Rundbrief 2/2012 - Evangelische Akademikerschaft in Deutschland
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Rundbrief 2/2012 - Evangelische Akademikerschaft in Deutschland
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<strong>Rundbrief</strong> 2/<strong>2012</strong><br />
<strong>Evangelische</strong> <strong>Akademikerschaft</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
Landeverband Rhe<strong>in</strong>land e.V.<br />
Seite 1<br />
Quelle: Rolf Handke / pixelio.de
EDITORIAL<br />
Liebe Mitglieder, liebe Freunde und Freund<strong>in</strong>nen des Landesverbandes Rhe<strong>in</strong>land,<br />
<strong>in</strong> dem Ihnen vorliegenden <strong>Rundbrief</strong> knüpfen wir <strong>in</strong>haltlich an das Thema „Was ist<br />
Leben?“ an, dem im letzten <strong>Rundbrief</strong> zwei Tagungsbeiträge gewidmet waren. Der Beitrag<br />
von Lars Wegner geht kritisch der Frage nach, <strong>in</strong>wieweit die Biologie als Ingenieurwissenschaft<br />
verstanden wird und damit das Leben dem Zugriff der technischen<br />
Manipulation unterworfen werden soll. E<strong>in</strong>mal mehr wird <strong>in</strong> diesem Beitrag die ethische<br />
Verantwortung von Kirche und Gesellschaft bei der Bewertung neuer naturwissenschaftlicher<br />
Entwicklungen betont.<br />
Auch der zweite Beitrag wendet sich dem Thema „Leben“ zu, das noch e<strong>in</strong>mal von der<br />
theologischen Seite her beleuchtet wird. Dass der Heilige Geist als unfassbarer Geist<br />
Gottes und als Gottes Schöpfungs- und Lebensgeist Leben <strong>in</strong> Fülle bewirkt, war <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em packenden Vortrag von Professor Kurt Erlemann aus Wuppertal im Melanchthon<br />
Geme<strong>in</strong>dezentrum <strong>in</strong> Essen vor e<strong>in</strong>er großen Zuhörerschaft entfaltet worden. Die<br />
wesentlichen Teile se<strong>in</strong>er Ausführungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesem Beitrag enthalten.<br />
In e<strong>in</strong>er ausführlichen Rezension stellt Dr. Wieland Zademach die unter dem Titel<br />
„Nachfolge-Mystik-Martyrium“ erschienenen Studien zu Bonhoeffer von Paul Gerhard<br />
Schoenborn vor. In diesem Buch werden Brücken von Bonhoeffers Kampf gegen die<br />
verbrecherische Willkür der Naziherrschaft zur Befreiungstheologie geschlagen, die sich<br />
über Bonhoeffer h<strong>in</strong>aus gegen e<strong>in</strong> destruktives Wirtschafts- und Gesellschaftssystem<br />
wendet.<br />
Mit e<strong>in</strong>em Bericht von der diesjährigen Delegiertenversammlung <strong>in</strong> Fulda möchten wir<br />
Sie am Leben unseres Bundesverbandes teilhaben lassen. Den Bericht des Arbeitskreises<br />
„Gerechtigkeit“ möchten wir Ihnen <strong>in</strong> besonderer Weise anempfehlen, widmet er sich<br />
doch dem unser aller Zukunft bestimmenden ethischen Grundthema e<strong>in</strong>er demokratisch<br />
verfassten und auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Gesellschaft. Das hierzu von diesem<br />
Arbeitskreis zur Lektüre empfohlene Manifest „Globales Wirtschaftsethos - Konsequenzen<br />
für die Weltwirtschaft“ von Hans Küng möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.<br />
Schließlich möchten wir Sie mit den Nachrichten von unseren Mitgliedern teilhaben<br />
lassen am Leben <strong>in</strong> unserem Landesverband.<br />
Lassen Sie sich anregen von den unter „Vorschau und Term<strong>in</strong>e“ aufgeführten Veranstaltungen.<br />
Sie s<strong>in</strong>d dazu herzlich e<strong>in</strong>geladen. Teilen Sie uns bitte mit, wenn Sie e<strong>in</strong>e Mitfahrgelegenheit<br />
benötigen, um an e<strong>in</strong>er Sie <strong>in</strong>teressierenden Veranstaltung teilnehmen zu<br />
können.<br />
Seite 2<br />
Im Namen der <strong>Rundbrief</strong>-Redaktion<br />
Rudolf Diersch
INHALT<br />
EDITORIAL S. 2<br />
INHALTSVERZEICHNIS S. 3<br />
BESINNUNG S. 4<br />
BEITRÄGE<br />
Leben aus dem Reagenzglas - Spielen wir jetzt Gott? S. 6<br />
Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament S. 9<br />
Paul Gerhard Schoenborn: Nachfolge - Mystik - Martyrium S. 15<br />
Studien zu Dietrich Bonhoeffer<br />
ÖKUMENE JETZT: e<strong>in</strong> Gott, e<strong>in</strong> Glaube, e<strong>in</strong>e Kirche - S. 19<br />
E<strong>in</strong> Aufruf an Kirchenleitungen und Geme<strong>in</strong>den<br />
AUS DEN HAUSKREISEN<br />
Hauskreis Heyde Bonn S. 22<br />
VON UNSEREN MITGLIEDERN<br />
Renate Hermanns zu ihrem 90. Geburtstag S. 23<br />
Neue Mitglieder S. 24<br />
Begegnungstreffen mit den neuen Mitgliedern S. 24<br />
Beitrag von Dr. Johanna Mert<strong>in</strong>s: Hildegard von B<strong>in</strong>gen S. 25<br />
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
Delegiertenversammlung des Bundesverbandes <strong>in</strong> Fulda S. 27<br />
DV-Bericht des EAiD-Arbeitskreises „Gerechtigkeit“ S. 29<br />
Manifest „Globales Wirtschaftsethos…“ S. 30<br />
VORSCHAU UND TERMINE<br />
E<strong>in</strong>ladung zum Deutschen Ev. Kirchentag 2013 Hamburg S. 36<br />
Vortragsabend: Die Kunst der Vergebung S. 37<br />
Ökumenische Veranstaltung mit dem Kath. Akademikerverband S. 38<br />
Tagung „Stadt der Zukunft - Stadt der Hoffnung“ S. 39<br />
<strong>in</strong> Bad Godesberg 22./23.03.2013<br />
VORSTAND UND BEIRAT S. 40<br />
Seite 3
BESINNUNG<br />
Jahreslosung <strong>2012</strong><br />
Jesus Christus spricht: „Me<strong>in</strong>e Kraft ist <strong>in</strong> den Schwachen<br />
mächtig!‘“ (1. Kor<strong>in</strong>ther 12,9)<br />
Gerson Monhof<br />
Liebe Leser<strong>in</strong>, lieber Leser,<br />
der Apostel Paulus ist uns bekannt von se<strong>in</strong>en Missionsreisen im römischen Reich, als<br />
das Christentum noch ganz jung war. Er zog von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, g<strong>in</strong>g<br />
<strong>in</strong> Synagogen oder auf Marktplätze, um das Evangelium, die Frohe Botschaft, anderen<br />
Menschen nahe zu br<strong>in</strong>gen.<br />
Es verwundert nicht, dass er immer wieder mit se<strong>in</strong>er Verkündigung auf Ablehnung<br />
stieß. Was mochte das nur für e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>? So fragten sich viele Menschen. Wer ist das,<br />
der von sich behauptet, dass er e<strong>in</strong>e andere, größere Erkenntnis als andere habe und<br />
ihm diese offenbart worden sei, der Letztgültiges zu kennen glaubt und vehement<br />
andere davon überzeugen will. Paulus stieß auf Widerwillen, darauf, dass er als Wichtigtuer,<br />
Besserwisser, auch als Verführer und sogar als Aufwiegler angesehen wurde.<br />
Dabei wurde er auch <strong>in</strong> körperliche Ause<strong>in</strong>andersetzungen verwickelt. Ja, mehrmals<br />
hat er wegen se<strong>in</strong>es Missionseifers unschuldig im Gefängnis gesessen. Dort wie auf<br />
se<strong>in</strong>en Reisen ohneh<strong>in</strong> lernte er Entbehrung kennen. Auch Hunger. Auch Durst. Er<br />
fühlte sich oft unterlegen. Er sah, wie ohnmächtig er oft war, dass er so oft den<br />
Kürzeren zog. Er musste physisch und psychisch für se<strong>in</strong>e Überzeugungen e<strong>in</strong>stehen.<br />
Über se<strong>in</strong>e „Schwachheit“ spricht er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em zweiten Brief an die Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong><br />
Kor<strong>in</strong>th.<br />
Se<strong>in</strong>e Verzweiflung war so groß, dass er immer wieder betete, mit Gott rang und Jesus<br />
anflehte. - Und dann kam die Antwort Jesu. Paulus berichtet: „Und er, Jesus, hat zu mir<br />
gesagt: ‚Lass dir an me<strong>in</strong>er Gnade genügen; denn me<strong>in</strong>e Kraft ist <strong>in</strong> den Schwachen<br />
mächtig!‘“ -<br />
Me<strong>in</strong>e Kraft ist <strong>in</strong> den Schwachen mächtig! Paulus kannte diese Kraft. Immer wieder<br />
hatte er erfahren, wie er gestärkt wurde. Immer wieder spürte er, wie er getragen wurde<br />
ausgerechnet <strong>in</strong> den Situationen, <strong>in</strong> denen es von außen betrachtet gerade nicht so zu<br />
se<strong>in</strong> schien.<br />
Da, wo e<strong>in</strong> Mensch mit se<strong>in</strong>em Glauben an se<strong>in</strong>e Grenzen stößt - das erfuhr Paulus<br />
immer wieder -, da löst Jesus Christus dieses Versprechen e<strong>in</strong>, dass er nicht alle<strong>in</strong>e<br />
da steht, dass er die Kraft f<strong>in</strong>det durchzuhalten, dass er gegen die Angriffe auf se<strong>in</strong>e<br />
Glaubens<strong>in</strong>tegrität, die Angriffe, die zur Anfechtung führen, besteht und dass es dann<br />
weitergeht. -<br />
Paulus gab die Antwort Jesu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Brief an Menschen <strong>in</strong> Kor<strong>in</strong>th weiter. Das<br />
waren Glaubensgeschwister, die nicht <strong>in</strong> der unmittelbaren Verkündigung standen.<br />
Das zeigt, dass es ihm auch um das „normale“ Geme<strong>in</strong>deglied g<strong>in</strong>g.<br />
Seite 4
BESINNUNG<br />
Und damit geht es <strong>in</strong> dieser Jahreslosung <strong>2012</strong> auch um uns. Es geht um jede und<br />
jeden, der an die Grenzfragen se<strong>in</strong>es Lebens gekommen ist, der <strong>in</strong> wie auch immer<br />
gearteten Glaubenszweifeln steckt, wie immer sie auch aufgekommen se<strong>in</strong> mögen, und<br />
ganz gleich, welche Intensität sie besitzen.<br />
Es geht um jede und jeden mit ihren und se<strong>in</strong>en Fragen nach S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> den wechselnden<br />
Lebenssituationen, an den Übergängen von Lebensabschnitten, genauso wie <strong>in</strong> manch<br />
langwieriger Lebensphase, die der Wandlung bedarf, sich aber nicht unmittelbar wandeln<br />
kann. Während verschiedener Lebensabschnitte. Während e<strong>in</strong>er Krankheit vielleicht.<br />
Im Krankenhaus! Auch auf dem Sterbebett!<br />
Es s<strong>in</strong>d die Grenzfragen nach dem Warum und Wieso und Was soll das denn alles,<br />
die Fragen, auf die bisher tragende Antworten schw<strong>in</strong>den oder zum<strong>in</strong>dest brüchig<br />
werden, die Fragen, auf die es ke<strong>in</strong>e Antwort zu geben sche<strong>in</strong>t. Vor die Fragen nach<br />
Leben und Tod gestellt, weichen leicht alle Antworten.<br />
In diesen Lebenssituationen erweist sich Christi Kraft <strong>in</strong> den Schwachen. -<br />
Wie wichtig ist es, die Kraft Christi zu erfahren, <strong>in</strong> dessen Namen wir e<strong>in</strong>st getauft<br />
wurden! Kraft <strong>in</strong> leeren Seelen, das ist se<strong>in</strong>e Kraft, Kraft selbst <strong>in</strong> Situationen, <strong>in</strong> der<br />
auch die Worte von Seelsorgern oft kaum noch etwas oder gar nichts mehr bewirken.<br />
Es gibt e<strong>in</strong> Gebet, das um sie bittet:<br />
In den Tiefen, die ke<strong>in</strong> Trost erreicht,<br />
lass doch de<strong>in</strong>e Treue mich erreichen.<br />
In den Nächten, wo der Glauben weicht,<br />
lass nicht de<strong>in</strong>e Gnade von mir weichen.<br />
Auf dem Weg, den ke<strong>in</strong>er mit mir geht,<br />
wenn zum Beten die Gedanken schw<strong>in</strong>den,<br />
wenn mich kalt die F<strong>in</strong>sternis umweht,<br />
wolltest du <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Not mich f<strong>in</strong>den.<br />
Wenn die Seele wie e<strong>in</strong> irres Licht<br />
flackert zwischen Werden und Vergehen,<br />
wenn es mir an Trost und Rat gebricht,<br />
wolltest du an me<strong>in</strong>er Seite stehen.<br />
Wenn ich de<strong>in</strong>e Hand nicht fassen kann,<br />
nimm die me<strong>in</strong>e du <strong>in</strong> de<strong>in</strong>e Hände,<br />
nimm dich me<strong>in</strong>er Seele gnädig an,<br />
führe mich zu e<strong>in</strong>em guten Ende. 1<br />
Kraft <strong>in</strong> ausgebrannten Seelen, das ist die Kraft Christi. Die Jahreslosung <strong>2012</strong> ist die<br />
Antwort auf die Bitten auch e<strong>in</strong>es solchen Gebetes. Jesus Christus verspricht, worum<br />
hier gebetet wird: „Me<strong>in</strong>e Kraft ist <strong>in</strong> den Schwachen mächtig!“<br />
1 Von Justus Delbrück, <strong>in</strong>: Wenn Worte fehlen, S. 56<br />
Seite 5
BEITRÄGE<br />
Leben aus dem Reagenzglas - Spielen wir jetzt Gott?<br />
Die ethischen, sozialen und theologischen Herausforderungen<br />
der synthetischen Biologie<br />
Dr. Lars H. Wegner, Heidelberg<br />
Als Kopernikus das ptolemäische Weltbild <strong>in</strong> Frage stellte und durch e<strong>in</strong>e physikalisch<br />
begründete Hirnmelsmechanik ersetzte, begann der sche<strong>in</strong>bar unaufhaltsame Siegeszug<br />
der Naturwissenschaften, der das ursprünglich religiös zentrierte Weltbild abgelöst<br />
und zu e<strong>in</strong>er „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) geführt hat. Nun rüttelt die naturwissenschaftliche<br />
Forschung auch am letzten großen Geheimnis: Dem Ursprung des<br />
Lebens und der Grenze, die belebte von unbelebter Materie trennt. Das Stichwort<br />
