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Drucksache 15/3700 – 44 – Deutscher Bun<strong>de</strong>stag – 15. Wahlperio<strong>de</strong><br />
Die empfohlene Regelung sieht daher die zwingen<strong>de</strong> Beteiligung<br />
<strong>de</strong>r wichtigsten Personen an <strong>de</strong>r Beratung vor<br />
(rechtlicher Vertreter, Arzt, Mitglied <strong>de</strong>s Pflegeteams,<br />
Angehöriger), aber auch die ins pflichtgemäße Ermessen<br />
gestellte Beteiligung weiterer Personen. Das heißt, ergeben<br />
sich Anhaltspunkte dafür, dass weitere Personen zur<br />
Entscheidungsfindung beitragen können, sollen auch<br />
diese eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />
Ein solches Gespräch über die Anwendung <strong>de</strong>r Patientenverfügung<br />
stellt keine bürokratische Einschränkung <strong>de</strong>s<br />
Selbstbestimmungsrechts dar, son<strong>de</strong>rn ist gera<strong>de</strong> um <strong>de</strong>r<br />
Selbstbestimmung willen notwendig.<br />
Die Arbeit <strong>de</strong>s Konsils kann in <strong>de</strong>r einfachen Feststellung<br />
bestehen, dass eine nicht weiter interpretationsbedürftige<br />
Patientenverfügung direkt auf die konkrete Situation<br />
übertragbar ist, in an<strong>de</strong>ren Fällen in <strong>de</strong>r Beurteilung, wie<br />
<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Verfügung geäußerte Patientenwille am besten<br />
auf die konkrete aktuelle Situation übertragen wer<strong>de</strong>n<br />
kann. Darüber hinaus kann das Konsil auch in Fällen unvollständiger,<br />
auf die Situation nicht übertragbarer o<strong>de</strong>r<br />
fehlen<strong>de</strong>r Patientenverfügungen gemeinsame Feststellungen<br />
<strong>de</strong>s mutmaßlichen Willens treffen.<br />
Das gemeinsame Gespräch aller Beteiligten mit <strong>de</strong>r Aufgabe,<br />
zu einem konsensualen Beratungsergebnis zu kommen,<br />
bietet die größte Gewähr für die Berücksichtigung<br />
aller Ansichten und Informationen, die Überwindung<br />
festgefahrener Annahmen, Urteile und Vorurteile über<br />
<strong>de</strong>n Betroffenen, Eigeninteressen, aber auch medizinischer<br />
Routinen und damit <strong>de</strong>n besten Weg, <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Patientenverfügung<br />
geäußerten Willen auf die konkrete aktuelle<br />
Situation im Sinne <strong>de</strong>s Willens und <strong>de</strong>r<br />
Werthaltungen <strong>de</strong>s Patienten anzuwen<strong>de</strong>n.<br />
6.6 Beteiligung <strong>de</strong>s Vormundschaftsgerichts<br />
Die Enquete-Kommission Ethik und Recht <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen<br />
Medizin empfiehlt <strong>de</strong>m Deutschen Bun<strong>de</strong>stag<br />
zu regeln, dass die Ablehnung <strong>de</strong>r Einwilligung <strong>de</strong>s<br />
Betreuers o<strong>de</strong>r Bevollmächtigten in eine medizinisch<br />
indizierte lebenserhalten<strong>de</strong> Maßnahme <strong>de</strong>r Genehmigung<br />
durch das Vormundschaftsgericht bedarf. Das<br />
Vormundschaftsgericht überprüft, ob die Beratung<br />
durch das Konsil stattgefun<strong>de</strong>n hat und ob die Entscheidung<br />
<strong>de</strong>s Betreuers o<strong>de</strong>r Bevollmächtigten <strong>de</strong>m<br />
Willen <strong>de</strong>s Patienten entspricht und die weiteren objektiven<br />
Voraussetzungen für die Wirksamkeit <strong>de</strong>r<br />
Entscheidung gegeben sind. Des Weiteren empfiehlt<br />
die Enquete-Kommission <strong>de</strong>m Deutschen Bun<strong>de</strong>stag,<br />
eine Regelung einzuführen, die klarstellt, dass ein Betreuer<br />
nach § 1896 Abs. 1 BGB zu bestellen ist, wenn<br />
eine Willensäußerung umgesetzt wer<strong>de</strong>n soll, in welcher<br />
auf medizinisch indizierte lebenserhalten<strong>de</strong> Maßnahmen<br />
verzichtet wer<strong>de</strong>n soll.<br />
Erläuterung: In Anbetracht <strong>de</strong>r Folgen für <strong>de</strong>n Patienten<br />
sollte die Ablehnung <strong>de</strong>r Einwilligung in die Aufnahme<br />
o<strong>de</strong>r Fortsetzung medizinisch indizierter lebenserhalten<strong>de</strong>r<br />
Maßnahmen <strong>de</strong>r Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht<br />
