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Deutscher Bun<strong>de</strong>stag – 15. Wahlperio<strong>de</strong> – 9 – Drucksache 15/3700<br />
sicherheit für Patienten, Ärzte und Betreuer, im September<br />
2003 eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zum Thema<br />
„Patientenautonomie am Lebensen<strong>de</strong>“ gebil<strong>de</strong>t, die u. a.<br />
<strong>de</strong>n Auftrag hatte, Vorschläge zum Umgang mit Patientenverfügungen<br />
zu unterbreiten. Der Bericht <strong>de</strong>r Arbeitsgruppe<br />
wur<strong>de</strong> am 10. Juni 2004 in Berlin vorgelegt. 15)<br />
2 Ethische Überlegungen<br />
2.1 Patientenverfügungen als Ausdruck von<br />
informierter Selbstbestimmung<br />
Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein fundamentales<br />
Menschenrecht. Seine Anerkennung fin<strong>de</strong>t ihren Nie<strong>de</strong>rschlag<br />
auch im Grundgesetz (s. Kapitel 4). In <strong>de</strong>r zweiten<br />
Hälfte <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts hat sich die Anerkennung <strong>de</strong>s<br />
Selbstbestimmungsrechtes auch in <strong>de</strong>r Medizinethik und<br />
Medizin weitgehend durchgesetzt. Seinen Ausdruck fin<strong>de</strong>t<br />
das Selbstbestimmungsrecht <strong>de</strong>s Patienten vor allem<br />
im Prinzip <strong>de</strong>s informed consent. Der Begriff <strong>de</strong>s informed<br />
consent lässt sich am besten mit „informierte Zustimmung“<br />
übersetzen und als „auf bestmöglicher Aufklärung<br />
basieren<strong>de</strong> bewusste, freiwillige Zustimmung“<br />
verstehen. Der informed consent gilt als unverzichtbare<br />
Voraussetzung für die Durchführung aller medizinischen<br />
Maßnahmen, wenn auch nicht als hinreichen<strong>de</strong> Voraussetzung.<br />
Schon im Nürnberger Ko<strong>de</strong>x von 1947, auf <strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s informed consent zurückgeht, ist das menschenrechtlich<br />
begrün<strong>de</strong>te Prinzip <strong>de</strong>r informierten Einwilligung<br />
mit <strong>de</strong>r hippokratischen For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Verantwortung<br />
<strong>de</strong>s Arztes und seiner Verpflichtung auf das<br />
Wohl <strong>de</strong>s Patienten verbun<strong>de</strong>n. 16) Medizinische Behandlungen<br />
ohne Patienteneinwilligung stellen strafbare, vorsätzliche<br />
Körperverletzungen dar. Umgekehrt kann die<br />
Unterlassung o<strong>de</strong>r gar Verweigerung einer lebensretten<strong>de</strong>n<br />
Maßnahme, wenn dieser kein erklärter Wille <strong>de</strong>s Patienten<br />
entgegensteht, eine Straftat sein.<br />
In <strong>de</strong>r Diskussion wird das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s „Sterbens in Wür<strong>de</strong>“<br />
vielfach maßgeblich durch <strong>de</strong>n Grad an Selbstbestimmung<br />
<strong>de</strong>finiert. Selbstbestimmung am Lebensen<strong>de</strong> kann<br />
dabei Verschie<strong>de</strong>nes heißen: Es kann be<strong>de</strong>uten, dass ein<br />
Mensch über Art, Ort, Zeitpunkt und Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Sterbens<br />
und <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s entschei<strong>de</strong>t. Selbstbestimmung kann<br />
aber auch heißen, <strong>de</strong>n natürlichen Sterbeprozess nicht mit<br />
medizinisch-technischen Mitteln aufhalten zu wollen,<br />
son<strong>de</strong>rn diesen ohne lebenserhalten<strong>de</strong> Maßnahmen zuzulassen.<br />
Gera<strong>de</strong> in diesem selbstbestimmten Annehmen,<br />
Zulassen und Loslassen besteht für viele Menschen würdiges<br />
Sterben.<br />
Menschen, die ihr Bewusstsein und ihre Äußerungsfähigkeit<br />
verloren haben, ist die Möglichkeit genommen, ihr<br />
Selbstbestimmungsrecht unmittelbar auszuüben. Patientenverfügungen,<br />
aber auch Vorsorgevollmachten, können<br />
ein Weg sein, das Selbstbestimmungsrecht auch über <strong>de</strong>n<br />
Verlust <strong>de</strong>r Äußerungs- und Entscheidungsfähigkeit hinaus<br />
zu bewahren und zu sichern. Auch die bewusste Entscheidung,<br />
auf eine Patientenverfügung zu verzichten und<br />
15) Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz (2004).<br />
16) Wun<strong>de</strong>r (2001). 17) Beauchamp/Childress ( 5 2002).<br />
sich <strong>de</strong>m ärztlichen Han<strong>de</strong>ln anzuvertrauen, kann Ausdruck<br />
von Selbstbestimmung sein.<br />
Nicht bei je<strong>de</strong>r Äußerung in einer Patientenverfügung<br />
han<strong>de</strong>lt es sich um wirkliche Selbstbestimmung. Patientenverfügungen<br />
beispielsweise, die unter Druck o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />
ungebührlichen Einfluss an<strong>de</strong>rer verfasst wor<strong>de</strong>n sind,<br />
sind nicht Ausdruck von Selbst-, son<strong>de</strong>rn von Fremdbestimmung.<br />
Ebenso gibt es Patientenverfügungen mit Formulierungen,<br />
bei <strong>de</strong>nen nicht davon ausgegangen wer<strong>de</strong>n<br />
kann, dass die Verfasser wirklich gewusst haben, was sie<br />
mit ihrer Patientenverfügung veranlassen. Insoweit erfor<strong>de</strong>rt<br />
Selbstbestimmung notwendigerweise auch Information<br />
und Beratung.<br />
Der Umgang mit nicht mehr äußerungsfähigen Menschen,<br />
die eine Patientenverfügung haben, muss stets am Wohl<br />
<strong>de</strong>s Patienten orientiert und zugleich von <strong>de</strong>r Achtung vor<br />
<strong>de</strong>r Selbstbestimmung <strong>de</strong>s Patienten geprägt sein. Ebenso<br />
gehört die Bereitschaft dazu, <strong>de</strong>n tatsächlichen Willen <strong>de</strong>s<br />
Patienten zu erforschen. Dieses individuelle, abwägen<strong>de</strong>,<br />
verantwortungsvolle, nach Möglichkeit von allen Beteiligten<br />
mitgetragene und in einem Gesprächszusammenhang<br />
eingebettete Interpretieren und Umsetzen <strong>de</strong>s Patientenwillens<br />
kann im Extremfall auch heißen, dass<br />
Entscheidungen gegen <strong>de</strong>n Wortlaut von – möglicherweise<br />
ungeschickt formulierten – Patientenverfügungen<br />
richtig sind. Darauf <strong>de</strong>uten die Fälle hin, in <strong>de</strong>nen Patienten<br />
die Missachtung ihres vorausverfügten Willens nach<br />
Wie<strong>de</strong>rerlangung ihres Bewusstseins nachträglich gutheißen.<br />
2.2 Patientenverfügungen im Kontext von<br />
Fürsorge und Gerechtigkeit<br />
Zentrale berufsethische Pflicht aller ärztlich Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />
ist – nicht zuletzt wegen <strong>de</strong>r berufsbedingten Asymmetrie<br />
zwischen Arzt und Patient – <strong>de</strong>r Respekt vor <strong>de</strong>r Selbstbestimmung<br />
<strong>de</strong>s Patienten. In <strong>de</strong>r Medizinethik hat <strong>de</strong>r<br />
„Four-principle-way“, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n USA entwickelt wur<strong>de</strong><br />
und zur Gewährleistung <strong>de</strong>r freiwilligen und informierten<br />
Zustimmung <strong>de</strong>s Patienten (autonomy) die Prinzipien <strong>de</strong>s<br />
Nichtscha<strong>de</strong>ns (nonmaleficence), <strong>de</strong>s Wohlergehens (beneficence)<br />
und <strong>de</strong>r Gerechtigkeit (justice) 17) als normative<br />
Gesichtspunkte heranzieht, weltweit beson<strong>de</strong>re Beachtung<br />
gefun<strong>de</strong>n. Diese vier Grundprinzipien sind bei je<strong>de</strong>r<br />
medizinischen Maßnahme berührt und immer wie<strong>de</strong>r von<br />
neuem miteinan<strong>de</strong>r in Einklang zu bringen.<br />
Selbstbestimmung wird damit kontextbezogen verstan<strong>de</strong>n,<br />
was sowohl die Voraussetzungen als auch die Folgen<br />
betrifft. Als Voraussetzungen wären ein auf Gerechtigkeit<br />
ausgerichtetes und persönliche Entscheidungen ermöglichen<strong>de</strong>s<br />
Behandlungssystem zu nennen und eine Medizin,<br />
die durch die Verpflichtung auf die Prinzipien <strong>de</strong>s<br />
Wohlergehens und <strong>de</strong>s Nichtscha<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>m Patienten eine<br />
menschenwürdige Behandlung verschafft. Ferner ist <strong>de</strong>r<br />
Grundsatz <strong>de</strong>r Selbstbestimmung davon abhängig, dass<br />
die Wahlmöglichkeit zwischen Alternativen besteht. Als<br />
Folgen wären zu nennen, dass die eigene Entscheidung