heißt „synthetische Biologie“ und me<strong>in</strong>t, verkürzt ausgedrückt, die gezielte Herstellung<br />
von Leben im Reagenzglas. Diese neue Diszipl<strong>in</strong> geht e<strong>in</strong>en Schritt über die Vorgehensweise<br />
der klassischen Gentechnologie h<strong>in</strong>aus: Es ist nicht mehr nur das Ziel,<br />
bereits vorhandene Erb<strong>in</strong>formationen neu zu komb<strong>in</strong>ieren und auf diese Art und<br />
Weise Merkmale von e<strong>in</strong>em Organismus auf e<strong>in</strong>en anderen zu übertragen (z.B. die<br />
Resistenz gegen e<strong>in</strong> Bakterium). In der synthetischen Biologie geht es darum, die chemische<br />
Masch<strong>in</strong>erie, die das Leben <strong>in</strong> Gang hält und die <strong>in</strong> großen Teilen entschlüsselt<br />
ist, nachzubauen und zu verändern, so dass Lebewesen mit ganz neuen Erb<strong>in</strong>formationen<br />
entstehen. Wie die Erfolge der Physik den Grundste<strong>in</strong> zum Aufschwung der<br />
Ingenieurwissenschaften legten, so könnte die Entschlüsselung der Grundlagen des<br />
Lebens (genetischer Code; Proteomik, also die Katalogisierung der Eiweißmoleküle<br />
e<strong>in</strong>er Zelle und ihrer Funktion) den Ausgangspunkt für e<strong>in</strong>e Ingenieurwissenschaft des<br />
Lebens bilden, die sich <strong>in</strong> den Konturen der „synthetischen Biologie“ unserer Tage<br />
bereits andeutet.<br />
Wie schon <strong>in</strong> früheren Fällen (Spaltung des Atoms), zeigt sich auch hier wieder die<br />
Ambivalenz des wissenschaftlichen Fortschritts für den Menschen, vielleicht aber<br />
<strong>in</strong> noch radikalerer Weise: Die gezielte Nutzung der Gesetzmäßigkeiten des Lebens<br />
eröffnet phantastische neue Möglichkeiten z.B. bei der Herstellung von Medikamenten,<br />
<strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> und <strong>in</strong> der Umwelttechnik. Enthusiasten wie der amerikanische<br />
Moralphilosoph Ronald Dwork<strong>in</strong> sehen schon den Menschen zum Gestalter se<strong>in</strong>es<br />
eigenen Schicksals werden (und brandmarken Kritiker, <strong>in</strong>sbesondere wenn sie aus e<strong>in</strong>er<br />
religiösen Haltung heraus argumentieren, als Reaktionäre). Den Vorteilen stehen aber<br />
auch erhebliche Risiken gegenüber, die sich - wie so oft am Anfang e<strong>in</strong>er technischen<br />
Entwicklung - nur schwer e<strong>in</strong>schätzen lassen. E<strong>in</strong>e der potentiellen Gefahren liegt <strong>in</strong><br />
der Entwicklung e<strong>in</strong>er neuen Generation von Biowaffen. Die geradezu revolutionären<br />
Fortschritte <strong>in</strong> der Analyse und Herstellung von Biomolekülen, der Bauste<strong>in</strong>e des<br />
Lebens, im letzten Jahrzehnt hat die Schwelle für den potentiellen Missbrauch s<strong>in</strong>ken<br />
lassen; mit vergleichsweise ger<strong>in</strong>gem Know how und technischem Aufwand (vergli-<br />
Seite 6
BEITRÄGE<br />
chen z.B. mit der Herstellung waffenfähigen Urans) können diese Komponenten zu<br />
neuen Organismen komb<strong>in</strong>iert werden, so dass schon vor der möglichen Entstehung<br />
e<strong>in</strong>er „Biohacker-Szene“ und von „Bioterrorismus am Küchentisch“ gewarnt wurde<br />
(z.B. im Rahmen des EU-Forschungsprogrammes „Synbiosafe“).<br />
Für den religiös orientierten Menschen ergeben sich allerd<strong>in</strong>gs noch ganz andere<br />
Fragestellungen: Maßt sich der Mensch hier nicht an, was alle<strong>in</strong> Gott zukommt? Ist<br />
das „E<strong>in</strong>hauchen des Odems“ nicht e<strong>in</strong> Privileg Gottes, e<strong>in</strong> magischer Vorgang? Oder,<br />
wem das zu fundamentalistisch kl<strong>in</strong>gt: Wird die Ehrfurcht vor dem Leben als e<strong>in</strong>e kulturelle<br />
Grundkonstante nicht relativiert, wenn das Leben selbst nicht mehr unverfügbar<br />
ist, sondern dem Zugriff der technischen Manipulation unterworfen wird? An dieser<br />
Stelle s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige e<strong>in</strong>schränkende und relativierende Worte angebracht.<br />
1. Das Herstellen von Lebensprozessen im Reagenzglas aus chemischen Bauste<strong>in</strong>en<br />
stellt ke<strong>in</strong>e „Neuschöpfung“ von Leben dar, sondern ist e<strong>in</strong> reproduktiver Akt, denn<br />
die Prozesse werden <strong>in</strong> Gang gesetzt durch den planenden Verstand des Experimentators<br />
- Leben <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er höchst entwickelten Form ist unmittelbar erforderlich, damit<br />
neue Lebensprozesse <strong>in</strong> Gang gesetzt werden können. Wir s<strong>in</strong>d weit davon entfernt zu<br />
verstehen, wie Leben ohne Zutun des Menschen entstanden se<strong>in</strong> könnte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong><br />
auf naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten beruhenden Prozess.<br />
2. Die synthetische Biologie bedient sich der „Blaupausen des Lebens“, die sie vorf<strong>in</strong>det,<br />
und wandelt sie allenfalls ab. Wird der Mensch dadurch tatsächlich zum Schöpfer,<br />
zum „homo creator“? Der Erlanger Theologe Peter Dabrock verne<strong>in</strong>t das und spricht<br />
stattdessen ironisch vom „homo plagiator“.<br />
3. Bisher ist die synthetische Biologie alle<strong>in</strong> auf Erschaffung primitiver Lebensformen<br />
gerichtet, wie sie z.B. Bakterien darstellen. Von e<strong>in</strong>em Golem (der legendären Menschen-ähnlichen<br />
Schöpfung aus Lehm des Rabbi Loew im Ghetto von Prag) oder gar<br />
e<strong>in</strong>em Frankenste<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d wir weit entfernt.<br />
Trotzdem: Die neuen Möglichkeiten der synthetischen Biologie fordern uns heraus<br />
<strong>in</strong> unserem ethischen, kulturellen und religiösen Selbstverständnis. Forderungen nach<br />
e<strong>in</strong>em „Verbot“ dieser Forschungsrichtung (oder auch nur nach e<strong>in</strong>em Moratorium,<br />
wie sie ETC fordert, e<strong>in</strong>e kanadische Nicht-Regierungsorganisation), s<strong>in</strong>d unrealistisch;<br />
dazu ist das Gebiet zu heterogen, und es fehlt e<strong>in</strong>e rechtliche Handhabe; letztlich<br />
wird man immer nur nach E<strong>in</strong>zelfall-Prüfungen entscheiden können, wo e<strong>in</strong>e<br />
ethische oder rechtliche Grenze überschritten wird. Aber e<strong>in</strong>e kritische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit der neuen Technologie ist auf jeden Fall geboten, wozu auch dieser Beitrag<br />
anregen soll. Hierzu e<strong>in</strong>ige Anmerkungen:<br />
Seite 7
BEITRÄGE<br />
1) Wir haben gute Gründe, an unserer religiös und kulturell begründeten Auffassung<br />
vom Leben festzuhalten, auch wenn die Aussicht auf se<strong>in</strong>e technische Reproduzierbarkeit<br />
Anderes nahe zu legen sche<strong>in</strong>t. Die christliche Position schließt e<strong>in</strong>e gesunde<br />
Skepsis gegenüber jedem technischen Machbarkeitswahn e<strong>in</strong> (ohne Technik und<br />
Naturwissenschaft an sich zu verteufeln).<br />
2) Wir benötigen e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Debatte um dieses Thema und die Festlegung<br />
auf Regeln, die e<strong>in</strong>deutig def<strong>in</strong>ieren, wo die Forschungsfreiheit im Umgang mit<br />
dem Leben endet. Bisher f<strong>in</strong>det die Forschung weitgehend ohne Beachtung der<br />
Öffentlichkeit statt. Der deutsche Ethikrat hat sich der Fragestellung angenommen<br />
und z.B. kürzlich e<strong>in</strong>e Informationsveranstaltung <strong>in</strong> Mannheim zu dem Thema<br />
durchgeführt, wobei das Risikopotential der synthetischen Biologie allerd<strong>in</strong>gs als ger<strong>in</strong>g<br />
e<strong>in</strong>gestuft wurde.<br />
3) Die Kirchen sollten Herausforderungen, die von neuen Entwicklungen <strong>in</strong> den<br />
Naturwissenschaften ausgehen, offensiver begegnen und z.B. <strong>in</strong> die Ausbildung des<br />
theologischen Nachwuchses e<strong>in</strong>fließen lassen. Auch <strong>in</strong> der Diskussion neuer ethischer<br />
Probleme, die <strong>in</strong> diesem Kontext entstehen, ist ihre Stimme mehr als bisher gefragt.<br />
Weiterführende Literatur:<br />
(1) Peter Dabrock, Jens Ried; „Leben machen - Gott spielen?“ Die Politische Me<strong>in</strong>ung<br />
487 (2010), 37- 41<br />
(2) „Die Ingenieure des Lebens“ Artikel <strong>in</strong> Publik-Forum 184 (2010), 24-28<br />
(3) Pressemitteilung 13/2011 des Deutschen Ethikrates, http://www.ethikrat.org/<br />
presse/pressemitteilungen/2011/pressemitteilung-13-2011<br />
Seite 8
BEITRÄGE<br />
„Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament“<br />
Prof. Dr. Kurt Erlemann, Wuppertal<br />
Der Heilige Geist gehört zum christlichen Glauben untrennbar h<strong>in</strong>zu. Gleichrangig<br />
steht er mit Gott-Vater und Jesus Christus im Bekenntnis unseres Glaubens. Wer oder<br />
was der Geist freilich ist, bleibt auch bei näherem H<strong>in</strong>sehen letztlich unfassbar. Es lässt<br />
sich nicht e<strong>in</strong>mal genau sagen, ob er eher e<strong>in</strong>e Person oder eher e<strong>in</strong>e unpersönliche<br />
Kraft ist. Das e<strong>in</strong>zige, was von ihm ausgesagt werden kann, s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Wirkungen. Die<br />
Bibel ist voller Zeugnisse über die Wirkungen des Heiligen Geistes. Die wesentlichen<br />
Auskünfte werden im Folgenden dargeboten.<br />
Die Grundfunktionen des Geistes nach der Bibel:<br />
1. Lebens- und Schöpfungskraft Gottes<br />
Blättert man durch die Bibel, begegnen manche Geistwirkungen immer wieder, andere<br />
dagegen nur vere<strong>in</strong>zelt. Zu den regelmäßig bezeugten Geistfunktionen gehört vor allen<br />
anderen der Geist Gottes als Leben spendende Kraft. Im ersten Schöpfungsbericht<br />
(1 Mos 1,2) schwebt er auf dem Wasser des noch ungeordneten Weltenchaos. Er ist<br />
gleichsam das Kontaktorgan zwischen Gott und den Urwassern, der Vorposten der<br />
göttlichen Präsenz <strong>in</strong> der Welt. Das frühe Judentum entwickelt daraus die Vorstellung<br />
vom Geist als „Schöpfungsmittler“. Das Neue Testament berichtet wenig von der<br />
Weltschöpfung, dafür umso mehr von der Neuschöpfung der Welt. Als ihr Startsignal<br />
gilt die Auferstehung Jesu am Ostermorgen. Sie ist nach dem Apostel Paulus e<strong>in</strong>e<br />
direkte Wirkung des heiligenden Geistes Gottes (Röm 1,3f.).<br />
2. Gotteserkenntnis<br />
E<strong>in</strong>e zweite Grundfunktion, die dem Heiligen Geist zugeschrieben wird, ist die<br />
Erkenntnis Gottes und der wahren Identität Jesu Christi. In 1 Kor 2,1-12 beschreibt<br />
Paulus den Geist als e<strong>in</strong>e Größe, die <strong>in</strong> Gott selbst beheimatet ist und dort für Gottes<br />
„Selbstbewusstse<strong>in</strong>“ sorgt (V.10). Wer diesen Geist Gottes empfängt, gelangt zur Gotteserkenntnis.<br />
Davon abgeleitet, bewirkt der Heilige Geist die Erkenntnis Jesu Christi<br />
als des Sohnes Gottes. Nur wer den „Geist der Wahrheit“ besitzt, kann das richtige<br />
Glaubensbekenntnis sprechen; wer Jesus nicht als den Mensch gewordenen Messias<br />
Israels bekennt, trägt <strong>in</strong> sich den „Geist des „Irrtums“ (1 Joh 4,1f.). Die Sorge der<br />
verfolgten Christen, im entscheidenden Moment ke<strong>in</strong>en Bekennermut zu haben, wird<br />
von Jesus unter H<strong>in</strong>weis auf den Geist zerstreut: „Wenn sie euch nun h<strong>in</strong>führen und<br />
überantworten werden, so sorgt euch nicht vorher, was ihr reden sollt; sondern was<br />
euch <strong>in</strong> jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn ihr seid´s nicht, die da reden, son-<br />
Seite 9
BEITRÄGE<br />
dern der heilige Geist“ (Mk 13,11). Die Rede von der Taufe mit dem Geist (Joh 1,33)<br />
me<strong>in</strong>t nicht e<strong>in</strong>e Taufhandlung, vergleichbar der Wassertaufe, sondern die Weitergabe<br />
der Heil schaffenden Erkenntnis durch die Predigt Jesu.<br />
3. Überw<strong>in</strong>dung des Bösen<br />
E<strong>in</strong>e dritte Grundfunktion bezieht sich auf das Böse <strong>in</strong> der Welt. Nach biblischer Auffassung<br />
macht sich das Böse <strong>in</strong> Gestalt von Dämonen bevorzugt <strong>in</strong> Menschen breit<br />
und verursacht dort jede Menge Unheil. Krankheiten und Unglück werden regelmäßig<br />
auf das Wirken böser Geister zurückgeführt. Der Mensch, so sche<strong>in</strong>t es, ist e<strong>in</strong> beliebter<br />
Tummelplatz des Bösen. Satan versucht den Menschen unter se<strong>in</strong>e Kontrolle zu<br />
bekommen und torpediert damit Gottes gute Schöpfung. Jesu Predigt vom Reich<br />
Gottes wird daher durch die Vertreibung der Dämonen flankiert. Ihnen setzt Jesus den<br />
Heiligen Geist Gottes entgegen; der erweist sich als die stärkere Kraft. „Wenn ich aber<br />
die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch<br />
gekommen“ (Mt 12,28). Wo der Heilige Geist e<strong>in</strong>zieht, haben die Dämonen ke<strong>in</strong>en<br />
