Pythagoras & Co. - Griechische Mathematik vor Euklid - Mathematik.de
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Außer <strong>de</strong>n vier Grundrechenarten kannten die Mesopotamier auch das<br />
Potenzieren und das Ziehen von Quadrat- und Kubikwurzeln. Es gibt Täfelchen<br />
mit <strong>de</strong>n Quadrat- und Kubikzahlen aller Zahlen von 1 bis 60 – und damit<br />
umgekehrt auch <strong>de</strong>r Quadrat- und Kubikwurzeln dieser Quadrat- und Kubikzahlen.<br />
9<br />
Aber man war nicht auf so einfache Radikan<strong>de</strong>n wie Quadrat- o<strong>de</strong>r Kubikzahlen<br />
angewiesen. Den Wert <strong>de</strong>r Quadratwurzel von 2 bestimmte man z.B. auf einen Wert,<br />
<strong>de</strong>ssen (auf 7 Nachkommastellen genaue) <strong>de</strong>zimale Wie<strong>de</strong>rgabe 1,4142128 lautet. Ein<br />
mo<strong>de</strong>rner Taschenrechner liefert 1,414213562. Der Fehler <strong>de</strong>r Babylonier beträgt weniger<br />
als 0,001 Promille. Die guten Rechenfertigkeiten waren <strong>de</strong>n Babyloniern bei <strong>de</strong>r Lösung<br />
linearer Gleichungen wie Gleichungen 2. und 3. Gra<strong>de</strong>s sehr nützlich. Hier war die<br />
babylonische <strong>de</strong>r ägyptischen <strong>Mathematik</strong> <strong>de</strong>utlich überlegen. Ergänzt wur<strong>de</strong>n die<br />
Lösungsmetho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Babylonier (wie bei <strong>de</strong>n Ägyptern) durch das Konzept <strong>de</strong>r Probe.<br />
In <strong>de</strong>r babylonischen Geometrie kennt man <strong>de</strong>n Satz <strong>de</strong>s <strong>Pythagoras</strong> sowie <strong>de</strong>n Satz <strong>de</strong>s<br />
Thales. In an<strong>de</strong>ren Punkten bleibt die babylonische Geometrie aber hinter <strong>de</strong>r ägyptischen<br />
zurück. Man kennt zwar auch bei <strong>de</strong>n Babyloniern die Formeln zur Flächenberechnung<br />
von Dreieck, Rechteck und Trapez, aber die Kreisfläche wird recht grob genähert<br />
(Näherung entspricht π = 3). Und auch das Volumen <strong>de</strong>s quadratischen<br />
Pyrami<strong>de</strong>nstumpfes wird in <strong>de</strong>n babylonischen Rechnungen stets nur grob genähert. 10<br />
Wie bei <strong>de</strong>n Ägyptern liefern auch die babylonischen Lehrtexte Musterlösungen. Ein „So<br />
ist die Prozedur“ taucht häufiger als Schlussphrase bei babylonischen Musterlösungen<br />
auf. Die babylonischen Musterlösungen verfehlen in <strong>de</strong>r Tat die Beschreibung allgemeiner<br />
Lösungswege im mo<strong>de</strong>rnen Sinne nur äußerst knapp. O. Neugebauer besteht darauf,<br />
dass man <strong>de</strong>n Babyloniern ein Denken in allgemeinen Prozeduren zubilligen muss:<br />
From actually computed examples it becomes obvious that it was the general<br />
procedure, not the numerical result, which was consi<strong>de</strong>red important. If<br />
acci<strong>de</strong>ntally a factor has the value 1 the multiplication by 1 will be explicitly<br />
performed, obviously because this step is necessary in the general case.<br />
Similarly we find regularly a general explanation of the procedure. Where we<br />
would write x + y the text would say "5 and 3, the sum of length and width".<br />
In<strong>de</strong>ed it is often possible to transform these examples directly into our<br />
symbolism simply by replacing the i<strong>de</strong>ograms which were used for "length",<br />
"width", "add", "multiply" by our letters and symbols. The accompanying<br />
numbers are hardly more than a convenient gui<strong>de</strong> to illustrate the un<strong>de</strong>rlying<br />
general process. Thus it is substantially incorrect if one <strong>de</strong>nies the use of a<br />
"general formula" to Babylonian algebra. 11<br />
Die im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt von Neugebauer sehr energisch vertretene Position zur Neubewertung<br />
<strong>de</strong>r babylonischen <strong>Mathematik</strong> hat sich mittlerweile durchgesetzt. Heute wird <strong>de</strong>n<br />
Babyloniern ganz selbstverständlich ein Denken in allgemeinen Prozeduren zugebilligt:<br />
Die Form, in <strong>de</strong>r die mathematischen Kenntnisse dargeboten wer<strong>de</strong>n, ist die<br />
<strong>de</strong>r Rechen<strong>vor</strong>schrift, natürlich mit bestimmten Zahlen; jedoch sind sie meist<br />
so allgemein gehalten, daß beliebige Zahlen eingesetzt wer<strong>de</strong>n können. Man<br />
sieht das daran, daß gelegentlich eine Multiplikation mit 1 o<strong>de</strong>r auch die<br />
Operation 1=1 ausdrücklich angegeben ist. Begründungen, Herleitungen<br />
o<strong>de</strong>r Beweise fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n Texten nicht. Dabei ist aber zu berücksichtigen,<br />
daß wir nicht wissen, was <strong>de</strong>r Lehrer beim mündlichen Unterricht<br />
gesagt hat. 12<br />
9 Andre Pichot: Die Geburt <strong>de</strong>r Wissenschaft. Parkland Verlag 2000. S. 65<br />
10 Es gibt allerdings eine beschädigte Tontafel, die das Volumen <strong>de</strong>s Pyrami<strong>de</strong>nstumpfes behan<strong>de</strong>lt und die man im<br />
Sinne <strong>de</strong>r korrekten Lösung ergänzen könnte, aber das ist natürlich <strong>de</strong>utlich weniger als die Ägypter <strong>vor</strong>zuweisen<br />
haben und zu wenig um von <strong>de</strong>r Kenntnis <strong>de</strong>r korrekten Formel sprechen zu können.<br />
11 O. Neugebauer: The Exact Sciences in Antiquity. New York: Dover Publications, Inc. 1969. S. 43f<br />
12 Helmuth Gericke: <strong>Mathematik</strong> in Antike, Orient und Abendland. Wiesba<strong>de</strong>n: Matrix Verlag 2005. S. 43<br />
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