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Drucksache 15/3700 – 18 – Deutscher Bun<strong>de</strong>stag – 15. Wahlperio<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>n muss, und zum an<strong>de</strong>ren darauf, dass die Patientenverfügung<br />
mit Blick auf die konkrete Behandlungssituation<br />
konkretisiert und regelmäßig interpretiert wer<strong>de</strong>n<br />
muss. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass vollkommen<br />
ein<strong>de</strong>utige Patientenverfügungen, die gewissermaßen<br />
„eins-zu-eins“ auf die konkrete Behandlungssituation<br />
umgesetzt wer<strong>de</strong>n können, eher selten sein wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Bun<strong>de</strong>särztekammer sieht in ihren Handreichungen 72)<br />
die Patientenverfügung als „grundsätzlich verbindlich“<br />
an, um dann allerdings einzuschränken, „es sei <strong>de</strong>nn, es<br />
liegen konkrete Anhaltspunkte vor, die auf eine Verän<strong>de</strong>rung<br />
<strong>de</strong>s Willens schließen lassen.“ Koch hingegen bewertet<br />
Patientenverfügungen nur als „ein Hilfsmittel zur<br />
Entscheidungsfindung und Durchsetzung in einer notwendig<br />
<strong>de</strong>fizitären Situation.“ 73) Uhlenbruck geht einen<br />
an<strong>de</strong>ren Weg und for<strong>de</strong>rt dazu auf, „<strong>de</strong>n letztlich sinnlosen<br />
Streit um die Verbindlichkeit von Patiententestamenten<br />
zu been<strong>de</strong>n“, da die Äußerungen darin <strong>de</strong>m „mutmaßlichen<br />
Willen <strong>de</strong>s Patienten entsprächen, an <strong>de</strong>n die Ärzte<br />
gebun<strong>de</strong>n seien. 74) Zusammenfassend ist zu sagen, dass<br />
die in <strong>de</strong>r Patientenverfügung enthaltene Äußerung <strong>de</strong>s<br />
Patienten nach je<strong>de</strong>r Ansicht als rechtlich relevant anzusehen<br />
ist, entwe<strong>de</strong>r als einmal geäußerter und weiter bestehen<strong>de</strong>r<br />
aktueller (im Hinblick auf die konkrete Situation<br />
ggf. zu interpretieren<strong>de</strong>r) Wille <strong>de</strong>s Patienten o<strong>de</strong>r als<br />
Indiz, das für die Ermittlung <strong>de</strong>s mutmaßlichen Willens<br />
verbindlich zugrun<strong>de</strong> zu legen ist. 75) Deshalb wird in <strong>de</strong>r<br />
Literatur auch empfohlen, sich bei <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Verbindlichkeit<br />
auf die praktische Frage zu konzentrieren, wie<br />
<strong>de</strong>r aktuelle Wille <strong>de</strong>s nicht mehr einwilligungsfähigen<br />
Patienten in <strong>de</strong>r konkreten Behandlungssituation möglichst<br />
genau ermittelt wer<strong>de</strong>n kann. 76)<br />
Bei einer eventuell notwendigen Auslegung <strong>de</strong>r Patientenverfügung<br />
ist nicht auf <strong>de</strong>n objektiven Empfängerhorizont,<br />
son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>n wirklichen Willen <strong>de</strong>s Verfügen<strong>de</strong>n<br />
abzustellen. 77) Trifft die in <strong>de</strong>r Patientenverfügung genannte<br />
Situation nicht genau genug auf <strong>de</strong>n aktuellen Zustand<br />
<strong>de</strong>s Patienten zu, ist ihr Inhalt auch nicht direkt als<br />
Handlungsanweisung verbindlich. Die Verfügung ist aber<br />
bei <strong>de</strong>r ersatzweisen Ermittlung <strong>de</strong>s individuellen mutmaßlichen<br />
Willens zu berücksichtigen. 78)<br />
Die Frage <strong>de</strong>r Verbindlichkeit ist eng mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r<br />
Selbstbindung verknüpft. Es ist zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen<br />
<strong>de</strong>r negativen Selbstbindung einer Patientenverfügung<br />
(selfpaternalism), die bestehen könnte, wenn sich in<br />
einer aktuellen Situation die Bedürfnislage <strong>de</strong>s Betreffen<strong>de</strong>n<br />
geän<strong>de</strong>rt hat, er dies aber nicht mehr äußern kann, und<br />
<strong>de</strong>r positiven Selbstbindung, wie sie beispielsweise im<br />
Suchttherapiebereich, in <strong>de</strong>r Psychiatrie o<strong>de</strong>r bei bestimmten<br />
Formen <strong>de</strong>r Hochdosis-Chemotherapie möglich<br />
und auch notwendig ist. In <strong>de</strong>r juristischen Literatur ist es<br />
herrschen<strong>de</strong> Meinung, dass einer Patientenverfügung<br />
72) Bun<strong>de</strong>särztekammer (1999).<br />
73) Koch (1999c).<br />
74) Laufs/Uhlenbruck ( 3 2002), § 58, Rn. 9.<br />
75) Roth (2004), 497, m. w. N.<br />
76) Roth (2004), 496.<br />
77) Vergleiche Schaffer (2003), 146.<br />
78) Strätling/Se<strong>de</strong>mund-Adib/Scharf u. a. (2003), 154.<br />
rechtliche Verbindlichkeit (theoretische und/o<strong>de</strong>r praktische)<br />
nur dann zukommen kann, wenn kein aktueller<br />