Raum mehr. So wird das Böse Stück für Stück zurückgedrängt. Wer den Heiligen Geist<br />
empfängt, wird gegen das Böse immun - er ist „geheiligt“, dem Zugriff des Bösen<br />
entzogen. Das zeigt sich zu allererst an Jesus selbst, der direkt nach se<strong>in</strong>er Taufe und<br />
mithilfe des Geistes Satan <strong>in</strong> der Wüste Paroli bietet und sich als nicht korrumpierbar<br />
erweist (Mt 4,1-11). Auch die Rede von der „Versiegelung“ mit dem Geist (Eph 1,13f.)<br />
weist auf die Immunität gegen das Böse.<br />
4. Fürsprecher der Glaubenden und Anwalt der Wahrheit<br />
E<strong>in</strong>e weitere Funktion, die dem Geist zugesprochen wird, ist die des irdischen<br />
Fürsprechers der Glaubenden vor Gott (Röm 8,26f.). Er ergänzt damit das Wirken<br />
des zur Rechten Gottes erhöhten Anwalts Jesus Christus (Röm 8,34; 1 Joh 2,1f.; Hebr<br />
7,25). Wo sie im Doppelpack auftreten, haben die Ankläger vor Gottes Thron ke<strong>in</strong>e<br />
Chance. Der im Johannesevangelium „Paraklet“ genannte Geist bewirkt, dass die noch<br />
unbekehrte Welt zur Wahrheit f<strong>in</strong>det (Joh 16,5-11). Als Anwalt vertritt er demnach<br />
nicht nur die Glaubenden, sondern bezeugt auch die Wahrheit über Jesus Christus.<br />
5. Inspiration und Charisma<br />
Jesus von Nazareth ist das Paradebeispiel für e<strong>in</strong>e weitere Grundfunktion: Der Geist<br />
schenkt Inspiration und Charisma sowie Kraft und Weisheit für die von Gott gestellten<br />
Aufgaben. Das konnten schon Richter, Könige und Propheten des Alten Testaments<br />
erfahren. Aber <strong>in</strong> Jesus wirkt die Kraft des Geistes Gottes vollkommen. Jesus trägt<br />
gleichsam den Heiligen Geist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Genen; er ist von ihm seit se<strong>in</strong>er Zeugung<br />
ausgefüllt. Die e<strong>in</strong>zelnen Geistwirkungen lassen sich an den Berichten der Evangelien<br />
ablesen: Neben der Überw<strong>in</strong>dung Satans demonstrieren vor allem die Wunder Jesu<br />
Geistbesitz. In ihnen überbietet er die Propheten Israels und vermittelt göttliches<br />
Seite 10
BEITRÄGE<br />
Leben (so etwa die Rede vom „Brot des Lebens“, das dauerhaft sättigt, Joh 6,35). Auch<br />
die Art und Weise, wie Jesus auf die Menschen zugeht, bezeugt die Kraft des Geistes:<br />
Die Jünger folgen ihm spontan nach - restlos überzeugt von se<strong>in</strong>em Charisma. Die<br />
Kranken dürfen auf ihn hoffen, da er nicht aus Sorge um se<strong>in</strong>e Heiligkeit Abstand<br />
von ihnen hält - im Gegenteil: Er geht auf sie zu und überträgt se<strong>in</strong>e Heiligkeit auf<br />
sie, so dass sie gesund werden. Jesu Gegner müssen sich e<strong>in</strong> ums andere Mal von ihm<br />
geschlagen geben; so klar und authentisch hält ihnen Jesus den Spiegel vor. An Pf<strong>in</strong>gsten<br />
erhalten alle Glaubenden den Geist Gottes (Apg 2). Die Wirkungen s<strong>in</strong>d bekannt:<br />
Die Apostel können <strong>in</strong> Fremdsprachen sprechen und so aller Welt das Evangelium<br />
verkündigen. Außerdem haben sie derartige rhetorische Fähigkeiten, dass sie die ausgebildeten<br />
Rhetorik-Profis <strong>in</strong> den Schatten stellen. Das müssen selbst ihre Gegner anerkennen<br />
(Apg 4,13).<br />
6. Manager der Geme<strong>in</strong>den und der Weltmission<br />
Weiterh<strong>in</strong> ist der Heilige Geist das Band, das die christlichen Geme<strong>in</strong>den zusammenhält.<br />
So stellt es der Apostel Paulus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en „Charismenkatalogen“ dar (Röm 12; 1 Kor<br />
12-14). Der Geist sorgt für Zusammenhalt <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>den, für ihren Aufbau und<br />
für e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende Außenwerbung (1 Kor 6; Gal 3,28 u.a.). Wo er herrscht, s<strong>in</strong>d<br />
die traditionellen Schranken zwischen Juden und Nichtjuden e<strong>in</strong>gerissen. Die Apostel<br />
lenkt er auf ihren Missionsreisen und sorgt so für den Erfolg des Unternehmens Weltmission<br />
(Apg 8,29; 10,19.44; 16,6f. usw.).<br />
7. Befähigung zu guten Werken<br />
Auch <strong>in</strong> der Ethik spielt der Geist, so Paulus, e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle: Wo er <strong>in</strong> die<br />
Herzen der Menschen e<strong>in</strong>zieht, werden diese fähig, „Früchte des Geistes“ zu erbr<strong>in</strong>gen<br />
(Gal 5,22f.; Röm 8,2-13). Die Glaubenden tragen mit dem Geist den Willen Gottes<br />
<strong>in</strong> ihren Herzen und können ihn gleichsam „von <strong>in</strong>nen heraus“ erfüllen. Damit erfüllt<br />
sich die prophetische Verheißung des neuen Bundes (Ez 36,26; vgl. Jer 31,31-34).<br />
8. Das „Pfand <strong>in</strong> der Hand“ der christlichen Hoffnung<br />
Schließlich und endlich sorgt der Heilige Geist dafür, dass die Christ<strong>in</strong>nen und Christen<br />
ihre Hoffnung nicht verlieren. Er ist für Paulus, bildhaft gesprochen, der „Vorschuss“<br />
bzw. das „Pfand <strong>in</strong> der Hand“ dafür, dass Gott die noch ausstehende Verheißung<br />
e<strong>in</strong>lösen wird (2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,1,13f.).<br />
Zwischenfazit:<br />
Der Heilige Geist Gottes bewirkt Leben <strong>in</strong> Fülle. Ganz gleich, ob er für Erkenntnis<br />
sorgt, den Zusammenhalt der Geme<strong>in</strong>de garantiert, zu guten Werken befähigt oder die<br />
menschliche Hoffnung beflügelt - am Ende steht das Leben, so wie Gott es für uns<br />
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BEITRÄGE<br />
Menschen vorsieht. Der Heilige Geist ist die Leben schaffende und erhaltende Kraft<br />
Gottes - das ist das e<strong>in</strong>hellige Zeugnis der Bibel.<br />
Exkurs: Ist der Geist Gottes e<strong>in</strong>e Person?<br />
Die Bibel zeichnet den Geist als nicht-personhafte Kraft (vgl. Lk 4,36; 6,19; Apg 2,22;<br />
10,38), aber auch als Person. Am ehesten ist vom Geist als Person da zu sprechen,<br />
wo er Gott und Menschen gegenüber eigenständig handelt - als Interessenvertreter<br />
des Menschen <strong>in</strong> Röm 8,23-27 oder als Anwalt und Fürsprecher („Paraklet“) <strong>in</strong> Joh<br />
14-16. Im Missionsbefehl Mt 28,19 ist von se<strong>in</strong>em Namen die Rede, was ihn ebenfalls<br />
als Person auszeichnet. Ob man nun den Geist als Kraft oder als Person ansieht,<br />
hängt entscheidend vom Personbegriff ab, den man zugrunde legt. Me<strong>in</strong>es Erachtens<br />
kommt die Kategorie der „Person“ beim Heiligen Geist und damit letztlich bei Gott<br />
selbst, an se<strong>in</strong>e Grenze. Der Begriff ist menschliche Rede von Gott, nichts mehr und<br />
nichts weniger. Es entspricht der unzulänglichen menschlichen Erkenntnis, dass es<br />
ke<strong>in</strong>en besseren Begriff gibt, um Gott als lebendiges Gegenüber des Menschen zu<br />
bezeichnen.<br />
Die wichtigsten Geist-Theologen des Neuen Testaments im Vergleich<br />
1. Lukas: Weltweite Werbung für Gott<br />
Dem Lukasevangelium und der Apostelgeschichte zufolge br<strong>in</strong>gt der Heilige Geist<br />
die bestehenden weltlichen Verhältnisse nachhaltig <strong>in</strong> Bewegung. Er wirkt durch Charismatiker<br />
wie Jesus und die Apostel, die provozierend und überzeugend predigen<br />
können. Er führt Jesu Kampf um die Herzen der Menschen weiter, sorgt für Glauben<br />
und verteilt vielfältige Geistesgaben. Er stattet Jesus und die Apostel mit Wunderkraft<br />
aus und organisiert die weltweite Ausbreitung des Evangeliums. Se<strong>in</strong>e Mittel s<strong>in</strong>d<br />
Sanftmut und Freiwilligkeit - zum Glauben gezwungen wird niemand. Auf diese Art<br />
und Weise führt er Menschen aller sozialen Schichten, Religionen und Völker zusammen.<br />
2. Johannes: E<strong>in</strong>heit mit Christus, E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de<br />
Das Johannesevangelium versteht den Heiligen Geist als Nachfolger Jesu <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Lehre, <strong>in</strong> der Betreuung der Glaubenden und <strong>in</strong> der Überzeugung der noch ungläubigen<br />
Welt. Der Paraklet er<strong>in</strong>nert an die Lehre Jesu und setzt sie fort. Er sorgt für die bleibende<br />
Verb<strong>in</strong>dung zu Jesus und zu se<strong>in</strong>em Leben schaffenden Wort. Er führt die<br />
„Taufe mit dem Heiligen Geist“ nach Ostern weiter. S<strong>in</strong>n und Zweck der Sendung des<br />
Geistes ist die bleibende, Leben schaffende Verb<strong>in</strong>dung zu Jesus Christus und die E<strong>in</strong>heit<br />
der Geme<strong>in</strong>de (Joh 17,21). Wer an das Wort Jesu oder des Parakleten glaubt, hat<br />
bereits das ewige Leben. Die wichtigsten Maßnahmen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang s<strong>in</strong>d<br />
die gegenseitige Sündenvergebung (Joh 20,22f.) und die E<strong>in</strong>haltung des Liebesgebots<br />
Seite 12
BERICHTE<br />
(Joh 13,34f.; 15,9-17). Damit trägt der Paraklet wirksam zur Verherrlichung Gottes und<br />
se<strong>in</strong>es Gesandten bei (Joh 16,14; 17,20-26).<br />
3. Paulus: In der Spur Gottes bleiben<br />
Die Rede vom Geist als „Vorschuss“ (2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,13f.) bzw. als „Erstl<strong>in</strong>gsgabe“<br />
(Röm 8,23) beschreibt den Kern der Geistkonzeption des Apostels Paulus. Für<br />
ihn ist der Geist die Brücke zwischen der schwierigen Gegenwart und der herrlichen<br />
Zukunft Gottes. Die christliche Hoffnung kann sich auf den Geist als festen Ankerpunkt<br />
stützen. Die Wirkungen des Geistes verbürgen die noch ausstehende Erlösung<br />
der Welt. Zu ihnen gehört zunächst die entscheidende Gotteserkenntnis und die Wahrheit<br />
über Jesus Christus. Aber auch die vielfältigen Geistesgaben (Charismen), die der<br />
Auferbauung der christlichen Geme<strong>in</strong>schaft dienen, sowie der Glaube an Gott, der<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em atemberaubenden Rollentausch die Menschen zu se<strong>in</strong>er Liebe und Gerechtigkeit<br />
führt, gehören zu se<strong>in</strong>en Wirkungen. Kurz gesagt: Der Heilige Geist hilft den<br />
Glaubenden, die Durststrecke bis zur Erlösung durchzustehen. Er ist das „Pfand <strong>in</strong><br />
der Hand“, das sie <strong>in</strong> der Spur der Hoffnung hält, auf der ihnen Gott selbst entgegenkommt.<br />
Seite 13
BERICHTE<br />
Ergebnis:<br />
Der unfassbare Heilige Geist Gottes wird <strong>in</strong> der Bibel fassbar als Gottes Schöpfungs-<br />
und Lebensgeist sowie als Brücke zurück zu Jesus und h<strong>in</strong> zum erhöhten Christus. Er<br />
wird weiterh<strong>in</strong> fassbar als Garant der Wahrheit und als Überw<strong>in</strong>der des Bösen sowie<br />
als Signal der Liebe und der Geduld Gottes. Schließlich wird der Heilige Geist fassbar<br />
als Befreier zu neuem Leben <strong>in</strong> Fülle und als Medium der (Gottes-)Erkenntnis. Damit<br />
ist der Heilige Geist das Symbol für den neuen Weg Gottes mit den Menschen - für<br />
den Weg des Verzichts, der H<strong>in</strong>gabe, der Liebe, der Sanftmut, der Geduld, der Vergebung<br />
und der Versöhnung. Mit se<strong>in</strong>em Geist gibt Gott se<strong>in</strong> Innerstes <strong>in</strong> die Obhut<br />
der Menschen, macht sich transparent und legt sich unwiderruflich auf se<strong>in</strong>e Liebe zu<br />
und se<strong>in</strong>e Geduld mit den Menschen fest. Wo Menschen sich auf diesen Weg Gottes<br />
e<strong>in</strong>lassen, wird die Welt von Gottes Geist erfüllt.<br />
Impressum<br />
Der <strong>Rundbrief</strong> wird herausgegeben von der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Akademikerschaft</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Deutschland</strong>, Landesverband Rhe<strong>in</strong>land e.V., Virchowstr. 51, 45147 Essen<br />
Redaktion: Dorothee Teschke, Dr. Rudolf Diersch, Dr. Kar<strong>in</strong> Kauffmann,<br />
Dietrich Kauffmann, Dr. Wieland Zademach<br />
Layout & Satz: Dorothea Diersch<br />
Druck: LEO Druck, Stockach<br />
Bankverb<strong>in</strong>dung:<br />
KD-Bank eG Duisburg BLZ 350 601 90 Konto-Nr.: 1010 5000 16<br />
Internet: www.evangelische-akademiker.de<br />
Seite 14
BERICHTE<br />
Paul Gerhard Schoenborn: Nachfolge - Mystik - Martyrium<br />
Studien zu Dietrich Bonhoeffer<br />
Rezension von Dr. Wieland Zademach<br />
Mit diesem Sammelband legt P. G. Schoenborn e<strong>in</strong>en Querschnitt se<strong>in</strong>er jahrzehntelangen<br />
Beschäftigung mit Dietrich Bonhoeffer und dessen Umfeld vor. Mit Fug und<br />
Recht darf man sagen, dass es sich hier um die systematisch verdichtete Summe e<strong>in</strong>er<br />
theologischen Existenz handelt, die sich stets <strong>in</strong> der lebendigen Tradition der Bekennenden<br />
Kirche wusste, um diese für die erlebte Gegenwart zu aktualisieren.<br />
Diese Texte aus drei Jahrzehnten widerspiegeln <strong>in</strong> zeitlicher Reihenfolge Schoenborns<br />
