />

der Schuttfuhren brachte und br<strong>in</strong>gt bis heute drei Kategorien<br />

von Bergungsgut zu Tage: Archivgut – leider zumeist stark<br />

beschädigt –, echten Müll wie z. B. Kartonagenreste und schließlich<br />

Privateigentum aus den zusammengestürzten Nachbarhäusern<br />

des Historischen Archivs. Es ist Aufgabe der Archivare, diese<br />

drei Kategorien im Anschluss an das Durchkämmen vone<strong>in</strong>ander<br />

zu trennen und das Archivgut <strong>in</strong> den weiteren Prozess der Erstversorgung<br />

e<strong>in</strong>zuspeisen.<br />

Aus der Schuttdurchsuchung stammt allerd<strong>in</strong>gs nur der quantitativ<br />

ger<strong>in</strong>gste Anteil von Bergungsgut. Von Beg<strong>in</strong>n an konnte<br />

Archivgut <strong>in</strong> mehr oder m<strong>in</strong>der gutem oder schlechtem Zustand<br />

direkt <strong>in</strong> der Sever<strong>in</strong>straße so geborgen werden, dass es <strong>in</strong><br />

Conta<strong>in</strong>ern oder Kartons mit nur ger<strong>in</strong>gem Schuttanteil <strong>in</strong> das<br />

EVZ weitertransportiert werden konnte. Nicht selten fanden sich<br />

so auf der e<strong>in</strong>en Seite fast <strong>in</strong>takte Archivalien, denen die Katastrophe<br />

kaum anzusehen ist – hier haben sowohl die „Kölner<br />

Kartons“ aus den 1970er Jahren wie die <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />

e<strong>in</strong>geführten modernen Verpackungen e<strong>in</strong>e segensreiche Rolle<br />

gespielt –, während auf der anderen Seite e<strong>in</strong>e große Spannbreite<br />

der Schäden festzustellen ist, die bis zur völligen Fragmentierung<br />

der Archivalien reicht. Es ist noch zu früh, um die typischen<br />

Schadensbilder und ihren jeweiligen prozentualen Anteil zu<br />

ermitteln, so wie es auch noch zu früh ist, den Anteil des geborgenen<br />

Archivguts exakt zu beziffern.<br />

Im EVZ wurden Arbeits-Stationen aufgebaut, um allem Bergungsgut<br />

e<strong>in</strong>e Erstbehandlung zuteil werden zu lassen, nämlich<br />

um es entweder als feuchtes Archivgut <strong>in</strong> Stretchfolie zu verpacken<br />

und für die spätere Gefriertrocknung e<strong>in</strong>zufrieren, oder<br />

um es als trockenes Archivgut grob zu re<strong>in</strong>igen und für e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>lagerung vorzubereiten. Diese Stationen bestehen aus Tischen<br />

mit Abrollern für Stretchfolie, Fließpapier, Handfegern zum<br />

Ausbürsten der Archivalien, Cuttermessern oder Scheren und<br />

gegebenenfalls zusätzlichen Materialien wie Gefrierbeuteln,<br />

Jurismappen oder Archivkartons. Aufgabe der hier e<strong>in</strong>gesetzten<br />

Helfer ist es zunächst zu entscheiden, ob es sich um feuchtes –<br />

e<strong>in</strong>zufrierendes – oder trockenes Bergungsgut handelt. Im ersten<br />

Fall sowie <strong>in</strong> allen Fällen, <strong>in</strong> denen auch nur der Verdacht e<strong>in</strong>er<br />

mikrobiellen Kontam<strong>in</strong>ation besteht, wird das Archivgut <strong>in</strong><br />

möglichst kle<strong>in</strong>en Portionen <strong>in</strong> Stretchfolie verpackt, <strong>in</strong> Gitterboxen<br />

gesammelt und schließlich zeitnah <strong>in</strong> Kühlhäuser <strong>in</strong> der<br />

Nähe der Gefriertrocknungsanlagen der beiden nordrhe<strong>in</strong>westfälischen<br />

Landschaftsverbände <strong>in</strong> Münster und Bonn gebracht,<br />

von wo aus der Prozess der Gefriertrocknung e<strong>in</strong>geleitet<br />

werden kann.<br />

Nachdem die Arbeit im EVZ aufgenommen wurde, stellte sich<br />

schnell heraus, dass der ger<strong>in</strong>gere Teil des Bergungsguts als nass<br />

zu klassifizieren ist. Daher musste gleichzeitig e<strong>in</strong>e Vorgehensweise<br />

für den großen Anteil der trockenen Archivalien aufgebaut<br />

werden. Diese werden mit Handfegern vom gröbsten Schutt und<br />

Staub gere<strong>in</strong>igt, um dann <strong>in</strong> größeren Plastik-Wannen abgelegt<br />

zu werden, wobei wenn möglich die Zusammenhänge der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Archivaliene<strong>in</strong>heiten gewahrt bzw. durch provisorische Um -<br />

schläge wiederhergestellt werden.<br />

Es ist jedoch angesichts der gebotenen Eile nicht zu 100 % zu<br />

garantieren, dass wirklich alles als trocken klassifizierte Archivgut<br />

vollkommen trocken ist. Insbesondere bei zu langer Lagerung<br />

<strong>in</strong> den Plastik-Wannen besteht daher e<strong>in</strong>e gewisse Schimmelgefahr.<br />

Das EVZ wurde daher um e<strong>in</strong>e aus Zelten mit Bautrocknern<br />

bestehende Trocknungsstraße ergänzt, die alles ansche<strong>in</strong>end<br />

trockene oder nur leicht feuchte Archivgut durchläuft. Damit<br />

wird sichergestellt, dass bei der anschließenden Verpackung <strong>in</strong><br />

Archivkartons ke<strong>in</strong> feuchtes Archivgut übersehen wird. Gleichzeitig<br />

konnte der Umfang der Gefriertrocknung deutlich reduziert<br />

werden, was e<strong>in</strong>e erhebliche Kostenreduzierung mit sich br<strong>in</strong>gt.<br />

Die Trocknungsstraße wie auch die anschließende Verpackungsstation<br />

konnten allerd<strong>in</strong>gs nicht <strong>in</strong> der ursprünglichen Recycl<strong>in</strong>ghalle<br />

e<strong>in</strong>gerichtet werden, die überdies auch <strong>in</strong> ihrer sonstigen<br />

Infrastruktur nicht für e<strong>in</strong>e dauerhafte Nutzung geeignet ist.<br />

Nach e<strong>in</strong>er Woche wurde daher im laufenden Betrieb das EVZ <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Lagerhalle verlegt, <strong>in</strong> der Trocknung und Verpackung e<strong>in</strong>gerichtet<br />

werden konnten. In der ursprünglichen Halle verblieb nur<br />

die Schuttdurchsuchung.<br />

Von der neuen Halle aus konnte der Abtransport der schließlich<br />

<strong>in</strong> provisorische Archivkartons verpackten Archivalien <strong>in</strong> diejenigen<br />

Magaz<strong>in</strong>e anderer <strong>Archive</strong> aufgenommen werden, die dem<br />

Historischen Archiv für die Zwischenlagerung angeboten wurden.<br />

Der ständige Abfluss von Archivalien stellt sicher, dass die<br />

Halle nicht überläuft und ihrerseits zu kle<strong>in</strong> wird. Diese Gefahr<br />

besteht durchaus, denn die Bergung an der Sever<strong>in</strong>straße ist<br />

weitaus erfolgreicher verlaufen, als zunächst befürchtet werden<br />

musste. Bei täglich schwankender Menge konnten <strong>in</strong> den ersten

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