Wille entgegensteht. Die Meinung, dass <strong>de</strong>r Patient sich in<br />
<strong>de</strong>r Patientenverfügung auch dahin gehend mit Bindungswirkung<br />
für Arzt und Betreuer/Bevollmächtigten festlegen<br />
kann, dass ein späterer, in <strong>de</strong>r konkreten Behandlungssituation<br />
zum Ausdruck kommen<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer (natürlicher)<br />
Wille unbeachtlich ist, übersieht, dass ein grundsätzlicher<br />
Verzicht auf die Grundrechte (hier etwa das Recht auf<br />
Selbstbestimmung und auf Leben) nicht möglich ist. Zulässig<br />
ist immer nur <strong>de</strong>r Verzicht auf <strong>de</strong>ren Ausübung in<br />
einer konkreten Situation 79) . Zur Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r negativen<br />
Selbstbindung wird nicht nur die je<strong>de</strong>rzeitige Wi<strong>de</strong>rrufbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Patientenverfügung gefor<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn auch<br />
die aktuelle Überprüfung, ob <strong>de</strong>r Betreffen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r aktuellen<br />
Situation eine geän<strong>de</strong>rte Bedürfnislage hat. In je<strong>de</strong>m<br />
Fall ist zu prüfen, ob zwischen <strong>de</strong>m Zeitpunkt <strong>de</strong>r Erstellung<br />
<strong>de</strong>r Patientenverfügung und <strong>de</strong>r Entscheidungssituation<br />
eine Willensän<strong>de</strong>rung stattgefun<strong>de</strong>n hat, bzw. ein Wi<strong>de</strong>rruf<br />
erfolgt 80) o<strong>de</strong>r eine abän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Verfügung ergangen<br />
ist 81) . Sind solche Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Sachlage nicht erkennbar,<br />
kann nicht allein aus <strong>de</strong>m Zeitablauf seit Abfassung<br />
<strong>de</strong>r Patientenverfügung auf eine Willensän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Betroffenen<br />
geschlossen wer<strong>de</strong>n. Die einmal abgegebene,<br />
nicht wi<strong>de</strong>rrufene Erklärung bleibt insofern gültig. 82) Die<br />
allgemeine Behauptung, man könne nicht wissen, ob <strong>de</strong>r<br />
Verfasser einer Patientenverfügung seine Meinung geän<strong>de</strong>rt<br />
haben könnte, reicht nicht aus, um <strong>de</strong>ren Verbindlichkeit<br />
zu beeinträchtigen. 83)<br />
Der Umfang <strong>de</strong>r Pflicht <strong>de</strong>s Arztes zur Lebenserhaltung<br />
wird maßgeblich durch <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s Patienten bestimmt.<br />
Dem sind jedoch durch das Strafrecht Grenzen gesetzt.<br />
Enthält die Patientenverfügung das Verlangen nach<br />
aktiver Sterbehilfe (§ 212 StGB: Totschlag, <strong>de</strong>r grundsätzlich<br />
auch durch Unterlassen nach § 13 StGB begangen<br />
wer<strong>de</strong>n kann; und § 216 StGB: Tötung auf Verlangen) so<br />
ist die Patientenverfügung insoweit für <strong>de</strong>n Arzt und <strong>de</strong>n<br />
rechtlichen Vertreter nicht verbindlich und darf nicht umgesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n. Nicht strafbar ist die so genannte passive<br />
Sterbehilfe. Die Abgrenzung <strong>de</strong>r strafbaren aktiven Sterbehilfe<br />
von <strong>de</strong>r straflosen passiven Sterbehilfe wird in einem<br />
Grundsatzurteil <strong>de</strong>s BGH von 1991 wie folgt vorgenommen:<br />
„Auch bei einer aussichtslosen Prognose darf<br />
Sterbehilfe nicht durch gezieltes Töten, son<strong>de</strong>rn nur entsprechend<br />
<strong>de</strong>m erklärten o<strong>de</strong>r mutmaßlichen Patienten-<br />
79) Höfling ( 3 2003), Rn. 71, Dreier (1996), Vorb. Rn. 83.; Roth<br />
(2004), 496.<br />
80) Vergleiche BGH (2003), 1589; Taupitz (2000a), A 41. S. auch Vossler<br />
(2002), 296, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Konsequenz <strong>de</strong>r Konzeption <strong>de</strong>s „mutmaßlichen<br />
Willens“ auch einen „mutmaßlichen Wi<strong>de</strong>rruf“ für beachtlich<br />
hält; hierzu auch Baumann/Hartmann (2000), 609 f. unter<br />
Hinweis auf §§ 665 und 1901 Abs. 3 S. 1 und 2 BGB. A.A. insoweit<br />
Taupitz (2000a), A 41.<br />
81) Vergleiche Lipp (2000), 233; Bun<strong>de</strong>särztekammer (1999), A 2721.<br />
82) Vergleiche BGH (2003), 1589; Palandt-Die<strong>de</strong>richsen ( 62 2003), Einf. v.<br />
§ 1896, Rdnr. 9; Taupitz (2000a), A 41; 63. Deutscher Juristentag<br />
(2000), 1485; Berger (2000), 802; Baumann/Hartmann (2000), 607;<br />
Verrel (2003), 450; Langenfeld (2003), 451; Schaffer (2003), 146;<br />
zweifelnd Spickhoff (2003), 1709. Hartmann (2000), 116, hält nur<br />
Patientenverfügungen für verbindlich, die nicht älter als ein halbes<br />
Jahr sind.<br />
83) Vergleiche Scheffen (2000), 316; Baumann/Hartmann (2000), 608.