jeweilige E<strong>in</strong>sichten <strong>in</strong> wechselnden Kontexten. Dabei handelt es sich allerd<strong>in</strong>gs nicht<br />
um e<strong>in</strong>e Abfolge von Kapiteln, die aufe<strong>in</strong>ander aufbauen, sondern um e<strong>in</strong>e Dokumentation<br />
von <strong>in</strong> sich abgerundeten Studien, die für sich sprechen und so auch wahrgenommen<br />
werden sollten. Zwei Schwerpunkte bilden das Herzstück dieser Sammlung<br />
von Aufsätzen und Vorträgen bei e<strong>in</strong>er Fülle von Anlässen und Gelegenheiten theologischer<br />
Bildungsarbeit. Das e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d die Beziehungen zwischen Dietrich Bonhoeffer<br />
und der Befreiungstheologie <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>amerika; und das andere ist Bonhoeffers Widerstand<br />
gegen die Judenverfolgung im Dritten Reich. Entsprechend wird hier auch das<br />
Hauptaugenmerk der folgenden Ausführungen liegen.<br />
Was an Schoenborns Beschäftigung mit der Befreiungstheologie von Anfang an fasz<strong>in</strong>iert,<br />
das ist die außerordentlich profunde Quellenkenntnis, über die der Autor<br />
offensichtlich verfügt. Spannend zu verfolgen, wie geradezu akribisch Schoenborn<br />
die Bezüge der prom<strong>in</strong>enten Vertreter der Theologie der Befreiung zu Dietrich Bonhoeffer<br />
literarisch überprüft und so Verb<strong>in</strong>dungen belegt, die bisher so nicht bekannt<br />
waren, wenn auch die <strong>in</strong>haltliche Nähe immer schon deutlich war. Man spürt, dass<br />
hier das Herz des Autors schlägt, etwa, wenn er den brasilianischen Dom<strong>in</strong>ikaner<br />
Frei Betto, dessen Kollegen Julio de Santa Ana, Nelio Schneider und Arteno Spellmeier<br />
und andere diesbezügliche Vertreter aus dem freikirchlichen Bereich heranzieht;<br />
und <strong>in</strong>sbesondere, wenn er die Anklänge an Bonhoeffer bei Gustavo Gutierrez, Jon<br />
Sobr<strong>in</strong>o und Franz H<strong>in</strong>kelammert analysiert und zu systematischen Überlegungen<br />
verknüpft.<br />
Bonhoeffer wie diesen Befreiungstheologen ist geme<strong>in</strong>sam, dass der Lebensakt der<br />
gehorsamen Nachfolge Jesu - actus directus/acto primero - dem theologischen Reflexionsakt<br />
- actus reflexus/acto segundo - vorausgeht: sowohl im Leben und Glauben<br />
wie auch <strong>in</strong> den verschiedenen Schichten e<strong>in</strong>er ausformulierten Theologie. Es geht<br />
dabei um Nachfolge aus der teuren Gnade, die Gott teuer gewesen ist, weil sie ihn<br />
das Leben se<strong>in</strong>es Sohnes gekostet hat. Im Gegensatz zur billigen Gnade als Lehre, als<br />
Pr<strong>in</strong>zip, als System - die im Grunde Gnade mit uns selbst bedeutet - me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Leben<br />
aus der teuren Gnade die Nachfolge <strong>in</strong> der Kraft des auferweckten Gekreuzigten, die<br />
Seite 15
BERICHTE<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>führt <strong>in</strong> den politischen Kampf und dabei dennoch e<strong>in</strong>e mystische Dimension<br />
behält: „Es ist die Gestalt Christi selbst, die sich <strong>in</strong> uns zur Ersche<strong>in</strong>ung br<strong>in</strong>gen will...,<br />
die ganze Gestalt des Menschgewordenen, des Gekreuzigten und des Verklärten, der<br />
wir gleich werden sollen“ (S.37). Für Bonhoeffer wie für die Akteure der Befreiungstheologie<br />
gilt: „Das Leben und Sterben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht<br />
zum Ende gekommen. Mysterium der Märtyrer: In ihnen opfert Gott selbst sich auf“<br />
(S.52).<br />
Für beide ist die Wirklichkeit so bedrängend, dass abstrakte und unwandelbare theologische<br />
Lehrsätze ihr nicht mehr gerecht werden. Beide beziehen sich <strong>in</strong> ähnlicher<br />
Weise auf das Studium der Bibel, die ja auch im Lichte der alltäglichen Ereignisse und<br />
ihrer Bedeutung über Gott nachdenkt. Wie die Befreiungstheologen ist Bonhoeffer als<br />
Mensch der Kirche zugleich e<strong>in</strong> Mensch der Bibel, der se<strong>in</strong>e Realität verstehen will mit<br />
Hilfe biblischer Vorstellungen und Begriffe. Allerd<strong>in</strong>gs gehen die Befreiungstheologen<br />
über Bonhoeffer h<strong>in</strong>aus, <strong>in</strong>dem sie se<strong>in</strong>en Ansatz weiterführen. Bonhoeffer kämpft<br />
gegen die verbrecherische Willkür der nationalsozialistischen Machthaber. In se<strong>in</strong>er<br />
Perspektive lag noch nicht der Widerstand gegen das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem,<br />
aus dem dieses Regime hervorgegangen ist. Die Befreiungstheologie h<strong>in</strong>gegen<br />
sucht explizit die Konfrontation mit der Destruktivität des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems,<br />
das die Menschen ausbeutet mit der Willkürherrschaft der „Nationalen<br />
Sicherheit“. Der befreiende Christus - „Jesuchristo liberador“ - beschränkt<br />
sich nicht auf <strong>in</strong>nerkirchliche Religionskritik, sondern deckt menschenverachtende<br />
Ideologien und lebenszerstörende Machtverhältnisse auf. Die Befreiungstheologie entlarvt<br />
„Götzen des Todes“ <strong>in</strong> der ganzen Wirklichkeit e<strong>in</strong>schließlich ihrer soziokulturellen,<br />
ökonomischen und machtpolitischen Dimensionen. Das schmälert nicht die<br />
Übere<strong>in</strong>stimmungen. Für Oscar A. Romero wie für Dietrich Bonhoeffer - „Pastores-profetas<br />
de Jesuchristo“ - gilt: Beide wurden ermordet, weil sie sich wegen ihrer<br />
Option für die Anderen, die Verfolgten, die unschuldig Ermordeten <strong>in</strong> die Politik e<strong>in</strong>gemischt<br />
hatten. „Sie haben ihr prophetisches Zeugnis mit dem eigenen Blut unterschrieben.<br />
Sie s<strong>in</strong>d Märtyrer“ (S.125).<br />
Bonhoeffers Widerstand gegen die Judenverfolgung im Dritten Reich bildet den zweiten<br />
großen Schwerpunkt dieses Sammelbandes. Vor Kriegsausbruch hätte Bonhoeffer<br />
sich durch e<strong>in</strong>en Lehrauftrag <strong>in</strong> den USA <strong>in</strong> Sicherheit br<strong>in</strong>gen können, aber er entschloss<br />
sich, nach <strong>Deutschland</strong> zurückzukehren und begründete dies <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an<br />
Re<strong>in</strong>hold Niebuhr im Juni 1939: „Ich werde ke<strong>in</strong> Recht haben, an der Wiederherstellung<br />
des christlichen Lebens nach dem Kriege <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> mitzuwirken, wenn ich<br />
nicht die Prüfungen dieser Zeit mit me<strong>in</strong>em Volk teile...“ (S.43).<br />
Dass dieses solidarische Teilen dann schließlich <strong>in</strong> die Teilnahme an der Verschwörung<br />
gegen Hitler mündete, dafür waren der Hauptanlass die deutschen Verbrechen an den<br />
Juden.<br />
Seite 16
BERICHTE<br />
Speziell während se<strong>in</strong>er Tätigkeit am Predigersem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> F<strong>in</strong>kenwalde beschäftigte er<br />
sich im Rahmen se<strong>in</strong>er alttestamentlichen Studien mit dem Verhältnis der Christen<br />
zu Israel und kam dabei zu E<strong>in</strong>sichten, die dann später zukunftsweisend werden sollten,<br />
se<strong>in</strong>erzeit jedoch auf heftige Ablehnung stießen. So müsse die Kirche endlich<br />
zu der Erkenntnis f<strong>in</strong>den, „dass ke<strong>in</strong> Staat der Welt mit diesem rätselhaften Volk<br />
fertig werden kann, weil Gott noch nicht mit ihm fertig sei. Jeder neue Versuch, die<br />
`Judenfrage`zu lösen, scheitert an der heilsgeschichtlichen Bedeutung dieses Volkes“<br />
(S.140). Für Bonhoeffer ist hier der „status confessionis“ gegeben. Er erwartet,<br />
dass se<strong>in</strong>e Kirche ihr Wächteramt gegenüber dem NS-Staat wahrnimmt und ihrem<br />
Bekenntnis treu bleibt, <strong>in</strong>dem sie sich <strong>in</strong> politische Zusammenhänge e<strong>in</strong>mischt. Nicht<br />
nur mit den Judenchristen oder gar nur mit den eigenen Mitgliedern erwartet Bonhoeffer<br />
Solidarität, sondern mit den verfolgten Juden allgeme<strong>in</strong>. Dabei müsse die Kirche<br />
durch Widerstandshandlungen „dem Rad <strong>in</strong> die Speichen fallen“ und nicht nur „die<br />
Opfer unter dem Rad verb<strong>in</strong>den“. Der Entschluss dazu müsse auf e<strong>in</strong>em „evangelischen<br />
Konzil“ gefasst werden.<br />
Bonhoeffer war e<strong>in</strong>er der ersten, die erkannten, dass es hier um das Bekenntnis<br />
zur bleibenden Erwählung Israels durch Gott und zugleich um den Kampf für die<br />
Menschenwürde und das Leben aller Juden g<strong>in</strong>g. Er missbilligte daher, dass die Bekennende<br />
Kirche sich nur um die Existenz ihrer eigenen Kirche sorgte, anstatt für die<br />
bedrohten Juden und andere vom deutschen Staat rechtlos Gemachte und Verfolgte<br />
e<strong>in</strong>zutreten. Als Jugendsekretär des „Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen“<br />
hatte er gute Möglichkeiten, <strong>in</strong> der Ökumene zu wirken. So <strong>in</strong>formierte Bonhoeffer auf<br />
der Tagung des Weltbundes im September 1933 <strong>in</strong> Sofia <strong>in</strong> H<strong>in</strong>tergrundgesprächen<br />
über die Situation der Juden <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> allgeme<strong>in</strong> und über den Kampf gegen<br />
den Arierparagraphen <strong>in</strong> der Kirche. Das Ergebnis war e<strong>in</strong>e Resolution gegen Rassismus<br />
und Antisemitismus, besonders im H<strong>in</strong>blick auf das Deutsche Reich: „Im Gefühl<br />
der Bruderschaft s<strong>in</strong>d wir...tief berührt durch die Behandlung, die Menschen jüdischer<br />
Abstammung und Verb<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> erlitten haben... Wir protestieren gegen<br />
den Beschluss der preußischen Generalsynode und anderer Synoden, die den Arierparagraphen<br />
des Staates auf die Kirche übertragen...Wir halten das für e<strong>in</strong>e Verleugnung<br />
der Lehre und des Evangeliums von Jesus Christus“ (S.152).<br />
Theologisch machte Bonhoeffer Ernst mit der Erkenntnis, dass „das Heil von den<br />
Juden kommt: Juda ist die Wurzel, Jesus die Frucht, beide untrennbar e<strong>in</strong>s, auch <strong>in</strong><br />
der Ewigkeit. Den Juden gehört das Heil auch wieder zuletzt. Aus Verborgenheit und<br />
Niedrigkeit ruft Gott se<strong>in</strong>en Messias“ (S.159). Und <strong>in</strong>karnationstheologisch ergibt sich<br />
für Bonhoeffer die absolut verb<strong>in</strong>dliche Konsequenz: „Um der Menschwerdung des<br />
Sohnes Gottes willen ist der Gottesdienst vom Bruderdienst - das heißt das Evangelium<br />
von der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit - nicht mehr zu lösen. Die Akzeptanz<br />
der Juden als Geschwister dürfe sich nicht auf die Zulassung zu den Ämtern<br />
Seite 17
BERICHTE<br />
und Diensten beschränken, sondern müsse auf das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche<br />
Leben ausgedehnt werden“ (S.161). So rufen den Christen nicht erst die<br />
Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um<br />
derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden: „E<strong>in</strong>e Verstoßung der<br />
Juden aus dem Abendland muss die Verstoßung Christi nach sich ziehen, denn Jesus<br />
war Jude“ (S.170).<br />
In se<strong>in</strong>er Ethik formuliert Bonhoeffer für die Zeit nach Kriegsende vorausschauend<br />
e<strong>in</strong> Schuldbekenntnis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schärfe, zu der sich die Verantwortlichen dann später<br />
bei weitem nicht durchr<strong>in</strong>gen konnten und das deshalb bis heute als Kriterium für die<br />
Bußfertigkeit der Institution Kirche gelten kann: „Die Kirche bekennt, die willkürliche<br />
Anwendung brutaler Gewalt, das leibliche und seelische Leiden unzähliger Unschuldiger,<br />
Unterdrückung, Hass, Mord gesehen zu haben, ohne ihre Stimme für sie zu<br />
erheben, ohne Wege gefunden zu haben, ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie ist schuldig geworden<br />
am Leben der schwächsten und wehrlosesten Brüder Jesu Christi... Die Kirche<br />
bekennt, schuldig geworden zu se<strong>in</strong> an den Unzähligen, deren Leben durch Verleumdung,<br />
Denunzieren, Ehrabschneidung vernichtet worden ist...Die Kirche bekennt,<br />
begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Friede, Besitz, Ehre, auf die sie ke<strong>in</strong>en<br />
Anspruch hatte...“ (S.171).<br />
Im S<strong>in</strong>ne dieser Bußfertigkeit möchte Bonhoeffer mitarbeiten am Neuaufbau e<strong>in</strong>er<br />
Kirche, die ke<strong>in</strong>e Machtansprüche mehr an die Gesellschaft stellt und Gott „mitten im<br />
Leben jenseitig“ erfährt. Im Glauben Israels, das Gottes Weisungen (die Tora) tatkräftig<br />
verwirklicht und von den kritischen Propheten immer wieder dorth<strong>in</strong> zurückgerufen<br />
wurde, sieht er das eher verwirklicht als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bürgerlichen christlichen Religiosität,<br />
