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Drucksache 15/3700 – 66 – Deutscher Bun<strong>de</strong>stag – 15. Wahlperio<strong>de</strong><br />

Dem Vormundschaftsgericht sollen in bestimmten Fällen<br />

kontrollieren<strong>de</strong> Funktionen zukommen. Es hat die Rechtmäßigkeit<br />

<strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s Bevollmächtigten o<strong>de</strong>r<br />

Betreuers zu kontrollieren, die dieser nicht etwa gemeinsam<br />

mit <strong>de</strong>m Konsil, son<strong>de</strong>rn eigenverantwortlich nach<br />

Beratung durch das Konsil trifft. Diese Entscheidung ist<br />

mit Rücksicht auf die Patientenverfügung darauf gerichtet,<br />

die Einwilligung in medizinisch indizierte lebenserhalten<strong>de</strong><br />

Maßnahmen nicht zu geben; insofern besteht immer<br />

ein „Dissens“ zur medizinischen Indikation. Das<br />

Vormundschaftsgericht hat dann zum Beispiel die Wirksamkeit<br />

<strong>de</strong>r Patientenverfügung zu prüfen, die nach <strong>de</strong>m<br />

hier vertretenen Schutzkonzept freilich nicht vom Vorliegen<br />

eines bestimmten medizinischen Zustan<strong>de</strong>s abhängt. Es<br />

hat zu prüfen, ob die Auslegung <strong>de</strong>r Patientenverfügung<br />

erkennbar fehlerhaft ist, ob die Beratung durch das Konsil<br />

stattgefun<strong>de</strong>n hat o<strong>de</strong>r ob bei <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>s aktuellen<br />

Willens alle relevanten Aspekte berücksichtigt und<br />

fehlerfrei gewichtet wor<strong>de</strong>n sind. In bestimmtem Umfang<br />

sind Beurteilungsspielräume <strong>de</strong>s Bevollmächtigen o<strong>de</strong>r<br />

Betreuers anzuerkennen, sofern und weil dieser die Patientin<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Patienten, seine Überzeugungen und<br />

Wertvorstellungen besser kennt als das Gericht. Es geht<br />

also nicht darum, dass das Vormundschaftsgericht seine<br />

Entscheidung an die Stelle <strong>de</strong>rjenigen <strong>de</strong>s Bevollmächtigten<br />

o<strong>de</strong>r Betreuers setzt. Eine funktionsgerecht ausgestaltete<br />

Kontrolle ist aber wegen <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung sinnvoll, die<br />

die Ablehnung medizinisch indizierter lebenserhalten<strong>de</strong>r<br />

Maßnahmen für die betroffene Patientin o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Patienten<br />

hat.<br />

Sofern Patientenverfügungen Maßnahmen <strong>de</strong>r Notfallmedizin<br />

betreffen, müssen Ausnahmen von <strong>de</strong>r Beteiligung<br />

eines Konsils und <strong>de</strong>r vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle<br />

geregelt wer<strong>de</strong>n.<br />

Son<strong>de</strong>rvotum<br />

von Michael Kauch, Ulrike Flach,<br />

Prof. Dr. Reinhard Merkel und Rolf Stöckel<br />

Wir stimmen wesentlichen Punkten <strong>de</strong>r Empfehlungen,<br />

die die Mehrheit <strong>de</strong>r Enquete-Kommission im 6. Kapitel<br />

dieses Zwischenberichts abgibt, nicht zu. Eine Einschränkung<br />

<strong>de</strong>r Verbindlichkeit von Patientenverfügungen, die<br />

eine lebenserhalten<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r -verlängern<strong>de</strong> Behandlung untersagen,<br />

auf diejenigen Fallkonstellationen, in <strong>de</strong>nen das<br />

Grundlei<strong>de</strong>n irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung<br />

nach ärztlicher Erkenntnis zum To<strong>de</strong> führen<br />

wird, ist wegen ihrer Unbestimmtheit und wegen ihrer<br />

Folgen für die betroffenen Patientinnen und Patienten<br />

nicht tragfähig. Patientenverfügungen weisen als Vorausverfügung<br />

zwar Unterschie<strong>de</strong> zu aktuellen Willensäußerungen<br />

auf und sind mit bestimmten, in Kapitel 2.3 <strong>de</strong>s<br />

Zwischenberichts näher erörterten Problemen verbun<strong>de</strong>n.<br />

Ihre Nicht-Anerkennung be<strong>de</strong>utet in <strong>de</strong>r Alternative<br />

aber Zwangsbehandlungen auf Entscheidung Dritter gegen<br />

<strong>de</strong>n erklärten Willen <strong>de</strong>s Patienten. Diese Alternative<br />

ist mit noch mehr ethischen Problemen verbun<strong>de</strong>n und<br />

daher abzulehnen.<br />

Übereinstimmend mit <strong>de</strong>m Son<strong>de</strong>rvotum <strong>de</strong>r Kommissionsmitglie<strong>de</strong>r<br />

