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Drucksache 15/3700 – 20 – Deutscher Bun<strong>de</strong>stag – 15. Wahlperio<strong>de</strong><br />

achten (vgl. BGHSt 32, 367, 379; 35, 246; 37, 376, 378 f.),<br />

gegen <strong>de</strong>ssen Willen eine ärztliche Behandlung grundsätzlich<br />

we<strong>de</strong>r eingeleitet noch fortgesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

darf.“ 99) An das Vorliegen <strong>de</strong>s mutmaßlichen Willens<br />

(einen geäußerten Willen gab es im konkreten Fall nicht)<br />

wer<strong>de</strong>n im Weiteren strenge, näher aufgeführte Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

gestellt. In Leitsatz 1 <strong>de</strong>s Urteils fasst <strong>de</strong>r BGHSt<br />

seine Sicht wie folgt zusammen: „Bei einem unheilbar erkrankten,<br />

nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten<br />

kann <strong>de</strong>r Abbruch einer ärztlichen Behandlung o<strong>de</strong>r Maßnahme<br />

ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn die<br />

Voraussetzungen <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>särztekammer verabschie<strong>de</strong>ten<br />

Richtlinien für die Sterbehilfe nicht vorliegen,<br />

weil <strong>de</strong>r Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Entschei<strong>de</strong>nd<br />

ist <strong>de</strong>r mutmaßliche Wille <strong>de</strong>s Kranken.“ 100)<br />

Die strafrechtliche Zulässigkeit <strong>de</strong>s Unterlassens o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

Abbruchs einer medizinischen Maßnahme bei nicht mehr<br />

entscheidungsfähigen Patienten ist <strong>de</strong>mnach nicht davon<br />

abhängig, dass <strong>de</strong>ssen Tod in kurzer Zeit eintreten wird.<br />

Allerdings stellt <strong>de</strong>r BGHSt nicht allein auf <strong>de</strong>n (mutmaßlichen)<br />

Willen <strong>de</strong>s Patienten ab. Vielmehr hält er an<br />

objektiven medizinischen Voraussetzungen fest, die namentlich<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>s Schweregra<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r Unumkehrbarkeit<br />

o<strong>de</strong>r „Unheilbarkeit“ <strong>de</strong>s Grundlei<strong>de</strong>ns gegeben<br />

sein müssen. Er hebt außer<strong>de</strong>m mehrfach <strong>de</strong>n<br />

Ausnahmecharakter <strong>de</strong>r Zulässigkeit von passiver Sterbehilfe<br />

vor Einsetzen <strong>de</strong>s Sterbevorganges hervor. Die erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

objektiven Voraussetzungen wer<strong>de</strong>n aber nicht<br />

allgemeingültig herausgearbeitet, son<strong>de</strong>rn nur für <strong>de</strong>n<br />

konkreten Entscheidungsfall als gegeben angenommen.<br />

Insoweit wird das Urteil unterschiedlich interpretiert. Es<br />

lässt sich restriktiv so <strong>de</strong>uten, dass <strong>de</strong>r BGHSt die Bedingungen,<br />

die in <strong>de</strong>r Richtlinie <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>särztekammer neben<br />

<strong>de</strong>r unmittelbaren To<strong>de</strong>snähe für eine zulässige Sterbehilfe<br />

aufgestellt wer<strong>de</strong>n – nämlich dass das<br />

Grundlei<strong>de</strong>n irreversibel ist und einen tödlichen Verlauf<br />

angenommen hat –, nicht infrage stellt und an <strong>de</strong>ren Vorliegen<br />

zugleich Anfor<strong>de</strong>rungen stellt, die <strong>de</strong>n Ausnahmecharakter<br />

zulässiger passiver Sterbehilfe vor Einsetzen<br />

<strong>de</strong>s unmittelbaren Sterbevorganges wahren. Dafür spricht<br />

<strong>de</strong>r Wortlaut <strong>de</strong>s Leitsatzes 1. Das Urteil kann aber auch<br />

extensiv dahingehend interpretiert wer<strong>de</strong>n, dass zwar ein<br />

unheilbares Grundlei<strong>de</strong>n vorliegen, dass dieses aber nicht<br />

zwingend einen tödlichen Verlauf angenommen haben<br />

muss und dass es in diesem Rahmen maßgeblich auf <strong>de</strong>n<br />

(mutmaßlichen) Patientenwillen ankommt. Nach Ansicht<br />

<strong>de</strong>r Kommission kann man aber die Entscheidung <strong>de</strong>s<br />

