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27 Jahre später, am 15. Oktober 1810, kündigen auch Heinrich von Kleists<br />

Berliner Abendblätter eine Luftfahrt an. Wie schon in der Urszene der Aeronautik,<br />

so sollen auch hier Kapital, Adel und Wissenschaft anlässlich des Luftschiffs<br />

zueinander finden. Nur die Positionen sind vertauscht. Der Fabrikant<br />

ist nicht mehr der Besitzer des Ballons, sondern gibt den Aeronauten; der Adelige<br />

erscheint nicht mehr als privilegierter Passagier, sondern bleibt als ferner<br />

Adressat des Geschehens am Boden; der aeronautisch ausgewiesene Professor<br />

2 steuert nicht mehr den Ballon, sondern stellt ihn nur noch zur Verfügung.<br />

Kleists Ankündigung, ein kleiner, aber doch vier Absätze umfassender Text,<br />

trägt den Titel Schreiben aus Berlin und beginnt, nach der präzisen Zeitangabe<br />

„10 Uhr Morgens“ (65), 3 mit folgendem Satz:<br />

Der Wachstuchfabrikant Hr. Claudius will, zur Feier des Geburtstages Sr. Königl.<br />

Hoheit, des Kronprinzen, heute um 11 Uhr, mit dem Ballon des Prof. J. in<br />

die Luft gehen, und denselben, vermittelst einer Maschine, unabhängig vom<br />

Wind, nach einer bestimmten Richtung hinbewegen. (65)<br />

Der trockene Ton nüchterner „Tages-Mittheilungen“ (69 u. passim), wie sie<br />

sich in allen Nummern der Berliner Abendblätter finden, klingt in diesem ersten<br />

Satz zwar an, wird aber sofort von einem distanzierenden Gestus durchsetzt.<br />

Denn genau gelesen, macht Kleist hier gar keine Ankündigung, er berichtet<br />

lediglich von einer Absichtserklärung: „Hr. Claudius will“. Und nicht:<br />

Hr. Claudius wird. Oder noch schärfer und das prophetische Potential des Modalverbs<br />

voll ausschöpfend formuliert: Herr Claudius will nur, er wird nicht.<br />

Aber noch ist es „10 Uhr Morgens“, noch muss der Wunsch sich keiner Realitätsprüfung<br />

stellen, noch ist die Situation grundsätzlich offen. Diese Offenheit<br />

nutzt der zum Widerspruch stets gereizte Kleist und erhebt, schneller noch<br />

als die nur wenige Stunden später einsetzenden widrigen Winde, schon vorab<br />

einen grundsätzlichen Einwand:<br />

Dies Unternehmen scheint befremdend, da die Kunst, den Ballon, auf ganz leichte<br />

und naturgemäße Weise, ohne alle Maschienerie, zu bewegen, schon erfunden<br />

ist. Denn da in der Luft alle nur möglichen Strömungen (Winde) übereinander<br />

liegen: so braucht der Aeronaut nur vermittelst perpendikularer Bewegungen,<br />

2 Zum Professor Jungius, der 1805/06 die ersten deutschen Luftfahrten unternommen hatte, vgl.<br />

z.B. den Artikel „Aerostat“. In: Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten<br />

Stände (Conversations-Lexicon.) In zehn Bänden, Leipzig 1824, Bd. 1, S. 76-79, S. 79.<br />

3 Heinrich von Kleist, Schreiben aus Berlin. In: BKA II/7. Berliner Abendblätter I, S. 65-66, S.<br />

65. Kleists Texte zur Aeronautik sowie alle Texte aus den Berliner Abendblättern zitiere ich<br />

im folgenden nach der Brandenburger Ausgabe (und zwar stets aus dem Band II/7. Berliner<br />

Abendblätter I), mit Seitenangaben in Klammern nach dem Zitat. Auf diese Textgruppe, die<br />

sich in den meisten Kleist-Ausgaben unter nachgeordneten Rubriken wie „Berichterstattung<br />

und Tageskritik“ (vgl. z.B. SW II, S. 388-394) findet, kommt die Forschung nur selten und<br />

zumeist nur beiläufig zu sprechen; eine Ausnahme bildet hier Sibylle Peters, Die Experimente<br />

der Berliner Abendblättern: In: Kleist-Jahrbuch 2005; vgl. auch Sibylle Peters, Heinrich von<br />

Kleist und der Gebrauch der Zeit. Von der Machart der Berliner Abendblätter, Würzburg<br />

2003, S. 169ff.<br />

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