die sich mit e<strong>in</strong>er billigen Gnadenbotschaft den Blick auf die Erfordernisse der Realität<br />
vernebelt. Hätte Bonhoeffer überlebt - wie wäre es ihm wohl ergangen <strong>in</strong> der Restauration<br />
der Nachkriegszeit? Stattdessen musste er hilflos miterleben, wie das europäische<br />
Judentum den kollektiven Weg des leidenden Gottesknechtes (Jesaja 53) geht; ja er<br />
selbst wird mit se<strong>in</strong>en Freunden h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gerissen <strong>in</strong> den Holocaust (das verbrannte<br />
Ganzopfer) und erleidet das Schicksal der Juden als der Geschwister Jesu...<br />
Weitere Beiträge zu grundsätzlichen Aspekten e<strong>in</strong>er Theologie des Martyriums, dargestellt<br />
etwa am Beispiel des Österreichers Franz Jägerstätter und des Dänen Kaj Munk,<br />
sowie zum Verhältnis von Mystik und Politik runden diesen Sammelband ab. E<strong>in</strong><br />
Buch, das mit se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Perspektiven auf Bonhoeffer und dessen Umfeld<br />
sowie auf se<strong>in</strong>e Wirkungsgeschichte e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag zur theologischen Zeitgeschichte<br />
darstellt!<br />
Bibliographische Angaben zum Buch:<br />
Paul Gerhard Schoenborn, Nachfolge - Mystik - Martyrium, Studien zu Dietrich Bonhoeffer,<br />
Münster <strong>2012</strong>, Edition ITP-Kompass, 253 S. ISBN: 978-3-9813562-3-6.<br />
Seite 18
ÖKUMENE JETZT<br />
Seite 19
ÖKUMENE JETZT<br />
Seite 20
ÖKUMENE JETZT<br />
Seite 21
Liebe Hauskreismitglieder,<br />
AUS DEN HAUSKREISEN<br />
Hauskreis Heyde <strong>in</strong> Bonn-Bad Godesberg<br />
der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Akademikerschaft</strong><br />
wir laden herzlich zu den nächsten beiden Hauskreisgesprächen e<strong>in</strong>:<br />
(mittwochs, Beg<strong>in</strong>n jeweils 16.00 Uhr)<br />
19. September E<strong>in</strong> Erfahrungsaustausch im Gespräch: Orte, die uns geprägt haben<br />
Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>geladen, von prägenden Orten unseres Lebens zu<br />
erzählen: Das kann unser Geburtsort se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e wichtige Berufsoder<br />
Lebensstation oder e<strong>in</strong>e besondere Erfahrung auf Reisen -<br />
lassen Sie uns gegenseitig daran teilhaben!<br />
17. Oktober Zum Stand der Ökumene: E<strong>in</strong>heit ja - aber wie?<br />
Mit Pfarrer i.R. Ernst Jochum<br />
Viele von uns s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> verschiedenen Formen an der Entwicklung der<br />
ökumenischen Beziehungen zwischen den Kirchen beteiligt oder<br />
daran <strong>in</strong>teressiert. Pfr. Ernst Jochum steht als Vorsitzender<br />
der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft Christlicher Kirchen (ACK) <strong>in</strong> Bonn im<br />
unmittelbaren ökumenischen Gespräch vor Ort und ist an den verschiedenen<br />
ökumenischen Aktivitäten wie z.B. der Nacht der offenen<br />
Kirchen leitend beteiligt. Er kann daher unser Gespräch mit<br />
se<strong>in</strong>en Erfahrungen, aber auch mit se<strong>in</strong>er Sicht kritischer Schwierigkeiten<br />
und Wünschen für weitere Fortschritte e<strong>in</strong>leiten.<br />
Seite 22<br />
In guter Verbundenheit Ihre<br />
Harald und Brigitte Uhl<br />
Tel. und Fax 0228 / 34 82 28<br />
E-Mail: harald.uhl@arcor.de
VON UNSEREN MITGLIEDERN<br />
Herzliche Glück- und Segenswünsche<br />
zum 90. Geburtstag,<br />
liebe Frau Hermanns!<br />
Die Weggefährten, Freund<strong>in</strong>nen und Freunde des Landesverbandes Rhe<strong>in</strong>land<br />
der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Akademikerschaft</strong> übermitteln Ihnen zu Ihrem Ehrentag,<br />
Ihrem 90. Geburtstag, die herzlichsten Grüße und wünschen Gottes Segen!<br />
Seit Jahrzehnten s<strong>in</strong>d Sie, liebe Frau Hermanns, e<strong>in</strong> verlässliches, aktives Mitglied,<br />
das die Arbeit der <strong>Akademikerschaft</strong> mit Kompetenz, Wissen und wertvollen<br />
Impulsen bereichert. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Ansprechpartner<strong>in</strong>, die mit Herzlichkeit und<br />
Humor oft zu e<strong>in</strong>er entspannten, fröhlichen Atmosphäre beiträgt.<br />
Während Ihrer Studienzeit <strong>in</strong> Bonn und Köln gehörten Sie bereits der ESG an<br />
und traten am 1. Juni 1951 <strong>in</strong> die <strong>Akademikerschaft</strong> – damals Altfreundeschaft –<br />
e<strong>in</strong>. Wir dürfen Sie wohl als „Urgeste<strong>in</strong>“ der EA bezeichnen.<br />
In den sechziger, siebziger Jahren hatten Sie Ihre Mitgliedschaft wohl ruhen<br />
lassen und s<strong>in</strong>d seit den achtziger Jahren ununterbrochen <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Tätigkeitsbereichen dabei: Ihre treue Teilnahme an Tagungen und Vorträgen<br />
zählen zu den Selbstverständlichkeiten. Sie waren <strong>in</strong> der Verbandsführung des<br />
LV Rhe<strong>in</strong>land aktiv und s<strong>in</strong>d bis heute als Berater<strong>in</strong> und Impulsgeber<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
geschätztes Mitglied im Beirat.<br />
Viele Jahre waren Sie Mitglied der <strong>Rundbrief</strong>redaktion <strong>in</strong> unserem Landesverband.<br />
Tagungsberichte und Buchvorstellungen gehörten hier zu Ihren Schwerpunkten.<br />
Über mehrere Jahre wurden Sie als Delegierte zu den Vertreter- später<br />
Delegiertenversammlungen entsandt. Hier wie im Landesverband sorgten Sie<br />
unverdrossen für e<strong>in</strong>e Vernetzung der EA mit dem <strong>Evangelische</strong>n Studienwerk<br />
Villigst.<br />
Anfang der neunziger Jahre, als der Verband verstärkt sowohl personelle als auch<br />
f<strong>in</strong>anzielle Probleme auf sich zukommen sah, arbeiteten Sie <strong>in</strong> der ersten Strukturkommission<br />
der EAiD mit.<br />
Heute danken wir Ihnen, liebe Frau Hermanns, für Ihre segensreiche Arbeit und<br />
wünschen Ihnen für Ihre Zukunft gute Gesundheit. Mögen Sie noch weitere<br />
Jahre an unserer Seite stehen!<br />
Seite 23<br />
Für den Landesverband Rhe<strong>in</strong>land<br />
Dorothee Teschke, Vorsitzende
)<br />
VON UNSEREN MITGLIEDERN<br />
Begegnungstreffen am 24. Juni <strong>2012</strong><br />
<strong>in</strong> der Johanneskirche Wuppertal, Elberfeld-Südstadt<br />
Pfarrer Gerson Monhof, Johanneskirchengeme<strong>in</strong>de Wuppertal<br />
glauben, denken, handeln<br />
Seite 24<br />
Der Protestantismus ist schon seit se<strong>in</strong>en<br />
Anfängen e<strong>in</strong>e Bildungsbewegung. Die<br />
Reformatoren, allen voran Philipp<br />
Melanchthon, sorgten dafür, dass Allgeme<strong>in</strong>bildung,<br />
Urteilsfähigkeit und Selbstbestimmung<br />
nicht auf gesellschaftliche Eliten<br />
beschränkt blieben. Heute setzt sich die<br />
<strong>Evangelische</strong> <strong>Akademikerschaft</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
(EAiD) für e<strong>in</strong>e umfassende und<br />
fächerübergreifende Bildung e<strong>in</strong>. Ihre Wuppertaler<br />
Mitglieder trafen sich <strong>in</strong> der dortigen<br />
Johanneskirche.<br />
Wuppertal entwickelt sich zunehmend zu e<strong>in</strong>er Aktivitätszelle im Landesverband Rhe<strong>in</strong>land<br />
der EAiD. Gerade <strong>in</strong> unserer Südstadt haben sich e<strong>in</strong>ige Geme<strong>in</strong>demitglieder ihr<br />
angeschlossen. Mehrere „Thementage“ wurden <strong>in</strong> den letzten Jahren <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />
von Kirchengeme<strong>in</strong>de und EAiD <strong>in</strong> der Johanneskirche erfolgreich angeboten. So<br />
war es nur noch e<strong>in</strong>e Frage der Zeit, wann neu h<strong>in</strong>zugestoßene und langjährige Mitglieder<br />
zu e<strong>in</strong>em Rundgespräch e<strong>in</strong>geladen werden würden.<br />
Nach dem geme<strong>in</strong>samen Gottesdienst begrüßten am 24. Juni die beiden Vorsitzenden<br />
der EAiD Dorothee Teschke (Rhe<strong>in</strong>bach / zugleich Bundesvorsitzende) und Dr. Rudolf<br />
Diersch (Essen) die Mitglieder aus Wuppertal und Umgebung, fassten Ziele, Strukturen<br />
und Angebote des Landesverbandes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Powerpo<strong>in</strong>tpräsentation zusammen und<br />
gaben bei e<strong>in</strong>er Tasse Kaffee und belegten Brötchen das Gespräch frei für e<strong>in</strong>en Gedankenaustausch<br />
über die Erwartungen der Zusammengekommenen an der EAiD. Dass es<br />
sich hier nicht um e<strong>in</strong>e abgehobene akademische Geme<strong>in</strong>schaft, sondern um Menschen<br />
mit Bildungs<strong>in</strong>teresse aus verschiedenen Berufen handelt, zeigte die Vorstellungsrunde,<br />
bei der sich überraschend zahlreiche Nichtakademiker outeten.<br />
Wir begrüßen als neues Mitglied und heißen herzlich willkommen:<br />
Herrn Michael Us<strong>in</strong>ger, Wehresbäumchen 24a, 41169 Mönchengladbach
VON UNSEREN MITGLIEDERN<br />
Hildegard von B<strong>in</strong>gen<br />
E<strong>in</strong> Beitrag von Dr. Johanna Mert<strong>in</strong>s<br />
E<strong>in</strong>e größere Anzahl der ältesten Bewohner<strong>in</strong>nen und Bewohner des Wohnstiftes<br />
August<strong>in</strong>um <strong>in</strong> Bad Neuenahr haben sich <strong>in</strong> letzter Zeit besonders für die <strong>in</strong> ihrer Zeit<br />
sehr gelehrte Hildegard von B<strong>in</strong>gen <strong>in</strong>teressiert.<br />
Sie hatten dabei Glück: e<strong>in</strong>e theologisch versierte Pfarrer<strong>in</strong> konnte e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>führenden<br />
Vortrag halten, der auf sehr großes Interesse stieß.<br />
Hildegard von B<strong>in</strong>gen lebte von 1098 bis zum 17.9.1179. Trotz zarter Gesundheit<br />
erreichte sie also für die damalige Zeit e<strong>in</strong> recht hohes Alter.<br />
Bereits als K<strong>in</strong>d mit 8 Jahren wurde sie auf Wunsch ihrer adeligen Eltern <strong>in</strong>s Kloster<br />
aufgenommen, betreut und erzogen. Sie lernte dort erstaunlich viel. Im Laufe ihres<br />
Lebens bewältigte sie e<strong>in</strong> Arbeitspensum, für das nach unseren Vorstellungen e<strong>in</strong> Menschenleben<br />
gar nicht ausreicht.<br />
Besonders bekannt wurde sie durch ihre Visionen, die bereits <strong>in</strong> früher K<strong>in</strong>dheit auftraten.<br />
Sie berichtete darüber ihrer Meister<strong>in</strong> und Vertrauten Jutta von Sponheim und<br />
ihrem Lehrer, dem Mönch Volmar.<br />
Ihre Schauungen empf<strong>in</strong>g sie im wachen Zustand. - „Ich sehe diese D<strong>in</strong>ge nicht mit den<br />
äußeren Augen und höre sie nicht mit den Ohren, sondern <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Seele alle<strong>in</strong>… Das<br />
Licht ist nicht an den Raum gebunden. Es ist viel leichter als e<strong>in</strong>e Wolke, die die Sonne<br />
<strong>in</strong> sich trägt.“<br />
„Feuer des Geistes, du Leben des Lebens aller Kreatur,<br />
heilig bist du, der du die gefährlich Zerbrochenen errettest,<br />
heilig bist du, der du die Wunden heilst.<br />
ich maße mir nicht an, die Zukunft der Menschen zu erfragen,<br />
weil es für die Seele besser ist, sie nicht zu kennen.“<br />
Sie betätigte sich zeitlebens als Heilkundige, Liebe und Sexualität kannte sie sehr<br />
genau. Auch über das Gehen und Stehen und über das Reiten hat sie ihre Erfahrungen<br />
aufgezeichnet. Sie kannte die unterschiedlichen Temperamente, die auch heute noch<br />
von Psychologen geschildert werden. Ihre Kenntnisse der Natur setzen uns noch<br />
heute <strong>in</strong>s Staunen. Bis zum Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrhunderts hat niemand die Fischfauna<br />
des Rhe<strong>in</strong>s und se<strong>in</strong>er Nebenflüsse so genau geschildert wie Hildegard von B<strong>in</strong>gen.<br />
Sie hat wohl auch e<strong>in</strong>en Hund gehabt, den sie besonders liebte: „Er hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Natur<br />
und se<strong>in</strong>en Gewohnheiten e<strong>in</strong>iges vom Menschen. Er kennt den Menschen und liebt<br />
ihn.“<br />
Seite 25
VON UNSEREN MITGLIEDERN<br />
Hildegard gründete Klöster und führte sie. Sie führte Briefwechsel mit den Spitzen der<br />
Wissenschaft ihrer Zeit sowie mit Päpsten und Kaisern.<br />
Sie hielt Predigten und machte weite Reisen zu Ross oder im Schiff. Auch an Synoden<br />
nahm sie teil. Es lohnt sich noch heute, ihre Predigten nachzulesen. Oft übte sie dar<strong>in</strong><br />
harte Kritik an der Geistlichkeit. Sie schrieb über Musik und verfasste Gesänge und<br />
S<strong>in</strong>gspiele, die von Schwestern aufgeführt wurden.<br />
Es gibt nach wie vor Hildegardis-Schwestern und sie haben ke<strong>in</strong>e Nachwuchssorgen.<br />
Sie gehören zum Orden der Benedikt<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen.<br />
Hildegard von B<strong>in</strong>gen starb am 17. September 1179, doch ihre offizielle Aufnahme<br />