BGH von 1994 je<strong>de</strong>nfalls nicht so interpretieren, dass die<br />

Sterbehilfe bei nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten<br />

ohne Berücksichtigung <strong>de</strong>s Schweregra<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Krankheit<br />

und ihres Verlaufes generell zulässig ist, wenn ein diesbezüglicher<br />

Wille <strong>de</strong>s Patienten zum Behandlungsverzicht<br />

vorliegt. Das wäre auch kein Ausnahmefall mehr.<br />

In seinem zivilrechtlichen Beschluss vom 17. März 2003<br />

folgert <strong>de</strong>r BGH aus dieser strafrechtlichen Entscheidung,<br />

dass vor Einsetzen <strong>de</strong>s Sterbevorgangs für das Verlangen<br />

eines Betreuers, eine medizinische Behandlung einzustel-<br />

99) Ebenda.<br />

100) Ebenda, 204.<br />

len, kein Raum ist, wenn das Grundlei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Betroffenen<br />

noch keinen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen<br />

hat und durch die Maßnahme das Leben <strong>de</strong>s Betroffenen<br />

verlängert o<strong>de</strong>r erhalten wird. Der rechtliche Rahmen für<br />

ein solches Verlangen sei von vornherein nicht eröffnet,<br />

„wenn eine letzte Sicherheit, dass die Krankheit <strong>de</strong>s Betroffenen<br />

einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen<br />

habe, nicht zu gewinnen wäre.“ 101)<br />

Die Entscheidungsmacht <strong>de</strong>s Betreuers ist, so <strong>de</strong>r BGH,<br />

„mit <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Selbstbestimmungsrecht folgen<strong>de</strong>n<br />

Entscheidungsmacht <strong>de</strong>s einwilligungsfähigen Patienten<br />

nicht <strong>de</strong>ckungsgleich, son<strong>de</strong>rn als gesetzliche Vertretungsmacht<br />

an die rechtlichen Vorgaben gebun<strong>de</strong>n; nur<br />

soweit sie sich im Rahmen dieser Bindung hält, kann sie<br />

sich gegenüber <strong>de</strong>r Verpflichtung <strong>de</strong>s Arztes, das Leben<br />

<strong>de</strong>s Patienten zu erhalten, durchsetzen.“ 102) Die Macht <strong>de</strong>s<br />

Betreuers reiche daher, an<strong>de</strong>rs als diejenige <strong>de</strong>s Patienten,<br />

<strong>de</strong>r im einwilligungsfähigen Zustand je<strong>de</strong> Behandlung<br />

verweigern kann, nicht weiter, als die nach <strong>de</strong>r Rechtsordnung<br />

zulässige Sterbehilfe es erlaube. Liegen die objektiven<br />

Voraussetzungen für einen Behandlungsabbruch,<br />

die <strong>de</strong>r BGH <strong>de</strong>n strafrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Zulässigkeit <strong>de</strong>r passiven Sterbehilfe entnimmt,<br />

nicht vor, dann sieht er keinen Raum für das Verlangen<br />

eines Betreuers nach Behandlungsverzicht, selbst<br />

wenn ein zuvor, z. B. in einer Patientenverfügung, geäußerter<br />

entsprechen<strong>de</strong>r Willen <strong>de</strong>s Patienten umgesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Der Beschluss <strong>de</strong>s BGH bleibt jedoch in seinen Anfor<strong>de</strong>rungen,<br />

die er durch Interpretation <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s<br />

BGHSt gewinnt, seinerseits un<strong>de</strong>utlich. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

bleibt unklar, unter welchen Voraussetzungen davon ausgegangen<br />

wer<strong>de</strong>n kann, dass „das Grundlei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Betroffenen“<br />

einen „irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen<br />

hat“. In <strong>de</strong>r Literatur wird die Entscheidung<br />

teilweise so ge<strong>de</strong>utet, dass sie <strong>de</strong>n Anwendungsbereich<br />

<strong>de</strong>r Patientenverfügung mit <strong>de</strong>n expliziten Kriterien <strong>de</strong>s<br />

„irreversiblen tödlichen Verlaufs“ doch auf Fälle unmittelbarer<br />

To<strong>de</strong>snähe eingeengt habe. 103) Teilweise wird sie<br />

so interpretiert, dass das Grundlei<strong>de</strong>n trotz einer medizinischen<br />

Behandlung unumkehrbar zu einem unbestimmten<br />

Zeitpunkt zum To<strong>de</strong> führen muss. 104) Die Entscheidung<br />

könnte auch – zumal <strong>de</strong>r BGH davon ausgeht, dass<br />

die Fortsetzung einer medizinischen Behandlung einer<br />

fortdauern<strong>de</strong>n Einwilligung bedarf – so zu verstehen sein,<br />

dass das Grundlei<strong>de</strong>n irreversibel sein und tödlich verlaufen<br />

muss, wenn die in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong> medizinische Behandlung<br />

unterbleibt. 105)<br />

Wegen <strong>de</strong>r einschränken<strong>de</strong>n Kriterien und insbeson<strong>de</strong>re<br />

wegen <strong>de</strong>r un<strong>de</strong>utlichen Ausarbeitung dieser einschränken<strong>de</strong>n<br />

Kriterien wird <strong>de</strong>r Beschluss <strong>de</strong>r BGH in <strong>de</strong>n Reaktionen<br />

<strong>de</strong>r Fachliteratur heftig kritisiert. Teilweise wird<br />

101) BGH (2003), 1590, Abschnitt III 2.c) aa).<br />

102) Ebenda.<br />

103) Hufen (2003), 248 f.<br />

104) Kutzer (2003), 213; Verrel (2003), 451 („infauste Prognose“);<br />

Borasio/Putz/Eisenmenger (2003), A-2062; Langenfeld (2003),<br />

451; Lipp (2003).<br />

105) Hahne, in: Nationaler Ethikrat (2003), 6 f., 16. Vergleiche auch (kritisch)<br />

Höfling/Rixen (2003), 886 f.

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