Pythagoras & Co. - Griechische Mathematik vor Euklid - Mathematik.de
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Großtaten gepriesenen ersten Beweise von mathematischen Sätzen nachsagte) hatten<br />
schon damals einen Klang wie Donnerhall.<br />
Die meist aristokratischen Gentleman-Gelehrten wie die Sophisten haben nicht nur<br />
philosophische, ethische und philologische Studien betrieben, sich nicht nur in Rhetorik<br />
und Grammatik geübt, son<strong>de</strong>rn etliche von ihnen haben sich auch höchst ambitioniert mit<br />
beweisen<strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong> beschäftigt.<br />
Für die Gentleman-Gelehrten gehörte dies zu ihren frei gewählten Gelehrtentätigkeiten.<br />
Sie erwarteten dafür nichts, außer etwas Anerkennung und im Glücksfall Ruhm. Aber dies<br />
war für viele <strong>de</strong>r wohlhaben<strong>de</strong>n aristokratischen Oberschicht Anreiz genug. Durch eine<br />
glückliche Geburt von <strong>de</strong>n Sorgen <strong>de</strong>r ökonomischen Existenzsicherung freigestellt,<br />
entschie<strong>de</strong>n sich viele Zöglinge <strong>de</strong>r wohlhaben<strong>de</strong>n Oberschicht für die Rolle eines<br />
Gentleman-Gelehrten.<br />
Für die Sophisten war das Ganze hingegen eine Sache <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>rwerbs. Es zeigte sich,<br />
dass bald eine Nachfrage nach bezahlter Unterweisung in beweisen<strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong> entstand.<br />
Mathematisch Talentierte konnten so schon früh ihre Neigung zum Beruf machen.<br />
Die Aufnahme von Einführungen in Geometrie und Arithmetik in die Sekundar-Ausbildung<br />
von 14 bis 18 Jährigen tat ein Übriges, um die neue Form <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>sgebrauchs<br />
zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r Oberschicht zu verbreiten.<br />
Die bei <strong>de</strong>n Abhandlungen zur griechischen Antike noch immer häufig etwas stiefmütterliche<br />
Behandlung <strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong> ist also keineswegs gerechtfertigt. Im Gegenteil,<br />
das für die griechische Antike so typische nachdrückliche Insistieren auf <strong>de</strong>m Unterschied<br />
zwischen Wissen und bloßem Meinen wird erst dann richtig verständlich, wenn man die<br />
damals neuen Erfahrungen aus <strong>de</strong>m Bereich <strong>de</strong>r beweisen<strong>de</strong>n <strong>Mathematik</strong> be<strong>de</strong>nkt.<br />
Die Protagonisten <strong>de</strong>s griechischen Aufklärungsprozesses verfügen über die (zu recht)<br />
immer wie<strong>de</strong>r bewun<strong>de</strong>rte innere Freiheit, sich von allerlei Ballast und Unsinn aus ihrer<br />
kulturellen Tradition zu befreien. Dies erscheint in einem ganz an<strong>de</strong>ren Licht, wenn man<br />
be<strong>de</strong>nkt, dass das Vertrauen in die Verlässlichkeit <strong>de</strong>s eigenen Urteils durch die Erfahrung<br />
<strong>de</strong>r beweisen<strong>de</strong>n <strong>Mathematik</strong> einen riesigen Auftrieb erhalten hat. Wenn man mit <strong>de</strong>m<br />
eigenen Verstan<strong>de</strong> Dinge beweisen kann, an <strong>de</strong>nen selbst ein Gott nicht mehr rütteln<br />
kann, was sollen einen da Jahrhun<strong>de</strong>rte kultureller Tradition beeindrucken können?<br />
Dass sich kleine soziale Inseln mit nur wenigen Mitglie<strong>de</strong>rn so <strong>de</strong>utlich von vielen Inhalten<br />
<strong>de</strong>r ererbten Denkwelt <strong>de</strong>r Väter verabschie<strong>de</strong>n können und sich auch nicht davon<br />
beeindrucken lassen, dass es (zunächst) kaum gelingt, Anhänger zu gewinnen, wirkt<br />
ungleich viel verständlicher, wenn man sich diese „Son<strong>de</strong>rlinge“ als <strong>Mathematik</strong>er <strong>vor</strong>stellt.<br />
Eine durch die Faszinationen <strong>de</strong>r beweisen<strong>de</strong>n <strong>Mathematik</strong> geprägte Persönlichkeit wird<br />
nicht davon beunruhigt, dass fast alle an<strong>de</strong>ren fast alles ganz an<strong>de</strong>rs sehen. Das ist halt<br />
nun einfach mal so. Das kann man we<strong>de</strong>r än<strong>de</strong>rn, noch ist man dafür verantwortlich. Aber<br />
das ist natürlich auch nicht <strong>de</strong>r allergeringste Anlass, die eigene Weltsicht zu än<strong>de</strong>rn. Das,<br />
was vielen im Normalbetrieb <strong>de</strong>s Alltags als Neigung zum Son<strong>de</strong>rbaren erscheint, ist<br />
genau die Mentalität, die radikalen geistigen Umbrüchen äußert för<strong>de</strong>rlich ist. Es gehört zu<br />
<strong>de</strong>n Stärken <strong>de</strong>r griechischen Kultur, dass sie dieses „Son<strong>de</strong>rbare“ nicht ächtet, son<strong>de</strong>rn<br />
als Triebkraft <strong>de</strong>r kulturellen Innovation zu nutzen weiß.<br />
In puncto Talent zur inneren Abson<strong>de</strong>rung konkurriert ein mathematisches Naturell einzig<br />
mit religiösem Sektierertum. Die Pythagoreer verbin<strong>de</strong>n das eine mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren. Als<br />
mathematisch-religiöse Sekte sind sie die i<strong>de</strong>ale Kin<strong>de</strong>rstube für einige damals sehr<br />
ungewöhnliche I<strong>de</strong>en. Die dort gepflegten Lehren sind gut da<strong>vor</strong> geschützt, von einem<br />
gänzlich an<strong>de</strong>rs gestimmten Mainstream erdrückt zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Details <strong>de</strong>r Anfänge <strong>de</strong>r antiken Aufklärung liegen lei<strong>de</strong>r hinter einem undurchdringlichen<br />
Nebel. Und so mangelt es bei all solchen Überlegungen immer an direkten<br />
historischen Belegen. Hinsichtlich Plausibilität können sich aber die hier skizzierten<br />
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