<strong>in</strong> den Heiligenkalender des Vatikans erfolgte erst <strong>2012</strong>. Bis dah<strong>in</strong> ist das dazu nötige<br />
Verfahren oft unterbrochen, vergessen oder h<strong>in</strong>tertrieben worden.<br />
Wir, die Teilnehmer an der „Hildegard von B<strong>in</strong>gen - Exkursion“, haben danach e<strong>in</strong>e<br />
schöne, e<strong>in</strong>drucksvolle Fahrt zum Rupertsberg unternommen, wo sich die Hildegard<br />
gewidmete Akademie bef<strong>in</strong>det. Hier ist an historischem Ort e<strong>in</strong> Tagungshaus e<strong>in</strong>gerichtet<br />
worden, <strong>in</strong> dem Lehrgänge und Tagungen zu Theologie, Spiritualität und ganzheitlicher<br />
Heilkunde stattf<strong>in</strong>den. Es gibt auch e<strong>in</strong>en gepflegten Kräutergarten im S<strong>in</strong>ne<br />
der Hildegard von B<strong>in</strong>gen.<br />
Ansprechpartner für Vorträge und Führungen s<strong>in</strong>d die Vorsitzenden<br />
- Dr. Wolfgang Schumacher, kath.Pfarramt St.Hildegard und St.Rupertis,<br />
- Roswitha Warnstädt, Hildegardisstraße 11, 55411 B<strong>in</strong>gen-B<strong>in</strong>gerbrück<br />
Ansprechpartner für Vermietungen<br />
Dr.Elfriede Franz, He<strong>in</strong>rich-Becker-Straße 15 a, 55411 B<strong>in</strong>gen-B<strong>in</strong>gerbrück<br />
Ergänzende Literatur: He<strong>in</strong>rich Schipperges: „Die Welt der Hildegard von B<strong>in</strong>gen“,<br />
Herder 1997<br />
Seite 26
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
Bericht von der Delegiertenversammlung der EAiD<br />
vom 13. bis 15. April <strong>2012</strong> <strong>in</strong> Fulda<br />
mit Auszügen aus dem Protokoll der DV<br />
1. F<strong>in</strong>anzen / Mitgliederentwicklung / Grundstück Berl<strong>in</strong><br />
Der Schatzmeister, Herr Pageler berichtet von der erfreulichen Situation, dass der<br />
Verkauf des Grundstücks <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> erfolgt und das Geld: 165.000 € auf dem Konto<br />
e<strong>in</strong>getroffen ist! Die Delegierten nehmen das mit großer Freude zur Kenntnis. Nach<br />
Beschluss der DV 2011 gehen 75 % des Grundstücks-Erlöses <strong>in</strong> die Stiftung „<strong>Evangelische</strong><br />
Akademikerarbeit“ und 25 % zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en EAiD-Sonder-Haushalt. Dank<br />
für ihren E<strong>in</strong>satz gebührt Herrn Thoma, Herrn Krückels und Herrn von Wedel.<br />
Zur Stiftung berichten Herr Dr. Salzmann und Frau Gilch, dass das Vermögen per<br />
31.12.2011 193.000 € beträgt. Die Sperrfrist von 10 Jahren ist im November 2013 zu<br />
Ende. Frühestens dann, Beschluss des Stiftungsrates vorausgesetzt, steht der EAiD<br />
daraus Geld zur Verfügung. Der Ertrag fließt immer an die EAiD, da die Stiftung zu<br />
deren Erhalt gegründet wurde. Im Vorstand der Stiftung s<strong>in</strong>d Frau Gilch, Herr Hegele<br />
und der/die jeweils 1. Vorsitzende der EAiD. Dem fünfköpfigen Stiftungsrat gehört<br />
auch der Sohn von Frau Gilch an.<br />
Herr Pageler erläutert den EAiD-Haushalt 2011 anhand vorgelegter Exceltabellen.<br />
Zwar ist diesmal der Betrag für Personalkosten von 54.000 € außerordentlich hoch,<br />
enthält aber e<strong>in</strong>e Abf<strong>in</strong>dung von 15.000 € für Frau Mar<strong>in</strong>a Meier, die zum 31.12.2011<br />
ausgeschieden ist. Trotzdem ist der Planansatz von - 29.734 € gemäß Budgetrechnung<br />
mit - 25.662 € deutlich unterschritten! (Der dar<strong>in</strong> enthaltene Steueranteil der<br />
Abf<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Höhe von 4.569,32 € ist allerd<strong>in</strong>gs erst zum Jahresbeg<strong>in</strong>n <strong>2012</strong> geflossen.<br />
Darum ist das Verbandsvermögen per 31.12.2011 noch mit 33.977,20 € statt nur<br />
29.407,88 € angegeben).<br />
2. Verbandszeitschrift „evangelische aspekte“<br />
Der Plan, die Zeitschrift auf e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe umzustellen und als „Premiummodell“<br />
nur e<strong>in</strong>mal jährlich an die Mitglieder zu verschicken, ist noch zurückgestellt,<br />
weil die F<strong>in</strong>anzierung der bisherigen Pr<strong>in</strong>tausgabe erfreulicher Weise noch gesichert<br />
werden konnte.<br />
Den schriftlichen Bericht ergänzt Dr. Wildberger mit der erfreulichen Nachricht, dass<br />
der Kantor Tobias Neumann von der Apostelkirche Kaiserslautern Benefizkonzerte<br />
zu Gunsten der „evangelischen aspekte“ anbietet.<br />
Die Frage von Dr. W<strong>in</strong>ter, ob die F<strong>in</strong>anzierung der Verbandszeitschrift auf E<strong>in</strong>werbung<br />
von Sponsorengeldern umgestellt werde, wird optimistisch beantwortet. Es wird<br />
darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass es wichtig bleibe, die EAiD schriftlich darzustellen. E<strong>in</strong>e<br />
Frage von Frau Weitz und e<strong>in</strong>e ergänzende Frage von Frau Gilch, ob das Heft mit<br />
dem Thema „Musik“ schon bezahlt sei, wird dah<strong>in</strong>gehend beantwortet, dass die<br />
Seite 27
3300 € Spende des LV Hessen schon <strong>in</strong> 2011 geflossen ist, die Ersche<strong>in</strong>ung des<br />
Heftes aber bis nach e<strong>in</strong>em Benefizkonzert bis zum Sommer des Jahres zurückgestellt<br />
sei. Gegen die Zurückstellung des DV-2011-Beschlusses, die Verbandszeitschrift fast<br />
ausschließlich im Internet zu publizieren, werden ke<strong>in</strong>e Bedenken geäußert. E<strong>in</strong>e<br />
förmliche Beschlussfassung dazu wird nicht für notwendig erachtet.<br />
3. Vortrag „Energiewende und die verantwortlichen Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger“<br />
Herr Dr. Hans-Jochen Luhmann vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie<br />
GmbH referiert. Der Vortrag soll <strong>in</strong> der Verbandszeitschrift „evangelische aspekte“<br />
veröffentlicht werden.<br />
Nach dem Referat fand e<strong>in</strong>e Aussprache statt. Unter anderem wird danach gefragt, was<br />
wir als EAiD tun können. Es wird angeregt, sich mit der Problematik der Nachhaltigkeit<br />
auf breiterer Basis und über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum zu befassen. Hierzu wird<br />
das Thema „Nachhaltigkeit“ für die DV 2013 vorgeschlagen und angeregt, für das<br />
Jahr 2014 die Durchführung e<strong>in</strong>es Kongresses zum Thema „Nachhaltigkeit als Herausforderung<br />
für Staat, Kirche und Gesellschaft“ <strong>in</strong>s Auge zu fassen und gegebenenfalls<br />
- zusammen mit weiteren Partnern - vorzubereiten. Diese Anregung wird von<br />
Herrn Dr. Luhmann unterstützt, der bereit ist, dabei beratend mitzuwirken. Weitere<br />
Anregungen s<strong>in</strong>d Veröffentlichungen zum Thema <strong>in</strong> der Verbandszeitschrift sowie die<br />
Durchführung e<strong>in</strong>er 24-Stunden-Akademie zum Thema.<br />
4. Wahlen<br />
Es wurden gewählt:<br />
(1) zum Bundesvorstand:<br />
Frau D. Teschke als 1. Vorsitzende<br />
Herr E. Cherdron als 1. Vorsitzender<br />
Herr Dr. B. Salzmann als Schatzmeister<br />
Herr Dr. H. Birkel als Beisitzer<br />
Herr H. Pageler als Beisitzer<br />
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
(2) zum Frauenteam:<br />
Frau S. M<strong>in</strong>kner, Frau C. Pfeiffer und Frau B. Schobeß<br />
(3) zur Schiedskommission:<br />
Herrn G. Hegele, Frau E. Gallhoff und Frau M. Gilch<br />
und als Stellvertreter:<br />
Herr D. Kauffmann, Herr E. Marwedel und Frau U. Diersch<br />
(4) <strong>in</strong> das Tagungspräsidium für die DV2013<br />
Herr Dr. R. Diersch, Herr Dr. R. Halberstadt, Frau S. M<strong>in</strong>kner<br />
Seite 28
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
EAiD Arbeitskreis „Gerechtigkeit“<br />
Bericht gegenüber der Delegiertenversammlung <strong>2012</strong><br />
Margret Schoenborn<br />
Nachdem die Delegiertenversammlung 2011 die Beauftragung des Arbeitskreises Gerechtigkeit<br />
(laut Protokoll unbefristet) verlängert hat, setzte der AK se<strong>in</strong>e Arbeit fort.<br />
Zu diesem Zeitpunkt war der Reader „Langfristig denken - jetzt handeln“ gerade fertig<br />
gestellt. Er wurde beim Ökumenischen Kirchentag 2011 <strong>in</strong> Dresden e<strong>in</strong>gesetzt und dient<br />
dem e<strong>in</strong> oder anderen Landesverband bis heute als Informationsquelle und zur Me<strong>in</strong>ungsbildung<br />
<strong>in</strong> Fragen e<strong>in</strong>er verantwortlichen Politik der Nachhaltigkeit. Wiewohl der<br />
Reader ursprünglich für den <strong>in</strong>nerverbandlichen Gebrauch bestimmt war, gelangte er<br />
hier und da auch <strong>in</strong> themenverwandte Arbeitsgruppen außerhalb der EA. Das h<strong>in</strong>g <strong>in</strong> der<br />
Regel von e<strong>in</strong>zelnen EA-Mitgliedern ab.<br />
Se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche Weiterarbeit hat der Arbeitskreis Gerechtigkeit auf e<strong>in</strong> Thema gelenkt,<br />
das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en gesellschaftspolitischen Analysen immer wieder aufgetaucht war, dem er<br />
nun aber e<strong>in</strong>e eigene Beachtung schenken will. Es geht um die ethischen Grundl<strong>in</strong>ien<br />
e<strong>in</strong>er demokratisch verfassten, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Gesellschaft,<br />
<strong>in</strong> der wir leben wollen und <strong>in</strong> der auch kommende Generationen sicher leben können.<br />
Dazu liegen schon e<strong>in</strong>ige Ausarbeitungen aus dem AK vor, aber wir stehen <strong>in</strong>sgesamt<br />
noch eher <strong>in</strong> der Orientierungsphase. E<strong>in</strong> wesentlicher Bezugstext ist z.Zt. das Manifest<br />
„Globales Wirtschaftsethos - Konsequenzen für die Weltwirtschaft“ von 2009,<br />
erarbeitet von e<strong>in</strong>er Arbeitsgruppe der Stiftung Weltethos Tüb<strong>in</strong>gen unter dem Vorsitz<br />
von Professor Hans Küng. Dieses Manifest ist <strong>in</strong> diesem <strong>Rundbrief</strong> auf Seite 30 abgedruckt.<br />
Bei dieser Erklärung handelt es sich nicht um e<strong>in</strong>e Art Gesetzestext, sondern eher um<br />
e<strong>in</strong>en Spiegel, der „Unternehmern, Investoren, Kreditgebern, Mitarbeitern, Konsumenten<br />
und Interessenverbänden“, also uns allen, vorhält, wie wir uns zum Wohl der Weltgeme<strong>in</strong>schaft<br />
verhalten (sollen). Es wird e<strong>in</strong> Ethos des Wirtschaftens entwickelt, dass über<br />
diesen Anwendungsbereich weit h<strong>in</strong>aus geht. Es entfaltet aus dem Pr<strong>in</strong>zip der Humanität<br />
acht Grundwerte mit Konkretionen des Entscheidens und Handelns, so dass sich e<strong>in</strong><br />
Ganzes globaler ethischer Rahmenbed<strong>in</strong>gungen ergibt.<br />
Für Ergebnisse unserer Arbeit gibt es im Jahr 2013 mehrere Gelegenheiten. Darüber<br />
wäre bei der DV zu sprechen.<br />
Die Kontakte der EAiD zu Attac und zur Global Marshallplan Initiative werden jeweils<br />
beiderseits gehalten. Dr. Peter Trappe vertritt die EA bereits im sechsten Jahr im Attac-<br />
Rat.<br />
Weiteres über den AK Gerechtigkeit lesen Sie auch auf der Homepage der EA:<br />
www.evangelische-akademiker.de<br />
Seite 29
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
Manifest<br />
„Globales Wirtschaftsethos - Konsequenzen für die Weltwirtschaft“<br />
der Öffentlichkeit vorgestellt im UN-Hauptquartier, New York,<br />
am 6. Oktober 2009 und <strong>in</strong> Basel am 27. November 2009<br />
Hans Küng<br />
Präambel<br />
Die Globalisierung des wirtschaftlichen Handelns wird nur dann zum allgeme<strong>in</strong>en<br />
und nachhaltigen Wohlstand und Vorteil aller Völker und ihrer Volkswirtschaften<br />
führen, wenn sie auf die beständige Kooperationsbereitschaft und werteorientierte<br />
Kooperationsfähigkeit aller Beteiligten und Betroffenen bauen kann. Das ist e<strong>in</strong>e der<br />
grundlegenden Lehren der weltweiten Krise der F<strong>in</strong>anz- und Gütermärkte.<br />
Die Kooperation aller Beteiligten und Betroffenen wird nur dann verlässlich gel<strong>in</strong>gen,<br />
wenn das Streben aller nach Realisierung des legitimen Eigen<strong>in</strong>teresses und nach gesellschaftlicher<br />
Wohlfahrt e<strong>in</strong>gebettet ist <strong>in</strong> globale ethische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die allgeme<strong>in</strong><br />
als gerecht und fair akzeptiert werden. E<strong>in</strong>e solche Verständigung über global<br />
akzeptierte Normen wirtschaftlichen Handelns und Entscheidens, über e<strong>in</strong> Ethos der<br />
Wirtschaftens, existiert erst <strong>in</strong> ersten Anfängen.<br />
E<strong>in</strong> globales Wirtschaftsethos, also geme<strong>in</strong>same fundamentale Vorstellungen über Recht,<br />
Gerechtigkeit und Fairness, baut auf moralischen Pr<strong>in</strong>zipien und Werten auf, die seit<br />
alters her von allen Kulturen geteilt und durch geme<strong>in</strong>same praktische Erfahrung getragen<br />
werden.<br />
Wir alle <strong>in</strong> unseren Funktionen als Unternehmer, Investoren, Kreditgeber, Mitarbeiter,<br />