Albers, Mayer, Reimann und Volkmer<br />

befürworten wir daher eine weite Reichweite von Patientenverfügungen.<br />

Allerdings lehnen wir Wirksamkeitsvoraussetzungen<br />

über die Schriftlichkeit hinaus ab, und wollen<br />

die Rolle <strong>de</strong>s Vormundschaftsgerichtes stärker<br />

einschränken.<br />

Wir geben <strong>de</strong>shalb die folgen<strong>de</strong>n Empfehlungen ab:<br />

1 Verbindlichkeit und Reichweite von<br />

Patientenverfügungen<br />

Wir empfehlen <strong>de</strong>m Deutschen Bun<strong>de</strong>stag, die Verbindlichkeit<br />

von Patientenverfügungen gesetzlich zu<br />

regeln. Dabei sollte eine Patientenverfügung ihre<br />

Adressaten (insbes. Bevollmächtigte, Betreuer o<strong>de</strong>r<br />

Ärzte) bin<strong>de</strong>n, soweit sie wirksam ist und soweit nicht<br />

konkrete Anhaltspunkte die Annahme tragen, dass<br />

die Patientin o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Patient sie aufgrund ihres/seines<br />

aktuellen Willens zum Behandlungszeitpunkt<br />

nicht mehr gelten lassen will o<strong>de</strong>r dass die Erklärung<br />

ihr/ihm nicht mehr zuzurechnen ist.<br />

Die Verbindlichkeit sollte bei Patientenverfügungen,<br />

die einen Behandlungsabbruch o<strong>de</strong>r -verzicht vorsehen,<br />

<strong>de</strong>r zum To<strong>de</strong> führen wür<strong>de</strong>, nicht davon abhängen,<br />

dass das Grundlei<strong>de</strong>n irreversibel ist und trotz<br />

medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis<br />

zum To<strong>de</strong> führen wird.<br />

Soweit Patientenverfügungen Maßnahmen <strong>de</strong>r Basisversorgung<br />

ausschließen, sollten sie unwirksam sein.<br />

Die Verbindlichkeit <strong>de</strong>r Patientenverfügung muss mit<br />

Rücksicht auf <strong>de</strong>n aktuell bestehen<strong>de</strong>n Willen und auf<br />

die normative Zurechenbarkeit <strong>de</strong>r früheren Verfügung<br />

eingeschränkt wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine danach gegebene Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung<br />

än<strong>de</strong>rt nichts daran, dass diese in einer<br />

späteren konkreten Entscheidungssituation interpretiert<br />

und umgesetzt wer<strong>de</strong>n muss. Dabei ist festzustellen, ob<br />

und inwiefern die konkrete aktuelle medizinische Situation<br />

mit einer <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Verfügung beschriebenen Situationen<br />

übereinstimmt und inwiefern die in <strong>de</strong>r Patientenverfügung<br />

gewünschte o<strong>de</strong>r unerwünschte Behandlung<br />

mit <strong>de</strong>r aktuell indizierten Behandlung übereinstimmt.<br />

Immer ist zu<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r aktuelle Wille zu ermitteln, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Verbindlichkeit <strong>de</strong>r früher getroffenen Verfügung entgegenstehen<br />

kann. Die Umsetzung muss geson<strong>de</strong>rten verfahrensrechtlichen<br />

Regelungen unterliegen.<br />

1.1 Hintergrund: Selbstbestimmungsrecht<br />

und Menschenwür<strong>de</strong><br />

Das Recht, für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r Entscheidungs- o<strong>de</strong>r Äußerungsunfähigkeit<br />

eine Patientenverfügung zu treffen, wird<br />

verfassungsrechtlich durch das Recht auf freie Entfaltung<br />

<strong>de</strong>r Persönlichkeit (Artikel 2 Abs. 1 GG) und durch das<br />

Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2<br />

S. 1 GG) gewährleistet. Das in bei<strong>de</strong>n Grundrechten enthaltene<br />

Selbstbestimmungsrecht wird durch die Garantie<br />

<strong>de</strong>r Unantastbarkeit <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> (Artikel 1<br />

Abs. 1 GG) verstärkt. Die Patientenverfügung genießt

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