bedürfen. Das Konfliktmo<strong>de</strong>ll, wie es <strong>de</strong>r<br />
BGH vorgeschlagen hat 216) bzw. das private Entscheidungsmo<strong>de</strong>ll,<br />
wonach nur in Konfliktfällen zwischen<br />
<strong>de</strong>m Betreuer/Bevollmächtigten und Arzt eine Genehmigung<br />
durch das Vormundschaftsgericht erfor<strong>de</strong>rlich sein<br />
soll, lässt außer Acht, dass damit <strong>de</strong>m Vertreter <strong>de</strong>s Patienten<br />
und <strong>de</strong>m Arzt die Möglichkeit eröffnet wird, die<br />
(Nicht)Anrufung <strong>de</strong>s Vormundschaftsgerichtes durch<br />
Scheindissense und Scheinkonsense zu steuern. Es kann<br />
aber nicht <strong>de</strong>r Übereinkunft privater Personen übertragen<br />
wer<strong>de</strong>n zu entschei<strong>de</strong>n, ob Eingriffe in Grundrechte überprüft<br />
wer<strong>de</strong>n können o<strong>de</strong>r nicht. Außer<strong>de</strong>m wi<strong>de</strong>rspräche<br />
eine solche Lösung <strong>de</strong>n Grundregeln und Wertungen <strong>de</strong>s<br />
Betreuungsrechtes und <strong>de</strong>r „prozeduralen Rationalität betreuungsrechtlicher<br />
Genehmigungsvorbehalte“ 217), wo sogar<br />
eine Wohnraumkündigung und erst recht die Einwilligung<br />
in eine lebensgefähr<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Heilbehandlung (§ 1904<br />
BGB) <strong>de</strong>r gerichtlichen Genehmigung bedarf. Die weit<br />
folgenschwerere Entscheidung für die Unterlassung o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>n Abbruch medizinisch indizierter lebenserhalten<strong>de</strong>r<br />
Maßnahmen bedarf dann erst recht <strong>de</strong>r Genehmigung <strong>de</strong>s<br />
Vormundschaftsgerichtes. Funktion <strong>de</strong>r Genehmigung<br />
durch das Vormundschaftsgericht im Betreuungsrecht ist<br />
auch die Entlastung <strong>de</strong>s Betreuers und Arztes von <strong>de</strong>r alleinigen<br />
Verantwortung und Last <strong>de</strong>r Entscheidung 218),<br />
die vor <strong>de</strong>m Hintergrund strafrechtlicher Risiken eine<br />
noch größere Be<strong>de</strong>utung hat als bei rein zivilrechtlichen<br />
Entscheidungen <strong>de</strong>s Betreuers. Eine Entscheidungsflut<br />
o<strong>de</strong>r Überlastung <strong>de</strong>r Gerichte ist wegen <strong>de</strong>r Begrenzung<br />
auf Fälle, bei <strong>de</strong>nen eine Behandlung medizinisch indiziert<br />
ist, aber nach <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Betreuers/Bevollmächtigten<br />
nicht erfolgen soll, nicht zu erwarten, wie die<br />
bisherige Praxis zeigt, in <strong>de</strong>r selbst Konsensfälle vorgelegt<br />
wur<strong>de</strong>n. Wer<strong>de</strong>n lebenserhalten<strong>de</strong> Maßnahmen been<strong>de</strong>t<br />
o<strong>de</strong>r unterlassen, sollte dies stets kontrolliert wer<strong>de</strong>n,<br />
auch wenn keine Patientenverfügung vorliegt.<br />
Eine gesetzliche Regelung <strong>de</strong>r Empfehlungen 6.3<br />
(Schriftlichkeit) und 6.5 (obligatorisches Konsil) sollte<br />
im Betreuungsrecht erfolgen, da bei Entscheidungsunfähigkeit<br />
<strong>de</strong>s Patienten grundsätzlich die Voraussetzungen<br />
für eine Betreuung vorliegen (§ 1896 Abs. 1 BGB). Die<br />
bisherige Gleichbehandlung von Betreuer- und Bevollmächtigten-Entscheidungen<br />
(§ 1904 Abs. 1 und 2 BGB)<br />
sollte in entsprechen<strong>de</strong>r Weise übernommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Durch das Betreuungsrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz vom<br />
25. Juni 1998 219) wur<strong>de</strong> in § 1904 Abs. 2 BGB klargestellt,<br />
dass ein Bevollmächtigter die Einwilligung in eine<br />
medizinische Behandlung erklären kann. 220) Der Gesetzgeber<br />
wollte dadurch die Vorsorgevollmacht stärken und<br />
die Gerichte entlasten. 221)<br />
216) BGH (2003).<br />
217) Saliger (2004), 237 ff., 243.<br />
218) BGH (2003), 1593.<br />
219) Gesetz zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften<br />
(Betreuungsrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz BtÄndG) vom 25. Juni<br />
1998 (BGBl. I Nr. 39, 1580).<br />
220) Das Betreuungsrechtsän<strong>de</strong>rungsgesetz ist am 1. Januar 1999 in<br />
Kraft getreten.<br />
221) Deutscher Bun<strong>de</strong>stag (1997).