Konsumenten und unsere jeweiligen Interessensverbände <strong>in</strong> allen Ländern der Welt<br />
tragen geme<strong>in</strong>sam mit politischen und staatlichen sowie <strong>in</strong>ternationalen Organisationen<br />
und Institutionen wesentliche Verantwortung für die Herausbildung und Umsetzung<br />
e<strong>in</strong>es solchen globalen Wirtschaftsethos.<br />
Aus diesen Gründen unterstützen die Unterzeichner diese<br />
Erklärung zu e<strong>in</strong>em Globalen Wirtschaftsethos.<br />
In dieser Erklärung werden die grundlegenden Pr<strong>in</strong>zipien und Werte e<strong>in</strong>er globalen<br />
Wirtschaft deklariert, so wie sie sich aus der Erklärung des Parlaments der Weltreligionen<br />
zum Weltethos (Chicago 1993) ergeben. Die <strong>in</strong> dieser Erklärung ausgesprochenen Pr<strong>in</strong>zipien<br />
können von allen Menschen mit ethischen Überzeugungen, religiös begründet<br />
oder nicht, mitgetragen werden. Die Unterzeichner verpflichten sich, sich von Buchstaben<br />
und Geist dieser Erklärung <strong>in</strong> ihrem alltäglichen wirtschaftlichen Entscheiden, Handeln<br />
und Verhalten leiten zu lassen und sie so mit Leben zu erfüllen. Diese Erklärung<br />
zu e<strong>in</strong>em Globalen Wirtschaftsethos nimmt die Gesetzlichkeiten von Markt und Wettbewerb<br />
ernst, will diese aber zum Wohl aller auf e<strong>in</strong>e ethische Grundlage stellen.<br />
Seite 30
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
Gerade die Erfahrungen <strong>in</strong> der Krise des Wirtschaftslebens unterstreichen die Notwendigkeit<br />
<strong>in</strong>ternational akzeptierter ethischer Pr<strong>in</strong>zipien und moralischer Standards, die im<br />
Geschäftsalltag mit Leben erfüllt werden können und müssen<br />
Das Pr<strong>in</strong>zip der Humanität<br />
Ethischer Bezugsrahmen: Unterschiede zwischen den kulturellen Traditionen dürfen<br />
ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis se<strong>in</strong>, sich geme<strong>in</strong>sam aktiv für den Respekt, den Schutz und die<br />
Erfüllung der Menschenrechte e<strong>in</strong>zusetzen. Jeder Mensch - ohne Unterschied von Alter,<br />
Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, körperlicher oder geistiger Fähigkeit, Sprache, Religion,<br />
politischer Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft - besitzt e<strong>in</strong>e unveräußerliche<br />
und unantastbare Würde. Alle, der E<strong>in</strong>zelne wie der Staat, s<strong>in</strong>d deshalb verpflichtet,<br />
diese Würde zu achten und ihren wirksamen Schutz zu garantieren. Auch <strong>in</strong> Wirtschaft,<br />
Politik und Medien, <strong>in</strong> Forschungs<strong>in</strong>stituten und Industrieunternehmen soll der<br />
Mensch immer Rechtssubjekt und Ziel se<strong>in</strong>, nie bloßes Mittel, nie Objekt der Kommerzialisierung<br />
und der Industrialisierung.<br />
Das Grundpr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>es anzustrebenden Globalen Wirtschaftsethos ist Humanität. Sie<br />
soll ethischer Maßstab des wirtschaftlichen Handelns se<strong>in</strong> und konkretisiert sich <strong>in</strong> den<br />
folgenden Leitl<strong>in</strong>ien für e<strong>in</strong> Wert schaffendes und an Werten orientiertes Wirtschaften<br />
zu allgeme<strong>in</strong>em Nutzen:<br />
Artikel 1<br />
Ethisches Ziel und zugleich gesellschaftliche Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>es nachhaltigen ökonomischen<br />
Handelns ist es, für alle Menschen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu schaffen zur dauerhaften<br />
Deckung ihrer Grundbedürfnisse und für e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> Würde. Daher ist bei wirtschaftlichen<br />
Entscheidungen als oberstes Gebot der Humanität darauf zu achten, dass sie die<br />
Herausbildung und Entwicklung derjenigen <strong>in</strong>dividuellen Ressourcen und Kompetenzen<br />
fördern, die notwendig s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>e menschliche Entwicklung und e<strong>in</strong> gutes Mite<strong>in</strong>ander.<br />
Artikel 2<br />
Humanität gedeiht nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kultur des Respekts vor dem Individuum. Die Würde und<br />
Selbstachtung aller Menschen, seien es nun Vorgesetzte, Mitarbeiter, Geschäftspartner,<br />
Kunden oder andere Interessensträger, s<strong>in</strong>d unverletzlich. Sie dürfen weder durch <strong>in</strong>dividuelle<br />
Verhaltensweisen noch durch unwürdige Geschäfts- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
missachtet werden. Die Ausbeutung und Ausnutzung von Abhängigkeiten und die<br />
willkürliche Diskrim<strong>in</strong>ierung von Menschen s<strong>in</strong>d unvere<strong>in</strong>bar mit dem Pr<strong>in</strong>zip der<br />
Humanität.<br />
Artikel 3<br />
Gutes zu fördern und Böses zu meiden ist e<strong>in</strong>e Menschenpflicht, die als moralischer<br />
Maßstab auch an wirtschaftliches Entscheiden und Handeln angelegt werden muss.<br />
Eigen<strong>in</strong>teressen zu verfolgen ist legitim, doch das Suchen des eigenen Vorteils durch e<strong>in</strong>e<br />
gezielte Schädigung des Partners, also mit unethischen Mitteln, ist unvere<strong>in</strong>bar mit e<strong>in</strong>em<br />
nachhaltigen Wirtschaften zum wechselseitigen Vorteil.<br />
Seite 31
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
Artikel 4<br />
Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch ke<strong>in</strong>em anderen zu. Diese seit<br />
Jahrtausenden <strong>in</strong> allen religiösen und humanistischen Traditionen bekannte Goldene<br />
Regel der Gegenseitigkeit fordert wechselseitige Verantwortlichkeit, Solidarität, Fairness,<br />
Toleranz und Achtung von allen Akteuren e<strong>in</strong>. Solche Haltungen oder Tugenden<br />
s<strong>in</strong>d Grundsäulen e<strong>in</strong>es globalen Wirtschaftsethos. Fairness im Wettbewerb und<br />
Kooperation zum wechselseitigen Nutzen s<strong>in</strong>d grundlegende Pr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>er sich<br />
nachhaltig entwickelnden Weltökonomie, die im E<strong>in</strong>klang mit der Goldenen Regel<br />
stehen. EAiD-DV <strong>2012</strong>, TOP 2.5b, Anlage zum Bericht<br />
II. Grundwerte für globales Wirtschaften<br />
Die folgenden Grundwerte für globales Wirtschaften entwickeln das Grundpr<strong>in</strong>zip<br />
der Humanität weiter und geben Empfehlungen für das Entscheiden, Handeln und<br />
Verhalten im praktischen Wirtschaftsleben.<br />
Grundwerte: Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Leben<br />
Ethischer Bezugsrahmen: Wahrhaft Mensch se<strong>in</strong> heißt im Geist der großen religiösen<br />
und ethischen Traditionen, rücksichtsvoll und hilfsbereit zu se<strong>in</strong>, und zwar im privaten<br />
wie im öffentlichen Leben. Jeder Mensch, jedes Volk, jede Rasse und jede Religion soll<br />
den anderen Toleranz, Respekt, gar Hochschätzung entgegenbr<strong>in</strong>gen. M<strong>in</strong>derheiten - sie<br />
seien rassischer, ethnischer oder religiöser Art - bedürfen des Schutzes und der Förderung<br />
durch die Mehrheit.<br />
Artikel 5<br />
Alle Menschen haben die Pflicht, das Recht auf Leben und auf se<strong>in</strong>e Entfaltung zu<br />
achten. Die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben ist e<strong>in</strong> besonders hohes Gut. Jede<br />
Form von Gewalt als Mittel zum wirtschaftlichen Zweck ist abzulehnen. Sklavenarbeit,<br />
Zwangsarbeit, K<strong>in</strong>derarbeit, körperliche Züchtigung sowie andere Formen der Verletzung<br />
<strong>in</strong>ternational anerkannter Normen des Arbeitsrechts müssen zurückgedrängt<br />
und abgeschafft werden. Alle Wirtschaftsakteure müssen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie den Schutz der<br />
Menschenrechte <strong>in</strong> ihren eigenen Organisationen sicherstellen. Sodann müssen sie alle<br />
Anstrengungen unternehmen, dass sie <strong>in</strong> ihrem E<strong>in</strong>flussbereich nicht zu Menschenrechtsverletzungen<br />
ihrer Geschäftspartner oder anderer Parteien beitragen oder gar<br />
von ihnen profitieren.<br />
Die gesundheitliche Bee<strong>in</strong>trächtigung von Menschen durch defizitäre Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
ist zu vermeiden. Arbeitssicherheit nach dem Stand der Technik, Produktsicherheit<br />
und die Unschädlichkeit der Produkte für die menschliche Gesundheit s<strong>in</strong>d<br />
grundlegende Anforderungen e<strong>in</strong>er Kultur der Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem<br />
Menschen.<br />
Artikel 6<br />
Der nachhaltige Umgang mit der natürlichen Umwelt des Menschen durch alle Teilnehmer<br />
am Wirtschaftsleben ist e<strong>in</strong> hoher Wert des wirtschaftlichen Handelns. Die<br />
Seite 32
AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
Verschwendung von natürlichen Ressourcen und die Verschmutzung der Umwelt s<strong>in</strong>d<br />
durch Ressourcen sparende Verfahren und umweltschonende Technologien zu m<strong>in</strong>imieren.<br />
Zukunftsfähige, möglichst erneuerbare Energie, sauberes Wasser und unverschmutzte<br />
Luft s<strong>in</strong>d Elementarbed<strong>in</strong>gungen des Lebens überhaupt, zu denen jeder<br />
Mensch Zugang haben muss.<br />
Grundwerte: Gerechtigkeit und Solidarität<br />
Ethischer Bezugsrahmen: Wahrhaft menschlich se<strong>in</strong> heißt im Geist der großen religiösen<br />
und ethischen Traditionen: Wirtschaftliche und politische Macht darf nicht zum<br />
rücksichtslosen Kampf um Herrschaft missbraucht werden, sie ist vielmehr für den<br />
Dienst an den Menschen zu gebrauchen. Eigen<strong>in</strong>teresse und Wettbewerb dienen der Entwicklung<br />
der Leistungsfähigkeit und der Wohlfahrt aller Beteiligten. Daher sollen der<br />
gegenseitige Respekt, der vernünftige Interessenausgleich, der Wille zur Vermittlung und<br />
zur Rücksichtnahme herrschen.<br />
Artikel 7<br />
Recht und Gerechtigkeit bilden füre<strong>in</strong>ander Voraussetzungen. Verantwortung, Rechtschaffenheit,<br />
Transparenz und Fairness s<strong>in</strong>d Grundwerte e<strong>in</strong>es Wirtschaftslebens, das<br />
von Rechtstreue und Integrität gekennzeichnet ist. Die E<strong>in</strong>haltung des je geltenden<br />
nationalen und <strong>in</strong>ternationalen Rechts ist e<strong>in</strong>e Pflicht für alle Wirtschaftsakteure. Wo<br />
es Defizite <strong>in</strong> der Qualität oder der Erzw<strong>in</strong>gung der Rechtsnormen e<strong>in</strong>es Landes gibt,<br />
s<strong>in</strong>d diese durch Selbstverpflichtungen und Selbstkontrolle auszugleichen; ke<strong>in</strong>esfalls<br />
dürfen sie zu Gew<strong>in</strong>nzwecken ausgenutzt werden.<br />
Artikel 8<br />
Das Erzielen von Gew<strong>in</strong>n ist die Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit und den<br />
Bestand der Unternehmen und damit für dessen soziales und kulturelles Engagement.<br />
Korruption aber schadet dem Geme<strong>in</strong>wohl, der Wirtschaft und den Menschen, weil<br />
sie systematisch zur Fehlallokation und zur Verschwendung von Ressourcen führt.<br />
Die Zurückdrängung und Abschaffung aller korrupten und unlauteren Praktiken,<br />
wie etwa Bestechung und Kartellabsprachen, Patentverletzung und Industriespionage,<br />
erfordern e<strong>in</strong> präventives Engagement, das Pflicht für alle Handelnden <strong>in</strong> der Wirtschaft<br />
ist.<br />
Artikel 9<br />
Die Überw<strong>in</strong>dung von Hunger und Unwissenheit, Armut und Ungleichheit der<br />
Lebenschancen <strong>in</strong> allen Ländern des Globus ist e<strong>in</strong> großes Ziel e<strong>in</strong>er Gesellschafts-<br />
und Wirtschaftsordnung, die auf Chancengleichheit, Verteilungsgerechtigkeit und<br />
Solidarität zielt. Selbsthilfe und Fremdhilfe, Subsidiarität und Solidarität, privates und<br />
öffentliches Handeln s<strong>in</strong>d je zwei Seiten e<strong>in</strong>er Medaille. Sie konkretisieren sich vor<br />
allem <strong>in</strong> privaten und öffentlichen Investitionen im Wirtschaftssektor, aber auch <strong>in</strong><br />
privaten und öffentlichen Initiativen zur Schaffung von Institutionen, die der Bildung<br />
aller Bevölkerungsteile und dem Aufbau e<strong>in</strong>es Systems sozialer Sicherheit dienen.<br />
Grundlegendes Ziel all dieser Bestrebungen ist e<strong>in</strong>e menschliche Entwicklung, die<br />
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AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
auf Förderung all jener Kompetenzen und Ressourcen abzielt, mit denen Menschen<br />
befähigt werden, e<strong>in</strong> selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben zu führen.<br />
Grundwerte: Wahrhaftigkeit und Toleranz<br />
Ethischer Bezugsrahmen: Wahrhaft Mensch se<strong>in</strong> heißt im Geist der großen religiösen<br />
und ethischen Traditionen: Statt Freiheit mit Willkür und Pluralismus mit Beliebigkeit<br />
