Pythagoras & Co. - Griechische Mathematik vor Euklid - Mathematik.de
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Vorgriechische <strong>Mathematik</strong><br />
Obwohl die Entwicklung <strong>de</strong>s Konzepts <strong>de</strong>r beweisen<strong>de</strong>n <strong>Mathematik</strong> durch die antiken<br />
Griechen eine einmalige Leistung war, so geschah dies <strong>de</strong>nnoch nicht aus <strong>de</strong>m Nichts<br />
heraus, son<strong>de</strong>rn unter Nutzung <strong>de</strong>r insbeson<strong>de</strong>re im ägyptischen wie babylonischen<br />
Kulturraum erbrachten Vorleistungen.<br />
Die Griechen selbst behaupten einstimmig, dass sie <strong>de</strong>n Stoff zu ihrer<br />
Geometrie und Astronomie in Ägypten und Babylon gefun<strong>de</strong>n haben. THALES<br />
und PYTHAGORAS, DEMOKRITOS und EUDOXOS, alle sollen sie nach Ägypten und<br />
Babylonien gereist sein. Selbst wenn man diese Reiseerzählungen nicht als<br />
historische Wahrheit nimmt, son<strong>de</strong>rn nur als anekdotische Ausdrücke für die<br />
Tatsache, dass man orientalische Elemente in ihrer Lehre erkannte, so<br />
beweisen sie noch genug. Nur manche mo<strong>de</strong>rne Philologen wollen durchaus<br />
nicht gelten lassen, dass die Griechen irgend etwas Wesentliches aus <strong>de</strong>m<br />
Osten übernommen haben sollen. Als ob die Hellenen so beschränkt gewesen<br />
wären, das Wertvolle in frem<strong>de</strong>n Kulturen nicht zu sehen und zu verwerten!<br />
Es ist gewiss kein Zufall, dass es gera<strong>de</strong> die Ionier sind, die zuerst die Fackel<br />
<strong>de</strong>r griechischen Kultur <strong>vor</strong>angetragen haben. Sie wohnten ja am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
grossen orientalischen Reiche, waren sogar lange Zeit Untertanen <strong>de</strong>r<br />
lydischen und persischen Könige; sie lebten in ständiger Berührung mit <strong>de</strong>r<br />
Kultur <strong>de</strong>s Orients.<br />
Wie eng Ionien und Kleinasien politisch und wirtschaftlich verbun<strong>de</strong>n waren,<br />
wird je<strong>de</strong>m klar sein, <strong>de</strong>r das erste Buch <strong>de</strong>r Historien <strong>de</strong>s Herodotos einmal<br />
flüchtig durchgesehen hat. Auch die Beziehungen zwischen Hellas und<br />
Ägypten liegen auf <strong>de</strong>r Hand. Zahlreiche Griechen wohnten im Nil<strong>de</strong>lta. Die<br />
griechische Stadt Naukratis, die unter PSAMMETICHOS (663 bis 609 v. Chr.)<br />
gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, erhielt unter AMASIS (569 bis 525 v. Chr.) sogar ein<br />
Han<strong>de</strong>lsmonopol für ganz Ägypten. 1<br />
Be<strong>vor</strong> wir uns hier <strong>de</strong>r griechischen <strong>Mathematik</strong> zuwen<strong>de</strong>n, soll ein kurzer Blick auf die<br />
ägyptische und babylonische <strong>Mathematik</strong> geworfen wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Substanz <strong>de</strong>r ägyptischen wie babylonischen <strong>Mathematik</strong> wur<strong>de</strong> nicht in Form einer<br />
Sammlung von mathematischen Sätzen notiert, son<strong>de</strong>rn als eine Sammlung von<br />
mathematischen Prozeduren gelehrt und tradiert. Diese Prozeduren wur<strong>de</strong>n dabei<br />
typischer Weise in Form von Musterlösungen für ausgesuchte Beispiele präsentiert.<br />
Die ägyptische wie die babylonische <strong>Mathematik</strong> haben insofern eine gewisse Ähnlichkeit<br />
mit <strong>de</strong>r Art und Weise, mit <strong>de</strong>r wir bis heute <strong>Mathematik</strong> in <strong>de</strong>r Primar- und Unterstufe<br />
unterrichten: Statt mathematischer Sätze und allgemeiner Formeln steht auch dort das<br />
mustergültige Beispiel und das daran orientierte Einüben von mathematischen Techniken<br />
(Prozeduren) im Mittelpunkt <strong>de</strong>s Lernens. Es gibt sogar noch eine weitere Entsprechung:<br />
Die Probe als Mittel <strong>de</strong>r Prüfung <strong>de</strong>s gefun<strong>de</strong>nen Resultats. Sowohl die ägyptische wie die<br />
babylonische <strong>Mathematik</strong> kennen diese Technik <strong>de</strong>s Prüfens eines Ergebnisses.<br />
Wenn im Folgen<strong>de</strong>n ab und zu davon gesprochen wird, dass die ägyptische o<strong>de</strong>r<br />
babylonische <strong>Mathematik</strong> schon diese o<strong>de</strong>r jene Formel, bzw. schon diesen o<strong>de</strong>r jenen<br />
Satz kannte, so ist dies nicht ganz wörtlich zu nehmen. Man lehrte dort i.a. keine Sätze<br />
und Formeln, son<strong>de</strong>rn (fast ausschließlich) Musterlösungen. Aber man kann aus <strong>de</strong>n<br />
angebotenen Musterlösungen <strong>de</strong>r ägyptischen und babylonischen <strong>Mathematik</strong> die zugehörigen<br />
Formeln und Sätze meist einfach herauslesen. Und solche recht anstrengungslos<br />
herauslesbaren Formeln und Sätze stellen nun mal die prägnanteste Möglichkeit zur<br />
Beschreibung <strong>de</strong>s Niveaus <strong>de</strong>r ägyptischen und babylonischen <strong>Mathematik</strong> dar.<br />
1 B.L. van <strong>de</strong>r Waer<strong>de</strong>n: Erwachen<strong>de</strong> Wissenschaft. Bd. 1: Ägyptische, babylonische und griechische <strong>Mathematik</strong>.<br />
Basel, Stuttgart: Birkhäuser Verlag 1956. S. 133f<br />
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