Hegel und die analytische Philosophie - Friedrich-Schiller ...
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stellen kein Wissen dar, sondern sie gehören zur Struktur unseres Weltbildes. Wohl sind sie also<br />
tragende Gewißheiten, aber sie haben einen gr<strong>und</strong>sätzlich anderen Status als Wissens-Sätze: sie<br />
zählen zu den Bedingungen jeglichen Wissenserwerbs. Auch ist es nicht so, daß wir unser<br />
Weltbild, das <strong>die</strong>se Gewißheiten enthält, durch einzelne Wissensschritte aufgebaut hätten (so daß<br />
<strong>die</strong> betreffenden Gewißheiten verdeckterweise doch kognitive Errungenschaften sein könnten):<br />
"[...] mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch<br />
nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene<br />
Hintergr<strong>und</strong>, auf welchem ich zwischen wahr <strong>und</strong> falsch unterscheide." 141 Das Weltbild -<br />
Wittgenstein spricht dafür auch von "System" - bildet den fraglosen Hintergr<strong>und</strong>, der alle<br />
einzelnen Wissensschritte <strong>und</strong> Argumentationen ermöglicht <strong>und</strong> bedingt: "Alle Prüfung, alles<br />
Bekräften <strong>und</strong> Entkräften einer Annahme geschieht schon innerhalb eines Systems." Diese<br />
Tätigkeiten sind durch das System bedingt: "<strong>die</strong>s System gehört zum Wesen dessen, was wir ein<br />
Argument nennen. Das System ist [...] das Lebenselement der Argumente". 142<br />
Von da aus ist Wittgensteins Antwort auf Moore klar. Wenn <strong>die</strong>ser von "unerschütterlichen<br />
Überzeugungen" spricht, so bedeutet das nicht, daß man "bewußt durch bestimmte<br />
Gedankengänge" zu <strong>die</strong>sen Überzeugungen gelangt wäre, sondern daß <strong>die</strong> betreffenden<br />
Überzeugungen so sehr in all unseren "Fragen <strong>und</strong> Antworten verankert" sind, daß man gar<br />
"nicht an sie rühren kann". 143 Kurzum: Moores unerschütterliche Gewißheiten sind nicht<br />
Wissenssätze, sondern Glaubensbestände des Systems. Und daran ist nichts Falsches - nur muß<br />
man sich eben darüber im klaren sein, daß derlei Überzeugungen nicht Wissens-Charakter<br />
besitzen.<br />
2. Wittgensteins Holismus: "Unser Wissen bildet ein großes System"<br />
Wittgensteins Holismus bezieht sich also in erster Linie auf unser Weltbild <strong>und</strong> von daher dann<br />
auf <strong>die</strong> Struktur unseres Wissen. Hinsichtlich des ersteren bemerkt er, daß wir unser Weltbild<br />
nicht Element für Element aufbauen, sondern als ein Ganzes erlernen: "Wenn wir anfangen,<br />
etwas zu glauben, so nicht einen einzelnen Satz, sondern ein ganzes System von Sätzen. (Das<br />
Licht geht nach <strong>und</strong> nach über das Ganze auf.)" 144 Bezüglich der holistischen Struktur unseres<br />
Wissens erklärt Wittgenstein: "Unser Wissen bildet ein großes System." 145 Einzelne Urteile oder<br />
Sätze haben "nur in <strong>die</strong>sem System [...] den Wert, den wir ihnen beilegen". 146 Evidenz ist ein<br />
Systemeffekt: "Nicht einzelne Axiome leuchten mir ein, sondern ein System, worin sich Folgen<br />
<strong>und</strong> Prämissen gegenseitig stützen." 147<br />
Beispiele solcher gewissen Wahrheiten aufzählt, sind allerdings interessant. Nicht weil jemand<br />
ihre Wahrheit weiß, oder sie zu wissen glaubt, sondern weil sie alle im System unsrer<br />
empirischen Urteile eine ähnliche Rolle spielen" (Wittgenstein, Über Gewißheit, 148 [137]).<br />
141 Ebd., 139 [94].<br />
142 Ebd., 141 [105].<br />
143 Ebd., 141 [103].<br />
144 Ebd., 149 [141].<br />
145 Ebd., 200 [410].<br />
146 Ebd.<br />
147 Ebd., 149 [142].