zu verwechseln, der Wahrheit Geltung zu verschaffen; statt <strong>in</strong> Unehrlichkeit, Verstellung<br />
und opportunistischer Anpassung zu leben, den Geist der Integrität und Wahrhaftigkeit<br />
auch <strong>in</strong> den alltäglichen Beziehungen zwischen Mensch und Mensch zu pflegen.<br />
Artikel 10<br />
Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit s<strong>in</strong>d Werte, ohne die nachhaltige und<br />
Wohlfahrt fördernde Wirtschaftsbeziehungen nicht gedeihen können. Sie s<strong>in</strong>d Voraussetzungen<br />
für die Bildung von Vertrauen im zwischenmenschlichen Mite<strong>in</strong>ander<br />
sowie im ökonomischen Wettbewerb. Zudem gilt es, das Recht auf Privatsphäre sowie<br />
persönliche oder berufliche Vertraulichkeit zu schützen.<br />
Artikel 11<br />
Die Vielfalt der kulturellen und politischen Überzeugungen, wie auch der <strong>in</strong>dividuellen<br />
Begabungen und der Kompetenzen von Organisationen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e mögliche Quelle der<br />
globalen Wohlfahrt. Ihre Kooperation zum wechselseitigen Vorteil setzt die Akzeptanz<br />
geme<strong>in</strong>samer Werte und Normen, geme<strong>in</strong>sames Lernen und Toleranz gegenüber<br />
Andersse<strong>in</strong> voraus. Die Diskrim<strong>in</strong>ierung von Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer<br />
Rasse, ihrer Nationalität oder ihres Glaubens ist unvere<strong>in</strong>bar mit den Pr<strong>in</strong>zipien e<strong>in</strong>es<br />
globalen Wirtschaftsethos. Menschenverachtendes und menschenrechtsverletzendes<br />
Handeln ist nicht zu tolerieren.<br />
Grundwerte: Gegenseitige Achtung und Partnerschaft<br />
Ethischer Bezugsrahmen: Wahrhaft Mensch se<strong>in</strong> heißt im Geiste der großen religiösen<br />
und ethischen Traditionen: statt patriarchaler Beherrschung oder Entwürdigung, die Ausdruck<br />
von Gewalt s<strong>in</strong>d und oft Gegengewalt erzeugen, gegenseitige Achtung, Verständnis,<br />
Partnerschaftlichkeit. Jeder und jede E<strong>in</strong>zelne hat nicht nur e<strong>in</strong>e unverletzliche Würde<br />
und unveräußerliche Rechte; alle Menschen haben auch e<strong>in</strong>e unabweisbare Verantwortung<br />
für das, was sie tun und nicht tun.<br />
Artikel 12<br />
Wechselseitige Achtung und Partnerschaft der Beteiligten, gerade auch von Mann und<br />
Frau, ist sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis wirtschaftlicher Kooperation. Sie<br />
basiert auf Respekt, Fairness und Aufrichtigkeit gegenüber dem Anderen, seien es<br />
nun die Verantwortlichen der Unternehmen, die Mitarbeiter, die Kunden oder andere<br />
Interessensträger. Achtung und Partnerschaft s<strong>in</strong>d die unverzichtbare Basis, auf der<br />
auch die nicht <strong>in</strong>tendierten negativen Konsequenzen wirtschaftlicher Interaktionen als<br />
geme<strong>in</strong>sames Dilemma aller Involvierten akzeptiert und im geme<strong>in</strong>samen Bemühen<br />
aufgelöst werden können.<br />
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AUS DEM BUNDESVERBAND<br />
Artikel 13<br />
Partnerschaft f<strong>in</strong>det ihren Ausdruck auch <strong>in</strong> der Möglichkeit zur Teilhabe am Leben,<br />
den Entscheidungen und den Erträgen der Wirtschaft. Diese variiert je nach den kulturellen<br />
Voraussetzungen und den ordnungspolitischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es<br />
Wirtschaftsraumes. Das Recht sich zusammenzuschließen und kollektiv se<strong>in</strong>e Interessen<br />
verantwortungsbewusst wahrzunehmen ist jedoch e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>deststandard, der überall<br />
anzuerkennen ist.<br />
Schluss<br />
Alle Akteure sollen die <strong>in</strong>ternational akzeptierten Verhaltensnormen des Wirtschaftslebens<br />
respektieren, schützen und an deren Verwirklichung im Rahmen ihrer<br />
E<strong>in</strong>flusssphäre mitwirken. Grundlegend dafür s<strong>in</strong>d die von den Vere<strong>in</strong>ten Nationen<br />
(UN) im Jahre 1948 proklamierten und <strong>in</strong>zwischen global anerkannten Menschenrechte<br />
und Menschenpflichten. Andere globale Leitl<strong>in</strong>ien anerkannter transnationaler<br />
Institutionen, wie etwa der „Global Compact“ der Vere<strong>in</strong>ten Nationen, die „Declaration<br />
on Fundamental Pr<strong>in</strong>ciples and Rights at Work“ der International Labour Organization<br />
(ILO), die „Rio Declaration on Environment and Development“ und die UN<br />
„Convention Aga<strong>in</strong>st Corruption“, um nur e<strong>in</strong>ige zu nennen, stimmen übere<strong>in</strong> mit den<br />
<strong>in</strong> dieser Erklärung festgehaltenen Erfordernissen e<strong>in</strong>es globalen Wirtschaftsethos.<br />
Erstunterzeichner<br />
A.T. Ariyaratne, Gründer-Präsident, Sarvodaya Bewegung, Sri Lanka; Leonardo Boff,<br />
Theologe und Schriftsteller, Brasilien; Michel Camdessus, Gouverneur honoraire<br />
der Banque de France; Walter Fust, CEO, Global Humanitarian Forum; Pr<strong>in</strong>z El<br />
Hassan b<strong>in</strong> Talal, Jordanien; Margot Kässmann, Landesbischöf<strong>in</strong> von Hannover und<br />
Vorsitzende des Rates der <strong>Evangelische</strong>n Kirche <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>; Georg Kell, Executive<br />
Director, UN Global Compact Office; Samuel Kobia, Generalsekretär des<br />
Ökumenischen Rats der Kirchen; Hans Küng, Präsident der Stiftung Weltethos; Karl<br />
Lehmann, Kard<strong>in</strong>al, Bischof von Ma<strong>in</strong>z; Klaus M. Leis<strong>in</strong>ger, CEO, Novartis Stiftung;<br />
Peter Maurer, Botschafter und ständiger Vertreter der Schweiz bei den Vere<strong>in</strong>ten<br />
Nationen; Mary Rob<strong>in</strong>son, Präsident<strong>in</strong> von Realiz<strong>in</strong>g Rights: The Ethical Globalization<br />
Initiative; Jeffrey Sachs, Direktor, The Earth Institute, Columbia University; Juan<br />
Somavia, Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO); Desmond<br />
Tutu, em. Erzbischof, Friedensnobelpreisträger; Daniel Vasella, CEO, Novartis International;<br />
Tu Weim<strong>in</strong>g, Professor für Philosophie, Harvard Universität und Pek<strong>in</strong>g<br />
Universität; Patricia Werhane, Professor<strong>in</strong> für Wirtschaftsethik, University of Virg<strong>in</strong>ia,<br />
Darden School of Bus<strong>in</strong>ess and DePaul University; James D. Wolfensohn, ehemaliger<br />
Präsident der Weltbank; Carolyn Woo, Dekan<strong>in</strong>, Mendoza College of Bus<strong>in</strong>ess University<br />
of Notre Dame<br />
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AUS DEM BUNDESVERBAND / IMPRESSUM<br />
Die Erklärung wurde verfasst von e<strong>in</strong>er Arbeitsgruppe der Stiftung Weltethos:<br />
Prof. Dr. He<strong>in</strong>z-Dieter Assmann (Universität Tüb<strong>in</strong>gen); Dr. Wolfram Freudenberg<br />
(Freudenberg-Gruppe); Prof. Dr. Klaus Leis<strong>in</strong>ger (Novartis Stiftung); Prof. Dr. Hermut<br />
Kormann (Voith AG); Prof. Dr. Josef Wieland (Federführung, Hochschule Konstanz);<br />
Prof. h.c. Karl Schlecht (Putzmeister AG)<br />
Von der Stiftung Weltethos:<br />
Prof. Dr. Hans Küng (Präsident); Prof. Dr. Karl-Josef Kuschel (Wissenschaftlicher<br />
Berater); Dr. Stephan Schlensog (Generalsekretär); Dr. Günther Gebhardt (Wissenschaftlicher<br />
Koord<strong>in</strong>ator)<br />
Tüb<strong>in</strong>gen, 1. April 2009<br />
© Global Ethic Foundation Tueb<strong>in</strong>gen / Stiftung Weltethos Tüb<strong>in</strong>gen<br />
http://www.weltethos.org/1-pdf/10-stiftung/declaration/declaration_german.pdf<br />
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VORSCHAU UND TERMINE<br />
E<strong>in</strong>ladung zum Vortragsabend<br />
„Die Kunst der Vergebung“<br />
am Donnerstag, dem 22. November <strong>2012</strong><br />
um 19:00 Uhr<br />
<strong>in</strong> der Melanchthonkirche<br />
Melanchthonstr. 3, 45147 Essen<br />
Anregungen aus Psychologie und Mediz<strong>in</strong><br />
zum heilenden Umgang mit Schuld und Schuldgefühlen.<br />
Erstaunlich viele Menschen fällt es schwer, sich selbst oder anderen Menschen<br />
zu vergeben. Quälende, oft versteckte Schuldgefühle, tiefer Groll und Bitterkeit<br />
s<strong>in</strong>d die Folge. Neue wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Unfähigkeit<br />
konsequent und vollständig zu vergeben für die Betroffenen e<strong>in</strong> extrem hohes<br />
körperliches, seelisches und nicht zuletzt auch spirituelles Gesundheitsrisiko<br />
bedeutet. Gleichzeitig zeigt sich, dass man Vergebung „lernen“ kann.<br />
In unserer Veranstaltung sollen folgende Themen vorgestellt werden:<br />
- Worum geht es bei der Vergebung und worum geht es nicht<br />
- mediz<strong>in</strong>ische und psychologische Forschungslage<br />
- Warum es s<strong>in</strong>nvoll ist, zwischen Schuld, Schuldgefühlen und Scham zu unterscheiden<br />
- Die 7 Schritte <strong>in</strong> der Kunst der Vergebung<br />
- Grenzen und Möglichkeiten für die seelsorgerliche Praxis <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de<br />
Referent:<br />
Frank Neuendorff<br />
Theologe<br />
Master of Arts <strong>in</strong> Psychology (USA)<br />
Lehrbeauftragter für den Fachbereich Mediz<strong>in</strong> an der Ruhruniversität Bochum<br />
Seite 37
VORSCHAU UND TERMINE<br />
Vorschau Vorschau Vorschau Vorschau<br />
Vortragsveranstaltung<br />
Der Landesverband Rhe<strong>in</strong>land der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Akademikerschaft</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
und die Ortsgruppe Essen des Katholischen Akademikerverbandes <strong>in</strong><br />
<strong>Deutschland</strong> laden ganz herzlich e<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em<br />
Ökumenischen Abend<br />
mit Gottesdienst und Vortrag<br />
zum Thema<br />
ÖKUMENE JETZT<br />
e<strong>in</strong> Gott, e<strong>in</strong> Glaube, e<strong>in</strong>e Kirche<br />
mit Professor Dr. Eckard Nagel<br />
Ärztlicher Direktor des Universitätskl<strong>in</strong>ikums Essen<br />
am Donnerstag, dem 17. Januar 2013, 18:00 Uhr<br />
<strong>in</strong> der Erlöserkirche <strong>in</strong> Essen, Friedrichstr. 17<br />
Herr Professor Dr. Eckard Nagel gehört zu den Erstunterzeichnern der Initiative<br />
„ÖKUMENE JETZT - e<strong>in</strong> Gott, e<strong>in</strong> Glaube, e<strong>in</strong>e Kirche“, deren Anliegen<br />
es ist, die durch Jesus Christus geschenkte geistliche E<strong>in</strong>heit der christlichen<br />
Kirchen auch sichtbar Gestalt gew<strong>in</strong>nen zu lassen.<br />
Diese Veranstaltung wird im Rahmen des 500-jährigen Jubiläums der Reformation<br />
und des 50-jährigen Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils<br />
durchgeführt. Sie ist auch e<strong>in</strong> Beitrag zum Lutherjahr 2013, das unter dem Leitwort<br />
„Reformation und Toleranz“ steht.<br />
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VORSCHAU UND TERMINE<br />
Herzliche E<strong>in</strong>ladung zur Tagung<br />
„Stadt der Zukunft - Stadt der Hoffnung?“<br />
Leitl<strong>in</strong>ien für e<strong>in</strong>e menschengerechte Stadtentwicklung<br />
22.-23. März 2013,<br />
Haus der Begegnung Bonn-Bad Godesberg<br />
Inhalt<br />
In Städten schlagen die Umbrüche globaler Wirtschaftsprozesse schneller durch<br />
als <strong>in</strong> anderen Siedlungsbereichen. Die Stadt bildet e<strong>in</strong>en politischen und sozialen<br />
Interaktionsraum, der Bürger<strong>in</strong>nen und Bürgern auf vielfältige Weise direkte politische<br />
Mitgestaltung ermöglicht.<br />
Die Tagung wird sich auf Vorhaben kreativer Sozialraumplanung und den Aspekt<br />
Bürgerbeteiligung konzentrieren. Langfristige Prozesse der Stadtentwicklung werden<br />
diskutiert und die Vorstellungen, Forderungen und Wünsche von Stadtteil<strong>in</strong>itiativen,<br />
Kirchen, Unternehmen und anderen Interessengruppen kommen zu Wort.<br />
Zielsetzung<br />
Die zu dieser Tagung e<strong>in</strong>geladenen Referenten sollen die Soziale Stadt der Zukunft<br />
beschreiben. Die Akademie und ihre Kooperationspartner möchten die zivilgesellschaftlichen<br />
Gestaltungskräfte mit politischen Verantwortungsträgern <strong>in</strong>s Gespräch<br />
br<strong>in</strong>gen.<br />
Tagungsleitung<br />
Landespfarrer Peter Mörbel<br />
Referent/<strong>in</strong>nen<br />
Landesm<strong>in</strong>ister a.D Prof. Dr. Christoph Zöpel;<br />
Prof. Dr. Ra<strong>in</strong>er Danielzyk Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung;<br />
Prof. Dr. Gerhard Wegner Sozialwissenschaftliches Institut der EKD, Hannover<br />
Super<strong>in</strong>tendent<strong>in</strong> Henrike Tetz, Düsseldorf<br />
Kooperationspartner<br />
Dorothee Teschke, Dr. Rudolf Diersch, Dr. Rudolf Halberstadt<br />
Ev. <strong>Akademikerschaft</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>, Landesverband Rhe<strong>in</strong>land<br />
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